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Jennifer C. Plumb und Victoria M. Follette2
Die Akzeptanz-und-Commitment-Therapie (ACT) ist ein Erfolg versprechender Behandlungsansatz für Traumaopfer und -überlebende3. Die ACT ist ein aus der Verhaltenstherapie stammender Ansatz, in dem es um die emotionale Akzeptanz und eine positive
Verhaltensveränderung in Bezug auf das traumatische Lebensereignis geht. Zusätzlich
stehen grundsätzliche – im gewissen Sinne philosophische Fragen – im Mittelpunkt, wie
die Patienten ihrem Leben eine erwünschte Richtung geben können und dafür auch eine
verbindliche Verantwortung übernehmen. Das oberste Ziel der ACT ist es, die psychologische Flexibilität zu vergrößern und somit die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Ziel dieses Kapitels ist es, eine Begründung für die Anwendung dieses Ansatzes in
einer Traumabehandlung zu bieten und einen kurzen Überblick über die Ziele jeder einzelnen Behandlungskomponente zu geben. Aufgrund des begrenzten Umfanges des Beitrags kann dieser allerdings keinesfalls ein umfassendes Behandlungsmanual ersetzen.
Für ein besseres Verständnis des ACT-Ansatzes empfehlen wir weitere Literatur: Follette
1994; Hayes, Strosahl u. Wilson 1999; Hayes, Strosahl u. Wilson 2004; Hayes, Gregg u.
Wulfert 1998; Varra u. Follette 2004; Walser u. Hayes 1998. Diese Vertiefungslektüre
wird auch weitere Feinheiten der Behandlung einschließlich ihres Metapherngebrauchs
und der eingesetzten Verhaltensübungen besser verständlich machen.
Trauma und Erlebnisvermeidung (experiential avoidance)
Das Erleben von traumatischen Ereignissen ist statistisch gesehen für die meisten Menschen eine normale Erfahrung im Laufe ihres Lebens. Traumatische Erlebnisse können eine
Reihe von Erfahrungen beinhalten: z. B. zwischenmenschliche Gewalt (körperliche Gewalt,
sexueller Missbrauch, Raub), Naturkatastrophen (Erdbeben, Flutkatastrophen, Feuer), Terrorismus und Kampf- oder Kriegserlebnisse. Darüber hinaus sind viele Menschen einer
Reihe von anderen weit verbreiteten traumatischen Erlebnissen ausgesetzt, z. B. Auto- und
Arbeitsunfällen. Menschen, die einer traumatischen Situation ausgesetzt sind, reagieren
häufig mit einer Reihe typischer Verhaltensweisen, wie z. B. belastende Gedanken (Intru-
Übersetzung des Beitrags aus dem Englischen von Dr. Birgit Wagner
Die Autoren danken Dr. Claudia Drossel für ihre wertvolle Beratung beim Verfassen des Beitrags.
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Im englischen Sprachraum hat sich der Begriff „Überlebende“ für von Traumata Betroffene weit durchgesetzt; im Folgenden wird aufgrund der Gepflogenheiten im deutschen Sprachraum dafür meist der
Begriff „Traumaopfer“ verwendet – Anm. der Herausgeber.
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Akzeptanz-und-Commitment-Therapie
für Traumaüberlebende1
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sionen) und Empfindungslosigkeit. Diese bestehen normalerweise nur über einen kurzen
Zeitraum und lassen über die Zeit hinweg an Intensität nach, sobald Menschen anfangen,
ihre schmerzhaften Erfahrungen in ihr Leben zu integrieren. Für einige Menschen wird
jedoch die traumatische Erfahrung so überwältigend, dass dies eine negative Auswirkung
auf die psychologische Gesundheit hat. Häufig treten weitere Störungen in anderen Funktionsbereichen auf, beispielsweise in Arbeits- und Sozialbeziehungen, und verstärken somit
häufig das Trauma. Dadurch kann eine Reihe von verschiedenen klinischen Problemen bei
Traumaopfern vorhanden sein, und rein auf die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
beschränktes therapeutisches Arbeiten ist dabei nicht mehr ausreichend. Der Akzeptanzund-Commitment-Ansatz berücksichtigt das gesamte Ausmaß der Probleme, die traumatisierte Menschen erleben. Wir behandeln sowohl traumaspezifische Symptome als auch
weitere Problembereiche, wie Substanzmissbrauch oder Beziehungsprobleme, im Hinblick
auf den historischen und den gegenwärtigen Kontext des Patienten.
ACT ist nicht die einzige Therapie, die die zentrale Rolle der Erlebnisvermeidung für die
Entwicklung und Aufrechterhaltung einer PTBS und der damit verbundenen Probleme als
theoretischen Ausgangspunkt betont. Viele Therapeuten und Wissenschaftler stimmen darin
überein, dass Vermeidung den Kern der Entwicklung und Aufrechterhaltung der posttraumatischen Belastungssymptomatik darstellt (s. auch APA 2000; Briere u. Runtz 1991; Foa,
Riggs, Massie u. Yarczower 1995; Krupnick 2002; Orsillo u. Batten 2005). Ein wichtiger Bestandteil in unserem Psychopathologiemodell ist die Konzeptualisierung der Vermeidung als „Erlebnisvermeidung“ (experiential avoidance: Hayes, Wilson, Gifford, Follette u. Strosahl 1996).
Erlebnisvermeidung beschreibt eine Form der Problembewältigung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Person nicht bereit dazu ist, Gedanken, Emotionen, Erinnerungen
oder körperliche Wahrnehmungen zu erleben, und Strategien benutzt, um diese Erlebnisse
zu vermeiden, zu verändern oder ihnen zu entfliehen. Wir gehen davon aus, dass Gedanken,
Emotionen, Erinnerungen oder körperliche Wahrnehmungen nicht an sich problematisch
sind, dass aber der Versuch, ihnen zu entfliehen oder sie zu vermeiden, zu psychologischen
Problemen führen kann. Ferner gilt, dass viele Verhaltensweisen, die der Flucht oder der
Vermeidung dienen, z. B. Substanzmissbrauch, Dissoziation, selbstverletzendes Verhalten,
an sich problematisch sind und eine Einschränkung des Lebens bedeuten (Hayes et al. 1996).
Die Behandlung der Erlebnisvermeidung wird daher als zentraler Punkt im Umgang mit einer
Reihe klinischer Störungen beschrieben (z. B. Hayes et al. 1996; Polusny u. Follette 1995).
Erlebnisvermeidung könnte erklären, weshalb manche Menschen posttraumatische
Stress-Symptome entwickeln und andere hingegen nicht. Bewältigungsstile, die auf Erlebnisvermeidung schließen lassen, wurden in einer Vielzahl von Stichproben mit posttraumatischer Belastungssymptomologie in Verbindung gebracht. Unter den Stichproben waren
weibliche sexuelle Missbrauchsopfer (Shipherd u. Beck 1999; Valentiner, Foa, Riggs u.
Gershuny 1996), Golfkrieg-Veteranen (Bentosch et al. 2000) und Jugendliche, die Großstadtgewalt ausgesetzt sind (Dempsey 2002). Ferner deuten Ergebnisse wissenschaftlicher
Studien darauf hin, dass explizite Kontrollstrategien in Bezug auf die internalisierten Erfahrungen ineffizient sind und oft paradoxerweise deren Häufigkeit und das damit verbundene
Leiden verstärken, z. B. der Versuch, den Intrusionen durch Gedankenstopptechniken auszuweichen (Purdon 1999, Wegner 1994).
Es wird im Wesentlichen vermutet, dass Erlebnisvermeidung den langwierigen psychologischen Folgen eines traumatischen Ereignisses unterliegt. Polusny und Follette (1995)
halten beispielsweise in ihrem Überblick über die Auswirkung von Kindesmissbrauch fest,
dass Traumaüberlebende häufiger psychologische Störungen entwickeln als Frauen ohne
eine traumatische Vorgeschichte (z. B. Angststörungen und Depression, Essstörungen, Disso-
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Akzeptanz-und-Commitment-Therapie für Traumaüberlebende
J. C. Plumb, V. M. Follette
ziation, Substanzmissbrauch, Beziehungsprobleme, sexuelle Schwierigkeiten (z. B. sexuelle
Unzufriedenheit, Funktionsstörungen, Risikoverhalten und suizidales Verhalten). Die Autoren gehen davon aus, dass solch eine Bandbreite von Störungen, die mit dem sexuellen Missbrauch in Verbindung stehen, durch Mediatorwirkungen der Erlebnisvermeidung erklärt
werden könnte. Neuere Untersuchungen haben eine direkte Verbindung zwischen der Erlebnisvermeidung und der Entwicklung und Aufrechterhaltung psychologischer Störungen ergeben. Personen, die sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit erlebten, zeigten ein ausgeprägteres Erlebnisvermeidungsverhalten als die Vergleichsgruppe, die diese Vorgeschichte nicht
hatte (Batten, Follette u. Aban 2001). In einer Reihe von Studien wird berichtet, dass Erlebnisvermeidung einen größeren Prädiktor von psychologischen Störungen und posttraumatischen Stress-Symptomen darstellt als beispielsweise der prätraumatische Zustand oder die
Traumaschwere (Plumb, Orsillo u. Luterek 2004). Zusätzlich beschreiben eine wachsende Anzahl von Forschergruppen die Erlebnisvermeidung als einen Mediator zwischen einer sexuellen Missbraucherfahrung in der Kindheit und beeinträchtigtem psychologischem Funktionieren im Erwachsenenalter (Marx u. Sloan 2002; Polusny, Rosenthal, Aban u. Follette 2004).
In Anbetracht der zentralen Rolle, die die Vermeidung in der Entwicklung und Aufrechterhaltung einer traumabedingten Symptomatik spielt, beinhalten die meisten erfolgreichen
Traumabehandlungen die Exposition von vermiedenen Erlebnissen als ihr Kernelement. Aus
dem gleichen Grund konzentrieren sich viele der existierenden Traumatherapien auf das Verändern der Bedeutung des traumatischen Ereignisses durch eine kognitive Restrukturierung,
durch Exposition internaler oder externaler Ereignisse oder durch eine Kombination von
Restrukturierung und Exposition. Obwohl einige dieser Therapien sich als wirksam erwiesen haben, bleiben bei einigen Patienten die traumabezogenen Symptome nach den existierenden Standardbehandlungen weiter bestehen (Rothbaum, Meadows, Resick u. Foy 2000).
Zusätzlich ist in der letzten Zeit das Bewusstsein dafür gestiegen, dass Traumaopfer
auf sehr komplexe Art und Weise reagieren können (vgl. die zunehmende Literatur zur
komplexen PTBS), und aus diesem Grund wurde angefangen, die Behandlungen den Bedürfnissen dieser Patientengruppe anzupassen (Courtois 2004; Resick, Nishith u. Griffin
2003). Während viele Traumatherapien sich direkt auf die Reduktion der posttraumatischen
Symptome durch eine Intensivierung der Exposition der vermiedenen traumabezogenen
Stimuli konzentrieren, weisen Untersuchungsdaten aus amerikanischen Stichproben nach,
dass 50 % der Personen, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, auch die
Kriterien für Substanzmissbrauch und 30 % der Personen die Kriterien für andere psychologische Störungen erfüllen (Kessler, Sonnega u. Bromet 1995). Um die gesamte Bandbreite
der psychologischen Störungen anzusprechen, haben wir wie andere forschungsbezogene
Kollegen angefangen, unseren Blick auf Psychotherapiemöglichkeiten zu richten, die über
die diagnostische Begrenzung des PTBS-Konzepts hinausgehen und grundlegende Funktionen statt spezifischer topographischer Eigenschaften des Verhaltens behandeln (Lombardo
u. Gray 2005). ACT bietet solch eine Therapiemöglichkeit an.
Wirksamkeit des ACT-Ansatzes
Die Akzeptanz-und-Commitment-Therapie hat bereits in empirischen Studien ihre Wirksamkeit für eine Reihe von klinischen Problemen erwiesen (Hayes, Masuda, Bissett, Luoma
u. Guerrero 2004), und eine Reihe erster Ergebnisse lässt vermuten, dass dieser Behandlungsansatz besonders für Traumapatienten geeignet zu sein scheint (Batten u. Hayes 2003;
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Follette, Herman u. Follette 1991; Orsillo u. Batten 2005). Es gibt verschiedene Gründe für
die Integration posttraumatischer Reaktionen in ein auf Akzeptanz basierendes Behandlungsparadigma:
Erstens, ein Trauma ist ein Ereignis, das in der Vergangenheit geschehen und daher nicht
veränderbar ist. Deswegen ist es von besonders großer Bedeutung zu lernen, mit diesem Teil
der eigenen Geschichte umzugehen. Obwohl die Menschen immer noch auf die Erinnerungen des traumatischen Ereignisses reagieren, kann das Ereignis nicht aus dem Gedächtnis
gelöscht werden.
Zweitens, Vermeidung kann kurzfristig als wirksam erlebt werden, längerfristig kann sie
allerdings zu einer Zunahme der Probleme im Leben des Patienten führen. Der Versuch, durch
explizite Kontrolle Gedanken und Emotionen zu verändern, führt häufig dazu, dass eben genau diese Gedanken und Emotionen verstärkt auftreten und als noch intensiver und negativer
erfahren werden (Shipherd u. Beck 1999). Aufgrund dieser Befunde ist es nicht erstaunlich,
dass Überlebende eines Traumas, die eine Therapie aufsuchen, häufig von intrusiven Gedanken und Übererregtheit als ihren dominierendsten Beschwerden berichten (Krupnick 2002).
Drittens, wiederholte, nicht erfolgreiche Versuche, Emotionen zu vermeiden, können in
Situationen, die normalerweise emotionale Reaktionen hervorrufen würden, zur Empfindungslosigkeit (numbing) führen (Foa, Riggs, Massie u. Yarczower 1995).
Viertens, Dissoziation ist ein weit verbreitetes Traumasymptom und wird als eine extreme Form der Vermeidung von sowohl internalen als auch situationsbedingten Erlebnissen
beschrieben (Wagner u. Linehan 1998).
Fünftens, gleichzeitiger Substanzmissbrauch kann als Vermeidungsverhalten interpretiert werden. Der Gebrauch von Substanzen ist häufig ein Versuch der Selbstbehandlung
oder eine Flucht vor ungewollten negativen Emotionen (Marlatt u. Gordon 1985) oder vor
Erinnerungen (Root 1989).
Als letzter Punkt ist die Re-Viktimisierung ein bekanntes Phänomen bei Traumaüberlebenden, und ganz besonders betroffen sind hiervon Frauen, die zwischenmenschliche
Gewalt erfahren haben. Bisherige Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass Dissoziation,
Alexithymia (die Schwierigkeit, Emotionen zu bestimmen oder zu beschreiben) und Emotionslosigkeit – alles Prozesse, die mit Erlebnisvermeidung verbunden sind – Risikofaktoren
für eine weitere Viktimisierung darstellen (Cloitre 1998).
Das ACT-Behandlungsmodell
Die Behandlung im ACT-Modell konzentriert sich auf das Fördern der experientiellen Akzeptanz und folglich auf die Reduktion aller Arten der Vermeidung. Im Bereich der Erlebnisvermeidung gibt es zwei Ziele, auf die die ACT ihren Schwerpunkt richtet: Wir behandeln
sowohl traumabezogene Verhaltensweisen als auch andere Lebensprobleme mit diesem
Therapieansatz. Das oberste Therapieziel ist die Akzeptanz der eigenen Lebensgeschichte
(einschließlich der traumatischen Erfahrungen, Gedanken, Emotionen und Erinnerungen)
und eine dahingehende Veränderung derzeitiger Verhaltensweisen, dass diese mit den Werten des Patienten übereinstimmen. Weil Untersuchungen gezeigt haben, dass ein Mangel
an sozialer Unterstützung einen Risikofaktor für die Entwicklung von posttraumatischen
Stress-Symptomen darstellt (Andrews, Brewin u. Rose 2003), besonders für Frauen (Briere
u. Runtz 1991), ist es besonders wichtig, die Häufigkeit und die Anzahl positiv bewerteter
Aktivitäten in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen zu steigern.
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Akzeptanz-und-Commitment-Therapie für Traumaüberlebende
J. C. Plumb, V. M. Follette
ACT beruht auf einer funktionalen kontextbasierten Theorie, die alle Verhaltensweisen
im gegenwärtigen Kontext sieht, dessen Bedeutung durch die individuelle Lebensgeschichte
des Patienten verstanden wird. Die funktionale Analyse der einzigartigen Lebensgeschichte
jedes einzelnen Patienten ist für diese Behandlung von grundlegender Bedeutung. Ganz
besonders für Überlebende eines Traumas ist es notwendig, die vergangenen und präsenten
Variablen zu verstehen, die zu Vermeidungsreaktionen und zum gegenwärtigen Funktionieren beitragen. Einige Traumatherapien richten sich mehr oder weniger ausschließlich auf
die Traumaverarbeitung oder das gegenwärtige Funktionieren. In der ACT behandeln die
Therapeuten sowohl die Erfahrungen der Vergangenheit als auch das gegenwärtige Funktionieren und versuchen, die Erfahrungen des Patienten innerhalb eines größeren kulturellen und gesellschaftlichen Kontextes einzuordnen. Funktionelle Beziehungen zwischen dem
Verhalten des Patienten und der Umwelt werden analysiert und in Form einer klinischen
Fallkonzeptualisierung in die Behandlung integriert.
Die Theorie, dass durch unsere Veranlagung, unsere Gedanken wörtlich zu nehmen,
menschliches Leiden entsteht, bildet die Grundlage unserer Arbeit (s. auch für weitere Informationen Relational Frame Theory (RFT); Hayes, Barnes-Holmes u. Roche 2001). Folglich
fühlen sich Menschen von ihren Gefühlen überwältigt, und körperliche Empfindungen
werden als unerwünscht und unangenehm wahrgenommen. Das Ziel des ACT-Therapeuten ist nicht, diese Erfahrungen zu entfernen oder zu verändern, sondern dem Patienten
zu ermöglichen, diese Erfahrungen auf andere Art zu erleben. Als Folge dieser Akzeptanz
sind die Patienten eher dazu bereit, die Gedanken und Gefühle des menschlichen Daseins
zu erleben. Das Ziel dieser therapeutischen Arbeit ist jedoch, nicht nur einen Zustand der
Akzeptanz zu erreichen, sondern dem Patienten einen Schritt darin weiterzuhelfen, ein
sinnvolles Leben zu führen.
Für viele Patienten ist es nicht ersichtlich, dass es einen Unterschied zwischen Schmerz
und Leiden gibt. Der Schmerz, der mit der Auseinandersetzung mit dem Trauma verbunden
ist, ist normal. Wir erkennen auf sehr umsichtige Art und Weise diesen Aspekt der Erfahrung
des Patienten an. Dennoch, wenn es keine Rückkehr zu dem ursprünglichem Funktionsniveau gibt und das Ereignis immer mehr an Bedeutsamkeit im Leben des Patienten gewinnt,
verschlimmert sich das Leiden dadurch, dass der ursprüngliche Schmerz vermieden wird.
Ein nützliches Ziel der Behandlung ist, dass man den Patienten erklärt, dass der ursprüngliche Schmerz nicht verschwinden wird, aber neu hinzukommendes Leiden dadurch gemildert werden kann, wenn die Akzeptanz mehr an Gewicht gewinnt als die Vermeidung.
Vorgehen
Erste Phase: Herausarbeiten einer kreativen Hoffnungslosigkeit
Als Bestandteil des Behandlungsbeginns empfehlen wir eine allgemeine Erfassung des traumatischen Hintergrunds der Person in der Kindheit und im Erwachsenenalter und der anderen Lebensbereiche, die derzeit von dem Trauma betroffen sind (Probleme am Arbeitsplatz,
Schule, zwischenmenschliche Beziehungen etc.). Anschließend geht der Therapeut in die
erste Phase (kreative Hoffnungslosigkeit) der Behandlung über, in der der Patient nach den
Details gefragt wird, wie er oder sie bisher versucht hat, mit dem Trauma umzugehen (beispielsweise Menschen oder Orte zu vermeiden, die an das Ereignis erinnern, Schuldgefühle,
Substanzmissbrauch etc.). Während dieses Prozesses achtet der Therapeut besonders auf
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Reaktionsmuster, die auf Vermeidung, Flucht oder explizite Kontrolle über internalisierte
Erfahrungen hinweisen und die es dem Therapeuten ermöglichen, eine Fallbeschreibung
über das allgemeine Funktionieren des Patienten in allen betroffenen Lebensbereichen zu
erstellen.
Wir benutzen eine Reihe von Metaphern, die die Vorstellung fördern können, dass sich
die Person ohne eigenes Verschulden in dieser Situation befindet. Denn das Gegenteil ist
der Fall: Die Patienten hatten ein schmerzhaftes Erlebnis und haben seitdem die größten
Anstrengungen unternommen, die Probleme anzugehen, die aus dieser Erfahrung heraus
entstanden sind. Wir wollen damit verdeutlichen, dass Vermeidungsreaktionen als Bestandteil unserer Lerngeschichte sinnvoll, aber hinsichtlich ihrer Konsequenzen für den Patienten
nicht mehr effektiv sind. Dieser Teil der Therapie kann als schwierig erlebt werden, weil
viele Patienten, die eine Therapie aufsuchen, motiviert sind, noch härter an sich zu arbeiten,
noch mehr zu tun, oder selbst versuchen herauszufinden, wie sie mit der traumatischen
Vergangenheit umgehen sollen. Das Bewusstwerden all der vergeblichen Versuche, das
Trauma zu kontrollieren oder in den Griff zu bekommen, kann zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit führen und eine negative Auswirkung auf den Patienten haben. Es liegt in der
Aufgabe des Therapeuten, den Patienten auf diesem Weg des schmerzhaften Erkennens verfehlter Anstrengungen zu begleiten. Obgleich der Therapeut keine Lösungen anbieten sollte,
sollte er dem Patienten nahe stehen und ihm oder ihr Unterstützung bieten. Es ist besonders
wichtig, dem Patienten zu verdeutlichen, dass jede Anstrengung, die eigene Vergangenheit
loszuwerden, hoffnungslos ist, aber dass für das Leben des Patienten Hoffnung besteht.
Patienten mit einer traumatischen Erfahrung berichten oft davon, dass sie dann ein
erfülltes Leben führen könnten, wenn die intrusiven Gedanken, die ungewollten körperlichen Wahrnehmungen und die traumatischen Erinnerungen verschwinden würden. Ferner
glauben Überlebende eines Traumas oft, dass Vermeidungs- und Kontrollstrategien funktionieren, solange man nur härter an den Strategien arbeitet oder versucht, die Erlebnisse
auf andere Art und Weise zu kontrollieren. Aus diesem Grund ist „Kontrolle als Problem an
sich“ ein sehr wichtiger Teil der Therapie, an den sehr sorgfältig und vorsichtig herangegangen werden sollte.
Hinsichtlich instrumenteller Aspekte unseres Handelns erweisen sich Kontrollstrategien
als sehr effektiv. Will man beispielsweise Schnee auf der Straße entfernen, ist es einfach,
eine Liste mit Verhaltensweisen zu erstellen und diese dann auszuführen. Wenn man sich
wünscht, dass ein Gedanke, ein Gefühl oder eine Erinnerung aufhört, könnte man ebenso
eine Liste machen, um diese Gedanken wieder loszuwerden, wie zum Beispiel „Denke
an etwas anderes“ oder „Hör auf, dich schuldig zu fühlen“. Allerdings haben die meisten
Patienten diese Strategien bereits ohne Erfolg versucht. In der Tat haben Untersuchungen
gezeigt, dass explizite Kontrollstrategien über Gedanken oder Emotionen einen paradoxen
Effekt hervorrufen und über die Zeit zu einem verstärkten Leiden führen können (s. Purdon
1999; Wegner 1994).
Es ist auch wichtig, deutlich zu machen, dass emotionale Kontrolle oder Vermeidungsstrategien kurzfristig wirksam sein können. Es kann beispielsweise hilfreich sein, die Gedanken an einen Streit mit seinem Partner während einer Therapiesitzung aus dem Kopf
zu streichen, um die eigentlichen Aufgaben, die vor einem stehen, zu bearbeiten. Selbst
weniger funktionale Strategien können kurzfristig hilfreich erscheinen. Ein hinreichendes
Beispiel für eine Vermeidungsstrategie, die augenscheinlich kurzfristig sehr gut funktioniert, ist das Problemtrinken von Überlebenden eines Traumas. Patienten berichten, dass
Trinken für sie der einzige Ausweg war, den sie kannten, um ihre Gedanken zu stoppen
und einschlafen zu können. Allerdings sind sich die meisten Patienten dessen bewusst,
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Akzeptanz-und-Commitment-Therapie für Traumaüberlebende
J. C. Plumb, V. M. Follette
dass Trinken in der Tat keine langfristig hilfreiche Strategie ist und nicht dabei hilft, die
schmerzhaften Erinnerungen zu entfernen. Trinken kann zum Beispiel kurzfristig schmerzvolle Erinnerungen verhindern oder überwältigende Emotionen betäuben, aber langfristig
können sich juristische, wirtschaftliche, berufliche und familiäre Probleme entwickeln,
und oft kehren die vermiedenen Erinnerungen wieder zurück, sobald der Patient mit dem
Trinken aufgehört hat. Die Erfahrungen der Patienten zu normalisieren kann ihnen dabei
helfen, sich akzeptiert und nicht angegriffen oder beschämt zu fühlen. Gleichzeitig wird
den Patienten ermöglicht wahrzunehmen, dass diese Strategien ihnen nicht dabei helfen,
in Übereinstimmung mit ihren langfristigen Zielen und Werten zu leben.
Es sollte jedoch ebenso wichtig sein, die bisherigen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien des Patienten anzuerkennen und zu normalisieren, besonders bei Patienten,
die Schwierigkeiten damit haben, sich in der Therapie sicher zu fühlen oder dazu neigen,
sich selbst zu beschuldigen. Der Therapeut sollte mit dem Patienten daran arbeiten anzuerkennen, dass die Kontroll- und Vermeidungsstrategien in der Vergangenheit leicht
nachzuvollziehende und normale Reaktionen auf extrem traumatische Situationen waren.
Wenn Erinnerungen an das Trauma oder andere Probleme in ihrem Leben auftauchen, ist
es verständlich, dass Patienten selbst Jahre nach dem Trauma auf genau die Strategien zurückgreifen, die anfangs halfen, das Trauma zu überstehen. Gleichzeitig sollten derzeitige
Erfahrungen mit diesen Strategien angesichts ihrer tatsächlichen Wirksamkeit betrachtet
werden. Einige Überlebende von Traumata waren vielleicht in der Lage, in manchen Bereichen ihres Lebens erfolgreich zu sein, während sie internalisierte Erlebnisse vermieden
oder explizit kontrollierten. Dennoch ist es wichtig, den Patienten zu verdeutlichen, welche
Nachteile es mit sich bringt, wenn Vermeidung und Flucht als primäre Mittel dienen, mit
dem Trauma umzugehen. Häufig geben Patienten Aktivitäten auf, die ihnen in ihrem Leben
vor dem traumatischen Ereignis wichtig waren (bestimmte Orte aufzusuchen, Beziehungen
aufzubauen, einer Tätigkeit nachzugehen), um Gedanken, Emotionen und Erinnerungen, die
mit dem Trauma in Zusammenhang stehen, zu vermeiden.
Sobald sich der Patient der Nachteile solcher Strategien bewusst wird, beginnt er oder
sie nachzufragen, welche Alternativen es zur Vermeidung und Kontrolle gibt.
Zweite Phase: Defusion und Selbstkontext
Der nächste Teil der Therapie ist die Deliteralisierung (defusion). Eine ausführliche Diskussion der Sprachtheorie, die diesen Zusammenhang beschreibt, liegt außerhalb des Rahmens
dieses Kapitels (Relational Frame Theory; s. Hayes, Barnes-Holmes u. Roche 2001). Kurz
gefasst, kognitive „Entwörtlichungstrategien“ haben ihre Grundlage in der Annahme, dass
1. Wörter und Gedanken einen großen Einfluss haben, wenn sie wortwörtlich und ernst
genommen werden, und 2. dieser Einfluss oft einem Leben im Sinne der eigenen Wertvorstellungen im Wege steht. Patienten können von der Deliteralisierung profitieren, wenn
der Therapeut die Verschmelzung (Wörter und Gedanken werden als Tatsachen gesehen),
Wertung (Beurteilung) und die Vermeidung unterminiert.
Der Therapeut kann beispielsweise erklären, dass Gedanken nur Gedanken sind und
nicht notwendigerweise die Realität widerspiegeln. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist
der vereinbarte Gebrauch anderer Redewendungen, beispielsweise anstatt „Ich verdiente
es, missbraucht worden zu sein“ zu sagen „Ich habe gerade den Gedanken, dass ich es verdiente, missbraucht worden zu sein“. In der Therapie sollte mit dieser Übung so früh wie
möglich begonnen werden. Patienten werden besser vorbereitet, neue traumabezogene
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Gedanken in der Sitzung zu diskutieren, wenn sie ihre Gedanken umformulieren, wie
beispielsweise „Ich hatte den Gedanken, dass ich damit nicht umgehen kann“ oder „Ich
kam zu der Einschätzung, dass ich dumm war, mich darüber zu ärgern“. Dies kann mit
einer Anzahl von praktischen Übungen durchgeführt werden, wie zum Beispiel durch das
bewusste Wahrnehmen von Gedanken und Emotionen, die in der Therapie erfahren werden.
Während des Arbeitens mit Deliteralisierungsübungen sollte dem Therapeuten bewusst
sein, dass viele Patienten eine gut entwickelte Schilderung ihres Traumas haben. Problematisch kann dabei sein, dass, obwohl viele Elemente der Schilderung sachlich richtig sind,
der Patient zu sehr mit der eigenen Geschichte verschmolzen ist und dies das gegenwärtige
Funktionieren beeinträchtigt. Gleichzeitig ist es wichtig, wenn in Fällen von Kindesmissbrauch oder sexueller Gewalt eine Entwertung in der Ursprungsfamilie erfahren wurde,
diese Entwertung nicht noch einmal zu wiederholen. Daher sollte der Therapeut Balance
halten zwischen einer Anerkennung des Leidens des Patienten und der gleichzeitigen
Hilfestellung, aus der Tyrannei der Sprache herauszufinden. Hier sollten einige Übungen
angewandt werden, die den Patienten dabei helfen können, von der eigenen Geschichte
als rationalem Grund für gegenwärtige Verhaltensweisen Abstand zu nehmen und zu erkennen, wie ihre Geschichte ihrem langfristig erwünschten Leben im Wege stehen kann.
Wenn vorsichtig damit umgegangen wird, kann es sehr hilfreich sein, Patienten aufzufordern, ihre Vorgeschichte wiederholt in alternativen Versionen zu erzählen, um die Idee zu
untergraben, dass ein bestimmter Grund (also ihre spezifische traumatische Geschichte)
ihre momentanen Probleme verursachte. Eine Patientin berichtet beispielsweise, dass sie
immer dann, wenn sie sich an den Missbrauch erinnere, anfange zu trinken. Der Therapeut
hilft ihr, ihre Aussage umzuformulieren, von „Ich habe getrunken, weil ich mich an meinen
Missbrauch erinnerte“ zu “Du hast dich an den Missbrauch erinnert und Du hast getrunken“.
Das kann dazu beitragen, die Annahme der Patientin, ihre Gedanken und Erinnerungen
seien die Ursache ihres Verhaltens, zu unterminieren.
Eine weitere hilfreiche Form der Deliteralisierung ist, den eigenen Selbstkontext (selfas-context) zu identifizieren. Patienten können viel Kraft durch die Perspektive gewinnen,
in der sie ihre Gedanken, Gefühle und Erinnerungen beobachten, aber nicht von ihnen
definiert werden. Eine Metapher hierfür wäre, sich selbst als Himmel vorzustellen, immer
anwesend und unveränderlich. Obwohl Unwetter den Himmel durchziehen können und es
stürmisch, dunkel und schrecklich sein kann, bleibt der Himmel bestehen und ist weiterhin
konstant angesichts dieser Ereignisse. Unwetter verursacht Verwüstung, und es geht vorüber. Das gilt auch für schönes, sonniges Wetter. Es zieht vorüber, und es ist unsere Aufgabe
als Himmel, uns nicht an irgendeine Form dieser (Wetter-)Ereignisse als Definition unserer
Existenz zu klammern. Es ist für Überlebende eines Traumas üblich zu glauben, dass eine
Veränderung für sie nicht möglich ist und sie von ihrem Trauma und dem daraus entstandenen Leiden definiert werden. Opfer zwischenmenschlicher Gewalt, zum Beispiel, erleben
häufig mehrere traumatische Erlebnisse und leiden viele Jahre an den traumatischen Symptomen und den damit verbundenen zwischenmenschlichen Schwierigkeiten. Da viele Patienten mit ihrem verbal definierten Selbst völlig verschmolzen sind, kann eine Aufforderung, das traumabedingte Leiden loszulassen, von ihnen als Verneinung des Traumas
verstanden werden. Dies kann besonders schwierig für Patienten sein, die sich und ihre
gegenwärtigen Verhaltensweisen als von ihrer Vorgeschichte definiert erleben. Speziell Patienten, die ein schwerwiegendes Kindheitstrauma durchlebt haben, mögen es als besonders schwierig empfinden, ein Selbstgefühl außerhalb ihrer Vorgeschichte zu finden, weil
sie während ihrer Kindheit nie in der Lage waren, ein Selbstgefühl wahrzunehmen.
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Akzeptanz-und-Commitment-Therapie für Traumaüberlebende
J. C. Plumb, V. M. Follette
Das Erkennen und Beobachten eines Selbstgefühles, das während des Traumas existierte
und auch nach dem Trauma weiter fortbestand, kann Patienten helfen zu erkennen, dass das
Trauma geschehen und schmerzhaft ist, aber nicht die Definition dessen ist, wer sie sind.
Das Identifizieren eines zentralen Selbstgefühls haben viele Traumatherapien gemein (Black
u. Pearlman 1997; Krupnick 2002) und ist für die ACT für Überlebende eines Traumas von
ähnlicher Bedeutsamkeit. Die Beobachtungsübung ist eine zentrale Übung der ACT, die die
Identifizierung einer zentralen Person ermöglicht, die die Ereignisse um sie herum beobachtet. Der Zweck liegt darin, den Patienten dabei zu helfen, ein beständiges Selbstgefühl zu
entwickeln, welches ihnen ermöglicht, ihre eigenen momentanen Gedanken und Emotionen
urteilsfrei zu beobachten, ohne gleichzeitig durch sie definiert zu werden.
Das Ziel der Deliteralisierungs- und Selbstkontext-Übungen ist die Akzeptanz verinnerlichter Erfahrungen und die Bereitschaft, sie so wie sie im gegenwärtigen Moment sind
zuzulassen. Diese Übungen sind modifizierte Expositionsmethoden, bei denen traumabezogene Gedanken, Emotionen und Erinnerungen so erlebt werden, dass der Patient in der
Lage ist, ihnen entgegenzutreten, anstatt sie zu vermeiden.
Dritte Phase: Akzeptanz und Arbeit an den Werten
Bei der Akzeptanz geht es darum, bereit zu sein, die Erfahrungen so wie sie im Moment
sind (und nicht gemäß dem Verstand sein sollten) zu erleben, ohne dabei zu versuchen,
diese zu ändern. Das Konzept ist den fernöstlichen Philosophieansätzen sehr ähnlich (Watts
1975) und wird auch ein zunehmender Faktor in der westlichen Psychotherapie. Wenn die
Patienten einmal gelernt haben, ihre Gedanken nicht als gegebene Wirklichkeit wahrzunehmen und dass Emotionen an sich nicht schädlich sind, führt dies zur Akzeptanz dieser
verinnerlichten Erfahrungen und zu einer Bereitschaft, sich auf die für die Patienten wertvollen Handlungen einzulassen. Das Ziel der Akzeptanz und Bereitschaft ist es, Erlebnisse
zu haben statt sie zu vermeiden oder ihnen zu entfliehen. Trotzdem sollten Therapeuten
besonders darauf achten, dass diese Akzeptanz nicht bedeutet, das traumatische Erlebnis
an sich gutzuheißen oder den Schmerz und die Ungerechtigkeit des Traumas zu verneinen.
Akzeptanz und Bereitwilligkeit ermöglichen den Patienten ein für sie sinnvolleres Leben zu
leben: ein Leben, das nicht von ihrer Geschichte kontrolliert wird.
Die Bereitschaft (willingness) des Patienten, Erlebnisse anzunehmen, wird meistens im
Zusammenhang einer „Alles-oder-Nichts-Haltung“ diskutiert. Für einige Überlebende eines
Traumas kann dieses Sich-Öffnen aber am Anfang der Behandlung zu überwältigend sein
und als sehr aversiv erfahren werden. Aus dem Grund werden die Bereitschaftsübungen
(willingness exercises) häufig von den Therapeuten modifiziert, um langsam die Bereitschaft aufzubauen, alle Erfahrungen so zu erleben, wie sie sind, ohne sie zu verändern. Metaphern können das Verständnis fördern, dass die Bereitschaft des Patienten, Emotionen zu
erfahren, nicht gleichzeitig bedeutet, die Emotionen müssten sich immer auf dem höchsten
Erregungsniveau befinden. Patienten können eine Bandbreite von Erlebnissen haben, die
sich nicht immer auf dem intensivsten Niveau befinden. Ein anderer Weg, langsam Bereitschaft für diese Erlebnisse aufzubauen, besteht darin, die Bereitschaft in Bezug auf wichtige
Lebensziele und Werte zu diskutieren. Es wird zum Beispiel ein Patient gefragt, ob er bereit
dafür ist, Emotionen, Gedanken oder Erinnerungen welcher Art auch immer zu erleben. Der
Therapeut kann nun mit dem Patienten diskutieren, inwieweit die Bereitschaft, Erlebnisse
zu haben, dem Patienten erlaubt, auf wertvolle Art und Weise zu handeln. Sobald die Patienten ihre Bereitschaft erhöhen, die traumatischen Erfahrungen zu erleben, ist es wichtig,
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darüber zu sprechen, dass Bereitschaft nicht dasselbe ist wie Wollen. Bereit zu sein bedeutet
nicht, dass der Patient diese Gedanken oder Emotionen tatsächlich intensiv oder überhaupt
erfahren will, sondern es bedeutet, dass er offen ist, schmerzhafte Dinge zu erleben, um
später Dinge in seinem Leben tun zu können, die ihm etwas bedeuten.
Die Arbeit an den Werten ist ein integraler Bestandteil der Therapie – sie steht für das
„Commitment“ (oder „Verantwortungsübernahme“) in der Bezeichnung des ACT-Therapieansatzes. Dieser Aspekt erscheint besonders für die Arbeit mit Traumapatienten wichtig. Die
Patienten werden gefragt, welche Lebensbereiche für sie von Bedeutung sind und welche
sie sich als noch erfüllter vorstellen könnten. Da Überlebende von Kindesmissbrauch häufig
kontrollierende und patriarchalische Erfahrungen in ihrer Familie gemacht haben, ist die
ACT besonders gut für diese Gruppe geeignet. Die Aufgabe des Therapeuten liegt darin,
den Patienten in seiner Wahl dabei zu unterstützen, was in ihrem oder seinem Leben von
Bedeutung ist. Gleichzeitig soll der Patient die Gedanken und Gefühle in Bezug auf diese
Wahl der Werte beobachten. Es ist wichtig, dass der Therapeut dem Patienten nicht seine
eigenen Werte oktroyiert. Dies kann zu einer schwierigen Balance für den Therapeuten
werden, da viele Überlebende eines Traumas oft keine Erfahrung darin haben, ihre eigenen
Bedürfnisse zu kennen oder zu wissen, was sie wirklich wertschätzen. Der Therapeut sollte
betonen, dass Werte nicht das sind, was andere als wertvoll erachten oder was der Patient
denkt, wonach er streben solle oder müsse. Stattdessen sind Werte eine sehr persönliche
Wahl dessen, wie sich der Patient sein eigenes Leben vorstellt. Werte können in vielen Lebensbereichen wie zum Beispiel Familie, Beziehungen, Arbeit, Gesundheit und Spiritualität
erfragt werden.
In der ACT unterscheiden sich Werte von Zielen dahingehend, dass Werte allgemeine
Lebensplanungen bestimmen, die nicht anhand von konkreten Ergebnissen erfüllt oder
bewertet werden können, während Ziele auf bestimmte Verhaltensweisen abzielen, die ein
Leben in messbarer Übereinstimmung mit festgelegten Lebensplänen ausrichten. Wenn
zum Beispiel ein Patient berichtet, er schätze als Vater den Wert enger zwischenmenschlicher Beziehungen in seinem Leben, könnte ein konkretes Ziel sein, mehr Zeit mit seinen
erwachsenen Kindern zu verbringen. Es ist wichtig, die Patienten dabei zu unterstützen,
vor dem Planen konkreter Verhaltensweisen oder Ziele die eigene als wertvoll betrachtete
Lebensplanung zu ergründen.
Für manche Patienten sind Wertediskussionen schwierig, ganz besonders für die Patienten mit einer traumatischen Vergangenheit. Etwas einen Wert zu geben bedeutet, dass
einem etwas wichtig ist. Anspruch auf die eigenen Bedürfnisse zu erheben kann dann
schmerzhaft sein, wenn die Bedürfnisse in der Vergangenheit nicht erfüllt wurden oder
der Patient unbefriedigende Lebensbereiche entdeckt. Menschen mit zwischenmenschlichen Traumata (körperlicher oder sexueller Missbrauch, häusliche Gewalt) haben oft
Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen, da die traumatischen Erfahrungen häufig in nahen
Beziehungen mit Familienmitgliedern, Lebensgefährten, Mitarbeitern oder Freunden, um
nur einige zu nennen, gemacht wurden. Aber auch Menschen mit anderen Traumaformen
können Schwierigkeiten haben, Beziehungen einzugehen oder aufrechtzuerhalten, da die
Intensität und Chronizität der Symptome oft dazu führen, dass sich die Patienten isolieren,
um die Stressfaktoren zu reduzieren oder um diese intensiven Erinnerungen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Eine angemessene, offene Reaktion des Therapeuten auf das Verhalten des Patienten und der Traumaerzählung ist ein wichtiges Werkzeug. Durch die offene
Reaktion erkennt der Therapeut die Erfahrungen des Patienten als schwierig an und gibt
gleichzeitig ein Beispiel für die Akzeptanz von Emotionen. Die therapeutische Beziehung
wird durch den Fokus auf Werte, durch das Modellieren emotionaler Öffnung und durch
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Akzeptanz-und-Commitment-Therapie für Traumaüberlebende
J. C. Plumb, V. M. Follette
die Anerkennung der Erfahrungen des Patienten gestärkt. Aber ganz besonders wichtig ist
es, dass die Diskussion von schmerzhaftem Material erleichtert wird, wenn sie im Rahmen
eines bedeutungsvollen und geschätzten Lebensplans, der früh in der Therapie begonnen
wurde, geführt wird. Durch Wortwörtlichkeit (fusion) und Erlebnisvermeidung wird der Patient immer wieder daran gehindert, in Einklang mit seinem erwünschten Leben zu leben.
Auch wenn früh mit der Arbeit an den Werten begonnen wurde, ist es wichtig, wiederholt
auf dieses Thema zurückzukommen.
Werte stellen den Kompass für verbindliche Handlungen (committed actions) dar. Der
letzte Teil der Therapie, in dem es um diese verbindlichen Handlungen geht, beinhaltet sowohl die Entwicklung bestimmter Verhaltensweisen, zieht aber auch mögliche Hindernisse
in Bezug auf die Werte des Patienten in Betracht. An dieser Stelle kann der Therapeut mit
dem Patienten an Problemlösungen arbeiten. Weil es schwierig ist, sich an Handlungspläne
zu halten, können Hindernisse, die verbindlichen Handlungen im Weg stehen, diskutiert
und Problemlösungen erarbeitet werden. Werte und verbindliche Handlungen müssen
während der Behandlung immer wieder neu hinterfragt werden.
Schwierigkeiten für Therapeuten und Hinweise
für suizidale Patienten
ACT-Therapeuten gehen davon aus, dass alle Menschen leiden und auf unterschiedliche
Art und Weise versuchen, ein sinnvolles Leben zu führen. Vom ACT-Gesichtspunkt her erleben sowohl Patienten als auch Therapeuten Angst, Frustration, Wut und Verwirrung. Diese
Erlebnisse miteinander zu teilen kann die therapeutische Beziehung vertiefen und kann
somit ein Modell für eine positive Verhaltensveränderung werden. Wir gehen nicht davon
aus, dass irgendeine Person die Antwort darauf geben kann, wie das Leiden in der Welt
gelindert werden kann, noch denken wir, dass man durch Suchen je eine Antwort finden
kann.
Therapeuten gehen oft davon aus, dass es ihre Aufgabe ist, dem Patienten dabei zu
helfen, sich besser zu fühlen, wichtige Veränderungen im Leben des Patienten vorzunehmen – zum Teil Veränderungen, die der Therapeut als wichtig erachtet – oder zu helfen,
Probleme zu bewältigen. Oftmals werden Therapeuten speziell daraufhin ausgebildet. Therapeuten, die sich dem ACT-Modell verbunden fühlen, haben einen grundsätzlich anderen
Ansatz; Therapeuten können ihre Patienten nicht vor ihren Erfahrungen retten. Der Fokus
der Therapie liegt nicht in der Vernunft (es gibt kein „richtig“ oder „falsch“ in der ACT),
sondern auf den Erfahrungen des Patienten. Es ist wichtig, herauszufinden, welche Methode
dem Patienten hilft und welche nicht hilft, damit der Patient mit seinen Werten in Einklang
leben kann.
Der Therapeut sollte ebenfalls emotionale Akzeptanz und Bereitschaft in der Sitzung
üben, um für den Patienten dann da zu sein, wenn der Patient über seine traumatischen
Erfahrungen oder andere schwierige Themen wie Suizidalität berichtet. Im Laufe der Therapie kann man davon ausgehen, dass der Patient traumatische Erlebnisse offenbart. Dieses
Offenlegen traumatischer Erfahrungen beinhaltet, dass man anschauliche Beschreibungen extrem schmerzhafter Erlebnisse geschildert bekommt, einschließlich ausführlicher
Darstellungen menschlicher Grausamkeit, die manchmal zu einer sekundären Traumatisierung führen können (Pearlman u. Mac Ian 1995). Aus diesem Grund empfehlen wir
allen Traumatherapeuten sich Unterstützung durch Supervision zu suchen und zu nutzen.
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Untersuchungen haben gezeigt, dass das Fehlen von Supervision und sozialer Unterstützung
einen Risikofaktor für das Entstehen einer sekundären Traumatisierung und Burn-out des
Therapeuten darstellt (Pearlman u. Mac Ian 1995). Da die ACT-Therapeuten die Patienten
dazu auffordern, bereit zu sein, ihre intensiven Emotionen im Hinblick auf spätere wichtige
Lebensziele zu erleben, sollte auch der Therapeut bereit sein, diese Emotionen zu erleben,
sowohl in der Sitzung als auch während der Supervision. Batten u. Follette (2000) erläutern
Strategien für diese Form der Arbeit.
Patienten werden ermutigt, Gedanken über Suizid und selbstverletzendes Verhalten
mit dem Therapeuten auszutauschen, selbst dann, wenn der Patient glaubt, dass diese
Öffnung dem Therapeuten unangenehm sein könnte. Gedanken über Suizid oder Selbstverletzungen sind in dieser Patientengruppe nicht ungewöhnlich, und eine Diskussion
über diese Handlungen als Wahlverhalten können das Stigma, das mit diesen Gedanken
in Verbindung steht, nehmen. Der Therapeut sollte darauf hinweisen, dass es Alternativen
gibt und er oder sie dem Patienten behilflich sein will, andere Möglichkeiten des Verhaltens
zu evaluieren. Die Bereitschaft des Therapeuten, an dieser Diskussion teilzunehmen, dient
als Akzeptanzmodell für eine Reihe von Gedanken und Gefühlen, die Teil des menschlichen
Erlebens sind. Gleichzeitig kann der Therapeut den Patienten darin unterstützen, seinen
Schmerz zu verarbeiten.
Während der gesamten Therapie ist es wichtig, die Erfahrungen des Patienten anzuerkennen und sich auf der anderen Seite gleichzeitig zu bemühen, Alternativen für ineffektive
Verhaltensmuster zu erarbeiten. Es ist wichtig anzuerkennen, dass die Bewältigungsstrategien des Patienten erlernte Reaktionen sind, um mit den traumatischen Ereignissituationen
umzugehen. Viele dieser Bewältigungsstrategien haben sich gefestigt, als sie dem Patienten
halfen, mit seinem Trauma umzugehen, und ihn davor bewahrten, von psychischem Leiden
überwältigt zu werden. Aus dieser Perspektive ist es sinnvoll, dass der Patient versucht,
internalisierte Erfahrungen zu vermeiden oder zu kontrollieren; dennoch sollte das gegenwärtige Verhalten untersucht werden. Wenn der Patient diese Strategien benutzt, sollte der
Therapeut den Patienten immer wieder fragen, ob diese Strategien noch hilfreich sind oder
ihm erlauben, im Einklang mit seinen Werten zu leben. Ferner sollte beim Durchführen der
Deliteralisierungs-Übungen darauf geachtet werden, dass der Patient die Übungen auch so
auffassen kann, dass das Loslassen der traumatischen Geschichte oder der Opferrolle gleichzeitig bedeutet, dass der Missbrauch nicht stattgefunden hat. Es ist sehr wichtig, das Verständnis für die erlebte Traumageschichte aufrechtzuerhalten, während man dem Patienten
Übungen erleben lässt, die Deliteralisierung, Akzeptanz und die Bereitschaft, ein wertvolles
Leben anzustreben, fördern. In der Tat glauben wir, dass Akzeptanz ein Zugpferd sein kann.
Indem wir uns erlauben, mit dem Geschehen und dem Einfluss traumatischer Ereignisse in
Kontakt zu treten, sind wir in der Lage, in die gewünschte Richtung zu arbeiten, nämlich die
Vorfälle von Gewalt und Missbrauch in unserer Kultur zu reduzieren.
Schlussfolgerungen
Wir hoffen, dass dieses Kapitel als Grundlage dazu dienen kann, Therapeuten einen Einblick
in den ACT-Ansatz zu geben und ihnen dabei zu helfen, diese Therapie bei Patienten mit
einer traumatischen Vorgeschichte anzuwenden. Wir wünschen uns, dass diese Einführung
Therapeuten dazu ermutigt, noch weiter über dieses Thema zu lesen (s. Hayes, Gregg u. Wulfert,1998; Hayes u. Strosahl 2004; Hayes, Wilson u. Strosahl 1999; Hayes, Wilson u. Strohsal
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J. C. Plumb, V. M. Follette
2004) oder weitere Quellen zu nutzen, wenn es um die Anwendung von Metaphern oder
experientiellen Übungen geht. Wir hoffen, dass die ausgewählten Aspekte, die wir schildern
konnten, dabei helfen festzustellen, auf welchen Strategien bei einer Therapie eine starke
Betonung liegen sollte, um eine größtmögliche Förderung des allgemeinen psychischen
Funktionierens unserer Patienten zu erreichen. Zusammengefasst lassen sich die wichtigen
Komponenten des ACT-Ansatzes hier noch einmal folgendermaßen beschreiben:
1. Herausarbeiten einer kreativen Hoffnungslosigkeit: hier werden individuelle Muster der
Vermeidung der Erfahrung des Traumas und seiner Folgen in den Mittelpunkt gestellt.
2. Defusion (Deliteralisierung) und das Finden eines Selbstkontexts: hier wird erarbeitet,
was es bedeuten kann, wenn Patienten ihre eigenen Worte und Selbstaussagen zu wortwörtlich nehmen. Patienten lernen ihr Selbst distanziert von Worten und Gedanken zu
erfahren.
3. Akzeptanz und Arbeit an den Werten: hier wird herausgearbeitet, Erfahrungen annehmen zu können und diese auf eine neue Weise in die eigenen Wertsetzungen im
Rahmen der Lebensplanung zu integrieren.
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