MEDIZINISCHE UNIVERSITÄT GRAZ INSTITUT FÜR GESUNDHEITS- UND PFLEGEWISSENSCHAFTEN „Fremdheit und Pflege“ – Der Einbezug von Kultur in Modelle aus der Pflegewissenschaft Entwicklung transkultureller Pflegemodelle und ihre Bedeutung in der Pflege, daraus resultierende Kritik sowie die Weiterentwicklung verschiedener Aspekte Fachbereich: Einführung in den interkulturellen Dialogprozess Ausgeführt zum Zweck der Erlangung des akademischen Grades eines/einer Bachelor für Gesundheits- und Pflegewissenschaften an der Medizinischen Universität Graz, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften unter der Leitung von Mag. Magdalena Stülb ausgeführt von Nina Goger os0610037 Graz, am Unterschrift 1 Ehrenwörtliche Erklärung Ich versichere, dass - ich diese Bachelorarbeit selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe, - ich dieses Bachelorarbeitsthema bisher weder im Inland noch im Ausland einem Begutachter/einer Begutachterin zur Beurteilung oder in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe. Diese Arbeit stimmt mit der vom Begutachter/von der Begutachterin beurteilten Arbeit überein. Ort, Datum Unterschrift 2 Inhaltsverzeichnis Ehrenwörtliche Erklärung .......................................................2 Inhaltsverzeichnis....................................................................3 1. Abstract ................................................................................5 2.Einleitung ..............................................................................6 2.1 „Fremd sein“ ............................................................................. 6 3. Begriffserklärungen.............................................................8 3.1 Kultur und Pflege ...................................................................... 8 3.1.3 Der Zusammenhang der Begriffe „Natur“ und „Kultur“............ 10 3.1.2 Holistische Kulturvorstellungen............................................... 10 3.1.7 Die Begriffe „Interkulturell“, „Transkulturell“ und „Multikulturell“ 11 3.1.1 Schichtungen von Kultur/kultureller Identität............................ 12 4. Verschiedene Modelle der Gesundheits- und Pflegewissenschaften im Überblick.....................................12 4.1 Florence Nightingales moderne Krankenpflege ..................... 14 4.1.1 Analyse und Kritik.................................................................... 15 4.2 Dorothea E. Orems Selbstpflegemodell ................................. 15 4.2.1 Die zentralen Ideen des Models von Orem.............................. 18 4.2.2 Die Annahmen zum Wesen des Menschen............................. 19 4.2.3 Analyse und Kritik.................................................................... 20 4.3 Jean Watsons Philosophie und Wissenschaft der Krankenpflege .............................................................................. 21 4.3.1 Transpersonale Zuwendungsbeziehung.................................. 21 4.3.2 Analyse und Kritik.................................................................... 23 4.4 Madeleine Leiningers Theorie der kulturellen Pflege ............. 24 4.4.1 Entwicklung und Quellen der transkulturellen Pflege.............. 24 3 4.4.2 Culture Care- Kulturelle Pflege ................................................ 26 4.4.3 Hauptannahmen der Transkulturellen Pflege .......................... 28 4.4.4 Das Sunrisemodell- Sonnenaufgangsmodell........................... 29 4.4.5 Analyse und Kritik.................................................................... 30 4.5 Dagmar Domenigs Konzept der transkulturellen Kompetenz 31 4.5.1 Transkulturelle Kompetenz ...................................................... 33 4.5.2 Selbstreflexivität ...................................................................... 34 4.5.3 Hintergrundwissen und transkulturelle Erfahrungen ................ 35 4.5.4 Narrative Empathie.................................................................. 36 4.5.5 Verankerung transkultureller Kompetenz ................................ 39 4.5.6 Analyse und Kritik.................................................................... 40 4.6 Pflegerelevante Begrifflichkeiten hinsichtlich transkultureller Kompetenz ................................................................................... 41 4.6.1 Fremdenfeindlichkeit ............................................................... 41 4.6.2 Rassismus ............................................................................... 41 4.6.3 Stereotype ............................................................................... 41 4.6.4 Vorurteile ................................................................................. 42 4.6.5 Gesundheit .............................................................................. 42 6. Zusammenfassung und Ausblick.....................................44 7. Literaturverzeichnis...........................................................46 4 1. Abstract Autor: Nina Goger Titel: „Fremdheit und Pflege“ – Der Einbezug von Kultur in Modelle aus der Pflegewissenschaft; Entwicklung transkultureller Pflegemodelle und ihre Bedeutung in der Pflege, daraus resultierende Kritik sowie die Weiterentwicklung verschiedener Aspekte Inhalt: In der Pflegewissenschaft existieren viele verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Schwerpunkten, diese Arbeit konzentriert sich auf den kulturellen Hintergrund von Modellen. Die Fragestellung lautet: „Inwiefern berücksichtigen verschiedene Pflegetheorien die kulturelle Vielfalt der zu Pflegenden?“ Dabei werden zuerst einige Begrifflichkeiten erklärt und dann die erste Pflegetheoretikerin Florence Nightingale beschrieben und analysiert. Es folgen Analysen zu den Modellen von Orem, Watson und Leininger. Hauptergebnis der Analysen dieser Modelle ist, dass sie zwar versucht haben auf die kulturspezifische Pflege von PatientInnen einzugehen, dies aber noch nicht präzise genug erläutert haben. Die Theorie der transkulturellen Kompetenz von Dagmar Domenig ist am derzeitigen Stand der Wissenschaft orientiert und beschreibt gut, wie Pflege von PatientInnen aus verschiedenen Kulturen durchzuführen ist. Diese Theorie wird beschrieben und analysiert. Aus der Arbeit resultiert, dass die Theorie von Domenig, der zurzeit beste Weg der transkulturellen Pflege ist. Für die Forschung bedeutet dies, dass viele andere Modelle neu überarbeitet werden müssen, um bewusster auf die Bedürfnisse von ausländischen PatientInnen verschiedener Kulturen eingehen zu können. Für die Pflegeausbildung zeigt dies auf, dass neue Schwerpunkte gesetzt werden müssen, um das Pflegepersonal für kulturelle Fürsorge zu sensibilisieren. 5 2.Einleitung 2.1 „Fremd sein“ In der heutigen schnelllebigen Zeit, die durch ständiges Fortschreiten und Bewegen geprägt ist und in der viele Menschen ihr Heimatland verlassen, sei es aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, oder einfach nur um besseren Arbeitsmöglichkeiten nachzugehen, ist es in allen Lebensbereichen von Bedeutung andere Kulturen zu akzeptieren. Menschen müssen lernen mit anderen Kulturen umzugehen und versuchen sie zu verstehen. Interkulturelle und Transkulturelle Kompetenzen sind nicht nur Themen, mit denen man sich unbedingt beschäftigt haben sollte, sondern auch ein ständiger Begleiter unseres täglichen Lebens. Man ist oft überrascht, welche kulturelle Vielfalt einem in bestimmten Situationen des Lebens begegnet. Es ist nun eine natürliche Schlussfolgerung, dass auch in pflegerischen Situationen, kulturelle Unterschiede bestehen. Viele Länder der Welt befinden sich in einem Zustand der wirtschaftlichen, sozialgesellschaftlichen und technologischen Umwandlung, diese hat starken Einfluss auf die Ein- und Auswanderung der Bevölkerung. Dieser Wandel führt zu einer immer größer werdenden Mobilität der Menschen. Jeder einzelne von uns hat sich sicherlich irgendwann in seinem Leben schon einmal „fremd“ gefühlt. Dies muss nicht zwanghaft durch Auswanderung in ein fremdes Land geschehen sein, auch als Tourist kann man in Situationen geraten in denen man sich „fremd“ fühlt. Man kann sich nicht verständigen oder fühlt sich falsch verstanden. Wenn nun aber eine solche Situation bei einem Krankenhausaufenthalt entsteht oder in einer anderen pflegerischen Situation, kann dies oft zu Problemen führen. Aufgrund solcher Problemsituationen haben sich auch einige Pflegeforscher und Pflegeforscherinnen Gedanken über die kulturellen Unterschiede in der Pflege gemacht. Madeleine M. Leininger war die erste die sich mit dem Thema der kulturellen Dimensionen der menschlichen Fürsorge beschäftigt hat. Weiterführend befasste sich Dagmar Domenig mit der transkulturellen 6 Pflege, aber auch andere Modelle der Pflege beinhalten kulturelle Aspekte, wenn auch nicht ausführlich beschrieben, wie z.B. Dorothea Orems Selbstpflegemodell. In meiner Arbeit werde ich näher auf die angeführten Modelle eingehen und auch einige Kritiken dazu berücksichtigen. Ich möchte aber nicht nur Pflegemodelle mit kulturellem Hindergrund beschreiben, sondern auch allgemeine Modelle, die für die Entwicklung der Gesundheits- und Pflegewissenschaften relevant waren, aufzeigen. Diese Bachelorarbeit ermöglichte es mir, mich intensiv mit transkulturellen Konzepten und ihren Zusammenhängen zu beschäftigen. Durch die Recherchen, die ich gemacht habe, merkte ich erst, wie umfangreich die Literatur zu diesem Thema ist. Ich konnte aber auch erkennen, dass dieses Themengebiet noch viel an theoretischer Forschung, aber auch an praktischer Arbeit benötigt. 7 3. Begriffserklärungen Seit dem es die Menschheit gibt, besteht auch die Pflege. Aber wie kam es in der Pflegewissenschaft zur Entwicklung von Anleitungen und Hilfen für die Pflege? Die erste bekannte Pflegetheoretikerin war wohl Florence Nightingale. Sie leistete Pioniersarbeit, da sie sich als erstes mit Theorien in der Pflegetätigkeit auseinandersetzte. Aber befasste sie sich auch mit dem kulturellen Hindergrund eines Patienten? Welche Pflegetheoretikerinnen befassten sich überhaupt mit der Kultur eines Patienten um diesen ganzheitlich pflegen zu können? Sind Pflegetheorien ohne Rücksicht auf die kulturelle Herkunft eines Patienten überhaupt anwendbar? In der gesamten Forschung und Theorieentwicklung der Gesundheits- und Pflegewissenschaften hat sich bis zum jetzigen Zeitpunkt viel getan. Es wurden viele Modelle entwickelt, wobei jedes Modell einen anderen Schwerpunkt setzt. In meiner Arbeit setze ich mich insbesondere mit folgender Frage auseinander: „Inwiefern berücksichtigen verschiedene Pflegetheorien die kulturelle Vielfalt der zu Pflegenden?“ Um diese Fragestellung ausführlich zu klären, muss zuerst einmal der Begriff „Kultur“ geklärt werden. Dazu stellt sich die Frage was eigentlich Kultur ist und welche Bedeutung sie für das pflegerische Handeln hat? 3.1 Kultur und Pflege Im folgenden Abschnitt wird die Begrifflichkeit „Kultur“ problematisiert. Begriffe stellen ein Abbild der Wirklichkeit dar und informieren über unsere Wahrnehmung. Je nachdem wie etwas bezeichnet wird, wird dieses auch als real wahrgenommen und bekommt somit auch einen entsprechenden Wirklichkeitsgehalt, an dem sich das weitere Handeln orientiert. Kultur und Pflege hängen eng miteinander zusammen. Pflege kommt aus dem Westgermanischen und bedeutet: sorgen für, hegen, sich mit etwas abgeben, gewohnt sein, sich für etwas einsetzen. Kultur kommt 8 aus dem Lateinischen und beinhaltet: bebauen, pflegen, ehren. Beide Begriffe haben ähnliche Bedeutungen (vgl. Uzarewicz 2002, S. 4). Um Kulturbegriffe zu entwerfen muss Auffassung eines man zwei Herangehensweisen berücksichtigen: Zum einen wäre das die substanziellen Kulturbegriffs, substanziell weil Kultur als eine zu betrachtende Substanz und als festumrissener Gegenstand gesehen wird. Es wird versucht, einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt möglichst genau zu beschreiben. Die zweite Möglichkeit besteht darin, Kulturbegriffe so zu konstruieren, dass wir durch ihre Mitwirkung mehr erkennen können, als dies bei konkreter Betrachtung dessen, was wir im Alltag für Kultur halten, der Fall wäre. Diese Herangehensweise berücksichtigt, dass sich nicht alle Merkmale eines Phänomens empirisch zeigen, dies trifft für Verhaltensweisen, Einstellungen, Handlungen oder Institutionen zu (Dornheim 2000, S.30). Die erste Kulturdefinition stammt von Taylor aus dem Jahre 1871, diese Definition stellt die Grundlage für viele weitere dar: “Kultur oder Zivilisation ... ist das komplexe Ganze, das Wissen, Glaube, Kunst, Ethik, Recht, Brauchtum und andere Errungenschaften und Gewohnheiten enthält, die der Mensch als Mitglied einer Gesellschaft erworben hat.” (Tyler 1871/1958, Stülb 2008, Folien) Definitionen versuchen die verschiedenen Arten des menschlichen Daseins zu beschreiben, zu klären und zu verstehen. Die frühen Begriffsklärungen zeigen, dass Kultur als ein Abgrenzungsbegriff gesehen wurde, besonders um die Andersartigkeit von Bevölkerungen zu zeigen. Die neueren Erklärungen zur Kultur werden immer offener und gehen auf neue Ansichten ein. Fons Trompenaars und Charles Hampden-Turner stellen Kultur folgendermaßen dar: “Kultur ist wie Schwerkraft: Man kann sie nicht erleben, solange man nicht einen Meter in die Luft gesprungen ist.” (Trompenaars und HampdenTurner 1997, Stülb 2008, Folien) Christine Tuschinsky äußert sich mit diesem Zitat zum Begriff Kultur: 9 „Wir sind durch Kultur in Wahrnehmung, Denken, Sprache und Empfinden geformt und erschaffen gleichzeitig unsere Kultur. Wir betrachte Kultur als soziale und eben nicht als ethnische oder nationale Kategorie, als ein offenes System von Bedeutungen, das sich in direkter Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Bedingungen konstituiert.“ (Tuschinsky 2002, Stülb 2008, Folien) Diese Definition enthält bereits neue Ansichten. Hier bestehen keine Grenzen mehr zwischen den einzelnen Kulturen, es ist ein offenes Gebilde. In den folgenden Abschnitten werden nun verschiedene Entwicklungen des Begriffs Kultur beschrieben. 3.1.3 Der Zusammenhang der Begriffe „Natur“ und „Kultur“ Schon in der Antike wurde vom Begriff „Kultur“ gesprochen, es wurde Agrikultur als bearbeitete Natur von unbearbeiteter Natur unterschieden. Der Begriff „Natur“ verweist also auf das vom Menschen Unbearbeitete (v. a. den nicht- kultivierten Boden), hingegen umfasst der Begriff „Kultur“ alles, dass durch menschliche Tätigkeit geschaffen, verändert oder gestaltet wurde. Beide Begriffe bestehen durch die Abgrenzung vom jeweils anderen, oder noch besser, der eine Begriff ist ohne den anderen nicht denkbar. In der neueren Geschichte ist der Gegensatz von „Natur“ und „Kultur“ in Descartes Dualismus von Geist und Materie erkennbar. Hier gilt „Kultur“ als aktives, zivilisiertes, vernunftgesteuertes, männliches Prinzip. Wobei „Natur“ als das passives, dem Sinnlichen verhaftete, weibliches Prinzip deklariert ist. Die beiden Prinzipien stehen zueinander in einem Anordnungs- und Unterordnungsverhältnis, d. h. die Anschauung eignet sich eine aktive Kultur als eine passive vorgestellte Natur an (vgl. Dornheim 2007, S.30). 3.1.2 Holistische Kulturvorstellungen Der italienische Semiotiker und Kulturwissenschaftler Eco führte ein Experiment durch bei dem er die „Mailänder Eingeborenen“ mit den Augen eines polynesischen Forschers Dr. Dobu de Dobu beschreibt und dabei geht dieser stur von seinen eigenen Kulturvorstellungen aus. Genauer gesagt erlebt er bei seinen Forschungen nicht etwas „an und für sich“ Fremdes, er nimmt nur alles in Beziehung zu sich selbst und seinem Herkunftsland als fremd wahr. Dies hält uns vor Augen, dass das 10 „Fremde“ erst in Bezug auf das „Eigene“ entstehen kann und es wird erst deutlich durch Verknüpfungen mit bereits Bekanntem und dem Eigenen. Durch diese Sichtweise wird uns Kultur als ein abgrenzbares Anderes, ein geschlossenes Ganzes erklärt. Dies lässt auch unterschiedliche Exemplare von Kulturen entstehen, z.B. „die türkische“, die „ griechische“ oder die „österreichische“ Kultur. Herder spricht bei dieser Auffassung von Kultur von aufeinander stoßenden Kugeln oder autonomen Inseln. Eine weitere Erklärung liefert uns die Vorstellung von nebeneinander stehenden, geschlossenen Containern. Diese entstand an Anlehnung an Becks Begriff der „Container- Nationen“ und bildet in kritischer Absicht das Container- Paradigma von Drechsel, Schmidt und Gölz (vgl. Dornheim 2007, S.30ff). 3.1.7 Die Begriffe „Multikulturell“ „Interkulturell“, „Transkulturell“ und Im sozialen Bereich lässt sich interkulturelle Kompetenz als Fähigkeit beschreiben, die es ermöglicht, angemessen und erfolgreich mit anderen Menschen zu kommunizieren und zu handeln. Im Speziellen meint dies das Kommunizieren und Handeln mit Menschen, die eine andere Muttersprache als Landessprache haben, in einer anderen Kultur aufgewachsen sind und/oder sich in dieser Gesellschaft auf Grund von Diskriminierung anders bewegen als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Borde 2007, S.121f). Welschs Bewertung dieser Phänomene im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit für einen kritischen Kulturbegriff ist nicht ganz einhellig. (Dornheim 2007, S.40) Der Begriff Multikulturalität stelle sich zwar der Koexistenz verschiedener Kulturen innerhalb ein und derselben Gesellschaft, dennoch bewertet es diese Einzelkulturen immer noch als für sich selbst stehend und homogen. Auch das Konzept der Interkulturalität ist immer noch belegt mit Begrifflichkeiten wie insel- oder kugelartig gedachten Kulturen. Mit diesen Bewertungen können Probleme wie Koexistenz und Kooperation von Kulturen nicht gelöst werden. Welsch und auch andere Autoren sprechen bei gegenwärtigen kulturellen Phänomenen davon, dass diese von „Mischungen und Durchdringungen“ gekennzeichnet sind (vgl. Dornheim 2007, S.40). In weiterer Folge 11 bezeichnet Welsch diese neuartige Struktur von Kultur als transkulturell, da sie weit über den herkömmlichen Kulturbegriff hinwegreicht und die traditionellen Kulturgrenzen wie selbstverständlich durchbricht. Habermann spricht davon, dass die Begriffe „transkulturelle Pflege“ und „interkulturelle Pflege“ gleichwertig genutzt werden(vgl. Habermann 1999, S.278). Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff „Transkulturalität“ bekannt geworden durch Madeleine Leininger, im internationalen Kontext wird der Begriff aber immer mehr ersetzt durch die Kennzeichnung eines interkulturellen („intercultural“) Anliegens. Diesem sind im Falle eines kulturübergreifenden Zieles oder Problemformulierungen die als „cross- cultural“ bezeichneten Anliegen gegenübergestellt (vgl. Habermann 1999, S.278). 3.1.1 Schichtungen von Kultur/kultureller Identität Im Weiteren werde ich nun die verschiedenen Arten der Unterteilungen von Kultur beschreiben. auf der nationalen Ebene, entsprechend des Landes/der Länder auf der Ebene von Region/Ethnie/Religion/sprachlicher Zugehörigkeit auf der „gender“-Ebene auf der Generationen-Ebene auf der Ebene der sozialen Klasse (bei Berufstätigen:) Ebene der professionellen Organisation oder „corporate“-Ebene (Stülb 2008, S.3) 4. Verschiedene Modelle der Gesundheits- und Pflegewissenschaften im Überblick Berufe im Bereich der Gesundheit und Pflege werden schon lange ausgeübt, die Modell- und Theorieentwicklung in diesem Bereich ist allerdings erst in den letzten Jahrzehnten mit großer Geschwindigkeit voran geschritten. Das Interesse an solchen Theorien entwickelte sich aus zwei Gründen. Erstens sahen Vertreter der Theorieentwicklung Theorien als Mittel um den Beruf zu etablieren und zweitens wurden sie durch den wahren Wert der Pflegetheorien und der Bedeutung des Wachsens motiviert, außerdem stellten diese neuen Theorien eine Bereicherung für die Pflege selbst dar (vgl. Marriner-Tomey 1992, S.98f). 12 Orem und Taylor behaupten, dass Pflegetheorien allgemeine Theorien sind, welche Grundzüge und Zusammenhänge, die alle pflegerischen Situationen aufweisen, verbinden. Weiters sind Pflegetheorien durch ein bestimmtes Menschenbild geformt. Der Inhalt von Pflegetheorien besteht aus den Rollen der Pflegenden und der PatientInnen. Pflegetheorien legen den Handlungsspielraum und die Handlungsmöglichkeiten fest und beschreiben Ziele der Pflege. Komplexe Pflegesituationen können mit Unterstützung von Pflegetheorien systematisch erklärt werden. Vor allem im angloamerikanischen Sprachraum sind ab Mitte des 20. Jahrhunderts viele Pflegetheorien und –modelle entstanden. Meleis unterteilt diese ihrer Orientierung nach in drei Hauptgruppen: die Bedürfnismodelle, die Interaktionsmodelle und die Pflegeergebnismodelle. Im Zentrum der Bedürfnismodelle steht die Bedürfnisbefriedigung der PatientInnen. Aufgabe der Pflegenden ist bei diesen Modellen das Erkennen von PatientenInnenbedürfnissen und die adäquate Unterstützung bei der Bedürfnisbefriedigung. Der Schwerpunkt wechselseitigen der Interaktionsmodelle Beziehungen zwischen besteht in den PatientenInnen und Pflegeperson. Der Genesungsprozess des/der PatientenIn wird durch diese zwischenmenschliche Beziehung beeinflusst. Im Mittelpunkt der Pflegeergebnismodelle steht die Zufriedenheit der PatientenInnen. Diese Modelle haben einen hohen Abstraktionsgrad und sind somit in der Praxis schwer anwendbar, aber gut geeignet für die Pflegeforschung. Einige Pflegetheorien haben aber Schwerpunkte im Vordergrund, die nicht untergeordnet werden können in die drei Hauptgruppen von Meleis. Eine dieser Theorien ist die „Transkulturelle Pflegetheorie“ von Madeleine Leininger. Sie ist in Amerika bereits anerkannt und gewann auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung große Zustimmung im europäischen Raum. Zurzeit entspricht sie aber nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Im Folgenden werde ich auf diese Theorie und 13 auch auf das Konzept der „Transkulturellen Kompetenz“ von Dagmar Domenig näher eingehen (vgl. Kellnhauser 1999, S.33f). 4.1 Florence Nightingales moderne Krankenpflege Die erste Autorin die ich beschreibe ist Florence Nightingale. Sie war die Vorreiterin der Krankenpflege. Bei ihrer Theorie orientierte sie sich an ihrer philosophischen Einstellung und der Patienten- UmweltInteraktion, sowie ihren Prinzipien und Richtlinien. Sicherlich beeinflussten ihre Theorieentwicklung auch ihre vielen Reisen und ihre freiwillige Tätigkeit im Krimkrieg. Individuelle, gesellschaftliche und professionelle Werte waren ihr sehr wichtig, welche sie verband um einen Wandel herbeizuführen. Da sie eine hingebungsvolle Statistikerin war, benutzte sie all ihre sorgfältig gesammelten Informationen um ihre Systementwicklung zu beweisen. Nightingale betrachtete den/die PatientInnen als denjenigen, mit dem die Krankenschwester etwas macht oder auf den die Umwelt einwirkt. Der/Die Krankenschwester PatientIn oder ist Umwelt passiv nicht. und beeinflusst Gesundheit sah sie die als Wohlbefinden und größtmögliche Anwendung all unserer Kräfte. Krankheit war für sie ein reparativer Prozess. Die Umwelt betrachtete sie als die Hauptquelle der Infektion. Sie behauptete, dass Krankheit eine Anstrengung der Natur sei, einen Prozess der Vergiftung oder des Verfalls zu heilen, oder eine Reaktion gegen Symptome an denen ein/e PatientIn leidet. Die Aufgabe der Pflege ist es, die Unterbrechung des Heilungsprozesses zu verhindern und sein Fortschreiten zu unterstützen, durch optimale Bedingungen. Dieser Prozess kann unterstützt werden durch gute Umweltbedingungen wie Licht, frische Luft, reines Wasser, wirksame Kanalisation, Sauberkeit, Wärme, Stille und die richtige Ernährung (Diät). Nightingale beharrte auch auf einen gesunden Menschenverstand den jede Pflegekraft braucht, in Verbindung mit Beharrlichkeit, Beobachtung und Einfallsreichtum macht dies eine gute Pflegekraft aus. Der Mensch verlangt nach Gesundheit und diese Gesundheit kann erreicht werden durch die Zusammenarbeit von Krankenschwester, der Natur und dem Menschen. Dadurch wird der Heilungsprozess bewirkt. 14 4.1.1 Analyse und Kritik Die Theorie von Nightingale ist eher eine Beschreibung und Erklärung, da sie nicht beabsichtigte eine Theorie zu erfinden, sondern lediglich Krankenpflege definieren wollte und Richtlinien für die Praxis und ihre Entwicklung beschreiben wollte. Nightingale war kreativ und einfallsreich und gab der Pflege sehr viele Anregungen zum Nachdenken, welche uns bis heute beschäftigen (vgl. Marriner-Tomey 1992, S.116126). Nightingale versuchte allgemeine Anhaltspunkte für die Krankenschwester zu definieren, die für alle Zeiten gelten. Die empirische Genauigkeit war Nightingale nicht wichtig, denn sie meinte sogar, die Erfahrungen und nicht die Theorie sollten über alle Dinge entscheiden (vgl. Marriner-Tomey 1992, S. 125). Die Menschheit besaß für sie ein kreatives, universelles Potential und die Fähigkeit zu wachsen und sich zu verändern. Sie drängte jedoch den Patienten in eine passive Rolle ab. In die Theorie fließen religiöse Ansichten mit ein. Der geringe Einbezug des/der PatientenIn in die Pflege mag wohl an der historischen Zeit liegen, in der Nightingale lebte. Florence Nightingale war die erste die versuchte die Pflege zu revolutionieren. Sie hat viele verschiedene wichtige Aspekte für die Krankenpflege entdeckt und beschrieben. Obwohl sie in unterschiedlichen Kulturen und Ländern tätig war, befasste sie sich nicht mit den kulturellen Unterschieden der PatientInnen. Sie betrachtete Krankheit als einen universellen biologischen Prozess. Trotzdem ist und war ihre Theorie relevant für die Weiterentwicklung der Pflege, weil sich viele andere Theorien an ihren frühen Annahmen orientieren. 4.2 Dorothea E. Orems Selbstpflegemodell Im Weiteren möchte ich mich mit dem Selbstpflegemodell von Dorothea Orem beschäftigen, manchmal auch „SelbstpflegedefizitTheorie“ oder „Selbstpflegetheorie“ genannt. Sie war eine der ersten amerikanischen Pflegeforscherinnen und begann ihre Pflegekarriere an der Providence Hospital School of Nursing in Washington, D.C., wo sie ihr Pflegediplom erhielt. Orem bezeichnet ihre Selbstpflegedefizit- Theorie als übergeordneten Bezugsrahmen dreier selbstständiger Theorien: 15 Die Theorie der Selbstpflege (beschreibt und erklärt Selbsthilfe), die Theorie des Selbsthilfedefizits (beschreibt und erklärt, warum man Menschen durch Pflege helfen kann) und die Theorie der Pflegesysteme (beschreibt und erklärt Beziehungen, die vorhanden sein und aufrecht erhalten werden müssen, damit Pflege stattfinden kann).(vlg. Fawcett 1996, S.279; Marriner-Tomey 1992, S.191) Orem begann in den Anfängen ihres Modells sich um ein besseres Verständnis dessen zu bemühen, was Pflege ausmacht und dabei konzentrierte sie sich auf drei Fragen: „Was tun Pflegepersonen, und was sollten sie als Pflegepraktiker tun?“, „Warum tun Pflegepraktiker das, was sie tun?“, und „Zu welchen Ergebnissen führen pflegerische Maßnahmen?“ (vlg. Cavanagh 1995, S.19). Im Weiteren folgen nun einige Erklärungen zur Erleichterung des Verständnisses. Selbsthilfe ist die Ausführung die auf die Umwelt oder das Selbst gerichtet ist, um das eigene Leben so zu gestalten, dass die Integrität der Person und ihr Wohlbefinden gewahrt bleiben. Selbsthilfeerfordernisse sind Ziele, welche durch SelbstpflegeHandlungen erreicht werden und werden in drei Kategorien eingeteilt. Die erste Kategorie sind die allgemeinen Selbsthilfeerfordernisse, die bei jedem Menschen gleich sind. Diese wären die Erhaltung von Luft, Wasser, Nahrung, Ausscheiden, Aktivität, Ruhe, Alleinsein und soziale Interaktion sowie Vermeidung von Gefahren und die Förderung des menschlichen Funktionierens. Diese acht Komponenten sind menschliche Handlungen, die externe und interne Bedingungen repräsentieren um die menschliche Funktion und Struktur zu erhalten, die andererseits die menschliche Entwicklung und Reifung gewähren. Entwicklungsselbsthilfeerfordernisse werden von den universellen Selbsthilfeerfordernissen getrennt. Diese helfen Prozesse die dem Leben und der Reifung dienlich sind zu nutzen, und verhindern Bedingungen welche die Reifung beeinflussen oder diese Effekte verringern. Selbsthilfeerfordernisse aufgrund von Gesundheitsabweichung treten dann auf, wenn das integrierte menschliche Funktionieren 16 beeinträchtigt ist. Der Mensch ist in seiner Handlungsfähigkeit vorübergehend oder dauernd beeinträchtigt. Die Selbstpflegetätigkeit lässt sich durch komplexe Fähigkeiten, die zur Selbstpflege aktiviert werden beschreiben. Der therapeutische Selbstpflegebedarf ist die Pflege die mitunter nötig ist, um eine Regulierung der erforderlichen Handlungen zu erreichen, ebenso für die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit, sowie dessen Förderung, die Entwicklung und das gesamte Wohlbefinden. Das Selbstpflegedefizit ist ein Verbund zwischen therapeutischen Selbstpflegebedarf und Selbstpflegetätigkeit, in der die Selbstpflege nicht genügt, um der Selbstpflegetätigkeit nachzukommen. Pflegetätigkeit ist die Handlungsfähigkeit von Pflegepersonen um die Pflege und Bedürfnisermittlung von Menschen mit verschiedenen Selbstpflegedefiziten zu planen und auszuführen. Ein Pflegesystem ist eine fortgesetzte Reihe von Handlungen um verschiedene Hilfsmöglichkeiten von Handlungen einer Krankenschwester oder anderer zu koordinieren, um den therapeutischen Selbstpflegebedarf von Menschen zu decken oder ihre Selbstpflegetätigkeit zu regulieren. Es gibt drei Arten von Pflegesystemen. Ob Handlungen nun vollständig kompensatorisch, erzieherisch teilweise stattfinden, kompensatorisch ist abhängig oder davon, unterstützendwer diese Selbstpflegehandlungen durchführen kann oder soll. Hilfsmethoden sind: für jemanden zu handeln oder etwas zu tun; leiten; lehren; unterstützen; für eine der Entwicklung fördernde Umwelt sorgen (vgl. Marriner-Tomey 1992, S.191-194). Orem formuliert die folgenden fünf Prämissen die dem allgemeinen Pflegemodell zugrunde liegen: 1. 2. 3. „Menschen brauchen, um ihr Überleben zu sichern und ihre natürlichen Anlagen entfalten zu können, einen kontinuierlichen Input, d.h. einen bewußten Austausch mit ihrer Umwelt. Die menschliche Fähigkeit, bewußt zu handeln, äußert sich in der Pflege des Selbst und des anderen, in der Benennung von Bedürfnissen und in der Bereitstellung des benötigten Inputs. Pflegebedürftigkeit entsteht durch Einschränkungen in der Fähigkeit zur Pflege des Selbst und des anderen; durch diese Einschränkung 17 4. 5. Die menschliche Fähigkeit zum bewußten Handeln kommt auch darin zum Ausdruck, daß wir Wege und Mittel zur Benennung von Bedürfnissen und Bereitstellung von Inputs für das Selbst und andere entdecken, entwickeln und vermitteln. Bestimmte Gruppen von Menschen mit strukturierten Beziehungen übernehmen die Aufgabe, in Situationen der mangelnden Selbstpflege ausgleichend einzugreifen und den erforderlichen Input bereitzustellen.“(Fawcett 1996, S.285f) 4.2.1 Die zentralen Ideen des Models von Orem Das Modell zeigt, dass die Pflege Hilfe leistet für Selbstpflege sowie bei Defiziten der Abhängigkeit, wenn die Selbstpflegekompetenzen des Individuums niedriger sind als die therapeutische Selbstpflegeforderung. Wichtig ist dabei die Beziehungsstruktur zwischen den drei zusammenhängenden Theorien der Selbstpflege, der Selbstpflegedefizite und der Pflegesysteme. Selbstpflege ist laut Orem die Fähigkeit eines Individuums alle zum (Über-)Leben notwendigen Aktivitäten selbst zu bewältigen. Von Bedeutung beim Selbstpflegekonzept ist, dass der Mensch seine Pflege bewusst und aus eigenem Antrieb vornimmt. Selbstpflege sowie die Hilfe für abhängige Familienmitglieder werden als erlernte Verhaltensweisen bezeichnet, die für die menschliche, strukturelle Integrität und die menschliche Entwicklung verantwortlich sind. Marriner-Tomey meint dazu: „Die Theorie der Selbstpflege zeigt die Beziehungen zwischen bewußten Selbstpflegehandlungen der Erwachsenen und der anwachsender Mitglieder sozialer Gruppen und ihre eigene Entwicklung sowie der Funktion und die Beziehungen der kontinuierlichen Hilfe der abhängigen Mitglieder zu deren Funktionieren und Entwicklung.“(Marriner-Tomey 1992, S. 196) Selbstpflegedefizite bestehen, wenn ein Individuum in einer bestimmten Weise unfähig ist, sich selbst zu helfen. Kranke Menschen, Menschen die emotionale Traumata erlebt haben oder solche die keine ausreichenden Selbstpflegekompetenzen erlernt oder entwickelt haben, sind unter bestimmten Umständen nicht in der Lage ihren Selbstpflegebedürfnissen nachzukommen. Ann Marrriner-Tomey erklärt Pflegesysteme wie folgt: „Pflegesysteme entstehen, wenn Krankenschwestern ihre Fähigkeiten nutzen, um Pflege für berechtigte Patienten zu verordnen, zu entwerfen 18 und bereitzustellen, indem sie diskrete und systematisierte Handlungen durchführen. Diese Handlungen oder Systeme regulieren den Wert oder die Ausübung der Fähigkeiten der Individuen, sich in der Selbstpflege zu engagieren und den Selbstpflegeforderungen des einzelnen therapeutisch zu entsprechen.“(Marriner-Tomey 1992, S. 196) 4.2.2 Die Annahmen zum Wesen des Menschen Um Orems Modell zu verstehen, anzuwenden und kritisch zu würdigen, sollte man ihre Annahmen zum Wesen des Menschen kennen: Diese beinhalten eine Sichtweise die auch den kulturellen Aspekt der Pflege berücksichtigt: 1. „Allen Lebewesen kommt der gleiche Wert zu; jedoch sind nur die Menschen in der Lage, die intellektuellen und praktischen Kompetenzen zu entwickeln und die Motivation aufzubringen, auf deren Grundlage Selbstpflege möglich ist und die Pflege abhängiger Familienmitglieder erfolgen kann. Somit ist es in die Verantwortung des Menschen gestellt, seine eigenen Bedürfnisse soweit wie möglich selbst zu befriedigen, indem er die dazu notwendigen Informationen und Kompetenzen erwirbt oder sich um Hilfe aus anderen Quellen, z.B. von Angehörigen oder professionellen Helfern einschließlich Pflegefachkräften, bemüht. 2. Die Mittel, diesen Erfordernissen zur Selbstpflege gerecht zu werden, sind kulturell geprägt und sind von Mensch zu Mensch wie auch von Gruppe zu Gruppe verschieden. Die Einschätzung, ab wann man die Hilfe anderer nötig hat, sowie die konkreten Tätigkeiten, die zur Bedürfnisbefriedigung eingesetzt werden, variieren mit der gesellschaftlichen oder kulturellen Gruppe, der ein Individuum angehört. Das bedeutet auch, daß es nicht den „einen Weg“ gibt, um den Erfordernissen der Selbstpflege gerecht zu werden, sondern zur Befriedigung von ähnlichen Bedürfnissen sind durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen möglich. 3. Selbstpflege durchzuführen, erfordert ein bewußtes und durchdachtes Handeln. Dieses Handeln wird durch das Repertoire an Wissen und Kompetenzen, das dem einzelnen zur Verfügung steht, bestimmt. Es hat darüber hinaus zur Vorraussetzung, daß die Person weiß, wann sie Unterstützung benötigt, und daß sie sich über die konkreten Handlungen im klaren ist, die demzufolge notwendig sind. Dennoch haben Menschen bezüglich ihres Selbstpflegeverhaltens durchaus auch Wahlmöglichkeiten. Unter bestimmten Bedingungen kann sich eine Person- aus welchen Gründen auch immer- dazu entschließen, keine selbstpflegenden Verhaltensweisen einzuleiten, auch wenn diese eigentlich erforderlich wären. Die Ursache für eine solche Entscheidung können Angst, Befürchtungen oder auch andere Prioritäten sein. 19 4. Die Menschen suchen und entwickeln die Möglichkeiten, die sie zur Deckung des ihnen bewußten Selbstpflegebedarfs benötigen. Nehmen sie wahr, daß sie Selbstpflegebedürfnisse haben, so werden sie experimentieren und verschiedene Methoden erproben, um Schwierigkeiten zu beseitigen. Haben sie Wege und Möglichkeiten gefunden, die ihnen bewußten Bedürfnisse zu befriedigen, dann werden sie die entsprechenden Selbstpflegegewohnheiten entwickeln.“(Cavanagh 1995, S.21f) 4.2.3 Analyse und Kritik Zusammenfassend meint Orem, dass zu Beginn jedes Pflegeprozesses das Assessment steht, bei dem der konkrete Fall der pflegerischen Unterstützung, die tatsächlich erforderlich ist, eingeschätzt wird. Wenn eine Behandlung nötig ist, müssen Pflegesysteme entwickelt werden, wobei die jeweiligen gesundheitlichen Ziele festgesetzt werden. Bei der Umsetzung werden durch das Pflegepersonal gesundheitliche Einschränkungen kompensiert, bestehende Fähigkeiten unterstützt und neue Beeinträchtigungen vorgebeugt. Dieses Modell besitzt viele Vorteile, trotzdem sollten Anwender immer wieder die Effektivität des Modells in pflegerischen Situationen durch systematische Forschungsarbeit auswerten, um weiterhin die Glaubwürdigkeit des Modells zu bewahren (vgl. Cavanagh 1995, S.20-58; Marriner-Tomey 1992, S.192-197). Im Hinblick auf den Schwerpunkt dieser Arbeit stellt sich mir die Frage ob Orem die Kultur des Patienten berücksichtigt und die Pflege danach ausrichtet. Es lässt sich dazu sagen, dass der markierte Abschnitt beweißt, dass diese Theorie die Kultur aufgreift. Doch um wirklich kultursensibel pflegen zu können fehlen weitere genauere Ausführungen im Bezug auf den kulturellen Hindergrund des/der PatientenIn. Die Schlussfolgerung ist, dass dieses Modell zwar die Kultur einbezieht, das dieser Aspekt aber noch weiterentwickelt werden müsste um wirklich auch mit diesem Modell kultursensibel pflegen zu können. Ein Beispiel wäre, dass bei der Selbstpflege- Handlungskompetenz sowohl regionale als auch kulturelle Unterschiede beachten werden müssen. Fawcett berichtet von einem mexikanischen Patient der die Relevanz der selbstpflegerischen Aktivitäten nicht einsah und einfach davon ausging, dass das Personal alles für ihn tun wird (vgl. Fawcett 1996, S. 345f). Solche Problemstellungen zeigen mir, dass dieses Modell hinsichtlich kulturspezifischer Annahmen zuwenig Rücksicht nimmt. 20 4.3 Jean Watsons Philosophie und Wissenschaft der Krankenpflege Jean Watson (*1940), eine amerikanische Pflegetheoretikerin und forscherin, erhielt 1964 den Bachelor of Science in Krankenpflege. 1966 erhielt sie den Magistertitel in Psychiatrie für Gesundheitspflege und 1973 den Doktortitel in Erziehungspsychologie. In ihren ersten Berufsjahren in einer Krankenpflegeschule in Colorado beschäftigte sie sich hauptsächlich mit der Pflegeforschung. Sie war nämlich der Meinung, dass die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis verringert werden muss. Durch die Bildung einer Philosophie der Pflege kann man dies erreichen. Watson verfolgte dieses Ziel, indem sie versuchte philosophische Fragen in der Pflege zu beantworten. Für Watson ist ihre Pflegetheorie nicht streng naturwissenschaftlich sondern an den menschlichen Verhaltensweisen orientiert. Die menschlichen Phänomene sind für sie das Wesen der Pflege und eine Theorie ist für sie: „…eine schöpferische Zuordnung von Fakten, Ideen und Erfahrungen, die geeignet ist, ein gegebenes Phänomen angemessen zu beleuchten.“(Kellnhauser 1999, S.34) Die Pflegetheoretikerin untersucht den Prozess der menschlichen Zuwendung, welcher mit Auseinadersetzungen, Zerreißproben und Wunden verbunden ist, die jeden einzelnen, jede Rasse, Kultur und Zivilisation betreffen können. Zur Untersuchung dieses Phänomens sammelte sie Informationen in verschiedenen Kulturen und Ländern (Neuseeland, Australien, Indonesien, Thailand, Indien, Ägypten, China). Carl Rogers humanistische Psychologie und die Variablen Kongruenz (Echtheit), Empathie (Einfühlungsvermögen) und emotionale Wärme sowie die Grundannahme, dass der Patient die Richtung des therapeutischen Prozesses bestimmt, haben sie bei ihrer Theorie beeinflusst (vgl. Kellnhauser 1999, S.35). 4.3.1 Transpersonale Zuwendungsbeziehung In ihrer Pflegetheorie konzentriert sich Watson auf die menschliche Zuwendung. Zwischenmenschliche Beziehungen die aus inneren Erfahrungen und Erlebnissen des/der PatientenIn und der Pflegeperson bestehen, sind für sie Hauptbestand der Pflege. Ihr Menschenbild ist geprägt von Humanismus und Spiritualität. Dabei geht sie davon aus, 21 dass jeder Mensch eine Seele besitzt und diese ist unbegrenzt, diese wird nicht beschränkt durch Größen wie Zeit oder Raum. Sie meint damit, dass der Mensch in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren kann. Weiters soll die Pflege die Harmonie von Körper, Geist und Seele aufrechterhalten. Wenn dies gelingt, kann der Mensch zu Selbsterkenntnis (Wissen über sich selbst), Selbstachtung (Respekt vor sich selbst), Selbsthilfe (Förderung der eigenen Fähigkeiten mit dem Ziel der Unabhängigkeit) und Selbstheilung (Mobilisation eigener Kräfte, die die Genesung beschleunigen) gelangen. Mit diesen Komponenten macht Watson sichtbar, dass sie unter Pflege kein aufgabenorientiertes Verhalten versteht, sondern ein modernes Ideal. Pflege schließt Wissen, Denken, Werte, Leidenschaft Handeln, ein transpersonalen und Philosophie, diese Zuwendung Aspekte vereint Engagement, werden und im Liebe und Prozess der veranschaulicht. Watson beschreibt die Liebe und Betreuung als universelle Phänomene, zu diesen zählen auch die menschlichen Bedürfnisse wie Akzeptanz, Harmonie, Verständnis und Wertschätzung. Werden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, entsteht ein Ungleichgewicht des Wohlbefindens. Um das fehlende Wohlbefinden auszugleichen muss sich der/die Pflegende in das Innere des Gegenübers einfühlen. Die gesamten menschlichen Erfahrungen bilden das phänomenale Feld (vgl. Kellnhauser 1999, S. 35). Die transpersonale Zuwendung ist das Ideal der Pflege und Mittel zur Kommunikation. In Watsons Theorie findet die transpersonale Zuwendung in einem fünf Schritte Prozess statt: 1. Eintritt der Pflegekraft in das phänomenale Feld; 2. Erfassung der seelischen Befindlichkeit des Patienten; 3. Erspüren einer gemeinsamen emotionalen Ebene (auf der eine Vereinigung stattfinden könnte); 4. Ausdrücken der Situation empfundenen Gefühle durch die Pflegekraft; 5. Loslassen der drängenden Gefühle und Gedanken durch den Patienten (Kellnhauser 1999, S. 37). 22 Watson beschreibt in ihrer Theorie folgende sechs Hauptannahmen: 1. Pflege kann nur auf zwischenmenschlicher Grundlage effektiv demonstriert und praktiziert werden. 2. Pflege besteht aus Pflegefaktoren, die zur Befriedigung bestimmter menschlicher Bedürfnisse führen. 3. Wirksame Pflege fördert die Gesundheit und die individuelle Entfaltung oder die der Familie. 4. Pflegereaktionen akzeptiert eine Person nicht nur wie er oder sie jetzt ist, sondern auch wie er oder sie sein können. 5. Pflege führt eher zu Gesundheit als Heilung. Die Pflegetätigkeit verbindet biophysikalisches Wissen mit dem Wissen des menschlichen Verhaltens, um die Gesundheit herzustellen oder zu fördern und denen zu dienen, die krank sind. Eine Pflegewissenschaft ergänzt daher die Heilwissenschaft. 6. Die Pflegetätigkeit steht im Mittelpunkt der Krankenpflege. (Marriner-Tomey 1992, S. 262f.) 4.3.2 Analyse und Kritik Watsons Pflegemodell versteht Pflege als Kunst und Wissenschaft. Kunst deshalb, weil der/die Pflegende sich in jeder Situation in den/die PatientenIn einfühlen soll und seinen Bedürfnissen entsprechend handeln soll. Wissenschaft weil die durchgeführten pflegerischen Handlungen auf Fachwissen basieren, das wiederum aus Forschungen stammt. Diese Forschungen führte Watson in unterschiedlichen Kulturen durch, trotzdem erwähnt sie in ihrer Theorie kulturelle Aspekte nicht spezifisch. Im Bezug auf den Schwerpunkt meiner Arbeit habe ich festgestellt, dass Jean Watson in ihrem Modell keine detaillierten Angaben zur kulturspezifischen Pflege macht. Allerdings sind ihre Annahmen gut geeignet um kulturell unterschiedliche Patienten zu pflegen, da sie ja stark auf die Beziehungen, zwischen dem/der PatientenIn und den Pflegenden sowie die Ganzheitlichkeit eingeht. Dieses Modell zeigt, dass die frühen Theorien der Pflege oftmals schon einen Ansatz zur kulturellen Pflege aufweisen, dieser aber nur im Hindergrund behandelt wird. Der Begriff „Kultur“ eines Patienten wird bei der Pflege eines/r PatientenIn in dieser Theorie wohl berücksichtigt (Pflegende sollen sich in PatientenInnen einfühlen und müssen dabei auch auf die kulturelle Abstammung eingehen), aber nicht explizit beschrieben. Marriner-Tomey meint, dass noch umfassende Tests erforderlich sind, aber die Theorie enthalte nützliche und wichtige metaphysische 23 Orientierungen für die Pflege. Die theoretischen Konzepte, wie die Patientenbedürfnisse, die Spiritualität des menschlichen Lebens oder der Pflegeprozess verhelfen dazu, in einer komplexen Zeit wie der unsrigen die Harmonie der Beziehungen wieder zu finden (vgl. Marriner-Tomey 1992, S. 266f). 4.4 Madeleine Leiningers Theorie der kulturellen Pflege Madeleine Leininger, eine amerikanische Krankenschwester und Anthropologin, ist die Begründerin der „Transkulturellen Pflege“ und der humanen Pflege. Sie entwickelte die Theorie der kulturellen Fürsorge in ihrer Tätigkeit als Krankenschwester in der Kinderpsychiatrie mit geistig behinderten Kindern, als ihr bewusst wurde, wie wichtig die kulturellen Aspekte in der Pflege sind, wenn die PatientenInnen aus verschiedenen kulturellen Milieus stammen. Für Leininger ist die transkulturelle Pflege: „…ein bestimmter Bereich für die Forschung und die Praxis, spezialisiert auf die kulturellen Ansichten, Werte und Lebensweisen unterschiedlicher Kulturen und der Einsatz gewonnener Erkenntnisse in kulturspezifischer und kulturuniverseller Pflege für Individuen, Familien oder Gruppen bestimmter Kulturen.“ (Leininger 1978, S.6) Bei ihrer Theorie versucht sie eine kulturkongruente Pflege als Ziel der transkulturellen Pflege zu entwickeln und nicht eine allgemeine oder internationale Pflege. Für die Untersuchung von verschiedenen Kulturen wurde das transkulturelle Modell schon oft genutzt und die Ergebnisse werden überall auf der Welt in der Pflege angewendet. Madeleine Leininger verbindet somit Elemente der Anthropologie mit der Pflegewissenschaft, weshalb ist diese Theorie sehr komplex ist. Um sie besser zu verstehen werde ich zuerst die Entwicklung beschreiben und dann weiter eingehen auf die zwei Kernelemente der Pflegetheorie von Leininger. Das erste Element die „Cultural Care“ beschreibt die wichtigsten Komponenten der Theorie. Das zweite Element ist das Sunrisemodell (Sonnenaufgangsmodell), dieses ist notwenig um die Theorie zu veranschaulichen (vgl. Kellnhauser 1999, S.37f). 4.4.1 Entwicklung und Quellen der transkulturellen Pflege Madeleine Leininger begann die Entwicklung ihrer Trankskulturellen Pflege in den 1950er Jahren als Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik für Kinder. Dort stellte sie fest, dass Kinder mit 24 verschiedenem kulturellem Hintergrund auch unterschiedliche Ansprüche an das Pflegepersonal haben. Psychoanalytische Theorien und Therapiestrategien erreichten die Kinder mit ihren unterschiedlichen kulturellen Verhaltensweisen nicht. Weiters nahm sie wahr, dass das Pflegepersonal nicht ausreichend aufgeklärt war und unzureichende Kenntnisse über die Kultur der kleinen PatientenInnen besaßen, dies machte eine effektive Pflege oftmals nicht möglich. Durch diese Fragen angeregt, begann sie ein Studium mit Schwerpunkt auf kultureller und psychologischer Anthropologie. Als Doktorandin untersuchte sie für zwei Jahre das Gadsup Volk im östlichen Hochland von Papua- Neuguinea. Dort war es ihr möglich viele Unterschiede in der Krankenpflege zwischen westlichen und nicht- westlichen Kulturen festzustellen. Seitdem beschäftigt sich Leininger mit der Frage der Pflege von Patienten in unterschiedlichen unterschiedliche Kulturen unterschiedlicher kultureller Kulturen. und 85 Sie identifizierte Pflegekonstruktionen, Bedeutung von Pflege. 45 mit Leiningers bekanntestes Werk ist ihr zweites Buch mit dem Titel Nursing: Concepts, Theories and Practice (1978) weiters veröffentlichte sie auch eine Vielzahl an Studien und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Leininger reiste neben ihrer Autorentätigkeit zu zahlreichen Kongressen, Workshops, Seminaren und hielt Vorlesungen in vielen Ländern. Die Quellen für Leiningers Pflegetheorie sind von der Anthropologie abgeleitet, doch sie konzipierte ihre Theorie auf eine einzigartige Weise für die Pflege. Das Ziel der transkulturellen Krankenpflege ist neben der Wahrnehmung und Würdigung von verschiedenen Kulturen, das professionelle Pflegewissen auf einer kulturellen Basis zu planen, praktizieren und konzipieren. Eine Theorie ist normalerweise eine Reihe von logisch aufeinander folgenden Konzepten, Hypothesen oder Vorstellungen, die getestet werden, um ein Ergebnis, Phänomen oder eine Situation zu beschreiben oder vorherzusagen. Leininger meint aber, dass ihre Theorie ein systematischer und kreativer Weg ist, um etwas kennen zulernen oder ein begrenzt oder vage bekanntes Phänomen zu beschreiben (vgl. Kellnhauser 1999, S.38; Marriner-Tomey 1992, S.229235). 25 Madeleine Leininger stellte sich bei der Entwicklung ihrer Theorie zu beginn folgende Fragen: 1. „Wie kann die menschliche Fürsorge zum zentralen Punkt der Disziplin „Pflege“ werden? 2. Wie können Pflegende ein umfassendes Wissen erlagen und das Wesen sowie die Bedeutung der Fürsorge für Menschen aus verschiedenen Kulturen der Welt verstehen und erhalten? 3. Welche Forschungsmethoden können sinnvollerweise verwendet werden, um einzelnen, Gruppen sowie Pflegenden die Bedeutung, Erfahrungen und Strukturen einer menschlichen Fürsorge zu erläutern, ohne die Ideen auf beschränkte Ergebnisse oder bedeutungslose statistische Zahlen zu reduzieren?“(Leininger 1998, S.41f) 4.4.2 Culture Care- Kulturelle Pflege Leininger geht davon aus, dass Pflege und Kultur untrennbar miteinander verbunden sind. Sie meint weiters, dass es nur zu einer Heilung kommen kann, wenn die Pflege auf die jeweilige Kultur abgestimmt ist. Es ist ja auch so, dass Menschen in jeder Kultur die Durchführung von pflegerischen Handlungen anders vornehmen, weshalb es nur logisch ist, dass Pflege von der jeweiligen Kultur abhängt, in der die Menschen leben. Unter Kultur (culture) versteht sie: „…erlernte, gemeinsame und überlieferte Werte, Meinungen, Normen und Lebensweisen einer bestimmten Gruppe, die das Denken, Entscheidungen, Handlungen und strukturierte Wege leiten.“(MarrinerTomey 1992, S.238) Das bedeutendste Element in der Pflege ist laut Leininger die Sorge oder Fürsorge (Care). Menschen brauchen ein humanes Sorgen, um zu wachsen, gesund zu bleiben, Krankheit zu vermeiden und zu überleben oder dem Tod gegenüberzutreten. Die Sorge ist das Wesen der Pflege und der hauptsächliche Schwerpunkt (vgl. Kellnhauser 1999, S.38). Für Leininger besteht Fürsorge neben dem Zusammensein mit anderen Menschen, auch aus Tätigkeiten die zur Heilung und Gesundung von Menschen führen und besonders in Vorgängen die Heilung bei Beschwerden hervorrufen und aus der Beseitigung von Missständen. Fürsorge kann in verschiedenen Ausdrucksweisen zum Vorschein kommen, wie z.B. Trost, Empathie oder Zärtlichkeit. Weiters beschreibt Leininger in ihrer Theorie die kulturspezifische Fürsorge (cultural care). Diese beinhaltet subjektiv und objektiv erlernte 26 und erfahrene Werte und Normen. Diese Werte fördern und helfen Wohlbefinden und Gesundheit zu erhalten, menschliches Leben zu verbessern und mit schwierigen Situationen (Krankheit, Behinderung, Tod) umzugehen (vgl. Leininger 1998, S.53). Leininger unterscheidet bei ihrer Theorie zwischen kultureller Universalität und kultureller Diversität. Jeder Mensch lebt innerhalb eines kulturellen Systems, in welchem geboren wird, lebt, arbeitet und stirbt. Es sind gemeinsame oder ähnliche Strukturen, Werte, Lebensweisen oder Symbole, die in vielen Kulturen vorhanden sind. Sie zeigen helfende, unterstützende, lindernde oder fördernde Möglichkeiten auf, wie Menschen Hilfe geleistet werden kann. Genau hier sollte Pflege anknüpfen und dies bezeichnet Leininger als kulturelle Universalität (cultural care universality). Ein Patient kann nie ohne Wissen über dessen kulturellen Hintergrund gepflegt werden. Deshalb sollte immer auf die Veränderlichkeiten der kulturell unterschiedlichen Verhaltensmuster, Werte und Normen eingegangen werden, welche innerhalb oder zwischen Gemeinschaften eines kulturellen Systems auftreten. Dies nennt Leininger kulturelle Diversität (culutral care diversity) (vgl. Leininger 1998, S.73). Um den kulturellen Hintergrund eines Individuums zu erfassen sind folgende Faktoren bedeutsam: die lebenslange Entwicklung von Menschen und die soziale Struktur, die Weltanschauung und kulturelle Werte und Normen, die ökologischen Gegebenheiten und sprachliche Besonderheiten und Ausdrucksweisen, die ethischen und beruflichen Systeme. Neben diesen Faktoren zur Erfassung des kulturellen Hintergrunds, geht Leininger auch davon aus, dass Pflegende auch gewisse Fähigkeiten benötigen, um Pflegehandlungen mit Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes durchführen und planen zu können. Das Pflegepersonal muss sich mit seiner eigenen Kultur beschäftigt haben und sie verstehen, um überhaupt Verständnis für andere Kulturen aufbringen zu können. So kann kulturelle Blindheit, Schock, Aufdringlichkeit und Ethnozentrismus verhindert werden. Bei Fürsorge (Care) ist es Vorraussetzung, dass das Pflegepersonal Übereinstimmung die Kultur (kulturelle des Klienten kennt Pflegeuniversalität) 27 bzw. und versucht Unterschiede (kulturelle Pflegediversität) herzustellen. Um bei der transkulturellen Pflege möglichst patientengerecht zu handeln stützt sie sich auf die Innenansicht (Emic- View), genauer gesagt auf die Befindlichkeit und die Bedürfnisse des Patienten (vgl. Kellnhauser 1999, S.38f) Für Leininger ist die kulturelle Pflege ein Prozess, deren Beginn die Kenntnissammlung ist. Die Kenntnissammlung hat einen hohen Stellenwert, denn hier sollten die Patienten die Hauptinformationsquelle sein, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Nach der Kenntnissammlung ist der nächste Schritt im Prozess der kulturellen Pflege die Beschlussbildung. Diese führt wiederum zum nachfolgenden Schritt, dem konkreten Handeln, das in der Praxis stattfindet. Eine kulturkongruente Pflege kann dann stattfinden, wenn diese Prozessschritte den entsprechenden Verlauf folgen (vgl. Leininger 1998, S.53-75; Kellnhauser 1999, S38-40). 4.4.3 Hauptannahmen der Transkulturellen Pflege Einige Annahmen die Leiningers transkulturelle Pflegetheorie zugrunde liegen: 1. „Menschliche Pflege ist ein universelles Phänomen, aber die Begriffe, Prozesse, strukturelle Formen und Pflegemuster sind in den Kulturen verschieden. 2. Pflegehandlungen und Prozesse sind für die Geburt des Menschen, seine Entwicklung, Wachstum, Überleben und einen friedlichen Tod wesentlich. 3. Betreuung ist die Essenz der Pflege und die charakteristische, dominante und vereinheitlichende Natur der Pflege. 4. Pflege hat eine biophysikalische, kulturelle, psychologische, soziale und ökologische Dimension, und das Konzept der Kultur bietet die umfassenden Möglichkeiten, um Pflege kennen zu lernen und zu verstehen. 5. Pflege ist ein transkulturelles Phänomen, da die Krankenschwestern mit den Klienten, dem Personal und anderen Gruppen interagieren, und es ist erforderlich, daß die Krankenschwestern interkulturelle Faktoren der KrankenschwesterKlient- Beziehung und des Systems erkennen und anwenden. 6. Pflegeverhalten, Ziele und Funktionen der Kulturen sind unterschiedlich, da die soziale Struktur, die Weltanschauung und kulturellen Werte der Menschen sich in den verschiedenen Kulturen unterscheiden. 7. Selbsthilfehandlungen und andere Pflegepraktiken unterscheiden sich in den verschiedenen Kulturen und in den ethnischen und professionellen Pflegesystemen. 28 8. Die Identifikation von universellen und nicht-universellen ethnischen und professionellen Pflegeverhaltensweisen, Meinungen und Handlungen ist wichtig, um die epistemologische und ontologische Grundlage des Pflegewissens zu entdecken. 9. Pflege ist größtenteils kulturell abgeleitet und erfordert ein kulturell begründetes Wissen und Fähigkeiten, um die Pflegetätigkeiten zufriedenstellend und wirksam auszuführen. 10. Es gibt keine Heilung ohne Pflege, aber es kann Pflege ohne Heilung geben.“(Marriner-Tomey 1992, S.238f) 4.4.4 Das Sunrisemodell- Sonnenaufgangsmodell Bei ihrer Theorie hat Leininger sich auf folgende drei Modalitäten gestützt, um eine Orientierung bei der Beurteilung von Pflegehandlungen zu erleichtern: Bewahrungs- und/oder Erfahrungsfunktion kulturspezifischer Pflege (Fürsorge), Anpassungs- und/oder Verständigungsfunktion kulturspezifischer Pflege (Fürsorge) und Änderungs- und/oder Umstrukturierungsfunktion kulturspezifischer Pflege (Fürsorge). Diese drei Formeln sind pflegeorientiert und basieren auf der Anwendung von generischem (empirischen) Pflegewissen und professionellem (ethischem) Pflegewissen, das Leininger mit Hilfe ihres Sunrisemodells zur Theorieerklärung dargestellt hat (vgl. Leininger 1998, S.67). In Madeleine Leiningers Komponenten ihrer wechselseitigen Einwirkungen Sunrisemodell transkulturellen erklärt. werden Pflegetheorie Das einzelne mit Wohlbefinden und ihren die Gesundheit des Menschen hängen in der Pflege von bestimmten Pflegepraktiken ab, und diese hängen wiederum mit kulturellen und sozialen Faktoren des Patientenlebens zusammen. Solche abhängigen Faktoren sind Technik, Religion und Philosophie, Verwandtschaft, kulturelle Werte und Lebensart, Politik und Recht, Wirtschaft und Bildung. Weiters unterscheidet traditionelle Leininger volkstümliche drei Gesundheitssysteme: Gesundheitssystem, Krankenpflege und das professionelle System. das Das System System das der der Krankenpflege verbindet das volkstümliche Gesundheitssystem, das in 29 den einzelnen Kulturen Gesundheitssystem, ausgeübt welches in wird, Kliniken mit dem praktiziert professionellen wird. Welche pflegerische Entscheidung und Aktion für die Behandlung gewählt wird, hängt vom jeweiligen Kenntnisstand der Systeme ab. Um eine kongruente Pflege zu ermöglichen zeigt Leininger am Ende ihres Modells drei Pflegemodalitäten auf, die den kulturellen Hintergrund eines/r PatientenIn in einem anderen Ausmaß beleuchten. Die kulturelle Pflegeerhaltung achtet die Kultur des betreffenden Individuums vollkommen. Die kulturelle Pflegeanpassung ist dafür zuständig, die Lebensweise des Patienten anzupassen. Bei der kulturellen Pflegekonstruktion wird laut Leininger versucht die Aktivitäten, die dem Patienten helfen seine Lebensweisen, Gesundheits- und Pflegemuster auf eine kulturell angemessene Weise zu leben, zu unterstützen (vgl. Kellnhauser 1999, S.40ff). 4.4.5 Analyse und Kritik Leiningers transkulturelle Pflegetheorie stützt sich auf den klassischen ethnologischen Kulturbegriff, welche „Kultur“ als in sich geschlossene Einheit bzw. komplexe Ganzheiten sieht. Dieses Konzept beruht auf der Kulturdefinition von Tylor aus dem Jahre 1871. Er bezeichnet Kultur als komplexes Gebilde aus Wissen, Religion, Kunst, Moral, Gesetze, Bräuche und allen anderen Fähigkeiten die ein Mitglied einer Gemeinschaft erwirbt. Dieser klassische bzw. homogene Kulturbegriff hat für die heutige, viel komplexere Gesellschaft an Bedeutung verloren, denn heute existieren keine nach außen abgrenzbare Kulturen mehr und wahrscheinlich hat es sie auch nie gegeben. Heute sind Kulturen sich gegenseitig beeinflussende soziale Felder und Gruppen, ohne Grenzen, denn diese sind im Zuge der Globalisierung und transnationalen Mobilisierung immer mehr durchlässig geworden (vgl. Domenig 2007, S. 168f). Leider sieht Leiningers Theorie Kultur noch mit diesem wissenschaftlichen Blick von außen. Hierbei werden „fremde Kulturen“ von außen beobachtet und analysiert, ohne dabei den eigenen Standpunkt zu überarbeiten. Die von Leininger genannten Merkmale ethischer Gruppen, die sie aufgrund von Kulturstudien herausgefunden hat, sollen Pflegenden im Umgang mit Patienten aus anderen Kulturen 30 helfen. Jedoch ist eine solche Herangehensweise nicht richtig, denn sie führt vielmehr zu Abgrenzung und Stereotypisierung. Das Sunrisemodell kann seine eigenen Anforderungen nach Berücksichtigung aller Lebenswelten nicht erfüllen, da das transkulturelle Pflegemodell schlussendlich auf die kulturspezifischen Pflegepraktiken reduziert wird und somit das umfassende Modell wiederum auf den rein kulturellen Bereich eingeschränkt wird. Mullholland und Dyson kritisieren an Leiningers Theorie, dass das einzige Ziel der transkulturellen Pflege die Entwicklung eines technischen Kulturwissens sei. Dieser Ansatz würde die Konstruktion von statischen, ethischen Typologien auslösen. Dyson und Smaje kritisieren Leiningers Idee, dass Pflegende verschiedene Kulturen lernen müssen, dies verhindert das Erkennen der Diversität innerhalb homogener Kulturen. Kulturen wären auch nicht statisch, sonder ständig am verändern. Sie seien historisch und sozial verordnet und gehen aus Erfahrungen mit anderen Ethnien hervor. Kultur darf jedoch nicht reduziert werden auf Ethnizität, stattdessen sollte Kultur als ein Produkt aus Gender-, Klassen-, und anderen Machtbeziehungen gesehen werden. Leininger ist vor allem der Verdienst zuzuschreiben, dass sie bereits in den 1950er Jahren die Bedeutung einer Synthese von Ethnologie und Pflege entdeckt und beschrieben hat, leider hat sie verpasst, ihre Theorie zu aktualisieren, somit fehlen neuere Entwicklung der Ethnologie und Sozialwissenschaften in ihrem Werk. Im Bezug zu meiner Fragestellung ist zu sagen, dass Leininger Modell sehr wohl den kulturellen Hindergrund eines Patienten berücksichtigt. Sie versuchte zumindest schon alle Perspektiven der transkulturellen Pflege zu beschreiben, dies ist ihr zum damaligen Zeitpunkt gut gelungen, doch für die moderne Zeit der Globalisierung und komplexeren Zusammenhängen der Gesellschaften, müsste das Modell noch erweitert werden und einige Ansichten geändert werden. 4.5 Dagmar Domenigs Konzept der transkulturellen Kompetenz Um das Konzept der transkulturellen Kompetenz beschreiben zu können müssen zuerst die Begriffe Multikulturalität, Interkulturalität und Transkulturalität erklärt werden. In der Pflegewissenschat existieren die 31 Begriffe multikulturell, interkulturell und transkulturell. Multikulturalität basiert auf der Multikulturalismusdebatte, gesellschaftlichen Konzept unterschiedlichen Kulturen. Zusammenstoß zweier des diese friedlichen Interkulturalität Kulturen und spricht Nebeneinanders befasst mit den sich dabei mit vom von dem möglichen Problemstellungen. Beide Begriffe stellen aber Kultur als eine klar abgegrenzte Einheit dar. Im klaren Unterschied dazu steht Interkulturalität. Diese Begrifflichkeit Nebeneinander, bezieht sondern Grenzüberschreitende. auf Damit sich das steht nicht auf das kulturelle hier das Zwischen oder Hinausgehende und Verbindende und Gemeinsame im Mittelpunkt. Das Konzept der Transkulturalität zeigt, dass man die heutigen Kulturen nicht mehr als „Inseln bzw. Kugeln“ sehen kann. Welsch meinte dazu: „Unsere Kulturen haben de facto längst nicht mehr die Form der Homogenität und Separiertheit, sondern sind weitgehend durch Mischungen und Durchdringungen gekennzeichnet. Diese neue Struktur der Kulturen bezeichne ich, das sie den traditionellen Kulturbegriff hinausund durch die traditionellen Kulturgrenzen wie selbstverständlich hindurchgeht, als transkulturell.“(Domenig 2007, S. 172f) Der Begriff Transkulturalität ist für Welsch aber nur ein Übergang und demnach eine temporäre Diagnose. Weiters ist Transkulturalität einerseits die fortlaufende Existenz von Einzelkulturen (oder sozusagen die alte Auffassung von Kulturen) und andererseits die Übergangsphase zu neuen, transkulturellen Formen von Kulturen. Die Aufgabe der Transkulturalität ist es, vom engen, eingeschränkten Blick der Kulturzentriertheit wegzuführen und Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen aufzuzeigen (Aspekt der Interaktionsdynamik). Uzarewicz sagt das der Untersuchungsgegenstand der Transkulturalität Individuen als soziokulturelle und historische Knotenpunkte sieht. Weiters äußert sie sich zur Transkulturalität folgendermaßen: „Transkulturalität kennt keine festen Grenzen, keine absolut gültige universale und keine allgemein gültige kognitive Rationalität und entsteht somit in einem gegebenen Zeitabschnitt und für eine spezifische Situation immer wieder neu.“ (Domenig 2007, S.173f) Die Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten multikulturell, interkulturell und transkulturell führt unausweichlich zum wichtigen Aspekt 32 der Transkulturellen Kompetenz, welchen ich im weiteren Abschnitt näher beschreiben werde. 4.5.1 Transkulturelle Kompetenz Dagmar Domenig definiert transkulturelle Kompetenz folgendermaßen: „Transkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, individuelle Lebenswelten in der besonderen Situation und in unterschiedlichen Kontexten zu erfassen, zu verstehen und entsprechende, angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten. Transkulturell kompetente Fachpersonen reflektieren eigene lebensweltliche Prägungen und Vorurteile, haben die Fähigkeit die Perspektive anderer zu erfassen und zu deuten und vermeiden Kulturalisierungen und Stereotypisierungen von bestimmten Zielgruppen.“ (Domenig 2007, S.174) Im Mittelpunkt der transkulturellen Kompetenz steht die Fähigkeit zu Interaktion im Zusammenhang mit Migration. Die Interaktion steht in Domenigs Modell in Verbindung mit drei Säulen: Selbstreflexion, Hindergrundwissen und Erfahrungen sowie narrative Empathie. Kompetente Pflegepersonen müssen sich zuerst selbstreflexiv mit ihrer eigenen Lebenswelt im Einklang befinden, dann erst können sie sich mit den kulturell individuellen Lebenswelten der PatientenInnen befassen. Ausreichendes Erfahrungen Hintergrundwissen sind neben der und eigenständig Selbstreflexion gesammelte weitere wichtige Anhaltspunkte um anderskulturelle PatientenInnen zu verstehen. Narrative Empathie unterstützt zudem eine respektvolle Einstellung gegenüber MigrantiInnen, ohne Rassismus, Vorurteilen oder Diskriminierung. Sie leistet weiters einen Beitrag dazu, Narrationen als Ausgangspunkt für die Behandlung und Pflege von PatientenInnen aus unterschiedlichen Kulturen zu sehen. Die beiden Säulen Selbstreflexion und narrative Empathie führen zu einer angemessenen Beziehungsgestaltung und einem Einbezug in individuelle Lebenswelten. Selbstreflexion und transkulturelle Erfahrungen im Zusammenhang mit der Aneignung von Hintergrundwissen steigern bei Pflegefachpersonen den Sensibilisierungsgrad für transkulturelle Anliegen sowie das SelbstBewusstsein. Die Grundpfeiler Hintergrundwissen und Erfahrungen in Verbindung mit narrativer Empathie steigern letztlich die Weiterentwicklung der Anamnese auf Illness-Erklärungsmodelle und die dadurch entstehenden Aushandlungsprozesse 33 über Diagnose und Bezeichnung, Ursache und Behandlung einer Illness. In den nächsten drei Abschnitten werde ich nun die drei Hauptsäulen der transkulturellen Kompetenz näher erörtern (vgl. Domenig 2007, S.174f). 4.5.2 Selbstreflexivität Laut Schütz und Luckmann umfasst die alltägliche Lebenswelt jenen Wirklichkeitsbereich: „den der wache und normale Erwachsene in der Einstellung des gesunden Menschenverstandes als schlicht gegeben vorfindet. mit schlicht gegeben bezeichnen wir alles, was wir als fraglos erleben, jeden Sachverhalt, der uns bis auf weiteres unproblematisch ist.“ (Domenig 2008, S.175) Die Lebenswelt ist demnach selbstverständlich wirklich und der Mensch beurteilt alles aufgrund der Selbstverständlichkeit und handelt danach. Das ist auch im Kontext bei der Pflege von PatientenInnen anderer kultureller Herkunft so, da PatientenInnen ebenfalls ihre alltägliche Lebenswelt mitbringen und vieles auch unhinterfragt als gegeben annehmen. All diese Interpretationen stützen sich dabei auf dem Vorrat der bis jetzt gemachten Erfahrungen. Dieser so genannte „Wissensvorrat“ ist somit der Bezugsrahmen oder die Matrix mithilfe dessen alles abgewogen, interpretiert und verglichen wird. Anhand dieses Wissensvorrates handeln wir dann. Ein Mangel an Wissen wird uns erst dann bewusst, wenn wir eine neuartige Erfahrung nicht in das bis dahin als fraglos geltendes Bezugsschema einordnen können (vgl. Domenig 2007, S.175). Transkulturelle Kompetenz hinsichtlich Selbstreflexivität ist dann vorhanden, wenn die Fähigkeit vorhanden ist, mit kognitiven und affektiven Spannungen aufgrund solcher neuer Erfahrungen, erfolgreich umzugehen. Dies heißt im Speziellen, dass Pflegepersonen im Stande sein sollten, aus ihrer eigenen Lebenswelt herauszutreten und sich in die Perspektive von anderskulturellen Patienten zu versetzen. Viele Vorurteile gegenüber anderen Menschen beruhen auf unhinterfragten Annahmen der Matrix. Individuen sind abgegrenzte, primäre und für sich selbst Verantwortung tragende Komplexe und fühlen sich selbst als das Zentrum der Welt. Diese Annahme ist allerdings nur eine Möglichkeit wie sich die Beziehung zwischen dem Individuum und der Gruppe zeigen kann. Eine andere Möglichkeit sind soziozentrierte Gesellschaften. Diese sehen das 34 Individuum als abhängig von der Gruppe und ordnen Gruppenziele höher an als individuelle Bedürfnisse. Solche Gesellschaften sind weltweit gesehen eher die Regel. Wichtig bei der Interaktion zwischen Fachpersonen und PatientenInnen aus anderen Kulturen ist es, sich der eigenen Lebenswelt bewusst zu sein, ebenso aber auch die des/der PatientenIn möglichst offen zu betrachten. Nur wenn dies der Fall ist, kann man die Gesamtsituation ganzheitlich erfassen und eine angepasste Behandlung planen und durchführen. Sind Fachpersonen aber verschlossen gegenüber diesen selbstreflexiven Ansichten kann es zu Vorurteilen und Falschdiagnosen kommen. Fachpersonen die transkulturell pflegen möchten, müssen die Bereitschaft haben, sich auf dieses vielschichtige Thema einzulassen und die Kompetenz besitzen ihre Offenheit gegenüber eigenen Handlungsmustern und Sichtweisen zu hinterfragen. (vgl. Domenig 2007, S. 176) 4.5.3 Hintergrundwissen und transkulturelle Erfahrungen Das Hintergrundwissen der transkulturellen Kompetenz ist nicht nur vom kulturspezifischen Wissen abhängig, es basiert vor allem auch auf Konzepten prinzipieller Art, die bei Patienten aus verschiedenen Kulturen genauso angewendet werden können, wie bei Patienten der selben Kultur. Die folgenden Punkte veranschaulichen das grundlegende Hintergrundwissen transkultureller Kompetenz: Theoretisches Grundrechte Wissen und über Kultur, Menschenrechte Migration, steigern Integration, transkulturelle Kompetenzen und bauen Stereotypisierungen und Kulturalisierung ab. Kenntnisse über Lebensbedingungen, migrationsspezifische integrationshindernde Lebenswelten und wie –fördernde Faktoren, Zusammenhänge zwischen Migration und Gesundheit sowie migrationsspezifische Zugangsbarrieren zu Gesundheitsförderung tragen zum besseren Verständnis zwischen der Patient- Pfleger-Beziehung bei. 35 Hintergrundwissen über Rassismus, rassistische Diskriminierungen und Gewalt ist hilfreich für die kritische Auseinadersetzung mit dieser Thematik. Theoretische Kenntnisse über frauenspezifische Lebenswelten sind hilfreich für besondere Situationen bei der Behandlung von Migrantinnen. Wissen über medizinethnologische Konzepte sind für das Verstehen von Krankheitsprozessen wichtig. Das Illness/DiseaseKonzept von Kleineman und US- amerikanischen Medizinethnologen unterteilt das Erkranken und das Kranksein bzw. Illness (Sicht des PatientenInnen) und die Krankheit bzw. Disease (Sicht der MedizinerInnen) und zeigt somit neue Sichtweisen in der Wahrnehmung von Krankheit. Kenntnisse über psychische Erkrankungen sind ebenfalls zentral, da viele Patienten oft aus dem psychischen Gleichgewicht sind. Dies kann die Folge von Krieg und anderen Traumata sein. Theoretische Kenntnisse über die soziale Organisierung (individuumzentriert versus soziozentriert) fördern das Verstehen und den Umgang mit Krankheit und Gesundheit. Kenntnisse und Fähigkeiten über Kommunikation im Migrationskontext sind wichtig für eine zielführende Behandlung. Das Aneignen von Hintergrundwissen ist ein wichtiger Schritt um trankskulturelle Kompetenz näher zu bringen. Wissen basiert hier aber nicht nur auf der rein kognitiven Ebene, sondern bezieht sich auch auf die konkrete Erfahrungsebene. Leider wird diese Art des Lernens oft zuwenig bewusst genutzt. Viele sehen die Pflege von PatientenInnen aus anderen Kulturen als belastend, schwierig und anstrengend. Dabei ist dies ein guter Weg um transkulturelle Kompetenz zu gewinnen (vgl. Domenig 2007, S. 176f). 4.5.4 Narrative Empathie Empathie ist die Fähigkeit sich kognitiv in einen anderen Menschen hineinversetzten zu können und sich dabei über seine Gefühle, sein Verhalten und seine Handlungen im Klaren zu sein. Im Gegensatz zur Abgrenzung steht also die Empathie, bei der Interesse und Neugierde von 36 äußerster Wichtigkeit sind. Hinsichtlich transkultureller Kompetenz hat Empathie die Aufgabe durch das Einfühlen in den/die PatientenIn Neues zu entdecken und sich nicht auf Altbekanntes zu verlassen. Leider wird immer noch sehr häufig im medizinisch-therapeutischen Ausbildungsbereich vordergründlich auf die Abgrenzung und Wahrung der so genannten professionellen Distanz geachtet, wobei relevante Lerninhalte wie empathische Nähe vergessen werden. Empathie bedeutet Interesse, Geduld, Sich- den PatientenZuwenden und Neugierde um Fremdes zu verstehen, aber es benötigt auch das Wissen, dass man nicht alles begreifen kann. Dieses Verstehen des anderen ist von Bedeutung im Umgang mit PatientInnen, denn die Sicht des Patienten in der Beurteilung der Krankengeschichte fördert eine kulturelle Empathie. Es ist von zentraler Essenz, dass dieses Verstehen auch über Kommunikation ausgedrückt wird. Ein PatientInnenengespräch bei dem narrative Empathie zum Einsatz kommt, ist immer geprägt von Anteilname und dem Bemühen um Neutralität, was bedeutet, dass persönliche Einwende vermieden werden sollen und die ganze Aufmerksamkeit den PatientenInnen zukommt. Gesprächsstrategien wie Selbstpräsentationen, Zuwendungsbekundungen und passende Fragen unterstützen die Berücksichtigung der objektiven und subjektiven Interpretation der Perspektive der PatientenInnen. Für die Behandlung ist nämlich nicht nur die objektive Welt der Biomedizin bedeutend, auch die subjektive Lebenswelt des/der PatientenIn spielt eine Rolle. Narrative Empathie betont also nicht das Mitfühlen mit anderen Menschen generell, sondern die Zuwendung mittels narrativen Techniken (vgl. Domenig 2007, S. 178). Erzählungen von PatientInnen (Narrationen) bilden einen Schwerpunkt beim Bewältigungsprozess einer Krankheit. Narrationen stellen PatientInnen in den Mittelpunkt, indem die Krankengeschichte zu einer wirklichen Geschichte aufbereitet wird und nur dann, kann laut Neurologe und Schriftsteller Oliver Sachs, ein „wer“ und auch ein „was“ eine Person in Beziehung zur Krankheit fassbar gemacht werden. Oftmals werden Narrationen von PatientInnen benutzt um konkrete Ereignisse zu verstehen um die innere mit der äußeren Welt in Beziehung zu setzen. 37 Durch Narrationen werden Erlebnissen ein Sinn und eine Bedeutung in einer subjektiven Lebensgeschichte verliehen und sie verhelfen dem/der PatientenIn ein konkreteres Bild über sich selbst zu gewinnen. Gerade deshalb haben Narrationen immer mehr an Bedeutung gewonnen bei der Erforschung von chronischen Krankheiten. Hyden nennt fünf mögliche Ziele die bei Narrationen verfolgt werden können: Transformieren der Illness- Ereignisse und die Konstruktion einer Illness- Welt Rekonstruktion der Lebensgeschichte im Angesicht einer chronischen Krankheit Erklären und Verstehen einer Illness Behaupten oder Projizieren einer Identität als strategische Interaktionsform Transformation einer Illness von einem individuellen auf ein kollektives Phänomen Individuen beschäftigen sich mit vergangen Erfahrungen und Ereignissen sowie mit zukünftigen Plänen, Projekten und Erwartungen und auch mit möglichen Ausgängen einer Illness. Diese narrativen Zeitformen sind zentral bei klinischen Narrationen, denn die Geschichten im Leben verändern sich ständig, durch hinzukommende neue Ereignisse. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass Narrationen voll von Möglichkeitsformen sind (subjectivizing elements), welche Perspektiven und Interpretationen spiegeln. Narrationen richten sich immer an ein bestimmtes Publikum, welches Narrationen beeinflusst. Narrationen sind nie rein subjektive Geschichten, sondern immer ein strategischer Kompromiss, welcher von Bezugspersonen der PatientInnen beeinflusst wird (vgl. Domenig 2007, S.180). Dagmar Domenig liefert mit ihrem Dreisäulenmodell der transkulturellen Kompetenz einen guten Ansatz zur Verbesserung der Pflege mit PatientenInnen aus verschiedenen Kulturen. Das Modell entspricht dem neuesten Standpunkt der Wissenschaft. Weiters liefert sie uns verschiedene Modelle die helfen sollen, in der Aus- und Weiterbildung der Pflege, besser mit PatientenInnen aus anderen Kulturen umzugehen. Von solchen Modellen wird im nächsten Abschnitt berichtet. 38 4.5.5 Verankerung transkultureller Kompetenz Das in England entwickelte ACCESS- Modell (Zugangsmodell) und das in den USA entstandene LEARN- Modell versuchen die relevanten Lerninhalte, durch ein sinnstiftendes Acronym aufzubauen, um die transkulturelle Kompetenz zu erhalten. Da beide aber wiederum auf dem „Kulturendenken“ basieren sollten sie nur als konzeptionelle Hilfe gesehen werden um eigenen transkulturelle Kompetenzmodelle zu entwickeln. ACCESS- Modell: Assessment: Fokus auf die kulturellen Aspekte der Lebensstile, Gesundheitsvorstellungen und Gesundheitspraktiken richten. Communication: Bewusstsein über Variationen in verbalen Antworten bzw. nonverbalen Reaktionen schaffen. Cultural Negotation and compromise: Bewusstsein über „Kulturen“ und Religionen schaffen sowie das Verstehen der PatientInnensicht und ihrer Problemerklärungen fördern. Etablishing respect and rapport: Eine therapeutische Beziehung, die echten Respekt vor den „kulturellen“ und religiösen Glaubensund Wertvorstellungen aufweist, etablieren. Sensitivity: eine kulturell sensitive Behandlung verschiedenen Gruppen zukommen lassen und Safety: PatientInnen befähigen, ein Gefühl für kulturelle Sicherheit daraus abzuleiten (Domenig 2007, S.183). LEARN- Modell: Listen: Mit Sympathie zuhören und die Sichtweise der PatientInnen auf das Problem verstehen. Explain: Die eigenen Wahrnehmungen auf das Problem erklären. Acknowledge: Unterschiede und Gemeinsamkeiten anerkennen und diskutieren. Recommend: Eine Behandlung empfehlen. Negotiate: Eine Vereinbahrung aushandeln (Domenig 2007, S.184). Ein weiters interessantes Modell ist das TACCT- Modell (Tool for Assesing Cultural Competence Training) von der AAMC (Association of American Medical Colleges), das für Medizinstudenten entworfen wurde und die Inhalte der transkulturellen Kompetenz in fünf Hauptteile unterteilt. 39 TACCT- Modell: 1. Bereich: Kulturelle Kompetenz; Gründe, Kontexte und Definitionen. 2. Bereich: Schlüsselaspekte patienten- bzw. der kulturellen familienzentrierte Kompetenz, versus wie medizinzentrierte Behandlung, institutionelle kulturelle Fragen, Lebensgeschichten der PatientInnen und die Geschichten ihrer Communities. 3. Bereich: Verstehen des Einflusses von Stereotypisierung in der medizinischen Entscheidungsfindung. 4. Bereich: Gesundheitsbezogene Ungleichheiten und Einflussfaktoren, die die Gesundheit beeinflussen. 5. Bereich: kulturelle, klinische Fähigkeiten und Fertigkeiten (Domenig 2007, S. 184). Wer transkulturelle Kompetenz vermitteln möchte, muss selbstreflexive Prozesse auslösen, diese können einerseits verunsichern aber andererseits auch neue Horizonte eröffnen. Diese neuen Horizonte verhelfen zu transkulturellen und ethnologischen Fähigkeiten wie Perspektiven zu wechseln, Bedeutungssysteme zu beschreiben und zu interpretieren, gegenseitige Verstehensprozesse zu fördern und die Relativität der eigenen Praxis zu erkennen. Diese Fähigkeiten sind weitaus wichtiger als das Darstellen von nur im Geiste existierenden idealtypischen Kulturbildern. Um transkulturelle Kompetenz klinisch und pflegerisch verankern zu können bedarf es aber nicht nur des Schwerpunktes der Kulturen in der Ausbildung, es braucht auch Fachpersonen im klinischen Kontext, sowie passende Systeme in denen gearbeitet wird. 4.5.6 Analyse und Kritik Das Modell der transkulturellen Kompetenz von Dagmar Domenig entspricht dem neuesten Stand der Forschung und Ansichten der Wissenschaft. Es ist umfangreich und beinhaltet verschiedene Herangehensweisen an Kultur sowie unterschiedliche Lernmöglichkeiten um kulturell kompetenter zu werden. Bezüglich der Fragestellung, der ich in dieser Arbeit nachgehe: „Inwiefern berücksichtigen verschiedene Pflegetheorien die kulturelle Vielfalt der zu Pflegenden?“, ist zu sagen, dass das Modell von Domenig 40 die ganzheitliche kulturelle Pflege in ihrem Modell als Schwerpunkt berücksichtigt. Die Theorie der transkulturellen Kompetenz ermöglicht eine praktische Umsetzung einer Pflege von PatientInnen mit kultureller Vielfalt. 4.6 Pflegerelevante Begrifflichkeiten hinsichtlich transkultureller Kompetenz Um die Pflege hinsichtlich der Beachtung der Kultur der zu Pflegenden zu revolutionieren benötigt es aber auch ein gewisses Fachwissen über Begrifflichkeiten, die mit der kulturellen Pflege zusammenhängen. Das Fachpersonal sollte über folgende Begriffe ein gewisses Wissen haben, um transkulturell pflegen zu können: 4.6.1 Fremdenfeindlichkeit Unter Fremdenfeindlichkeit wird ganz allgemein eine Einstellung oder ein bestimmtes Verhalten von Menschen gegenüber anderen Menschen oder Gruppen verstanden. Solche Menschen oder Gruppen sind gekennzeichnet durch vermeintliches oder reales Fremdsein. Die Einstellungen und Verhaltensweisen sind geprägt von Geringschätzung, Stigmatisierung und Gewaltbereitschaft. Weiters ist „Fremdsein“ als rechtliches, politisches wie als kulturelles und soziales Konstrukt zu verstehen (vgl. www.bmbwk.gv.at 2008). 4.6.2 Rassismus Von genetischem Rassismus wird gesprochen, wenn Personen oder Gruppen nach biologischen Kriterien (wie der Hautfarbe) als minderwertig beurteilt werden. Kultureller Rassismus ist dann vorhanden, wenn Menschen oder Gruppen aufgrund ihrer kulturellen Zugehörigkeit als minderwertig behandelt werden (vgl. Freise 2005, S. 61-80). 4.6.3 Stereotype Stereotype kann man auch als starre Denkmuster bezeichnen. Negative Stereotype haben einen Zusammenhang mit Vorurteilen. Negative Stereotype besitzen alle Mitglieder einer Gesellschaft. Diese sind Teil des allgemeinen „kulturellem Wissens“. Diese Stereotypen werden zu 41 Vorurteilen, wenn die persönliche Einstellung einer Gruppe gleich ist wie die Stereotypen dieser Gruppe (vgl. Freise 2005, S. 61-80). 4.6.4 Vorurteile Zur Erläuterung von Vorurteilen gibt es mehrere Ansätze. Die Vorurteilsbildung lässt sich erklären durch die Psychoanalyse, Frustrations- Aggressions- Hypothese und durch die Theorie der relativen Deprivation. Der „Social Identity Approach“ Ansatz geht davon aus, dass Vorurteile Ergebnisse und Klassifikationen von Stereotypen einer Person oder Gruppe sind. Er sagt weiters, dass Vorurteile kognitiv gebildet werden (vgl. Freise 2005, S.61-80). Die wahrscheinlich kürzeste Definiton von Vorurteilen stammt von Gordon W. Allport: "Vielleicht lautet die kürzeste aller Definitionen des Vorurteils: Von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken." (Gordon W. Allport 2008, www.sign-lang.uni-hamburg.de) Dieses Zitat des amerikanischen Psychologen Gordon W. Allport zeigt, dass sich Vorurteile auf Menschen oder Gruppen beziehen und diesen negative Eigenschaften zugeteilt werden. In anderen Definitionen wird ein Vorurteil unzureichender beschrieben Informationen, als das vorschnelles zusätzlich Urteil aufgrund übergeneralisiert ist. Folgende Aussagen sind übergeneralisiert: „Alle Spanier sind…!“, „Immer diese Türken…!“. Ein Vorurteil ist auch als starres Urteil gekennzeichnet, das veränderungsresistent ist. Das meint, dass viele Menschen auch bei widersprüchlichen Informationen ein Vorurteil nicht ändern (vgl. Gordon W. Allport 2008, www.sign-lang.uni-hamburg.de). 4.6.5 Gesundheit Gesundheit wird nach der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahre 1946 folgendermaßen definiert: "Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen." Die Fachwelt spricht bei Gesundheit auch von einem Balancezustand des objektiven und subjektiven Befindens einer Person. Dieser besteht bei Einklang von körperlichen, seelischen und sozialen Bereichen der Entwicklung, der eigenen Möglichkeiten, Ziele und äußeren 42 Lebensbedingungen. Der Balancezustand ist weiters bedingt durch persönliche- und Umweltfaktoren. Es lässt sich daraus schließen, dass die sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Lebensbedingungen den Entwicklungsrahmen für die Gesundheit geben. Sigmund Freud sagte zum Thema Gesundheit: „Gesundheit ist die Fähigkeit lieben und arbeiten zu können“ (Siegmund Freud 2008, www.gesundheit.dgb-bwt.de) 43 6. Zusammenfassung und Ausblick Angesichts der zunehmenden Steigerung von Auswanderung sowie der wachsenden transkulturellen Gesellschaft sollten Fachpersonen auch mehr sensibilisiert werden in ihren Kenntnissen über unterschiedliche Kulturen. Meist sind die transkulturellen Kompetenzen und migrationsspezifischen Anliegen aber in den Hintergrund gedrängt und werden ungenügend beachtet. Pflegemodelle die den kulturellen Aspekt in der Pflege berücksichtigen sollten demnach mehr publiziert werden. Außerdem sind neue Forschungen auf diesem Gebiet sind notwendig. Klassische Modelle wie das von Orem, Watson und Leininger waren vielleicht in der Vergangenheit Anhaltspunkte in der Pflege. Sie waren allerdings zuwenig an den spezifischen kulturellen Ansichten der PatientInnen orientiert. Das essentialistische Kulturkonzept von Leininger betrachtet Kultur als homogene und nach außen begrenzte Wesenheit. Eine solche Sichtweise ist allerdings im Hinblick auf die heutige Globalisierung und Mobilität und der daraus entstandenen starken komplexen, individuellen Lebenswelten nicht mehr vertretbar. MigrantInnengruppen können keine fixen Eigenschaften in Form von Kulturrezepten zugeordnet werden. In der Pflege sollte vielmehr darauf geachtet werden, dass PatientInnen von individuellen Lebenswelten geprägt sind, welche ökonomische, soziale, physische und psychische Bedingungen mit einschließen. Modelle und Theorien wie die der transkulturellen Kompetenz von Domenig beinhalten solche Ansichten und sollten deshalb vorrangig in der Pflege verwendet werden. Veraltete Modelle wie die von Leininger und Watson können zwar als Grundlage benutzt werden, jedoch aber nur in Kombination mit neueren Theorien, die dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. In der professionellen Behandlung von MigrantenInnen fehlt oft das entsprechende Wissen über verschiedene Modelle die sich anbieten. Behandlungen erfolgen dann oft auf Unsicherheit. Manche Fachleute grenzen jedoch MigrantenInnen in der Pflege bewusst aus und kulturalisieren, dies ist rassistisch und diskriminierend. Um eine solche Diskriminierung zukünftig zu verhindern sollten Pflegemodelle angewendet 44 werden, die auf Interaktion basieren und nicht die „fremde Kultur“ ins Zentrum stellen. Es gibt viele unterschiedliche Modelle und Theorien in der Pflege, die hilfreich sind und als Hintergrund für neue Ansichten dienen. Für die Berücksichtigung der transkulturellen Kompetenz in der Pflege ist jedoch das Modell von Dagmar Domenig am besten geeignet. Es ist methodisch- didaktisch korrekt und basiert nicht auf Generalisierungen und Stereotypisierungen sondern darauf, das Denken zu fördern hinsichtlich transkultureller Ansichten. Um das Ziel einer transkulturellen Pflege zu erreichen, müssen verschiedenen Ebenen berücksichtigt werden. Wichtig ist die kognitive Ebene, da die Fachpersonen begreifen müssen, dass transkulturelle Pflege von Vorteil ist und sie transkulturelle Methoden erlernen müssen. Die Affektive- und Verhaltensebene sind weiters zu beachten. Dabei geht es um das überprüfen von Haltungen und Wertvorstellungen und Fähigkeiten und um die Implementierung von Instrumenten, sowie um die politische Ebene. Mit dieser Arbeit möchte ich Anhaltshilfen für die Berücksichtigung der Kultur in der Pflege geben und Anstöße zum Hinterfragen von bereits immer bewährten Theorien liefern. Durch die Literaturrecherche wurde mir bewusst, dass der Schwerpunkt „Kultur“ in der Pflege von großer Wichtigkeit für eine effiziente Versorgung der PatientenInnen ist. Die Konzentration auf den Schwerpunkt Kultur in der Pflege erweckte großes Interesse in mir und er animiert mich dazu, die weitere Entwicklung hinsichtlich dieses Themas weiter zu verfolgen. 45 7. Literaturverzeichnis Borde, Theda; Albrecht, Niels-Jens (Hrsg.); Interdisziplinäre Reihe, Migration- Gesundheit- Kommunikation. Innovative Konzepte für Integration und Partizipation. Frankfurt am Main, London: IKO Verlag für interkulturelle Kommunikation, 2007. Cavanagh, Stephen J.; Pflege nach Orem. Übersetzt auch dem englischen von Cornelia Winter, Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag, 1995. Dornheim, Jutta; Kultur als Begriff und Ideologie- historisch und aktuell. In: Dagmar Domenig (Hrsg.), Professionelle Transkulturelle Pflege. Handbuch für Lehre und Praxis in Pflege und Geburtenhilfe. Bern: Verlag Hans Huber, 2000 Domenig, Dagmar (Hrsg.); Professionelle Transkulturelle Pflege. Handbuch für Lehre und Praxis in Pflege und Geburtenhilfe. Bern: Verlag Hans Huber, 200; S. 30f. Domenig, Dagmar; Das Konzept der transkulturellen Kompetenz. In: Domenig, Dagmar (Hrsg.); Transkulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe. Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, 2007; 2. Auflage. Fawcett, Jaquline; Pflegemodelle im Überblick. Aus dem amerikanischen von Irmela Erckenbrecht, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Huber, 1996. Freise, Josef; Interkulturelle Soziale Arbeit. Theoretische Grundlagen – Handlungsansätze –Übungen zum Erwerb interkultureller Kompetenz. Schwalbach: Wochenschauverlag, 2005; S. 61-80. 46 Habermann, Monika; Vom Fremden zum Eigenen: Zum Diskurs der Interkulturellen Pflege und seinen Impulsen für die Pflegewissenschaft. In: Pflege 1999/12 Kellnhauser, Edith, Ausländische Patienten besser verstehen. Hrsg.: E. Kellnhauser, S. Schewior- Popp; Unter Mitarb. Von H. Jung- Heintz; Stuttgart, New York: Thieme, 1999. Leininger, Madeleine M.; Kulturelle Dimensionen menschlicher Fürsorge. Übersetzt von Ute Villwock, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1998. Marriner- Tomey, Ann; Pflegethoeretikerinnen und ihr Werk. Basel: Recom, 1992. Stülb, Magdalena und Adam, Yvonne; Vom Umgang mit dem FremdenEinführung in den interkulturellen Dialogprozess. Lehrveranstaltung Pflegewissenschaft. Graz: SS 2008. Uzarewicz, Charlotte; Sensibilisierung für die Bedeutung von Kultur und Migration in der Altenpflege. Kurzbeschreibung. Online im Internet URL: http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2002/uzarewicz02_01.pdf Dokument aus dem Internet-Service Texte Online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung am 12. Oktober 2008 Online Adressen im Internet URL: http://www.bmbwk.gv.at am 15. Juli 2008 http://gesundheit.dgb-bwt.de/definition.html am 15. Juli 2008 http://www.sign-lang.unihamburg.de/projekte/slex/seitendvd/Konzepte/L52/L5270.html am 15. Juli 2008 http://www.slm.unihamburg.de/projekte/slex/seitendvd/Konzepte/L52/L5270.html 47