FASSADE I FACADE 2/17_Medienfassaden

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02-2017 FASSADE | FAÇADE – REPORT | 69
Das Spiel mit der Zeit
Medienfassaden in Hamburg
und Córdoba
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Das Klischee, Medienfassaden seien übergrosse
Bildschirme, hält sich. Aber es bleibt ein Klischee.
FASSADE I FAÇADE zeigt anhand von zwei sehr
unterschiedlichen Medienfassaden in Hamburg
und Córdoba, wie gestalterisch hochwertig solche
Medienfassaden sein können und wie es Architekten
gelingt, die Gestaltung des öffentlichen Raums in
ihrer Verantwortung zu behalten.
Dass 2016 die Architekturbiennale in Venedig stattfand,
wissen sicherlich mehr als 90 Prozent der Architekturschaffenden. Dass im selben Jahr die Media Architecture
Biennale in Sydney stattfand, dürften wohl weniger wissen. Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Architekten
dem Thema «Medienarchitektur» bislang wenig Beachtung schenken. Noch! Die Verantwortung für die Gestaltung des öffentlichen Raums liegt aber bei den Architekten. Die Technologien, allen voran die LED-Technik, haben
sich enorm weiterentwickelt und es entstehen immer mehr
Fassaden mit solchen Technologien. Und nein! Die Rede
ist nicht von XXL-Bildschirmen, hinter denen sich Räume
aufreihen, sondern es handelt sich um komplexe Fassadensysteme mit hohem gestalterischem Anspruch. Zwei
von ihnen – und sie könnten kaum unterschiedlicher
sein – werden in diesem Beitrag vorgestellt: die Fassade
des Klubhauses St. Pauli in Hamburg und die des Zentrums für zeitgenössische Kultur in Córdoba. Erstgenannte
wurde im Rahmen der Media Architecture Biennale in
Dipl.-Ing. Melanie Seifert
freie Redaktorin und Autorin
www.frauseifert.de
70 | REPORT – FASSADE | FAÇADE 02-2017
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1 Die eigentliche Gebäudehaut
des Klubhauses St. Pauli ist eine
Aluminium-Glasfassade, die das
Raster des Gebäudes und die
unterschiedlichen Funktionen
der jeweiligen Geschosse
sinnfällig und funktional abbildet.
2 Die Idee der Medienfassade
in Córdoba am Río Guadalquivir
resultiert aus der inneren Gebäudestruktur, vor allem aus den
wabenförmigen Grundrissen.
3 Sowohl bei Dunkelheit als
auch bei Tageslicht spielen
die dreidimensionale Pixel­
blöcke in der Fassade mit Licht
und Schatten und werden
dadurch zum (nachts digitalen) Informationsträger.
4 Mock-Up für die Fassade
in Córdoba: Hier wurde u.a.
geprüft, wie die seitlich integrierten LED-Lichtquellen in
den Schüsseln reflektieren.
5 Von den Schüsseln gibt es in
Córdoba etwa 25 Exemplare.
Die Reflexionen verändern
die gewünschte Anzeige.
Sydney mit dem «media architecture award» in der Kategorie «money architecture» mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Entworfen wurde eine Kombination aus Architektur und Medieninstallation, in der Bewegtbild – auch
mit Videoanimationen – und Gebäudekubatur als gleichwertige Bestandteile verstanden werden. Ganz ähnliche
gestalterische Ideen finden wir auch in Córdoba. Auch
dieser Fassade liegt ein Entwurf mit einer Medienhaut
zugrunde, die die Kubatur nicht grundlegend verändert.
Die Fassade in Córdoba kann in eine Licht- und Medienanzeige verwandelt werden. Ein besonderes Feature ist das
zugrundeliegende «Betriebssystem». Es ermöglicht den
dort arbeitenden Künstlern, ohne Formatvorgaben und
ohne Zwischenschritte jegliche Inhalte darauf darzustellen. Michael Longford, Co-Vorsitzender des Media Architecture Summit 2016 und Direktor des Sensoriums, eines
digitalen Medienforschungszentrums an der York University, erläutert den Begriff «Medienfassade» in seinen Worten: «Von Medienarchitektur ist die Rede, wenn Architektur, Urbanismus und digitale Medien zusammenkommen,
um unsere kollektive Identität zu gestalten. Diese Art von
öffentlicher Kunst umfasst alles – von der Animation von
Fassaden über digitale Technologien bis hin zu interaktiven Installationen, die die Öffentlichkeit zum Spielen einladen, und sie hat die Macht (...), Räume zu verwandeln.»
Historie der Medienfassaden
Heute lassen sich die Typologien der Medienfassaden in
verschiedene Kategorien einordnen: Projektions- oder
Rückprojektionsfassaden, Fensterrasteranimation, Displayfassaden, beleuchtete Fassaden, mechanische Fas-
saden oder sogenannte Voxel-Fassaden. So weit zur Entwicklung. Medienfassaden an sich gibt es schon lange,
nicht zuletzt deshalb, weil Gebäude-Inszenierungen mit
Licht seit Jahrhunderten fester Bestandteil der Architektur ist. Ein Beispiel von 1925: Der Fahrzeughersteller
André Citroën hat als Erster den Wechsel von einer passiv
beleuchteten Fassade in eine aktiv leuchtende Fassade
vorgenommen und mit 250 000 Lampen den Eiffelturm
zu einer Werbefläche umgestaltet. Weitere berühmte
Medienfassaden sind z. B. der Times Square in New York,
leuchtende Fassaden in Las Vegas seit den 1970er-Jahren, der Piccadilly Circus in London u. v. m. Weiterhin hat
sich in den vergangenen Jahrzehnten die Neonreklame
etabliert. Dabei wurden mit Glühbirnen und insbesondere
Leuchtstoffröhren Werbebotschaften übermittelt. Der
«Animationseffekt» – das war damals Ein- und Ausschalten. Fertig! Seit Ende des letzten Jahrhunderts wurden
solche Lichttafeln durch LED-Grossbildschirme ersetzt.
Mit diesen LED-Boards war es nun möglich, Informationen
in Bild und Schrift zu kommunizieren. Künstler und Werbetreibende haben eine neue Dimension für sich entdeckt.
Potenziale und Herausforderungen im Umgang
mit Medienfassaden
Einer dieser Künstler ist Thorsten Bauer. Er hat nicht nur
das Potenzial der Medienfassaden erkannt und bereits
2005 das freie Künstlerkollektiv «urbanscreen» in Bremen
gegründet, sondern Bauer setzt sich darüber hinaus mit
der Architektur und dem öffentlichen Raum auseinander.
Seine Erfahrung zeigt, dass viele Architekten dem Thema
«Medienfassaden» gegenüber noch nicht sehr aufge-
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schlossen sind: «Viele Architekten haben Probleme, das
Thema ‹Medienfassaden› zu integrieren. Wir haben es
hier auch eher mit ‹Zeitkunst› als mit klassischer ‹Architektur› zu tun.» Bauer, der unter anderem künstlerischer
Leiter der Fassade am Klubhaus St. Pauli war, wünscht sich
die Auseinandersetzung mit Medienfassaden – speziell
von Architekten. «Architekten müssen sich dieses Themas annehmen, sonst übernehmen das die Industrie oder
Marketingagenturen. Aber das wäre doch sehr schade!
Ich wünsche mir, dass der öffentliche Raum nicht zu einem
Marktplatz verkommt. Das gelingt nur, wenn wir einen Rahmen schaffen, um eine Identität festzusetzen. All das lässt
sich aus der Architektur heraus entwickeln. Auf keinen Fall
sollte es andersherum geschehen. Vielmehr sollten wir
uns fragen, wie wir mithilfe eines Bewegtbilds oder eines
Videos zur Identität, zur guten Architektur verhelfen können.»
Ganz ähnlich sieht das Tim Edler, einer der beiden Gründer von realites:united, dem «studio for art and architecture» aus Berlin. Der Architekt weist dabei auf den Faktor
Zeit hin: «Veränderung ist ein natürlicher Bestandteil jeder
Architektur. Ich drücke es etwas plakativ aus: Hat sich früher eine Fassade einmal in 25 Jahren verändert, so kann
unsere heutige Technik eine Fassade 25 Mal pro Sekunde
verändern. Aber bedeutet die graduelle Beschleunigung
auch eine kategorische Unterscheidung? Wir müssen uns
also fragen, welchen Grad an Veränderung wir wollen
und wie viel Beschleunigung nötig ist. Was wir dabei nicht
vergessen sollten, ist, dass wir mit Fassadenentwürfen
weiterhin auf die Wahrnehmung des Passanten zu achten haben, und wir sollten auf keinen Fall zulassen, dass
Fassaden zu Propagandaflächen für Politik oder Werbung
werden.» Edler hat in Zusammenarbeit mit Peter Cook eine
der ersten bekannten Medienfassaden am Kunsthaus in
Graz realisiert – damals noch mit Leuchtstofflampen, bei
der jede Lampe einem Pixel entsprach. Die BIX-Medienfassade gilt als Pionierprojekt. Mit ihr wurde erstmals
in Frage gestellt, welche Aspekte für Medienfassaden
wesentlich sind. Sie basiert auf künstlerischen, abstrakten bzw. architektonischen Gestaltungselementen. Damit
entstand eine eigene neue Klasse jenseits von Bildauf-
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72 | REPORT – FASSADE | FAÇADE 02-2017
mit kreisförmigen Leuchtstofflampen. Entstanden ist aber
eine zwar niedrig auflösende Licht- und Medienfassade,
aber Form und Technologie wurden anders realisiert. realites:united entwickelte in enger Zusammenarbeit mit den
Architekten die Konzeption und Gestalt der Medienhaut.
Während das Gebäude am Río Guadalquivir tagsüber
eine dreidimensionale, tektonisch modulierte, aber statische Erscheinung hat, verwandelt es sich nachts in ein
dynamisches Volumen aus Licht und Schatten. Die Idee
der Struktur der Medienfassade resultiert aus der inneren Gebäudestruktur, vor allem aus den wabenförmigen
Grundrissen, einem Muster aus sich wiederholenden
Mustern polygonaler Räume. Dieses innere Motiv wurde
auf die Fassadentypologie übertragen: Es entstand ein
System unregelmässig geformter, sechseckiger Waben –
diese werden als «Schüsseln» bezeichnet – unterschied­
licher Dichte, Grösse und Form. Insgesamt gibt es 1319 dieser Schüsseln, die über die 100 Meter lange Fassade aus
glasfaserverstärktem Zement (GRC) verstreut sind.
Technische Umsetzung in Córdoba
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6 Zwei Arten von Metallgittermodulen sind an der
Fassade am Klubhaus St. Pauli
je nach Funktion in der Art mit
LED-Leisten bestückt, dass
sie entweder flächig illuminiert
werden oder hochaufgelöste
Bilder erzeugen können.
lösung und spezifischer Mitteilung. Man könnte fast von
unterschiedlichen «Schulen» oder Herangehensweisen
sprechen. Diese lassen sich z. B. beim Entwurf mit Anlagen-konzeptionellen Schwerpunkten (Hardware) gegenüber einem Schwerpunkt auf Projektionsinhalten (Software) ablesen. Das Konzept für die BIX-Medienfassade
war 2001 fertig, der Bau 2003. «Wir haben uns damals
bewusst für eine latent veraltete Leuchten-Technologie
entschieden. Abgesehen vom hohen Preis der damaligen
LEDs und der Konsequenz, dass es unmöglich gewesen
wäre, in dem architektonischen Massstab zu arbeiten, der
uns vorschwebte, wollten wir keine ‹neueste Technik› verbauen, weil die nach drei Jahren zwangsläufig ‹alt› ausgesehen hätte.» Das sieht heute anders aus, auch wenn
der Vorbehalt gegenüber der Zurschaustellung innovativer Technologie geblieben ist. Edler hat mit realites:united
in Zusammenarbeit mit den spanischen Architekten Nieto
Sobejano in Córdoba eine Medienfassade für das Zentrum
für zeitgenössische Kunst in Andalusien entwickelt. Eine
Fassade an einem mehrfach preisgekrönten Gebäude:
u. a. wurde es mit dem «Selected European Union Prize for
Contemporary Architecture – Mies van der Rohe Award
2015» ausgezeichnet.
Die Medienfassade des Zentrums für
zeitgenössische Kunst in Córdoba (C3A)
Fotos:
Bild 1 urbanscreen
Bild 2+3 © 2012–13
Roland Halbe by courtesy of
Nieto Sobejano Arquitectos
Bild 4+5 © 2012
by realities:united, Berlin
Bild 6 Klaus Frahm, Börnsen
und Berlin
Im Dezember 2016 wurde das Zentrum für zeitgenössische
Kunst mit Museum und einem künstlerischen Bildungszentrum (C3A) im andalusischen Córdoba offiziell eröffnet. Zur
Eröffnungszeremonie zeigten realites:united ihre Animationssequenz «Breeze» an der Fassadeninstallation, die
gleichzeitig mit der Eröffnung in Betrieb genommen wurde.
Das ursprüngliche Gebäudekonzept von Nieto Sobejano
Arquitectos sah eine niedrig auflösende Medienfassade
vor, ganz ähnlich der Grazer BIX-Medienfassade, sogar
Jede einzelne Schüssel dient als Reflektor für die seitlich
integrierten LED-Lichtquellen. Die Lichtintensität jeder
Schüssel wird einzeln kontrolliert. Die Reflexionen in den
Schüsseln, von denen es etwa 25 Exemplare gibt, verändern, ja steuern die jeweils gewünschte Anzeige. Es gibt
drei verschiedene Auflösungsstufen, die so entstehen:
Aus kleinen, mittleren oder grösseren Schüsseln werden
entsprechende Anordnungsmuster gebildet. Auch der
«BIG Pixel» – der Hof, zählt unter die Pixel, eben mit einer
eigenen Mega-Auflösung. Die Schüsseln sind so über die
gesamte Fassade verteilt. Jede dieser Schüsseln scheint
in Form und Grösse einzigartig zu sein. Das gelingt durch
ihre unregelmässige Verteilung auf der Fassade. Dabei
bleibt die Verteilungsdichte konstant. Weil das menschliche Auge definierte Bereiche an der Fassade immer wieder unterschiedlich wahrnimmt, kann die Auflösung gering
gehalten werden. Motive werden nur angedeutet statt
eindeutig dargestellt. Egal, ob tagsüber oder nachts – die
dreidimensionalen Pixelblöcke in der Fassade spielen mit
Licht und Schatten und werden dadurch zum (nachts digitalen) Informationsträger.
Das Bespielungskonzept in Córdoba
Das Bespielungskonzept bzw. das spezielle Betriebssystem der Fassade hat viel Raum bei der Herstellung
eingenommen. Das C3A ist ein spezielles Kunstzentrum, das seine Arbeit auch nach aussen kommunizieren
soll. Die Medienfassade besitzt deshalb ein spezielles
Betriebssystem, das trotz des anormalen Bildschirmformats einen direkten kreativen Zugriff der beauftragten
Künstler ermöglicht – in Echtzeit, durch deren eigene Software – sofern gewünscht –, durch konventionelle Videos
oder Animationen, einfach in jeder Form. Hier existieren
keine technische Barrieren oder Formatvorgaben, die die
inhaltsgenerierenden Künstler beachten müssen.
Die Medienfassade des Klubhauses St. Pauli
Auch die Medienfassade des Klubhauses St. Pauli mitten auf der Hamburger Reeperbahn hat tagsüber eine
andere Gestalt als nachts. Die Gestaltung liegt aber völlig anderen Ideen zugrunde. Realisiert wurde der Neubau
für Livemusik, Entertainment und urbanes Arbeiten nach
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den Plänen der Hamburger Architekten akyol kamps : bbp
architekten. Die vom Bauherrn gewünschte «innovative
Medienfassade» entwickelten die Hamburger Architekten
in Partnerschaft mit dem Kreativkollektiv urbanscreen aus
Bremen. Letzgenannte übernahmen mit Gründer Thorsten
Bauer die künstlerische Leitung des Projekts. Die Fassade
wurde unter der Prämisse entworfen, die mediale Integration in die Architektur neu zu denken. Nicht nur die Auszeichnung «media architecture award» 2016 würdigte das
Klubhaus St. Pauli, auch der BDA (Bund Deutscher Architekten) zeichnete das Gebäude im letzten Jahr mehrfach
aus: einmal mit dem zweiten Preis beim BDA Hamburg
Architektur Preis, weiter gab es eine Nominierung für den
BDA Publikumspreis.
Technische Überlegungen bei der Fassade
des Klubhauses St. Pauli
Eigens konzipierte, mit LED-Technik bestückte Metallgittermodule sind zugunsten eines dreidimensionalen
Erscheinungsbilds in unterschiedlichen Ebenen vor der
eigentlichen Gebäudehaut angeordnet. Es entstand eine
architekturintegrierte, kommunizierende Medienfassade.
Der Entwurf zeichnet sich durch eine Kombination von
Architektur und Medieninstallation aus, in der Bewegtbild und Baustruktur als gleichwertige Bestandteile der
Gebäudeidentität verstanden werden. Die Fassade ist in
drei Bereiche aufgeteilt. Ein Drittel der gezeigten Inhalte
machen die sogenannten «Core Visuals» aus. Das sind
künstlerische Videoanimationen, die massgeschneidert
für die Baustruktur, den Ort und die Nutzung der Architektur entwickelt wurden. Das herkömmliche Bildschirmformat (4:3 oder 16:9) wurde vollständig aufgebrochen
und in einer dezentralen topografischen Anordnung über
die Gebäudestruktur verteilt. Der mittlere Fassadenteil
besteht aus Metallplatten, die passend zum Inhalt der
LED-Screens farblich beleuchtet werden. Als bildgebende
Elemente wurden sowohl eine klassische Architekturbeleuchtung als auch hochauflösende LED-Meshes in die
Fassade integriert. Die insgesamt 372 Panels unterschiedlichen Typs und Auflösung mit einer Gesamtauflösung von
2598 × 1564 Pixeln erforderten eine komplexe Zuspielung,
die vom Hamburger Ingenieurbüro Intermediate Engineering entwickelt wurde. Vor allem die visuelle Verschränkung der Architekturbeleuchtung mit den bildgebenden
Panels stellt die zentrale Idee der Konzeption konsequent
in den Vordergrund: Die Medienfassade ist kein urbaner
Bildschirm, sondern ein integriertes System aus Architektur und Bild, das das Klubhaus St. Pauli in eine Medien­
skulptur im öffentlichen Raum verwandelt. Die Konzeption
der Videoinhalte und die der Baustruktur wurden parallel
entwickelt, nicht erst nach Fertigstellung des Bauköpers.
Die künstlerische Vision hat sowohl die strukturellen
als auch die technischen Bestandteile der Fassade von
Anfang an dominiert.
Das Bespielungskonzept – Core Visuals
und ortsspezifische Werbeinhalte
Der Entwurf für die Medienfassade am Klubhaus S. Pauli
sah von Anfang an ein Set aus festgelegten Videokompositionen vor, die einen elementaren Bestandteil des
Architekturkonzepts darstellen. Diese sogenannten Core
Visuals erfüllen dabei keinen konkreten Kommunikationsauftrag, sondern beziehen sich auf den Architekturent­
wurf an sich. So wird etwa das Thema «Gold» als zentraler ästhetischer Aspekt behandelt. Hergeleitet aus der
selbstbewussten Setzung ihrer goldenen Metallstruktur
wird die Fassade mit variantenreichen Lichtkompositionen
bespielt, die das Gold auch virtuell weiterführen und das
Gebäude als glänzenden Reeperbahn-«Klunker» inszenieren. Der letzte Teil der Medienfassade betrifft den Lift.
Dieser wurde bewusst in einer groben Auflösung, also
mit weitem Pixelabstand, gehalten, um einen Kontrast zu
dem Bereich mit der sehr hohen Auflösung zu haben. Hier
gibt es eine im Glasverbund integrierte Lösung. Zwischen
den Isoliergläsern wurde – analog zu den Closed Cavity
Façades – ein Mediennetz integriert. Dafür verantwortlich
zeichnet der Hersteller Onlyglass, der mit seinem Produkt
seit rund zwei Jahren auf dem Markt ist.
Zur Gegenfinanzierung der technisch aufwändigen Medienfassade ist die Bespielung mit Werbeinhalten unumgänglich. Allerdings soll der gestalterische Anspruch auch
bei der kommerziellen Verwertung der Bildflächen nicht
in den Hintergrund rücken. Vorrangig werden Werbeclips
produziert, die inhaltlich und formal auf das Gebäude
zugeschnitten sind. Damit werden auch in der kommerziellen Nutzung Inhalte gezeigt, die eigens für die Fassade
komponiert worden sind und durch die Einbindung interaktiver Features einen hohen Unterhaltungswert bieten.
Die Ingenieure von Intermediate Engineering erstellten
für das Projekt auch eine Software für Content-Management und Playout. Der entwickelte und programmierte
Workflow beinhaltet komplexe technische Abläufe von der
Interaktion bis zu Wiedergabe und für den Betreiber eine
leichte Bedienung über ein Kalendersystem.
Bautafel
Klubhaus St. Pauli
Objekt:
Klubhaus St. Pauli, Spielbuden­
platz 21/22, Hamburg
Bauherr:
Klubhaus St. Pauli GmbH
& Co. KG, Hamburg
Architekten:
akyol kamps : bbp ­architekten
BDA, Hamburg
Fassadenentwurf:
akyol kamps : bbp architekten
BDA, Hamburg / urbanscreen
GmbH Co KG, Bremen
Medienarchitektur und künstlerisches Bespielungskonzept:
urbanscreen GmbH
Co KG, Bremen
Medientechnik:
Intermediate ­Engineering
GmbH, Hamburg
Ausführung Medienfassade:
Multivision LED-Systeme
Gmbh, A-Marchtrenk
Fassadenplanung:
Prof. Michael Lange Ingenieurgesellschaft mbH, Hamburg
Lichtplanung:
Bartenbach GmbH, A-Aldrans
Projektmanagement:
Becken Development
GmbH, Hamburg
BGF: ca. 5000 m2
Planungsbeginn: 2013
Fertigstellung: 2015
Fazit
Die hier präsentierten Medienfassaden in Córdoba und
Hamburg haben ein paar elementare Gemeinsamkeiten:
Beide spielen mit Tag- und Nacht-Effekten. Bei beiden
Projekten haben sich die Architekten Unterstützung aus
der Kreativbranche, also von Medienkünstlern, geholt.
Und: Beide Fassaden sind aus dem Ort und der Architektur heraus entwickelt worden. Sie sind keine blossen
Werbeträger oder Bildschirme, sondern identitätsstiftende Stadtbausteine im öffentlichen Raum. Ein grosses
Anliegen, das auch Tim Edler final unterstreicht: «Wir –
und ich meine damit auch alle Architekten, die sich mit
Medienfassaden beschäftigen – sollten Standards aus
der Industrie ablehnen und selbst die Verantwortung
für die Gestaltung des öffentlichen Raums übernehmen.
Dabei stehen die zeitlosen Fragen im Fokus: Mit welchem Material arbeite ich und warum? Wie altert meine
Fassade? Wie lange dauert das? Welche Technologien
stehen zur Verfügung? Und: Wer, wenn nicht ich als Architekt, verfügt über das Know-how, neue Technologien zu
nutzen? Architekten müssen ab sofort lernen, wie sie mit
dem Faktor ‹Zeit› umgehen wollen, um dynamische Fassaden und Gebäude realisieren zu können. Da befinden
wir uns alle noch in einer Art ‹Lallphase› wie Babys, die
das Sprechen lernen. Für mich steht allen voran immer
die Frage: Wie gelingt es uns allen, dynamische Städte
zu gestalten?» Diese Frage klärt sich wohl erst nach
und nach. Spätestens bei der kommenden Media Architecture Biennale gibt es schon neue Erkenntnisse. Ort
und Zeit sind hierzu noch nicht bekannt. Aber wer kennt
schon wirklich die Zukunft?
Bautafel Córdoba
Objekt:
Contemporary Art Center
(C3A) Córdoba, Spanien
Bauherr:
Regierung von Andalusien
Architekten:
Nieto Sobejano A
­ rquitectos,
Fuensanta Nieto,
Enrique Sobajano
Fassadenplanung:
Nieto Sobejano Arquitectos, in
Kooperation mit realities:united
BGF: 12 287 m2
Wettbewerb: 2005/2006
Planungsbeginn: 2008
Fertigstellung: 2013
Eröffnung: 2016
01 I 2017
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FAÇADE
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