Schwarze Löcher

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Schwarze Löcher
Reinhard Meinel
Friedrich-Schiller-Universität Jena
1. Einleitung
2. Die Schwarzschild-Lösung
3. Der Ereignishorizont
4. Radiale Null-Geodäten
5. Kollaps zum Schwarzen Loch
6. Rotierende und geladene Schwarze Löcher
7. Eindeutigkeit Schwarzer Löcher
8. Quasistationäre Wege zu Schwarzen Löchern
9. Das galaktische Zentrum
1. Einleitung
• Die Fluchtgeschwindigkeit in der Newtonschen Gravitationstheorie
r
2GM
vesc =
(G: Gravitationskonstante, M : Masse, R: Radius)
R
wird größer als die Lichtgeschwindigkeit c für
R<
2GM
c2
• John Michell (1724-1793) und Pierre-Simon Laplace (1749-1827) folgerten (unter
Verwendung der Korpuskulartheorie des Lichts): Ein solches Objekt wäre aus der Ferne unsichtbar.
• Heutiges Wissen: Diese Überlegung war zu einfach. Wir benötigen die Einsteinsche
Gravitationstheorie zur Beschreibung der Lichtausbreitung in starken Gravitationsfeldern! Die Grundidee war jedoch richtig, und der kritische Radius 2GM/c2 wird uns
sogleich als “Schwarzschild-Radius” wiederbegegnen.
2. Die Schwarzschild-Lösung
• Allgemeine kugelsymmetrische Vakuum-Lösung der Einstein-Gleichungen:
Karl Schwarzschild (1916)
dr 2
2
2
2
2
2
2
+ r (dϑ + sin ϑ dϕ ) − (1 − rS/r)c dt
ds ≡ gik dx dx =
1 − rS/r
2
i
k
mit x1 = r , x2 = ϑ, x3 = ϕ, x4 = ct, Schwarzschild-Radius rS =
2GM
c2
• beschreibt das äußere Gravitationsfeld kugelsymmetrischer Sterne (r > R)
• “Normale” Sterne im Gleichgewicht: R ≫ rS (Sonne: rS ≈ 3 km); sogar für Neutronensterne: R > rS ⇒ kein Problem mit der Singularität der Metrik bei r = rS
• Gravitationskollaps: kann zu R(τ ) < rS führen (τ : Eigenzeit eines “Beobachters”
auf der Oberfläche des kollabierenden Sterns)
• Erste strenge (idealisierte) Kollapsrechnung in der allgemeinen Relativitätstheorie:
Oppenheimer & Snyder (1939) ⇒ “Schwarze Löcher” (Wheeler 1968)
3. Der Ereignishorizont
• r = rS ist eine Singularität der Schwarzschild-Koordinaten (r, ϑ, ϕ, ct)
• Übergang zu Eddington-Finkelstein-Koordinaten (r, ϑ, ϕ, v) :
ct = v − r − rS ln |r/rS − 1|,
⇒
gik
g
ik
c dt = dv −
dr
1 − rS/r
ds2 = 2 drdv + r 2(dϑ2 + sin2 ϑ dϕ2 ) − (1 − rS /r)dv 2


=



=

0 0
0
1
2
0 r
0
0
0 0 r 2 sin2 ϑ
0
1 0
0
−(1 − rS/r)
1 − rS/r
0
0
1
−2
0
r
0
0
0
0
r −2 sin−2 ϑ 0
1
0
0
0




regulär bei r = rS!




g gkl = δl
ik
i
• r = rS ist eine “Null-Hyperfläche”
Allgemeine Hyperfläche in der Raumzeit:
f (x1 , x2 , x3 , x4 ) = constant
Infinitesimales Fortschreiten in der Hyperfläche (dxk tangential):
df =
∂f
k
k
i
k
dx
=
n
dx
=
g
n
dx
=0
k
ik
∂xk
Bei einer Null-Hyperfläche ist der Normalenvektor nk = ∂f /∂xk lichtartig:
k
i
k
ik
nk n = gik n n = g nink = 0
⇒ df = 0 für dxk ∝ nk ⇒ der Normalenvektor ist gleichzeitig tangential!
Außerdem gilt für dxk ∝ nk
2
i
k
i
k
ds = gik dx dx ∝ gik n n = 0 ⇒ nk ist auch tangential zum Lichtkegel!
(Alle anderen zu nk senkrechten Richtungen sind raumartig.)
.
Aus Stetigkeitsgründen liegen alle Zukunftslichtkegel auf einer Seite der Hyperfläche
⇒ Teilchen, “Beobachter”, Lichtstrahlen (zeitartige oder lichtartige Weltlinien) können
die Hyperfläche nur in einer Richtung durchqueren!
Beispiel:
Hyperfläche f ≡ x − ct = 0 im Minkowski-Raum ds2 = dx2 + dy 2 + dz 2 − c2dt2
Keine Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit!
.
ni =
∂f
i
ik
11
44
=
(1,
0,
0,
−1)
⇒
n
n
=
g
n
n
=
g
+
g
=0
i
i
k
i
∂x
Zurück zu unserer Hyperfläche f ≡ r = rS :
In Eddington-Finkelstein-Koordinaten (x1 = r , x2 = ϑ, x3 = ϕ, x4 = v ) folgt
ni =
∂f
i
ik
11
=
(1,
0,
0,
0)
⇒
n
n
=
g
n
n
=
g
= 0 ⇒ Null-Hyperfläche
i
i
k
∂xi
Diese Null-Hyperfläche erstreckt sich nicht bis ins räumlich Unendliche. Ihr Schnitt
v = const. ist eine geschlossene raumartige Fläche (mit Flächeninhalt 4πrS2 ).
• Sie ist ein “Ereignishorizont”.
• r < rS : Schwarzes Loch
Teilchen und Lichtstrahlen können in das Schwarze Loch hereinkommen, aber nicht
wieder aus ihm heraus. Einmal im Schwarzen Loch, gelangen sie unausweichlich zur
echten Singularität bei r = 0.
Allgemeine Definition: Ein Schwarzes Loch ist ein Raumzeitbereich, aus dem keine in
die Zukunft gerichteten zeitartigen oder lichtartigen Weltlinien bis ins räumlich Unendliche gelangen können. Der Ereignishorizont ist der Rand dieses Raumzeitbereiches.
4. Radiale Null-Geodäten
ϑ = const., ϕ = const. & ds2 = 0 ⇒ 2 drdv − (1 − rS/r)dv 2 = 0
Drei mögliche Lösungen:
(a) dv = 0
⇒
v = const.
(b) (1 − rS/r)dv = 2 dr
(c) r = rS
⇒
v = 2r + 2rS ln |r/rS − 1| + const.
Einführung einer neuen Zeitkoordinate t̃ gemäß
ct̃ ≡ v − r
• t̃ ist im gesamten Bereich 0 < r < ∞ zeitartig (d.h. der Normalenvektor der
Hyperflächen t̃ = const. ist zeitartig). Für r ≫ rS: t̃ ≈ t
( r > rS: t zeitartig, r raumartig; r < rS: t raumartig, r zeitartig)
.
5. Kollaps zum Schwarzen Loch
.
6. Rotierende und geladene Schwarze Löcher
• Kerr-Newman-Lösung (Newman et al. 1965):
ds2
=
2
Σ 2
dr + Σ dϑ2 +
∆
2
2
2
!
(2M r − Q )a sin ϑ
sin2 ϑ dϕ2
Σ
!
2
2
2
2M r − Q
(2M r − Q )2a sin ϑ
2
dϕ dt − 1 −
dt
−
Σ
Σ
2
2
r 2 + a2 +
2
2
2
∆ = r − 2M r + a + Q , Σ = r + a cos ϑ,
(r , ϑ, ϕ, t: Boyer-Lindquist-Koordinaten)
Einheiten: G = c = 4πǫ0 = 1
Qr
2
Elektromagnetisches Vierer-Potential: (Ar , Aϑ, Aϕ , At) =
(0, 0, a sin ϑ, −1)
Σ
M : Masse, Q: elektrische Ladung, a = J/M, J : Drehimpuls
Q = 0: Kerr-Lösung (Kerr 1963)
• Magnetisches Moment: µ = Qa = QJ/M (d.h. gyromagnetischer Faktor g = 2)
• Die Lösung beschreibt ein Schwarzes Loch genau dann, wenn Q2 + a2 ≤ M 2
(Q2 + a2 = M 2 : “extreme Kerr-Newman-Lösung”)
p
Ereignishorizont: r = r+ = M + M 2 − Q2 − a2
(∆ = 0)
r < r+ : Schwarzes Loch
Singularität: r = 0 und (für a 6= 0) ϑ = π/2
(Σ = 0)
p
Grenzfläche der Stationarität: r = r0 = M + M 2 − Q2 − a2 cos2 ϑ
( gtt = 0)
r+ < r < r0(ϑ) : Ergosphäre ( gtt > 0)
• Die Ergosphäre existiert nur für rotierende Schwarze Löcher (a = 0: r0 = r+).
• Innerhalb der Ergosphäre gilt für alle in die Zukunft gerichteten zeitartigen oder
lichtartigen Weltlinien dϕ/dt > 0 (für a > 0).
2
Bemerkung: “Winkelgeschwindigkeit des Horizontes” ΩH = a/(r+
+ a2 )
• Kreisbahnen von Testteilchen in der “Äquatorebene” (ϑ = π/2) im astrophysikalisch
relevanten Fall Q = 0 (d.h. Kerrsches Schwarzes Loch):
M 1/2
dϕ
= ± 3/2
Ω=
dt
r
± aM 1/2
2π
Umlaufperiode: T =
|Ω|
(+ für Ω > 0 , − für Ω < 0 )
⇒
1
r 3/2
+
−
(T + T ) = 2π 1/2 ,
2
M
T
+
−T
−
= 4πa
Sie existieren für r > rph (Photonenkreisbahn),
sind gebunden für r > rmb (marginal gebundene Kreisbahn),
sind stabil für
r > rms (marginal stabile Kreisbahn).
a = 0 (Schwarzschild-Lösung): rph = 3M , rmb = 4M , rms = 6M
+
+
+
= M , rmb
= M , rms
a = M (extreme Kerr-Lösung): rph
=M
−
rph
= 4M ,
−
rmb
√
−
= 9M
= (3 + 2 2)M , rms
.
rms
rmb
rph
r+
J
M2
r>M
rms
r+
J
M2
r0
rms
rmb
rph
= 0.9
r0
r0
r0
rmb
rph
r+
= 0.99
J
M2
rms
r=M
= 0.999
rmb
rph
r+
J
M2
r=M
=1
Der Bereich r > r+ der “Äquatorebene” ϑ = π/2, t = const. der Kerr-Metrik
bei Annäherung an den extremen Fall J = M 2 (a = M ) — eingebettet in den
Euklidischen Raum. Die Radien rph, rmb, rms gehören alle zu Ω > 0.
• Für ein Schwarzes Loch mit M ≈ 4 × 106 M⊙ erhält man:
+
a = 0: Tmin = T ≈ 30 min, a = M : Tmin = T r=6M
Weiterhin gilt für a = M :
T
+
−T
−
≈ 4 min ,
r=M
≈ 4 min
1
+
− (T + T )
≈ 56 min
r=9M
2
7. Eindeutigkeit Schwarzer Löcher
• Die Kerr-Newman-Lösung für ein Schwarzes Loch ist nicht nur irgendeine spezielle
Lösung der Einstein-Maxwell-Gleichungen. Unter sehr allgemeinen Voraussetzungen
kann man beweisen, daß alle stationären, asymptotisch flachen (Elektro-)VakuumRaumzeiten, die das Außenfeld eines einzelnen Schwarzen Lochs beschreiben, durch
die Kerr-Newman-Lösung gegeben sind (“no-hair theorem”). Wichtige Beiträge hierzu
stammen von Israel, Carter, Hawking, Robinson and Mazur (1967-1982); Details findet
man in Chruściel, Costa & Heusler, Living Rev. Relativity 15 (2012) 7.
• Unter der Voraussetzung von Stationarität und Axialsymmetrie kann man die KerrNewman-Lösung auf direktem Wege als Lösung des entsprechenden Randwertproblems der Einstein-Maxwell-Gleichungen herleiten (R.M. 2012).
• Ohne elektrische Ladung und falls die Hypothese der kosmischen Zensur (Penrose
1969) zutrifft, ist damit zu erwarten, daß ein vollständiger Gravitationskollaps immer
zu einem Kerrschen Schwarzen Loch führt!
“In my entire scientific life, extending over forty-five years, the most shattering experience has been the realization that an exact solution of Einstein’s equations of
general relativity, discovered by the New Zealand mathematician, Roy Kerr, provides
the absolutely exact representation of untold numbers of massive black holes that
populate the universe.”
(S. Chandrasekhar, Ryerson Lecture, Chicago 1975)
8. Quasistationäre Wege zu Schwarzen Löchern
• Gibt es Sequenzen von Gleichgewichtskonfigurationen normaler Materie, die stetig
(durch Änderung eines Parameters) zu Schwarzen Löchern führen?
Für (ungeladene) Flüssigkeitskonfigurationen ohne Rotation ist die Antwort “Nein”.
• Notwendige und hinreichende Bedingung für den Übergang einer Gleichgewichtskonfiguration einer rotierenden Flüssigkeit zu einem Schwarzen Loch (R.M. 2006):
Ein quasistationärer (parametrischer) Übergang einer Flüssigkeitskonfiguration zu einem Schwarzen Loch erfolgt genau dann, wenn im Grenzfall die Beziehung
2
M c − 2ΩJ → 0
erfüllt wird (M , Ω und J : Masse, Winkelgeschwindigkeit und Drehimpuls).
• Konsequenz: Ein derartiger Übergang führt immer zur extremen Kerr-Lösung!
• Erstes Beispiel: Staubscheibe (Bardeen & Wagoner 1971, Neugebauer & M. 1995)
• Weitere Beispiele, für echte Flüssigkeitskörper, wurden numerisch gefunden.
(k)
e
sh
ssa
m
d
g
din
Maclaurin
IV
ed
din
o
o-b
tw
g
(o)
g)
dy
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o-r
(tw
g)
(e)
Maclaurin
din
g
tr
(g)
re
ssu
r
e
(b)
(a)
A=1
A−
1
generalized
Dyson ring
class
ed
en
t ra
lp
A1
II
ma
sssh
ec
generalized
Schwarzschild
class
A+
1
Maclaurin
(h)
nit
I
A−
2
A+
2
(n)
d
infi
g
din
(d)
(i)
Maclaurin
A−
3
first
generalized
two-ring
class
ma
sssh
-ri
n
A2
(m)
(p)
or
e
e
sh
ssa
m
(j)
A3
(q)
A+
4
(c
first
generalized
core-ring
class
A+
3
Maclaurin
disc
dy
III
A=0
relativistic discs of dust
(l)
A4
(c)
tw
o-b
o
ild
extreme Kerr Black Hole
Schw
arzsc
h
.
ex
(f)
eK
em
er
k
lac
rB
H
ole
Ansorg, Fischer, Kleinwächter, M., Petroff & Schöbel, MNRAS 355 (2004) 682
.
9. Das galaktische Zentrum
S. Gillessen & R. Genzel, Sterne und Weltraum, Dezember 2006
• Masse von Sgr A∗ : M ≈ 4 × 106M⊙
• Entfernung Sgr A∗ – Sonnensystem: ca. 25 000 Lichtjahre
• Der Stern S2 bewegte sich im Frühjahr/Sommer 2002 mit einer Geschwindigkeit von
ca. 10 000 km/s im Abstand von ca. 17 Lichtstunden (ca. 3× Abstand Sonne – Pluto)
an Sgr A∗ vorbei.
• Umlaufzeit von S2: ca. 15 Jahre, Maximalabstand zu Sgr A∗: ca. 11 Lichttage
• Schwarzschildradius für M ≈ 4 × 106M⊙ : rS ≈ 10 Mio km ≈ 1/2 Lichtminute
• M 87 : MSL ≈ 2 × 109 M⊙ → rS ≈ 5 Lichtstunden
Literatur
L.D. Landau & E.M. Lifschitz, The Classical Theory of Fields, Elsevier Science,
Oxford 1975
R.M. Wald, General Relativity, The University of Chicago Press, Chicago 1984
S. Chandrasekhar, The Mathematical Theory of Black Holes, Oxford University Press,
Oxford 1998
V.P. Frolov & I.D. Novikov, Black Hole Physics: Basic Concepts and New
Developments, Kluwer Academic Publishers, Dordrecht 1998
R. Meinel, Constructive proof of the Kerr-Newman black hole uniqueness including the
extreme case, Class. Quantum Grav. 29 (2012) 035004
R. Meinel, On the black hole limit of rotating fluid bodies in equilibrium,
Class. Quantum Grav. 23 (2006) 1359
R. Meinel, M. Ansorg, A. Kleinwächter, G. Neugebauer & D. Petroff,
Relativistic Figures of Equilibrium, Cambridge University Press, Cambridge 2008
(Paperback-Ausgabe: 2012)
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