ARCHITEKTUR VERMESSUNG Oliver Bringmann, Dresden Die Punktwolke aus Sicht der Mustererkennung Laserscanning im Architekturaufmaß Punkte und Pilze Meine Freundin und ich essen gern frische Waldpilze. Für eine erfolgreiche Pilzernte muß man in unserer Gegend ganz früh raus aus der Stadt, womit unser Problem entsteht: Gerade am Wochenende steht meine Freundin nicht gern früh auf. Und ich weiß fast nichts über die verschiedenen Pilzsorten. Um dem Dilemma zu entgehen, haben wir folgendes Verfahren ersonnen: Ich gehe im Morgengrauen allein in den Wald und nehme einfach alles mit, was halbwegs nach Pilz aussieht. Später sortiert meine Freundin das Ergebnis der Mühe. Dabei landen leider 98% der Pilze im Kompost und auch beim Rest ist sie nie ganz sicher, weil die Pilze nun nicht mehr in ihrer natürlichen Umgebung zu begutachten sind ... Beim immer populärer werdenden Laserscanning werden in erstaunlich kurzer Zeit extrem viele 3D-Punkte erfaßt. Die entstehende – visuell sehr ansprechende – Punktwolke ist jedoch oft noch weit vom angestrebten Ergebnis der Bestandserfassung entfernt. Um den bei der Verarbeitung der Punktwolke erreichbaren Automatisierungsgrad zu beurteilen, muß man die Art der gewünschten Zieldatenstruktur genau betrachten. Von Genauigkeits-, Kostenund anderen Problemen mit momentan verfügbaren Scannern kann bei einer algorithmischen Auslotung der Möglichkeiten abstrahiert werden (Bild 1). Drei spezielle Sorten von Zieldaten werden im Weiteren als Repräsentanten gängiger Bild 1: Welche Zieldaten lassen sich effektiv aus der Punktwolke ableiten? ➩? Der Vermessungsingenieur 2/02 l Bauteilmodell Rohrleitungsmodell Gebäudemodell Bild 2: Drei Klassen von Datenstrukturen Problemklassen beleuchtet und bezüglich der Eignung des Laserscannings für die Datengewinnung eingeordnet. Zunächst erfolgt eine grobe Gliederung in Oberflächen- und Bauteilmodelle. Anschließend werden zwei verschiedene Typen von Bauteilmodellen unterschieden (Bild 2). Oberflächenmodell Die Szenerie wird beim Oberflächenmodell durch eine oder mehrere in den 3D-Raum der Sprengung in einem Steinbruch das Volumen des abgetragenen Materials ermittelt werden, kann dies vollautomatisch durch Differenzbildung der vor und nach der Sprengung ermittelten Oberflächenmodelle erreicht werden. Auch für die Konstruktion eines Gerüsts um ein stark strukturiertes Gebäude kann der meßtechnische „Abguß“ des Gebäudes ausreichend sein. Die Details des Bauwerks interessieren nicht. Skulpturen oder komplizierte Ornamente können kaum sinnvoll in genormte Bauteile zerlegt werden. Auch hier ist ein Oberflächenmodell zur Dokumentation geeignet. Die Punktwolke des Laserscanners ist nach der Registrierung mehrerer Scanns und erfolgter Dreiecksvermaschung ein Oberflächenmodell. Bei räumlich stark strukturierten Oberflächen kommen die Vorteile des Laserscannings gegenüber ➩ Bild 3: Von der Punktwolke automatisch zur Dreiecksvermaschung Klassifikation der Zieldaten 200 Oberflächenmodell eingebettete gekrümmte Fläche(n) beschrieben. Meist wird in der Praxis eine stückweise planare Approximation dieser Flächen (Dreiecksvermaschung) verwendet. Topologisch ist ein Oberflächenmodell die Zerlegung der Welt in Innen und Außen, bzw. Objekt und nicht Objekt. Synonym zur Bezeichnung Oberflächenmodell werden Begriffe wie Volumen- oder Störkantenmodell verwendet (Bild 3). Ein Oberflächenmodell ist für Anwendungen hilfreich, die nur die Geometrie, nicht aber die tiefere Semantik der modellierten Szene benötigen. Soll beispielsweise bei Die Punktwolke aus Sicht der Mustererkennung der Nahbereichsphotogrammetie besonders zur Geltung. Bauteilmodelle Ist eine inhaltlich fein granulierte Zerlegung der Szene für den endgültigen Nutzungszweck erforderlich, reicht das Oberflächenmodell nicht mehr. Eine Zerlegung der Welt in verschiedene typisierte Objekte wird benötigt und als Bauteilmodell bezeichnet. Andere häufig verwendete Bezeichnungen für Bauteilmodelle sind: sematisches Modell, objektorientiertes Modell oder einfach „intelligente“ Objekte (Bild 4). ➩ Bild 4: Vom Oberflächen- zum Bauteilmodell: ein Quantensprung Sollen beispielsweise bei der Gebäudebestandserfassung Pläne, Flächen- und Stücklisten generiert werden, muß die Szene in den Begriffen Wand, Tür, Fenster und Raum beschrieben werden. Die Szene bzw. die Inhalte der Punktwolke müssen dazu interpretiert, die enthaltenen Objekte erkannt und in Beziehung gesetzt werden. Die für die Begriffszuordnung notwendige Abstraktionsleistung kann in vielen Fällen heute nur der Mensch erbringen. Um Probleme der automatischen Objekterkennung in einfach und schwierig zu klassifizieren, muß ein wenig über gängige Ver- fahren der Mustererkennung berichtet werden. Wie werden Objekte erkannt? Vereinfachend wird im Folgenden beschrieben, wie ein Kreis in einer 2DPunktwolke P = {p1... pn} mit n Punkten erkannt wird. Es müssen der Mittelpunkt m = (x, y) und der Radius r des Kreises, zusammen also drei unabhängige Parameter bestimmt werden (Bild 5). Für jede Konfiguration der Kreis-Parameter wird eine Bewertung des Kreises vorgenommen: Bild 5: Der Kreis wird an die Punktwolke angepaßt Bild 6: Die Summe der Abstände wird minimiert abweichung (m,r) 3D-Parameterraum = (m,r) = (x,y,r) abweichung (m, r) = Σ abstand(kreis(m, r), p) pP´ Diese abweichung muß minimiert werden. P´ sei der Teil der gesamten Punktwolke, der sich in der geometrischen Umgebung des Kreises befindet. Die Optimierung der abweichung erfolgt mittels sogenannten Simulated Annealings, einem gängigen Verfahren zur Parametervariation. In Bild 6 ist die Zielposition des Kreises und das (eigentlich vierdimensionale) Gebirge der Abweichung über den drei Parametern dargestellt. Probabilistische Verfahren wie Simulated Annealing liefern gute Ergebnisse, wenn das Gebirge wie in der Bild 7 eine Himalaja-Struktur, d. h. ausgeprägte Optima aufweist. Betrachtet man das scheinbar nur wenig komplexere Objekt Viereck, kommt man zu einem ganz anderen Resultat: Die Optimierung ist hier wesentlich weniger erfolgreich, weil das Gebirge stark zerklüftet ist. Das globale Optimum wird nicht immer gefunden. Begründet ist die ungünstige Gebirgestruktur durch die hohe Dimension des Merkmalsraums. Für ein Viereck sind die vier Ecken (e1... e4), also acht freie Parameter zu bestimmen (Bild 7). Verallgemeinert man diese Beobachtung wird deutlich, warum bei der Analyse von Bauteilmodellen zwischen Rohrleitungsund Gebäudemodell unterschieden werden muß. Die Freiheitsgrade der Modelle unterscheiden sich fundamental. Ein zylinderisches Rohr wird z. B. durch den Verlauf seiner Achse im 3D-Raum und seinen Radius – also durch nur sieben Parameter – redundanzfrei beschrieben. Für die verschiedenen Ausprägungen der Klasse Fenster kommt man dagegen leicht auf Die Punktwolke aus Sicht der Mustererkennung l Der Vermessungsingenieur 2/02 201 abweichung (m,r) 8D-Parameterraum = (e1... e4) Bild 7: Die Minimierung scheitert wegen der vielen Freiheitsgrade des Modells und der resultierenden schroffen Gebirgsstruktur Bild 8: Anwendungen und adäquate Technologien Laserscanning Photogrammetrie Tachymetrie mehr als 20 Parameter. Die automatische Interpretation der Punktwolke ist daher für geometrisch-standardisierte Domänen wie Industrieanlagen wesentlich leichter möglich, als für variantenreichere Szenerien wie man sie beispielsweise in Gebäuden vorfindet. Dort kommt erschwerend hinzu, daß stets auch mit nicht modellierten Gegenständen, wie Topfpflanzen oder Papierkörben gerechnet werden muß. Während bei einem Rohrleitungssystem davon ausgegangen werden kann, daß für fast jeden Punkt der Wolke eine Klassenzuordnung vorgenommen werden kann, trifft diese geschlossene-Welt-Annahme (wichtiges Konzept in der Mustererkennung) beim Gebäude nicht zu. Keine Universaltechnologie in Sicht Die Entscheidung über die geeignete Meßtechnologie ist nicht trivial. Auch mit dem Laserscanning wird dem Ingenieur kein Allheilmittel geboten, sondern eine interessante Speziallösung. ● Ist das Endprodukt der Messung ein 176 x 60 mm 202 Der Vermessungsingenieur 2/02 l Die Punktwolke aus Sicht der Mustererkennung Oberflächenmodell, so ist Laserscanning das Mittel der Wahl. ● Erfordert das Endprodukt der Messung sehr viel Abstraktionsvermögen, greift man besser auf dem Menschen verständlichere Primärdaten als die Punktwolke zurück. Soll eine Fassade inhaltlich ausgewertet werden, ist Photogrammetrie, also das Messen in Bildern effektiv. Für die Erfassung von Grundrissen, Schnitten oder auch 3D-Modellen für Architekturapplikationen bzw. Daten für das Facility Management ist die Tachymetrie, also das Messen der relevanten Parameter am natürlichen Objekt, vorzuziehen. ● Sind als Zieldaten Pläne und komplizierte Bauteile gefragt, ist Laserscanning kaum geeignet. Eine Ausnahme bildet die Messung geometrischer Elementarkörper z. B. in der Anlagenvermessung. Hier sind gute algorithmische Ansätze verfügbar. Die qualitativen Kurven in Bild 8 illustrieren die Zuordnung der Technologien zu einigen Anwendungsfällen aus der subjektiven Sicht des Autors. Übrigens, das recht unökologische Verfahren zum Sammeln von Pilzen hat meine Freundin dann doch verworfen. Zu Weihnachten habe ich ein sehr aufschlußreiches Pilzbuch bekommen und so kann auch in der nächsten Pilzsaison der Wecker ausgeschaltet bleiben ... Autor Oliver Bringmann, c/o kubit GmbH, Software für Vermessung, Bau und Architektur, Altplauen 19, 01187 Dresden, Tel.: 03 51-4 71 83-12, Fax: -17, www.kubit.de