Wie entwirft man ein - Spektrum der Wissenschaft

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Welt der Wissenschaft: GroSSteleskope
Wie entwirft man ein
Radioteleskop?
Die Geschichte der Homologie
Die Leistungsfähigkeit eines großen Radioteleskops hängt entscheidend von der Güte
des Reflektors ab. Doch wie lässt sich erreichen, dass die viele hundert Quadratmeter
große Fläche stets exakt ihre Form behält – und zwar unabhängig von der Ausrichtung
des Teleskops? Die Strukturmechanik trägt wesentlich zur Lösung des Problems bei.
Von Hans Jürgen Kärcher
In Kürze
ó Die Sollform großer RadiowellenReflektoren wird dann optimal
erreicht und eingehalten, wenn
T
eleskopgestützte optische Astro-
Ein Radioteleskop hat die Abmes-
nomie gibt es, seit Galilei vor
sungen eines großen Gebäudes oder einer
etwa 400 Jahren erstmals sein
Brücke, und zusätzlich muss es sich auch
Fernrohr an den Himmel richte-
noch um zwei Achsen drehen. Als Bernard
te. Radio-Astronomie gibt es dagegen erst,
Lovell kurz nach dem Zweiten Weltkrieg
seit Karl Jansky und Grote Reber vor etwa
begann, seine Vision eines etwa 70 Meter
alle Auflagerpunkte homolog sind,
80 Jahren in den USA die ersten Radiotele-
großen Parabolspiegels zu entwickeln,
das heißt, wenn sie sich hinsicht-
skope bauten. Die in der Radioastronomie
setzte er sich mit dem Bauingenieur
lich ihrer strukturmechanischen
empfangenen Wellen sind etwa 1000-mal
Henry Charles Husband zusammen, und
Eigenschaften nicht unterscheiden.
ó Das im Jahr 1971 fertig gestellte
länger als diejenigen der optischen Astro-
entwarf mit ihm sein Konzept. Sie hielten
nomie, und dementsprechend müssen Ra-
ihre Ideen in einem »Blauen Buch« fest,
100-Meter-Radioteleskop in
dioteleskope viel größer sein als optische
das man sich heute in digitalisierter Form
Effelsberg in der Eifel stellt die
Teleskope; dafür sind aber die Ansprüche
auf der Webseite von Jodrell Bank ansehen
erste konsequente Lösung dieses
an ihre Genauigkeit wesentlich geringer.
Das erste wirklich große Radioteleskop
kann – es ist ein wunderbares ingenieur-
Konstruktionsproblems dar.
ó Neuerdings sind auch andere
42
wurde vor etwa 50 Jahren in Jodrell Bank
geschichtliches Dokument.
homologe Lösungen entwickelt
in England gebaut, Bauherr war die Uni-
worden, so die Vier- und Acht-
versität Manchester. Das Teleskop ist mitt-
Die Gestaltung des Lovell-Teleskops
Punkt-Reflektoren. Durch aktive
lerweile nach seinem im Jahre 1913 gebo-
Der erste Entwurf des Lovell-Teleskops hat-
Regelung lässt sich die Form
renen Initiator Bernard Lovell benannt,
te einen Maschendraht-Reflektor (sie­he das
der Reflektoroberfläche weiter
der hoch betagt und von der Königin
erste Bild auf S. 44 oben). Die beiden Ele-
verbessern.
geadelt weiterhin an dem Geschick seines
vationslager waren am äußeren Rand des
Teleskops Anteil nimmt. Anhand der gut
Reflektors angeordnet, um den Reflektor
dokumentierten Schritte zur Realisierung
zu Wartungszwecken durchschwenken zu
des Lovell-Teleskops wollen wir uns in die
können, und ruhten auf hohen »Azimut-
Problematik beim Bau großer Radiotele-
Türmen«, die ihrerseits auf kreisförmigen
skope hineindenken.
Eisenbahn-Schienen in Azimut gedreht
März 2011
Sterne und Weltraum
Am 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg
wurde das Prinzip der Homologie erstmals
konsequent verwirklicht. Es ging im Jahre
1971 in Betrieb und ist – neben dem
101-Meter-Teleskop in Green Bank im
US-Bundesstaat West Virginia – das größte
voll bewegliche Instrument seiner Art.
Hans Jürgen Kärcher
werden konnten. Der Reflektor selbst wur-
größere ringförmige Aussteifung, und das
Last wird über die weitgespannten Eleva­
de durch eine Art von eisernem Steg, der
Tragwerk dazwischen ist radialsymme-
tionslager abgetragen.
die beiden Elevationslager miteinander
trisch konstruiert; der eiserne Steg ist
Nach seiner Fertigstellung hatte das Te-
verband, einem dazu senkrechten Sichel-
verschwunden, aber als zusätzliches Ele-
leskop – wie von einer Pioniertat zu erwar-
träger und einer ringförmigen Randver-
ment taucht ein »Fahrradreifen« (bicycle
ten – offensichtliche Kinderkrankheiten.
steifung aufgespannt. Das Ganze war sehr
wheel) auf, der einem Strukturmechaniker
Die Strukturschwingungen ließen sich
filigran und leicht – war es möglicherweise
zunächst sehr merkwürdig erscheint, der
zwar beherrschen, aber der Reflektor bog
durch die Erfahrungen von Husband als
sich aber, wenn man Husbands Bericht
sich, trotz der ausladenden rückwärtigen
Hängebrückenbauer beeinflusst?
Das dann gebaute und 1956 in Betrieb
liest, als Dämpfungselement herausstellt,
Stahlstruktur, viel zu sehr durch, und ei-
um über Gummiräder eventuelle Struktur-
nige der Stahlstreben zeigten bedenkliche
gegangene Teleskop sah allerdings deut-
schwingungen in Elevation zu dämpfen.
Anzeichen von Überbeanspruchung.
lich anders aus (siehe zweites Bild auf S. 44
An der Abtragung der Schwerkraft nimmt
So entschloss man sich in Jodrell Bank
oben). Die Reflektor­anordnung ist noch
er dagegen gar keinen Anteil, die gesamte
in den 1970er Jahren das Teleskop zu über-
die gleiche, auch die beiden Azimut-Türme
sind geblieben, aber der sich in Elevation
drehende Teil wurde stark verändert. Zwi-
Zur aktiven Beschäftigung
schen der Konzeptphase im Jahre 1950
von Schülern mit den
und der Realisierung im Jahre 1956 gab es
Inhalten dieses Beitrags
noch eine intensive Engineering-Phase,
stehen auf der Internet-
die man anhand von Husbands Bericht
seite www wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Sie
von 1958 nachvollziehen kann. Der Reflek-
unterstützen die theoretische und praktische Auseinandersetzung der Schüler mit dem
tor ist jetzt nicht mehr aus Maschendraht,
Rotationsparaboloid des Bonner 100-Meter-Teleskops. Ingenieurtechnische Überle-
sondern besteht aus einer geschlossenen
Blechhaut, die – und das ist für den Struk-
gungen zur Erhaltung der Rotationssymmetrie des Reflektors werden nachvollziehbar
aufbereitet, und der Begriff »Homologie« wird vertieft. Das WIS-Projekt führen wir in
turmechaniker wesentlich – an der Lastab-
Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrer­fortbildung in Bad Wildbad und
tragung des Elevationsteils teilnimmt. Au-
dem Haus der Astronomie in Heidelberg durch.
ßerdem hat er am Rande eine wesentlich
www.astronomie-heute.de
März 2011
43
Der 70 Meter große Reflektor des LovellTeleskops bestand im ersten Entwurf
(erstes Bild rechts) aus Maschendraht, die
erste Reflektorschale
Elevationslager ruhten auf zwei durch
einen eisernen Steg verbundenen AzimutTürmen. Der dann tatsächlich gebaute
Reflektor (zweites Bild) erhielt eine
PrimärfokusKabine
geschlossene Blechhaut mit ringförmiger
Elevationslager
Aussteifung, seine Schwingungen wurden
durch einen »Fahrradreifen« gedämpft.
Nach 20 Jahren erhielt das Teleskop ein
neues Stützrad, und in die erste Reflektorschale wurde eine zweite eingesetzt;
Azimut-Türme
schließlich erhielt die Alhidade zwei
zusätzliche Fahrwerke und wurde durch
diagonale Streben verstärkt (drittes Bild).
Jodrell Bank
Königszapfen
Dämpfungsrad
Lovell
Parkes
63 %
optimiert
Die mittlere Durchbiegung eines Balkens, der an zwei Punkten gestützt wird,
ist am kleinsten, wenn die Stützpunkte bei 63 Prozent der Balkenlänge
liegen (Bilder oben). Analoges gilt für die Reflektorschale: Wie die genaue
Modellierung für zwei Stützpunkte auf der Elevationsachse zeigt, verbiegt
sich der Außenrand der Schale auf der Achse nach oben (Bilder rechts), und
senkrecht dazu nach unten. Im Bild rechts unten sind die berechneten Verformungskonturen der Reflektorschale dargestellt – Abweichungen nach oben
sind rot, nach unten blau kodiert.
in Betrieb, wird von der Mannschaft in
ein gewaltiges neues Stützrad ersetzt, das
Jodrell Bank liebevoll gepflegt, und stellt
nunmehr an der Abtragung der Gravitati-
ein wunderschönes lebendes Denkmal
onskräfte teilnahm, und dadurch sowohl
ursprünglicher Inge­nieurs- und Teleskop-
die Durchbiegungen zwischen den Eleva-
baukunst dar.
tionslagern verkleinerte, als auch die BeBild oben). Außerdem wurden die Azimut-
Die Gestaltungskonzepte für Parkes und Effelsberg
Türme der Alhidade durch zusätzliche
Einen ganz anderen Ansatz als Henry
Diagonalen versteift, und über die alte
Charles Husband in Jodrell Bank wählten
Reflektorschale wurde eine neue gesetzt.
die Gestalter des 1962 in Parkes, Australi-
(Als Alhidade – arabisch: Lineal – bezeich-
en entstandenen Radio­teleskops. Dieses
net man das große gabelartige Gestell, das
Radioteleskop sollte mit seiner 64 Meter
die Elevationsachse mitsamt der Reflek-
großen Öffnung für lange Zeit das größte
torschale trägt und sich als Ganzes auf
bewegliche Instrument der südlichen He-
Schienen um die Azimutachse dreht.) Die
misphäre bleiben (siehe Bild ganz rechts
alte Blechschale ist geblieben, sie nimmt
oben). Entworfen wurde es ebenfalls von
weiterhin an der Lastabtragung teil. Wie
englischen Brückenbau-Ingenieuren, und
im dritten Bild oben zu erkennen, wurde
zwar von Freeman Fox und Partnern in
zusätzlich eine zweite Schale eingebaut
London, die damals auch die Hängebrü-
– sie besteht aus einzelnen, justierbaren
cken über den Severn bei Bristol und über
Paneelen, die eine deutlich höhere Genau-
den Firth of Forth bei Edinburgh bauten;
igkeit der Reflektorfläche gewährleisten.
mit der Fertigung wurde die »Maschi-
Das Teleskop ist in dieser Form noch heute
nenfabrik Augsburg Nürnberg« (MAN) in
anspruchungen abminderte (siehe drittes
44
März 2011
Balken
Schale
SuW-Grafik nach Hans Jürgen Kärcher
arbeiten. Das Dämpfungsrad wurde durch
Sterne und Weltraum
Neue Reflektorschale
zusätzliche
Alhidadestreben
CSIRO Parkes Radio Observatory
Elevationslager
und -antriebe
Hans Jürgen Kärcher
Neues
Stützrad
zusätzliche Fahrwerke
Der filigrane Reflektor des 64-Meter-Radioteleskops in Parkes, Australien (Bild oben)
wird wie ein umgestülpter Regenschirm
von externen radialen Speichen gestützt.
Mainz-Gustavsburg, damals die führende
einfachen Biegebalken. In den Grafiken auf
ist erreicht, wenn die Elevationslager bei 63
deutsche Brückenbauanstalt, beauftragt,
S. 44 Mitte ist skizziert, wie sich ein solcher
Prozent des Reflektordurchmessers liegen.
die Montage fand – wie bei allen Großtele-
Balken durchbiegt, je nachdem ob man ihn
Bei Effelsberg ist diese »63-Prozent-Regel«
skopen – vor Ort, also in Australien statt.
am Rande (Lovell), in der Mitte (Parkes), oder
Die Konstrukteure des Parkes-Radio-
irgendwo dazwischen (Effelsberg) abstützt.
in etwa eingehalten.
Aber das Balkenmodell ist natürlich
teleskops wurden anscheinend von der
Mit etwas Balkentheo­rie, wie man sie in der
viel zu einfach für die weiteren Betrach-
Form eines umgestülpten Regenschirms
Ausbildung zum Statiker lernt, kann man
tungen, der Reflektor ist ja kein Balken,
angeregt: Sie ordneten in der Mitte der
ausrechnen, dass das Optimum, in dem
sondern eher eine Schale, und wenn man
Reflektorschale eine Nabe an, welche die
die mittlere Durchbiegung am kleinsten
diese mit etwas verfeinerter »Schalentheo­
Schale über externe, radiale Speichen ab-
ist, bei einem Abstand der Stützpunkte von
rie« oder »Finiten Elementen« durchrech-
stützt. Dadurch ist der Reflektor sehr fili-
63 Prozent der Balkenlänge liegt. Entspre-
net, kommt ein Ergebnis heraus, wie es in
gran und besitzt ein ganz anderes Tragver-
chend gilt für den Reflektor: Das Optimum
den Grafiken links unten gezeigt ist. Es
halten als das Lovell-Teleskop. Auch dieses
Radioteleskop ist heute noch in Betrieb.
XEL
Irgendwo zwischen dem Parkes- und
XEL
dem Lovell-Radioteleskop liegt die Ge-
EL
EL
stalt des 100-Meter-Radioteleskops in
XEL
Effelsberg, das 1971, 15 Jahre nach dem
Lovell-Teleskop, in Betrieb ging (Bild auf S.
43 oben). Auch dieses Instrument hat die
EL
Form eines umgestülpten Regenschirms,
EL
aber dessen Unterstützung ist viel ausla-
XEL
EL
XEL
dender angelegt. Wir wollen versuchen,
an Hand der unterschiedlichen Gestal-
EL
XEL
tungskonzepte zu verstehen, was ihre
Auswirkungen auf die Qualitäten eines
Teleskops sind, und uns dann im Lichte
EL
dieser Erkenntnis die Gestalt neuerer Ra-
EL
dioteleskope an­schauen.
Was bei dem Vergleich der drei geschilderten
Radioteleskope, Lovell, Parkes und Effelsberg, als Erstes auffällt, ist der sehr unterschiedliche Abstand der Elevationslager.
Muss das nicht zu ganz unterschiedlichem
Tragverhalten führen? Um das zu verstehen
benützen wir als Ingenieurmodell einen
PP
SuW-Grafik nach Hans Jürgen Kärcher
Homologie – das Geheimnis des Effelsberger Reflektors
Die Verdopplung der Zahl der Auflager-
PP
punkte des Reflektors von zwei auf vier
Punkte führt zu einer nach wie vor nicht
Z
homologen Struktur: Die an den auf der
XEL
XEL
Elevationsachse aufliegenden Punkten EL der Reflektorschale wirkenden Kräfte
werden auf anderen Wegen abgeführt als
RS
RS
die an den dazu orthogonalen Punkten XEL wirkenden Kräfte. Rot sind Druckstäbe, blau
sind Zugstäbe gezeichnet.
Z
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Die Vorgeschichte des Effelsberger 100-Meter-Radioteleskops
I
n Deutschland gehen die Anfänge der Radioastronomie auf
tralen interstellaren Wasserstoffs bei 21 Zentimeter Wellenlänge
das Wissen zurück, das sich Radartechniker während des Zwei-
entdeckt. In Deutschland war ihre astronomische Verwendung
ten Weltkrieges zur Verteidigung der Heimat erarbeitet hatten.
Es kulminierte in den Würzburg-Riesen – 7,5 Meter großen
bis 1950 verboten.
In Westdeutschland ging die Initiative zur Entwicklung der
Radar­antennen, an deren Reflektorgestaltung der Einfluss des
Radioastronomie von Friedrich Becker an der Universität Bonn
damaligen Flugzeugbaus zu erkennen ist (Bild unten). Von den
aus. Er baute von 1952 bis 1957 mit finanzieller Unterstützung
Würzburg-Riesen wurden während des Krieges mehr als tau-
des Landes Nordrhein-Westfalen auf dem Stockert in der Eifel ein
send gebaut, die dann nach dem Krieg bei den Siegermächten
25-Meter-Radioteleskop (Bild unten), dessen technischer Betrieb
starke Beachtung fanden, in alle Welt zerstreut oder dort zu-
in den Händen vieler ehemaliger Mitarbeiter der Firma Telefun-
rückgelassen, und in England, Frankreich, der Tschechoslowakei
ken lag. Die Bauweise seines Reflektors zeigt, wie auch die der
und Schweden als Radioteleskope genutzt wurden. Mit einem
Würzburg-Riesen, noch Anklänge an diejenige der Flugzeuge im
solchen Gerät wurde 1951 in Holland die Emission des neu-
Zweiten Weltkrieg.
Einer der zahlreichen WürzburgRiesen aus den
ACADEMIC
Stockert Förderverein Astropeiler
1940-er Jahren
(links) und das von
Friedrich Becker
entwickelte
25-Meter-Radioteleskop auf dem
Stockert in der Eifel
(rechts).
Die Auflagerung der Reflektorschale nach
dem Regenschirm-Prinzip (links auf vier,
rechts auf zwölf Auflagerpunkten) ist
homolog: Alle Lasten werden in gleicher
Weise über den zentralen Auflagerpunkt ZZ HL
HL
abgeführt. Von dort werden sie als Ganzes
über das Sprengwerk der Elevationsachse
HL
HL
(EA) in die Elevationslager (EL) geleitet. Das
tragende Gestell des Effelsberger Reflektors
(unten rechts) lässt sich als Summe zweier
voneinander unabhängiger Strukturen
ZZ
ZZ
darstellen: Regenschirm plus die beiden
Stäbe »Peter & Paul« (unten links und
Mitte)
SuW-Grafik nach Hans Jürgen Kärcher
Regenschirm
Sprengwerk
der Elevationsachse
EA
EL
+
Tragendes Gestell
EL
Peter
=
Paul
ZZ
46
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ZZ
Sterne und Weltraum
für Radioastronomie nachzu-
In Ostdeutschland wurde schon 1946 das Heinrich-Hertz-Institut gegründet. Dort wurde 1951 Otto Hachenberg zum Direktor
denken. Zu dieser Zeit, nach dem
bestellt: Er verlegte den Schwerpunkt der Forschung am Institut
Mauerbau in Berlin, war Otto
auf die Radioastronomie, hauptsächlich auf Radiobeobachtungen
Hachenberg mit all seiner prak-
der Sonne. Ab 1956 baute er in Berlin-Adlershof ein 36-Meter-
tischen Erfahrung aus Adlershof
Teleskop, das zwar »nur« ein Transit-Instrument war, das heißt, es
an die Universität Bonn gewech-
war in Elevation drehbar, aber nicht in Azimut. Sein Aussehen aber
selt. Inzwischen hatte Sebastian
mit den beiden Lagertürmen und dem innen vollen, außen mit
von Hoerner in Heidelberg
Maschendraht bestückten Reflektor nahm schon einiges von dem
Studien über den Bau eines 160
späteren Effelsberger Teleskop vorweg.
In Westdeutschland begann man Anfang der 1960er Jahre in
Meter großen Radio­teleskops
der Max-Planck-Gesellschaft, über die Gründung eines Instituts
Wettbewerb um den Standort
Sebastian von Hoerner
MPIfR
begonnen. Bei dem folgenden
und den ersten Direktor des
Max-Planck-Instituts für Radioastronomie erhielten schließlich Bonn und Otto Hachenberg den
Zuschlag, und Sebastian von Hoerner, der Tübingen als Standort
vorgeschlagen hatte, wechselte 1962 zum NRAO nach den USA,
wo er von 1964 bis 1967 seine Theorie der Homologie entwickelte und an einer Fülle von grundlegenden astronomischen
Problemen arbeitete.
Hachenberg setzte die Finanzierung und den Bau des Effelsberger 100-Meter-Teleskops durch, das 1971 in Betrieb ging und
in vielem seine Handschrift trägt, in dem aber offensichtlich auch
HHI Adlershof
HHI Adlershof
von Hoerners Ideen zur Homologie verarbeitet sind. Wenn man
sich im Nachhinein den Nachlass der beiden Pioniere anschaut,
dann erscheint von Hoerner wohl eher als ein theoretisch denkender Mensch, der wunderbare Aufsätze über seine konstruktiven
Ideen hinterlassen hat, und Hachenberg als ein Mann der Tat, der
mit Überzeugungskraft seine und die Ideen von Hoerners in Stahl
Otto Hachenberg und sein 36-Meter-Teleskop in Berlin-Adlershof
umsetzte.
ergibt sich eine großflächige Verformung,
nete Stäbe: Eine solche Struktur nennt ein
die man in der Optik Astigmatismus
Zimmermann »Sprengwerk«.
Die Homologie der Struktur ist erst
dann erreicht, wenn die Lastabtragung al-
nennt. Der Rand des Reflektors biegt sich
Wie die Grafiken auf S. 45 unten zeigen,
ler Auflagerpunkte symmetrisch ist. Dazu
im Einflussbereich der Elevationslager
wird in diesem Fall die Last der Scha-
müssen die Kräfte aller Auflagerpunkte
nach oben durch (»legt die Ohren an«),
lenanteile über den Elevationslagern EL
der Schale in gleicher (homologer) Weise
und sackt quer dazu nach unten ab. Das
direkt in die Elevationslager eingeleitet,
zur Spitze der Pyramide geführt werden,
ist unbefriedigend, und wir benötigen
während die Last der Schalenanteile über
wobei die Punkte EL über der Elevations-
Abhilfe.
Um die Verformung des Reflektors
den XEL-Punkten erst über die Stäbe RS
achse nicht mehr ausgezeichnet sind
in die Pyramidenspitze und von dort
(siehe die Grafiken links). Dann bleibt
weiter zu reduzieren, erhöhen wir die
über die Stäbe PP in die Elevationslager
nur noch die Frage, wie wir die zentrale
Anzahl der Auflagerpunkte der Reflek-
eingeleitet wird. (RS steht hier für »Regen-
Kraft ZZ an der Pyramidenspitze zu den
torschale von zwei auf vier. Die Grafiken
schirm«, PP für »Peter & Paul« – warum,
Elevationslagern führen. Bevor wir uns
auf S. 45 unten zeigen dies links in der
das wird weiter unten deutlich.) Die Auf-
das überlegen, können wir aber zunächst
Draufsicht und in zwei Schnitten, pa­rallel
lagerpunkte haben also unterschiedliche
noch die Anzahl der homologen Punkte
und senkrecht zur Elevationsachse, und
statische Eigenschaften – deshalb verhal-
in Umfangsrichtung vergrößern, und wir
rechts zur räumlichen Veranschaulichung
ten sie sich unterschiedlich oder »nicht
landen beim Regenschirmprinzip, wie
isometrisch dargestellt. Um die zwei zu-
homolog«. Die Konsequenz ist weiterhin
wir es beim Parkes- und beim Effelsber-
sätzlichen senkrecht zur Elevationsachse
eine astigmatische Verformung, wie auf
ger Teleskop schon durch Anschauen der
liegenden Punkte XEL zu unterstützen,
S. 44 unten gezeigt, wenn auch etwas
Bilder wahrgenommen haben. Nunmehr
müssen wir hinter der Reflektorschale
abgeschwächt. Unsere Idee mit den vier
ist die Auflagerung der Reflektorschale
eine Zusatzstruktur anbringen – die sta-
Punkten hat noch nicht zum Ziel geführt –
in Umfangsrichtung vollständig gelun-
tisch einfachste Möglichkeit dazu sind
um Abhilfe zu schaffen, müssen wir uns
gen, und wir müssen uns nur noch mit
vier umgekehrt-pyramidenartig angeord-
noch etwas einfallen lassen.
der Durchbiegung der Schale in radialer
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Richtung herumschlagen. Bevor wir das
(100 Meter) und dem Lovell-Teleskop (72
Zum Schluss sollte noch erwähnt
tun, lösen wir erst noch das Problem mit
Meter) das drittgrößte Radioteleskop
werden, dass das Verformungsverhalten
dem Transport der Zentralkraft ZZ zu den
in Europa sein. Das Bild unten zeigt das
natürlich nicht nur in Zenitstellung – wie
Elevationslagern.
Sprengwerk der Elevationsachse, bevor
bisher geschehen – betrachtet werden
Dazu greifen wir noch einmal auf das
die Regenschirmstäbe angebaut wurden.
muss, sondern auch in allen Zwischen-
»Sprengwerk« der Zimmerleute zurück,
In diesem Stadium der Montage ist das
lagen bis hinunter zur Horizontstellung.
das wir jetzt unabhängig von dem Regen-
mächtige Bauteil noch gut zu erkennen:
Die Skizze rechts zeigt die beiden Grenz-
schirm anwenden und mit diesem dann
Die beiden Zugstäbe, welche die Zentral-
fälle für den Effelsberger Reflektor. In
räumlich verschränken. Dadurch wird
last ZZ zu den Elevationslagern tragen,
Horizontstellung ruht der Reflektor nicht
die gesamte Struktur etwas kompliziert,
sind besonders kritische Bauteile und
mehr auf der Pyramidenspitze, sondern
und deshalb sind in den Skizzen auf S. 46
wurden von den Männern auf der Bau-
auf einem zentralen »Königszapfen«
unten zunächst links die beiden Tragwerk-
stelle mit den Namen »Peter & Paul« be-
direkt hinter dem Scheitelpunkt des
steile, nämlich der Regenschirm und das
ehrt, vermutlich weil diese beiden Apostel
Parabol-Fachwerks – zur Balance um die
Sprengwerk der Elevationsachse (EA), ge-
damals die schwere Last der neu gegrün-
Elevationsachse im zentralen Pyramiden-
trennt dargestellt. Rechts, wie auch in der
deten Kirche so erfolgreich geschultert
punkt muss ein Gegengewicht angebracht
Wirklichkeit des Effelsberger Teleskops,
hatten. An ihnen hängt nämlich im fer-
werden, das in Zenitstellung ebenfalls
durchdringen sie sich räumlich, ohne sich
tigen Teleskop das gesamte Gewicht der
zu berühren – außer an der Pyramiden-
Reflektorschüssel.
Das Bild rechts oben zeigt eines der bei-
Das Bild zeigt, wie die Elevationsachse des
den Elevationslager des fertig montierten
Sardinia Radio Telescope an ihren Bestim-
spitze.
Das Sardinia Radio Telescope
Effelsberger Teleskops, das nach dem glei-
mungsort gehoben wird (weiße Pfeile). Vor
Nun betrachten wir ein neues, noch im
chen Prinzip aufgebaut ist wie beim SRT.
dem Einbau der Regenschirmstäbe, welche
Aufbau befindliches Radioteleskop, und
Hier kommen die Alhidade, Peter & Paul
die Last der Reflektorschüssel in einem
zwar das italienische Sardinia Radio Tele-
und die Elevationsachse zusammen. Man
Punkt unterhalb des Reflektors zusammen-
scope (SRT), das seit 2006 bei San Basilio,
kann sehr schön erkennen, wie die Regen-
führen sollen, sind die beiden Stäbe Peter
35 Kilometer nördlich von Cagliari, im
schirmstäbe und die Elevationsachse sich
& Paul noch deutlich zu sehen – sie werden
Aufbau ist. Mit seinen 64 Metern Durch-
mit Peter & Paul gegenseitig durchdringen,
die gesamte Last der Reflektorschüssel in
messer wird es nach dem Effelsberger
ohne sich zu berühren.
die Elevationslager abführen.
EL
Elevationsachse
EL
Hans Jürgen Kärcher
er
Pa
ul
Pe
t
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Sterne und Weltraum
In den Elevationslagern des Effelsberger
Radioteleskops kommen die Alhidade, Peter
& Paul und die Elevationsachse zusammen.
Die beiden die Reflektorschale tragenden
Systeme durchdringen sich gegenseitig,
ohne sich zu berühren. Die Vierbeinstütze
Regenschirm
dient der Halterung des Subreflektors
Vierbeinstütze
(siehe auch die Grafik unten rechts).
e
nsachs
Elevatio
Pe
t
er
Alhidade
&
Pa
u
Hans Jürgen Kärcher
l
In Zenitstellung ruht der Effelsberger
Reflektor auf dem Auflagerpunkt P1 an der
Pyramidenspitze (links), in Horizontstellung
ruht er auf dem Auflagerpunkt P2 an der
Spitze des zentralen Königszapfens hinter
Gegengewicht
Eigengewicht
der Sekundärfokuskabine (rechts).
SuW-Grafik nach Hans Jürgen Kärcher
P2
Regenschirmstäbe
P1
Sekundärfokuskabine
Ganz anders als beim ersten Lovell-Teleskop
Auflagerkraft
Horizontstellung
Auflagerkraft
Zenitstellung
Lovell-Teleskop
(unten links) sind beim Effelsberger
Teleskop (unten rechts) alle Auflagerpunkte der Parabolschüssel gleichwertig.
Allein dadurch werden die Abweichungen
von der Parabolgestalt um zwei Größenordnungen verringert.
Primärfokusempfänger
Subreflektor
EffelsbergerVierbein
Teleskop
Sekundärfokuskabine
Reflektorschüssel
P2
Dämpfungsrad
Alhidade
Regenschirm
Pa
ul
er
t
Pe
SuW-Grafik nach Hans Jürgen Kärcher
Elevationslager
P1
Azimutschiene
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Emmanuel Mendez
Hans Jürgen Kärcher
über Peter & Paul die Elevationslager voll
der schlechten Zugänglichkeit des Raums
Homologie ohne Regenschirm: Beim Large
belastet.
hinter dem Reflektorscheitel, an dem die
Millimeter Telescope (LMT/GTM) in Mexiko
Der Vergleich des ersten Lovell-Te-
Empfangsgeräte für den Sekundärfokus
wurden neue Wege beschritten. Links der
leskops mit dem Effelsberger Teleskop
untergebracht werden müssen. Beim Ef-
erste Entwurf des Autors von 1996, rechts
(siehe Grafik auf S. 49 unten) verdeutli-
felsberger Radioteleskop ist dies wegen
das fertige Instrument im Jahre 2010.
cht noch einmal den Fortschritt in der
seiner Größe kein echtes Problem – die in
Strukturgestaltung: Der beim Effelsberger
den Grafiken auf S. 49 angedeutete Sekun-
Reflektor eingeführte Regenschirm führt
därfokus-Kabine ist immer noch so groß,
dass die Punktepaare in der Elevationsach-
zur »Homologie« aller Auflagerpunkte
dass man in ihr aufrecht stehen kann, und
se und quer dazu ein unterschiedliches
der Parabolschüssel: Sie sind sämtlich
sie ist von den Elevationslagern aus über
Steifigkeitsverhalten aufweisen – dass
im strukturmechanischen Sinne gleich-
einen Laufsteg, der das Reflektorfachwerk
sie also nicht »homolog« waren. Abhilfe
wertig. Dadurch wird erreicht, dass hier
durchdringt, sowohl in Horizont- als auch
schaffte die Anwendung des Regenschirm-
die Abweichungen von der idealen Para-
in Zenitstellung erreichbar. Allerdings dre-
prinzips. Es gibt aber noch eine zweite
bolgestalt nur etwa ein Prozent der beim
hen sich die Empfangsgeräte mit der Eleva­
Möglichkeit, die vier Punkte »homolog«
ersten Lovell-Teleskop aufgetretenen Ab-
tionsbewegung um die Horizontale. Dabei
zu machen – nämlich indem man sie in der
weichungen betragen.
ändert sich die Richtung der Schwerkraft,
Draufsicht um 45 Grad dreht (Grafik rechts
und das muss man beim Bau derjenigen
oben). Die so gedrehten vier Punkte sind
Vier-Punkt-Reflektoren
Instrumente, die mit flüssigem Helium
sowohl hinsichtlich der Elevationsachse
Trotz des großen Erfolgs, zu dem das
oder flüssigem Stickstoff gekühlt werden,
als auch senkrecht dazu symmetrisch und
Regenschirm-Prinzip beim Effelsberger
berücksichtigen.
damit homolog. Wir müssen sie nur noch
100-Meter-Teleskop geführt hat, wurden
Deswegen ist es ein großer Vorteil für
richtig mit den Elevationslagern verbin-
später auch andere Wege eingeschlagen.
die Radioastronomen, wenn man hin-
den, und dazu dienen zwei Wippen, wie sie
Oben ist das 50 Meter große, von MAN
ter dem Reflektor eine Kabine für den
rechts in der Skizze dargestellt sind. Nach
Technologie entworfene Large Millimeter
raumfesten
anbringt,
hinten hin werden sie durch einen Halb-
Telescope (LMT/GTM) auf dem 4600 Meter
der über einen Nasmyth-Spiegel in der
kreisbogen ergänzt, der die Zahnkränze
hohen Cerro la Negra in Mexiko zu sehen –
Elevationsachse gespeist wird. Dadurch
für den Elevationsantrieb trägt und auch
eine Kooperation mexikanischer und US-
sind die Empfänger viel besser zugäng-
gleich noch den Ballast für die Balance
amerikanischer Astronomen. Links ist die
lich und raumfest – für sie ändert sich
aufnimmt. Die Verbindungsstücke zwi-
erste Entwurfsskizze des Autors aus dem
während der Beobachtungen die Richtung
schen den Ballastauslegern und dem Re-
Jahr 1996, und rechts das fertig gestellte
der Schwerkraft nicht. Dafür ist aber das
flektor lassen sich auf der oben gezeigten
Teleskop nach einem Schneesturm im Jahr
Regenschirmprinzip nicht mehr anwend-
Aufnahme sehr gut erkennen. Sie wurden
2010 gezeigt. Das Teleskop sieht ganz an-
bar, da der mit dem Reflektor mitbewegte
vom amerikanischen Partner des mexika-
ders aus als das Effelsberger Teleskop, von
Regenschirm die Nasmyth-Kabine durch-
nischen Bauherrn mit dem schönen Na-
einem »Regenschirm« ist nichts zu erken-
schneiden würde.
men »In Betweens« benannt und stellen
nen. Was waren die Beweggründe, dieses
Teleskop so ganz anders zu entwerfen?
Nasmyth-Fokus
Um hier Abhilfe zu schaffen, hilft uns
die physische Realisierung der vier homo-
wieder unsere Betrachtung der oben er-
logen Auflagerpunkte dar. Das Bild rechts
Der Regenschirm führt zu einem
wähnten vier Auflagerpunkte des Reflek-
oben zeigt den glücklichen Schöpfer des
schweren betrieblichen Nachteil, nämlich
tors. In der Grafik auf S. 45 war das Problem,
Designs vor dem fertiggestellten Teleskop.
50
März 2011
Sterne und Weltraum
Vier Auflagerpunkte, um 45 Grad gegen die Elevationsachse
gedreht, sind sowohl zur Elevationsachse als auch quer dazu
symmetrisch und damit homolog (links). Sie werden von zwei
Halbkreisbögen unterstützt, die auch die Zahnkränze für die
Hans Jürgen Kärcher
SuW-Grafik nach Hans Jürgen Kärcher
Elevationsbewegung tragen (rechts).
Von den Vier-Punkt-Reflektoren gibt
Auflagerpunkte des »Regenschirms« ab-
Der Autor vor dem fertig gestellten Large
es viele weitere Beispiele, auf die ich hier
gesetzt wird. Auf S. 48 war bereits das Foto
Millimeter Telescope in Mexiko.
nicht weiter eingehen kann. Ich möchte
eines vorangegangenen Montagezustands
nur das 30-Meter-Millimeterwellen-Tele­
zu sehen, auf dem die Elevationsachse und
skop von IRAM auf dem Pico Veleta in
Spanien, das 32-Meter-Teleskop MERLIN
»Peter & Paul« schön zu erkennen sind.
Das SRT hat insofern eine interessante
in Cambridge, England, und das 40-Meter-
Vorgeschichte, als es von einem Dritten
Teleskop IGN in Yebes, Spanien erwähnen.
entworfen, dann aber von MT Mechatronics gebaut wurde. Nach Auftragserhalt
Ein Acht-Punkt-Reflektor
zeigte sich, dass der gegebene Entwurf
Zum Schluss möchte ich noch einmal
große Mängel hinsichtlich der Homologie
auf das gegenwärtig im Bau befindliche
aufwies, obwohl dem Entwurf doch der An-
Die 64 Meter große Reflektorschüssel des
64-Meter-Radioteleskop
Sardinien
schauung nach das Regenschirmkonzept
Sardinia Radio Telescope wird auf den
(Sardinia Radio Telescope, SRT) eingehen,
Regenschirm mit seinen acht Speichen
das einen Acht-Punkt-Reflektor besitzt.
zugrunde lag. Die berechneten, auf S. 52
oben links dargestellten Verformungen
Das Bild unten rechts zeigt den am Boden
zeigten einen starken Astigmatismus. Eine
lung (links) sind der Regenschirm dunkel-
vormontierten Reflektor, kurz bevor er
Detailanalyse des Entwurfs ergab, dass
blau, Peter & Paul und die Elevationsachse
mit einem 1000-Tonnen-Kran auf die acht
der Grund in der fehlenden Entkopplung
grün dargestellt.
abgesetzt. In der schematischen Darstel-
www.astronomie-heute.de
INAF
SuW-Grafik nach Hans Jürgen Kärcher
in
März 2011
51
MT Mechatronics
Bei der Reflektorschüssel des SRT betrug die mittlere Abweichung von der
Sollform vor der Strukturoptimierung noch 3,021 Millimeter (links). Erst die
Entkopplung des Regenschirms von Peter & Paul führte zu einem hinrei-
Hans Jürgen Kärcher
chend homologen Verhalten: Jetzt betrug die mittlere Abweichung 0,792
war als Systemingenieur
Millimeter, und damit waren die Spezifikationen erfüllt (rechts).
für Teleskope bei MAN
Gustavsburg ( jetzt MT
Mechatronics) unter
zwischen den Regenschirmstäben und
ihre großen optischen Spiegel eine »iso-
vielen anderen Projekten
»Peter & Paul« lag, und dass dadurch die
statische Spiegelauflagerung« entwickelt
maßgeblich am Entwurf und Bau des großen
Elevationslager, wie oben erläutert, sich
hatten. Allerdings wurde das Prinzip der
Millimeterwellenteleskops GMT/LMT in
auf die Reflektorfläche durchdrückten. Ab-
Homologie völlig unabhängig von diesen
Mexiko und des Flugzeugteleskops SOFIA
hilfe schaffte wieder die Entkopplung der
Vorläufern und ohne deren Kenntnis ent-
beteiligt. Seit 2006 ist er für Forschungs- und
Lastabtragung, die hier aber nicht räum-
Entwicklungsprogramme bei MT Mechatronics
lich geschah – vielmehr wurde sie durch
wickelt.
Als passive Methode reicht die Homo-
gezielte Erhöhung der Biegenachgiebigkeit
logie heutzutage allein nicht mehr aus,
der einander durchdringenden Stäbe er-
um den Anforderungen der Astronomen
reicht. Auf die Einzelheiten kann hier nicht
nach immer höherer Genauigkeit gerecht
Literaturhinweise
näher eingegangen werden. Das Bild oben
zu werden. Es bleiben in der Hinterhand
rechts zeigt das Ergebnis der Strukturop-
des Teleskopingenieurs dann noch: eine
timierung: Auf dem optimierten Verfor-
aufwändige Klimatisierung des ganzen Te-
mungsdiagramm sind die acht Auflager-
leskops, um es vor äußeren Witterungsein-
punkte klar zu erkennen, ebenso wie der
flüssen zu schützen und seine Struktur im
Einfluss des Vierbeins, das hier, nicht wie
Inneren auf möglichst konstanter Tempe-
bei Effelsberg getrennt (siehe die Grafik
auf S. 49 unten rechts), sondern direkt auf
ratur zu halten (dazu dient die im Bild auf
S. 50 gezeigte Verkleidung des LMT/GTM),
dem Reflektortragwerk aufgesetzt ist und
oder die Verwendung temperaturstabiler
sich entsprechend durchdrückt. Dieser
Materialen wie Kohlefaser-Verbundwerk-
Effekt ließe sich nur durch eine getrennte
stoffe (beispielsweise bei ALMA).
Als ultimative Maßnahme dient eine
Lovell, B., Husband, H. Ch.: The Blue
Book. Jodrell Bank Centre for Astrophysics. http://www.jb.man.ac.uk/aboutus/
lovell/bluebook/
Husband, H. Ch.: The Jodrell Bank Radio
Telescope, The Institution of Civil Engineers, London 1958
Husband, H. Ch.: Final Report with Cost
Estimates on the Modifications to the
Mark I Radio Telescope, The Science
Research Council, University of Man­
chester 1968
Dahlem, M., Brinks, E.: Radiobeobachtungen. Welches Instrument für welche
Anwendungen? Teil 1: Einzelteleskope.
In: Sterne und Weltraum 5/1994,
S. 350 - 357. Teil 2: Interferometer.
In: Sterne und Weltraum 6/1994,
S. 446 - 452
Burke, B. F., Graham-Smith, F.: An Introduction to Radio Astronomy. Cambridge
University Press, Cambridge 1996
Grahl, B. H., Wielebinski, R.: A Short
History of the German Radio Astronomy. MPIfR, Bonn 2010
Auflagerung des Vierbeins beseitigen, wie
auch im Bild auf S. 49 oben am Effelsberger
»aktive Oberfläche« – hier werden die
Teleskop erkennbar; aber darauf wurde
Reflektorpaneele einzeln auf Sollposition
hier verzichtet, weil die Zielvorgaben oh-
gehalten. Mit einer solchen Technologie
nedies schon erreicht waren.
sind heutzutage alle größeren Radioteleskope wie das LMT/GTM und das SRT
Weitere Steigerung der Genauigkeit
ausgestattet, und selbst das Effelsberger
Teleskop wurde mit einem aktiven Sub-
Homologie ist eine Methode, um das
reflektor nachgerüstet, mit dem es sich
Verformungsverhalten
Radiore­
sogar zum Empfang von Millimeterwellen
flek­tors ausschließlich durch passive,
eines
eignet – wenn das Wetter in der Eifel es
gestalterische Maßnahmen in den Griff
erlaubt. Aber neben all diesen modernen
zu bekommen. Aus strukturmechanischer
Methoden sollte der Teleskopingenieur
Sicht entspricht sie derjenigen der op-
bei der Gestaltung der Teleskopstruktur,
tischen Teleskopbauer Friedrich Wilhelm
die ja das Rückgrat des Ganzen bildet, die
Herschel, William Lassell und Thomas
geschilderten Methoden der Homologie
nicht außer Acht lassen. Grubb, die schon vor 150 bis 200 Jahren für
52
März 2011
in Mainz zuständig.
Weitere Literatur im Internet:
www.astronomie-heute.de/artikel/
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