FAZ: Artikel über Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern

Werbung
FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG
Überhitzes
Mittelmeer
Natur und Wissenschaft
Vom Herzen: Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar
as ist schon ein Bauplan, was
die Anatomie allein? Gleich,
W
was die Forschung in Jahrhunderten
Massensterben von Korallen
korreliert mit lokal erhöhten
Wassertemperaturen
Wer schnorchelnd oder tauchend den Meeresgrund erkundet, kann sich dort nicht
nur an flinken Fischen erfreuen. Korallen,
Schwämme und viele andere Meerestiere
bewegen sich zwar nicht von der Stelle,
verblüffen aber oft mit bizarren Formen
oder extravaganten Farben. Bei Vertretern dieser ortstreuen Fauna werden im
Mittelmeer zunehmend Massensterben beobachtet. Schuld daran ist wohl vor allem
die globale Erwärmung. Zu dieser Einschätzung kommen Wissenschaftler um
Irene Rivetti von der Università del Salento in Lecce. Messungen mit Satelliten zeigen, dass die Oberfläche des Mittelmeers
tatsächlich immer wärmer wird.
Um herauszufinden, wie sich die daran
angrenzenden Wasserschichten verändert
haben, durchforsteten die Forscher einschlägige Datenbanken. Dabei konzentrierten sie sich auf Tiefen bis zu 50 Meter
unter dem Meeresspiegel und auf die Jahre von 1945 bis 2011. Über eine Zeitspanne von 67 Jahren ließen sich somit für einen Großteil des Mittelmeers Temperaturtrends ermitteln. Vielerorts ist die Wassertemperatur mehr oder minder stark gestiegen, hier und da aber auch merklich gesunken. Dass sich das Mittelmeer so heterogen präsentiert, verwundert nicht. Schließlich besteht es nicht nur aus einem Mosaik
von flachen Buchten, weiten Becken und
tiefen Gräben. Die zahlreichen Inseln und
Halbinseln schaffen auch eine arg verwinkelte Küstenlinie.
Dass am Meeresboden festgewachsenes
Getier plötzlich in großer Zahl abstirbt, wurde bislang nur im westlichen Teil des Mittelmeers registriert. Was freilich nicht heißt,
dass es im östlichen Teil noch nie solch fatale Ereignisse gab. Wahrscheinlich hat dort
nur niemand genau genug hingeschaut.
Von 33 registrierten Massensterben ereigneten sich 30 in Regionen, wo die Wassertemperatur eindeutig zugenommen hat. Das ist
nach Ansicht der Forscher wohl kein Zufall.
Am häufigsten wurde beobachtet, dass
bestimmte Arten von Korallen zugrunde
gehen („Plos One“, doi: 10.1371/journal.
pone.0115655). Beim ersten einschlägigen
Vorfall zum Beispiel, im Jahr 1983, war an
der Küste der Provence die für Schmuckstücke geschätzte Edelkoralle (Corallium rubrum) zugrunde gegangen. Nicht selten
sind aber auch Schwämme, Seescheiden,
Moostierchen und Muscheln betroffen.
Ebenso wenig mobil wie Korallenstöcke,
können sie misslichen Umweltbedingungen ebenfalls nicht ausweichen.
Wo sesshafte Meeresbewohner massenhaft dahingerafft wurden, haben die Forscher die Temperaturprofile für die fraglichen Monate genauer unter die Lupe genommen. In unterschiedlichen Tiefen entdeckten sie dabei regelrechte Hitzewellen
mit Temperaturen, die bis zu 5,2 Grad
über den Durchschnittswerten lagen. Vereinzelt fanden sie aber auch Massensterben, die während einer kühlen Phase auftraten, und manchmal nur mäßige Abweichungen von den üblichen Temperaturen.
Ungewohnte Wärme scheint zwar meistens im Spiel zu sein, ist aber nicht der einzige Faktor, der den Meeresbewohnern
das Überleben schwermacht. Mancherorts
fließen zum Beispiel nach wie vor Abwässer von Städten oder aus der Landwirtschaft ins Meer. Von solchen Belastungen
Edelkoralle Corallium rubrum
Foto Getty
befreit, könnten sich Korallen, Schwämme und andere sensible Tiere womöglich
auch dann noch behaupten, wenn die Wassertemperatur zeitweilig abrupt anstiege.
Dass der Klimawandel die Fauna langfristig verändert, macht sich im Mittelmeer
längst bemerkbar. Mehr als dreißig Fischarten, die sich dort einst nur ganz im Süden,
an den allerwärmsten Stellen, getummelt
haben, sind mittlerweile nach Norden vorgedrungen. Gleichzeitig schrumpfte der Lebensraum für weniger wärmeliebendes Getier. An der tunesischen Küste etwa ist das
Verbreitungsgebiet der Mittelmeer-Miesmuschel (Mytilus galloprovincialis) beträchtlich kleiner geworden. Um allzu dramatische Umbrüche im Ökosystem zu vermeiden, empfehlen Rivetti und ihre Kollegen, ein Netzwerk von Schutzgebieten einzurichten. Unbehelligt von destruktiven
Aktivitäten wie Schiffsverkehr, Fischfang oder Förderung von Erdöl könnte
sich die Fauna des Mittelmeers dort regenerieren und verlorenes Terrain wieder
besiedeln.
DIEMUT KLÄRNER
Angefärbte Herzkammern beim „Aufblähen“: Grün sind die Zellen des Ventrikels, rot die Blutgefäße und das Atrium.
Foto AG Seyfried
über den Bau unserer inneren Organe
herausgefunden und was sich die Medizin zu ihrer Reparatur zurechtgelegt
hat, das Entscheidende ist mit der sorgfältigen Beschreibung des Organs allein noch nicht gesagt. Was es zu wissen gilt, um beispielsweise das Herz
als lebenswichtigen Teil, ja auch als
Mittelpunkt unserer Gefühlswelten,
wirklich zu durchschauen, ist nur erfassbar, wenn wir die Entwicklung von
Anfang an betrachten. Das führt mitten hinein in die Zellforschung. Die
Zelle ist der Grundbaustein aller Organe, auch des Herzens. Sie ist eine Art
Umschlagplatz nicht nur für die Bausubstanzen des Lebens, sondern ganz
wesentlich auch für Informationen.
Wie sensibel etwa das Geflecht an Signalen gewoben ist, wie Signalmoleküle innerhalb und außerhalb der Zellen zusammenarbeiten, haben Forscher um Salim Seyfried, Ann-Christin
Dietrich und Veronica Lombardo vom
Max-Delbrück-Centrum in BerlinBuch an der Entwicklung der Herzkammern gezeigt. Ihr Forschungsgegenstand ist das Herz des Zebrafisches.
Das verfügt zwar anders als das Menschenherz nur über zwei und nicht vier
Kammern, die Anfänge sind nach
Überzeugung der Wissenschaftler aber
die gleichen. Die ersten Schritte sind
dabei entscheidend. Während der zuerst einfache Zellschlauch von Blut
durchflossen und quasi wie ein Ballon
aufgeblasen wird, des „Cardiac Ballooning“, entscheidet sich durch die physikalische Wirkung des Blutflusses, welcher Teil des Schlauches zum sehr viel
größeren Atrium, der Kammer, und
welcher zum kleineren, pumpenden
Ventrikel wird. Die dreidimensionale
asymmetrische Form des Herzens ergibt sich also letztlich aus dem Druck
des Blutflusses, der ein Orchester an
Signalmolekülen dirigiert. (jom)
Blanke Herzklappen sichern das Überleben
Patienten mit angeborenem Herzfehler
verschwinden nach der
Kindheit aus Praxen
und Registern. Man
weiß wenig über ihre
Entwicklung. Neue
Verfahren versprechen
aber ein besseres
Leben nach früher OP.
Von
Nicola von Lutterotti
aren Neugeborene mit schwerem angeborenem Herzfehler vor rund fünfzig Jahren
noch größtenteils dem Tod
geweiht, erreichen heute etwa neunzig
Prozent von ihnen das Erwachsenenalter.
Zu verdanken ist diese Trendwende, die
in der Medizin ihresgleichen sucht, den
Fortschritten in der Herzchirurgie und
der Intensivmedizin. Aber auch die Entwicklungen im Bereich der Diagnostik haben hierzu beigetragen. So hatten Chirurgen in der Vergangenheit beim Ansetzen
des Skalpells nur eine vage Vorstellung
davon, welche anatomischen Verhältnisse sie im Brustkorb vorfinden. Heute halten sich solche Überraschungseffekte in
Grenzen, denn die modernen diagnostischen Verfahren wie die Echokardiographie, die Kernspin- und die Computertomographie erlauben es, selbst hochkomplexe Herzdefekte so detailgenau darzustellen, dass sich Operationen gut planen
lassen. Die bessere Bildgebung hat darüber hinaus den Kathetertechniken Auftrieb verliehen. Über das Gefäßsystem
vorgenommen, sind solche minimalinvasiven Eingriffe merklich schonender als „offene“ Operationen – unter anderem, weil
man dabei auf die Herz-Lungen-Maschine verzichten kann. Sie kommen unter anderem jenen Betroffenen zugute, die sich
wiederholten chirurgischen Interventionen unterziehen müssen.
Besonders oft trifft ein solches Schicksal Kinder. Die kleinen Patienten befinden sich noch in der Wachstumsphase.
Eine im Säuglingsalter vorgenommene
chirurgische Korrektur hält daher vielfach nicht ein Leben lang. Mitunter ist sie
auch schon nach wenigen Jahren revisionsbedürftig. Das gilt sehr häufig für
neue Herzklappen: Weder die mechani-
W
Dem Bewusstsein auf den Fersen
Wenn Nervenzellen im Konzert feuern – ist das Quelle
oder Ausdruck bewusster Hirnprozesse? Antworten
des Hamburger Neurologen Andreas K. Engel. Seite N2
schen Verschlusssysteme noch die von
Tieren oder menschlichen Spendern
stammenden biologischen Herzventile besitzen nämlich die Fähigkeit mitzuwachsen. Wenn immer möglich, versucht
man daher, den Herzklappenersatz bei
Kindern lange hinauszuzögern. Damit
wächst zugleich aber das Risiko für bleibende Schädigungen des Herzens und der
anderen Organe.
Abhilfe schaffen könnte ein Verfahren,
das Wissenschaftler um den Herzchirurgen Axel Haverich von der Medizinischen
Hochschule Hannover entwickelt haben.
Es besteht darin, die Herzklappe eines
menschlichen Spenders vor der Implantation vollständig zu dezellularisieren – das
heißt, alle Zellen daraus zu entfernen, so
dass nur das blanke Bindegewebsgerüst
übrigbleibt. Derart entblößt, wird die körperfremde Herzklappe vom Immunsystem des Empfängers offenbar toleriert.
„Auch kommt es dabei zu einer Besiedlung mit körpereigenen Zellen des Patienten, das zeigen Hunderte von Untersuchungen“, sagt Haverich. Mittlerweile
mehren sich zudem die Hinweise, dass
das Ersatzventil mitwächst.
Nachweisen ließ sich dies bislang allerdings nur bei Tieren. Denn von den 160
Patienten, denen die Hannoveraner Herzchirurgen in den vergangenen zwölf Jahren eine dezellularisierte menschliche
Herzklappe eingepflanzt haben, sind erfreulicherweise bis jetzt nur zwei – an einer nicht implantatbedingten Ursache –
verstorben, und das schon bald nach dem
Eingriff. Offenbar halten die „nackten“
menschlichen Herzklappen deutlich besser als die gängigen, was für eine Regenerationsfähigkeit spricht. Mehr Klarheit erhofft man sich von einer unlängst angelaufenen Studie, die von der EU mit fünf
Millionen Euro unterstützt wird. Beteiligt
ist daran unter anderem die Universitätsklinik in Moldawien, wo das Verfahren
im Jahr 2002 erstmals bei zwei Kindern
im Alter von elf und dreizehn Jahren angewandt wurde. „Beiden geht es sehr
gut“, sagt der in Haverichs Team tätige
Kinderkardiologe Samir Sarikouch. Eins
der Kinder sei inzwischen eine junge
Frau und Mutter eines Kindes.
Wie groß die Zahl der Erwachsenen
mit angeborenem Herzfehler hierzulande
ist, lässt sich nur schätzen. Hochrechnungen zufolge liegt sie bei 200 000 bis
250 000. Genauer beziffern lässt sie sich
nicht, zumal es in Deutschland keine lückenlosen Register gibt. Sind die Patienten erst den Kinderschuhen entwachsen,
gehen sie häufig „verloren“. Laut Harald
Kaemmerer von der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am
Deutschen Herzzentrum München kann
man über den gesundheitlichen Zustand
von rund 150 000 der Betroffenen, mögli-
cherweise auch noch mehr, keinerlei Angaben machen. „Wie es diesen Patienten
geht, ja, ob sie überhaupt noch leben, ist
völlig offen.“ Dass alle wohlauf sind, hält
der Kardiologe dabei für wenig wahrscheinlich. Denn nur wenige Herzfehler –
dazu zählen etwa kleinere Löcher in der
Herztrennwand – lassen sich restlos beheben. Bei den meisten anderen bleiben
mehr oder weniger ausgeprägte Defekte
zurück. Und die Eingriffe hinterlassen
teilweise tiefe Spuren, die früher oder später zutage treten, etwa in Form von Herzstolpern. „Die chirurgischen Verfahren
wurden im Lauf der Zeit zudem immer
wieder verändert, einige auch ganz fallengelassen. Daher sehen wir heute die Spätfolgen von Eingriffsarten, die zum Teil
schon seit Jahren aufgegeben wurden“, erklärt der Kardiologe.
Dennoch scheinen Erwachsene mit angeborenem Herzfehler eine gute Lebensqualität zu haben. So legen Untersuchungen in Deutschland den Schluss nahe,
dass sie sich körperlich ähnlich gesund
fühlen wie gleichaltrige Personen der Allgemeinbevölkerung. Trotzdem tragen sie
ein erhöhtes Risiko für teilweise schwere
Komplikationen, darunter Herzrasen,
eine verminderte Herzkraft, Thrombosen, Funktionsstörungen der Niere und
Leberschäden. Ursächlich hierfür sind sowohl direkte als auch indirekte Folgen
des Herzdefekts. Dazu zählen eine unzureichende Sauerstoffversorgung der Gewebe, operationsbedingte Schäden der
Herzkranzarterien und die langjährige
Einnahme bestimmter Medikamente.
„Um rechtzeitig einschreiten zu können, versuchen wir, die Hausärzte und Internisten dazu zu motivieren, die Patienten regelmäßig zu uns zu schicken“, sagt
Helmut Baumgartner von der Klinik für
angeborene (EMAH) und erworbene
Herzfehler des Uniklinikums Münster.
Empfohlen werde gemeinhin eine Kontrolle pro Jahr. Je nach Art des Herzfehlers und des Gesundheitszustands des Patienten sollten die Untersuchungsintervalle gleichwohl kürzer sein; mitunter reichten aber auch größere Zeitabstände. Viele Patienten kommen indes erst, wenn es
ihnen bereits schlechtgeht und ihr HerzKreislauf-System bereits bleibende Schäden erlitten hat. Das liegt freilich nicht
nur an den Ärzten, sondern auch an den
Betroffenen selbst. „Patienten mit angeborenem Herzfehler haben oft eine traumatische Vorgeschichte und wollen endlich ein normales Leben führen“, erklärt
Baumgartner. Und die Kinderkardiologin
Angelika Lindinger aus Homburg/Saar
fügt hinzu: „Solange es den Patienten einigermaßen gutgeht, tendieren sie dazu,
die Probleme zu negieren.“
Die medizinische Versorgung solcher
Herzkranken stellt freilich eine Herausfor-
Eine Geliebte Walter Benjamins
Spurensuche in Edmund de Waals „Der Hase mit den
Bernsteinaugen“: Wer war Olga Parem? Und wer der
Baron Schey, der Flüchtlingskindern half? Seite N3
derung dar. Angeborene Herzfehler sind
zwar recht verbreitet, betreffen sie doch
immerhin einen unter hundert Neugeborenen. Jede einzelne der rund vierzig kardialen Missbildungen kommt allerdings selten vor. Um genügende Kenntnisse über
die unterschiedlichen Erkrankungsarten
zu gewinnen, muss der Arzt daher eine
Vielzahl von Betroffenen betreut haben.
Generell am besten gerüstet sind für diese
Aufgabe die Kinderkardiologen. Sie stoßen allerdings irgendwann an Grenzen,
zumal sie mit den Spätfolgen kardialer
Missbildungen naturgemäß nicht in Berührung kommen. Noch komplizierter wird
die Situation, wenn sich zu den angeborenen mit der Zeit altersbedingte Herzleiden hinzugesellen, etwa schmerzhafte Verengungen der Kranzarterien und Infarkte.
Solche Erkrankungen gehören wiederum
in das Hoheitsgebiet der (Erwachsenen-)
Kardiologen. Dafür sehen diese für gewöhnlich nur selten Patienten mit zumal
komplexen angeborenen Herzfehlern.
Um diesem Manko zu begegnen, haben die herzmedizinischen Fachgesellschaften Deutschlands unlängst ein Zertifizierungsverfahren für klinische Zentren und ein spezielles WeiterbildungsCurriculum für Kardiologen eingeführt.
Inzwischen besitzen bereits sechzehn Kliniken, darunter fünfzehn universitäre,
und drei Praxen ein solches Zertifikat.
Auch haben schon 191 Kinderkardiologen und 77 Erwachsenenkardiologen die
Weiterbildung zum EMAH-Spezialisten
abgeschlossen, können also offiziell Erwachsene mit angeborenem Herzfehler
behandeln – jedenfalls theoretisch. Bei
der praktischen Umsetzung scheint es
hingegen noch zu hapern. Wie Frau Lindinger moniert, stoßen zertifizierte Kinderkardiologen auf große administrative
Hindernisse, wenn sie solche Patienten
betreuen. Denn die Bundesärztekammer
habe es abgelehnt, der Zusatzqualifikation den Rang einer Subspezialität einzuräumen. „Viele Patienten wollen aber bei
ihrem Kinderkardiologen bleiben, da sie
ihn von klein auf kennen und großes Vertrauen zu ihm haben.“ Die Zukunft wird
zeigen, ob die größere Zahl an medizinischen Anlaufstellen zu einer besseren
Versorgung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern führt. Regelmäßige
Kontrollen in einem spezialisierten Zentrum scheinen den Betroffenen aber zugutezukommen. Für einen solchen Zusammenhang sprechen jedenfalls Beobachtungen in Kanada („Circulation“, doi:
10.1161/CIRCULATIONAHA.113. 005817).
Hier ist die Zahl der Herzkranken, die an
ein EMAH-Zentrum überwiesen wurden, zwischen 1997 und 2005 um 7,5 Prozent angestiegen. Zugleich hat die Sterblichkeit der Betroffenen um fünf Prozent
abgenommen.
N R. 5 · S E I T E N 1
M I T T WO C H , 7 . JA N UA R 2 0 1 5
Zuwächse bei den
Abspeckpillen
So wie das Heer der Übergewichtigen
und damit das Marktpotential wächst,
so nehmen auch die pharmakologischen Hilfsangebote zu: Abspeckpillen
liegen im Trend. Zwei neue Ansätze
sind jetzt von amerikanischen Wissenschaftlern präsentiert worden. Bei der
von Forschern des Salk Institutes for
Biological Studies in La Jolla entwickelten Substanz handelt es sich um „Fexaramine“, die dem Nutzer die Zufuhr
einer kalorienträchtigen Mahlzeit im
Darm vorgaukeln. Das Essen wird quasi simuliert. Es wird Gallensäure produziert, der Stoffwechsel wird aktiviert.
Die Verbindung stimuliert den Farensoid-X-Rezeptor, der schon seit Jahrzehnten Zielobjekt vieler pharmakologischer Studien ist. Allerdings gibt
es unangenehme Nebenwirkungen, sobald man den Rezeptor mit Substanzen
aktiviert, die über den Blutstrom im gesamten Körper verteilt werden. Die
Salk-Forscher haben ihren Wirkstoff so
modifiziert, dass er im Darm bleibt und
nicht ins Blut gelangt. Fettsüchtige
Mäuse, denen fünf Wochen lang jeden
Tag eine Pille verabreicht wurde, nahmen nicht mehr zu, ihr Blutzuckerspiegel war verringert, ebenso ihr Cholesterinspiegel, wie die Forscher in „Nature
Medicine“ (doi: 10.1038/nm.3760) berichten. Ein entscheidender Schwachpunkt: Der Nachweis der Wirksamkeit
in klinischen Versuchen fehlt. Das trifft
zwar auch für die Pille zu, die Aaron Cypess von der Harvard Medical School
in Boston zusammen mit Kollegen
getestet hat. Aber immerhin wurde
ihr Wirkstoff, „Mirabegron“, der den
beta-3-adrenergen Rezeptor aktiviert,
schon für Therapien gegen Blasendrang zugelassen und an einem Dutzend Männern getestet. Die Verbindung stimuliert den Stoffwechsel des
braunen Fettgewebes und damit den
Energieverbrauch. Ergebnis der Ministudie: Im Schnitt erhöhte der Stoffwechsel-Turbo den Kalorienverbrauch
im Ruhezustand um rund 200 Kalorien
pro Tag. Schwere Nebenwirkungen wurden offenbar keine registriert, wie es in
der Zeitschrift „Cell Metabolism“ heißt,
allerdings lag die tägliche Dosis mit
zweihundert Milligramm viermal so
hoch wie die von der FDA für Blasentherapien genehmigte Dosierung. F.A.Z.
Die Mär von den
gesunden Dicken
Üppige Fettpolster münden zwar nicht
zwangsläufig in Diabetes und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems.
Dennoch scheint die zunehmend häufig zu vernehmende Kunde vom „gesunden Dicken“ irreführend zu sein. Hierfür sprechen die Ergebnisse einer Langzeitstudie, an der 2500 britische Regierungsangestellte beteiligt waren. Wie
der Epidemiologe Joshua Bell vom University College London im „Journal des
American College of Cardiology“ (Bd.
65, S. 101) berichtet, hatten rund 200
der Teilnehmer einen Body-Mass-Index (BMI) von mindestens dreißig,
brachten also deutlich zu viele Pfunde
auf die Waage. Insgesamt 66 und damit
rund ein Drittel der adipösen Probanden waren anfangs stoffwechselgesund: Darunter verstanden die Wissenschaftler keinen oder maximal einen
kardiovaskulären Risikofaktor, etwa zu
fettreiches Blut und erhöhte Blutzuckerspiegel. Zwei Jahrzehnte später wiesen
dann auch in diesem Kollektiv mehr als
fünfzig Prozent der Probanden einen
„ungesunden“ Stoffwechsel auf. Bei
den schlankeren Versuchspersonen lag
der entsprechende Anteil hingegen nur
bei dreißig Prozent. Die Ergebnisse, so
die Autoren, zeigten einmal mehr, dass
sich starkes Übergewicht auf die Dauer
fast immer nachteilig auf den Stoffwechsel auswirke.
N.v.L.
Cäsiumatome formen
eine Perlenkette
Kalte Atome lassen sich in großer Zahl
wie Perlen einer Kette aneinanderreihen. Dieses Kunststück ist Wissenschaftlern vom Niels-Bohr-Institut in
Kopenhagen mit einer dünnen Glasfaser gelungen, die von zwei gegenläufigen Laserstrahlen mit leicht unterschiedlichen Wellenlängen durchleuchtet wurde. Die Wellenlängen waren etwas größer als der Durchmesser des gut
einen halben Mikrometer dicken Lichtleiters, so dass sich auf dessen Oberfläche eine stehende Lichtwelle bildete.
Angezogen vom Lichtfeld, sammelten
sich bis zu 2500 extrem kalte und daher
langsame Cäsiumatome auf der Glasfaser und formten eine Kette („Physical
Review Letters“, Bd. 113, Nr. 263603).
Die Forscher waren sogar in der Lage,
die Zahl der Atome zu bestimmen,
ohne die Teilchen zu stören. Dazu ermittelten sie von beiden Laserstrahlen
die Wellenlängen, die sich mit der Zahl
der Atome veränderten.
F.A.Z.
Globalisierungsvorteil Grundlagenbildung
Die Juristenausbildung hat zweifellos Reformbedarf.
Dabei kommt es nicht auf die Kenntnis der Rechtsprechung, sondern auf die Grundlagen an. Seite N4
Herunterladen