BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/ alpha/forum/vor0410/20041029.shtml Sendung vom 29.10.2004, 20.15 Uhr Prof. Dr. Günther Hasinger Astrophysiker im Gespräch mit Reinhold Gruber Gruber: Liebe Zuschauer, herzlich willkommen zu Alpha-Forum. Sie haben sicherlich auch schon öfter zum Sternenhimmel geblickt und waren fasziniert vom Anblick dieser unzähligen Lichtpunkte. Und doch ist das ja nur ein Teil dessen, was da draußen im Kosmos zu sehen ist. Was da draußen alles zu sehen ist – und auch davon wahrscheinlich wieder nur einen Teil –, das können wir heute erfahren, denn wir haben bei uns im Studio Professor Günther Hasinger zu Gast. Herr Hasinger, Sie sind Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München. Sternengucker wäre ganz vereinfacht gesagt, Astrophysiker und extraterrestrische Physik jedoch klingen ein wenig exotisch. Was ist das eigentlich? Hasinger: Der Name extraterrestrische Physik steht dafür, dass wir unsere Forschungen außerhalb der Erdatmosphäre machen. Wir forschen zwar nicht nach E.T.s., aber wir benutzen doch den Weltraum für unsere Forschung. Denn viele Dinge kann man von der Erde nicht oder doch nicht so gut sehen und studieren. Deswegen ist dieses Institut vor 40 Jahren gegründet worden und seitdem machen wir diese Forschung im Weltraum. Gruber: Extraterrestrische Physik klingt so, als gäbe es dort eine andere Physik als hier bei uns auf der Erde. Hasinger: Nein, nein, es ist nur so, dass wir die Methoden des Weltraums benutzen, um z. B. in der Astrophysik, in der Astronomie in die Tiefen des Raumes schauen zu können. Mein eigenes Fachgebiet ist z. B. die Röntgenastronomie: Röntgenstrahlen würden von der Erdatmosphäre verschluckt werden, Gott sei Dank, wie man sagen muss, denn sonst könnten wir nicht leben. Aber wenn man eben einen Satelliten oder eine Rakete hinaus ins Weltall schießt, dann kann man dennoch Röntgenstrahlen aus der Tiefe des Kosmos empfangen. Gruber: Das ist ja nun genau der Punkt: Wenn wir zum nächtlichen Sternenhimmel schauen, dann sehen wir Lichtpünktchen, größere, kleinere, hellere, schwächere usw. Was sieht man denn aber im Röntgenlicht? Wie lässt sich das zeigen? Hasinger: Schauen wir uns doch mal den sichtbaren Sternenhimmel an. (Bild wird eingeblendet.) Wir sehen hier das Band der Milchstraße in der Mitte. Man sieht, dass der Himmel oben und unten dunkel ist, weil dort die Sterne eben nicht in der Milchstraßenebene sind. In der Mitte sieht man hier dieses Band, wo Gas und Staubwolken die Sterne verschlucken. Gruber: Das ist also unsere Galaxie, die Galaxie, in der wir zu Hause sind. Hasinger: Wir sehen hier unsere eigene Milchstraße, aber wir sehen auch den ganzen Himmel außerhalb der Milchstraße bis in die Tiefen des Kosmos hinein. Gruber: Wie sieht das nun im Röntgenlicht aus? Hasinger: Wenn wir denselben Himmel im Röntgenlicht ansehen (Bild wird eingeblendet), dann sieht man, dass das ganz anders aussieht. Man sieht, dass der ganze Himmel in verschiedenen Farben hell erstrahlt. Diese unterschiedlichen Farben deuten auf verschiedene Temperaturen hin: Rot bedeutet ungefähr eine Million Grad, grün zwei bis drei Millionen Grad. Wenn wir also Röntgenaugen hätten, dann bräuchten wir nachts praktisch keine Lampen, weil der Himmel nachts hell wäre. Die Milchstraße selbst sieht man hier in der Mitte nur noch als Schatten. Gruber: Was passieren würde, wenn wir Röntgenaugen hätten, darf man sich gar nicht vorstellen. Sie selbst haben ja Ihre wissenschaftliche Laufbahn mit der Röntgenastronomie begonnen. Sie waren ganz wesentlich beteiligt an der Entwicklung dieses deutschen Röntgensatelliten ROSAT. Was war ROSAT? Hasinger: Ja, wenn wir uns hier dieses Bild mit ROSAT noch einmal ansehen: ROSAT war... Gruber: Das ist dieser Satellit hier am Rande des Bildes. Hasinger: ROSAT ist der größte deutsche Forschungssatellit, der je gebaut worden ist und der je geflogen ist. Er startete 1990 mit amerikanischer und englischer Beteiligung und hat als Erster ein Bild des gesamten Röntgenhimmels erstellt. Diese Karte, die wir hier sehen, hat ROSAT aufgenommen. Entwickelt und gebaut worden ist er hier in Deutschland von der Industrie und eben z. T. auch an unserem Institut. Unser Institut hat z. B. an den Spiegeln mitgewirkt: Wir haben die Spiegel dafür entwickelt, denn Röntgenspiegel müssen extrem glatte Oberflächen haben. Weil Röntgenlicht viel kürzere Wellenlängen hat, dürfen auch die Unebenheiten auf diesen Spiegeln nur sehr klein sein. Gruber: Das heißt, sie müssen viel exakter bearbeitet werden. Hasinger: Ja, sie müssen extrem gut poliert werden. Mit der Firma Zeiss hat unser Institut dafür eine enge Zusammenarbeit bei der Entwicklung aufgebaut. Ich selbst habe an diesen Röntgenspiegeln dann meine eigene Diplomarbeit abgearbeitet. Gruber: Vom Besuch einer Volkssternwarte kennt man ja vielleicht normale Teleskope. Schaut denn ein Röntgenteleskop ebenfalls so aus? Hasinger: Nein, ein Röntgenteleskop sieht vollkommen anders aus als ein optisches Teleskop. Bei einem optischen Spiegel ist es ja so, dass das Licht sozusagen direkt reflektiert wird. Bei einem Röntgenspiegel jedoch kann man das Licht nur dann reflektieren, wenn man es unter einem ganz, ganz flachen Winkel auftreffen lässt. Gruber: Das ist wie bei einem Stein, den man flach ins Wasser wirft. Hasinger: Genau, wenn man einen Stein so übers Wasser wirft, dann wird er reflektiert und springt noch ein paar Mal hoch, bevor er untergeht. Genauso werden hier auch die harten Röntgenstrahlen von diesen flachen Oberflächen reflektiert. Deswegen dürfen diese Spiegel eben auch keine Wellen und Erhebungen haben. Deswegen sieht ein Röntgenteleskop fast wie ein überdimensionales Bierglas aus. Denn die Röntgenstrahlung wird quasi am inneren Rand des Bierglases reflektiert und wird dann sehr weit hinten in einem Fokus von einer Kamera aufgenommen. Deswegen sind alle diese Röntgenteleskope auch so lang gezogen. Denn sie reflektieren die Röntgenstrahlung ein oder zwei Mal, bis sie hinten im Fokus aufgefangen werden. Gruber: Es gab damals ja ein Problem, dieses Röntgenteleskop ROSAT überhaupt in die Umlaufbahn zu bringen. Es sollte nämlich ursprünglich mit einem Spaceshuttle fliegen. Hasinger: Ja, das war damals ein ziemlich dramatischer Einbruch, als die ChallengerKatastrophe geschah. Ursprünglich war nämlich ROSAT in der Tat für das Spaceshuttle gebaut worden. Nach dieser Katastrophe damals war aber klar, dass das Spaceshuttle für lange Zeit nicht mehr fliegen wird – das war die gleiche Situation, wie wir sie übrigens heute auch wieder haben. Gott sei Dank konnte das dann mit Hilfe der Amerikaner umgebaut werden auf eine Rakete. Wir sind dann mit einer amerikanischen Rakete gestartet. Das war schon einer der aufregendsten Momente, diesen Satelliten hoch zu bekommen. Gruber: Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt? Hasinger: Ich selbst war nicht am Start, sondern ich war bei der Mannschaft, die die Daten gleich ganz am Anfang aufgenommen hat. Ich war also hier in Oberpfaffenhofen beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Dort habe ich eben ganz gespannt die ersten Photonen aufgenommen. Gruber: Und die Daumen gehalten beim Count-down. ROSAT hat dann ja über viele Jahre hinweg hervorragend gearbeitet und viele, viele Daten geliefert. Von welchen Ereignissen im Kosmos oder von welchen Objekten im Kosmos erhalten wir denn Kunde durch die Röntgenastronomie? Denn wir sehen ja so viele Sterne, da könnte man doch sagen, dass das eigentlich reicht. Hasinger: Dazu muss man zunächst einmal Folgendes sagen: Das gesamte elektromagnetische Spektrum ist ja viel, viel breiter als das, was wir als Licht wahrnehmen. Das sichtbare Licht, das wir im Regenbogen mit all seinen Farben sehen können, macht gerade mal eine Oktave in der Wellenlänge aus. Das ist also so viel wie der Unterschied zwischen dem hohen C und dem normalen C. Wenn man aber das gesamte elektromagnetische Spektrum vom Radio bis zum hoch energetischen Gammabereich nimmt, also bis zur Infrarotstrahlung, der Ultraviolettstrahlung, den Röntgenstrahlen und den Gammastrahlen, dann sind das insgesamt 56 Oktaven. Man bräuchte also insgesamt etwa acht große Pianos, um das nebeneinander abdecken zu können. Gruber: Hier im Studio hätten sie möglicherweise gerade noch Platz. Hasinger: Jede dieser Wellenlängen gibt uns nun Informationen über andere Vorgänge. Die Röntgeninformationen stammen z. B. von sehr, sehr heißen Plasmen. Wenn man einen Eisenstab erhitzt, dann fängt er an rot zu glühen. Wenn man ihn noch weiter erhitzt, dann fängt er an, weiß zu glühen, dann schmilzt er und dann wird er sich, wenn man ihn noch weiter erhitzt, in Gas verwandeln. Wenn man noch weiter erhitzt, verwandelt er sich in ein Plasma. Das ist dasselbe, das wir in den Neonröhren haben. Dieses Plasma wird so heiß, dass es dann im Röntgenlicht zu strahlen anfängt. Wenn wir uns also einmal die Sonne anschauen... Gruber: Ist denn dieses unser vertrautes Heimatgestirn auch sozusagen ein Röntgenstrahler? Hasinger: Die Sonne, die ja unser Leben bestimmt, sieht im Röntgenlicht vollkommen anders aus. (Bild wird eingeblendet.) Gruber: Es scheint aber doch viele Sonnen zu geben, oder? Hasinger: Wir haben in dieser Sequenz die Sonne nur elf Mal abgebildet. Auf der rechten Seite sieht man die Sonne in ihrem ruhigen Zustand. Aber alle elf Jahre geht sie eben durch so einen Zyklus, bis sie so aussieht wie links unten auf dem Bild. In diesem Jahr 2004 ist sie z. B. in so einem sehr aktiven Zyklus wie unten links. Man sieht ja auf der Sonne manchmal diese dunklen Flecken, die so genannten Sonnenflecken: Man sieht hier, dass sie im Röntgenlicht ganz hell strahlen. Das ist eben das heiße Plasma, das aus der Sonne in Fontänen herausschießt. Manchmal kommt das ja bei sehr heftigen Ausbrüchen bis zu uns auf die Erde und stört z. B. die Satelliten bei ihrer Arbeit. Gruber: Da ist dann oft die Kommunikation von der Erde zu den Satelliten gestört. Hasinger: Das heißt, im Röntgenlicht sieht man dieselben Objekte, aber man sieht andere Vorgänge. Man sieht das, was man im sichtbaren Licht nicht sehen kann: heiße Plasmen, die beschleunigt werden, phantastische Energieumsetzungen usw. Gruber: Die Sonne ist ja in der Milchstraße eigentlich nur ein recht belangloser Stern, für den gesamten Kosmos gilt das natürlich erst recht. Welche Objekte im Kosmos stehen denn im zentralen Fokus der Röntgenastronomie? Hasinger: Am Ende eines Sternenlebens – das ist dann der Fall, wenn meinetwegen die Sonne ihren gesamten Wasserstoff verbraucht hat – entwickelt sich dieser Stern zu einem sehr kompakten Stern, zu einem so genannten weißen Zwerg. Das heißt, die ganze Wasserstoffhülle wird weggepustet und das wäre dann auch der Zeitpunkt, ab dem dann spätestens das Leben auf der Erde nicht mehr möglich wäre. Gruber: Das dauert aber noch eine Weile. Hasinger: Ja, das dauert noch etwa vier Milliarden Jahre. Am Schluss bleibt nur mehr ein weißer Zwerg übrig: Er hat ungefähr die Masse unserer Sonne, aber nur noch die Größe unserer Erde! Wenn man einen Stern nimmt, der noch ein bisschen größer ist als die Sonne, der also meinetwegen zehn Mal so groß ist wie die Sonne, dann bleibt am Ende dieses Sternenlebens nur ein noch kompakteres Objekt übrig: ein so genannter Neutronenstern. Dessen Geburt vollzieht sich in einer phantastischen Explosion, in einer Supernova-Explosion. Diese Neutronensterne haben die Masse der Sonne, aber nur ungefähr die Größe von München! Das muss man sich mal vorstellen: Da wird so eine riesengroße Sonne auf den Raum einer deutschen Großstadt zusammengequetscht. Gruber: Wir beide wären dann auch nicht mehr besonders groß. Hasinger: Wir wären dann wohl so klein, dass man uns gar nicht mehr messen könnte. Solche Neutronensterne drehen sich häufig sehr, sehr schnell. Das sind dann die so genannten Pulsare. Sie beschleunigen dabei auch Materie zu sehr hohen Energien. Auf diese Weise wird dann eben auch Röntgenstrahlung frei. Wenn so ein Neutronenstern Materie von einem anderen Objekt verschluckt, dann wird es ebenfalls ganz heiß. Das sind dann diese Röntgensterne. Gruber: Sie haben uns ja ein Exemplar bzw. das Bild eines solchen Röntgensternes mitgebracht. Das ist dieser berühmte Krebsnebel. Hasinger: Ich habe meine Doktorarbeit über diesen Crab-Nebel gemacht. (Bild wird eingeblendet.) Hier sieht man auf dem linker Seite ein Bild, das aus dem Röntgenbereich stammt: Es stammt vom Chandra-Satelliten. Auf der rechten Seite sehen wir hier ein optisches Bild. Man sieht jetzt auch, dass die sich bewegen: Das heißt, hier in der Mitte sitzt dieses kompakte Objekt und strahlt und beschleunigt die Materie nach außen. Man kann also auf beiden Bildern – das optische Bild ist vom Hubble-Space-Teleskop aufgenommen worden – die Aktionen dieses kompakten Objekts sehen. Das sind vollkommen bizarre Zustände, denn hier ist ein Stern ungefähr so dicht wie ein Atomkern: Der Stern ist praktisch wie ein gigantisch großer Atomkern, ein Atomkern allerdings von der Größe Münchens. Gruber: Das sind schon extreme Objekte, die natürlich über das Vorstellungsvermögen eines normalen Menschen weit hinausgehen. Welches Bild haben Sie denn von so einem Objekt? Sie beobachten das ja gar nicht direkt: Sie messen ja "nur". Hasinger: Dazu muss ich Ihnen einfach sagen, dass die Astronomie eben eine beobachtende Wissenschaft ist. Wir können unsere Erkenntnisse praktisch nur durch die Übermittlung von Licht bekommen. Aber so weit hergeholt ist das gar nicht. Wenn ich Sie anschaue, dann empfange ich ja auch Photonen von Ihrem Gesicht. Und mein "Computer" im Gehirn macht sich dann ein Bild daraus: Dieses vergleiche ich wiederum mit anderen Bildern, die ich abgespeichert habe, und so kann ich dann sagen: "Sie sehen gut aus!" Ich kann einigermaßen einschätzen, wie alt Sie sind usw. So ähnlich machen wir das halt im Prinzip auch mit der Astronomie. Wir empfangen Signale von den Sternen. Am liebsten haben wir natürlich ein Bild, aber die Objekte sind so weit entfernt, dass wir oft keine Bilder von ihnen machen können. Stattdessen empfangen wir eben nur dieses Spektrum. Und wir empfangen das Licht in zeitlichen Abständen: Das heißt, wir konnten ja sehen, wie sich bei diesem Objekt regelrecht etwas bewegt. Gruber: Lief denn die Bewegung, die wir da vorhin gesehen haben, in Echtzeit ab? Hasinger: Diese Bewegung war nicht in Echtzeit. Das, was wir in der Nähe dieses KrebsNebels sehen können, sind große Bereiche, die nach außen strömen. Die ganze Sequenz, die wir da gesehen haben, hat ungefähr zwei Jahre gedauert. Das heißt also, das sind langsame Bewegungen. Was wir bei dem Objekt in der Mitte aber auch noch messen können, ist etwas, das man sogar hören kann: Es dreht sich nämlich dreißig Mal in der Sekunde um seine eigene Achse. Dreißig Mal in der Sekunde sendet es praktisch wie so ein Leuchtturm so einen Lichtstrahl über uns hinweg. Man muss sich das also mal genauer vorstellen: Licht wackelt ja mit 50 Hertz, also 50 Mal pro Sekunde. Fast so schnell wie das Licht wackelt, dreht sich also dieser große Stern, der so groß ist wie München, um seine eigene Achse. Das können wir also sehen oder sogar hören. Wenn wir da die Signale aufzeichnen, dann können wir feststellen, wie der wackelt. Daraus kann man sich dann eben ein Bild machen, wie das aussieht. Gruber: Das sind also quasi Indizienbeweise, die Sie haben. Hasinger: Ich vergleiche das manchmal mit einer Detektivarbeit: Das sind Puzzlestücke und wir haben natürlich nie das ganze Bild, aber wenn wir diese Puzzlestücke zusammensetzen und noch ein bisschen extrapolieren und ein bisschen ein Modell machen, dann bekommen wir doch ein relativ geschlossenes Bild. Gruber: Darin liegt wahrscheinlich die ganze Kunst, die eigentliche Wissenschaft, in diesem Erstellen eines Modells usw. Hasinger: Genau. Gruber: Sie haben ja überhaupt ein Grundproblem, das darin besteht, dass Sie all diese Objekte zum Beobachtungszeitpunkt nie so sehen können, wie sie wirklich beschaffen sind, denn das Licht braucht ja auch eine gewisse Zeit, bis es zu uns kommt. Das heißt, Sie schauen damit immer in die Vergangenheit. Hasinger: Genau. Wenn ich Sie anschaue, dann braucht das Licht ja auch ungefähr eine Nanosekunde bis zu mir. Das heißt, ich sehe Sie immer eine Nanosekunde jünger, als Sie in Wirklichkeit sind. Gruber: Gut, aber diese kleine Zeitspanne kann man wohl vernachlässigen. Hasinger: So ähnlich ist es im Kosmos auch. Bis zur Sonne dauert es ungefähr acht Minuten, bis zum nächsten Stern braucht das Licht ungefähr vier Jahre. Und um in unser eigenes galaktisches Zentrum zu fliegen, braucht das Licht ungefähr 25000 Jahre. Wir sitzen ja in einer Milchstraße: Die Milchstraße dreht sich, die Sonne sitzt ein Stückchen weiter draußen. Wir können durchaus in das Zentrum hineinsehen, aber wir sehen das, was da passiert, eigentlich erst nach 25000 Jahren. In diesem galaktischen Zentrum gibt es eben einige phantastische Entdeckungen, die wir in der letzten Zeit gemacht haben. Vielleicht können wir uns auch das mal kurz ansehen. (Animation wird eingeblendet.) Gruber: Wir schauen hier also in das galaktische Zentrum unserer Milchstraße hinein. Hasinger: Ja, wir fliegen jetzt mal in einer Simulation in dieses Zentrum hinein. Gruber: Diese Reise sollten wir wirklich sofort machen. Hasinger: Wir haben hier einen Film, bei dem wir von der Erde aus losfliegen. Wir fliegen zum Orionsternbild: Hier sehen wir, dass wir praktisch durch den Orionnebel hindurchfliegen. Gruber: Wie weit ist der ungefähr entfernt? Hasinger: Oh, da müsste ich jetzt lügen. Wir fliegen also durch mehrere dieser Nebel in der Milchstraße. Wir machen das natürlich in einem extremen Zeitraffer, denn wir könnten ja nie so schnell fliegen: Alleine das Licht braucht, wie gesagt, bereits 25000 Jahre. Wir brauchen hier in dieser Simulation nur ungefähr eine halbe Minute, bis wir im galaktischen Zentrum ankommen. Das heißt, wir sehen hier in der Mitte des Bildes so langsam eine helle Scheibe auftauchen. Das sind praktisch diese vielen, vielen Sterne, die dort im Zentrum sitzen. Wir fliegen hier ein Stückchen oberhalb der Milchstraße auf dieses Zentrum zu. Gruber: Dort muss es ja ganz hell sein. Hasinger: Ja, in den Zentren von solchen Galaxien ist es sehr, sehr hell. Wir sehen hier gigantisch viele Sterne und Gasmassen, die da herumwirbeln. Erst seit einiger Zeit ist jedoch bekannt geworden, und daran war z. B. auch unser Institut sehr stark beteiligt, dass es dort in diesem Zentrum ein Schwarzes Loch gibt. Gruber: Das, was wir also am Ende dieser Animation gesehen haben, war im Grunde das eigentliche Zentrum. Hasinger: Ja, im eigentlichen Zentrum der Milchstraße ist ein Schwarzes Loch. Dieses Schwarze Loch ist ungefähr drei bis vier Millionen Sonnenmassen schwer, wie mein Kollege Reinhard Genzel berechnet hat. Er verfolgt nun schon seit ungefähr zehn, 15 Jahren die Sterne, die sich da um dieses Schwarze Loch bewegen. Daraus kann man ableiten, dass hier ein Schwarzes Loch mit einer gigantisch großen Masse sitzt. Das sitzt wirklich genau im Zentrum unserer Milchstraße. Wir wissen inzwischen sogar noch mehr: Nicht nur in unserer Milchstraße, sondern vermutlich in allen Milchstraßen sitzen solche Schwarzen Löcher. Das ist ganz faszinierend. Wir glauben inzwischen, dass diese Schwarzen Löcher von Anfang an da waren, dass sie vielleicht sogar schon früher entstanden sind als die Milchstraße. Gruber: Wir sind damit sozusagen im Zentrum Ihrer Wissenschaft angelangt. Sie sind ja der Spezialist für Schwarze Löcher. Um mal mit der Feuerzangenbowle zu sprechen: "Nu stelle wir uns mal janz dumm, wat is ne Schwarze Loch?" Hasinger: Das ist eine gute Frage. Wir wissen ja zunächst einmal, das Masse Licht krümmen kann. Nach Einstein wissen wir, dass die Masse den Raum krümmt. Wenn wir also einen Lichtstrahl an der Sonne vorbeischicken, dann wird der ein ganz klein wenig abgebogen: um einen fast unmessbaren Betrag. Dies hat jedenfalls Einstein schon vorhergesagt und 1919 wurde das dann auch in der Tat von dem berühmten englischen Physiker Eddington nachgewiesen. Dieser Nachweis hat die Vorstellung der Relativitätstheorie vollkommen zementiert. Nur am Rande bemerkt: Die Relativitätstheorie ist, obwohl sie so exotisch erscheint, heutzutage vollkommen in unser alltägliches Leben eingegangen. Die GPS-Systeme funktionieren nur, weil die Relativitätstheorie funktioniert! Ohne Einstein gäbe es also keine solchen Navigationsgeräte. Der Punkt ist aber Folgender. Wenn man nun die Sonne hernehmen würde und würde sie um den Faktor zwei zusammenquetschen, also auf die halbe Größe zusammenquetschen, dann würde der gleiche Lichtstrahl doppelt so stark abgelenkt werden. Ablenkung und Masseverdichtung hängen also proportional zusammen. Sie können sich also vorstellen, je kleiner und kompakter so ein Objekt ist, desto stärker wird das Licht abgelenkt. In diesem Neutronenstern, den wir vorhin gesehen haben, diesem Crab-Nebel, ist die Masse schon so kompakt, dass das Licht bereits um ungefähr 270 Grad abgelenkt wird. Gruber: Das kommt schon fast wieder zurück. Hasinger: Das kommt schon fast wieder zurück. Das heißt, man sieht hier gar nicht mehr die Oberfläche selbst, sondern man sieht das Licht, das von hinten kommt. Man müsste also diesen Neutronenstern nun nur noch um den Faktor drei verkleinern, dann würde das Licht sozusagen in sich selbst abgelenkt werden. So ein Objekt kann also kein Licht mehr rauslassen! Das ist eigentlich die Definition eines Schwarzen Loches. Das ist eigentlich gar nichts besonders Exotisches: Man muss nur Materie kompakt genug zusammenquetschen. Aber genau das geht halt nicht so einfach. Die Natur hat jedoch Möglichkeiten gefunden, die Materie so eng zusammenzuquetschen. Wir haben inzwischen Schwarze Löcher wirklich en masse gefunden. Gruber: Machen wir nun mal einen ganz großen Sprung. Sie haben davon gesprochen, dass es hier darum geht, Materie unglaublich eng zusammenzuquetschen. Es gibt ja dieses Bild über die Entwicklung des Kosmos, den Big Bang: Am Anfang war da alles in einem Punkt zusammen. War das auch ein Schwarzes Loch? Hasinger: Nein, nein. Wie der Kosmos entstanden ist, wie da plötzlich aus dem Nichts etwas Konkretes geschaffen wurde, wissen wir heute immer noch nicht. Das liegt immer noch im Dunkel. Die Herausforderung unserer Forschung besteht genau darin, das zu ändern. Gruber: Sie arbeiten sich sozusagen dorthin vor. Hasinger: Wir wissen nur, dass kurz nach diesem Big Bang – mit "kurz" meinen wir hier wirklich sehr, sehr kurz, also eine Zeitspanne von 10 hoch minus 32 Sekunden – das Universum von fast unmessbar kleiner Größe ungefähr auf die Größe einer Erbse angeschwollen sein muss. Dieses Anschwellen muss mit Überlichtgeschwindigkeit stattgefunden haben. Gruber: Mit Überlichtgeschwindigkeit! Obwohl wir doch alle gelernt haben, dass es keine Überlichtgeschwindigkeit gibt. Hasinger: Ja, das ist auch gleich schon eines der Probleme dabei. Wir haben gelernt, dass es keine Überlichtgeschwindigkeit gibt: Diese These stammt ja von Einstein. Gleichzeitig gibt es ja eine weitere große Theorie des 20. Jahrhunderts, nämlich die Quantentheorie, die von Planck, Heisenberg und Schrödinger entwickelt worden ist. An der Stelle des Schwarzen Loches und an der Stelle des Urknalls müssten diese beiden Theorien eigentlich gemeinsam herangezogen werden. Dummerweise passen diese beiden Theorien aber nicht zusammen. Wir haben also bisher noch keine Theorie der so genannten Quantengravitation, wo man praktisch Einstein und Planck zusammenführen könnte. Es muss aber damals einen Zustand gegeben haben, wo sich das Universum mit Überlichtgeschwindigkeit ausgedehnt hat. An dieser Stelle stimmt also die Einstein'sche Relativitätstheorie nicht mehr. Aber nachdem es Erbsengröße hatte, hat es sich dann einfach nur ausgedehnt. Es ist dabei nichts anderes passiert, als dass es immer kälter geworden ist. Und je kälter es geworden ist, umso mehr Strukturen haben sich bilden können. Gruber: Die Strukturen sind also quasi ausgefroren. Hasinger: Das ist so ähnlich, wie wenn man Wasser hat und das abkühlt: Dort friert eben auch Eis aus. Wenn man es wieder erwärmt zerfallen die Strukturen wieder. Es muss also genügend kalt sein, damit sich eine Struktur formen kann. Aus dieser Ursuppe, die man manchmal auch als Quarksuppe bezeichnet, weil dort sozusagen die Quarks und alles andere durcheinander geflogen sind, sind als Erstes diese Quarks ausgefroren, die sich dabei zu den heute bekannten Elementarteilchen verbunden haben, also zu den Protonen z. B. Damals aber gab es noch keine Elemente usw.: Es gab nichts, das man hätte essen oder aus dem man Menschen hätte machen können. All das, woraus wir als Menschen bestehen, musste zuerst einmal im "Bauch" eines Sternes gebacken werden: Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, all das, was gut schmeckt usw. All das musste erst einmal durch den "Bauch" eines Sternes hindurchgegangen sein. Gruber: Das sind ja ganz enorme Vorgänge, von denen Sie da sprechen. Wie war das also? Nach dem Big Bang hat sich der Kosmos entwickelt. Wann gab es denn die ersten Sterne? Wann gab es die ersten Galaxien, also Ansammlungen von Sternen? Wann gab es das erste Schwarze Loch? Hasinger: Ja, das ist eine sehr, sehr interessante Frage. Zunächst einmal musste also alles kälter werden: Wir reden hier von Temperaturen, die so unvorstellbar hoch sind, dass man sie nur noch mit Zahlen ausdrücken kann: Das ist eine eins mit 30 Nullen. Bei einer Temperatur von 10 hoch 30 Calvin hat es also angefangen und ist dann immer kühler geworden. Nach ungefähr einer Sekunde war es dann bereits so kalt bzw. selbstverständlich so heiß, wie im Zentrum der massivsten Sterne. Da herrschen ungefähr eine Milliarde Grad Celsius. Von diesem Moment an hat dann die normale Physik stattgefunden, die wir auch im Zentrum von Sternen finden. Die Sterne basteln also sozusagen Elemente zusammen... Gruber: Also Atome usw. Hasinger: Ja, Atome, schwerere Atome. Dasselbe ist im Universum eben auch geschehen: Es hat von ungefähr einer Sekunde bis ungefähr drei Minuten gedauert, bis dann Wasserstoff und Helium als Erstes entstanden sind. Gruber: Das sind die wichtigsten Elemente im Kosmos. Hasinger: Ja, die wichtigsten Elemente. Danach hat es ungefähr 300000 Jahre gedauert, bzw. genauer gesagt 380000 Jahre, bis sich das Universum weiter ausgedehnt hat und ungefähr auf die Temperatur einer Kerzenflamme abgekühlt hat. Sie müssen sich also vorstellen, dass das ein Feuerball war, der so groß wie 380000 Lichtjahre ist – das ist schon eine gigantische Größe – und der doch nur so ungefähr wie eine Kerze glüht. Gruber: Da gab es also schon Atome und Sterne. Hasinger: Atome gab es, Sterne noch nicht. Es gab nur Wasserstoff und Helium und noch ein paar leichte Elemente. Das kann man sich ruhig wie eine Kerzenflamme von gigantischem Ausmaß vorstellen, aber da gab es natürlich noch keine Menschen, die da hätten zusehen können. Zu diesem Zeitpunkt ist das Universum dann durchsichtig geworden. Das heißt, die Kerzenflamme ist ja auch nur ein Teil dessen, was das Feuer ausmacht. Wenn man seine Hand über eine Kerze hält, dann verbrennt man sich. Man verbrennt sich jedoch an der durchsichtigen Flamme. Das heißt, das Universum ist dann eine durchsichtige, heiße Feuerkugel geworden. Und dann dauerte das Ganze noch einmal sehr, sehr lange, ungefähr 100, 200 oder 300 Millionen Jahre, bis es so kalt geworden ist, dass die ersten Sterne entstehen konnten. Die ersten Sterne haben sich aus diesen Wasserstoffmassen zusammengeballt und haben angefangen Materie aufzunehmen. Sie haben dann selbst angefangen zu brennen und ebenfalls mit diesem Zyklus begonnen, die Materie, also die Elemente, zu erzeugen. Gruber: Der Kosmos kam also sozusagen in einen Normalzustand. Hasinger: Der erste Stern - und das sind nun Erkenntnisse, die ebenfalls erst seit ein paar Jahren diskutiert werden -, bzw. die erste Generation von Sternen war sehr, sehr schwer: Sie waren vielleicht 100- oder 300-mal so schwer wie unsere Sonne. Meine Überzeugung nun ist, aber das ist noch nicht allgemein akzeptiert, dass der erste Stern auch das erste Schwarze Loch erzeugt hat: und zwar genau an der Stelle, an der sich dann später die Galaxie gebildet hat. Das heißt, der erste Stern zeigt sozusagen an, wo sich die Galaxie bilden wird: An dieser Stelle entsteht jedoch bereits ein Schwarzes Loch. Man muss sich das vielleicht folgendermaßen vorstellen: Man hat eine Badewanne und dorthinein fließt Materie. Aber am Abfluss der Badewanne sitzt das Schwarze Loch und frisst fleißig mit. Gruber: Es frisst alles auf. Hasinger: Nein, nicht alles. Es frisst eigentlich nur einen kleinen Bruchteil: Die Badewanne läuft nämlich in der Tat voll. In den Abfluss, in das Schwarze Loch, fließt praktisch Materie hinein. Deswegen ist es so, dass die Schwarzen Löcher, die im Zentrum von Galaxien sind, so unendlich schwer sind: Millionen oder Milliarden Mal schwerer als die Sonne. Gleichzeitig wachsen diese Schwarzen Löcher jedoch mit ihrer Galaxie mit. Wenn man also eine kleine Galaxie hat, dann hat man nur ein kleines Schwarzes Loch, wenn man eine große Galaxie hat, dann hat man ein großes Schwarzes Loch. Gruber: Sie haben uns ja noch eine weitere Animation mitgebracht, auf der man sehen kann, wie sich zwei Galaxien verbinden. (Animation wird eingeblendet.) Hasinger: Wenn man also in jeder Galaxie ein Schwarzes Loch hat und sich, wie das manchmal vorkommt, zwei Galaxien miteinander verbinden, dann kommt es zu solchen Phänomenen. Zwei Galaxien stoßen also zusammen und es war bisher immer das große Rätsel, was denn mit den Schwarzen Löchern passiert. Uns ist es nun vor kurzem gelungen, also meiner Kollegin Stefanie Komossa und mir, zwei Schwarze Löcher in einer Galaxie dingfest zu machen. Das ist hier nun dargestellt in der Animation. Wenn sich die beiden Galaxien miteinander vereinigen, dann "fressen" die Schwarzen Löcher zunächst einmal in der Galaxie herum. Und dann dauert es ungefähr 100 Millionen Jahre, bis sich diese beiden dann miteinander vereinigen: Sie wirbeln so schnell umeinander herum, dass sie sich zu einem neuen Schwarzen Loch vereinigen. Bei diesem Prozess erwarten wir, dass das ganze Universum zu wackeln anfängt. Dabei sollen nämlich Gravitationswellen ausgesendet werden, die wir zwar noch nicht gemessen haben, die man aber mit der nächsten Generation messen zu können hofft. Gruber: Der ganze Kosmos wird dabei also erschüttert? Hasinger: Ja. Gruber: Und was ist dann mit uns? Hasinger: Wir werden auch erschüttert, aber wir merken das nicht: Das sind nur ganz, ganz leichte Schwingungen, die man aber dennoch messen kann. Wenn man ein sehr, sehr präzises Messgerät hat, dann kann man feststellen, dass das Universum wackelt. Gruber: Wann kann das der Fall sein? Hasinger: Bei diesem Prozess, bei diesem Objekt sozusagen dauert das noch 100 Millionen Jahre. Ich möchte hier allerdings mal ein kleines Rechenexempel anstellen: Diese Galaxie ist 400 Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Das heißt, wir wissen, dass das Licht von dort 400 Millionen Lichtjahre lang unterwegs war zu uns. Wir sehen also diese Galaxie nicht so, wie sie heute ist, sondern wie sie vor 400 Millionen Jahren aussah. Von heute ab gerechnet in 100 Millionen Jahren vereinigen sich also diese beiden. Daraus muss man schließen, dass das eigentlich schon stattgefunden hat. Die Gravitationswellen sind also bereits unterwegs zu uns. Gruber: Die Katastrophe hat also bereits stattgefunden, aber wir wissen es noch nicht. Hasinger: Da wir das aber nun einmal gesehen haben, können wir hoffen, dass das an vielen Stellen im Universum immer wieder passiert. Die Hoffnung besteht also, dass praktisch jedes Jahr einer von diesen Prozessen stattfindet. Gruber: Die uns nichts machen, die jedoch die Wissenschaftler faszinieren, weil sie hoffen, dabei Gravitationswellen nachweisen zu können. Hasinger: Genau. Auf diese Weise könnte man dann nämlich auch sagen, wie denn die Schwarzen Löcher in der Frühzeit entstanden sind: ob sie sich sehr häufig miteinander vereinigt haben oder nicht usw. Gruber: Die Reihenfolge, die Sie skizziert haben, sieht also folgendermaßen aus: Zuerst kamen die supermassiven Sterne, dann die Schwarzen Löcher und dann die Galaxien. Für diese neue Ansicht müssen Sie in der internationalen Gemeinschaft der Wissenschaftler jedoch erst noch kämpfen. Hasinger: Genau. Ich habe das so um das Jahr 1998 zum ersten Mal gesagt, aber ich habe das sozusagen nie richtig publiziert. Inzwischen verdichtet sich jedoch dieser Plot immer mehr. Die ganze Sache scheint doch genau in diese Richtung zu gehen. Gruber: Wir hoffen, dass Sie die Kollegen überzeugen können. Über den Big Bang haben wir ja bereits gesprochen. Habe ich das noch richtig im Kopf: Das ist nun ungefähr 13,7 Milliarden Jahre her. Hasinger: Ja. Gruber: So genau können Sie also mittlerweile in die Vergangenheit schauen? Hasinger: Ja, das ist nun auch wieder eine von diesen Detektivgeschichten. Das Alter des Universums war ja lange Zeit umstritten: Es wurde immer recht unterschiedlich angegeben. Es ist heute noch so, dass darüber in der Wissenschaftlergemeinschaft eine erbitterte Debatte geführt wird. Manche Leute sagen, sie kennen Sterne, die älter sind als das Universum usw. Aber in der letzten Zeit ist doch die so genannte Präzisionskosmologie so richtig zur Blüte gekommen: Gemeint ist damit, dass man diese Parameter wirklich auf das Prozent genau bestimmen kann. Man kann z. B. aus dem Wackeln dieses heißen Feuerballs am Anfang bestimmte Sachen recht genau berechnen. Das ist nämlich das, was man heutzutage im Radiobereich als so genannten Mikrowellenhintergrund des ganzen Himmels empfangen kann. Dieses Gewackel kann man ganz genau analysieren: Das hat z. B. der amerikanische Satellit W-map gemacht. Die Arbeiten dazu sind vor einigen Jahren veröffentlicht worden. Daraus kann man mit hoher Präzision schließen, woraus das Universum eigentlich besteht, wie alt es ist usw. Und man bekommt Hinweise und Aussagen auf Dinge wie dunkle Materie, dunkle Energie. Gruber: Das sind alles ganz spannende Stichworte, die wir jedoch nicht alle aufgreifen können. 13,7 Milliarden Jahre ist das Universum also alt. Wie alt wird es denn noch werden? Hasinger: Wenn stimmt, was dort bei diesen Messungen herauskommt, dann kann man das relativ genau angeben. Es ist nämlich so, dass sich die Galaxien bis heute auseinander bewegen. Seit dem Urknall fliegt also alles auseinander, sie bewegen sich jedoch morgen schneller auseinander als heute. Das heißt, die Galaxien werden immer noch beschleunigt. Gruber: Schiebt da irgendjemand? Hasinger: Irgendjemand muss hier in der Tat "schieben". Ich sage daher, dass der Urknall eigentlich immer noch stattfindet. Das ist eben diese so genannte dunkle Energie, bei der wir aber alle zusammen momentan noch nicht weiter wissen: Wir können uns da nur am Kopf kratzen und rätseln. Wir verstehen also nicht, was das wirklich ist. Gruber: Das klingt in der Tat sehr dunkel und mystisch. Hasinger: Wir müssen uns jedoch mit dem Gedanken anfreunden, dass das, was wir als Nichts, als Vakuum bezeichnen, der höchste Energiezustand im Universum ist. Das heißt, alles andere, aus dem wir bestehen usw., ist eigentlich nur ausgeliehen aus diesem höchsten Energiezustand des Vakuums – wenn das mit der dunklen Energie stimmt. Gruber: Das wird sich sicherlich irgendwann einmal zeigen. Ich hatte ja die Frage gestellt, wie alt das Universum noch werden wird. Es wird sicherlich noch ein paar Milliarden Jahre dauern, bis irgendein anderer Zustand entstehen wird. Hasinger: Nein, wir rechnen hier mit viel, viel längeren Zeitskalen. Wenn es also wirklich so ist, dass sich die Galaxien voneinander wegbewegen, dann heißt das, dass sich das Universum immer noch exponentiell weiter ausdehnt. Das heißt, es wird immer schneller und immer größer. Es wird auch nie wieder zusammenstürzen, denn manche Wissenschaftler haben ja gedacht, dass der Urknall eines Tages sozusagen in einem Big Crunch enden wird. Dies wird aber so nie passieren, sondern das Universum wird sich einfach immer weiter unendlich ausdehnen. Und dann werden eben andere Prozesse stattfinden: Da wird dann irgendwann einmal die Materie zerfallen und auch die dunkle Materie wird verschwinden. Und ganz zum Schluss bleiben, wenn diese Hypothese stimmt, nur noch die Schwarzen Löcher übrig. Aber auch die werden dann gemäß Stephen Hawkings These zerstrahlen. Gruber: Das klingt alles dramatisch und bedrückend zugleich. Gott sei Dank wird das alles jedoch erst in weit entfernter Zukunft geschehen. Hasinger: Ja, das wird noch sehr, sehr lange dauern bis dahin. Gruber: Gegen Ende unseres kleines Gesprächs sollten wir noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, das jedoch mit der Sternenentstehung durchaus verbunden ist. Das ist die Frage, ob wir im Kosmos wirklich einmalig sind: Sind wir wirklich die Einzigen im Kosmos, die zum Himmel schauen, die messen, die sich überlegen, was da draußen los ist? Hasinger: Ich persönlich glaube nicht, dass wir einzigartig sind im Kosmos. Es ist so, dass die Sterne zuerst einmal die ganze Materie zusammenbasteln. Die Erde ist ja im Kosmos relativ spät entstanden. Um feste Planeten erzeugen zu können, braucht man erst einmal viele schwere Elemente: Man braucht dafür nun einmal das Eisen, das Silizium usw. Die Planeten ihrerseits entstehen aus Staub, den die Sterne produzieren. Man kann sich das so vorstellen: Da ballen sich im Universum quasi Staubflusen und Wollmäuse zusammen. Das agglomeriert dann immer stärker, bis das Ganze zu einem Planeten wird. Auf so einem Planeten kann dann im Prinzip Leben entstehen. Gleichzeitig entstehen aber im Universum auch schon komplexe Moleküle. Wir kennen z. B. ganz, ganz viele verschiedene Moleküle, die in den Molekülwolken existieren: Da gibt es z. B. Alkohol. Es gibt da draußen also Alkohol en masse. Gruber: Das ist sehr tröstlich. Hasinger: Dies allerdings ohne Menschen. Es sind darüber hinaus z. B. bereits 21 Aminosäuren gefunden worden im Universum. Gruber: Das sind diese Grundbausteine unseres Organismus. Hasinger: Unser Leben, die DNA, braucht nur vier Aminosäuren. Es gibt im Weltall also mehr Aminosäuren, als unser Leben eigentlich benötigt. Was mich besonders fasziniert, ist die Tatsache, dass es nach dem Entstehen der Erde dann nur relativ kurz gedauert hat, bis das erste Leben auf der Erde entstanden ist. Die Erde ist quasi im Herbst des Universums entstanden: Wenn man den Urknall am 1. Januar ansetzt und das Heute der 31. Dezember ist, dann ist die Erde am 9. September entstanden. Das Leben ist dann bereits am 29. September entstanden, also in weniger als vier Wochen. Das deutet für mich darauf hin, dass die Grundbausteine des Lebens praktisch da draußen im Kosmos herumschwirren und auf die Planeten herunterregnen. In dem Moment, in dem sie auf diesen Planeten gute Bedingungen finden, wird dann auch mehr oder weniger zwangsläufig Leben entstehen. Guber: Es gibt natürlich auch andere Wissenschaftler, die sagen, dass solche Bedingungen extrem unwahrscheinlich sind. Da wird der Streit wahrscheinlich noch lange hin und her gehen. So lange vielleicht, bis man den ersten Planeten wirklich hat beobachten können. Wenn ich das recht verstehe, dann sind das bis jetzt ja auch wieder nur Indizienbeweise dafür, dass es außerhalb des Sonnensystems Planeten gibt. Hasinger: Um das mit der Frage nach extraterrestrischem Leben noch schnell zu beenden: Damit meine ich natürlich nur einfaches Leben, Einzeller, Blaualgen usw. Es ist schon richtig: Um komplexe Lebewesen erzeugen zu können wie z. B. Pflanzen oder gar Menschen, braucht man noch viel, viel einzigartigere Bedingungen. An dieser Stelle ist es meiner Meinung nach auch unklar, ob diese dafür notwendigen Bedingungen wirklich noch einmal gegeben sind. Wenn ich bei dem vorhin erwähnten Bild bleiben darf: Erst sehr, sehr spät, nämlich im Dezember sind die komplexen Lebewesen entstanden. Aber nun zu Ihrer Frage nach den anderen Sternen. Wir wissen jetzt genau, dass es Planeten um andere Sterne herum gibt. Sie sagten, dass das nur Ableitungen und Modelle seien: Auch bei den Planeten, die wir in unserem eigenen Sonnensystem sehen, können wir nur Bilder aufnehmen: Wir können sehen, wie sie sich bewegen, und daraus können wir dann ableiten, was und wie sie sind. Natürlich können wir mittlerweile auch hinfliegen zu ihnen, aber wir haben ja schon viel früher an Planeten geglaubt, bereits viel früher, als wir hingeflogen sind. Gruber: Das sind also stichhaltige Indizien. Hasinger: Genau. In dieser Hinsicht haben wir nun eben sehr, sehr gute Messungen entwickelt, um andere Planeten um andere Sterne herum feststellen zu können. Es gibt inzwischen schon über 100 Planeten. Es gibt sogar mehr Planeten um andere Sterne als in unserem eigenen Sonnensystem. Aber wir haben noch keinen einzigen festen Planeten gefunden. Das heißt, es braucht sicherlich noch zehn Jahre, bis unsere Messgeräte genau genug sind, um einen festen Planeten messen zu können. Erst dann kann man darüber nachdenken, ob es auf diesem Planeten eventuell Leben gibt; das können wir u. U. auch durch chemische Analyse des Lichts feststellen. Wir können damit feststellen, ob es auf diesem Planeten meinetwegen Sauerstoff oder Ozon gibt. Ob es dort jedoch kleine grüne Männchen gibt, werden wir auf diese Weise natürlich nicht feststellen können. Gruber: Dazu müssten wir wahrscheinlich hinfliegen zu diesen Planeten. Hasinger: Hinfliegen ist unmöglich. Das ist zeitlich und energetisch undenkbar. Die einzige Möglichkeit, um das irgendwie feststellen zu können, bestünde darin, Kommunikation aufzunehmen. Wir hören ja schon seit vielen Jahren ins All hinaus, ob von da meinetwegen irgendwelche regelmäßigen Signale kommen. Wir senden auch selbst Signale zu Sternhaufen, um Kontakt aufzunehmen. Das kann also sicherlich nur mit Hilfe von Licht gehen. Aber damit kommen wir nun erneut auf das Problem der Relativitätstheorie zurück: Das kann eben alles nur mit Lichtgeschwindigkeit gehen. Selbst dann, wenn man so optimistisch ist wie Carl Sagan, der ja gesagt hat, dass es in jeder Galaxie ungefähr 1000 bewohnte Planeten geben müsste, dann würde das bedeuten, dass der nächste Planet ungefähr 1000 Lichtjahre von uns entfernt ist. Das heißt also, wenn man mit denen "telefonieren" würde, dann würde man "Hallo" sagen und 1000 Jahre später würde am anderen Ende der Leitung jemand sagen: "Hallo, wer da?" Und es würde erneut 1000 Jahre dauern, bis diese Antwort dann bei uns ankäme. Gruber: Das wäre eine mühsame Kommunikation. Das ist natürlich ein aktuelles und vor allem auch sehr spannendes Feld, das uns Menschen ganz unmittelbar betrifft und selbstverständlich auch berührt. Ganz weit hinten am Anfang standen jedoch "Ihre" Schwarzen Löcher, die dann vieles in Gang gesetzt haben. Hasinger: Ja. Ich habe ja noch ein weiteres Bild mitgebracht. Gruber: Das ist ein Bild von einem neuen Satelliten. Hasinger: Das ist der XMM Newton Satellit, der momentan im Orbit ist. Das ist sozusagen der Nachfolger von ROSAT. (Bild wird eingeblendet.) Er schaut auch sehr, sehr tief in den Himmel hinaus. Das, was wir mit ROSAT bereits gemacht haben, können wir nun mit XMM Newton vervollständigen: Ich hatte ja zu Beginn gesagt, dass der Röntgenhimmel hell ist und diesen Himmel haben wir nun in einzelne Objekte aufgelöst, und zwar in Millionen von einzelnen Punkten. Wir können jetzt sagen, dass diese Punkte zum großen Teil Schwarze Löcher sind, die sehr, sehr weit von uns entfernt sind. Was wir hier am Röntgenhimmel sehen, ist praktisch das Wachsen und Fressen von allen Schwarzen Löchern im Universum zu allen Zeiten. Wir können dadurch also feststellen, dass es im Universum bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt sehr viele Schwarze Löcher gegeben hat: Noch bevor die meisten Sterne entstanden sind, sind die Schwarzen Löcher bereits da gewesen. Gruber: Das heißt, das ist doch eine gewisse Umwälzung des Bildes von den wenigen Schwarzen Löchern und von der Annahme, die Schwarzen Löcher wären das Endstadium einer Entwicklung. Nein, im Gegenteil, wenn Ihre Vorstellungen zutreffen, dann bedeutet das, dass die Schwarzen Löcher ganz nahe am Anfang bereits entstanden sind: Sie sind sehr aktiv beteiligt gewesen an der Gestaltung dieses Kosmos. Hasinger: Ja, man kann vielleicht sogar sagen: Ohne Schwarze Löcher gäbe es uns nicht. Gruber: Gut. Sie sind ja Direktor eines sehr renommierten Instituts, nämlich des MaxPlanck-Instituts für extraterrestrische Physik. Sie haben Ihr Berufsleben dieser Forschung gewidmet. Gibt es denn viele junge Menschen heutzutage, die das ebenfalls fasziniert? Ein Orchideenfach ist das sicherlich nicht, aber dennoch meine Frage: Haben Sie genügend Nachwuchs? Hasinger: Wir sind in der Astrophysik in einer sehr guten Position, weil unsere Wissenschaft eben visuell und auch geistig so ansprechend ist. Die Studenten bei uns sind wirklich von einer unheimlichen Neugier getrieben. Diese Neugier machen wir uns zunutze. Im "Spiegel" stand z. B. mal zu lesen: "Der Urknall als Einstiegsdroge." Dadurch können in der Tat junge Leute motiviert werden, ein technisches Fach zu studieren und überhaupt in diese Art von Wissenschaft hineinzugehen. Wir haben ja in unserer heutigen Gesellschaft das Problem, dass solche Fächer wie Physik, Chemie oder Mathematik von den jungen Menschen sehr schnell abgewählt werden im Gymnasium. Viele glauben, das wäre nur Ballast. Stattdessen wenden sie sich eher Dingen zu, von denen sie hoffen, damit sehr viel Geld verdienen zu können. Wir sind daher in den vergangenen Jahren durch ein tiefes Tal gegangen, was die Neueinschreibungen bei den Physikstudenten betraf. Jetzt aber, schon seit einigen Jahren, können wir wieder ein Ansteigen der Zahl der Neueinschreibungen beobachten. Ich glaube schon, dass dafür auch all diese phantastischen Entdeckungen in der Astronomie eine Rolle gespielt haben: Wo gute Astronomie gemacht wird, dorthin kommen die Studenten auch. Gruber: Ich bedanke mich sehr herzlich für dieses spannende Gespräch. So, wie Sie dieses Fach präsentieren, gibt es sicherlich viele Studenten und Studentinnen, die sich zur Astrophysik hingezogen fühlen. Hasinger: Die jungen Menschen sind alle herzlich eingeladen dazu. Gruber: Die kommen sicher. Liebe Zuschauer, das war das Alpha-Forum mit Professor Günther Hasinger vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. Ich bedanke mich auch bei Ihnen und ich denke, dass Ihr Blick zum nächtlichen Sternenhimmel trotz dieser "exotischen" Physik und trotz des vielen Detailwissens, das wir Ihnen heute vermitteln konnten, nicht weniger spannend wird. Ich hoffe also, dass Sie der Blick zum Sternenhimmel nach wie vor fasziniert. Vielen Dank. © Bayerischer Rundfunk