V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 Kap. 09 1 Sektorale Betrachtung: Beispiel Textil- und Bekleidungsindustrie Besondere Bedeutung der Textil- und Bekleidungsindustrie (im Folgenden: „TBI“): • Historische Sicht: Führende Industrie des „1. Kondratieff“, speziell Baumwollindustrie in England („Manchester-Kapitalismus“), basierend auf mechanischen Spinn- und Webmaschinen und Importen von Baumwolle aus den britischen Kolonien. • Globale Verbreitung, gerade auch in EL und NICs; basierend auf Beschäftigungsmöglichkeiten für wenig qualifizierte Arbeitskräfte und Anknüpfungsmöglichkeiten an vorindustrielle handwerkliche Produktionsformen (Spinnen, Weben, Nähen). • Weder Rohstoffe und Vorprodukte noch Endprodukte sind sehr transportkostenintensiv, sondern können prinzipiell einfach global gehandelt werden (Unterschied zur Montanindustrie!). Deshalb spielen jedoch gerade nichttarifäre Handelshemmnisse und politische Regulationen auf den Welt-Textilund Bekleidungs-Märkten eine große Rolle. Produktionssystem bzw. Wertschöpfungskette („textile Pipeline“) der TBI: • Teil einer umfassenderen Produktkette mit zwei hier näher zu betrachtenden Stufen: a) Textilindustrie und b) Bekleidungsindustrie Die Naturfaserverarbeitung ist Teil der Textilindustrie, die Kunstfaserproduktion gehört hingegen zur Chemieindustrie. • Drei Verwendungen in der Kette: ca. 1/2 Weiterverarbeitung in der Bekleidungsindustrie, je ca. 1/4 in Haushaltstextilien (Teppiche, Möbelstoffe) und in Industrietextilien (z.B. Innenausstattung von Autos). • Die Bekleidungsindustrie produziert eine außerordentlich breite Produktpalette, die häufig kurzfristigen Schwankungen unterworfen ist. Der Produktdifferenzierung entspricht eine hohe Differenzierung der Unternehmensstruktur, d.h. große und kleine Unternehmen, viele Produktionen im Lohnauftrag, teilweise in Heimarbeit. Einerseits gibt es standardisierte Massenproduktion, andererseits aber auch modeorientierte Kleinserien- bzw. Einzelfertigung. Globales Muster und Verlagerungen im Standortsystem der Textilindustrie: Die größten Produzenten sind China, Indien, Russland, USA und Indonesien, d.h. vor allem Länder mit großen Binnenmärkten. Betrachtung der zeitlichen Entwicklung: In den Entwicklungs- und Schwellenländern wächst die Textilindustrie, in den Industrieländern Stagnation bzw. Rückgang. Die Handelsbeziehungen zeigen ein ganz anderes Bild: Die größten Exportnationen sind Deutschland, China, Italien, Korea, Taiwan, Belgien und Frankreich. Allerdings V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 2 zeigen die Anteile am Welthandel mit Textilien hohe zeitliche Fluktuationen. Klar unterscheiden lassen sich zwei Ländergruppen: a) alte Industrieländer Europas, b) Ostasien. Table 9.3 zeigt die Handelsbilanzen der wichtigsten Handelsnationen mit Textilien (d.h. ohne Bekleidung). Die größten Exportüberschüsse erzielen Taiwan, Korea, Italien, Pakistan und Belgien. D.h.: Große Länder wie China, Indien und Russland produzieren fast nur für den großen Binnenmarkt. Dagegen stehen den bedeutenden Exporten der Industrieländer häufig bedeutende Importe gegenüber, so dass die Bilanzen ausgeglichener sind. Fig. 9.5: Handelsverflechtungen der Triade: USA: bedeutender Textilimporteur, insbes. aus Asien; EU: ebenfalls bedeutender Textilimporteur, insbes. aus Asien. Im Unterschied zu den USA ist die EU aber auch ein bedeutender Textilexporteur, insb. ins östliche Europa und nach Afrika (zur Weiterverarbeitung); Japan: relativ ausgeglichene Bilanz mit Im- und Exportverflechtungen mit Asien. Fazit: In der Textilindustrie beherrschen zwei Gruppen den Welthandel: a) Industrieländer und b) Schwellen- und Entwicklungsländer Ostasiens. Bekleidungsindustrie Die Bekleidungsindustrie ist – gemessen an der Zahl der Beschäftigten - am bedeutendsten in den folgenden Ländern (Fig. 9.6): VR China mit Abstand, dann USA, Russland, Japan, Indonesien, Brasilien. Hongkong und Südkorea. Diese Länder haben mehr Beschäftigte als Deutschland, Italien oder Frankreich. In den letzten Jahrzehnten haben tiefgreifende Verschiebungen stattgefunden: In den Industrieländern stagniert die Beschäftigung/Produktion bzw. sie geht zurück (z.B. in D in den letzten 20 Jahren um ca. 50%). Dagegen wächst die Bekleidungsindustrie in einigen Entwicklungsländern Asiens und Lateinamerikas sowie auch in den Transformationsländern Ostmitteleuropas und Osteuropas. Bekleidungsindustrie-Exportländer? Vgl. Table 9.5: Die 15 größten Exportländer vereinigen 66 % der Weltexporte auf sich (zum Vergleich: 76 % bei den Textilexporten). Erkennbar sind gewisse Zusammenhänge mit den Textil-Exportnationen, aber auch einige interessante Verschiebungen: China führt (zusammen mit Hongkong) mit weitem Abstand, gefolgt von Italien, Deutschland, USA, Türkei, Frankreich und Korea. Hochindustrieländer wie I, D, F und UK (Ausnahme: USA!) verlieren Anteile oder sind inzwischen unbedeutend (wie Japan!). Hingegen rücken Schwellenländer in den Vordergrund: Hinter China/Hongkong insb. Türkei, Thailand, Indien, Portugal und Indonesien! Ausnahmen: In den Tigerländer Korea und Taiwan nehmen die Bekleidungsexporten deutlich ab. Handelsbilanzen (vgl. Table 9.6): V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 3 Alle europäischen Länder (außer Italien!) haben hohe Defizite. Das größte Defizit haben die USA. Hingegen haben die Entwicklungs- und Schwellenländer in der Regel Exportüberschüsse. Damit besteht bei vielen Ländern ein Kontrast zum globalen Standortmuster der Textilindustrie: Beispielsweise zeigt Deutschland einen Exportüberschuss von Textilien, aber einen Importüberschuss von Bekleidung. Ein umgekehrtes Muster zeigt Hongkong: Importüberschuss von Textilien, aber Exportüberschuss von Bekleidung. Es gibt aber auch gleichgerichtete Muster: Exportüberschüsse bei Textilien und Bekleidung: Italien, Korea, Taiwan; Importüberschüsse bei Textilien und Bekleidung: USA, Kanada, Großbritannien, Japan. Handelsmuster der Triade bei Bekleidung (Fig. 9.8): Alle Triadenländer haben hohe Importüberschüsse, insb. aus „Asien“; darüber hinaus: USA aus Lateinamerika, EU aus Osteuropa und Afrika; Japan aus China. D.h.: Neben der globalen Verflechtung spielen „regionale“ Beziehungen eine wichtige Rolle. Der Grund liegt aber weniger in den distanzabhängigen Transportkosten, sondern vor allem in Unternehmensstrategien und politischen Einflüssen. Table 9.2: Zusammenfassende Sequenz von Entwicklungsstufen der TBI. Deutlich werden Zusammenhänge zwischen Produktionstyp, Handelsmerkmalen und Ländern. Anmerkung: Dies ist eine nützliche Typologie, deren Basis die historischen Erfahrungen der Industrieländer sind. Insofern besitzt die Typologie aber auch kaum einen prognostischen Wert! Beispielsweise ist die Situation in Deutschland viel komplizierter (Textilexporte, Lohnfertigung in ehem. RGW-Ländern). Nachfrage als Faktor der Restrukturierung Die Bedeutung der Nachfrage gerade in diesem Sektor leuchtet wohl jedem ein, da Bekleidung für den Endverbrauch produziert wird. Wovon ist die Nachfrage abhängig? Primär von den Einkommen. D.h.: Industrieländer mit hohen Einkommen sind die entscheidenden Absatzmärkte in globaler Sicht. Allerdings steigt mit steigenden Einkommen die Nachfrage nach Bekleidung leicht unterdurchschnittlich, d.h. die Einkommenselastizität der Bekleidungsnachfrage liegt unter 1. Besonders wichtig für die Stimulierung und Differenzierung der Nachfrage: Mode. Mode ist natürlich kein „natürliches“, „urwüchsiges“ Phänomen, sondern ein Produkt des Marketings. Grundproblem des Bekleidungsmarktes: Bekleidung ist ein lebensnotwendiges Gut. Zur elementaren Bedarfsdeckung genügt es i.d.R., sich ca. jährlich 1 Hose und 1 Hemd zu kaufen, nämlich dann, wenn die alte Bekleidung durchgescheuert ist. Ökonomisch formuliert: Wenn sich die Nachfrage an diesem Faktum orientieren würde, läge die Preis- und Einkommenselastizität bei nahe 0 und wäre damit ein Alptraum für Hersteller und Anbieter. Die Lösung dieses Grundproblems liegt in Marketingstrategien: V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 4 a) rascher Modewechsel, möglichst jährlich im Produktionsrhythmus, b) Globalisierung der Modetrends, d.h. Verschwinden nationaler bzw. kontinentaler Moden, z.B. durch Film und Fernsehen; c) Qualitäts- und Preissegmentierung: Etablierung von „Designermarken“, die zumindest den Eindruck von Luxusgut erzeugen. Folgen: • Globale Homogenisierung der Nachfrage. • zunehmende Differenzierung der Märkte zwischen Designer- und Modewaren einerseits sowie Massenware andererseits. • dem entspricht eine Differenzierung zwischen Einkommensgruppen und Ländern. Die Rolle des Handels ist wichtig wegen der Marktmacht, da ein großer Teil des Bekleidungsumsatzes in den Industrieländern auf die großen Warenhaus- und Textilkaufhausunternehmen entfällt: z.B. USA: Sears, K-Mart, Penney, Wal-Mart, Japan: Daiei, Mitsukoshi, Daimaru, Ito Yokado; D: Karstadt/Quelle/Sinn, Metro/Kaufhof, P & C; international: C & A (NL), H & M (Schweden) Dieser Oligopolisierung der Bekleidungsanbieter steht jedoch seit den 1980er Jahren eine zunehmende Differenzierung der Märkte und Modeströmungen gegenüber. Damit einher gehen zwei Einzelhandeltrends: • Diffusion von Filialisten für bestimmte Teilmärkte wie z.B. Benetton (I), The Gap (USA), Jigsaw (USA) usw.; • kleine spezialisierte Modehäuser für fluktuierende Teilmärkte. Die Anbieter sind erfolgreich, wenn sie a) Marktnischen finden und b) sehr flexibel auf modebedingte Nachfrageschwankungen reagieren können. Die Wertschöpfungskette erweist sich damit – wenigstens im Abschnitt „Bekleidung“ – als eine typisch „buyer driven chain“. Produktionskosten als Faktor der Restrukturierung Wie aus Fig.9.9 hervorgeht, besitzen die Produktionsfaktoren auf den einzelnen Stufen der textilen Wertschöpfungskette eine ganz unterschiedliche Bedeutung. Solange die Textil- und Bekleidungsindustrie im Wesentlichen in geschlossenen Nationalökonomien organisiert war, führten diese Unterschiede nur zu intranationalen regionalen Standortdifferenzierungen: Im Verlauf der industriellen Entwicklung verlagerte sich die Bekleidungsindustrie vom Zentrum (z.B. Berlin) in die in peripheren Regionen (z.B. Vogtland, Schuhindustrie in Pirmasens). Heute resultieren daraus globale Standortdifferenerungen entsprechend den spezifischen Faktorausstattungen der Länder. Der wichtigste Einzelfaktor besteht in den Unterschieden der Arbeitskosten (Fig.9.10): • Riesige Unterschiede zwischen 25 (Dänemark, Deutschland) und 0,5 bis 1 (China, Mittelamerika), d.h. die Spannweite liegt bei dem Faktor 30-40! • Zeitliche Verschiebungen: Japan gehört heute zur Spitzengruppe, verstärkt durch die hohe Bewertung des Yen. V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 5 • Neu hinzugekommen sind die ehemaligen RGW-Länder mit Lohnkosten bei 2-5 ; d.h. sie konkurrieren mit den Entwicklungsländern. • Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nicht die „rohen“ Stundenlöhne für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sind, sondern die sog. Lohnstückkosten (unit labour costs), die den Output pro eingesetzten Arbeitskosten messen (also unter Berücksichtigung der Arbeitsproduktivität einschl. Fehlzeiten, Maschinenlaufzeiten usw.). Hierbei verringern sich die nationalen Unterschiede etwas. Der Arbeitskostenvorteil ist entscheidend bei der Produktion von Massen- und Vorratsware (staple goods), sowohl in der Textil- als auch in der Bekleidungsindustrie. Diese sind in der Regel in den peripher gelegenen Entwicklungsländern lokalisiert. Ein ganz anderes Standortmuster zeigen hingegen kurzlebige Marken- und Modewaren: Deren Produktion ist in den Industrieländern und in den nahen Niedriglohnländern (wie Portugal, Türkei, ehem. RGW-Länder) lokalisiert. Dabei spielen reine Transportkosten eine gewisse Rolle (wegen der hohen Flugfrachtkosten!), mindestens ebenso wichtig sind jedoch die ebenfalls von der Distanz abhängigen Faktoren der Marktanpassungsgeschwindigkeit und der Zuverlässigkeit der Lieferung, um z.B. während einer laufenden Saison auf plötzliche Trends reagieren zu können. Technologischer Wandel als Faktor der Restrukturierung Vor allem in den Hochlohnländern stehen die Unternehmen unter dem Druck, Lohnkosten einzusparen. Dabei sind zwei Formen des technischen Wandels relevant: a) Ersatz der Handarbeit durch Mechanisierung und Automatisierung, b) Prozessinnovationen zur Beschleunigung der Produktion. Beide Innovationstypen sind in der Textilindustrie wichtiger als in der Bekleidungsindustrie. Sowohl in der Spinnerei als auch in der Weberei wurden in den letzten 2 Jahrzehnten weitreichende Prozessinnovationen eingeführt, insbes. die Open-End-Spinnmaschine und die sog. schützenlose Webmaschine. Diese Prozessinnovationen führten zwar nicht zu einer grundsätzlichen Restrukturierung der Produktionsstandorte, aber zu einem starken Anstieg der Arbeitsproduktivität (und zu Beschäftigungsabbau). Hingegen waren die Prozessinnovationen in der Bekleidungsindustrie viel geringer. Hier entfallen ca. 80% der Arbeitskosten auf Nähen und Zusammensetzen, d.h. hier hat die Automatisierung bisher nur zu geringem Produktivitätsfortschritt geführt (im Gegensatz zu den vor- und nachgelagerten Stufen wie Zuschneiden, Lagerverwaltung etc.). Die wichtigsten Innovationen in der Bekleidungsindustrie sind bisher vor allem zur Flexibilisierung der Produktion und zur Beschleunigung des Waren- (und Kapital)Umlaufs entwickelt und eingesetzt worden. Beispiel Benetton: Die norditalienische Zentrale ist per Computer direkt mit allen Benetton-Filialen in der ganzen Welt verknüpft. Dort ist das EPOS (electronic pointof-sale)-System installiert, so dass die Zentrale unmittelbar über Nachfragetrends V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 6 informiert ist und ihrerseits die im Lohnauftrag gefertigte Produktion (sog. Lohnveredlung) ohne Time lag steuern kann. Die Flexibilisierung ist auch eine wesentliche Strategie zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Textilindustrie in den Hochlohnländern. Z.B. hat sich die Strategie der Betriebskonzentration zur Erzielung von Skalenerträgen als Fehlschlag erwiesen, wie z.B. der Zusammenbruch der van-Delden-Gruppe in Gronau gezeigt hat. Hingegen haben viele KMUs ihre Marktposition halten können, indem sie hochspezialisierte Garne, Stoffe und andere Textilien sowie spezielle Oberbekleidung anbieten, wobei die KMUs i.d.R. hochflexibel auf Nachfrageschwankungen ausgerichtet sind. Politik als Faktor der Restrukturierung Die TBI hat nicht nur in der historischen Industrialisierung der IL eine wichtige Rolle gespielt, sondern ist auch heute für die Industriepolitik vieler EL von schlüsselhafter Bedeutung. EL: - importsubstituierende Strategie des Aufbaus; - exportorientierte Strategie zur Nutzung des komparativen Arbeitskostenvorteils. IL: - verschärfter internationaler Wettbewerbsdruck mit der Folge: - Rationalisierung der bestehenden TBI; - Handelsbeschränkungen zum Schutz vor „ruinöser Konkurrenz“. Die übliche Politik in den IL (im Wesentlichen außer USA und D): Gezahlt werden staatliche Beihilfen zur Restrukturierung, Modernisierung und zum „geordneten“ Kapazitätsabbau, z.B. I, UK, F, NL („freiwillige Euthanasie“); seit den 1970er Jahren auch J, wo ein geordneter Rückzug und eine Umorientierung auf gehobene Marktsegmente seit den 1970er Jahren vom MITI begleitet bzw. gesteuert wird. Ähnliche Entwicklungen lassen sich inzwischen in Südkorea und Taiwan beobachten. Alternative IL-Politik (insb. USA und D): Förderung der sog. OffshoreLohnveredlung, begleitet durch bilaterale Handelsabkommen (Besteuerung beschränkt auf Mehrwert). Der internationale Handel war traditionell stark reguliert durch internationale Handelsabkommen. Der Ursprung lag in den 1950er Jahren, als Niedrigpreisimporte insb. aus Japan (!) und Hongkong insb. auf die Märkte in den USA und GB drückten. • 1962: LTA = Long Term Arrangement Regarding International Trade in Cotton Textiles („Weltbaumwollabkommen“), mehrfach verlängert. • 1974: MFA = Multi-Fibre Arrangement („Welttextilabkommen“). Dieses Abkommen schloss die EG-Länder sowie andere Fasern ein. Ziel in Article 1 (2): „to achieve the expansion of trade, the reduction of barriers to such a trade and the progressive liberalization of world trade in textile products, while at the same time ensuring the orderly and equitable development of this trade and avoidance of disruptive effects in individual markets and on individual lines of production in both importing and exporting countries.“ Interesse der EL: Öffnung der IL-Märkte; diese wollten jedoch nur jährliche Steigerungen von 6% (1974) bzw. 3% (1978ff.) der Importe zulassen, um der einheimischen Industrie die Chance zur Anpassung zu geben. Instrument: genaue Importquoten für verschiedene Textilien und Bekleidungsgütergruppen. Das MFA V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 7 wurde mehrfach verlängert und schließlich sukzessive in das WTO-Vertragswerk einbezogen. • Wirkungen: Freihandelsziel wurde stark überlagert vom Marktordnungsziel zum Schutz der IL-Märkte; Abschwächung der Textil- und Bekleidungsexporte aus EL in IL; stärkere wechselseitige Marktdurchdringung zwischen den Ländern der Triade. • Ergebnis der sog. Uruguay-Runde des GATT 1993: Ab 1995 erfolgt eine sukzessive Integration des MFA in das GATT/WTO-Vertragswerk. Dabei zeichnet sich eine klare politische Kontroverse zwischen den IL mit einem gemäßigten Protektionismus aus innenpolitischen Rücksichten und den EL ab. Der Kompromiss von 1993 sieht eine schrittweise Ausweitung des Marktzugangs bis Ende 2004 vor. Die Beurteilungen des WFA schwanken zwischen „intelligentem Liberalismus“ und „Hydra des Protektionismus“. Schätzung: Das WFA blockiert ein Exportpotenzial von ca. 11 Mrd $ bei den EL. Tatsache ist: Der Weltmarkt für Textilien und Bekleidung ist weitgehend reguliert und weit entfernt von den idealisierten Annahmen der klassischen Außenhandelstheorie. Im Übrigen gibt es zahlreiche bilaterale Abkommen neben dem MFA, z.B. mit der VR China vor deren WTOMitgliedschaft. Zusammenspiel der Faktoren und Unternehmensstrategien Das komplexe Zusammenwirken der genannten Faktoren führt zu einer fragmentierten Struktur und zu einigen Besonderheiten im Vergleich zu anderen Industriezweigen (Deshalb ist Skepsis gegenüber generellen Theorien wie z.B. der „Theorie der neuen internationalen Arbeitsteilung“ von FRÖBEL u.a. angebracht): (1) Die Unternehmenskonzentration ist weniger weit vorangeschritten. Global operierende TNCs spielen eine geringere Rolle (in der Textilindustrie mehr als in der Bekleidungsindustrie). Teilweise überwiegen Prozesse, die zu einem relativ größeren Erfolg von KMUs führen (flexible Netzwerke von KMUs nach dem Vorbild des Dritten Italien; z.B. Seidenindustrie von Como, Wollindustrie von Prato). (2) In der TBI ist der klassische Prozess der TNC-Expansion durch FDIs eher untypisch. Am ehesten ist er in der hochrationalisierten Faserproduktion zu beobachten. Typisch sind vielmehr differenzierte Formen von Subcontracting, Lohnfertigung und anderen Kooperationsformen unterschiedlicher Festigkeit zwischen Unternehmen in anderen Ländern mit niedrigeren Arbeitskosten („offshore processing“). Beginn insb. in den 1960er Jahren: (a) Japanische sogo shosha bauen ein Netz von fest verbundenen, d.h. durch Verträge oder auch Kapitalverflechtungen, Subunternehmen in Ost- und Südostasien auf (als Reaktion auf das LTA 1962 und auf gestiegene Arbeitskosten in Japan). Z.B. waren die 9 führenden sogo shosha 1980 in 150 Textilunternehmen in Ost- und Südostasien engagiert. V Blotevogel „Weltwirtschaftsgeographie“ SS 2002 Kap. 09 8 (b) Seit den 1960er Jahren setzt sich das Subcontracting insbesondere in der Bekleidungsindustrie durch. Führend sind wieder die japanischen sogo shosha, aber auch die US-amerikanischen und die deutschen Unternehmen. (3) In der TBI entstanden neue, hochdifferenzierte Formen der räumlichen Arbeitsteilung: Dispositive Funktionen einschl. Design und Vermarktung sind zunehmend in den IL konzentriert. Während die textilen Vorprodukte aus EL bezogen werden, sind Nähen und Zusammensetzen von Bekleidung möglicherweise in anderen EL lokalisiert. Dabei bilden sich klare regionale Muster aus: J mit SE-Asien (Philippinen, Malaysia, Thailand), USA mit Karibik, D mit der süd- und osteuropäischen Peripherie und Nordafrika. Eine gewisse Ausnahme ist Italien. Dort hielt sich lange fast ausschließlich die inländische Produktion, inzwischen wird sie aber zunehmend auch nach Slowenien, Kroatien, Malta etc. verlagert. (4) Daneben bildet sich in der Bekleidungsindustrie ein globales sourcing pattern heraus, das entlang einer Preis/Mode-Dimension strukturiert ist (vgl. Table 9.7): Da die Wertschöpfungskette buyer driven ist, spielen im Hochpreissegment globale Markenfilialisten wie Armani und Boss eine große Rolle. Nur sie lassen noch (teilweise) in den IL produzieren. Dahinter kommen mehrere Zwischenstufen bis zur anonymen Massenware, die aus den EL mit den niedrigsten Löhnen kommt. (5) In fast allen IL ist die Beschäftigung stark zurückgegangen, z.B.: 1963-1987: GB –780.000, D –564.000, F –520.000, USA –500.000. Ursachen: zunehmende Konkurrenz durch Länder mit niedrigen Arbeitskosten, aber auch hohe Produktivitätssteigerungen durch Prozessinnovationen (typisch für „reife“ Industrien). Die Beschäftigung sank in der westdeutschen Bekleidungsindustrie von 400.000 (1966) auf 95.000 (1995). Die TBI ist häufig regional konzentriert; in Deutschland z.B. im Westmünsterland, im Rheinland, im südlichen Württemberg, in Oberfranken sowie in Sachsen. Beschäftigungsverluste sind dort konzentriert und regionalpolitisch besonders akut. Im Vergleich zu anderen Industriezweigen lagen die Löhne in der TBI traditionell am unteren Ende der Lohnskala, d.h. Faktor Arbeit war traditionell der maßgebliche Standortfaktor. Durch die Erhöhung und Angleichung der Arbeitslöhne kam die TBI speziell in Europa unter Druck. Die USA erlauben demgegenüber eine breitere Spreizung der Löhne. Dadurch können teilweise niedrig entlohnte Arbeitsplätzen (insb. in großen Städten insb. für Immigranten) erhalten werden. Dies sind die sog. „sweatshops“. Kehrseite: große Disparitäten innerhalb der Metropolen.