Notizen 7

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7.1 Entwicklung des Universums
7
Teilchenphysik und
Kosmologie
7.1
Entwicklung des Universums
Die Spektrallinien sehr entfernter Galaxien sind gegenüber denen
in unserer Galaxie rot-verschoben, d.h. zu kleineren Wellenlängen
verschoben. Dieser Effekt wird größer je kleiner die Leuchtkraft von
Supernova-Explosionen in diesen Galaxien ist. Interpretiert man
die abnehmende Leuchtkraft einfach als Effekt der Entfernung und
die Rotverschiebung als Dopplereffekt, so folgt, dass Galaxien sich
umso schneller von uns entfernen, je weiter sie von uns entfernt sind.
Unsere Galaxie ist natürlich nur eine von vielen. Da man gleichzeitig
beobachtet, dass das Universum sehr homogen und isotrop ist, folgt,
dass diese Beobachtungen genaus so auch von anderen Galaxien aus
gemacht werden können. Alle Abstände innerhalb des Universums
werden also ständig größer, das Universum als Ganzes expandiert.
Eine sofortige Konsequenz der Expansion ist, dass das Universum
in früheren Zeiten viel dichter und damit auch heißer war als jetzt.
Verfolgt man diesen Gendanken weiter, so erhält man die Theorie
des Urknalls (Big Bang).
Die Verbindung zwischen Teilchenphysik und Kosmologie ergibt
sich genau aus den sehr hohen Temperaturen im frühesten Universum. Hohe Temperaturen bedeuten hohe Energien der Teilchen. Je
nach Entwicklungsstadium und Temperatur des Universums treten
Energien auf, die viel höher als die Massen der bekannten Teilchen
sind, so dass auch die schwersten und kurzlebigsten Teilchen zu
sehr frühen Zeiten beigetragen haben müssen. Der thermodynamische Zustand des frühen Universums und seine Entwicklung wird
also durch die vorhandenen Teilchen und ihre Wechselwirkungen
bestimmt.
Damit lassen die Erkenntnisse aus Teilchenexperimenten auf der
Erde Rückschlüsse auf die Kosmologie zu, und andererseits lassen beobachtbare Spuren des Entwicklung des frühen Universums
Rückschlüsse auf die Physik der kleinsten Teilchen zu.
Das derzeitige Standard-Modell der Kosmologie (⇤CDM ) basiert
auf
• der allgemeinen Relativitätstheorie
• der Annahme eines Urknalls
• dem Standard-Modell der Teilchenphysik
• dem Annahme von kalter, dunkler Materie
• der Annahme von dunkler Energie
• der Annahme einer Inflations-Phase
64
7.1 Entwicklung des Universums
Abb. 7.1 Evolution des Universums
Zu beachten ist, dass die letzten drei Annahmen und experimentelle Beobachtungen nicht mit der Annahme des Standard-Modells
der Teilchenphysik verträglich sind, sondern automatische Physik
jenseits des Standard-Modells der Teilchenphysik beinhalten. Insbesondere werden zum Beispiel GUT-Theorien angenommen um
die Materie-Antimaterie-Asymmetrie zu erklären, Supersymmetrie
um dunkle Materie zu erklären, und Inflation mit skalaren Feldern
in Verbindung gebracht.
Offensichtlich kann die Entwicklung des Universums nicht völlig
gleichmäßig verlaufen sein. Schwere Teilchen mit Masse m konnten nur bei hohen Temperaturen kT
m im themodynamischen
Gleichgewicht mit leichteren Teilchen sein, aber nicht mehr bei kleineren Temperaturen kT ⌧ m (Beispiele: top-Quark, W, Z). Diese
Freiheitsgrade der thermodynamischen Zustandsgleichung des Universums “frieren aus”. Auch Teilchen mit kleinem Wirkungsquer65
7.2 Dunkle Materie
Phase
Zeit
t
Temperatur
E = kT
Durchmesser
R [m]
heute
14 · 109 a
1026
CMB, e+Kern! Atom
3, 7 · 105 a
2, 7K=
b
2 · 10 4 eV
0, 3 eV
1023
BBN Nucleon-Synthese
1
170KeV
0, 1
1 MeV
1018
Neutrino freeze-out
+
e e !
q-g-Plasma ! Hadronen
SU (2) spont. Symm-Brechung
102 s
1s
1 MeV
1s
1 MeV
10 5 s
200 MeV
1018
200 GeV
1012
10
Supersymmetrie-Brechung
GUT-Symmetrie Brechung
11
s
?
?
10
11
s
Inflation
10
33
s
Planck-Ära
10
43
s
16
10 GeV
1, 22 · 1019 GeV
Tabelle 7.1 Phasen und Phasenübergänge im frühen Universum. Die
Liste enthält auch hypothetische Phasenübergänge durch Brechung der
Supersymmetrie und Brechung einer Grand Unified Symmetry.
schnitt werden ausfrieren, wenn die Dichte der Teilchen so weit abnimmt, dass kaum noch Reaktionen stattfinden können (Beispiel:
Neutrinos, Teichen der dunklen Materie).
Die Entwicklung des Universums ist daher durch verschiedene
Phasen und Phasenübergänge bestimmt (siehe Tabelle).
Als Relikt des Urknalls wurden experimentell gefunden die kosmische Hintergrundstrahlung (CMB), die chemischen Elemente entsprechend der Nukleon-Synthese (BBN) und dunkle Materie als ein
mögliches Zeichen der Supersymmetrie. Nicht gefunden wurden bisher die relik Neutrinos (zu kleiner Wirkungsquerschnitt). Strittig
ist derzeit eine Messung zu Gravitationswellen, die als Relik der
Inflationsphase gedeutet werden könnten.
Die höchste mit heutigen theoretischen Mitteln erfassbare Skala
ist die Planck-Skala,
r
~c
MP l =
= 1, 22 · 1019 GeV
(7.1)
GN
Jenseits dieser Energie müssen Effekte der Quantengravitation berüchsichtigt werden.
7.2
Dunkle Materie
Die Existenz von dunkler Materie ist durch verschiedene, auf völlig unterschiedlichen Größenskalen und unterschiedlichen physikalischen Prozessen beruhenden Beobachtungen nachgewiesen worden.
66
0, 1
7.2 Dunkle Materie
Hierzu gehören die Rotationskurven von Sternen in Galaxien, Messung der Masse von Galaxien durch ihre Wirlung als Gravitationslinsen, die großräumige Strukturbildung im Cosmos, die CMB
Anisotropie, die Kinematik in Galaxien-Clustern, die Kinematik in
der Kollision des Bullet-Clusters und die Expansionsrate des Universums. Aus allen diesen beobachtungen folgt konsistent, dass im
Rahmen des ⇤CDM Modells dunkle Materie einen größeren Anteil an der gesammten Masse im Universum hat als die bekannte
Materie.
Abb. 7.2 Anteile an der gesammten Masse im Universum
Abb. 7.3 Rotationsgeschwindigkeit von Sternen als Funktion des Abstands vom Zentrum im Vergleich zu Erwartungen aufgrund der Masse
der bekannten Materie.
Abb. 7.4 Dichte im Vergleich zur kritischen Dichte durch Materie
(⌦M ) und durch die Kosmologische Konstante (⌦⇤ ).
Alle SM- und SUSY-Teilchen sind im frühen Universum, also bei
hohen Temperaturen, hohen Teilchendichten und hohen Reaktionsraten, in großer Anzahl produziert worden. Die dabei produzierten
67
7.2 Dunkle Materie
stabilen Teilchen sollten daher die jetzige Materie ausmachen. Hierzu gehören Elektronen, Neutrinos und Protonen3 und (bei RP - Erhaltung) das leichteste SUSY-Teilchen (LSP). Aus astronomischen
Beobachtungen ergibt sich, dass die Dunkle Materie (siehe Vorträge) ca. 23% der Energiedichte des Universums ausmacht. Hierfür
kommen nur nicht-leuchtende, also ungeladene Teilchen in Fage.
Außerdem dürfen diese Teilchen nicht stark wechselwirken, da sie
sonst in den Protonen gebunden wären und zur Masse der Protonen beitragen würden. Im SM ist der einzige Kandidat das Neutrino. Die Messungen der Neutrino-Massen ergeben jedoch Werte,
die etwa einen Faktor 100 zu klein sind um die Dunkle Materie zu
erklären.
• Im SM gibt es keine Teilchen, die als Dunkle Materie in Frage
kommen.
• In der SUSY ist das LSP ein Kandidat für die Dunkle Materie,
wenn es elektrische neutral ist und nicht stark wechselwirkt.
Nimmt man an, dass das LSP den Hauptbestandteil der Dunklen
Materie ausmacht, so lassen sich Eigenschaften des LSP aus der
Thermodynamik des frühen Universums ableiten (siehe Abbildung).
• (1) Bei sehr hohen Temperaturen stehen Produktion und Zerfall des LSP im thermischen Gleichgewicht und die Dichte der
LSPs ist konstant.
• (2) Bei Temperaturen kT . MLSP ist Paarverichtung noch
möglich, aber in Stößen der SM-Teilchen ist zunehmend nicht
mehr genug Energie zur Produktion der LSPs vorhanden. Die
Anzahl der LSPs wird entsprechend einem Bolzmann-Faktor
abnehmen,
MLSP
NLSP ⇠ e kT
• (3) Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Dichte der LSPs zu
klein, so dass Stöße der LSPs selten werden. Die Paarvernichtung wird aufhören und eine konstante Dichte der LSPs übrig bleiben (“ausfrieren”). Die verbleibende Dichte wird dabei
vom Mittelwert von Wirkungsquerschnitt der Paarvernichtung und Geschwindigkeit der LSPs abhängen,
1
⌦DM
⇠< v>
Im MSSM nimmt das LSP nur an der schwachen WW (und der
Gravitation) teil. Die Größenordnung des Wirkungsquerschnitts ist
also bekannt. Die Geschwindigkeit ergibt sich aus der Masse und
der Temperatur. Setzt man die entsprechenden Zahlen ein so ergibt
sich als Masse des LSPs der Bereich:
100 GeV . MLSP . 1 TeV
Die Details hängen allerdings stark von den Details der Selbstvernichtung des LSPs ab.
3
68
Neutronen existieren nur deshalb noch, weil sie in Kernen gebunden wurden bevor sie zerfallen konnten. Zerfall innerhalb der Kerne ist bei stabilen
Kernen energetisch verboten.
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Dunkle Materie .60,
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N#UN00-&-'31-6
D#U#H(,%&F-02
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Abb. 7.5 Anzahl-Dichte der Teilchen der Dunklen Materie als Funktion von Masse/Temperatur (oder Zeit) im frühen Universum. Die Dichte
ist als “comoving” angegeben, beinhaltet also bereits Effekte durch die
Ausdehnung des Universums mit der Zeit. Die Dichte bei großen Zeiten
hängt vom Produkt von Wirkungsquerschnitt der Selbstvernichtung
und Geschwindigkeit v der Teilchen ab.
!"#$%&'()
Alternative Interpretationen Es gibt durchaus Alternativen zur
oben genannten Interpretation der dunklen Materie als Teilchen,
dass nur der schwachen Wechselwirkung und der Gravitation unterliegt. Hierzu gehört in der Supersymmetrie vor allem das Gravitino,
dass ausschliesslich durch Gravitation wechselwirkt.
Eine weitere Möglichkeit sind Axionen und Axinos, die nur einer noch viel schwächeren Wechselwirkung unterliegen. Aus diesem
Grund können sie auch viel leichter als das LSP im MSSM sein.
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