Strömende Flüssigkeiten Man zerlegt die Flüssigkeit in kleine Volumenelemente ΔV. Die Bewegung der Massen Δm = ρ ΔV wird durch die Kräfte auf das Volumenelement bestimmt und mit dem Aktionsprinzip berechnet. r r F = ρ g dV Gewichtskraft: g r Kräfte durch Druckunterschiede: Fp = − grad p dV F1 = p1 dy d z F2 = − p2 dy d z dx x Fx = F1 + F2 = −( p2 − p1 ) dy d z = − ∂p ∂p d x dy d z = − dV ∂x ∂x 282 Bereiche höherer Dichte werden nach unten beschleunigt. Besteht ein Druckunterschied zwischen links und rechts wird das Volumenelement seitwärts beschleunigt (oben/unten, vorn/hinten ebenso). Zusätzlich wirken Reibungskräfte zwischen Volumenelementen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Gesamtkraft auf das Volumenelement die beschleunigt: r r r r F = Fg + Fp + FR Beschreibung der Flüssigkeits-Bewegung durch Angabe der Geschwindigkeit r r r u ( r , t ) = u ( x, y , z, t ) an jedem Ort zu jeder Zeit (Strömungsfeld). r r u (r , t ) r r r r Hängt u ( r , t ) = u ( r ) nicht explizit von der Zeit ab, spricht man von einer stationären Strömung. 283 Beschleunigung eines Volumenelementes: 1. in stationärer Strömung: r r r Das Volumenelement gelangt in der Zeit Δt von r nach r + u Δt dort hat es ggf. eine andere Geschwindigkeit. → Beschleunigung Beispiel Beschleunigung in x-Richtung bei Verschiebung in x-Richtung: dux ∂ ux = ux dt ∂x ∂x Beispiel Beschleunigung in x-Richtung bei Verschiebung in y-Richtung: dux ∂ux = uy dt ∂y ∂y Alle möglichen Verschiebungen zusammen ergeben: ∂ux ∂ux dux ∂ ux = ux + uy + uz dt ∂x ∂y ∂z 284 2. in zeitabhängiger Strömung: Zusätzlich kann das Strömungsfeld noch explizit von der Zeit abhängen. Allgemein gilt für die Beschleunigung in x-Richtung: ∂ux ∂ ux dux ∂ ux ∂ ux = + uy + uz ux + dt ∂t ∂x ∂y ∂z Mit der Abkürzung (Nabla) r ⎛∂ ∂ ∂ ⎞ ∇ = ⎜⎜ , , ⎟⎟ ⎝ ∂x ∂y ∂z ⎠ ergibt sich r r r r r du ∂u = + ( u ⋅ ∇) u dt ∂t Des Volumenelement wird bescheunigt, wenn die Geschwindigkeit am selben Ort zunimmt oder wenn es in einen Bereich höherer Geschwindigkeit verschoben wird. 285 Bewegungsgleichung für Flüssigkeit ohne Reibung: (Euler-Gleichung) Aktionsprinzip r r r du ρ dV = Fg + Fp { dt m { r a Beschleunigung und Kräfte einsetzen: L. Euler, 1755 r r r r⎞ r ⎛ ∂u ρ dV ⎜ + (u ⋅ ∇) u ⎟ = ρ dV g − grad p dV ⎠ ⎝ ∂t liefert: r r r r r 1 ∂u + (u ⋅ ∇) u = g − grad p ∂t ρ Euler-Gleichung 286 Um die Flüssigkeit vollständig zu beschreiben muss man für jeden Punkt Geschwindigkeit und Dichte bzw. Druck angeben. r r u (r , t ) r ρ (r , t ) Strömungsfeld = Vektorfeld Dichteverteilung = skalares Feld Zur Berechnung der zeitlichen Entwicklung der Strömung muss auch eine Dgl. für die Dichte aufgestellt werden: Kontinuitätsgleichung Zufluss/Abfluss-Bilanz für Volumenelement: Zufluss Abfluss d m1 = ρ u x dy d z dt d m2 = − ρ u ' x dy d z dt dx x ∂u x ∂u x d m d m1 d m2 = + = − ρ (u ' x −u x ) dy d z = − ρ d x dy d z = − ρ dV ∂x dt dt dt ∂x 287 Berücksichtigung der anderen Seiten liefert: ⎛ ∂u x ∂u y ∂uz ⎞ dm + + = − ρ ⎜⎜ ⎟⎟dV ∂z ⎠ ∂y dt ⎝ ∂x dadurch ändert sich die Dichte in dem Volumenelement: ρ= dm dV ⎛ ∂u x ∂u y ∂uz ⎞ dρ + + = − ρ ⎜⎜ ⎟⎟ ∂z ⎠ ∂y dt ⎝ ∂x Die Klammer bezeichnet man als Divergenz = Quellstärke eines Vektorfeldes r dρ = − ρ div u dt Kontinuitätsgleichung Dichte im Volumenelement nimmt zu, wenn mehr zufließt als abfließt. Dichte im Volumenelement nimmt ab, wenn mehr abfließt als zufließt. 288 Stationäre Strömungen in Rohren ohne Reibung r ρ ( r , t ) = const. Flüssigkeit sei inkompressibel also Der Massenstrom ist überall im Rohr gleich (analog zum elektr. Strom). Gilt, weil es bei Inkompressibilität keine Quellen oder Senken gibt r div u = 0 Im Zeitelement dt tritt durch die Fläche A die gleich Masse dm, wie durch die Fläche A' A r u A' r u' dm dx = ρA = ρ Au x = ρ A'u ' x dt dt A' < A also muss u ' x > u x sein: ux A' = u' x A 289 Berechnung des Druckes bei solchen Strömungen: Eulersche Gleichung war r r r r r 1 ∂u + (u ⋅ ∇) u = g − grad p ∂t ρ Keine Abhängigkeiten von t, y, z, da stationär, ohne Reibung und g = 0. Ableitungen nach t, y, z sind Null. ⇒ ∂ux 1 ∂p ux = − ∂x ρ ∂x Integrieren: ∫ u du x x =− 1 dp ∫ ρ ⇒ p + 12 ρ u 2 = const. p ist der statische Druck, 1 2 1 ux = − p + const. ρ 2 Bernoulli-Gleichung 1 2 ρ u2 heißt Staudruck 290 Versuch: Der Druck wird mit Steigrohren gemessen. Im Bereich großer Geschwindigkeit ist der Druck kleiner (Bild a). Mit Reibung (Bild b): Der Druck nimmt zusätzlich kontinuierlich zum Abfluss hin ab. Energiebetrachtung: In dem Volumen ΔV ist die elastische Energie Eelast = pΔV gespeichert. Bei der Geschwindigkeit u hat ΔV die kinetische Energie: Ekin = 12 ρ u 2 ΔV Energieerhaltung liefert: Eelast + Ekin = pΔV + 12 ρ u 2 ΔV = const. 291 Rohre mit Höhenunterschied: Zu elastischer und kinetischer Energie kommt noch potentielle Energie: E pot = ρ g h ΔV Energieerhaltung liefert: Eelast + Ekin + E pot = pΔV + 12 ρ u 2 ΔV + ρ g h ΔV = const. also p + 12 ρ u x2 + ρ g h = const. 292 Hydrodynamisches Paradoxon Die schnelle Strömung zwischen den beiden Platten erzeugt Unterdruck: Umgebungsdruck: p + 0 = p0 Druck zwischen Scheiben: p + 12 ρ u 2 = p0 p = p0 − 12 ρ u 2 Unterdruck: − 12 ρ u 2 Die Scheibe schwebt, wenn: 1 2 ρ u2 A > m g 293 Dynamischer Auftrieb beim Fliegen: Um einen Flugzeugflügel strömt die Luft entlang der Oberseite einen längeren Weg als entlang der Unterseite. u1 u2 Dadurch oben schnelleres Strömen. Druck oben: p1 = p0 − 12 ρ u12 Druck unten: p2 = p0 − 12 ρ u22 u1 > u2 Die Druckdifferenz zwischen oben und unten erzeugt eine Kraft nach oben: F ≈ 12 ρ (u12 − u22 ) A Durch die Reibung an der Tragfläche ist der Prozess etwas komplizierter. 294 Reibung in Flüssigkeiten: Zwei Platten mit einer Flüssigkeitsschicht dazwischen werden gegeneinander verschoben. Wegen Reibung in der Flüssigkeit benötigt man die Kraft: F =η A u2 − u1 Δx =η A u1 Δx u2 du z dx η : Viskosität oder Zähigkeit, Einheit: [η] = N s / m2 = Pa s η / mPa s T=20° T=0° T=100° Wasser 1.00 1.79 0.282 Benzol 0.65 Ethanol 1.20 Flüssigkeit Glyzerin Quecksilber 1480 12000 15 1.55 295 Reibungskräfte in einem Strömungsfeld: Volumenelement ΔV erfährt links und rechts Reibungskräfte: d uz F1 = −η d y d z dx F2 = η d y d z d uz dx uz x F2 F1 x +d x Zusammen ergibt dies x Fz = F1 + F2 F2 Addieren und erweitern mit dx liefert: Fz = η d x d y d z d uz dx d uz − dx x +d x dx x F1 296b Der Differenzenquotient ergibt gerade die zweite Ableitung von uz nach dx d uz dx d uz − dx x +d x dx x = ∂ 2 uz ∂ x2 Also: d 2 uz Fz = η d x d y d z d x2 Dies ist aber noch nicht die gesamte Kraftkomponente in z-Richtung, da auch Geschwindigkeitsänderungen in y und z-Richtung ebenso beitragen. Insgesamt ergibt sich für die z-Komponente der Reibungskraft: ⎛ ∂ 2 uz ∂ 2 uz ∂ 2 uz ⎞ + 2 ⎟⎟ Fz = η dV ⎜⎜ 2 + 2 ∂y ∂z ⎠ ⎝ ∂x 296 Die anderen Komponenten der Reibungskraft erhält men ebenso ⎛ ∂ 2 ux ∂ 2 ux ∂ 2 ux ⎞ ⎟ + Fx = η dV ⎜⎜ 2 + 2 2 ⎟ ∂z ⎠ ∂y ⎝ ∂x ⎛ ∂2 uy ∂2 uy ∂2 uy ⎞ ⎟ Fy = η dV ⎜⎜ 2 + + 2 2 ⎟ ∂y ∂z ⎠ ⎝ ∂x ⎛ ∂ 2 uz ∂ 2 uz ∂ 2 uz ⎞ + 2 ⎟⎟ Fz = η dV ⎜⎜ 2 + 2 ∂y ∂z ⎠ ⎝ ∂x Diese Formel lässt sich abgekürzt mit dem Laplaceoperator schreiben ∂2 ∂2 ∂2 Δ= 2 + 2 + 2 ∂x ∂y ∂z Die Reibungskraft lautet abgekürzt: r r FR = η Δu dV Achtung: Delta bedeutet hier den Laplaceoperator! 297 Navier-Stokes Gleichung Differentialgleichung für die Bewegung einer viskosen Flüssigkeit: r r r r du ρ dV = Fg + Fp + FR { dt m { Aktionsprinzip r a r r r r⎞ r r ⎛ ∂u ρ dV ⎜ + (u ⋅ ∇) u ⎟ = ρ dV g − grad p dV + η Δu dV ⎝ ∂t ⎠ Wir teilen durch dV und erhalten die Navier-Stokes Gleichung r r r r r r ∂u + ρ (u ⋅ ∇) u = ρ g − grad p + η Δu ρ ∂t Analog zur Euler-Gleichung aber mit Reibung 298 Navier-Stokes Gleichung veranschaulicht an einer Menschenmenge r r r r r r ∂u + ρ (u ⋅ ∇) u = ρ g − grad p + η Δu ρ ∂t Ihre Geschwindigkeit ändert sich weil Sie in einen Berech geschoben werden, wo die Leute schneller laufen weil es bergab geht weil auf der einen Seite mehr gedrängelt wird als auf der anderen Seite weil Sie von den an Ihnen vorbeiströmenden Leuten mitgerissen werden r ∂u ρ ∂t r r r ρ ( u ⋅ ∇) u r ρg − grad p r η Δu 298b Laminare Strömungen p1 Laminare Strömung zwischen zwei Wänden: Kraft auf die Stirnfläche eines Volumenelementes aufgrund eines Druckunterschieds oben Fz ( z ) = p( z ) d x d y unten Fz ( z + d z ) = p( z + d z ) d x d y uz z dp ⇒ d Fz = − d x d y dz dz p2 Reibungskraft: d 2 uz d Fz = η dV Δ uz = η dV d x2 0 d x Bei einer stationären Strömung sind beide Kräfte gleich d 2 uz 1 dp =− 2 dx η dz 299 Lösen durch integrieren: ⇒ x dp d uz =− + c1 dx η dz x2 d p ⇒ uz = − + c1 x + c2 2η d z Aus den Randbedingungen erhält man die Konstanten c1 und c2 uz (0) = 0 = c2 d2 dp uz ( d ) = 0 = − + c1d 2η d z ⇒ d dp c1 = 2η d z Das Geschwindigkeitsprofil ist parabelförmig. x2 − xd d p uz = − 2η d z 300 Laminare Strömung in kreisförmigen Rohren: Hagen-Poiseuille Gesetz 1 dp Δ uz = − η dz Laplaceoperator in Zylinderkoordinaten sieht anders aus: p1 1 ∂ ⎛ ∂ uz ⎞ ⎜⎜ r ⎟⎟ + Ableitunge Δ uz = n nach ϕ und z 1 4 4 2 443 r ∂r ⎝ ∂r ⎠ =0 Es folgt: L 1 ∂ ⎛ ∂ uz ⎞ 1 dp ⎜⎜ r ⎟⎟ = − r ∂r ⎝ ∂r ⎠ η dz z r2 d p ∂ uz ⇒ r =− + c1 2η d z ∂r c1 = 0 weil p2 ∂ uz ∂r =0 r =0 301 r2 d p ⇒ uz = − + c2 4η d z Es folgt aus der Randbedingung u z ( R ) = 0 : R2 − r2 d p uz = 4η d z Berechnung des Durchflusses durch ein Rohr mit Länge L: R 2 − r 2 p1 − p2 V = ∫ 2π r uz d r = ∫ 2π r dr 4η t 0 L 0 R V 2π p1 − p2 = t 4η L R [ 1 2 r R − r 2 V π p1 − p2 4 = R t 8η L 2 1 4 ] 4 R r =0 Hagen-Poiseuille Gesetz 302 Turbulente Strömungen Reynoldssche Zahl: Wir schreiben die Navier-Stokes-Gleichung r r r r r r ∂u ρ + ρ (u ⋅ ∇) u = ρ g − grad p + η Δu ∂t um und vernachlässigen die Schwerkraft: r r r r 1 ∂u η r + (u ⋅ ∇) u = − grad p + Δ u ∂t ρ ρ Linearen Transformation von Zeit und Länge liefert dimensionslose DGL. t = T t' l = L l' r r L u = u' T L2 p = p' 2 ρ T (kleine Buchst. mit Strich dimensionslos, große Buchst. fest mit Dimension) r ∂u ' r r r ηT r + (u '⋅∇' ) u ' = − grad' p'+ 2 Δ'u ' ρL ∂t ' { 1 Re dimensionslose Reynolds-Zahl 303 Mit neuer Zeit und Längenskala gemessene Strömungen sind ähnlich zu den ursprünglichen Strömungen, wenn die Reynolds-Zahl gleich ist. Anwendung: Strömungen um Schiffsmodelle in Zeitlupe betrachtet. Interpretation der Reynolds-Zahl: ρ L2 ρ U L Re = = ηT η erweitern mit L2U liefert: 2 Ekin ρ L3 U 2 Re = = 2 η L U WReibung Die Reynolds-Zahl bietet eine Kriterium um Strömungen einzustufen: Kleine Reynolds-Zahl = starke Reibung → laminare Strömung große Reynolds-Zahl = viel kinetische Energie → turbulente Strömung 304 Wirbel In reibungsfreien Flüssigkeiten wird die Gesamtwirbelstärke erhalten (Helmholtzsche Wirbelsätze). Entspricht dem Drehimpulserhaltungssatz. Bildung von Wirbeln ist nur in Flüssigkeiten mit Reibung möglich. Bevorzugte Bildung an Hindernissen im Strömungsfeld. Wirbelbildung an umströmter Kugel. Reynoldszahl = 1000 Ablösen der Wirbel und Bildung einer Karman-Wirbelstraße 305 Wirbelstraße auf der Jupiteroberfläche Reynolds-Kriterium für Wirbelbildung: Starke Reibung → laminare Strömungen Keine Reibung → Wirbelbildung unmöglich Schwache Reibung → Wirbelbildung → Remin < Re < ∞ Bei Strömung in Rohren: Remin ≅ 2000 Weitere Beispiele zu Wirbelbildung durch numerische Lösung der Navier-Stokes Gleichung 306 Magnus-Effekt: Durch Reibung an der Oberfläche eines rotierenden Zylinders ist die Strömungsgeschwindigkeit an der einen Seite schneller als an der Anderen. Geschwindigkeit oben: vo = v + ω r Geschwindigkeit unten: vu = v − ω r Nach Bernoulli ist also der statische Druck unten größer als oben → Auftrieb Δp = 12 ρ ( vo2 − vu2 ) Bei einem Zylinder der Länge l ist die Auftriebskraft von der Größenordnung: F ≈ 12 ρ 2ω r v r l vektoriell: r r r F ≈ ρ l r 2v × ω 307