Jacques Blumer

Werbung
1
WOHNEN ALS GRUNDHALTUNG
Wohnen heisst an einem Ort zusammen-, und an einem anderen alleine sein,
für sich und mit den anderen eine Tätigkeit ausüben. Das gilt für den
Einzelnen wie für die Gruppe. Wohnen ist eine existentielle Gegebenheit,
welcher der Raum, in dem man sich befindet, Rechnung tragen muss. Das „Für
sich sein“ und das „Mit den anderen sein“ fordert somit unterschiedliche
Räume. Es besteht das Bedürfnis nach: Ruhe, genauer: in Ruhe gelassen zu
werden. Dafür braucht es eine visuell und akustisch private Sphäre. Daneben
besteht das Bedürfnis nach dem Zusammensein, dies verlangt die Bühne und
den Auftritt.
So ist für den überwiegenden Teil der Menschen das Wohnen ein Ausdruck
der Befriedigung grundsätzlicher Bedürfnisse. Die Qualität der Architektur und
der Gebrauch der Gebäude, was immer sie seien, stehen somit in einem engen
Verhältnis zueinander stehen. Unter der Prämisse des Gebrauchswerts lassen
sich für die Wohnung wie den Aussenraum, Schlüsselstellen bestimmen und
Regeln ableiten.
Gefragt ist eine unterschiedliche Ausbildung von Territorien auf verschiedenen
Ebenen – von der Ebene des Stadtganzen, bis zur Ebene der Wohnung, und
gefragt ist ein Nachdenken über die entsprechenden Grenzen und Übergänge.
Das Haus und die Stadt
Häuser sind immer Teil eines über sie hinausreichenden städtebaulichen
Kontexts. Das heisst, dass kein Wohngebäude für sich alleine dasteht.
Es gibt immer ein Gegenüber, das liegt mehr oder weniger nah, und es
gibt den Raum dazwischen, den Aussenraum. Gebäude und
Aussenraum bilden eine Einheit und sind oszillierend im Sinn von Figur
und Grund, nicht voneinander zu trennen
Voraussetzung der Erlebbarkeit
2
des Aussenraumes ist, dass er als Figur erfahren wird. Löst er sich im Falle der
Stadt auf, das heisst treten die Häuser als einzelne Objekte weit auseinander,
geht der Stadtraum, der
öffentliche Aussenraum, als Figur verloren und damit seine Möglichkeit als
wahrnehmbare soziale Bühne zu dienen. Die Wohnumgebung verliert eine
wichtige Qualität.
Die Stadt erleben
heisst also sie als öffentlichen Raum, als Sequenz von Strassen, Gassen und
Plätzen zu erleben. So gedacht ist der städtische Aussenraum die Grundlage
für das Entstehen sozialen Handelns. Er ist ein Mittel der gesellschaftlichen
3
Segregation entgegenzuwirken und eine Bühne zu schaffen, die von den
Bewohnern als Erweiterung und Ergänzung des eigenen Hauses gesehen wird.
Voraussetzung für das Gefühl „Stadt“
ist im Weiteren die Dichte. Gemeint ist dabei nicht so sehr die
Einwohnerdichte, als vielmehr die bauliche Dichte, das heisst, die
Besetzung des Bodens und die Nähe der Bauten zueinander. Die
bebaute Fläche und der dazugehörige, abgegrenzte private Aussenraum
sollten bei einer Bebauung so gross sein, dass die verbleibenden
Fläche, vollumfänglich als öffentlicher Aussenraum genutzt wird und
nicht lediglich als Abstandsfläche dient.
Die Übergänge zwischen Haus und Aussenraum
Ein Haus erleben, heisst es als Rahmen einer soziale Organisation und deren
Bedürfnisse zu sehen, mag das ein Einzelner sein, ein Paar, eine Familie oder
eine Gruppe.
Eine Schlüsselstellung
4
nehmen die Übergänge zwischen Haus und öffentlichem Aussenraum ein, die
Bereiche, wo Haus und dieser Raum aufeinander treffen. Diese Übergänge sind
deshalb von besonderer Bedeutung, weil das Territorium Haus, als privater
Bereich ebenso Schutz verlangt wie der öffentliche Raum eine Form. Wird der
Schutz des Hauses weggelassen, entsteht zwischen Haus und Aussenraum ein
Zusammentreffen zweier letztlich feindlicher Elemente, dem Haus als Objekt
und dem Aussenraum als amorphem Bereich. Die Form der Übergänge kann
dabei sehr unterschiedlich sein. Ausschlaggebend ist die Ausbildung einer
deutlichen Abgrenzung des privaten Territoriums gegenüber dem besonderen
Charakter des anstossenden Aussenraums.
Die Wohnung
Der Aufbau der Wohnung
folgt ähnlichen Grundsätzen wie das Zusammenspiel von Gebäude und
öffentlichem Aussenraum. Auch in der Wohnung können wir von privaten und
öffentlichen Zonen und deren Verhältnis zu einander sprechen. Sie reflektieren
die Rücksichtsnahme auf die Ansprüche des sich Zurückziehens und der
5
Kommunikation. Hierbei sind die Generationenansprüche, aber auch solche
des Arbeitens und der Repräsentation, offensichtlich. soll die Wohnung mehr
als bloss dem gesellschaftlichen Repräsentieren, dem Medienkonsum, und
dem Zelebrieren von „convenient food“ dienen, muss sie auch sich stossende
Tätigkeiten erlauben.
Eine Wohnung, und damit das Wohnhaus,
sind deshalb weder ein Designobjekt noch eine abstrakte räumliche
Komposition; sie sind ein zweifellos ästhetischer, den Regeln der Architektur
folgender Gegenstand, in erster Linie aber ein Gebrauchsartikel.
Der Dekalog
Für den Wohnungsbau, den wir im Atelier 5 nun schon seit 50 Jahren betreiben
haben sich mit der Zeit eine Reihe von Regeln ergeben, die trotz laufend
ändernden Ansprüchen an die Wohnung selbst, für die Qualität des Entwurfs
bis heute – jedenfalls für uns - ihre Berechtigung behalten haben, und auf die
wir nicht verzichten wollen:
1. Baue nicht einzelne Häuser sondern Gesamtanlagen:
6
Das heisst, man soll ein Gebäude immer im Kontext mit dem
Nachbargebäude sehen. Häuser können zufällig zueinander gestellt
werden, was heute fast der Normalfall ist, oder sie können zusammen ein
neue Qualität entstehen lassen, den öffentlichen Aussenraum.
2. Schaffe klare begrenzte Aussenräume und vermeide unbestimmte
Aussenräume: .
Öffentliche Aussenräume machen das Wesen einer Anlage aus. Sie sind
Treffpunkte und Kommunikationsbereiche und brauchen dafür eine
klare und bestimmte Form
3. Sorge dafür, dass öffentliche Aussenräume durch alle genutzt werden
können:
7
Das bedeutet dass der öffentliche Aussenraum nicht vom Auto
monopolisiert werden darf. Es muss verkehrsfreie Plätze und Gassen
geben.
4. Sorge dafür dass jede Wohnung einen geschützten, brauchbaren
Aussenraum erhält:.
Erst wenn die Wohnung oder das Haus als private Einheit empfunden
wird, kann auch Gemeinschaft entstehen
5. Achte darauf, dass möglichst viele Hauseingänge auf den gemeinsamen
öffentlichen Raum gerichtet sind :
Hauseingänge bringen das Leben in den öffentlichen Raum. Es
entstehen Begegnungsmöglichkeiten und es entsteht Sicherheit durch
eine natürliche soziale Kontrolle.
8
6. Baue in der Regel so, dass man die Wohnung auch ohne mechanische
Hilfe erreichen kann:
Eine Wohnung muss für alle, auch für Kinder und ältere Leute einfach zu
Fuss erreichbar sein. Man sollte Kindern und Freunden aus dem Fenster
zurufen können. Nach vier Stockwerken wird das schwierig.
7. Entwirf Wohnungen und nicht Designobjekte
Häuser und Wohnungen sind Gebrauchsgegenstände die
unterschiedlichsten Anforderungen entsprechen müssen. Dazu
benötigen sie eine differenzierte und robuste Organisationsstruktur.
Dies ist die Hausaufgabe des Architekten.
8. Baue mit den Mitteln deiner Zeit. Baue sparsam, baue nachhaltig und
ökologisch: Das ist die Herausforderung an unsere Zukunft.
9
9. Baue auf billigem
billigem Boden: so du ihn findest
10. Baue mit billigem Geld: so du es kriegst
Bern, 26.Nov.2008
Prof.
J.Blumer
Atelier 5
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen