SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Musikstunde mit Ulla Zierau „O Woche, Zeugin heiliger Beschwerden“ Kreuz und Leben - Musik zur Karzeit (4) Sendung: Donnerstag, 09. April 2009, 9.05 - 10.00 Uhr Redaktion: Martin Roth Manuskript ____________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Einen Mitschnitt dieser Sendung können Sie bestellen unter der Telefonnummer 07221 / 929-6030 ___________________________________________________________________________ 1 Musikstunde mit Ulla Zierau, Donnerstag, 9. April 2009 „O Woche, Zeugin heiliger Beschwerde“ Musik zur Karzeit (4) Kreuz und Leben Zwei sich rechtwinklig schneidende Linien ergeben ein Kreuz, ein uraltes Symbol für die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Die horizontale Linie steht symbolisch für die Erde, die vertikale für den Himmel. Das Kreuz weist in die vier Himmelsrichtungen. Außerdem teilt das Kreuz einen Kreis, Sinnbild für die Vollkommenheit in vier gleichgroße Teile. Schon im alten Ägypten verbildlichte das Kreuz die vier Säulen, die das Himmelsgewölbe stützen. In der indianischen Kultur diente das Kreuz zu symbolischen Sonnendarstellungen, auch in indischen und europäischen Höhlenmalereien hat man Kreuzeichen entdeckt Wahrscheinlich geht der Symbol-Charakter bis in die Steinzeit zurück, als abstraktes Zeichen der Zahl vier. Für Christen gehört das Kreuz zu den frühen Symbolen ihrer Religion. Bereits im 2. und 3. Jahrhundert gab es die ersten Darstellungen des Gekreuzigten. 431 wurde das Kreuz durch das Konzil von Ephesos offiziell als christliches Zeichen eingeführt. Seither ist es das zentrale Symbol und Erkennungszeichen des christlichen Glaubens. Musik I Anonymus: Introitus Nos autem nach Texten des Apostel Paulus Frauenschola Exsulta Sion Freiburg Leitung: Christoph Hönerlage CD CHR 77299 LC 00612 Take 2 4’56 „Uns jedoch geziemt es, dass wir uns im Kreuz unseres Herrn Jesus Christus rühmen, in dem Heil, Leben und unsere Auferstehung ist, durch das wir erlöst und befreit werden“. Gregorianischer Gesang nach Texten des Apostels Paulus. Christoph Hönerlage leitete die Frauenschola Exsulta Sion Freiburg. 2 Das Kreuz steht im Christentum für den Opfertod Jesu, für Schuld und Sühnung, es ist Metapher für eine Bürde, aber auch für Frieden, Erlösung, für Liebe und Leben. Der vertikale Balken steht für die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Der horizontale Balken des Kreuzes verbindet die Menschen untereinander. Bei den Kreuzesdarstellungen gibt es unterschiedliche Ausführungen. Als typisch christliches Kreuz gilt das lateinische oder Passionskreuz. Der Längsbalken ist länger als der oberhalb seiner Mitte kreuzende Querbalken. Beim griechischen Kreuz schneiden sich die beiden gleichlangen Balken mittig. Auffallend ist auch das Kreuz der russisch-orthodoxen Kirche. Es hat insgesamt drei Querbalken. Der obere kurze soll die Inschrift des Kreuzes nachbilden, darunter folgt der längere und unten dann noch mal ein schräg nach links abfallender kurzer Querbalken, er symbolisiert den Übergang von der Hölle in den Himmel. Die ersten Kreuzritter steckten im 11. Jahrhundert auf ihrem Weg ins Heilige Land immer wieder Kreuze in den Boden, um ihren Weg und ihre Eroberung mit dem Symbol der Christen zu markieren. Auch in der Anthologie mittelalterlicher Lieder, der Carmina burana sind Kreuzzugslieder enthalten, so das Crucifigat omnes, in dem die Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem beklagt wird. Musik II: Anonym: Carmina burana, Crucifigat omnes, CB 47 Clemencic-Consort M0-117514 007 2’07 3 Crucifigat omnes aus der mittelalterlichen Liedersammlung Carmina burana mit dem Clemencic Consort, ein Kreuzzugslied, in dem zum Kampf gegen die Zerstörung Jerusalems und der Grabeskirche aufgerufen wird. Seit jeher gilt die Grabeskirche in Jerusalem, laut Überlieferung Ort der Kreuzigung und Ruhestätte Jesu, als das größte Heiligtum des Christentums. Von den orthodoxen Christen wird die Kirche übrigens Auferstehungskirche genannt. Viele armenische und griechische Bewohner von Jerusalem verbringen die Nacht von Karfreitag auf Samstag zusammen mit angereisten Pilgern in der verschlossenen Grabeskirche, andere kommen in den frühen Morgenstunden mit Klappstühlen und Kissen und warten stundenlang auf die Entfachung des Osterfeuers. Erst zieht der armenische Patriarch, dann der griechische in die Grabeskirche ein und sie ziehen dann um das heilige Grab. Höhepunkt der Feierlichkeit ist die Entzündung der Kerzen, wie ein Lauffeuer verbreitet sich das Osterlicht unter den Gläubigen und die Kirche steht bald in einem Flammenmeer, kein ungefährliches Unterfangen. Musik III Johann Sebastian Bach: Christ lag in Todesbanden, Choralvorspiel BWV 625 / Roloff, Elisabeth (Karl-Schuke-Orgel) M0-082773 015 1’17 Elisabeth Roloff spielte an der Karl-Schuke-Orgel in der Grabeskirche in Jerusalem das Choralvorspiel „Christ lag in Todesbanden“ von Johann Sebastian Bach. Eine spanische Nonne berichtet über den Karfreitag in Jerusalem: Die Feier beginnt mit einem Frühgottesdienst am Kreuz. Nun wird für den Bischof der Stuhl in Golgatha hinter das Kreuz gestellt. Davor steht ein mit Linnen bedeckter Tisch, darum herum stehen die Diakonen. Jetzt wird ein silbernes, vergoldetes Kästchen gebracht, worin das heilige Kreuzesholz sich befindet. Es wird geöffnet, das Kreuzholz herausgenommen und nebst der Aufschrift auf den Tisch gelegt. Nun geht das ganze Volk vorüber, einer nach dem anderen, alle verneigen sich, berühren mit der Stirn und dann mit den Augen das Kreuz und die Inschrift, küssen das Kreuz und gehen weiter, mit der Hand aber berührt es niemand. Komm süßes Kreuz4 Musik IV Bach: Matthäus Passion, Komm süßes Kreuz Hauptmann, Cornelius / English Baroque Soloists / John Eliot Gardiner M0-066642 W00 057 6’05 Komm süßes Kreuz, Arie aus der Matthäus-Passion. Cornlius Hauptmann und the English Baroque Soloists. Dirigent: John Eliot Gardiner. In Anlehnung an die Feiern in der Grabeskirche in Jerusalem wurde später auch in Rom an Karfreitag eine Kreuzesreliquie durch die Stadt getragen. In den Gedenkfeiern an Jesu Todestag wird die Geschichte der Kreuzigung gelesen, das abgedeckte Kreuz durch die Kirche getragen und dann auf dem Altar enthüllt. Die Gläubigen ziehen am Kreuz vorbei, verbeugen sich, knien nieder oder küssen es. Nach der Kreuzesverehrung am Karfreitag wird der Altar wird abgedeckt. Hier ein Gesang zur Verehrung des Kreuze aus der russisch-orthodoxen Liturgie. Musik V P. Gontscharow: „Vor Deinem Kreuz“ Gesang bei der Verehrung des Kreuzes Männerstimmen des Moskauer Kathedralchor / Victor Popow M0-094734 014 1’40 „Vor deinem Kreuz“, Gesang aus der russisch-orthodoxen Verehrung des Kreuzes. Victor Popow leitete die Männerstimmen des Moskauer Kathedralchors. Das christliche Symbol des Kreuzes findet man auch in manchen Notentexten und Partituren wieder. Berühmtes, viel zitiertes Beispiel ist das B-A-C-H Motiv, das Bach und viele nach ihm verwendet haben. Wenn man die erste und letzte Note verbindet also b und h und die mittleren a und c, so entsteht ein flaches Kreuz. Musikalisch klingt das so: Musik Va Johann Georg Albrechtsberger, Fuge über B-A-C-H Felix Friedrich, (Hildebrandt-Orgel) M0-121218 009 009 0’05 5 Das war der Anfang der Fuge über B-A-C-H von Johann Georg Albrechtsberger, der immerhin neben Mendelssohn, Händel und Haydn in diesem Jahr auch einen Gedenktag hat, vor 200 Jahren ist er knapp drei Monate vor Haydn in Wien gestorben. Felix Friedrich spielt jetzt die ganze Fuge Albrechtsbergers über B-A-C-H. Musik VI Johann Georg Albrechtsberger, Fuge über B-A-C-H Felix Friedrich, (Hildebrandt-Orgel) M0-121218 009 009 3’59 Johann Georg Albrechtsberger, Fuge über B-A-C-H, gespielt von Felix Friedrich. Viele Komponisten haben seither dieses Motiv als Reminiszenz oder Hommage an Bach verwendet, einer der ersten war Jean Philipp Rameau, prominent unter ihnen dann Mozart in einer kleinen Gigue, Schumann, Liszt, Schönberg, Webern, Busoni, Poulenc hat sogar einen Walzer darüber geschrieben bis hin in die neuste Zeit zu Arvo Pärt. In seiner Collage über B-A-C-H stellt Pärt avantgardistische Abschnitte Zitaten und Stilkopien älterer Musik gegenüber, was zu wilden Kontrasten führt, wir hören die Sarabande daraus. Musik VII Arvo Pärt: Collage über B-A-C-H, Sarabande Ulster Orchestra / Yuasa, Takuo M0-044677 W02 021 3’07 Das Ulster Orchestra unter der Leitung von Yuasa, Takuo mit der Sarabande aus der Collage über B-A-C-H von Arvo Pärt. Bach verwendet das musikalische Kreuzsymbol häufig als christliches Symbol in seinen Passionen, nicht nur aus den vier Buchstaben seines Namens, sondern auch mit anderen Noten, die jeweils zwei und zwei verbunden ein Kreuz ergeben. Ein Kreuz in der Notenschrift, das man sehen, aber nicht hören kann. Das musikalische Kreuzsymbol ist rein optisch, nicht akustisch wahrnehmbar und heißt deswegen auch Augenmusik. Wir finden Kreuzmotive bei Bach im Eröffnungschor der Johannespassion und auch in der Arie „Blute nur, du liebes Herz“ aus der Matthäus Passion, hier ergibt das Blutstopfenmotiv ein Kreuz, wenn man die beiden äußeren und die beiden inneren Noten miteinander verbindet. Das Blut hört man tropfen, die kleine Kreuzfigur hört man nicht. 6 Musik VIII J.S.Bach: Matthäus Passion, Blute nur Dorothea Röschmann, Sopran Concentus musicus Wien / Nikolaus Harnoncourt CD Teldec, 8573 81036-2 1. CD, Take 8 4’37 Sie Sopranarie „Blute nur, du liebes Herz“ aus der Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach mit Dorothea Röschmann und dem Concentus musicus Wien unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Georg Philipp Telemann lässt in seiner Brockes Passion auf den Tod Jesu und seinen Ausruf „Es ist vollbracht“ keine Stille, keine Generalpause folgen, sondern ein heftiges Donnerwetter, ein aufbrausendes Terzett mit zwei Sopranistinnen und einer Mezzosopranistin. Wilde Streicherstaccato-Wiederholungen treiben die Dramatik voran und wenn der Teufel ins Spiel kommt, versprüht auch die Musik eine diabolische Atmosphäre. Die Stimmen verfallen beinahe in einen dramatischen Sprechgesang. Das Terzett schließt dann hauchzart im apotheotischen „Es ist vollbracht“, bevor die Erlöser-Arie der Passion eine Wendung gibt. Musik IX G.Ph. Telemann: Brockes-Passion, Terzett Brigitte Christensen, Maria Lydia Teuscher, Sopran, Marie-Claude Chappuis, Mezzo, Donat Havar, Tenor Akademie für Alte Musik / René Jacobs CD harmonia mundi 902013.14 2. CD, Take 23 + 24 2’34 +3’49 7 Terzett und Arie „O seligs Wort“ aus der Brockes Passion von Georg Philipp Telemann. Die Solisten waren Brigitte Christensen, Maria Lydia Teuscher, Sopran, Marie-Claude Chappuis, Mezzo und Donat Havar, Tenor. René Jacobs leitete die Akademie für Alte Musik in dieser gerade neu erschienen Aufnahme. Ignaz Joseph Biber hat in 15 Sonaten die Mysterien oder Meditationen über das Leben Christi und der Jungfrau Maria in Töne gefasst. Weil der Zyklus oft bei den traditionellen Rosenkranzandachten im September oder Oktober gespielt wurde, heißen die Sonaten auch Rosenkranz-Sonaten. Wahrscheinlich hat Biber den Zyklus um 1676 komponiert, sicher nicht in einem Schwung. Einzelne Sonaten sind zur Karzeit und Ostern entstanden, andere zu politischen Ereignissen. Sie wurde dann später von Biber zu Rosenkranz Sonaten umfunktioniert. Das besondere an diesen Sonaten ist, dass Biber eine Scordatura verwendet, das heißt eine Umstimmung der Geige. Das Instrument ist nicht auf die übliche Saitenfolge g-d'-a'-e' gestimmt, sondern mal tiefer, mal höher, und dabei klingt es mal zurückhaltender, gedämpfter, mal heller und offener. Das ermöglicht technische Raffinessen, aber vor allem unterschiedliche Klangfärbungen. Für den Geiger eine Herausforderung, denn Notenbild und Klang stimmen nicht mehr überein. Ein gespieltes a muss nicht unbedingt wie ein a klingen, ein Lauf nach oben, geht in Wirklichkeit klanglich nach unten oder ändert mittendrin seine Richtung. Welche Experimentierfreude muss das beim Komponisten freigesetzt haben. Die fünf Passions-Mysterien fordern alle hörbar dissonant gestimmte Geigen. Dadurch wird die Musik dunkler, unheimlicher, spannungsgeladener. Im Präludium der Kreuzigungssonate hört man das Hämmern der Nägel ins Kreuz. Die Saiten der historischen Geige von Maya Homburger sind in g-d-a-d gestimmt. Musik X Heinrich Ignaz Franz Biber: Sonate Nr.10 in g-Moll (Die Kreuzigung), Präludium / Maya Homburger, Violine und Camerata Kilkenny M0-082583 W09 025 1’26 8 Maya Homburger, Violine und die Camerata Kilkenny mit dem Präludium aus der Sonate Nr.10 in g-Moll „Die Kreuzigung“ von Heinrich Ignaz Franz Biber Beenden möchte ich diese Musikstunden zur „Woche, Zeugin heiliger Beschwerde“ mit dem fast operndramatischen Oratorium La Resurrezione“ von Georg Friedrich Händel, komponiert für Privataufführungen in römischen Palästen an Ostern des Jahres 1708. Wir hören nicht die leibhaftige Auferstehung, sondern ganz bewusst noch in der Karwoche eine Arie aus dem Anfang des Oratoriums. Nach der Kreuzigung Christi glaubt Luzifer über Gott gesiegt zu haben. Endlich scheint seine Rache über den Sturz aus dem Himmel vollzogen. Doch da tut sich die Hölle auf und Licht und Jubel dringen ein. Nicht etwa um Luzifers Ruhm zu verherrlichen, sondern der lichte Engel verkündet den Sieg Christi über den Tod. Am Ostermontagabend haben Sie Gelegenheit das Oratorium ganz zu hören in SWR 2, ab 20.03 Uhr, hier schmettert vorab Cecilia Bartoli die Arie des Engels, verständlicherweise wird dem Teufel da angst und bange. Musik XI Georg Philipp Händel: La Resurrezione, Arie des Engels Cecila Bartoli, Les Musiciens du Louvre / Marc Minkowski M0-046500 014 4’40 9 „O Woche, Zeugin heiliger Beschwerde“, die Musikstunde zur Karzeit mit Ulla Zierau. Zuletzt hörten Sie Cecila Bartoli als Engel in der ersten Arie aus Georg Friedrich Händels Oratorium „La Resurrezione“. Marc Minkowski leitete Les Musiciens du Louvre. Morgen an Karfreitag gibt es keine Musikstunde und am Samstag erwartet Sie Katharina Eickhoff zur Rätselstunde rund um Georg Friedrich Händel. Falls Sie an einem CD-Mitschnitt einer der Musikstunden interessiert sind, wenden Sie sich bitte telefonisch an die SWR Media GmbH unter der Service-Nummer: 07221 / 929 - 60 30. Und wenn Sie Musiktitel recherchieren oder das Manuskript der Musikstunde nachlesen möchten, dann besuchen Sie doch unsere Internetseiten unter www.swr2.de/Musikstunde 10