Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann 9.7.2006 Predigt über 1. Petr. 3, 8-15 Liebe Gemeinde, stellen Sie sich vor, jemand spräche Sie plötzlich an und fragte: Sagen Sie, worauf setzen Sie eigentlich in ihrem Leben Ihre Hoffnung? Was würden Sie sagen? Vielleicht brächte Sie das zunächst etwas in Verlegenheit. Ja, die Hoffnung, das ist ein weites Feld. Schweigen. Etwas ratlos. Worauf setze ich meine Hoffnung, ach herrje, was für eine Frage? Aber der Fragende nimmt seine Frage nicht zurück, sondern sieht Sie erwartungsvoll an. Und da man gerade Zeit hat, lässt man sich nach erstem Zögern vielleicht auf dieses Gespräch ein, und beginnt zu erzählen. Vielleicht von den Jahren nach dem letzten Krieg, als man mit Nichts in der Hand von vorne beginnen musste. Man hatte darauf gehofft, dass ein neuer Anfang möglich sein könnte, dass sich aus den Trümmern vielleicht doch wieder neue Städte bauen ließen. Oder man erzählt, wie das war, damals, als die Frau, der Mann so krank wurde und man am Krankenbett saß und sich an diesen Satz des Arztes klammerte: Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht erzählt man von den Hoffnungen, die man für die Kinder hat: dass sie behütet sind auf ihrem Weg, dass jemand die Hand über sie hält, dass sie einen Platz in dieser Welt finden. Und wenn man dann so ins Erzählen käme, und Zeit wäre, und Vertrauen entstünde, vielleicht würden wir dann noch weiter gehen. Vielleicht wäre es einmal möglich, über das zu sprechen, worauf wir unser Leben gründen. Vielleicht könnten wir einmal die Scheu überwinden und über unsere Glaubenshoffnung sprechen. Ich hoffe, dass ich am Ende meines Lebens nicht einfach zu Staub zerfalle, sondern dass da noch etwas kommt, dass ich erwartet werde. Und ich hoffe darauf, dass ich Trost finde, wenn ich mich untröstlich fühle. Dass mir vergeben wird, wo ich schuldig geworden bin. Meine Hoffnung ist, dass die Welt nicht so bleiben wird, wie sie ist, die einen superreich und die anderen bettelarm, die einen auf den Thronen und in den Palästen, und die anderen auf den Müllhalden. Meine Hoffnung ist, dass es einmal Gerechtigkeit geben wird und Frieden für alle. Ich hoffe, dass Gott mich hält, auch wenn ich scheitere; dass ich angesehen bin bei ihm, auch wenn ich nicht mehr ansehnlich bin. Ich hoffe darauf, dass es Erlösung gibt und dass es stimmt, dass dieser Christus auch für mich in die Welt gekommen ist... Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. So heißt es in dem Predigttext, den wir heute bedenken sollen. Sind wir bereit, von unserem Glauben zu sprechen? Ach, wenn wir das doch nur könnten. Wenn wir doch nur nicht so schweigsam wären, wenn es um unsere Hoffnung, unseren Glauben geht, so schamhaft, so wortlos. Wovor haben wir eigentlich Angst? Was ist das für eine Scheu? Dass wir Spott ernten könnten? Oder dass wir als weltfremd belächelt würden? Aber wie soll sich denn die Welt erneuern, wenn wir schweigen? Woran sollen sich unsere Kinder orientieren, wenn wir schweigen? Unsere Gesellschaft lechzt nach Werten, nach Orientierung, nach Hoffnung, die über Markteffizienz, Wettbewerbsvorteil und Pisa-Effekte hinausreicht. Wir haben kein Recht unsere Hoffnung zu verschweigen. Auch dann nicht, wenn die Zeiten unübersichtlich geworden sind und nichts mehr selbstverständlich scheint. Gerade dann nicht. Und wenn wir anfangen könnten zu erzählen, von dem, was uns trägt, worauf wir setzen in schweren Stunden, was unser Ziel und unsere Hoffnung ist, das würde auch uns selbst verändern. Und vielleicht könnten wir weniger ängstlich durchs Leben gehen, weniger abhängig von den Urteilen unserer Umwelt. Ich lese den Predigttext ganz, er steht im1. Petrusbrief, im 3. Kapitel. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. Seid gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich/ geschwisterlich, barmherzig, demütig. 9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt. 10 Denn (so steht schon im Buch der Psalmen) »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. 11 Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. 12 Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun« (Psalm 34,13-17). 13 Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? 14 Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; 15 heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. Erzählen von der Hoffnung und alltägliches Verhalten werden hier eng mit einander verknüpft. Religion und Ethik gehören im christlichen Glauben unauflösbar zusammen. Und das war in der Zeit, in der dieser Petrusbrief entstand und an die junge Gemeinde in Rom verschickt wurde, alles andere als selbstverständlich. In der antiken Götterwelt kannte man das nicht. Dort bedeutete Religion die Pflege der Götter. Opfergaben in den Tempel bringen. Heilige Gesänge der Priester finanzieren, um die Götter bei Laune zu halten. Mit dem lieblichen Geruch der Brandopfer die Nasen der Götter kitzeln, um sie freundlich zu stimmen. Ein besonderes Verhalten dem Mitmenschen gegenüber verlangten diese Götter nicht. Und kein Römer oder Grieche wäre auf die Idee gekommen, das Tempelgeld an die Bettler in den Vorhöfen zu verteilen. Religion und Ethik hatten nichts miteinander zu tun. Ahnen wir, wie umstürzlerisch der christliche Glaube da war? Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen! Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort. Wer seine Hoffnung auf den Gott setzt, der die Sünden vergibt, der kann nicht so weitermachen wie bisher. Der kann nicht mehr blind zurückschlagen, wenn ein anderer ihn verletzt. Sei es mit Fäusten oder mit Worten. Der wird die Waffe aus der Hand legen, die Fäuste öffnen. Die alte Rechnung nicht begleichen. Wir wissen, wie nötig die Welt dieses Wort hatte. Wie nötig es unsere Welt hat. Wenn sich nach jedem Selbstmordanschlag die Armeen in Gang setzen und zurückschlagen. Wenn dann an den Gräbern der Toten der Schrei nach Vergeltung sich erhebt und der Hass befeuert wird. Wer kann diese Gewaltspirale durchbrechen? Wer spricht ein Wort des Verzeihens? Macht sich auf den Weg zu den Feinden und streckt die Hand aus? Sucht den Frieden und jagt ihm nach! Das gilt auch im normalen Alltag. Hört auf, schlecht voneinander zu reden! Im Umgang mit Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen. Macht nicht mit, wenn über jemanden hergezogen wird, wenn Gerüchte in Umlauf gesetzt werden. Macht nicht mit bei der ewigen Krittelei und Miesmacherei. Ihr braucht das nicht. Nur um sich selbst stark zu fühlen, wird ein anderer demontiert? Nur um zur Gruppe zugehören, muss schon mal einer über die Klinge springen? Nein, ihr braucht dass nicht! Sagt er Petrusbrief. Ihr habt die Stärke, es anders zu machen. Nein zu sagen, den Schwindel aufzudecken, der Gemeinheit entgegen zu treten. Liebe Gemeinde, der Petrusbrief mutet uns viel zu an Mahnungen und Aufforderungen. Aber er spricht uns auch die Kraft zu, anders weiterzumachen. Woher nimmt er diese Zuversicht? Woher sollen wir diese Zuversicht nehmen, dass es anders gehen könnte? Weil wir einen Gott haben, der selbst aus dem Kreislauf von Strafe und Vergeltung ausgestiegen ist. Der nicht auf sein Recht besteht, sondern Gnade vor Recht ergehen lässt. Der herabgestiegen ist von seinen unsichtbaren Thronen, herabgestiegen aus dem Himmel seiner Herrlichkeit, um Mensch zu sein. Kein Prinz auf dem Feuerross, kein Göttersohn mit Flammenschwert. Sondern einfach Mensch, so wie du und ich. Und doch ganz anders. Ein Mensch, der die Spiele von Macht und Gewalt durchkreuzt hat. Der die segnete, die ihm fluchten und die liebte, die ihn hassten. Der nicht heimzahlte mit gleicher Münze und nach dem ersten Schlag auch noch zweite Wange hinhielt. Der den Bann des Bösen durchbrochen hat. Damals auf Golgatha, als er noch für seine Folterknechte ein Gebet sprach: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Der starb. Aber den der Tod nicht festhalten konnte in seinem Reich, sondern ihn freigeben musste. Denn mit diesem Christus ist auch die Macht des Todes zerbrochen. Der Tod hat sich die Zähne an ihm ausgebissen, und liegt nun da, ein zahnloser Tiger, der auch uns nicht festhalten wird in seinem Schlund. Mit diesem Christus ist eine neue Zeit angebrochen. Seit er gelebt hat, zählen wir anders. Deshalb können wir anders weitermachen. Wir leben nicht mehr nur im Heute, nach den Gesetzen der Gegenwart, wir leben auch schon in der neuen Welt. Das ist die christliche Ungleichzeitigkeit. Und weil wir mehr wissen, als wir ohne diesen Glauben wissen können, darum können wir auch anders leben. Darum können wir dem verfeindeten Nachbarn die Hand reichen, der rivalisierenden Kollegin zulächeln, den bösen Gerüchten entgegentreten. Weil wir mehr sehen, tiefer blicken, als wir ohne diesen Glauben sehen könnten. Weil wir in jedem Menschen auch das Gesicht Christi entdecken. Wir sind mit seinem Namen bezeichnet. Oder, wie es im Petrusbrief weiter heißt: das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, berufen von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. Und weil sich dieses Licht ausbreiten will, weil es nicht eingesperrt sein will in der Mördergrube unserer Herzen, weil es strahlen will, deshalb können wir nicht schweigen. Deshalb müssen wir sprechen, erzählen, weitertragen, was uns anvertraut ist. Deshalb dürfen wir Zeuginnen und Zeugen einer großen Hoffnung sein. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.