046-048.qxd 23.10.2006 13:23 Seite 46 Zahnmedizin 46 Osteolyse im Kieferwinkel Zentrales Riesenzellgranulom unter dem Bild einer dentogenen Infektion Felix Koch, Martin Kunkel Fotos: Kunkel Abbildung 1: Klinischer Aspekt des Patienten mit der erkennbaren Schwellung der linken Unterwange Ein neunjähriger Patient wurde mit einer seit acht Wochen bestehenden schmerzhaften Schwellung in der linken Kieferwinkelregion vorgestellt. Alio loco war zunächst eine Unterkiefer-Osteomyelitis aber auch eine Parodontitis erwogen worden. Ein Therapieversuch mit einem oralen Cephalosporin hatte zwar zu einer gewissen Besserung, nicht aber zu einer vollständigen Rückbildung des Beschwerdebildes geführt. Zum Zeitpunkt der Vorstellung in unserer Klinik bestand eine mäßige, druckdolente Schwellung über dem linken Kieferwinkel (Abbildung 1), die palpatorisch einen recht derben Kernbezirk in der Masseterregion aufwies. Bei einem gepflegten Zahnstatus konnte keine dentogene Ursachen für das Beschwerdebild gefunden werden, alle Zähne reagierten auf Kältereiz sensibel und waren nicht auf Perkussion schmerzhaft. Die Sensibilität des N. alveolaris inferior war ungestört. In der Röntgenuntersuchung (Abbildung 2) fiel eine Osteolyse im linken Kieferwinkel caudal der Anlage des Weisheitszahnes auf. Diese Osteolyse war unscharf begrenzt und erstreckte sich bis in die basale Kompakta des Kieferwinkels. Eine Lageveränderung zm 96, Nr. 21, 1. 11. 2006, (2870) der Zahnkeime im Sinne eines verdrängenden Wachstums war nicht erkennbar. Die Beziehung zum N. alveolaris war anhand des OPG nicht zu erkennen. Die sonographische Untersuchung (Abbildungen 3 a und b) zeigte die tatsächliche Ausdehnung der Raumforderung, die zum einen deutlich über das Knochenniveau herausragend den M. masseter vorwölbte, zum anderen zu einer tiefen Exkavierung des Unterkiefers im Kieferwinkel geführt hatte. Bei einer offensichtlich expansiv In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen sollen den differentialdiagnostischen Blick unserer Leser schulen. wachsenden Läsion unklarer Ursache bestand daher die Indikation zur chirurgischen Exploration und Biopsie. In einer Intubationsnarkose wurde der Befund von enoral dargestellt (Abbildung 4). In der Tiefe des Zugangs zeigte sich ein gelbliches Gewebe, das klar abgegrenzt vom M. masseter aus einer größeren Knochenläsion nach masseterico-manibulär vorwuchs. Der weiche granulomatöse Charakter des Gewebes (Abbildung 5) ließ an ein Riesenzellgranulom oder eine Langerhans-Zell-Histiozytose denken, so dass in gleicher Sitzung eine schonende Kürettage als Primärtherapie angeschlossen wurde. Die histopathologische Aufarbeitung des entnommenen Gewebes zeigte ein zellund gefäßreiches fibrovaskuläres Stroma mit zahlreichen eosinophilen Granulozyten und einzelnen multilokulären Riesenzellen Abbildung 2: Radiologischer Befund: Das OPG zeigt caudal der Zahnanlage 38 eine inhomogene und unscharf begrenzte Osteolyse, die sich teilweise bis in die basale Kompakta des Unterkiefers erstreckt. 046-048.qxd 23.10.2006 13:23 Seite 47 47 vom osteoklastären Typ (Abbildung 6). Abschließend wurde die Diagnose eines zentralen Riesenzellgranuloms gestellt. Diskussion Im Gegensatz zum sehr seltenen echten Riesenzelltumor wird das zentrale Riesenzellgranulom heute überwiegend als eine nicht neoplastische Veränderung des Knochens gewertet [Sciubba et al., Abbildung 3: Sonographischer Befund: Die Sonographie (A) zeigt den raumfordernden Charakter der 2001], die vor allem im Kindesalter und Läsion mit Vorwölbung in die masseterico-mandibuläre Logen und Destruktion der äußeren Kortikalisjungen Erwachsenenalter auftritt. Oblamelle des Unterkiefers. In der Gefäßdarstellung (B) wird die vaskuläre Versorgung innerhalb der wohl eine Unterscheidung nach histoRaumforderung erkennbar. morphologischen Kriterien bislang nur ansatzweise gelingt, lassen sich vom kliniOsteolysen, die zumeist anlässlich einer unund auch Resorptionen benachbarter schen Verhalten her sehr „aggressive“ und abhängigen radiologischen Diagnostik als Zahnwurzeln. Die aggressive Verlaufsform „nicht aggressive“ Verlaufsformen des Zufallsbefund erkannt werden. Im Gegenwird klinisch durch Schmerzen und rasch Riesenzellgranuloms unterscheiden [Krusesatz dazu manifestieren sich die „aggressiprogrediente Schwellungen, gelegentlich Lösler et al., 2006]. Bei den „nicht aggresven“ Verlaufsformen durch ein rasches exauch durch Sensibilitätsstörungen auffällig siven“ Läsionen handelt es sich typischerpansives Wachstum mit teilweise umfangund erzwingt für die diagnostische Abgrenweise um asymptomatische, umschriebene reicher Arrosion des kortikalen Knochens zung zu echten Neoplasien eine umge- zm 96, Nr. 21, 1. 11. 2006, (2871) 046-048.qxd 48 23.10.2006 13:24 Seite 48 Zahnmedizin 11 Prozent bis 50 Prozent ausgegangen werden muss [Bataineh et al., 2002]. Wegen dieser hohen Rezidivrate ist in den ersten Jahren eine sechsmonatige Röntgenkontrolle zur etwaigen FrüherkenAbbildung 5: OP-Resektat. Es handelt sich um ein nung ratsam. Bei mehrmaligem weiches, zerfließliches Gewebe mit umschriebenen Rezidiv, aggressivem Wachstum, Einblutungen ohne erkennbare Kapselstrukturen. sehr großen Läsionen oder multipel an mehreren Lokalisationen auftretenden Befunden wird seit einigen Für die Praxis zeigt der vorliegende Fall, Jahren die systemische Gabe von Calcitonin ähnlich wie die in Ausgabe 16 dieses Jahres vorgeschlagen [Harris, 1993]. Die Ergebnisbeschriebene Langerhans-Zell-Histiozytose, se einer aktuellen randomisierten Therapiedass sich hinter dem klinischen Bild einer studie lassen aber bislang keine entscheischeinbaren (dentogenen) infektiösen denden Unterschiede zur Placebo-KontrollSchwellung mitunter seltene Krankheitsbilgruppe erkennen [de Lange et al., 2006] der verbergen können. Immer dann, wenn Abbildung 6: Histologie. In der HE Färbung (Originalvergrößerung 400x) zeigen sich richtungsweisend Riesenzellen vor dem Hintergrund eines zellreiches Gewebes mit einem dichten eosinophilen granulozytären Infiltrat. Das histologische Präparat wurde freundlicherweise von Dr. Coerdt, Institut für Kinderpathologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, zur Verfügung gestellt. Abbildung 4: Intraoperativer Aspekt des Befundes: Es zeigt sich ein gegenüber dem M. masseter abgegrenztes Gewebe, dass offensichtlich expansiv aus dem Knochen wächst. hende histologische Sicherung. Eine morphologische histologische Differenzierung zum „braunen Tumor“ bei Hyperparathyreoidismus ist nicht sicher möglich. Daher muss diese systemische Erkrankung grundsätzlich durch die laborchemische Bestimmung von Phosphat, Calcium und PTH ausgeschlossen werden [Thorwarth et al., 2004]. In der frühen Phase der Erkrankung kann die lokalisierte schmerzhafte Schwellung als odontogene Infektion fehlgedeutet werden, insbesondere, wenn im Gegensatz zum vorliegenden Fall potentielle odontogene Infektionsursachen ausgemacht werden können. Therapeutisch stellt die schonende Kürettage die Therapie der ersten Wahl dar, obwohl insgesamt von einer hohen Rezidivrate von Auch für den „Aktuellen klinischen Fall” können Sie Fortbildungspunkte sammeln. Mehr bei www.zm-online.de unter Fortbildung zm 96, Nr. 21, 1. 11. 2006, (2872) Fazit für die Praxis ■ Das zentrale Riesenzellgranulom ist eine von der Entstehung bislang ungeklärte Knochenläsion, die gerade bei jungen Patienten eine wichtige Differentialdiagnose von Osteolysen darstellt. ■ Das klinische Verhalten ist sehr unterschiedlich, es werden „aggressive“ und „nicht aggressive“ Verlaufsformen beobachtet, die bisher morphologisch aber nicht klar voneinander abgegrenzt werden können. ■ Die Therapie der Wahl ist die schonende Kürettage, ein therapeutischer Effekt der Calcitoningabe ist bisher nicht gesichert. keine eindeutigen dentogenen Infektionsursachen erkennbar werden oder aber die Rückbildung der Symptomatik nach Therapie nicht in einem angemessenen Zeitraum erreicht ist, müssen weitergehende diagnostische Überlegungen angestellt werden. Dr. Felix Koch Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Augustusplatz 2 55131 Mainz [email protected] Die Literaturliste können Sie in der Redaktion anfordern. Den Kupon finden Sie auf den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes.