Leben im Grenzbereich

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Kassel
Freitag, 9. Oktober 2009
KS-LO4
Umbau Ebert-Straße:
Planung steht fest
Variante mit Radfahrstreifen und Mittelinsel
KASSEL. Eine Straße mit Radfahrstreifen und Mittelinsel dieser Entwurf ist die Grundlage für weitere Planungen zum
Umbau der Friedrich-EbertStraße in den Stadtteilen West
und Mitte. Dies hat die Stadtverordnetenversammlung beschlossen. Damit setzten sich
Grüne, Linke und SPD durch.
Kritik von CDU und FDP
CDU und FDP hatten versucht, dies zu verhindern, waren mit einem eigenen Antrag
aber gescheitert. Sie warfen
der politischen Konkurrenz
vor, die Bürger nicht richtig zu
beteiligen und mit dem Beschluss den Magistrat zu zwingen, sich frühzeitig festzulegen.
Der Versuch, alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt
auf der Friedrich-Ebert-Straße
unterzubringen, könne nicht
funktionieren, sagte André
Lippert (FDP). Daher sollten
die Radfahrer auf eine benachbarten Straße wie das Königstor ausweichen. Statt einer
langen Mittelinsel auf der
Straße sollten Ampeln die
Überquerung
ermöglichen.
Durch den gewonnenen Platz
könnten Autofahrbahn und
Straßenbahnschienen nebeneinander laufen.
Stadtverordneter Kai Boeddinghaus (Linke) kritisierte
die Bevorzugung des motorisierten Verkehrs: „Die Friedrich-Ebert-Straße leidet nicht
unter schlechter Erreichbarkeit durch Autos.“
Streit gab es auch um die
Bürgerbeteiligung: FDP und
CDU forderten eine weitere
Befragung der Anwohner und
Händler. Bisher sei dies eher
so gelaufen: „Bürgerbeteiligung ja, aber nur, so lange der
rot-grünen Mehrheit das Ergebnis gefällt“, sagte Dominique Kalb (CDU). Dieter Beig
(Grüne) verwies dagegen auf
die im Antrag erwähnten Anliegerbefragungen und bereits
angebotene Gesprächsrunden.
„Mehr kann man in diesem
Punkt nicht machen“, sagte
er. (gör)
Erste Bürgerstiftung
feierte Geburtstag
Zehn Jahre Engagement für Stadt und Landkreis
KASSEL. Was mit Stiftungen
im künstlerischen und sozialen Bereich bewegt werden
kann, haben Studenten der
Kasseler Musikakademie und
das Theater Chaosium zum
zehnjährigen Bestehen der
Bürgerstiftung für Stadt und
Landkreis Kassel gezeigt. Bei
der Veranstaltung unter dem
Motto
„Stiften
macht
Freu(n)de“ führten die Schauspieler in der Kundenhalle der
Kasseler Sparkasse Szenen aus
dem neuen Stück „Don Q“ auf.
Die hessische Ministerin für
Wissenschaft und Kunst, Eva
Kühne-Hörmann (CDU), würdigte das bürgerschaftliche Engagement der Zustifter und deren Bedeutung für das Gemeinwesen. Günther Staniewski begeisterte mit seiner Puppe Ingo
Klein, der sich in Kasseler
Mundart humorvoll zum Stiftergedanken bekannte.
Die Bürgerstiftung für die
Stadt und den Landkreis Kassel wurde 1999 als erste Bürgerstiftung in Hessen gegründet und von der Kasseler Sparkasse mit einem Gründungskapital von 25 000 Euro ausgestattet.
Im zehnten Jahr ihres Bestehens zählt sie mit 23 Zustiftungen und einem Stiftungskapital von mehr als 2,7 Millionen Euro zu den erfolgreichsten
Stiftungen
in
Deutschland.
Informationen über die Zustifter, Stiftungszwecke und
beispielhafte Projekte sind in
der Kundenhalle der Kasseler
Sparkasse noch bis zum 30.
Oktober zu sehen. Montags,
mittwochs und freitags von
neun bis 16 Uhr, dienstags
und donnerstags von neun bis
18 Uhr ist die Sparkasse geöffnet. (jbz)
Uni-Wettbewerb: Erster Platz für Foto-Finder
Einen ersten, einen zweiten
und gleich drei dritte Plätze hat
die Jury des ersten Gründungsideen-Wettbewerbs
„Unikat
’09“ der Uni Kassel vergeben.
Das Team „Seven Inches“ bestehend aus Bastian Koell, Santiago Conde Contreras und Flori-
an Bachmann (vorn, von links)
belegte mit einer Software, die
unbetitelte Bilder auf Festplatten wieder aufspürt, den ersten
Platz. Für die Erfindung erhielt
das Team ein Preisgeld von
2000 Euro. Alexandra Nase
(hintere Reihe, links) gewann
den mit 1500 Euro dotierten
zweiten Platz mit modischen
Gesundheitsaccessoires
wie
Pulswärmern. Elena Zucht, Roman Görlitz und Andreas Ripka
belegten Platz drei mit der
Selbstmedikation über Smartphones. Max von Grafenstein,
Benjamin Bauer und Jakob Glüer (derzeit im Ausland) überzeugten mit ihrem Projekt zum
Gemüseanbau in Städten.
Ebenfalls auf dem dritten Platz
landete Björn Bohne mit einer
neuartigen Abflammtechnik
für Unkraut. (jbz)
Foto: Baetz
Leben im Grenzbereich
Borderline-Störung war Thema bei „Gesundheit im Gespräch“ in der Volkshochschule
VON DENNIS STIELER
KASSEL. Schon beim ersten
Treffen hatten sie sich heftig
gestritten. Und doch war sich
Bärbel Jung sicher, die Liebe
ihres Lebens gefunden zu haben. Der Mann war sensibel,
ehrlich, charmant, liebevoll
und dann wieder wollte er sie
wegen eines Streits über das
richtige Essen aus dem Haus
werfen.
Bärbel Jung schilderte während der Veranstaltung Gesundheit im Gespräch ihre Erfahrungen im Zusammenleben mit einer so genannten
Borderline-Persönlichkeit. Zir-
ka 200 Zuhörer waren der Einladung der HNA, dem Gesundheitsamt und der Krankenkasse DAK gefolgt und zu der Diskussionsrunde in die Volkshochschule gekommen.
In Kassel gebe es schätzungsweise bis zu 6000 Betroffene einer Borderlinestörung,
sagte Dr. Michael Franz, Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
in Merxhausen. Zusammen
mit Bärbel Jung von der Selbsthilfegruppe Borderline-Trialog Kassel, der Oberärztin der
Vitos Klinik, Dr. Martine Micol-Grösch, und der leitenden
Oberärztin am Ludwig-Noll-
Krankenhaus Kassel, Annette
Menzel, informierte er über
das Krankheitsbild und stellte
sich den Fragen der Zuschauer.
Kein Borderline-Patient sei
wie der andere, sagte Annette
Menzel. Diese Menschen führten ein Leben im Grenzbereich, das verwirrend und anstrengend sei, sie hätten von
allem zu viel oder zu wenig.
Oft seien die Betroffenen unfähig, stabile Beziehungen zu
führen sowohl in der Liebe als
auch bei der Arbeit. Sie stellen
große Nähe zu ihren Partnern
her, haben dann selbst den
Drang, vor dieser Nähe zu fliehen und fühlen sich schließlich verlassen. Sie schwanken
ständig zwischen der Idealisierung und Entwertung ihrer
Mitmenschen und von sich
selbst. Minderwertigkeitsgefühle wechseln mit Größenfantasien, so Menzel.
Sehr oft gehe die Borderline-Erkrankung mit anderen
psychischen Störungen einher, machte Michael Franz
deutlich.
Suchtverhalten,
Selbstmordgefahr, unkontrollierte Wutausbrüche oder Depressionen seien Beispiele dafür. Deshalb werde die eigentliche Störung oft gar nicht diagnostiziert. 80 Prozent der
Borderliner seien zwar in Behandlung, die meisten aber
nur wegen einer Störung, die
mit ihrer Krankheit einhergeht. Zudem sei Nordhessen
eine Art Notstandsgebiet für
Boderline-Patienten. Nur drei
Prozent der Therapeuten hätten eine störungsspezifische
Zusatzausbildung. Die allerdings sei nötig, sagte der Klinik-Direktor.
Anstrengende Behandlung
Denn auch wenn es heute
mehrere Therapiemöglichkeiten gebe, seien all diese Behandlungen sehr anstrengend: für den Patienten, für
die Angehörigen und auch für
den Therapeuten. Die Betroffenen müssten dazu gebracht
werden, ihr Verhalten zu ändern und das sei schon für
Menschen ohne psychische
Störung oft unmöglich. Deshalb sei die Gelassenheit der
Angehörigen ein wichtiger
Punkt, sagte Franz. Sie müssten aber auch Grenzen aufzeigen.
Noch bestehe ein großes
Defizit im Wissen über Borderline, sagte Martine MicolGrösch. Es sei noch viel Aufklärungs- und Forschungsarbeit nötig. Aus ihrer Arbeit
mit Borderline-Patienten habe
sie aber auch viel gelernt.
Denn diese Menschen seien
sehr oft besonders kreativ und
faszinierend.
Im Gespräch über Borderline: Die Leiterin des Gesundheitsamtes
Dr. Karin Müller (von links), Dr. Annette Menzel, Dr. Michael Franz,
Bärbel Jung und Dr. Martine Micol-Grösch.
Foto: Stieler
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