Quelle Fachzeitschrift TITELTHEMA Anlagenbau Chemie www.chemietechnik.de Pharma Ausrüster ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ Planer Betreiber ✔ ✔ ✔ ✔ ✔ Einkäufer Manager ✔ ✔ ✔ ✔ Erfolgsfaktor Mensch in der Anlagenplanung VERTRAUEN STATT PARAGRAPHEN Projektorganisation im Anlagenbau Projektmanagement und Projektorganisation sind wichtige Disziplinen, wenn es darum geht, komplexe Produktionsanlagen zu planen und umzusetzen. Jedoch scheinen bisherige Methoden nicht mehr optimal geeignet zu sein, um die gegenwärtigen Anforderungen an eine effektive Projektabwicklung zufrieden stellend zu erfüllen. Mit Tasteful Engineering stellt sich ein alternativer Ansatz zur Projektorganisation vor. D as Planungsteam um Andreas Bauer hat einen schweren Stand. Wieder wurde von Max Müller, dem Projektleiter des Auftraggebers, die Spezifikation des Reaktors geändert – ohne Absprache mit dem EngineeringDienstleister, für den Bauer arbeitet. Der Auftrag zum Bau des Reaktors ist längst Autor Wolfram Gstrein, Geschäftsführer, VTU 10 CHEMIE TECHNIK · Dezember 2006 erteilt und steht kurz vor der Fertigstellung. Der Lieferant wird Änderungen nur mit Kostenerhöhungen und Terminverzug durchführen. Noch bei Unterzeichnung des umfangreichen Vertrages bestand Einigkeit zwischen Auftraggeber und Dienstleister. Mittlerweile hat sich das Klima deutlich verschlechtert, die Projektkultur stimmt nicht mehr. Im Planungsverlauf ergaben sich durchaus sinnvolle Änderungen, die von beiden Seiten eingebracht wurden. Dadurch ist allerdings das Anlagenprojekt in Verzug geraten, obwohl das Projektteam in den letzten drei Monaten ständig aufgestockt wurde. Max Müller bekommt massiven Druck vom Vorstand, Andreas Bauer muss auf Aufforderung seiner Firmenleitung die Mehrkosten hereinholen. Kreative Claims werden eingefordert. Die einstigen Partner kommunizieren nur noch mit gegenseitigen Vorwürfen, zum Teil über die jeweiligen Juristen, die den umfangreichen Vertrag nach Punkt und Beistrich ausschlachten. Ob das Sinn für das Projektziel macht, hinterfragt niemand mehr. Sicher ist nur eines: Außer den Anwälten werden alle verlieren, ENTSCHEIDER-FACTS Für Planer und Betreiber wenn einmal „Dienst nach Vertrags-Vorschrift“ gemacht wird. Der Auftraggeber hat Produktionsverzüge und/oder eine qualitativ schlechte Anlage, der Planer macht Verluste und verliert seinen guten Ruf. Max Müller und Andreas Bauer sind frustriert und werden beim nächsten Projekt nur noch darauf achten, dass sie persönlich keine Schwierigkeiten bekommen. Und leider ist dieses fiktive Beispiel nur all zu oft Realität im Anlagenbau. Mittlerweile haben sich die Anforderungen an Anlagenbauprojekte in vielen Bereichen grundlegend verändert, dass weiß auch Bauer. Es werden immer kürzere Projektlaufzeiten verlangt und damit einhergehend eine zunehmende Überschneidung der einzelnen Projektphasen. Das bedeutet eine höhere Änderungsfrequenz im Projekt, da beispielsweise Herstellverfahren zu Beginn der Engineeringaktivitäten noch nicht gesichert durchentwickelt sind. Auf der kaufmännischen Seite stehen die Projekte unter einem immer höheren Kostendruck. Enggeschnürte vertragliche Regelwerke, pönalisierte Termine und Vertragsstrafen engen den Spielraum von planenden und ausführenden Firmen ein. Negative Auswirkungen können dabei recht vielfältig sein: Preisdruck führt zu einer Claim-Management-Kultur der Auftragnehmer oder das falsche Setzen Schaffung und Gestaltung günstiger Rahmenbedingungen, damit sich die Eigendynamik des Projektteams in die richtige Richtung entfalten kann. Flexible projektbezogene Zusammenstellung von Kernkompetenzen durch kleine Einheiten aus eigenständigen, spezialisierten Unternehmen. Vorteile: Deutlich geringerer Controllingaufwand auf Auftragnehmerseite sowie höhere technische Kompetenz durch Spezialisten. In der Projektkultur liegt ein weiterer Schlüssel zum Projekterfolg. Ziel ist der Aufbau einer Kultur der Kooperation und nicht der Konfrontation. der Projektziele. Ein Projekt ist ein dynamischer Prozess, der immer wieder Anpassungen und Korrekturen notwendig macht. Ein starres Vertragswerk zwingt sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber zur Konzentration auf Aufgaben, die zu Vertragsabschluss als relevant erachtet wurden. Zwischenzeitlich kann sich herausgestellt haben, dass andere Tätigkeiten zu diesem Zeitpunkt für den Gesamtprojektverlauf wichtiger wären. Langwierige Vertragsverhandlungen führen zu Mehrkosten und Zeitverlust in der Startphase eines Projektes. Unter Umständen vergehen mehrere Monate zwischen erster Anfrage und Vergabe eines Auftrages. Zeit, die das Produkt dann später für den Markt zur Verfügung steht. In weiterer Folge führt ein hoher Organisationsgrad zum „Totplanen“ des In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen an Projektabwicklungen grundsätzlich verändert TITELTHEMA Grafiken: VTU Bereich, in dem das Modell einsetzbar ist Art des Projektes Routine Hochkomplex, unsicher Projektkultur des Kunden Hochgradig formalistisch Kein PM Projektkultur des Planungsunternehmens Hochgradig formalistisch Kein PM Vertragsgestaltung Hochgradig formalistisch Projektes. Darunter versteht man die Behinderung des Projektfortschrittes durch eine Vielzahl von regulatorischen Projektanweisungen, deren Erfüllung einen wesentlichen Anteil der Arbeitskraft des Projektteams verschlingt. Zusammengefasst ausgedrückt führen die angesprochenen Faktoren zu Effektivitäts- und Effizienzverlusten im Projekt. Die Anforderungen an eine effiziente Projektorganisation sind vielfältig: hohe Qualität der Planungsleistung, Erfüllung des Zieldreiecks Leistung/Termine/Kosten, konkurrenzfähiger Preis, flexible Reaktion auf Änderungen im Projekt, Kostenersparnis durch geringen Kontrollaufwand durch den Auftraggeber. Dazu werden folgende Ansätze für einen Generalplaner ausgewählt: Erstens die Schaffung und Gestaltung günstiger Rahmenbedingungen, damit sich die Eigendynamik des Projektteams in die richtige Richtung entfalten kann und zweitens die flexible projektbezogene Zusammenstellung von Kernkompetenzen durch kleine Einheiten aus eigenständigen, spezialisierten Unternehmen. Die Vorteile daraus sind enorm: deutlich geringerer Controllingaufwand auf Auftragnehmerseite, geringere Gesamtkosten durch flachere Hierarchie der Unternehmen sowie höhere technische Kompetenz durch Spezialisten. Zur Funktion eines derartigen Konzeptes müssen die einzelnen Unternehmen partnerschaftlich agieren, wobei die Vertrauenswürdigkeit der handelnden Personen wichtig ist. Die Zusammen- 12 CHEMIE TECHNIK · Dezember 2006 unspezifisch arbeit muss klaren Regeln und Schnittstellen-Definitionen unterliegen mit dem Bewusstsein der Existenz eines Graubereiches, der zu Projektstart noch nicht genau definiert werden kann. Es gibt kein Allheilmittel In der Projektkultur liegt ein weiterer Schlüssel zum Projekterfolg. Auf Basis der vorher genannten Punkte wird eine Projektkultur der Kooperation und nicht der Konfrontation aufgebaut. Dazu zählen folgende Eckpfeiler: Auftraggeber und Dienstleister haben übereinstimmende Projektziele; das Gemeinschaftsziel wird vor das Einzelziel gestellt, gegenseitiges Vertrauen, Ehrlichkeit, beiderseitige Fehlertoleranz, schnelle Entscheidungsfindung und hohe Motivation der Mitarbeiter. Die beschriebene Art der Projektorganisation ist aber kein Allheilmittel, das den Erfolg von Projekten unterschiedlichster Art garantiert. Vielmehr unterliegt sie einer Zahl von Einschränkungen und Fallstricken. Dazu zählen: Das Modell ist nicht generell auf alle Projekte anwendbar Der Auftraggeber spielt eine wesentliche Rolle; die Bemühungen auf Dienstleisterseite nach einer entsprechenden Projektorganisation sind zum Scheitern verurteilt, wenn Arbeitskultur und Vertragsgestaltung des Kunden nicht dazu passen Hohe Abhängigkeit von agierenden Personen: Sowohl der Projektleiter als Tasteful Engineering kann sein Potenzial in Projekten mit unterschiedlichen Kriterien voll ausspielen auch die Lead-Ingenieure der einzelnen Partner sind für die Funktion der Organisation wesentlich Das Modell basiert zu einem großen Teil auf den ungeliebten, weil kaum quantifizierbaren „Soft Skills“ Bestehendes Vertrauen und nicht definierte Graubereiche können von beiden Seiten ausgenutzt werden. Das Modell wurde für Anlagenbauprojekte bis ca. 40 Millionen Euro Investitionsvolumen entwickelt und erfolgreich getestet. Die Anlagen sind Einzelanfertigungen. Die Organisation ist in der Lage, mit einer großen Zahl von Änderungen während des Projektes umzugehen. Der Einsatzbereich reicht von Kunden ohne Projektmanagement (dieses wird dann komplett vom Dienstleister übernommen) bis hin zu solchen mit moderatem Formalismus. Es ist ungeeignet für Kunden mit hochgradig formalistischer Projektkultur, wie beispielsweise Projekten der öffentlichen Hand. Schlussendlich muss die Vertragsgestaltung das selbstständige Agieren des Projektteams erlauben bzw. erleichtern. Hier gilt: so wenig wie möglich, aber so viel wie notwendig. Fazit: Max Müller und Andreas Bauer brauchen ein Umfeld, das ihnen erlaubt, auf Änderungen sinnvoll zu reagieren. Die Projektziele sind genau zu definieren, für den Weg dorthin muss es aber gegenseitige Toleranz und definierte Entscheidungsfreiräume für das Team geben. Und allen muss bewusst sein: Die beteiligten Unternehmen müssen partnerschaftlich agieren, wobei die Vertrauenswürdigkeit aller handelnden Personen zentraler Faktor ist. Der Schlüssel zum Erfolg des neuen Projektes liegt darin, die Balance zwischen Standardisierung und Formalisierung auf der einen Seite sowie Handlungsfreiheit und Selbstentwicklung auf der anderen Seite zu finden. Vertrauen statt Paragraphen, so lautet die Devise. KONTAKT www.chemietechnik.de Aktuell zur Thematik: Die Artikel „Claimsmanagement: Frust mit der Extrawurst“ aus CT03/06 und der CT-Trendbericht: „Bau von Anlagen der Schüttguttechnik“ aus CT10/06 stehen zum Download bereit. Weitere Infos CT 600