1 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Die Angst spielt mit

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Die Angst spielt mit
Lampenfieber bei Musikern
AutorIn:
Melahat Simsek
Redaktion:
Karin Hutzler
Regie:
Andrea Leclerque
Sendung:
Donnerstag, 08.05.14 um 10.05 Uhr in SWR2
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
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MANUSKRIPT:
Atmo Geigenspiel von Brahms gespielt von Bernhard S.
Bernhard S., Berufsmusiker:
Das war wie so ein Teufelskreis, ich wollte eigentlich raus aus der ganzen Maschine,
aber ich musste weitermachen, weil ich das Geld verdienen musste. Ich konnte nicht
sagen, ich höre jetzt von heute auf morgen auf, weil ich nicht mehr kann, also es war
Burn-out hoch zehn, würde ich mal sagen. Wirklich in der Tat. Wenn man jeden Tag
aufsteht und sagt: ‘Oh Gott, muss ich schon wieder dahin, eigentlich kann ich das
nicht und ich kämpfe eigentlich so mit der Materie‘, das zehrt unwahrscheinlich an
den Kräften.
Atmo Geigenspiel von Brahms gespielt von Bernhard S.
Bernhard S.:
Mein Name ist Bernhard, ich bin 44 Jahre alt und spiele bei den Düsseldorfer
Symphonikern in den ersten Violinen, und meine Laufbahn hat begonnen in Zürich in
der Tonhalle und in München bei den Philharmonikern, und dann hat es mich 2001
nach Düsseldorf verschlagen.
Ich habe Musik studiert in Düsseldorf an der Robert Schumann Hochschule, als
kleiner Junge war ich schon an der Folkwang Hochschule in Essen, und dann bin ich
zum Schluss noch nach Freiburg an die Musikhochschule gegangen.
Atmo Shanai geht zu Frau Dr. Mahkorn ins Büro – klopfen, reingehen,
Begrüßung – Guten Tag Frau Shanai, Guten Tag Frau Dr. Mahkorn.
Freistehende Gesprächssequenz:
Dr. Mahkorn: Ist ja schön, dass das geklappt hat mit dem Termin.
Shanai: Genau, ich bin auch schon sehr gespannt. Ich bin Popsängerin, mache auch
ein bisschen Jazz, auch ein bisschen Weltmusik, auch durch meinen türkischen
Hintergrund, aber hauptsächlich Pop. Ich sag mal so: Das Bild von Lampenfieber ist:
Ich muss auf die Bühne, weil ich Fähigkeiten habe, aber ich will da eigentlich gar
nicht sein.
Dr. Mahkorn: Die Frage ist immer: Wie ist die Bewertung des Lampenfiebers?
Empfinde ich das in diesem Moment als feindselig oder empfinde ich das als
belebend und nützlich, um meine Arbeit abliefern zu können. Wie ist das denn bei
Ihnen?
Shanai: Genau, das habe ich mich nämlich dann auch gefragt, wie das bei mir ist.
Ich würde sagen: Ich habe generell kein Lampenfieber, wenn ich auf die Bühne
gehe, kann ich meine Leistung leisten. Ich bekomme zwar schwitzige Hände,
Herzrasen und einen trockenen Mund, aber es funktioniert alles, ich habe das unter
Kontrolle.
Dr. Mahkorn: Und wie lange dauert das? Das, was sie gerade beschreiben, nennen
wir Habituation, dass die Symptome da sind und dass sie irgendwann abflachen und
wegfallen.
Shanai: Es ist unterschiedlich, es kommt eben auf die Situation an. Vielleicht dazu
für Sie noch als Hintergrund – Ich habe erst mit 25 Jahren begonnen zu singen, also
vorher gab es kein Schülerchor, keine Band, keine, ich mache mit Freunden Musik
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oder so. Ich habe dann in einem Gospelchor angefangen, weil ich auch dachte, da
gehst du auch unter, ich singe zwar, das, was ich machen will, aber es hört eben
keiner, und dann wurde ich auch als Solistin ausgewählt. Alle mussten vorsingen,
weil wir Solisten brauchten im Gospelchor. Und da habe ich gesagt, ‘okay, ich
persönlich glaube nicht, dass ich besondere Fähigkeiten habe, aber wenn ich gefragt
werde, dann möchte ich diese Schritte gehen, dann möchte ich das versuchen, weil
jemand anderes mehr Potential in mir sieht, als ich das tue‘. Das hat sich jetzt über
die Jahre immer wieder so gezogen, also es gibt Aufträge, wo ich denke, oh mein
Gott, kannst Du das überhaupt machen? Und je nachdem, ob die Situation was ganz
Neues für mich ist, dann dauert dieser Zustand lange, dann kann es bis zum Schluss
des Liedes dauern.
Atmo Shanai Song beginnt bei 45“
Freistehende Gesprächssequenz:
Shanai: Und es gibt noch einen Trick, den ich gesagt bekommen hatte, und zwar
den Daumennagel in die Fingerkuppe ein bisschen reinzupressen, damit man einen
Schmerz irgendwo hinlenkt in den Körper.
Dr. Mahkorn: Damit Sie im Hier und Jetzt bleiben, das holt Sie dann zurück ins Hier
und Jetzt, Sie hören auf abzuschweifen, irgendwelche Katastrophen, die noch gar
nicht passiert sind, und der Schmerzreiz führt dazu, dass Sie wieder da ankommen,
wo Sie eigentlich sein wollen, nämlich in der Gegenwart.
Shanai: Ich habe auch eher das Gefühl, wenn ich so Herzrasen habe und so, dann
sage ich mir selber auch, ‘beruhige Dich, es gibt keine Gefahr(lacht). Du kannst das‘;
also auch mir eine Rückbestätigung gebe, das ist schon alles sicher hier, obwohl
natürlich das Herz trotzdem rast.
Dr. Mahkorn: Oft ist es so, dass man im Vorfeld ganz aufgeregt ist, und viele Leute
versuchen dann ihre Zeit zu strukturieren, indem sie ganz viele Entscheidungen
treffen: Was esse ich jetzt, was trinke ich jetzt, wann fahre ich los, welche Bahn
nehme ich? Fahre ich mit dem Auto oder mit dem Taxi? Welches Kleid ziehe ich an?
Und solange, wie man entscheidet und sich nicht so als Opfer den Ängsten hingibt,
handelt man eigentlich ganz gesund. Wer entscheidet, ist immer am Kontrollhebel,
wer schicksalsergeben die Ängste über sich ergehen lässt, ist natürlich eher belastet.
Und das was Sie erzählen ist gesund.
Atmo Probe
Shanai mit Gesang im HG anderer Song, darauf OT Mahkorn, 5„19“
Deirdre Mahkorn:
Mein Name ist Deirdre Mahkorn, ich bin 42 Jahre alt, ich bin Fachärztin für
Neurologie und Psychiatrie. Die Lampenfieberambulanz ist eigentlich mein Hobby,
die habe ich vor drei Jahren gegründet. In der Lampenfieberambulanz arbeite ich mit
Patienten, die nicht stationär sind, die eine Gesprächstherapie brauchen, die ein
bisschen Rat brauchen, weil sie mit ihren Ängsten und Anspannungen nicht
zurechtkommen.
Atmo letzter Soundcheck vor dem Konzert mit Shanai und Yassmo plus Chor –
Trommel, Shanai spricht sich mit Yassmo, Musik beginnt, Shanai singt, Shanai
gibt Anweisungen an Chor – „es gibt eine zweite Chance „– engl. – dt. Song
Second chance“
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Deirdre Mahkorn:
Als ich die Idee hatte, ging das ganz schnell, und auch dass Patienten kamen, ging
wider Erwarten sehr schnell. Und was mir rasch auffiel, ist, dass die Patienten total
dankbar sind, dass da einer sitzt, der die Werke kennt, also der weiß, wo es in der
Königinnen der Nacht Arie darauf ankommt, der aber auch die Instrumente versteht,
die Literatur kennt, die Sinfonien kennt; dass ist einfach ein privates Hobby, eine
Leidenschaft von mir. Ich habe einfach eine tiefe Liebe zur Musik, und das hat mir in
der Arbeit mit den Musikern sehr geholfen.
Atmo letzter Soundcheck vor dem Konzert mit Shanai und Yassmo plus Chor –
Trommel, Shanai spricht sich mit Yassmo, Musik beginnt, Shanai singt, Shanai
gibt Anweisungen an Chor – „es gibt eine zweite Chance „– engl. – dt. Song
Second chance“
Shanai:
Lampenfieber ist natürlich nicht wegzudenken, das wird immer noch bleiben, aber
dem einfach ein System zu geben, auch daran zu denken, dass das viele haben in
anderer Form, dass das jeder irgendwie klein oder groß für sich erlebt.
Atmo Geigenspiel Bach / Bernhard S., 1„15“
Bernhard S.:
Lampenfieber kennt jeder. Bei mir war’s tatsächlich mehr als Lampenfieber, das
englische Wort stage fright passt meines Erachtens viel besser, weil es die Sache
auf den Punkt bringt. Es ist also eine Form von Angst, die mit Lampenfieber eher so
kindlich umschrieben ist.
Wenn ich in solch einer Panik war, habe ich oftmals gedacht, oh Gott, das geht um
Leben und Tod. Obwohl es nicht real nachvollziehbar ist, dann geht’s einem so, dass
man denkt, eigentlich sterbe ich ja fast. Das ist schon Todesangst, die da produziert
wird, glaube ich.
Deirdre Mahkorn:
Das ist dieses archaische Gefühl, was wir früher gebraucht haben, um Dinosaurier zu
jagen oder ein wildes Tier zu erlegen oder wegzulaufen, damit wir nicht sterben. Und
das haben wir aber noch in uns und diese vegetativen Reaktionen hat jeder, der ein
bisschen angespannt ist. Und der Switch kommt immer dann ins Pathologische,
wenn man anfängt, diese Symptome als schädlich zu erleben, wenn man anfängt,
dem zu viel Aufmerksamkeit zu geben. Und Lampenfieber wird dann zu
Bühnenangst, wenn die ganzen pathologischen Muster sich einschleichen, vor allem
die Verhaltensmuster, dann wird es alltagsrelevant. So entstehen Blackouts, so
entstehen plötzliche Lapsus im Vortragen eines Musikstücks, dass man, obwohl man
immer auswendig gespielt hat, nicht mehr weiter weiß, weil die Konzentration im
Herzrasen ist. Und meine Patienten lernen im Grunde, den Symptomen so wenig wie
möglich Aufmerksamkeit zu schenken, während sie spielen.
Atmo Saxophon-Solo, Gesang; 2‟24”
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Danh T., Saxophonist:
Ich heiße Danh, bin 24 Jahre alt und spiele seit 1999 Saxophon. Ich habe gelernt,
das in positive Energie umzuwandeln, ich freue mich dann. Ich merke dann, dass die
Atmung etwas schneller wird, der Puls wird schneller und die Finger fangen ein
wenig an zu zittern. Aber ich freue mich, wenn ich dieses Gefühl bekomme, weil
dann merke ich, es passiert was, wenn das ausbleibt, mache ich mir Sorgen. Wenn
das Lampenfieber ist, dann freue ich mich, wenn ich Lampenfieber habe, ja, definitiv,
denn das gibt mir noch einen Extrakick.
Atmo Saxophon-Solo
Danh T., Musiker:
Also für mich ist es am Wichtigsten, den Ablauf klar zu haben, genau zu wissen, was
wann passieren soll. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das meistens den Leuten
passiert, die dazu neigen, verkopft zu denken, verkopft zu spielen. Bei mir kommt
das noch alles sehr viel aus dem Bauch, und da konnte ich mich bislang immer
darauf verlassen.
Atmo Saxophon-Solo Kreuzblende Atmo Brahms Geigenspiel sanfter
Übergang
Bernhard S.:
Ich habe gesagt, ‘oh Gott, was habe ich erreicht‘. Und das hat mich so klein gemacht
innerlich, dass ich alles andere gar nicht mehr wahrgenommen habe. Ich habe
Familie, ich habe drei Kinder, ich habe ein Haus.
Wenn ich die Familie nicht gehabt hätte und den Druck des Geldverdienenmüssens
und die Verantwortung auch für die Kinder, dann hätte ich den Beruf gewechselt.
Meine Frau ist auch Musikerin, Orchestermusikerin, die hat aber durch die Geburt
der Kinder so nicht mehr in den Job zurückgehen können. Meine Frau hat als
Bratscherin natürlich auch in der selben Materie zu tun gehabt, mit der habe ich aber
nicht drüber gesprochen über die Problematik oder ganz lange nicht, weil ich wusste,
sie hat das nicht, das Problem.
Schwierig ist es natürlich, die Gefühle komplett zu verbergen. Diese Angst vor dem
Auftritt, da spürt schon die Familie, dass der Vater oder Mann in einer
Ausnahmesituation ist. Aber wenn man nicht weiß, warum das gerade geschieht,
kann man das auch nur sehr schwer einordnen. Bei mir war irgendwann mal der
Druck so groß, dass es mir auch tagsüber, wenn ich nicht im Dienst war, dass ich
gedacht habe, mir geht es wirklich so schlecht, ich muss irgendwas unternehmen.
Das war für meine Frau auch schon ein Schock.
Also Frau Dr. Mahkorn ist für mich wirklich lebensrettend gewesen, das kann ich so
sagen. Das war für mich in einer Phase, wo ich sehr depressiv war und wirklich gar
nicht mehr wusste, wo es hinging. Sie ist allerdings nicht meine erste Therapeutin,
ich habe in meinem Leben schon alles Mögliche probiert. Ich war bei Kartenlegern,
ich war bei buddhistischen Mönchen, ich habe Therapeuten gehabt ohne Ende. Es
haben sich auch die meisten versucht, mit der Problematik auseinanderzusetzen,
aber wenn man nicht aus dem musischen Bereich kommt, ist es ganz schwer, sich
da hineinzuversetzen. Ich hatte mal Einen der sagte, ‘wenn du da im Orchester
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spielst und du merkst der rechte Arm fängt an sich zu bewegen, dann lach doch
einfach drüber und spiel weiter‘, aber das war nicht möglich.
Shanai Song live auf der Bühne, 7„02“
Shanai:
Ich beruhige mich damit, dass ich mir selber sage, dass das keine unbekannten
Situationen sind, dass ich das kenne, dass ich das schon sehr oft gemeistert habe
und dass das funktionieren wird. Also ich vertraue einfach den automatischen
Mechanismen, meinen Stimmbändern, meinem Atem und versuche immer daran zu
denken, dass hier ist etwas Freudvolles, das hat eigentlich gar keinen Raum für
Angst, und erwarte innerlich auch vielleicht Verständnis des Publikums, was es auch
meistens hat, dass wenn irgendetwas schiefläuft, dass es nicht so hart bewertet wird,
damit beruhige ich mich.
Shanai Song live
Shanai:
Es gibt auch Auftritte, wo anfangs alles entspannt ist, und dann merkt man so,
hhmm, eigentlich geht das in eine andere Richtung und dann kann es auch einen
Moment geben, wo man Herzrasen bekommt oder einen trockenen Hals. Was ich da
mache? Einfach weitermachen. Das ist ja der professionelle Teil, denn wir alle
beherrschen müssen, wir müssen uns dann unter Kontrolle halten und es natürlich
auch nicht sichtbar machen, und meistens geht’s ja dann auch wieder vorbei.
Atmo Geigenspiel Mozart
Bernhard S.:
Ich bin in einem Orchester gewesen, wo man mir das dann zum Vorwurf machte. Es
gab Kollegen, die haben gesagt, das ist eigentlich toll, dass wir mal einen sensiblen
Musiker hier sitzen haben. Und dann hat’s aber welche gegeben, die gesagt haben,
das geht doch gar nicht hier. Der kann ja gar nicht spielen. Das war eine bittere
Erfahrung. Und danach habe ich natürlich angefangen, mich einzuigeln, nach außen
hin nichts mehr preiszugeben, über diese Problematik nicht zu sprechen. Auch hin
und wieder Medikamente verschrieben bekommen, die ich einfach auch dringend
brauchte, um den Alltag überhaupt zu bewältigen. Diese Zeiten gab’s auch.
Frau Dr. Mahkorn hat angefangen, mit mir darüber zu reden, was ich eigentlich kann.
Meine Stärken aus mir rausgefiltert. Oder was ich bisher erreicht habe, weil das alles
waren so Dinge, die habe ich selber natürlich komplett verdrängt. Dass das eine
Problematik ist die ganze Existenzen bedroht, darüber wird nicht gerne gesprochen,
und man will natürlich seine Ängste nach außen hin nicht zeigen, denn das ist mit
dem, was die Industrie von uns sehen und hören will, nicht kompatibel.
OT 23, 1„05“, Deirdre Mahkorn:
Wir leben in einer Zeit, in der alles sehr beschleunigt ist, und wir Menschen sind, das
ist meine Einschätzung, immer mehr zur Ressource geworden. Es geht um
Funktionieren, es geht darum effizient zu sein, kompetent zu sein, und viele Musiker
scheuen sich, sich diese Schwäche einzugestehen, es wird ja als Schwäche
wahrgenommen, wobei es Quatsch ist, wir Menschen haben ja alle mal vor
irgendwas Angst, das ist einfach ein Grundgefühl. Was wir haben, ein archaisches
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Gefühl, jeder Mensch kennt diese unheimlich negative Emotion. Trotzdem ist es im
künstlerischen Bereich so, dass Angst als etwas wahrgenommen wird, was einem
Kompetenz wegnimmt. Wenn ich einem Kollegen gegenüber sage, dass ich Angst
habe, dann könnte ich meine Position schwächen, dann könnte der denken: ‘ach, die
ist ja gar nicht so kompetent, wieso hat sie denn die Angst? Dann ist sie vielleicht
nicht so gut.‘ Und dann kommt irgendwann der Konkurrent und nimmt einem den Job
weg. Vor dem Hintergrund ist das Tabu sehr groß.
Atmo Bernhard S. beim Geigenbauer, 30“
Bernhard S.:
Wichtig ist natürlich für mich gewesen mit Familie, dass man eine feste Anstellung
hat und ein festes Gehalt und eine gewisse Sicherheit. Also viele meiner Kollegen
sind freischaffend und müssen sich so durchschlagen, und das ist wirklich hart. Je
älter man auch wird umso schwieriger wird das. Orchesterjobs gibt es zwar in
Deutschland relativ viele, aber die Bewerberanzahl ist auch sehr groß. Bei uns in
Düsseldorf kommen bestimmt für eine Stelle hunderte Bewerber. Und dann macht
man Probespiele und so weiter, und auch die vertraglichen Bedingungen sind nicht
mehr so wie zu der Zeit, wie ich eingestiegen bin.
Atmo Geigenbauer, 56“
Deirdre Mahkorn:
Ich frage immer, ‘was wollen Sie erreichen, welche Hoffnungen haben Sie?‘ Und
einer der häufigsten Sätze war, ‘ich möchte gerne von den Betablockern weg, und
ich möchte mehr Vertrauen und möchte nicht dauernd diese Symptomkontrolle mit
den Betablockern betreiben.‘
Bernhard S.
Das absolute Musiker-Betablocker-Medikament ist Dociton. Das hält die Finger ruhig,
ich weiß nicht, wie das bei den Lippen oder bei der Zunge oder beim Singen, ob das
da auch eine Funktion hat, bei Streichern auf jeden Fall. Ganz krass ist, wenn man
Valium nimmt, da gibt es Geschichten, wo die Leute vom Stuhl gekippt sind oder
eingeschlafen sind, weil sie damit präpariert waren. Das ist dann einfach eine Form
der Angstbewältigung, die ist so schlimm, da kann man ja seinen Beruf gar nicht
mehr ausüben, also das ist einfach nicht mehr tragbar. Ich selber kenne die
Medikamente gut, ich hatte auch vielfach Situationen, wo ich gesagt habe, komm du
muss jetzt einfach gut funktionieren, da kannst du dir nichts leisten. Und ich wusste
bei einer bestimmten Dosierung, die ich auch mit dem Arzt abgesprochen hatte, dass
es für mich körperlich keine Beschwerden hat, aber ich hab natürlich schon auch
gemerkt, dass das bei mir Nebenwirkungen hervorruft, die ich nicht wollte, die mir
nicht gutgetan haben, und von daher lässt man dann auch wieder die Finger davon,
weil das einfach für den Organismus nicht gut ist.
Atmo ein Sängerkollege moderiert Shanai an, 37“
Shanai, Backstage:
Dieser Moment ist dann schon hochkonzentriert, aber auch das Wort Angst möchte
ich da schon mit reinbringen. Das wäre dann auch der Bereich des Lampenfiebers,
den ich auch als hinderlich empfinde, weil der Kopf dann erst recht dann blockiert.
Angst zu versagen, ganz klar. Dass man irgendwas eben nicht hinbekommt. Das
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muss nicht unbedingt ein Ton sein, alleine der Aufgang auf die Bühne, das ist ja
immer ganz unterschiedlich, wenn man direkt die Aufmerksamkeit hat, dann ist man
ja schon mit dem ersten Schritt, wo man auf die Bühne geht, schon präsent. Na ja,
dann fragt man sich manchmal, wie gehe ich in den neuen Schuhen oder ist das
Licht schon da. Ist mein Mikrofon an? Werde ich mich gut hören? Es gibt zwar
Soundchecks, aber in der Livesituation ist es dann doch manchmal anders, und dann
sind das so Angstmomente und der beginnt auch schon vor dem ersten Ton.
Atmo Shanai kommt auf die Bühne Applaus..Shanai legt los,
Bernhard S.:
Es hängt sicherlich sehr davon ab, wer vorne am Pult steht und dirigiert. Es hängt
auch viel von den Kollegen ab, denn man sitzt auch sehr eng, gerade bei den Geigen
oder Celli, Bratschen spielt man zu zweit aus einem Pult, also man muss ein
Teamplayer sein, man muss sich den Leuten öffnen können, man muss mit den
Kollegen ja auch harmonieren, obwohl man vielfach das Gefühl hat, auch die Musik
ist irgendwie intim, das will ich vielleicht für mich behalten oder meine Probleme nicht
nach außen tragen, die ich gerade habe. Aber wenn der Kollege dicht neben und
hinter einem sitzt, ist das natürlich ganz schwierig, auch diese Problematiken zu
kaschieren, und das setzt die Leute unter Druck, und durch die Hierarchie, die im
Orchester ist, ist es vielfach so nach oben wird gebuckelt, nach unten wird getreten.
Es gibt Dirigenten, die da auch gnadenlos sind, und ihre Leute da auch unter Druck
setzen, es gibt aber auch welche die eben Spielfreude vermitteln, wo dann einfach
die Freude am Tun, wenn man merkt, wie das Ganze klingt und funktioniert, diese
Ängste auch weggehen.
Deirdre Mahkorn:
Es ist wichtig, den Patienten dahin zu führen, dass er seinen eigenen Wert kennt,
sein eigenes Talent erkennt, seine eigenen Fähigkeiten, um sich auf sich zu
verlassen. Dann ist es wichtig zu gucken, was hat er für stilistische Werte, was
möchte der zum Ausdruck bringen, welche Kollegen schätzt er, welche nicht und
warum? Und warum macht er Dinge so, wie er sie macht? So sieht die Arbeit hier
aus. Zielvorstellungen formulieren, Angstsituationen rekonstruieren,
Verhaltensmuster abbauen, die schädlich sind, Gedankenmuster abbauen, die
schädlich sind.
Bernhard S.:
Und dann hat mir Frau Dr. Mahkorn auch mal die Abläufe aus medizinischer Sicht
erklärt, die im Körper vorgehen. Das wusste ich bis daher nicht, wie das überhaupt
alles zusammenhängt und funktioniert und was auch chemisch im Körper abgeht.
Das war für mich ein erster Schritt so quasi in die Normalität, da habe ich gewusst,
ich bin nicht irgendwie verrückt oder so, dieser Gedanke kommt natürlich auch ganz
oft, dass man nicht mehr ganz bei Trost ist, warum man das nicht in den Griff
bekommt, sondern dass das ganz natürliche Abläufe sind, die der Körper auch
anfängt selber zu steuern.
Shanai Backstage:
Das ist eigentlich immer Kopfkino, weil es ist ja so: alle um dich herum erwarten,
dass du das, was du zu leisten hast, leisten kannst, sonst wärst du nicht in dieser
Position. Man selber macht sich einfach diesen Druck, kann ich das, kann ich das
nicht; es ist immer auch eine Tagesform. Es gibt Situationen, in denen ich mich
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eigentlich sehr sicher fühle, aber eine Woche lang Schlafmangel habe, weil ich nur
unterwegs bin, meine Stimmbänder absolut trocken sind und ich deswegen denke,
‘oh mein Gott, hoffentlich hält der Körper das durch‘. Das ist auch eine Angst, die mit
dem Talent und mit der Situation erst mal gar nichts zu tun hat.
Atmo Brahms Geigenspiel gespielt von Bernhard S.
Bernhard S.:
Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich angstfrei bin, ich kann auch nicht sagen, dass
mich das überhaupt nicht mehr berührt, aber es beschäftigt mich tatsächlich in
meinem Alltag nicht mehr. Es hat Jahre gegeben, wo ich wirklich jede Minute des
Tages gegrübelt hab, wie komme ich da raus.
Ich versuche das einfach das mittlerweile auch eher in Spaß und in Lust am Spielen
umzumünzen. Denn es ist ja ein Beruf, den nun wirklich nicht viele Leute machen,
und ich merke, wenn ich mir selber zugestehe, du kannst auch einfach Spaß am
Beruf haben, dann wird das einfacher. Die Kombination aus Spaß und Lust an der
Sache, die stoppt auch das Lampenfieber.
Atmo Geigenspiel von Brahms
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