«Die Schweiz braucht zwei neue Atomkraftwerke»

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SonntagsZeitung, 10. Dezember 2006
«Die Schweiz braucht zwei neue Atomkraftwerke»
Atel-Chef Giovanni Leonardi sieht ohne neue AKWs die Lichter ausgehen
VON ARTHUR RUTISHAUSER UND DOMINIC RAMEL
Herr Leonardi, die Atel expandiert massiv im Ausland. Sie bauen in Frankreich ein GasKombikraftwerk und zwei Windkraftparks in Italien. Kommt es bald zu ähnlichen Investitionen
in der Schweiz?
Noch nicht. Es ist zwar so, dass die bestehenden Kraftwerke die Nachfrage in Spitzenzeiten nur
knapp und bald gar nicht mehr decken können. Doch unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen
können wir in der Schweiz keine Investitionen in Grosskraftwerke tätigen. In Europa ist das anders.
Dort ist man aufgewacht, denn es gab mehrere Blackouts. Die Schweiz hingegen schläft weiter.
Noch haben Sie Lieferverträge mit den französischen Kernkraftwerken. Sie können ja weiterhin
importieren.
Es ist bereits heute so, dass wir nicht immer Strom beziehen können. Wenn in Europa ein Blackout
droht, dann brauchen die Herkunftsländer den Strom zuerst und die Grenzkapazitäten werden
künstlich reduziert.
Was müsste ändern, damit sich Investitionen in Grosskraftwerke auch bei uns lohnen?
Für ein Gaskraftwerk müsste die CO2 -Abgabe vom Tisch. So wie in den Nachbarländern. Für ein
AKW, das eigentlich wünschbar ist, braucht es eine straffe Führung des Bewilligungsverfahrens.
Was heisst das?
Wenn Sie heute in der Schweiz ein AKW bauen wollen, und das wollen wir eigentlich, dann soll das
Bewilligungsverfahren nach Angaben des Bundesamtes von der Eingabe bis zum Baubeginn 25 Jahre
dauern. Das ist absurd. In Finnland sind es 10 Jahre.
Die Atel will also ein Atomkraftwerk bauen?
Wir sind fit und bereit. Die einzige konkrete Option für die Schweiz zur langfristigen ökologischen und
ökonomischen Schliessung der Stromlücke ist die Kernenergie. Die Atel ist daran, ein solches Projekt
ernsthaft zu prüfen. Die Schweiz braucht mindestens zwei neue AKWs. Eines als Ersatz für die drei
älteren Kernkraftwerke, eines als Ersatz für die auslaufenden Importverträge.
Wo soll ein solches AKW stehen?
Am ehesten an einem der bisherigen Standorte. Dort ist die Bevölkerung an AKWs gewöhnt und der
Kernkraft gegenüber positiv eingestellt. Zudem gibt es dort Kühlmöglichkeiten und Leitungen.
Noch ungelöst ist die Abfallproblematik.
Doch, die ist aus unserer Sicht gelöst. Der Entsorgungsnachweis ist erbracht. Das hat der Bundesrat
festgestellt.
Aber einen Standort gibt es noch nicht.
Das stimmt, aber das ist gemäss Gesetz Sache der Bundesbehörden und auch eine politische Frage.
Schwierig wird es auch, eine Mehrheit der Bevölkerung von einem AKW zu überzeugen.
Das schaffen wir. Die Energiefrage ist so wichtig, das versteht schlussendlich jeder oder zumindest
die notwendigen 50,1 Prozent.
Finden Sie es gut, dass es eine Volksabstimmung gibt?
Ja.
Wie lange brauchen Sie, um ein AKW zu bauen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen?
Wir könnten auch mit einer Volksabstimmung in 15 Jahren ans Netz gehen. Das muss auch so sein,
denn im Ausland geht es nach 10 Jahren los. Gösgen haben wir sogar in 9 Jahren gebaut.
Was kostet ein neues AKW?
3 bis 4 Milliarden Franken.
Warum braucht die Schweiz überhaupt neue Kraftwerke? Könnten wir nicht einfach mehr
Strom sparen?
Wenn die AKWs abgeschaltet werden, muss man sie ersetzen, denn ohne sie fehlen uns 40 Prozent
der Elektrizität. Zudem müssen wir wegen der Klimaerwärmung die fossilen Brennstoffe ersetzen, was
den Stromverbrauch erhöht. Das alles sparen Sie nicht einfach weg.
Was passiert, wenn die Schweiz kein neues AKW baut?
Die einfachste Lösung wäre, einfach bei den Grosskunden für gewisse Stunden den Strom
abzuschalten. Das könnte man vertraglich regeln. Das ist heute beispielsweise in Italien der Fall.
Also brauchen wir gar keine neuen AKWs. Es ist doch nicht so schlimm, wenn einige
Industrien mehr in der Nacht produzieren statt in Spitzenzeiten.
Knapp wird der Strom trotzdem. Dann wird es auch hier zu Lande zu Blackouts kommen wie in der
EU. Zudem wird es nicht mehr für jeden jederzeit Strom geben. In der Spitzenzeit müssen dann
Grosskunden vom Netz, und je nachdem werden ganze Regionen vom Strom abgehängt. Dort wäre
es dann ganz dunkel.
Wer wird zuerst abgehängt?
Das wird gegenwärtig festgelegt. Der Bundesrat arbeitet eine Abschaltverordnung aus. Es wird keine
in Stein gemeisselte fixe Reihenfolge geben. Die Abschaltungen erfolgen fallweise nach
netzbetrieblichen Kriterien. Doch ich will, dass es nicht dazu kommt, dass wir den Strom abschalten
müssen. Deshalb braucht es jetzt Investitionen, genauso wie das unsere Grossväter vor 60 Jahren
gemacht haben. Dank ihnen haben wir bisher ein sicheres Stromnetz.
Warum investieren Sie nicht verstärkt in Sonnenenergie? Das ist doch die Zukunft.
Wenn ich die drohende Stromlücke der Schweiz mit Sonnenenergie decken will, muss ich die ganze
Schweiz mit Sonnenkollektoren zubauen. Und genügend Strom hätten wir auch dann nur, wenn die
Sonne scheint.
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