2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Die Angst spielt mit Lampenfieber bei Musikern AutorIn: Melahat Simsek Redaktion: Karin Hutzler Regie: Andrea Leclerque Sendung: Donnerstag, 08.05.14 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. 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Ich konnte nicht sagen, ich höre jetzt von heute auf morgen auf, weil ich nicht mehr kann, also es war Burn-out hoch zehn, würde ich mal sagen. Wirklich in der Tat. Wenn man jeden Tag aufsteht und sagt: ‘Oh Gott, muss ich schon wieder dahin, eigentlich kann ich das nicht und ich kämpfe eigentlich so mit der Materie‘, das zehrt unwahrscheinlich an den Kräften. Atmo Geigenspiel von Brahms gespielt von Bernhard S. Bernhard S.: Mein Name ist Bernhard, ich bin 44 Jahre alt und spiele bei den Düsseldorfer Symphonikern in den ersten Violinen, und meine Laufbahn hat begonnen in Zürich in der Tonhalle und in München bei den Philharmonikern, und dann hat es mich 2001 nach Düsseldorf verschlagen. Ich habe Musik studiert in Düsseldorf an der Robert Schumann Hochschule, als kleiner Junge war ich schon an der Folkwang Hochschule in Essen, und dann bin ich zum Schluss noch nach Freiburg an die Musikhochschule gegangen. Atmo Shanai geht zu Frau Dr. Mahkorn ins Büro – klopfen, reingehen, Begrüßung – Guten Tag Frau Shanai, Guten Tag Frau Dr. Mahkorn. Freistehende Gesprächssequenz: Dr. Mahkorn: Ist ja schön, dass das geklappt hat mit dem Termin. Shanai: Genau, ich bin auch schon sehr gespannt. Ich bin Popsängerin, mache auch ein bisschen Jazz, auch ein bisschen Weltmusik, auch durch meinen türkischen Hintergrund, aber hauptsächlich Pop. Ich sag mal so: Das Bild von Lampenfieber ist: Ich muss auf die Bühne, weil ich Fähigkeiten habe, aber ich will da eigentlich gar nicht sein. Dr. Mahkorn: Die Frage ist immer: Wie ist die Bewertung des Lampenfiebers? Empfinde ich das in diesem Moment als feindselig oder empfinde ich das als belebend und nützlich, um meine Arbeit abliefern zu können. Wie ist das denn bei Ihnen? Shanai: Genau, das habe ich mich nämlich dann auch gefragt, wie das bei mir ist. Ich würde sagen: Ich habe generell kein Lampenfieber, wenn ich auf die Bühne gehe, kann ich meine Leistung leisten. Ich bekomme zwar schwitzige Hände, Herzrasen und einen trockenen Mund, aber es funktioniert alles, ich habe das unter Kontrolle. Dr. Mahkorn: Und wie lange dauert das? Das, was sie gerade beschreiben, nennen wir Habituation, dass die Symptome da sind und dass sie irgendwann abflachen und wegfallen. Shanai: Es ist unterschiedlich, es kommt eben auf die Situation an. Vielleicht dazu für Sie noch als Hintergrund – Ich habe erst mit 25 Jahren begonnen zu singen, also vorher gab es kein Schülerchor, keine Band, keine, ich mache mit Freunden Musik 2 oder so. Ich habe dann in einem Gospelchor angefangen, weil ich auch dachte, da gehst du auch unter, ich singe zwar, das, was ich machen will, aber es hört eben keiner, und dann wurde ich auch als Solistin ausgewählt. Alle mussten vorsingen, weil wir Solisten brauchten im Gospelchor. Und da habe ich gesagt, ‘okay, ich persönlich glaube nicht, dass ich besondere Fähigkeiten habe, aber wenn ich gefragt werde, dann möchte ich diese Schritte gehen, dann möchte ich das versuchen, weil jemand anderes mehr Potential in mir sieht, als ich das tue‘. Das hat sich jetzt über die Jahre immer wieder so gezogen, also es gibt Aufträge, wo ich denke, oh mein Gott, kannst Du das überhaupt machen? Und je nachdem, ob die Situation was ganz Neues für mich ist, dann dauert dieser Zustand lange, dann kann es bis zum Schluss des Liedes dauern. Atmo Shanai Song beginnt bei 45“ Freistehende Gesprächssequenz: Shanai: Und es gibt noch einen Trick, den ich gesagt bekommen hatte, und zwar den Daumennagel in die Fingerkuppe ein bisschen reinzupressen, damit man einen Schmerz irgendwo hinlenkt in den Körper. Dr. Mahkorn: Damit Sie im Hier und Jetzt bleiben, das holt Sie dann zurück ins Hier und Jetzt, Sie hören auf abzuschweifen, irgendwelche Katastrophen, die noch gar nicht passiert sind, und der Schmerzreiz führt dazu, dass Sie wieder da ankommen, wo Sie eigentlich sein wollen, nämlich in der Gegenwart. Shanai: Ich habe auch eher das Gefühl, wenn ich so Herzrasen habe und so, dann sage ich mir selber auch, ‘beruhige Dich, es gibt keine Gefahr(lacht). Du kannst das‘; also auch mir eine Rückbestätigung gebe, das ist schon alles sicher hier, obwohl natürlich das Herz trotzdem rast. Dr. Mahkorn: Oft ist es so, dass man im Vorfeld ganz aufgeregt ist, und viele Leute versuchen dann ihre Zeit zu strukturieren, indem sie ganz viele Entscheidungen treffen: Was esse ich jetzt, was trinke ich jetzt, wann fahre ich los, welche Bahn nehme ich? Fahre ich mit dem Auto oder mit dem Taxi? Welches Kleid ziehe ich an? Und solange, wie man entscheidet und sich nicht so als Opfer den Ängsten hingibt, handelt man eigentlich ganz gesund. Wer entscheidet, ist immer am Kontrollhebel, wer schicksalsergeben die Ängste über sich ergehen lässt, ist natürlich eher belastet. Und das was Sie erzählen ist gesund. Atmo Probe Shanai mit Gesang im HG anderer Song, darauf OT Mahkorn, 5„19“ Deirdre Mahkorn: Mein Name ist Deirdre Mahkorn, ich bin 42 Jahre alt, ich bin Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie. Die Lampenfieberambulanz ist eigentlich mein Hobby, die habe ich vor drei Jahren gegründet. In der Lampenfieberambulanz arbeite ich mit Patienten, die nicht stationär sind, die eine Gesprächstherapie brauchen, die ein bisschen Rat brauchen, weil sie mit ihren Ängsten und Anspannungen nicht zurechtkommen. Atmo letzter Soundcheck vor dem Konzert mit Shanai und Yassmo plus Chor – Trommel, Shanai spricht sich mit Yassmo, Musik beginnt, Shanai singt, Shanai gibt Anweisungen an Chor – „es gibt eine zweite Chance „– engl. – dt. Song Second chance“ 3 Deirdre Mahkorn: Als ich die Idee hatte, ging das ganz schnell, und auch dass Patienten kamen, ging wider Erwarten sehr schnell. Und was mir rasch auffiel, ist, dass die Patienten total dankbar sind, dass da einer sitzt, der die Werke kennt, also der weiß, wo es in der Königinnen der Nacht Arie darauf ankommt, der aber auch die Instrumente versteht, die Literatur kennt, die Sinfonien kennt; dass ist einfach ein privates Hobby, eine Leidenschaft von mir. Ich habe einfach eine tiefe Liebe zur Musik, und das hat mir in der Arbeit mit den Musikern sehr geholfen. Atmo letzter Soundcheck vor dem Konzert mit Shanai und Yassmo plus Chor – Trommel, Shanai spricht sich mit Yassmo, Musik beginnt, Shanai singt, Shanai gibt Anweisungen an Chor – „es gibt eine zweite Chance „– engl. – dt. Song Second chance“ Shanai: Lampenfieber ist natürlich nicht wegzudenken, das wird immer noch bleiben, aber dem einfach ein System zu geben, auch daran zu denken, dass das viele haben in anderer Form, dass das jeder irgendwie klein oder groß für sich erlebt. Atmo Geigenspiel Bach / Bernhard S., 1„15“ Bernhard S.: Lampenfieber kennt jeder. Bei mir war’s tatsächlich mehr als Lampenfieber, das englische Wort stage fright passt meines Erachtens viel besser, weil es die Sache auf den Punkt bringt. Es ist also eine Form von Angst, die mit Lampenfieber eher so kindlich umschrieben ist. Wenn ich in solch einer Panik war, habe ich oftmals gedacht, oh Gott, das geht um Leben und Tod. Obwohl es nicht real nachvollziehbar ist, dann geht’s einem so, dass man denkt, eigentlich sterbe ich ja fast. Das ist schon Todesangst, die da produziert wird, glaube ich. Deirdre Mahkorn: Das ist dieses archaische Gefühl, was wir früher gebraucht haben, um Dinosaurier zu jagen oder ein wildes Tier zu erlegen oder wegzulaufen, damit wir nicht sterben. Und das haben wir aber noch in uns und diese vegetativen Reaktionen hat jeder, der ein bisschen angespannt ist. Und der Switch kommt immer dann ins Pathologische, wenn man anfängt, diese Symptome als schädlich zu erleben, wenn man anfängt, dem zu viel Aufmerksamkeit zu geben. Und Lampenfieber wird dann zu Bühnenangst, wenn die ganzen pathologischen Muster sich einschleichen, vor allem die Verhaltensmuster, dann wird es alltagsrelevant. So entstehen Blackouts, so entstehen plötzliche Lapsus im Vortragen eines Musikstücks, dass man, obwohl man immer auswendig gespielt hat, nicht mehr weiter weiß, weil die Konzentration im Herzrasen ist. Und meine Patienten lernen im Grunde, den Symptomen so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zu schenken, während sie spielen. Atmo Saxophon-Solo, Gesang; 2‟24” 4 Danh T., Saxophonist: Ich heiße Danh, bin 24 Jahre alt und spiele seit 1999 Saxophon. Ich habe gelernt, das in positive Energie umzuwandeln, ich freue mich dann. Ich merke dann, dass die Atmung etwas schneller wird, der Puls wird schneller und die Finger fangen ein wenig an zu zittern. Aber ich freue mich, wenn ich dieses Gefühl bekomme, weil dann merke ich, es passiert was, wenn das ausbleibt, mache ich mir Sorgen. Wenn das Lampenfieber ist, dann freue ich mich, wenn ich Lampenfieber habe, ja, definitiv, denn das gibt mir noch einen Extrakick. Atmo Saxophon-Solo Danh T., Musiker: Also für mich ist es am Wichtigsten, den Ablauf klar zu haben, genau zu wissen, was wann passieren soll. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das meistens den Leuten passiert, die dazu neigen, verkopft zu denken, verkopft zu spielen. Bei mir kommt das noch alles sehr viel aus dem Bauch, und da konnte ich mich bislang immer darauf verlassen. Atmo Saxophon-Solo Kreuzblende Atmo Brahms Geigenspiel sanfter Übergang Bernhard S.: Ich habe gesagt, ‘oh Gott, was habe ich erreicht‘. Und das hat mich so klein gemacht innerlich, dass ich alles andere gar nicht mehr wahrgenommen habe. Ich habe Familie, ich habe drei Kinder, ich habe ein Haus. Wenn ich die Familie nicht gehabt hätte und den Druck des Geldverdienenmüssens und die Verantwortung auch für die Kinder, dann hätte ich den Beruf gewechselt. Meine Frau ist auch Musikerin, Orchestermusikerin, die hat aber durch die Geburt der Kinder so nicht mehr in den Job zurückgehen können. Meine Frau hat als Bratscherin natürlich auch in der selben Materie zu tun gehabt, mit der habe ich aber nicht drüber gesprochen über die Problematik oder ganz lange nicht, weil ich wusste, sie hat das nicht, das Problem. Schwierig ist es natürlich, die Gefühle komplett zu verbergen. Diese Angst vor dem Auftritt, da spürt schon die Familie, dass der Vater oder Mann in einer Ausnahmesituation ist. Aber wenn man nicht weiß, warum das gerade geschieht, kann man das auch nur sehr schwer einordnen. Bei mir war irgendwann mal der Druck so groß, dass es mir auch tagsüber, wenn ich nicht im Dienst war, dass ich gedacht habe, mir geht es wirklich so schlecht, ich muss irgendwas unternehmen. Das war für meine Frau auch schon ein Schock. Also Frau Dr. Mahkorn ist für mich wirklich lebensrettend gewesen, das kann ich so sagen. Das war für mich in einer Phase, wo ich sehr depressiv war und wirklich gar nicht mehr wusste, wo es hinging. Sie ist allerdings nicht meine erste Therapeutin, ich habe in meinem Leben schon alles Mögliche probiert. Ich war bei Kartenlegern, ich war bei buddhistischen Mönchen, ich habe Therapeuten gehabt ohne Ende. Es haben sich auch die meisten versucht, mit der Problematik auseinanderzusetzen, aber wenn man nicht aus dem musischen Bereich kommt, ist es ganz schwer, sich da hineinzuversetzen. Ich hatte mal Einen der sagte, ‘wenn du da im Orchester 5 spielst und du merkst der rechte Arm fängt an sich zu bewegen, dann lach doch einfach drüber und spiel weiter‘, aber das war nicht möglich. Shanai Song live auf der Bühne, 7„02“ Shanai: Ich beruhige mich damit, dass ich mir selber sage, dass das keine unbekannten Situationen sind, dass ich das kenne, dass ich das schon sehr oft gemeistert habe und dass das funktionieren wird. Also ich vertraue einfach den automatischen Mechanismen, meinen Stimmbändern, meinem Atem und versuche immer daran zu denken, dass hier ist etwas Freudvolles, das hat eigentlich gar keinen Raum für Angst, und erwarte innerlich auch vielleicht Verständnis des Publikums, was es auch meistens hat, dass wenn irgendetwas schiefläuft, dass es nicht so hart bewertet wird, damit beruhige ich mich. Shanai Song live Shanai: Es gibt auch Auftritte, wo anfangs alles entspannt ist, und dann merkt man so, hhmm, eigentlich geht das in eine andere Richtung und dann kann es auch einen Moment geben, wo man Herzrasen bekommt oder einen trockenen Hals. Was ich da mache? Einfach weitermachen. Das ist ja der professionelle Teil, denn wir alle beherrschen müssen, wir müssen uns dann unter Kontrolle halten und es natürlich auch nicht sichtbar machen, und meistens geht’s ja dann auch wieder vorbei. Atmo Geigenspiel Mozart Bernhard S.: Ich bin in einem Orchester gewesen, wo man mir das dann zum Vorwurf machte. Es gab Kollegen, die haben gesagt, das ist eigentlich toll, dass wir mal einen sensiblen Musiker hier sitzen haben. Und dann hat’s aber welche gegeben, die gesagt haben, das geht doch gar nicht hier. Der kann ja gar nicht spielen. Das war eine bittere Erfahrung. Und danach habe ich natürlich angefangen, mich einzuigeln, nach außen hin nichts mehr preiszugeben, über diese Problematik nicht zu sprechen. Auch hin und wieder Medikamente verschrieben bekommen, die ich einfach auch dringend brauchte, um den Alltag überhaupt zu bewältigen. Diese Zeiten gab’s auch. Frau Dr. Mahkorn hat angefangen, mit mir darüber zu reden, was ich eigentlich kann. Meine Stärken aus mir rausgefiltert. Oder was ich bisher erreicht habe, weil das alles waren so Dinge, die habe ich selber natürlich komplett verdrängt. Dass das eine Problematik ist die ganze Existenzen bedroht, darüber wird nicht gerne gesprochen, und man will natürlich seine Ängste nach außen hin nicht zeigen, denn das ist mit dem, was die Industrie von uns sehen und hören will, nicht kompatibel. OT 23, 1„05“, Deirdre Mahkorn: Wir leben in einer Zeit, in der alles sehr beschleunigt ist, und wir Menschen sind, das ist meine Einschätzung, immer mehr zur Ressource geworden. Es geht um Funktionieren, es geht darum effizient zu sein, kompetent zu sein, und viele Musiker scheuen sich, sich diese Schwäche einzugestehen, es wird ja als Schwäche wahrgenommen, wobei es Quatsch ist, wir Menschen haben ja alle mal vor irgendwas Angst, das ist einfach ein Grundgefühl. Was wir haben, ein archaisches 6 Gefühl, jeder Mensch kennt diese unheimlich negative Emotion. Trotzdem ist es im künstlerischen Bereich so, dass Angst als etwas wahrgenommen wird, was einem Kompetenz wegnimmt. Wenn ich einem Kollegen gegenüber sage, dass ich Angst habe, dann könnte ich meine Position schwächen, dann könnte der denken: ‘ach, die ist ja gar nicht so kompetent, wieso hat sie denn die Angst? Dann ist sie vielleicht nicht so gut.‘ Und dann kommt irgendwann der Konkurrent und nimmt einem den Job weg. Vor dem Hintergrund ist das Tabu sehr groß. Atmo Bernhard S. beim Geigenbauer, 30“ Bernhard S.: Wichtig ist natürlich für mich gewesen mit Familie, dass man eine feste Anstellung hat und ein festes Gehalt und eine gewisse Sicherheit. Also viele meiner Kollegen sind freischaffend und müssen sich so durchschlagen, und das ist wirklich hart. Je älter man auch wird umso schwieriger wird das. Orchesterjobs gibt es zwar in Deutschland relativ viele, aber die Bewerberanzahl ist auch sehr groß. Bei uns in Düsseldorf kommen bestimmt für eine Stelle hunderte Bewerber. Und dann macht man Probespiele und so weiter, und auch die vertraglichen Bedingungen sind nicht mehr so wie zu der Zeit, wie ich eingestiegen bin. Atmo Geigenbauer, 56“ Deirdre Mahkorn: Ich frage immer, ‘was wollen Sie erreichen, welche Hoffnungen haben Sie?‘ Und einer der häufigsten Sätze war, ‘ich möchte gerne von den Betablockern weg, und ich möchte mehr Vertrauen und möchte nicht dauernd diese Symptomkontrolle mit den Betablockern betreiben.‘ Bernhard S. Das absolute Musiker-Betablocker-Medikament ist Dociton. Das hält die Finger ruhig, ich weiß nicht, wie das bei den Lippen oder bei der Zunge oder beim Singen, ob das da auch eine Funktion hat, bei Streichern auf jeden Fall. Ganz krass ist, wenn man Valium nimmt, da gibt es Geschichten, wo die Leute vom Stuhl gekippt sind oder eingeschlafen sind, weil sie damit präpariert waren. Das ist dann einfach eine Form der Angstbewältigung, die ist so schlimm, da kann man ja seinen Beruf gar nicht mehr ausüben, also das ist einfach nicht mehr tragbar. Ich selber kenne die Medikamente gut, ich hatte auch vielfach Situationen, wo ich gesagt habe, komm du muss jetzt einfach gut funktionieren, da kannst du dir nichts leisten. Und ich wusste bei einer bestimmten Dosierung, die ich auch mit dem Arzt abgesprochen hatte, dass es für mich körperlich keine Beschwerden hat, aber ich hab natürlich schon auch gemerkt, dass das bei mir Nebenwirkungen hervorruft, die ich nicht wollte, die mir nicht gutgetan haben, und von daher lässt man dann auch wieder die Finger davon, weil das einfach für den Organismus nicht gut ist. Atmo ein Sängerkollege moderiert Shanai an, 37“ Shanai, Backstage: Dieser Moment ist dann schon hochkonzentriert, aber auch das Wort Angst möchte ich da schon mit reinbringen. Das wäre dann auch der Bereich des Lampenfiebers, den ich auch als hinderlich empfinde, weil der Kopf dann erst recht dann blockiert. Angst zu versagen, ganz klar. Dass man irgendwas eben nicht hinbekommt. Das 7 muss nicht unbedingt ein Ton sein, alleine der Aufgang auf die Bühne, das ist ja immer ganz unterschiedlich, wenn man direkt die Aufmerksamkeit hat, dann ist man ja schon mit dem ersten Schritt, wo man auf die Bühne geht, schon präsent. Na ja, dann fragt man sich manchmal, wie gehe ich in den neuen Schuhen oder ist das Licht schon da. Ist mein Mikrofon an? Werde ich mich gut hören? Es gibt zwar Soundchecks, aber in der Livesituation ist es dann doch manchmal anders, und dann sind das so Angstmomente und der beginnt auch schon vor dem ersten Ton. Atmo Shanai kommt auf die Bühne Applaus..Shanai legt los, Bernhard S.: Es hängt sicherlich sehr davon ab, wer vorne am Pult steht und dirigiert. Es hängt auch viel von den Kollegen ab, denn man sitzt auch sehr eng, gerade bei den Geigen oder Celli, Bratschen spielt man zu zweit aus einem Pult, also man muss ein Teamplayer sein, man muss sich den Leuten öffnen können, man muss mit den Kollegen ja auch harmonieren, obwohl man vielfach das Gefühl hat, auch die Musik ist irgendwie intim, das will ich vielleicht für mich behalten oder meine Probleme nicht nach außen tragen, die ich gerade habe. Aber wenn der Kollege dicht neben und hinter einem sitzt, ist das natürlich ganz schwierig, auch diese Problematiken zu kaschieren, und das setzt die Leute unter Druck, und durch die Hierarchie, die im Orchester ist, ist es vielfach so nach oben wird gebuckelt, nach unten wird getreten. Es gibt Dirigenten, die da auch gnadenlos sind, und ihre Leute da auch unter Druck setzen, es gibt aber auch welche die eben Spielfreude vermitteln, wo dann einfach die Freude am Tun, wenn man merkt, wie das Ganze klingt und funktioniert, diese Ängste auch weggehen. Deirdre Mahkorn: Es ist wichtig, den Patienten dahin zu führen, dass er seinen eigenen Wert kennt, sein eigenes Talent erkennt, seine eigenen Fähigkeiten, um sich auf sich zu verlassen. Dann ist es wichtig zu gucken, was hat er für stilistische Werte, was möchte der zum Ausdruck bringen, welche Kollegen schätzt er, welche nicht und warum? Und warum macht er Dinge so, wie er sie macht? So sieht die Arbeit hier aus. Zielvorstellungen formulieren, Angstsituationen rekonstruieren, Verhaltensmuster abbauen, die schädlich sind, Gedankenmuster abbauen, die schädlich sind. Bernhard S.: Und dann hat mir Frau Dr. Mahkorn auch mal die Abläufe aus medizinischer Sicht erklärt, die im Körper vorgehen. Das wusste ich bis daher nicht, wie das überhaupt alles zusammenhängt und funktioniert und was auch chemisch im Körper abgeht. Das war für mich ein erster Schritt so quasi in die Normalität, da habe ich gewusst, ich bin nicht irgendwie verrückt oder so, dieser Gedanke kommt natürlich auch ganz oft, dass man nicht mehr ganz bei Trost ist, warum man das nicht in den Griff bekommt, sondern dass das ganz natürliche Abläufe sind, die der Körper auch anfängt selber zu steuern. Shanai Backstage: Das ist eigentlich immer Kopfkino, weil es ist ja so: alle um dich herum erwarten, dass du das, was du zu leisten hast, leisten kannst, sonst wärst du nicht in dieser Position. Man selber macht sich einfach diesen Druck, kann ich das, kann ich das nicht; es ist immer auch eine Tagesform. Es gibt Situationen, in denen ich mich 8 eigentlich sehr sicher fühle, aber eine Woche lang Schlafmangel habe, weil ich nur unterwegs bin, meine Stimmbänder absolut trocken sind und ich deswegen denke, ‘oh mein Gott, hoffentlich hält der Körper das durch‘. Das ist auch eine Angst, die mit dem Talent und mit der Situation erst mal gar nichts zu tun hat. Atmo Brahms Geigenspiel gespielt von Bernhard S. Bernhard S.: Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich angstfrei bin, ich kann auch nicht sagen, dass mich das überhaupt nicht mehr berührt, aber es beschäftigt mich tatsächlich in meinem Alltag nicht mehr. Es hat Jahre gegeben, wo ich wirklich jede Minute des Tages gegrübelt hab, wie komme ich da raus. Ich versuche das einfach das mittlerweile auch eher in Spaß und in Lust am Spielen umzumünzen. Denn es ist ja ein Beruf, den nun wirklich nicht viele Leute machen, und ich merke, wenn ich mir selber zugestehe, du kannst auch einfach Spaß am Beruf haben, dann wird das einfacher. Die Kombination aus Spaß und Lust an der Sache, die stoppt auch das Lampenfieber. Atmo Geigenspiel von Brahms 9