Betriebswirtschaft Wenn Leistungsorientierung in die Irre führt Zum Thema Burnout und Stressbelastung Während vor einigen Jahren der Burnout noch als Modekrankheit tituliert wurde, sorgt inzwischen die steigende Betroffenheit dafür, dass ein Umdenken erfolgt und die Krankheit ernst genommen wird. Auch wir als Investitionsgüterindustrie sind nicht davon verschont geblieben. Auf eine Vorankündigung einer Veranstaltung zum Burnout antworteten überraschend viele Personaler, mit Stimmen wie „auch wir haben mit diesem Problem, zu kämpfen, vor allem Frauen jenseits der 40 mit Kindern sind betroffen“. Aber auch Ingenieure in den Entwicklungsabteilungen oder Mitarbeiter auf Baustellen seien gefährdet. Zunahme von Stressbelastung und Burnout Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geht davon aus, dass 60% aller Fehlzeiten auf beruflichen Stress zurückgehen. Sie schätzt die Kosten auf jährlich 20 Milliarden Euro allein für die Unternehmen in Deutschland. Die WHO bezeichnet Stress als eines der größten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts. Immer öfter endet chronische Stressbelastung im Burnout des Mitarbeiters. Burnout bedeutet, dass sich biologische Stressprozesse in einem zwei bis drei Jahre andauernden Prozess – von den Betroffenen unbemerkt - verselbständigen und Erholung und Entspannung nicht mehr möglich sind. Nach einem Zusammenbruch sind lange Ausfallzeiten des Mitarbeiters die Folge. Die Symptome ähneln im Endstadium einer Depression, jedoch sind Krankheitsursache und -entwicklung völlig unterschiedlich. Innerhalb der letzten 5 Jahre hat die Zahl der Burnoutkrankschreibungen um 17% zugenommen. Fast zehn Millionen Tage waren die Mitarbeiter in Deutschland 2008 wegen Burnout-Symptomen krankgeschrieben. Die Fachleute, aber auch die Alltagsbeobachtung, sagen einem, dass diese Tendenz wohl noch eine Weile anhalten wird. Einerseits sollten Unternehmen deshalb aus ökonomischen Gründen Prophylaxe betreiben: Lange Fehlzeiten, hohe Einarbeitungskosten neuer Mitarbeiter – Wenn man diese neuen Mitarbeiter denn gleich findet. Auch im Kampf um den Nachwuchs dürfte ein Unternehmen punkten, wenn es mit gesundheitszuträglichen Bedingungen werben kann. Andererseits ist hier auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gefragt, da der Einfluss der Arbeitswelt auf Phänomene wie Burnout sehr viel größer ist als der des Einzelnen. Die Mitarbeiter Es trifft besonders engagierte Mitarbeiter mit großer Motivation, hohen Idealen und der Bereitschaft, sich über die eigenen Grenzen hinaus zu verausgaben. Also sind genau die Menschen, die in Stellenanzeigen gesucht werden („engagierte, flexible, belastbare Mitarbeiter, die sich mit den Unternehmenszielen identifizieren…“), für die Entwicklung dieses Krankheitsbildes prädestiniert. Das Unternehmen Eine Strategie „wer am stressresistentesten ist, hält durch, der Rest wird ins Behandlungssystem verschoben“, passt nicht in unsere Branche mit von Verantwortung geprägten Unternehmenskulturen. Außerdem dürfte eine solche (ggf. vielleicht unbewusste) Einstellung mit seinen Folgen unwirtschaftlich sein. Durch den Aufbau von mehr Druck landet das Unternehmen letztlich langfristig bei weniger Leistung. Ursachen für Burnout (und damit auch für seine Vorstufen oder andere psychosomatische Erkrankungen) Als Rahmen und Hintergrund ist der gesellschaftliche Wandel zu nennen. Unternehmen agieren nicht im luftleeren Raum. Auch wenn wirtschaftliche Systeme die privaten Systeme stark beeinflussen, gilt das Gleiche (vermutlich abgeschwächt) auch umgekehrt. Zu nennen sind hier z.B. die zunehmende Individualisierung und Wahlmöglichkeiten auf allen Ebenen (im Sinne fehlender verbindlicher gemeinsamer Werte). Durch die zurückgehende Verbindlichkeit entsteht ein System der permanenten Bewährung (als Ehepartner wie als Mitarbeiter). Die Ökonomisierung des Menschen nimmt weiter zu. Engagierte Mitarbeiter Die vertragsorientierten Mitarbeiter haben eher kein Risiko, an burnout zu erkranken. Wer nie gebrannt hat für etwas, kann auch nicht verbrennen. Besonders, wenn die engagierten Mitarbeiter die ihnen wichtigen Werte nicht mehr umsetzen können, steigt das Risiko. Weitere Risikofaktoren sind Angst (allen voran die Angst vor Arbeitsplatz- oder Ansehensverlust) und der Wunsch etwas zu erreichen. Fehlende Wertschätzung Parallel zu (und als Folge?) dieser gesellschaftlichen Entwicklung gibt es eine Zunahme narzisstischer Persönlichkeitsstrukturen. Deren Selbstwertgefühl ist besonders abhängig von äußerer Anerkennung und Leistung. Menschen mit einer solchen Struktur wollen die Besten sein und brauchen viel Anerkennung. Wenn dieses Bedürfnis nach Wertschätzung und Anerkennung – das natürlich auch für Nicht-Narzissten gilt - permanent nicht befriedigt wird, ist dies ein wichtiger krankmachender Faktor. Zahlengetriebener Wettbewerb Narzisstische Persönlichkeitsstrukturen mit hohen Leistungsansprüchen an sich selbst finden ihre Entsprechung in Unternehmen, die im globalen Wettbewerb die Besten sein wollen. Unternehmenskulturen, in denen nur Zahlen oder Ergebnisse wichtig sind, und der Mensch als Mensch entwertet wird, fördern Krankheitsbilder wie den Burnout. Permanente Bewährung In den Unternehmen nimmt eine Kultur des sich permanent neu bewähren müssens zu. Die Halbwertszeit des eigenen Wissens sinkt. Flachere Hierarchien, befristete Arbeitsverträge, Projektstrukturen mit unklarer Aufgabenverteilung erhöhen die Konkurrenz und damit den Zwang, die eigene Existenz im Unternehmen stets aufs neue zu rechtfertigen. -2- Arbeitsverdichtung, -beschleunigung, -vernetzung und Zeitdruck Die krankheitssteigernde Wirkung von Stress ist unter anderem in einer Studie der Techniker Krankenkasse deutlich geworden. Gesundheitliche Stressfolgen sind Schlafstörungen, Infekte, Rücken- und Kopfschmerzen bis zu Herz-Kreislauferkrankungen. Auch alle anderen abgefragten Erkrankungsbilder treten mit steigender Stressbelastung häufiger auf. Zeitdruck schlägt sich oft auch in schlechter Qualität und Kundenzufriedenheit nieder, was den Druck und die Unzufriedenheit wiederum erhöhen kann. Die sogenannte Gratifikationskrise beschreibt die Erkrankung eines Menschen als Folge starker Verausgabung ohne angemessene Entschädigung (z.B. Überstunden ohne entsprechende Anerkennung oder Bezahlung). Prophylaxe im Unternehmen Organisationsebene Die Maßnahmen ergeben sich aus der Ursachenanalyse. Klare Zuständigkeiten und Prozesse an Schnittstellen, Wettbewerb und Zahlenorientierung in Grenzen halten und dem Mitarbeiter Sicherheit geben, sind einige hier zu nennende Stichworte. Durch „Puffer“ kann das Unternehmen dafür sorgen, dass ein plötzlicher Anstieg der Belastungen verhindert wird, bzw. dass die Ressourcen, zum Beispiel durch externe Unterstützung, mit den Aufgaben wachsen. Mitarbeiter sollten die Ziele, für die sie verantwortlich sind, auch kontrollieren können. Es sollte keine Diskrepanz zwischen den Anforderungen am Arbeitsplatz und den Ressourcen oder Befugnissen, diese zu bewältigen, bestehen. Hier trifft man bei der Recherche zu dem Thema immer wieder auf einen Widerspruch: einerseits minimiert Selbstbestimmung in der Arbeit das Risiko gesundheitlich Schaden zu nehmen (=Kontrolle ist gesund) - andererseits steigert eine unklare Organisation die Belastung. Hier gilt es, den Mittelweg zwischen klarer Organisation und Freiheitsgraden zu finden. Die sozialen Beziehungen der Mitarbeiter, die Führung und (gemeinsame oder fehlende) Werte können den Einzelnen entweder stärken oder aber im negativen Falle auch zusätzliche Belastungen schaffen. Ein respektvoller, wertschätzender und fairer Umgang innerhalb des Unternehmens wirkt präventiv. Darüber hinaus kann ein Unternehmen die individuelle Prävention unterstützen. - Durch Möglichkeiten wie Beurlaubung, eine Kultur der echten Vertrauensarbeitszeit und einen sinnvollen Umgang mit Fehlzeiten (z.B. Präsentismus durch Information und Diskussion mindern, Gleitzeit kurzfristig zur Erholung nutzen lassen etc.). Information und Enttabuisierung Während der „Herzinfarkt das Ritterkreuz der Leistungsgesellschaft“ ist, ist Burnout bisher noch mit einem Stigma behaftet. Information und Diskussion zum Thema sind ein erster Schritt in Richtung Vorbeugung. -3- Im Rahmen der Information kann das Unternehmen auch zur Reflexion etwaiger krankmachender Lebenseinstellungen („innere Antreiber“) anregen. Der Einzelne sollte das Risiko kennen, muss sich über Werte, die er verwirklichen möchte, klar werden und seine Grundbedürfnisse befriedigen: Ernährung, Bewegung, Schlaf, Selbstwert, Kontrolle, Bindung und Lust und Aufregung. Die Führungskräfte sollte man darüber hinaus für ihre Fürsorgepflicht sensibilisieren. Wenn die Mitarbeiter über die ersten Symptome informiert sind, können sie sich auch gegenseitig auf eine risikoreiche Entwicklung aufmerksam machen. Erste Warnzeichen sind z.B. Störungen des Schlafs, der Verdauung, erhöhte Infektanfälligkeit und später auch Lustlosigkeit. Die meisten Betroffenen berichten, dass sie immer mehr Energie für Kleinigkeiten benötigten, bis sie sich im Endstadium zum Beispiel nicht mehr bewegen können. Stressmanagement-Kurse sind nützlich, sie reichen indes nicht aus, da damit leicht das Problem in Richtung des Einzelnen verschoben wird. Gut wären deshalb Seminare mit Workshopanteilen, so dass beides berührt wird: was kann der Einzelne tun und was das Unternehmen. In einem solchen Workshop kann das Unternehmen die eigenen Schwachpunkte feststellen und priorisieren, um erste Schritte einzulenken. Betriebsarzt Es lohnt sich auch, den Betriebsarzt in die Früherkennung und Prävention einzubinden. Frühwarnsysteme wie der Workability-Index, eventuell noch erweitert um einige Fragen in Richtung Burnout, können hier unterstützen. Lob und Wertschätzung in der Führung Lob und Wertschätzung kosten nichts und haben eine lange Wirksamkeit (ein gutes Lob soll länger wirken als eine Gehaltserhöhung). Gute Arbeit oder Überstunden sollten explizit anerkannt werden. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen herrscht oft eine hohe Erwartung an den Einsatz der Mitarbeiter, gleichzeitig besteht die Kultur des „net gschimpft ist gnug globt“. Das Problem Burnout lässt sich mit Wertschätzung allein nicht lösen, aber wesentlich verbessern. Mit ganzheitlicher Prävention lässt sich die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter sogar erhöhen. Autorin: Andrea Veerkamp-Walz, Abt. Betriebswirtschaft des VDMA --------------------------------------------------------------------------------------------- -4- Dieser Artikel beruht zu großen Teilen auf einer Studie der Techniker-Krankenkasse, einer sehr empfehlenswerten Radiosendung und der Arbeit des Zentralen Arbeitskreises Personal. Mehr Informationen zu einem ganzheitlichen Gesundheitsmanagement in Unternehmen finden Sie im VDMA-Entscheidungshilfe „Das gesunde Unternehmen“. Empfehlenswerte Links zum Thema: http://de.wikipedia.org/wiki/Burnout-Syndrom Link zum Buch "Das gesunde Unternehmen": http://www.vdma-verlag.com/home/p476.html Radiosendung „Die Burnoutfalle“: http://www.swr.de/contra/-/id=7612/did=6035824/pv=mplayer/vv=popup/nid=7612/j8n6be/ Pressemitteilung zur Studie der Techniker-Krankenkasse: http://www.tk-online.de/centaurus/servlet/contentblob/164752/Datei/3327/TK_Pressemappe.pdf Die Ergebnisse der Studie selbst finden Sie auf unserer Internetseite WWW.vdma.org/personal -5-