Das Modell des „Palliativapartments“

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Sterben im Krankenhaus
Das Modell des
„Palliativapartments“
Die meisten Menschen wünschen zuhause zu sterben. In über
der Hälfte der Fälle werden die letzten Stunden/Tage aber im
Krankenhaus verbracht, wo Sterben und palliative Behandlung,
inmitten des normalen Stationsbetriebes stattindet. In unserem Krankenhaus wurde im ruhigen Seitenbereich einer Akutstation ein Palliativapartment eingerichtet. Dort soll Sterbenden und ihren Angehörigen ein würdevoller Abschied in privater Atmosphäre, möglichst ähnlich dem häuslichen Umfeld,
ermöglicht werden.
Auch wenn von den Patienten oft anders
gewünscht, sind von 869 582 Verstorbenen im Jahr 2012 in Deutschland fast die
Hälfte (47 %) im Krankenhaus gestorben
[1]. Berücksichtigt man zusätzlich die
Sterbefälle in unseren Plegeheimen, so
verstirbt nurmehr die Minderheit zuhause [2,3]. Allerdings erfordert die häusliche
Situation für Schwerkranke und Sterbende gewisse Voraussetzungen:
1. Es muss ein eigenes Zuhause geben,
2. muss immer jemand zuhause sein,
3. müssen Patient und Angehörige wollen, dass der Patient zuhause ist und
nach Möglichkeit bis zu seinem Tode
verbleiben kann,
4. Heimkrankenplege und
Heimkrankenhelfer(innen) müssen
die nötige Fachkompetenz, Motivation und Ressourcen haben (Tag und
Nacht) und
5. ein Arzt mit Engagement und palliativer Kompetenz muss die medizinische Verantwortung tragen [4].
Begleitende Umstände, die zu gewährleisten nicht einfach sind. Aber auch die Sterbesituation in deutschen Krankenhäusern
wird von den meisten Beteiligten als problematisch, von manchen – ob zu Recht
oder Unrecht – als „unmenschlich“ beschrieben [5, 6]
Im Fachbereich Geriatrie des Bonifatius
Hospitals in Lingen werden ältere Patienten kurativ behandelt, aber auch in der
letzten Phase ihres Lebens palliativ begleitet. Bis Ende des Jahres 2007 erfolgte
die palliative Behandlung von Patienten
inmitten des normalen Stationsbetriebes,
dies stellt zwar die übliche Krankenhaus-
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realität dar, erschien uns jedoch unbefriedigend. Um den Patienten aber auch deren
Angehörigen einen würdevollen Abschied
in einer angemessenen Athmosphäre, die
dem häuslichen Umfeld nahe kommen
sollte, ermöglichen zu können, wurde in
einem ruhigen Seitenbereich unserer
Akutstation und modellhaft für das gesamte Haus, ein Palliativapartment eingerichtet.
Um zu evaluieren, wie dieses besondere,
von normalen Krankenzimmern zu unterscheidende, Palliativapartment von den
Angehörigen der Sterbenden wahrgenommen wird, wurde von uns ein Fragebogen zur Qualitätskontrolle entwickelt,
der den Angehörigen nach dem Tod des
Patienten zugesandt wurde.
Methodik der Untersuchung
▼
Vor Beginn der Untersuchung wurde das
Projekt dem Ethikkomitee des Bonifatius
Hospitals (institutionalisiert seit dem Jahr
2000 mit eigener Satzung und Geschäftsordnung) in einem genormten Verfahren
vorgestellt. Es bestanden keine Einwände.
Für unsere Erhebungen wurde ein Fragebogen mit 4 ixen Fragen und zusätzlichem Raum für freie Textäußerungen verwandt. Die Angehörigen wurden entweder ereignisnah, ca. 2 Monate bzw. innerhalb von 3-10 Monaten oder ereignisfern
11-21 Monate nach dem Tode ihres Angehörigen befragt. Hintergrund dieser Aufspaltung war zu prüfen, ob ein Unterschied in der Wahrnehmung durch zeitlichen Abstand zum Ereignis und erfolgter
Trauerarbeit zu verzeichnen wäre. Im Fragebogen wurden der Grad der Zufriedenheit mit der Betreuung der eingebundenen Berufsgruppen (Ärzte, Plege, Seelsorge) und die Wahrnehmung der Räume
und der Einrichtung abgefragt. Zusätzlich
wurde bewusst die Möglichkeit zur freien
Äußerung geboten.
Insgesamt wurden 103 Fragebögen ausgesandt, 75 Fragebögen innerhalb der Gruppe zeitnah, 12 Fragebögen in der Gruppe
3-10 Monate und 16 Fragebögen in der
Gruppe ereignisfern versandt. Die Rücklaufquote betrug in den Gruppen 37
(49 %), 8 (67 %) bzw. 10 (63 %).
Lage und Ausstattung des Palliativapartments: Das Palliativapartment besteht
aus Patientenzimmer (Abb. 1), angeschlossenem Wohn- resp. Angehörigenzimmer, 2 separaten Sanitärbereichen
und einem Vorraum (Abb. 2). Als Appendix zur eigentlichen Station 21 (Akutgeriatrie) hat es den Vorzug ruhiger hinsichtlich des üblichen Stationsdurchgangsbetriebes zu liegen. Des Weiteren ist sowohl
das umgebende Ambiente als auch die
Möblierung und gesamte Ausstattung des
Apartments und der damit verbundenen
Sanitärbereiche ausgesprochen hochwertig, bewusst in zurückhaltender Farbgebung und elegant-strenger Formgebung
gehalten und an klassischen Hotels der
„Luxusklasse“ orientiert. Parkettboden
mit Intarsien im Vorraum und einem auf
fotomechanischem Weg aus einer spätbarocken Bozzetto-Vorlage eines süddeutschen Meisters hergestelltes Decken„Fresko“: Chronos und Gäa, umlaufende
klassizistische Stuckimitate sowie in Teilen verspiegelte Schiebetüren, die dem
kleinen Vorraum Weite geben, vermitteln
eine nahezu höische Umgebung.
Ergebnisbericht, Diskussion und
Fazit
▼
Von den insgesamt 103 versendeten Fragebögen erhielten wir 55 zurück, was einer Rücklaufquote von 53 % entspricht.
Es konnte kein signiikanter Unterschied
in der Beantwortung der Fragebögen festgestellt werden in Abhängigkeit zu den
unterschiedlichen Zeitpunkten (2 Monate, 3-10 Monate oder 11-21 Monate), an
denen die Fragebögen verschickt wurden.
Das Alter der Patienten lag zwischen 44
und 96 Jahren, Durchschnittsalter 79,5
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Nach Klaschik und Husebø [7] stellt die
Palliativmedizin ein ganzheitliches Konzept u. a. zur Betreuung sterbender Patienten mit Integration der psychischen, sozialen und seelsorgerischen Bedürfnisse
von Patienten, Angehörigen und des Behandlungsteams dar. Es ist dabei äußerst
wichtig, dass die Angehörigen in die Gesamtbetreuung eingebunden werden.
Speziell letzteres bestätigen auch die Ergebnisse unserer Umfrage. Entscheidend
für das Gelingen eines Abschiednehmens
sind die hohe Professionalität der Palliativmedizin und Plege und die Bereitstellung eines würdevollen räumlichen Umfelds. So zeigen die Antworten der Angehörigen, dass die palliative Betreuung
Sterbender und die Mitbetreuung der Angehörigen nicht voneinander trennbar ist.
Abb. 1 Blick vom Vorraum in Patientenzimmer und eine der Nasszellen.
Jahre und die Verweildauer im Palliativapartment betrug 2 Stunden bis 65 Tage,
durchschnittliche Verweildauer 11,5 Tage.
Von den 103 Verstorbenen im Palliativapartment waren 20 privat und 83 gesetzlich versichert.
Die Zufriedenheit der Angehörigen mit
der ärztlichen, plegerischen und spirituellen Betreuung war durchwegs positiv.
Lediglich bei einem Fragebogen wurde die
ärztliche und plegerische Betreuung als
ungenügend bezeichnet. Insgesamt wurde die plegerische Betreuung zu ca. zwei
Drittel als sehr gut und zu einem Drittel
als gut angesehen, die ärztliche und spirituelle Betreuung hingegen zu jeweils ca.
50 % als sehr gut oder gut.
Der Teil der Befragung, der sich mit der
Wahrnehmung der Räume und der Einrichtung beschäftigte ergab, dass fast allen Angehörigen auiel, dass der Bereich,
in dem der Patient in seinen letzten Tagen/
Stunden geplegt worden ist, sich deutlich
von bisherigen Unterbringungen im Krankenhaus unterschieden hat. Auch an Einzelheiten der Ausstattung des Palliativapartments konnten sich die meisten befragten Angehörigen erinnern, hierbei
blieb vor allem das Krankenzimmer, das
Wohn- bzw. Angehörigenzimmer sowie
der Vorraum im Gedächtnis. Die Einrichtung der Zimmer, Möbel, Ausstattung und
Ausschmückung wurde von über 80 % der
Befragten als angenehm empfunden.
Die Möglichkeit zum freien Kommentar
wurde von fast allen Angehörigen genutzt. Die Äußerungen zur ärztlichen,
plegerischen und spirituellen Betreuung
ielen in den meisten Fällen sehr positiv
aus; oft wurde noch einmal genau erläutert, warum die Angehörigen mit der Betreuung zufrieden waren. Vor allem dem
Plegepersonal wurde sehr häuig explizit
gedankt. Nur in wenigen Fällen wurde
Kritik an der Betreuung geäußert. Ähnliches trift für die Kommentare zur allgemeinen Betreuung zu.
Zur räumlichen Situation und Unterbringung wurde von den Angehörigen vor allem positiv hervorgehoben, dass sie für
die letzte Zeit mit dem Sterbenden so ideal gestaltete Räume zur Verfügung hatten.
Die angenehme ruhige Atmosphäre, die
Lage abseits des Stationsbetriebs, sowie
der fehlende Krankenhaus-Charakter
wurden oft genannt. Auch der getrennte
Raum für die Angehörigen wurde als sehr
angenehm empfunden, da die Angehörigen sich dort auch einmal zurückziehen
konnten und eine Schlafmöglichkeit vorhanden war. Die einzigen kritischen Kommentare bezogen sich auf als zu dunkel
empfundene Möbel, die eine „negative
Aussage“ hätten und das unbequeme
Schlafsofa.
Zusammenfassen lässt sich das Ergebnis
der Umfrage am besten mit folgendem Zitat: „Es war schön zu wissen, dass es auch
so eine Möglichkeit gibt „Abschied zu nehmen“.
Der räumliche Abstand unseres Palliativapartments zum Kernbereich der Station
und die Möglichkeit, Nähe und Distanz
zum Sterbenden jederzeit selbst bestimmen zu können, führen zu großer Zufriedenheit bei den Angehörigen. Auch zeigte
sich, dass ein würdevoller und geschmackvoller Rahmen zum Abschiednehmen
durch die Angehörigen bewusst wahrgenommen und als angenehm erlebt wird.
Auch über einen längeren Zeitraum, bis zu
ca. 1,5 Jahre nach dem Tod des Angehörigen und der damit im Palliativapartment
verbrachten Zeit, bleibt sowohl die Ausstattung als auch die plegerische, ärztliche und seelsorgerische Betreuung bei nahezu allen Angehörigen in positiver Erinnerung. Das Modell des „Palliativapartment“ ist also eine gute Möglichkeit, die
palliative Behandlung von Patienten auch
im Krankenhaus in einer angenehmen Atmosphäre zu vollziehen und die Möglichkeit eines würdenvollen Abschieds in einem persönlichen Rahmen zu ermöglichen.
Die Ausstattung wurde bewusst ausgesprochen hochwertig und elegant gewählt
um den Palliativpatienten und ihren Angehörigen unausgesprochen das Gefühl zu
vermitteln, dass wir uns mit der Behandlung dieser Patienten eine besondere
Mühe auch in der Wahl der äußeren Form
geben und sie besonders wertschätzen im
Sinne des absoluten Gegenteils von „abschieben“.
Abschließend soll die Wiedergabe eines
Freitextes einer Angehörigen das Empinden der Ausstattung und der Räume und
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der Wirkung, die sie auf die Besucher haben illustrieren:
„Krankenzimmer werden betreten mit der
Hofnung auf körperliche Heilung. Betrete
ich den Palliativbereich, so habe ich diese
Hofnung begraben. Der Vorraum ruft mich
zur Besinnung auf, will mich herausreißen
aus Hofnungslosigkeit und Verzweilung,
indem er mir neue Perspektiven eröfnet.
Die Spiegellächen zur Rechten und zur Linken scheinen zu mahnen: „Steh still! Erkenne dich selbst! Und sieh doch!“, sagen sie
mit ihrem Muster, „wie bruchstückhaft all
dein Erkennen ist, wie vorläuig, eben wie
durch einen Spiegel!“ (Kor 13, 12). Unweigerlich lieht mein Blick ohnmächtig zu dem
Deckengemälde. Er indet Halt und meine
Seele Trost in dem verklärten Blick der
Frau*. Der Teufel, der die Gewalt über den
Tod hat (Hebr 2, 14), hat sie nicht halten
können. „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo
ist dein Sieg?“ (1 Kor 15, 55). Den Augen verborgen scheint Jesus sie zu sich zu ziehen,
wie er versprochen hat (Joh 12, 32). Sie darf
heim in die Wohnung, die er ihr bereitet hat
(Joh 14, 2,3,) in ein Leben ohne Schmerz (Of
21, 4). Gestärkt mit der Hofnung im Herzen,
dass der Tod nicht das Ende ist, sondern ein
neuer Anfang, wird mein Schritt in das Krankenzimmer, die Begegnung mit dem Kranken, leichter. In dem angrenzenden Raum
kann ich zur Ruhe kommen. Die stilvolle Einrichtung, in Schwarz gehalten, verdeutlicht
auf ihre Art eine stille Anteilnahme an meiner Trauer. Die Innenausstattung der Räume
drückt den Wunsch aus dem würdevollen
Umgang mit dem Sterbenden und seinen Begleitern einen entsprechenden Rahmen zu
geben, lässt mich erfahren, dass man es mir
in dieser schweren Zeit so weit wie möglich
angenehm machen möchte, dass man es gut
mit mir und dem Kranken meint.“
Das von uns entwickelte Modell des „Palliativapartments“ könnte nach unseren
bisherigen Erfahrungen auch in jeder anderen Abteilung unseres Krankenhauses
eingerichtet werden und würde als eine
Alternative zu Palliativabteilungen, die
nicht in jedem Krankenhaus eingerichtet
werden können, angesehen werden. Dabei ist zu betonen, dass unser Modell keine
Konkurrenz zu einer Palliativstation darstellen kann, sondern eine Alternative
bietet in Situationen, in denen das Führen
eines Patienten auf einer Palliativstation
nicht möglich oder nicht gewünscht ist
und diese wann immer organisierbare
und vorzuziehende häusliche Terminalplege ebenfalls nicht möglich ist. Erwähnt sei auch, dass in unserem Haus keine Palliativmedizin im Sinne einer Palliativstation etabliert und somit, keine erlösrelevante DRG-Fallpauschale abgerechnet
wird, da eine Vereinbarung mit einem befreundeten und benachbarten Krankenhaus in ca. 20 km Entfernung besteht, das
in der Palliativmedizin und verbunden
mit einem Hospiz einen besonderen Behandlungsschwerpunkt aufgebaut hat. Es
gilt diese Entwicklung nicht zu stören und
nicht in Konkurrenz zu treten sondern
komplementär zu agieren. Wir sehen unser Modell ausdrücklich nicht als eine
Konkurrenz zur Institution einer palliativmedizinischen Station oder Abteilung,
sondern eher als ein Raum- und Strukturkonzept mit Blick auf nicht palliativmedizinisch spezialisierte Abteilungen in Krankenhäusern aller Versorgungsstufen.
Mit dem Modell des Palliativapartments
wird der Wunsch vieler Menschen in einer privaten, idealerweise der eigenen
häuslichen Atmosphäre, die allerletzte
Phase ihres Lebens zu verbringen, aufgenommen. Da das Sterben zu Hause wie
eingangs ausgeführt aus den unterschiedlichsten Gründen in der Regel nicht gelingt, transferieren wir gewissermaßen
das Zuhause, oder zumindest ein privates,
häusliches Umfeld in das Krankenhaus.
Katharina Holtkamp, M. Sc. biol.
Anna Guzynska-Schroeder, Gesundheitund Krankenplege
Prof. Dr. Dr. Gerald F. Kolb;
Medizinische Klinik, Fachbereich Geriatrie
Bonifatius Hospital Lingen
E-Mail: [email protected]
Literatur online abrufbar unter
http://www.thieme-connect.de/ejournals
Abb. 2 Vorraum mit Eingang links zum Aufenthalts-/ Angehörigenzimmer, rechts zum Patientenzimmer.
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* Allerdings wird der mythologische Inhalt des
auf fotomechanischen Weg aufgebrachten
Deckengemäldes verkannt. Die Darstellung
zeigt Chronos und Gäa. Trotzdem kann das
qualitätvoll gemalte Bild ofensichtlich
Emotionen und Assoziationen auslösen.
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