Höhenkrankheiten Wenn die Luft dünn wird Nicht nur beim Trekking in den Anden oder bei der Besteigung sehr hoher Berge sind Reisende mit den Folgen der dünneren Luft in grosser Höhe konfron­ tiert. Schon in Regionen ab 2500 Metern über Meer können typische höhen­ bedingte Krankheiten mit verschiedenen und teils schwerwiegenden Beschwer­ den auftreten. Der Kilimandscharo, mit 5895 Metern Höhe der höchste Berg Afrikas, ist zu einem beliebten Urlaubsziel geworden. Wer ihn besteigen will, benötigt eine gute Grundkondition. Doch die Höhenkrankheit macht manchem erfahrenen Wanderer einen Strich durch die Rechnung. (Foto: Shutterstock) Text: Dr. med. Florian Marti In der Höhe fällt das Atmen zunehmend schwerer, da die Luft dünner wird. Alle 5500 Meter über Meereshöhe halbiert sich der Atmosphärendruck. Da der Sauerstoff­ anteil in der Erdatmosphäre konstant bei knapp 21 Prozent liegt, bedeutet ein reduzierter Luftdruck jedoch, dass die Gesamtmenge an Sauer­stoff in der Atemluft vermindert wird. Um den Körper trotzdem mit genügend Sauerstoff zu versorgen, werden verschiede- 20 samariter 02/2015 ne Anpassungsmechanismen in Gang gesetzt. Unter anderem kommt es durch eine Stress-Reaktion zu einer Steigerung von Herzfrequenz und Blutdruck. Der reduzierte Sauerstoffgehalt im Blut kann durch die vermehrte Durchblutung des Körpers teilweise ausgeglichen werden. Diese Reaktionen des Körpers können zusammen mit dem fehlenden Sauerstoff jedoch spezifische Krankheiten auslösen, die als Höhenkrankheiten bezeichnet werden. Gefährliche Krankheiten Eine der häufigsten Folgen eines kurzfristigen/temporären Aufenthalts in grosser Höhe ist die Akute Bergkrankheit (ABK). Das Hauptsymptom davon sind Kopfschmerzen. Nicht jeder Kopfschmerz in der Höhe ist jedoch auf die ABK zurückzuführen. Erst das Auftreten weiterer typischer Symptome wie Übelkeit, Schwindel oder Schlaflosigkeit macht die Krankheit wahrscheinlich (siehe Gut zu wissen). Die ABK kann etwa nach einem schnellen Aufstieg und bei einer Wissen Gut zu wissen Symptome Therapie Akute Ber­ gkrankheit (ABK) Kopfschmerzen Übelkeit/Erbrechen Appetitlosigkeit Schwächegefühl Schwindel Schlaf­losigkeit Symptomatische Therapie (Me­ dikamente gegen Kopfschmer­ zen und Übelkeit), 1–2 Tage kein weiterer Aufstieg, ausru­ hen. Bei schweren Symptomen Abstieg um 500 bis 1000 Meter. Bei Symptombesserung kann ein erneuter Aufstieg erwogen werden. Höhenhirnö­ dem (HHÖ) Ausgeprägte, therapieresistente Symptome der ABK, Gang-/ Bewegungsstörungen, Bewusst­ seinstrübung, Bewusstlosigkeit Abstieg bis die Symptome verschwinden, in der Regel um mindestens 1000 Meter, Sauer­ stoff. Medikamente: Kortison (Dexame­thason) Höhenlun­ genödem (HLÖ) Unerwartet starke Einschrän­ kung der Leistungsfähigkeit, Atemnot bei kleinsten Anstren­ gungen oder bereits in Ruhe, Husten (anfangs trocken, spä­ ter mit blutigem Auswurf) Abstieg bis die Symptome verschwinden, in der Regel um mindestens 1000 Meter, Sauer­ stoff. Medikamente: Blutdruck­ senker (Nifedipin, Tadalafil) Übernachtung auf über 2500 bis 3000 Meter auftreten. Zwischen 8 bis 25 Prozent sämtli­ cher Reisenden in diesen Höhenlagen sind davon betroffen. Die individuelle Fitness spielt dabei allerdings kaum eine Rolle. Im Gegensatz zum ABK treten das Höhen­ hirnödem (HHÖ) und das Höhenlungen­ödem (HLÖ) zwar seltener und in der Regel erst in grösseren Höhen auf, sind jedoch wesentlich gefährlicher. Bei einem Ödem handelt es sich um eine übermässige Wasser­ an­ sammlung, beim HHÖ also im Hirngewebe. Einem Hö­ henhirnödem gehen meistens die Symptome der ABK voraus, aber nicht immer. Zusätzlich treten Bewegungsstörungen wie beispielsweise ein unsicherer Gang sowie Bewusstseinsverän­ derungen auf. Unbehandelt kann diese gefähr­ liche Erkrankung zum Tode führen. Auch eine Erkrankung an einem Höhen­ lungenödem bedarf sofortiger Therapiemass­ nahmen. Das HLÖ ist eine übermässige Was­ ser­ einlagerung im Lungengewebe. In der Folge wird die körperliche Leistung stark eingeschränkt und die Betroffenen leiden un­ ter Atemnot, die bereits bei geringsten Belas­ tungen oder sogar in Ruhe auftreten kann. Zudem kann ein Husten – am Anfang noch trocken, im weiteren Verlauf jedoch mit blutangereichertem Schleim – auftreten. tion, denn der Körper gewöhnt sich bereits nach wenigen Tagen an einen tieferen Sauer­ stoffgehalt in der Atemluft. Dies kann man zum einen erreichen, indem man sich vorgän­ gig für ein paar Tage in höher gelegenen Re­ gionen aufhält und dem Körper so die Mög­ lichkeit gibt, sich langsam anzupassen. Auch ein langsamer Aufstieg hilft bei der Akklimatisation. Es wird empfohlen, ab 2500 Metern über Meer die Schlafhöhe pro Tag um maximal 300 bis 500 Meter zu stei­ gern und beim Aufsteigen zudem alle drei bis vier Tage eine Pause einzulegen. Besonders wichtig sind diese Regeln für Personen, die schon einmal von einer Höhenkrankheit be­ troffen waren. Das Risiko für eine erneute Erkrankung ist bei ihnen deutlich erhöht. In einem solchen Falle wird eine Aufstiegsge­ schwindigkeit von maximal 300 Metern pro Tag empfohlen. Nicht immer ist eine Akklimatisation möglich. So werden bei organisierten Trek­ kings die Regeln des langsamen Aufstiegs oftmals aus Zeitgründen missachtet. Zudem gibt es einige hochgelegene Flugplätze wie etwa La Paz in Bolivien auf 4100 Meter über Meer, die in nur wenigen Stunden erreicht werden können. In solchen Fällen kann eine medikamentö­ se Prophylaxe angezeigt sein. In der Regel wird zur Prävention der ABK das verschrei­ bungspflichtige Acetazolamid (Diamox®) verwendet. Dieses Medikament beschleunigt die Anpassungsmechanismen des Körpers und beugt bei fehlender Akklimatisation Hö­ henkrankheiten vor. Acetazolamid wird Wer einen Tagesausflug auf das Jungfraujoch (3454 Meter) unternimmt, muss nicht mit der Zur Vorbeugung akklimatisieren Höhenkrankheit rechnen. Dazu dauert der Aufenthalt in gosser Höhe zu wenig lange. Trotzdem Die beste Prophylaxe für alle Ausprägungen der Höhenkrankheiten ist die Akklimatisa­ empfehlen die Jungfraubahnen, vor einem Ausflug auf den höchsten Bahnhof Europas die medizinischen Tipps auf der Website www.jungfrau.ch zu lesen. (Foto: www.jungfrau.ch) samariter 02/2015 21 Wissen einen Tag vor Erreichen von 2500 Metern eingenommen. Es kann wieder abgesetzt werden, wenn der höchste Punkt der Reise erreicht ist und der Abstieg beginnt. Sofort absteigen Falls nicht weiter aufgestiegen wird, klin­ gen die Beschwerden einer ABK in der Re­ gel innert ein bis zwei Tagen ab. Neben dem E inhalten einer ausreichenden Ruhephase ­ können Betroffene zur Therapie zudem Medikamente gegen Kopfschmerzen und ­ Erbrechen einnehmen. Sobald die Be­ schwerden verschwunden sind, kann der Aufstieg langsam fortgesetzt werden. Bei anhaltenden Beschwerden soll darauf aller­ dings verzichtet und ein Abstieg erwogen werden. Anders ist die Situation bei einem HHÖ oder einem HLÖ. Diese potenziell tödlichen Erkrankungen benötigen eine umgehende Therapie, bei der die Sauerstoffmenge der eingeatmeten Luft erhöht wird. Dies kann auf drei Arten erreicht werden. Erstens durch einen Abstieg um mindestens 1000 Höhen­ meter oder weiter bis die Beschwerden ver­ schwinden. Zweitens durch die Gabe von Sauerstoff aus einer Flasche. Und drittens indem die Patienten in einen Überdrucksack gebracht werden. Ein Abstieg ist aber auf jeden Fall anzu­ streben. Die beiden letztgenannten Thera­ pien werden allenfalls eingesetzt, damit der Patient eine tiefere Höhenlage erreichen kann oder um ihn transportfähig zu machen. Be­ gleitend wird aber in der Regel eine medika­ mentöse Therapie eingeleitet. Hierzu wird beim Höhenhirnödem Kortison verabreicht. Und beim Höhenlungenödem hilft Nifedi­ pin, ein Medikament, welches den Blutdruck im Lungenkreislauf senkt. Arztbesuch vor der Reise Die aufgeführten Beispiele zeigen, wie wich­ tig es bei Reisen in grosse Höhen ist, an diese relativ häufigen und potenziell gefährlichen Krankheiten zu denken. Vor Reisebeginn empfiehlt sich deshalb, einen in Höhen­ krankheiten erfahrenen Arzt aufzusuchen, der das individuelle gesundheitliche Risiko beurteilen und allenfalls eine medikamentö­ se Prophylaxe verordnen kann. Dies gilt im Besonderen, wenn bereits eine Herzkreislaufoder Lungenkrankheit vorliegt, welche die Empfindlichkeit für Beschwerden in der Höhe verstärken kann. Dennoch ist nicht jeder Kopfschmerz auf eine Akute Bergkrankheit zurückzuführen. Nicht jede Bewusstseinsstörung ist ein Hö­ henhirnödem. Und nicht jede Atemnot lässt gleich auf ein Höhenlungenödem schliessen. Bei einem Aufenthalt in ungewohnter Umge­ bung oder in Ländern mit anderen Ess­ gewohnheiten gibt es viele mögliche Gründe für Symptome wie Kopfschmerzen, Schlaf­ losigkeit und Erbrechen. • Der Autor dankt Dipl.-Med. Patrizia Kündig für die kritische Durchsicht des Artikels. Mehr wissen Höhenkrankheit und gebirgsmedizi­ nische Beratung, Alban Lovis et al., Swiss Medical Forum 2012; 12(41): 789–793 Schommer K., Bärtsch P.; Basic medical advice for travelers to high altitudes. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(49): 839–848. Auf www.samariter.ch finden Sie ei­ nen weiterführenden Fragebogen zum Thema Höhenkrankheiten. Im europäischen Winter ist Südamerika eine viel gewählte Feriendestination. Wer in die Anden reist, muss sich auf die grosse Höhe vorbereiten, denn hier liegt manche Grossstadt auf über 3000 Metern über Meer. Das Bild zeigt das bolivianische La Paz; die Stadt liegt auf rund 3600 Metern. (Foto: Sonja Wenger) 22 samariter 02/2015