Sendung vom 29.4.2015, 20.15 Uhr Dr. Josef M. Gaßner Mathematiker und theoretischer Physiker im Gespräch mit Florian Hildebrand Hildebrand: Willkommen zum alpha-Forum, meine Damen und Herren. Heute haben wir Dr. Josef Martin Gaßner zu Gast im Studio, freier Astrophysiker. Herr Gaßner, schön, dass Sie da sind. Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat im schönen schweizerischen Sils-Maria einen sehr bedeutenden Satz geschrieben, der dann später auch berühmt geworden ist: "Die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht." Sie als Astrophysiker können mit diesem Satz bestimmt besonders viel anfangen, wenn Sie in der Nacht – und eben nicht am Tag – ins Universum schauen, ins tiefe, tiefe Universum, das so groß und so riesig ist, dass das Licht der ersten Sterne noch gar nicht zu uns gekommen ist, das so kalt ist, dass es kälter nicht mehr geht. Was fasziniert Sie an diesem gigantischen Universum? Gaßner: Nun, das ist schlicht die Welt, in der wir leben. Das heißt, wir werden in diese Welt geboren und versuchen, sie zu verstehen und zu ergründen – zumindest ansatzweise. Das ist die tiefe Faszination, die das ausübt. Sie haben diese Weiten des Universums angesprochen: Man hantiert als Physiker natürlich mit diesen Größenordnungen, also mit Lichtjahren und auch mit Millionen von Lichtjahren, aber der Versuch, das wirklich zu begreifen, ist in der Tat faszinierend. Man muss ja nur einmal versuchen, sich das vorzustellen. Angenommen, unsere Sonne wäre so groß wie eine Orange in meiner Hand – das heißt, diese 700000 Kilometer Radius der Sonne würden sich in meiner Hand befinden –, dann wäre im Vergleich dazu unsere Erde nur so groß wie ein Reiskorn. Der Abstand zwischen Sonne und Erde, diese 150 Millionen Kilometer, wären 10 Meter. Und dann kann man sich eben diese schöne Frage stellen, wo denn die nächste "Orange" wäre. Man müsste dann in diesem Maßstab die nächste "Orange", also den allernächsten Stern, nämlich Proxima Centauri – das wäre, wenn man so will, der Blick über den Gartenzaun – 700 Kilometer hinter Moskau platzieren! Das ist einfach mal ein Versuch, ansatzweise zu begreifen, um welche Größenordnungen es hierbei geht. Hildebrand: Das ist also eine gigantische "Heimat", die wir da haben. Gaßner: Ja, sie ist unvorstellbar groß. Ein Lichtjahr in diesem soeben geschilderten Maßstab wäre die Entfernung von München nach Berlin. Hildebrand: Ehe wir hier weitermachen, lassen Sie uns ein bisschen über Sie selbst sprechen. Sie haben Mathematik und Physik studiert und promoviert über ein, wie ich finde, sehr, sehr spannendes Thema, nämlich über das ganz frühe Universum. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ging es in Ihrer Dissertation speziell um den Punkt, an dem sozusagen die reine Energie, aus der das ganz, ganz frühe Universum bestanden hat, angefangen hat, ein bisschen Materie zu bilden. Sie haben einen Lehrauftrag an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Landshut, Sie haben einen weiteren Lehrauftrag an der Universitätssternwarte in München. Was machen Sie dort? Gaßner: Zum Thema "frühes Universum" noch eine kurze Anmerkung: Im weitesten Sinne ging es in meiner Doktorarbeit um das Higgs-Feld, um bestimmte Eigenschaften des Higgs-Feldes. Aber machen wir es kurz, denn ... Hildebrand: Dazu müssten wir ja zuerst einmal erklären, was das Higgs-Feld ist. Gaßner: Genau. Fragen Sie nie einen Wissenschaftler nach seinem Aufgabengebiet, denn dann ist der Abend gelaufen. Was mir viel mehr am Herzen liegt – und Sie haben ja meinen Lehrauftrag z. B. in Landshut angesprochen –, ist das, was ich den jungen Menschen im Rahmen des Studium generale vermittle. Hier hat man nämlich die Möglichkeit, über das große Ganze zu sprechen, was ich als unglaublich faszinierend empfinde. Ich habe ja in München einige Jahre die Erstsemester betreut, mit Übungsgruppen usw.: Da ist man sehr detailliert, d. h. da geht es immer um ein ganz konkretes Problem, das man berechnet, an dem man macht und tut usw. Aber man hat dabei kaum die Möglichkeit, von diesem großen Ganzen zu sprechen. Erst dabei aber kommt doch die wirkliche Faszination zum Tragen, dann nämlich, wenn man erkennt: "Hoppla, all diese Dinge haben ja mit mir zu tun! Das ist nicht nur interessant, sondern das ist relevant! Ich bin Bestandteil dieses Kosmos'. Denn in den Gebilden, die wir dort sehen – z. B. in diesen Sternen –, werden diejenigen Elemente erzeugt, aus denen ich am Ende bestehe." Dies berührt eben schlicht und ergreifend die Frage, woher wir Menschen denn eigentlich kommen. Hildebrand: Auf diese spezielle Frage kommen wir später noch ausführlich zu sprechen. Gaßner: Diese Fragen zum großen Ganzen sind aus meiner Sicht das wirklich Faszinierende bei all dem. Hildebrand: Lassen Sie uns noch ein wenig bei Ihnen als Person und Autor bleiben. Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Urknall, Weltall und das Leben". Geschrieben haben Sie das zusammen mit Harald Lesch. Harald Lesch ist ja gerade den Zuschauern des Bayerischen Fernsehens gut bekannt durch seine frühere Reihe "alpha-Centauri". Mittlerweile moderiert Herr Lesch ja auch im ZDF. Mit ihm zusammen haben Sie also dieses Buch geschrieben, und zwar in einer Form, die einem am Anfang vielleicht nicht sofort einleuchtet, nämlich als Dialog. Warum als Dialog? Gaßner: Das ist so gewachsen. Ursprünglich hatte Harald einfach die Idee, dass wir beide unbedingt ein Buch miteinander schreiben müssten. Ich habe mich dann aber lange Jahre geweigert, weil ich einfach den großen Aufwand gesehen habe, den es braucht, wenn man so ein Buch schreiben will. Mir war auch nicht wirklich klar, wie wir das hinbekommen sollten, diese Erklärungen usw. Ich wollte nämlich diese Dinge unbedingt so erklären, dass man sie verstehen kann. Ich habe also erst einmal gesammelt, habe in mehreren Jahren dazu passende Fragen nach meinen Vorlesungen und Vorträgen gesammelt. Hildebrand: Das heißt, da geht es wirklich um "alles". Gaßner: Ja, ja, es geht um das große Ganze, also um den Urknall, um das Weltall und um das Leben ... Hildebrand: Es geht vom Urknall bis zu uns heute. Gaßner: Genau. Immer wieder kam also Harald mit der Idee, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Eines Tages bin ich dann mal zu ihm ins Büro gekommen und er meinte zu mir: "Du, wir machen was völlig anderes, wir machen ein Hörbuch! Da brauchst du keine Angst mehr zu haben wegen des Aufwands. Wir gehen einfach ins Studio und reden ein bisschen und alles wird gut." Langer Rede kurzer Sinn: Wir waren im Studio, genauso, wie wir hier auch mit Mikrofonen verkabelt sind usw. Und dann haben wir über das Universum gesprochen. Das Gespräch sollte nur 60 Minuten lang werden. Aber wer Harald kennt, den überrascht es nicht, dass unser Gespräch sehr schnell vier Stunden gedauert hat – und es war immer noch kein Ende in Sicht. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass uns die Techniker früher oder später sowieso aus dem Studio werfen werden, denn so ein Studio kostet ja Geld und die Sache war ja überhaupt ganz anders geplant gewesen. Aber der Produzent war nur begeistert und sagte uns dauernd: "Nein, nein, macht weiter!" Dieses Gespräch ist dann transkribiert worden; selbstverständlich hat man dabei unsere schlimmsten verbalen Entgleisungen korrigiert. Das war letztendlich die Ausgangsbasis für dieses Buch. Wir haben diesen Dialog dann noch mit Bildern und weiteren Beiträgen gefüllt und etliches darum herum gebaut. Und bis ich mich's versehen habe, hatte mich Harald plötzlich doch in ein Buchprojekt hineingezogen. So ist also dieses Buch entstanden. Hildebrand: Sie müssen in diesem Buch ja auch sehr, sehr komplizierte Sachverhalte klären wie z. B. die Quantenfluktuation, also eine Erscheinung aus dem ganz frühen Universum, mit dem Sie sich ja nun besonders gut auskennen. Es geht aber auch um solche Dinge wie den Phasenübergang usw. Der Urknall selbst ist ja eine hochkomplizierte Geschichte: Es ist eben nicht so, dass das nur irgendwie eine Explosion gewesen ist und das war's dann auch. Sie stellen das in diesem Buch ohne irgendeine Formel dar und ohne dass Sie eine hoch komplizierte und im Grunde genommen nur für Eingeweihte verständliche Sprache benützen. Gaßner: Wir machen das ohne Formeln, das stimmt. Es gibt eine Formel, die auch bei uns vorkommt: e = mc2. Das ist einzige erlaubte Formel gewesen. Hildebrand: Die ist ja auch durchaus zumutbar. Gaßner: Ansonsten haben wir versucht, die Dinge so anschaulich wie möglich zu präsentieren. Gleichzeitig, und das war mir sehr, sehr wichtig, haben wir die Dinge nie stärker vereinfacht, als das wissenschaftlich korrekt wäre. Das ist der schmale Grad, an dem wir uns entlanggehangelt haben. Diese Materie an und für sich bedingt natürlich, dass manche Bereiche dabei schwieriger sind als andere. Sie hatten den Urknall angesprochen: Bei ihm ist der Schwierigkeitsgrad eben deutlich höher als meinetwegen bei den Fragen, wie Sterne funktionieren, wie Galaxien entstehen, wie so ein Planet entsteht, wie was Wasser auf den Planeten kommt usw., weil diese Fragen eben phänomenologisch leichter zu erklären sind. Demgegenüber stellen diese frühen Phasen des Universums eine didaktische Herausforderung dar. Aber wir haben halt unser Bestes versucht. Auch die Entstehung des Lebens ist ein Punkt, der sehr schwierig ist. Nun, man kann aber als Leser auch ganz entspannt Mut zur Lücke beweisen, wenn man mit dem Urknall nicht zurechtkommt. Man kann nämlich stattdessen beim Lesen auch gleich mit der Entstehung des Lebens einsteigen. Das ist ja gerade das Schöne an so einem Buch. Hildebrand: Wie so ein Buch aus einer Audioform heraus entstehen kann, kann man auch auf YouTube sehen, wo Sie einen eigenen Kanal betreiben. Diesen Kanal bestücken Sie jedoch alleine, oder? Das machen Sie nicht im Dialog mit Harald Lesch. Gaßner: Doch, auch das machen wir im Dialog. Nicht jeder Vortragsstil ist ja für jedes Thema geeignet. Deshalb haben wir versucht, diese Themen mit ihren unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden individuell aufzubereiten. Manchmal erklärt Harald etwas alleine, manchmal erkläre ich in einem Solo etwas und manchmal machen wir das aber auch beide im Dialog. Harald hat ja so seine eigene Art: Seine Vorträge haben einen hohen Unterhaltungswert. Ich hingegen habe vielleicht mehr Bildmaterial und versuche, das eine oder andere mehr im Detail darzustellen. Wir hoffen, dass wir uns dabei einfach gut ergänzen. Hildebrand: Wie viele Folgen haben Sie da nun schon eingestellt auf YouTube? Gaßner: Harald hat bis jetzt vielleicht ein Dutzend Sachen solo gemacht, ich ebenfalls, und gemeinsam haben wir auch ungefähr in dieser Größenordung etwas gemacht. Es ist jedenfalls so, dass wir jeden Freitagabend ein neues Video hochladen. Hildebrand: Wie lange ist dabei eine Folge? Gaßner: Das ist ganz unterschiedlich, was wiederum mir ganz wichtig war. Ich wollte einfach kein festes Raster, in das man sich hineinzwängen müsste. Denn es gibt einfach Themen, bei denen das nicht möglich ist. Ich hatte z. B. mal einen Beitrag zur Dunklen Energie. Das ist ein großes Thema, bei dem man einfach mal 45 Minuten am Stück reden können muss. Es gibt aber auch andere Themen, die man in zehn Minuten abhandeln kann. Hildebrand: Sie haben auch kein Programm, das Sie da irgendwie abarbeiten würden. Stattdessen reagieren Sie auch auf aktuelle Anlässe, denn es passiert ja gelegentlich etwas, das einer Erklärung bedarf. Ich denke da z. B. an die Raumsonde Rosetta. Gaßner: Ja, das ist ganz klar so. Es gibt einerseits die aktuellen Bezüge, wenn uns z. B. mal wieder irgend so ein Brocken vor die Füße fällt ... Hildebrand: Oder es fliegt z. B. mal ein Asteroid an der Erde vorbei. Gaßner: Genau, aber auch der Meteor von Tscheljabinsk war so ein Thema, über das man reden musste. Kürzlich ist mal wieder ein dicker Brummer ganz nah an unserer Erde vorbeigeflogen, nämlich der Asteroid 2004BL86. Es gibt also einerseits diesen aktuellen Bezug. Dieser Kanal heißt ja genauso wie dieses Buch, d. h. es geht darin um genau die gleiche große Palette. Deswegen gibt es auch in diesem Kanal jeweils große Bereiche zum Urknall, zum Weltall und eben auch zum Leben: Wie ist das Leben entstanden? Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts? Das ist doch die Frage überhaupt! Wieso wirft sich dieses Universum überhaupt in seine Existenz? Wieso tut es sich das überhaupt an? Wie kommt es dazu? Das sind alles spannende Fragen und es sind ganze Vorträge, die man dazu gelegentlich einstellen muss, d. h. da ist dann schon auch mal ein 90-minütiger Vortrag mit dabei. Hildebrand: Wie entwickeln sich die Klick-Zahlen? Gaßner: Das ist beeindruckend und ich hätte das nicht für möglich gehalten. Jetzt, nach drei Monaten, werden bereits pro Tag 3000 Videos angesehen. Hildebrand: Donnerwetter! Gaßner: Wie gesagt, da sind auch 90-Minüter darunter, d. h. das ist schon ziemlich gut. Aber zu 90 Prozent oder noch mehr ist das natürlich Harald geschuldet, der eben eine große Popularität genießt. Hildebrand: Das zeigt doch etwas auf, was man vor 30 Jahren so noch nicht hatte vermuten können, nämlich diesen ungeheuren Publikumserfolg der Astrophysik überhaupt. Zum Teil liegt das natürlich auch daran, dass man heute Fragen stellen kann, auf die man vor 30 Jahren noch überhaupt nicht gekommen wäre. Und es ist ja so gewesen, wie das in den Naturwissenschaften immer wieder mal passiert: Durch eine große Entdeckung kommt man gleich auf sieben, acht, neun neue und grundlegende Fragen. Aber dieser Erfolg ist natürlich auch diesen unglaublichen Bildern geschuldet, die heute erdgebundene Teleskope und auch Weltraumteleskope wie das europäisch-amerikanische Weltraumteleskop Hubble produzieren können. Hubble hat z. B. dieses Bild hier, das wir soeben eingeblendet bekommen, gemacht: Das ist der sogenannte Pferdekopfnebel. Was stellt denn dieses Bild dar? Gaßner: Der Pferdekopfnebel ist eine Ansammlung aus Gas und Staub. Diese Nebel generell sind, wenn man so will, kosmische Komposthaufen: Das ist das, was übrig geblieben ist von Sternenexplosionen, aus Vorgängersternen. Das, was da explodiert und ins interstellare Medium gelangt, wird sich irgendwann einmal wieder verdichten als Wolke. Dies sieht man dann z. B. hier beim Pferdekopfnebel. Das ist eine wunderbare Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops. Hildebrand: Das ist wirklich eine der spektakulärsten Aufnahmen, die es überhaupt gibt. Gaßner: Ja, das ist auch noch so im leichten Infrarot gehalten, d. h. man hat fast das Gefühl, man könnte hineingreifen in diese Wolke. Das ist wirklich toll gemacht. Hildebrand: Das geht schon fast in Richtung Dreidimensionalität. Gaßner: Und dieser Nebel ist auch noch wahnsinnig groß mit einer Ausdehnung von drei Lichtjahren. Man lässt sich nämlich leicht täuschen von diesen Bildern, denn in Wirklichkeit sind diese Gebilde riesengroß: In diesem Fall sind 27 Sonnenmassen Material gebunden in diesem Nebel. Aber das sind alles "nur" Details. Worauf es ankommt, ist Folgendes: Durch den Kollaps dieser Wolken entstehen neue Sterne. Damit ist ein großer Materiekreislauf im Gange. Diese Wolken verdichten sich also, weil es einfach Gravitation gibt und jedes Teilchen jedes andere Teilchen anzieht. Dadurch heizen sie sich auf. Das kennt auch jeder: Wenn Gas komprimiert wird, wird es wärmer. Hildebrand: Das ist das Luftpumpenprinzip. Gaßner: Genau. Und das geht eben so lange immer weiter, bis im Inneren dieser Wolken plötzlich etwas Neues passiert: Die Energie steigt so stark an, dass sich die Bestandteile, also diese Protonen, so nahe kommen, dass eine andere Kraft wirken, zupacken kann, nämlich die starke Kernkraft. Die starke Kernkraft hat nur eine sehr, sehr kurze Reichweite, aber sie ist stärker als alle anderen Kräfte. Wenn diese hohe Energie also dazu führt, dass sich die Protonen nahe genug kommen, dann packt sie zu. Und dann werden aus diesen Gebilden wieder größere Gebilde: Wir nennen das Fusion. Am Ende dieser Vorgänge – denn das geht ja immer weiter und weiter und bei höheren Temperaturen greifen hier Fusionsprozesse –, entstehen dann in diesem Stern all diese Elemente, die wir im Periodensystem kennen, zumindest bis zum Eisen. Ab dem Eisen läuft die Sache ein bisschen anders, weil dann keine Energie mehr gewonnen wird: Der Stern will hier ja Energie gewinnen, damit er dem gravitativen Kollaps entgegendrücken kann, denn nur dadurch kann er ein Gleichgewicht aushandeln und auf diese Weise lange Zeit existieren. Am Ende des Sternenlebens geht ihm eben genau dieses Material aus. Das heißt, der Brennstoff ist irgendwann einmal verbraucht. Und dann passiert eben etwas im Universum, das mit nichts anderem vergleichbar ist: Man nennt das eine Supernova. Denn dann gerät dieser Stern in eine Energiekrise: Er kann nicht mehr dagegendrücken und er gibt, wenn man so will, auf. Diese Hüllen, diese äußeren Bereiche des Sterns stürzen dann in einem gewaltigen Kollaps nach innen: Im Inneren prallen sie auf einen harten Eisenkern. Das funktioniert dann quasi wie bei einem Trampolin. Wenn man sich auf ein Trampolin stellt, sinkt man, je nach Spannung des Trampolins, mehr oder weniger tief ein, man überschreitet also die Nulllage des Trampolins. Wenn man von einer gewissen Höhe auf ein Trampolin springt, dann überschießt man es und wird vom Trampolin zurückgeschleudert. Genau dieser Trampolineffekt passiert nun hier in diesem Kern: Die Hüllen stürzen nach innen, überschießen diese Nulllage und werden vom Kern dann wieder nach draußen geworfen. Das ist die Supernovaexplosion. Hildebrand: Wir werden hier gleich noch weitermachen, aber ich möchte davor noch einmal kurz auf die Bilder zurückkommen, die von den Teleskopen gemacht werden. Wir sehen hier den Katzenaugennebel eingeblendet. Ich glaube, wir müssen jetzt nicht erklären, was in diesem Nebel drin ist. Viel lieber will ich darüber sprechen, wie diese Bilder eigentlich entstehen. Denn das Faszinierende dabei ist ja, dass auf diesen Bildern unglaublich großräumige und auch ein bisschen vegetabile Strukturen zu sehen sind und dass diese Bilder absolut bunt sind. Wenn man nachts in den Himmel schaut mit bloßem Auge, dann ist da ja nichts bunt: Man kann allenfalls erkennen, dass der Mars vielleicht ein bisschen rot ist. Aber ansonsten ist am Nachthimmel nichts Buntes. Wieso sind diese Bilder dann bunt? Gaßner: Man muss hier je nach Teleskop unterscheiden. Das Hubble-Teleskop operiert und beobachtet z. B. sehr wohl auch im sichtbaren Bereich, d. h. diese Bilder sind schon sehr realistisch. Es operiert aber auch im nahen Infrarot und im nahen UV-Licht. Hubble sieht also mehr als wir mit unseren Augen. Fische würden da auch ein bisschen mehr sehen als wir. Um die Bereiche, die wir nicht sehen können, erfassbar zu machen, werden sie in manchen Bildern – das ist dann jeweils angegeben – mittels bestimmter Filter eingefärbt. Besonders eklatant wird das dann, wenn Überlagerungen stattfinden. Es gibt auch andere Teleskope, die in völlig entfernten Spektralbereichen operieren wie z. B. das ChandraTeleskop, das im Röntgenbereich operiert. Wenn man so eine Supernova beobachten will, muss man wissen, dass dort die Energien unglaublich gewaltig sind: Das heißt, man muss diese hohen Energien zuerst einmal visualisieren. Und dann wird das Bild in einer bestimmten Farbe eingefärbt. Es gibt also Aufnahmen, auf denen man Fehlfarben sieht. Aber es wird immer angegeben, in was für einem optischen Bereich eine Aufnahme stattgefunden hat: Sieht das Objekt auf dem Bild so aus, wie wir es mit unseren Augen sehen? Ist es im Infrarotbereich aufgenommen, im UV-Bereich, im Gammastrahlenbereich usw.? Hildebrand: Ah so! Und wenn man dann diese verschiedenen Farben übereinanderlegt und daraus ein Bild macht, wenn man also vorgeht wie quasi beim Vierfarbendruck, dann kommen diese tollen Bilder zustande. Diese Bilder führen ja letzten Endes auch zu etwas Rätselhaftem im Universum, denn da gibt es ja noch eine ganze Menge an Rätseln. Hier auf dem Bild, das nun eingeblendet wird, sehen wir den Geisternebel CG4. Das ist eine neue Aufnahme der ESO, also der Europäischen Südsternwarte. Was man auf diesem Bild sieht, ist in der Tat so eine Art geisterhafter Nebel: Das ist für astronomische Verhältnisse sogar ein relativ kleines Objekt, das "nur" acht Lichtjahre lang ist und dessen Durchmesser ungefähr 1,5 Lichtjahre beträgt. Die Entfernung dieses Nebels von uns beträgt ungefähr 1300 Lichtjahre. Entdeckt wurde dieser Nebel bereits 1976, aber es ist bis heute immer noch ein Rätsel, woraus dieser Nebel eigentlich entsteht. Wenn sich ein paar schlaue Astronomen mit Energie dieser Frage zuwenden, wenn wird man das sicherlich in einer absehbaren Zeit herausfinden. Aber es gibt eben noch viel größere Rätsel in unserem Universum, die einer Lösung harren. Das ganze Universum ist ja in gewisser Weise ein Rätsel. Was ist denn für Sie das größte Rätsel im Universum, auf dessen Lösung Sie aus Ihrer ganz persönlichen astrophysikalischen Warte am neugierigsten sind? Gaßner: Da muss ich nicht lange überlegen. Für mich ist das größte Rätsel in diesem Universum das Leben, die Fragestellung: Wie konnte sich tote Materie in irgendeiner Weise so selbst organisieren und anfangen, nicht mehr nur in einer Lösung dumm herumzudümpeln, sondern einen Willen zu entwickeln, auszuweichen und überleben zu wollen? Wie ist also die Metamorphose vonstatten gegangen? Das ist ein unglaublich faszinierendes Thema. Und unmittelbar damit verbunden ist natürlich die Frage: Hat das nur hier auf diesem dritten Felsenplaneten um diesen GStern funktioniert, also auf unserer Erde? Sind wir im Universum also alleine oder macht sich dort draußen im Licht einer fernen Sonne jemand in einem Interview genau dieselben Gedanken wie wir hier? Das herauszufinden, dieser Frage nachzuspüren, finde ich unglaublich faszinierend. Das wäre mein persönlicher Favorit für eine Entdeckung, wenn wir also feststellen könnten, dass es dort draußen noch anderes Leben gibt. Wir sind auch schwer dran an dieser Frage, wie ich meine. Es gibt nämlich große Projekte hierzu. Dabei muss man sich ja zuerst einmal fragen: Wie will man das überhaupt feststellen? Wenn sich um einen Stern herum ein Planet befindet und um diesen Stern kreist, dann bringt er durch das Kreisen diesen Stern schon ein bisschen in Unruhe. Hildebrand: Das heißt, er schiebt mit seiner kleinen Schwerkraft ein wenig an diesem großen Stern. Gaßner: Genau, wenn ich ein Stern wäre und hätte hier in meiner Faust einen Planeten, dann würde er mich, wenn er um mich kreist, doch so ein bisschen in Bewegung versetzen. Diese Bewegung können wir mittels der Spektrallinien messen. Hildebrand: Selbst von der Erde aus? Denn diese Sterne mit ihren Planeten sind ja Lichtjahre entfernt. Gaßner: Wir sind so weit, dass wir einen Meter pro Sekunde Veränderung der Sternoberfläche messen können. Das ist quasi Schrittgeschwindigkeit. Was die Kollegen hier leisten, ist aus meiner Sicht wirklich unfassbar. Damit können wir also schon mal feststellen: "Aha, da ist ein Planet." Wenn wir ganz viel Glück haben, dann zieht der Planet in der direkten Sichtlinie zwischen der Erde und dieser Sonne vorbei. Das heißt, er wird dann ganz kurz eine kleine Verdunkelung herbeiführen, bis es wieder heller wird. Das ist natürlich ein Lottotreffer, wenn wir so etwas beobachten können. Hildebrand: Das ist also so etwas wie der Venustransit im Jahr 2004? Da hat man ja auch gesehen, wie dieses Pünktchen namens Venus sozusagen vor dieser Sonnenscheibe vorbeigezogen ist. Gaßner: Ganz genau. Hildebrand: Das, was Sie soeben geschildert haben, geschieht allerdings in einer Entfernung von Tausenden von Lichtjahren. Gaßner: Ja, das sind ganz andere Größenordnungen. All diese Beobachtungen führen jedenfalls dazu, dass wir Planeten finden, sogenannte Exoplaneten. Die weitere Frage ist dann: Befindet sich der Planet im richtigen Abstand zu seinem Stern? Ist er nämlich zu weit weg, ist es dort auf dem Planeten schlicht zu kalt. Ist er zu nahe dran, dann ist es dort zu heiß. Denn es sollte ja zumindest Wasser als wichtigen Bestandteil geben auf diesem Planeten. Wir haben da natürlich eine gewisse Theorie, was es alles braucht, damit Leben entstehen kann, wobei man aber selbstverständlich aufpassen muss, dass man da nicht Opfer der eigenen mangelnden Phantasie wird, denn wir nehmen nun einmal uns als Modell an. Dafür muss sich dieser Planet in einer sogenannten habitablen Zone befinden, also in einer bewohnbaren Zone. Wenn das auch noch passt und man hat das Glück des Transits, dann sieht man in dem Augenblick, in dem der Exoplanet vor dem Stern vorbeizieht, Licht, das durch die Atmosphäre dieses Planeten hindurchgeht. Hildebrand: Wenn er denn eine hat! Gaßner: Ja, wenn er eine hat. Das Licht des Sterns geht also, sofern der Planet eine Atmosphäre hat, zuerst einmal durch diese Atmosphäre hindurch, bevor es bei uns auf der Erde im Teleskop ankommt. Man kann dann natürlich diese Atmosphäre spektroskopisch untersuchen. Hildebrand: Das heißt, man sieht in diesem Licht, was in der Atmosphäre dieses Planeten drin ist. Gaßner: Genau. Da wird es dann richtig spannend. Hildebrand: Was müsste denn da drin sein, um uns einen Hinweis auf Leben auf diesem Planeten zu geben? Gaßner: Wir haben da sogenannte Biomarker wie z. B. das Ozon. Früher hatten wir auch noch Methan als Biomarker, aber da sind ... Hildebrand: Das mit dem Ozon ist ja eigentlich ein Witz, oder? Wir bekämpfen dieses Ozon bei uns, aber unter astronomischen Gesichtspunkten ist es sehr hilfreich, weil wir aufgrund des Ozons sagen können, ob es auf einem Planeten möglicherweise Leben gibt. Gaßner: Ozon, also O3, ist deshalb ein Biomarker, weil Ozon, also dieses aus drei Sauerstoffatomen bestehende Molekül, in der Atmosphäre in anderen Reaktionen sehr effektiv verbraucht wird. Wenn es also da ist, dann heißt das, dass es laufend aufgefrischt werden muss. Und wenn es laufend aufgefrischt wird, dann könnte auf diesem Planeten jemand das machen, was wir hier auf unserem Planeten machen, nämlich oxygene Photosynthese. Das heißt, da müsste irgendjemand einen Kreislauf antreiben, an dessen Ende Sauerstoff entsteht, der in die Atmosphäre kommt. Das wäre dann also ein Biomarker. Hildebrand: Gibt es noch weitere Biomarker? Gaßner: Wie gesagt, früher war Methan ein Favorit dafür, aber wir haben dann einen Planeten mit Methan gefunden, woraufhin große Euphorie herrschte, denn alle dachten, dass wir dort auch noch grasende Rinderherden als Produzenten dieses Methangases finden werden. Aber die Oberflächentemperatur auf diesem Planeten betrug dann 700 Grad Celsius und die Euphorie war schnell wieder verschwunden. Es ist auch so, dass es das große Projekt mit dem Namen "Darwin" gegeben hat: Das sollte sich speziell um diese Biomarker kümmern. Aber leider ist dieses Projekt nun aus finanziellen Gründen in der Folge der Finanzkrise seit 2008 gescheitert. Wir müssen nun wieder erdgebunden beobachten. Das ist natürlich ein bisschen komplizierter, denn wir haben hier ja unsere eigene Atmosphäre – und in der ist definitiv Ozon drin. Wir arbeiten zwar daran, aber es ist sozusagen noch Ozon drin. Hildebrand: Es geht also darum, bei dem von Ihnen soeben beschriebenen Prozess das Ozon herauszufiltern, das von unserer eigenen Atmosphäre stammt, um an das Ozon eines Exoplaneten heranzukommen. Gaßner: Das ist halt ein bisschen trickreicher, als wenn man solche Prozesse von außerhalb unserer eigenen Atmosphäre beobachten würde. Außerhalb unserer Atmosphäre ist das quasi leicht, denn da muss man keine anderen Effekte rausrechnen, da muss man nur genau beobachten. Das ist auch mit ein Grund dafür, warum man diesen großen Aufwand treibt, um solche Teleskope in die Erdumlaufbahn zu bringen. Denn unsere Atmosphäre ist erstens nicht durchlässig für jede Form von Strahlung – zum Glück. Die harte Strahlung kommt z. B. zu unser aller Vorteil nicht bei uns hier herunten auf der Erde an. Wenn man diese beobachten möchte, dann muss man dafür das Teleskop sowieso "nach draußen" bringen. Aber auch für das sichtbare Licht ist ein Teleskop wie Hubble außerhalb unserer Atmosphäre von Vorteil. Das sichtbare Licht kommt ja eigentlich zu uns durch: Klar, das ist das, was wir sehen von der Sonne. Das außerhalb befindliche Teleskop ist hier deshalb von Vorteil, weil unsere Atmosphäre diese Aufnahmen verfälscht. Das ist die Rechtfertigung dafür, diese Teleskope "nach draußen" zu bringen. Hildebrand: Lassen Sie uns noch einmal kurz einen Schritt zurückgehen. Diese Suche nach einem Exoplaneten ist ja nicht etwas, was z. B. Galileo Galilei schon gemacht hätte, sondern das ist eine sehr, sehr neue Geschichte. Ich erinnere mich noch an ganz frühe Gespräche, die ich mit Herrn Lesch hatte, und in denen er gesagt hat: "Extraterrestrisches Leben? Kommen Sie mir bloß damit nicht!" Das hat sich aber in der Zwischenzeit gewaltig verändert, es hat sich auch dieses gesamte Bild, dass wir Menschen auf unserem Planeten etwas ganz Einmaliges sind in der Galaxis, total verändert. Heute sagt man, dass es in der Galaxis sogar sehr viele Planeten gibt, Millionen von Planeten. Wie kam es denn zu dieser völlig anderen Einschätzung als noch vor 10, 15, 20 Jahren? Gaßner: Sie haben Galileo Galilei angesprochen: Der hat ja noch mit 37Millimeter-Fernrohren die Sterne beobachtet. Heute gibt es da doch ganz andere Möglichkeiten. Wir hatten mit der Kepler-Mission wirklich einen großen Durchbruch: Das war ein fünf Meter großes Teil, das wir ins Weltall geschossen haben. Dieses Weltraumteleskop hat genau diese Transits beobachtet, von denen ich vorhin gesprochen habe. Es hat 100000 Sterne gleichzeitig beobachtet und dabei auf diese Helligkeitsschwankungen geachtet. Da sind uns die Exoplaneten nur so ... Hildebrand: Die sind Ihnen geradezu reingerauscht. Gaßner: Vor dieser Mission kannten wir vielleicht 500 Exoplaneten. Alleine mit dieser Mission kamen gleich mal weitere 1000 Exoplaneten dazu. Das Faszinierende, und das ist jetzt der springende Punkt, ist, dass wir Exoplaneten gefunden haben, die extrem nah sind. Gliese 581 z. B. .. Hildebrand: Was heißt hier "nah"? Gaßner: Der Gliese ist nur 20 Lichtjahre entfernt; das ist nichts. Hildebrand: Das ist quasi in der Nachbarschaft. Gaßner: Ja, das ist wirklich unsere unmittelbare Nachbarschaft. Und er befindet sich in einer habitablen Zone. Gut, da gab es auch ein paar Probleme, denn nicht alle Planeten, die wir da vermeintlich gefunden hatten, haben dann auch wirklich existiert. Aber nichtsdestotrotz, in unserer unmittelbaren Umgebung gibt es bereits Planeten, bei denen es eigentlich sehr gut passt: Sie sind in einer habitablen Zone und es ist quasi alles gut bei denen. Wenn wir das hochskalieren, dann kommen wir auf interessante Zahlen. Wir haben nämlich aus der Kepler-Mission gelernt, dass es ungefähr um jeden fünften G-Stern – das ist die Spektralklasse unserer Sonne – einen Planeten in der habitablen Zone gibt. Sind wir mal großzügig ... Hildebrand: Mit "habitable Zone" ist die Zone gemeint, in der im Hinblick auf die Wärme Leben möglich ist. Gaßner: Genau, das ist dieser optimale Abstand zum Stern. Man muss wissen, dass drei Viertel dieser Sterne Doppelsternsysteme sind: Das ist nicht so toll, denn wenn man zwei Sterne hat, dann sind die Umlaufbahnen der Planeten sehr, sehr kompliziert. Aber selbst wenn wir diese drei Viertel aller Sterne komplett herausrechnen, kommen wir auf folgende Zahlen: Es gibt alleine in der Milchstraße 100 Millionen Sterne, drei Viertel geben wir, wie gesagt, komplett weg. Das heißt, es bleiben immer noch 25 Millionen Sterne übrig. Von diesen nehmen wir nur jeden fünften Stern, wie vorhin gesagt. Es bleiben dann immer noch fünf Millionen Sterne übrig, die einen Planeten in der habitablen Zone haben. Hildebrand: Das ist einfach nur reine Statistik. Gaßner: Ja, das ist die reine Statistik, nur auf den G-Stern bezogen. Hildebrand: Das heißt, schon aus statistischen Gründen müsste es Planeten geben, auf denen prinzipiell alle Voraussetzungen für Leben gegeben sind. Gaßner: Ja, klar. Aber das ist jetzt natürlich alles noch Kaffeesatzleserei, weil wir eben noch keinen Planeten gefunden haben, auf dem es Leben gibt. Aber das ist und bleibt doch ein statistisches Argument. Und Sie haben ja soeben Galileo Galilei angesprochen. Er war es, der gesagt hat: "Moment, wenn sich die Monde des Jupiters um den Jupiter drehen, dann kann ich das Ganze ja mal hochrechnen. Aha, dann drehen sich vielleicht überhaupt diese Gebilde im Universum um zentrale Sterne. Dann sind womöglich nicht wir das Zentrum des Universums, sondern es dreht sich alles um die Sonne." Das heißt, der Gedanke von Galilei wird hier fortgeführt, denn genau das möchte ich hier an dieser Stelle machen: Wenn es alleine hier in der Milchstraße fünf Millionen Planeten gibt, die von den Kriterien her infrage kommen, und wenn ich weiß, dass es 1011 solcher Galaxien gibt dort draußen, dann würde ich in der Tradition eines Galileo Galilei doch sagen wollen, dass es sehr vermessen ist, wenn wir Menschen auf der Erde uns als die einzigen Statthalter des Lebens begreifen. Und es war ja immer so in der Vergangenheit: Wenn einer dachte, er hätte hier etwas Exklusives im Universum, dann ist er damit furchtbar auf die Nase gefallen. Wir sind nicht der Mittelpunkt des Universums, wir sind auch nicht der Mittelpunkt unseres Sonnensystems. Wir sind der 08/15-Normalfall. Und wenn wir denken, wir hätten hier auf der Erde mit dem Leben etwas ganz Besonderes, dann wage ich die Behauptung, dass wir auch mit dieser Behauptung auf die Nase fallen. Hildebrand: Angenommen, wir haben so einen Exoplaneten gefunden und er liegt in einem halbwegs vernünftigen Beobachtungsabstand von uns – also meinetwegen in ein paar Dutzend bis ein paar Hundert Lichtjahren Entfernung –, sodass man mit dem Teleskop noch schön hinschauen und auch Details erkennen kann. Der Punkt ist dann doch der: Wir können in dessen Atmosphäre zwar feststellen, ob es dort diese Biomarker gibt, von denen Sie gesprochen haben, aber hindurchschauen durch dessen Atmosphäre können wir nicht. Das heißt, wir können eben nicht auf diese dort möglicherweise existierenden "Viecher" runterschauen und sie fotografieren. Das ist doch unser Dilemma: Wir können zwar Indikatoren finden, aber ob es dort auf diesem Planeten auch wirklich Leben gibt, wissen wir dann immer noch nicht. Gaßner: Also, die Entfernungen sind gewaltig. Es muss ja auch nicht irgendwie ein grüner Schleim sein, der dort auf so einem Planeten Photosynthese treibt. Nein, es kann ja auch sein, dass dort höher entwickelte Lebewesen existieren, höher entwickelt als wir das sind. Noch einmal: Wir Menschen dürfen uns in diesem Universum nicht zu wichtig und einmalig nehmen. Wenn man unseren Planeten von außen betrachtet, dann erhält man da sehr wohl eine Menge an Informationen. Da gibt es z. B. sehr viel Radiostrahlung und alles Mögliche. Sie müssen ja nur einmal den Planeten auf seiner Nachtseite betrachten. Sie können die Kontinente anhand der Lichter nachzeichnen, die Sie dort sehen! Hildebrand: Bei uns! Das kann man mit Blick auf die Erde so machen. Gaßner: Wir haben unseren Planeten schon fundamental verändert durch unsere Anwesenheit. Auch andere könnten also ihren Planeten, wenn es sie dort draußen gibt, entsprechend verändert haben. Hildebrand: So verändert, dass wir das von hier aus durch die Atmosphäre hindurch sehen können? Gaßner: Das ist natürlich alles Kaffeesatzleserei ... Hildebrand: Das ist klar, aber das ist alles im Bereich des physikalisch Wahrscheinlichen. Gaßner: Noch sind wir, wenn es um Exoplaneten geht, mit unseren Beobachtungen auf die Milchstraße begrenzt. Hildebrand: Das heißt, da geht es um 100000 Lichtjahre. Gaßner: Ja, das ist ja schon mal eine Ansage. Und wir hatten das große Glück, dass unsere Milchstraße eine andere Galaxie verschluckt hat, eine Zwerggalaxie. Und auch in dieser verschluckten Zwerggalaxie waren ursprünglich Exoplaneten drin. Deshalb kann man mit Fug und Recht behaupten, dass es sie auch anderswo im Universum gibt. Wie das aber genau aussieht und wie dort Leben aussehen kann, das wissen wir nicht. Auch dort wird das Leben – so glauben wir das zumindest – kohlenstoffbasiert sein. Das ist zwar ein gewisser "Chauvinismus", den wir da haben, weil wir doch selbst kohlenstoffbasierte Lebensformen sind. Der Kohlenstoff hat nämlich ganz bestimmte Eigenschaften: Er ist vierwertig, d. h. er kann vier Bindungen eingehen. Das kann ansonsten nur das Silizium und Silizium ist ... Hildebrand: Das heißt, der Kohlenstoff ist bindungswillig. Gaßner: Ja, er ist sozusagen der Partyhirsch: Er geht die meisten Bindungen ein. Silizium ist zwar auch vierwertig, baut aber nur Gitterstrukturen und keine Doppelbindungen. Das heißt, das Silizium kann nicht so leicht seinen Aggregatzustand wechseln usw. Aber das sind jetzt alles nur Details. Das Entscheidende ist aus meiner Sicht die tiefe Frage nach dem Leben im Universum. Das Universum wäre aus meiner Sicht ja armselig, wenn es dort nicht weiteres Leben gäbe. Leben ist etwas Wunderbares in diesem Universum. Hildebrand: Astrophysik ist für Sie ein Lebensthema, und zwar nicht nur deswegen, weil Sie die Frage interessiert, ob es auch noch in anderen Bereichen des Universums Leben gibt. Stattdessen geht es Ihnen, wie Sie ganz zu Beginn erklärt haben, um die spannende Frage, wie überhaupt aus diesen – möglicherweise – Kohlenstoffketten letztlich das Leben entstanden ist, und zwar nicht nur hier, sondern auch anderswo. Sie haben auch ganz persönlich Ihre Konsequenz aus diesem Wunder namens "Leben" gezogen und versuchen, dem Leben dort, wo es benachteiligt ist, eine Chance zu geben. Sie haben nämlich einen Verein gegründet, den Verein "Schritt für Schritt - Hilfe mit System e.V." Was ist das für ein Verein, was machen Sie da? Gaßner: Gegründet haben diesen Verein meine Eltern bereits vor 20 Jahren. Die Zielsetzung besteht darin, Bedürftigen zu helfen. Da werden in der Dritten Welt in Indien Krankenhäuser gebaut, Schulen gebaut und es wird der Versuch unternommen, einen Missstand zum Besseren zu wenden. Das ist aus meiner Sicht wirklich eine wunderbare Geschichte. Hildebrand: Fahren Sie auch selbst nach Indien und schauen dort nach, was mit dem Geld geschieht? Gaßner: Ich war zwar mal dort vor Ort, aber ich bin im Vergleich zu meinen Eltern und dem Aufwand, den sie betreiben, in dieser Geschichte nur ein kleines Rädchen. Ich bin zwar Gründungsmitglied gewesen und immer Schriftführer und auch immer schon zuständig für den Computer bzw. für die Computer, d. h. ich bin in dem Ganzen der Techniker, aber diese große soziale Kompetenz meiner Eltern fehlt mir leider. Als wissenschaftlicher Nerd ist es nicht so einfach, die zu entwickeln. Für mich ist es aber von Anfang an sehr, sehr faszinierend gewesen, zu lernen, was möglich ist, wenn Menschen gemeinsam an einem Strang ziehen. Denn aus diesem ganz kleinen Keim – mein Vater war vor vielen Jahren in Indien und hatte dort in einem Kinderheim diesen Missstand gesehen, obwohl er eigentlich aus einem ganz anderen Grund dorthin gereist war – ist etwas sehr Großes geworden. Damals hat er ganz spontan einfach seine Reisekasse geöffnet, weil er sich gesagt hat: "So geht's nicht weiter!" Und mit diesem Geld hat er dort die gröbsten Missstände behoben. Als er wieder zu Hause war, haben wir gemeinsam darüber nachgedacht, was man da noch mehr machen kann. So ist das Ganze entstanden, also aus einem Zufall heraus. Als ich dann selbst in Indien gewesen bin und dort vor einer großen Klinik, vor einem Kinderkrankenhaus oder vor einer Schule stand, war das schon fantastisch. Das ist real, da kann man mit dem Fuß dagegen treten: Das gibt es wirklich! Es ist absolut faszinierend, was man alles bewegen kann, wenn ein paar Dutzend Leute gewillt sind, Freizeit und auch ein bisschen Nerven und Aufwand zu investieren, um etwas zum Besseren zu wenden. Hildebrand: Aber es gehört da inzwischen eine ganze Menge mehr dazu. Sie haben es ja bereits erwähnt: Da wurden Kinderheime gebaut, Kinderkliniken, Schulen, Tagesheimstätten usw. Das sind alles Institutionen, die mit diesem Verein geschaffen wurden. Vor Ort braucht es sicher eine Menge Engagement und Kooperation – und möglicherweise auch schwierige Kooperation – mit den dortigen Autoritäten, um so etwas in Gang zu setzen und dann vor allem auch langfristig in Gang zu halten. Denn es ist ja nicht damit getan, dass man ein Gebäude dort hinstellt, sondern diese Institution muss ja auch unterhalten werden und die Leute, die dort unterrichten und pflegen, müssen bezahlt werden usw. Das heißt, das alles muss möglichst langfristig angelegt werden. Wie schaffen Sie das? Gaßner: Diese Präsenz vor Ort ist ein ganz wichtiger Punkt und deshalb sind meine Eltern gerade im Moment wieder in Indien. Sie fliegen auch immer komplett auf eigene Kosten nach Indien. Das heißt, wirklich jeder Cent – und das ist auch eine Triebfeder für das Engagement der Leute, die da mit dabei sind, und wohl auch ein Hauptgrund für den großen Erfolg dieses Vereins – wird dort in Indien konkret in ein Projekt investiert. Da gibt es keine Reibung zwischendrin. Hildebrand: Das heißt, in der Organisation dieses Vereins bleibt nichts hängen, sondern alles Geld geht nach Indien. Gaßner: Genau, selbst wenn jemand nach Indien fliegt, dann muss er das auf eigene Kosten machen. Natürlich gibt es auch immer wieder mal Probleme vor Ort und deswegen muss dann jemand dort präsent sein und sagen: "Nein, das muss hier aber schon noch mal neu geregelt werden ..." Alleine die Tatsache, dass die Leute dort wissen: "Da kommt ganz sicher jedes Jahr jemand, um nachzuschauen", führt ja schon dazu, dass die Dinge etwas besser laufen als dann, wenn das nicht der Fall wäre. Aber klar, die Verwendungskontrolle der Gelder in diesen Projekten ist wichtig. Hildebrand: Wie kommen Sie, wie kommt dieser Verein an dieses Geld? Ich habe es ja schon gesagt, dieser Verein hat mittlerweile bereits einige Einrichtungen geschaffen und unterhält sie auch immer noch. Das heißt, das kostet ja auch in Euro gerechnet einiges an Geld, das da regelmäßig fließen muss. Machen Sie das nur über das Sammeln oder gehen Sie auch an größere Sponsoren ran, von denen Sie dann entsprechend unterstützt werden? Gaßner: Der Großteil des Geldes kommt tatsächlich über Spenden, über private Spenden. Natürlich versuchen auch wir immer, mit größeren Organisationen zusammenzuarbeiten, aber ein Großteil des Geldes kommt wirklich über diese Spenden. Es gibt auch ein Patenprogramm bei uns: Es wurden bereits über 5000 Patenschaften übernommen, wodurch eben über 5000 Menschen eine Ausbildung erhalten konnten. Ich habe da auf diesem Gebiet jedenfalls schon vieles gemacht. Ich weiß nicht, ob Sie das auch kennen. Man macht im Laufe des eigenen Lebens sehr, sehr viele Dinge und hat dabei oft das Gefühl: "Ach, ich investiere hier wirklich sehr viel Zeit, betreibe sehr großen Aufwand. Ist das die Sache überhaupt wert?" Bei allem, was ich jemals für diesen Verein gemacht habe, was ich je für diese Menschen gemacht habe, um die es letztlich geht, hatte ich wirklich ausnahmslos immer das Gefühl: "Das passt! Da machst du etwas Richtiges!" Wenn ich da von dieser Arbeit nach Hause gefahren bin, hatte ich immer das Gefühl: "Gut, dass ich das jetzt gemacht habe." Das ist etwas unglaublich Positives. Mir hat mal jemand aus Indien einen Brief geschrieben, der mich wirklich sehr bewegt hat. Ich bin ja, wie gesagt, eher der Nerd und nicht so veranlagt in diesen sozialen Dingen. Das war ein ganz geradliniger Brief und deshalb hat er mich wohl auch so angesprochen. In diesem Brief stand: "Ich kenne dich nicht und du kennst mich nicht. Aber du hast mir und meiner Familie geholfen in einer Situation, in der wir nicht mehr weiter wussten. Das werde ich dir nie vergessen." Hildebrand: Herr Gaßner, wir müssen zum Ende kommen. Daran sieht man jedenfalls, wie erdverbunden die Astrophysiker auch sein können. Schön, dass Sie ins alpha-Forum gekommen sind. Das war heute bei uns im Studio der Astrophysiker Josef Martin Gaßner. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, bis zum nächsten Mal. Gaßner: Vielen Dank für die Einladung, Herr Hildebrand. © Bayerischer Rundfunk