6 Aus der Region B „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“ In der Bach’schen Johannes-Passion weist ein schlichtes Es-Dur am Ende den Weg zur Auferstehung „Es ist vollbracht“ für Altus gehört zu den vokalen Schlüsselszenen, hier von Rob Cuppens in ruhiger, aber nie behäbiger Andacht gemeistert. Begleitet übrigens explizit von der Viola da Gamba, die die Intensität hochhält und intuitiv „Trost für die gekränkten Seelen“ verheißt. Von Norbert Meyers Ob die Besucher der Premiere am 7. April 1724 auch so hart gesessen haben wie das Publikum in Eupen, hat kein Chronist überliefert. Fakt ist aber, dass die Bach’sche JohannesPassion erstmals überhaupt in einer Kirche erklang, die dem heiligen Nikolaus geweiht ist. Wie nun auch in Eupen, zum Auftakt des OstbelgienFestivals. Und der Thomaskantor hätte Ludo Claesen nach den knapp zwei Stunden mit Sicherheit anerkennend auf die Schulter geklopft. Denn hier agierte ein Dirigent - dank vor allem auch seiner langjährigen Erfahrung mit dem Werk - ganz im Sinne des Komponisten. Ludo Claesen am Pult seines Kammerchores Maastricht und eines erlesenen Instrumentalensembles formte diese oratorische Leidensgeschichte hör- und spürbar zu einem Ganzen. Mal Handlungsdrama, mal Leidensmeditation, Der Dirigent gilt seit jeher als ausgewiesener Anwalt des Chorklangs, plädiert für eine textbezogene Interpretation und nicht weniger für Transparenz und Klarheit in den musikalischen Strukturen. Spannende Dramaturgie ohne pathetische Brüche Im Kammerchor Maastricht und im solistisch besetzten Collegium Instrumentale verfügt Ludo Claesen über beredte Partner. Fotos: nemo Vor allem aber schafften es alle Akteure, hierunter gleichfalls die ungemein eloquenten und intonationssicheren Solisten, diese wahrscheinlich erste Passion von Johann Sebastian Bach - uraufgeführt an der Nikolaikirche, der größten Stadtkirche an neuer Wirkungsstätte in Leipzig - just am Schnittpunkt zwischen Leidensmeditation und Handlungsdrama zu deuten. Schon der düstererhabene Eingangschor „Herr, unser Herrscher“ setzt ein mit scharfer Akzentuierung und drängender Ungeduld - freilich unter Wahrung des Charakters in Moll. Erkennbar wird zudem früh, dass es dem Leiter wie seinen Interpreten stets wichtig ist, Deutung und Deutlichkeit allein durch pointierte Tonsprache zu erzielen. Jan Caals verleiht seinen Evangelienberichten nicht nur den unabdingbaren, dramatisch drängenden Impuls, sondern gestaltet zugleich klanglich sehr eindringlich. Pathos ja, jedoch niemals zum Selbstzweck - solchermaßen die Qualitäten, die Benoît Giaux als Christus und ebenso Jan Willem Van der Hagen als Pilatus auszeichnen (ähnlich beredt in der Arie „Mein teurer Heiland“). Nur bei Studioproduktionen nimmt sich der Evangelist die zeitliche Freiheit, auch die Tenorarien zu singen. Nicht aber live! Aus nachvollziehbarem Grund, schließlich fordert etwa die Arie „Erwäge, wie sein blutgefärbter Rücken“ den Solisten (hier der expressive und geschmeidige Laurens Alexander Wyns) ganz und gar. Die Sopranistin Els Crommen verlieh „Ich folge dir gleichfalls“ Hingabe und Demut, bestach in „Zerfließe mein Herz“ mit sensibler Ausdrucksstärke. Alle Soli in den Instrumentalparts zeugten von herausragender technischer Fertigkeit, als „primus inter pares“ besonders Oboe(n) und Cello. Mit versiertem Spiel trafen sie den Nerv der vokalen „Handlung“, erwiesen sich aber in ähnlich souveräner Weise als Garanten der dramaturgisch-szenischen Spannung des Werks. Zur Sache: „Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn...“ skizziert den Erlösungsgedanken Um innige Klangschönheit bemüht... Für die Ohren und die Seele Die Johannes-Passion gilt als Werk, das besonders von der Vielschichtigkeit der Chorpartien lebt. Und da verfügt Ludo Claesen im halbprofessionellen Kammerchor Maastricht über eine Kantorei, die allen Bach’schen Anforderungen gerecht wird. Ebenso in den flammenden TurbaChören (so, als Beispiel unter vielen, im extrem knappen, grellen „Kreuzige“) wie als feinsinniger Partner im Dialog der Bassarien. Alle Stimmlagen agieren mit äußerster Sensibilität, gestalten einen hell timbrierten Tuttiklang, singen nach Bedarf ungemein wendig und finden dennoch stets stilsicher zurück zum kontemplativen Charakter der Choräle. Spannungs- geladene Kontraste von zupackender Intensität, die unmittelbar ins Passionsgeschehen führen. Gerade im nachdrücklichen Kernstück der Passion, dem Choral „Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn, ist uns die Freiheit kommen“, gibt der Chor dem Erlösungsgedanken vokale Gestalt. Hier wird ganz im Sinne der Heilsbotschaft gesungen - nach Bedarf agil und forsch, nach Bedarf aber ebenso gehaltvoll und warm. Stets klar konturiert, hörbar bemüht um innige Klangschönheit. Für die Ohren und für die Seele!