objekte tim | Textil- und Industriemuseum, Augsburg Zeitzeugen der Textilindustrie Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg inszeniert die wechselvolle Geschichte der bayerischen Textilindustrie. Das außergewöhnliche Museumsprojekt wurde nach einem Entwurf des österreichischen Architekten Prof. Klaus Kada auf dem Gelände der 1836 gegründeten Augsburger Kammgarnspinnerei (AKS) realisiert. Entstanden ist eine textile Erlebniswelt, die den historischen Bestand mit zeitgemäßen Anforderungen an einen Museumsbau in Einklang bringt – gerade auch im Hinblick auf den baulichen Brandschutz, der den Einfallsreichtum und die Diskussionsbereitschaft aller Beteiligten forderte. Als zentraler Verteiler ist der Eingangsbereich der wichtigste Raum des Museums. Er lädt vor der Ausstellung ins Cafe und den Museums-Shop ein. Darüber hinaus nimmt er die Funktionen von Information, Kasse, Garderobe und pädagogisch didaktischer Einrichtungen auf. D ie Textilindustrie brachte den Motor der Industrialisierung in Bayern einst so richtig in Gang. In Augsburg, das schon vor der Industrialisierung als europäisches Textilzentrum galt, wurde eine Fabrik nach der anderen erbaut – das Textilviertel vor den Toren der Stadt entstand. Zur Blütezeit um die Jahrhundertwende wurden hier 21 Textilfabriken gezählt. Doch die Globalisierung erreichte auch die deutsche Textilindustrie. Zwar nimmt der Standort Deutschland im textilen Weltmarkt heute nach wie vor eine führende Position ein, wenn Ingenieurwissen und Kreativität gefragt sind, wie im Bereich der technischen Textilien oder im Design. Doch die klassische Textilproduktion ist weitgehend nach Asien abgewandert. Als Folge des weltweiten Wettbewerbs stellte auch die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS), eine der ältesten Textilfabriken Bayerns, 2004 den Betrieb ein. Zu dieser Zeit hatte die gedankliche Auseinandersetzung zur Umnutzung des einzigartigen städtebaulichen Ensembles bereits begonnen. Den international ausgeschriebenen Architektur-Wettbewerb zur Errichtung des tim – Textil- und Industriemuseum konnte Prof. Klaus Kada für sich entscheiden. Der Grazer Architekt entwarf eine Erlebnsiwelt, in der Web- und Strickmaschinen laufen, in der eigene Produkte hergestellt und verkauft werden und die zweihundert Jahre Textilgeschichte vor Augen führt. Das tim ist im 93 Meter langen Kopfbau der ehemaligen Augsburger Kammgarn- element + BAU 4/2011 23 objekte Aus zulassungsrechtlichen Gründen wurde eine RS2-Tür mit einer Verglasung aus Brandschutzglas in 8 mm Stärke in die Konstruktion eingepasst. Damit erfüllt die Gesamtkonstruktion die Brandschutzanforderung mit einer dicht- und selbstschließenden Glastür, ohne den leichten Gesamteindruck zu beinträchtigen. Bildnachweis (alle Bilder): Schott Jenaer Glas Spinnerei und zwei Achsen parallel dazu verlaufenden Sheddach-Hallen untergebracht. Zentrales Gliederungselement von Kadas Entwurf ist ein neu hinzugefügtes, zweigeschossiges Foyer, von dem aus alle Nutzungen erschlossen werden: Im Erdgeschoss befindet sich der Haupteingang mit Kassenbereich, Museumsshop, Café und Nebenräumen; das Obergeschoss beherbergt einen multifunktional nutzbaren Veranstaltungsraum. In dem neuen Foyer befindet sich auch, teilweise über zwei Geschosse, ein Kernelement des Museums, das wertvolle Stoff- und Musterdepot in Form einer stilisierten Schatzkiste. Brandschutz im Denkmal Ein unverwechselbares Erlebnis ist die Besichtigung der umfangreichen Maschinensammlung, die aus Sicherheitsgründen hinter eine Glastrennwand aufgestellt ist. Interessierte Besucher erhalten im Rahmen von Führungen direkten Zugang zu den ratternden Maschinen, die hier in Schwung gehalten werden. Um eine Schallübertragung durch die Bodenplatte zu verhindern, stehen die Webstühle auf einer Tischkonstruktion. Dazu wurde die Kellerdecke entfernt und der Fußboden des Vorführraumes neu betoniert. Das bedeutet, dass die Decke auf eigenen Stützen mit eigenen Fundamenten steht. Das Bauteil ist damit vollständig vom übrigen Gebäude getrennt. 24 element + BAU 4/2011 Die räumliche Strukturierung der Maschinenhalle übernehmen raumhohe Verglasungen, die ebenfalls zum Bauwerk entkoppelt angeschlossen sind. Außerdem hat man die Glasstärken erhöht. Vor allem der Brandschutz erforderte aufgrund der historischen baulichen Ausgangslage einer besonderen Behandlung. Rein baurechtlich bewegten die Fachplaner sich hier klar außerhalb der Norm. Da die Sheddachhallen aus den 1950er Jahren aus einem vorgespanntem Stahlbau mit einer überdeckenden Betonschale in einer Stärke von gerade mal 6 bis 7 Zentimetern bestanden, wurde mit den örtlichen Behörden vereinbart, Abstriche beim Brandschutz im Hinblick auf die Statik zu akzeptieren. Diese Defizite kompensierten die Planer dreifach, nämlich durch Maßnahmen für die Brandentrauchung, für die Sicherung der Fluchtwege und die Auslegung der Alarmierung. Die raumhohe Brandschutzverglasung zwischen Foyer und Ausstellung bzw. dem Museumsparcours sorgte für viel Diskussionsstoff bei den Beteiligten. Während die Architekten eine rahmenlose Konstruktion der 10 bis 11,5 Meter hohen Trennwände favorisierten – die Scheiben sollten mit Stoßfugen aneinander gesetzt werden – forderte der Kostenund Zeitrahmen eine pragmatische Lösung. Letztlich entschied man sich für eine filigrane Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Stahlprofilen, wobei der Querriegel als bekleidetes Stahlbauteil ausgeführt wurde. Die 3 x 1,60 Meter großen Scheiben Der zentrale Bereich mit den „drei Grazien“ bildet den architektonischen und dramaturgischen Mittelpunkt des Museums. Hinterleuchtete Wände mit Motivdrucken runden das faszinierende Raumsujet ab. der G 30-Trennwand bestehen aus 6 mm Pyran S Brandschutzglas und 2 x 6 mm Floatglas. Damit entsprach die Konstruktion der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung; eine Zustimmung im Einzelfall mit all seinen zeitlichen Komponenten war nicht mehr notwendig. Pyran im Standardaufbau ist ein monolithisches, durch thermisches Vorspannen veredeltes Borosilicatglas, das auf einer Microfloatanlage hergestellt wird. In Brandschutzverglasungen der Feuerwiderstandsklasse E (G) verhindert Pyran den Durchgang von Feuer und Rauch. Brandschutzverglasungen aus Borosilicat verfügen im Vergleich zu den gebräuchlichen Sicherheitsgläsern aus Kalk-Natron über eine höhere Temperaturunterschiedsfestigkeit. Das vorgespannte Borosilicatglas kann somit mit üblichen Glaseinständen (15+/-2 mm) verglast werden. Durch Eigenstandszeiten von mehr als 30 Minuten sind große Scheibenformate und einfachste Rahmenkonstruktionen möglich. Das geringe Fließverhalten aufgrund der hohen Zähigkeit von Borosilicatglas lässt zudem bei erhöhten Glaseinständen Feuerwiderstandszeiten von mehr als 90 Minuten zu. Maßgeschneiderte Lösungen Auch der Einbau der Türen in die Festverglasung, die den Maschinenraum vom Rest des Museums trennt, folgte einem objekte pragmatischen Ansatz. Nach der Norm sind öffenbare Elemente bei einem rauchdichten Raumabschluss nicht vorgesehen. Aus zulassungsrechtlichen Gründen wurde eine RS2-Tür mit einer Verglasung aus Pyran S 8 mm in die Konstruktion eingepasst. Damit erfüllt die Gesamtkonstruktion die Brandschutzanforderung mit einer dichtund selbstschließenden Glastür, ohne den filigranen Gesamteindruck zu beinträchtigen. Dem Einbau der Türen in dieser Form musste allerdings die Brandschutzbehörde der Stadt Augsburg zustimmen. Die Dimensionierung der Trennfassade zum Foyer, einer 11 Meter hohen Glaskonstruktion in der Mittelachse des Museums, beruht auf einem Gutachten der Universität Aachen, die anhand einer statischen Simulation die Verformung der Fassade bei verschiedenen Temperaturen nachgewiesen hat. Dementsprechend schließt die Brandschutzverglasung aus Pyran S 6 mm jeweils an bekleidete F 30-Stahlbauteile an, worauf das Profilsystem Forster-presto G30 bzw. eine reine Stahlkonstruktion mit Halteleisten aufgesetzt wurden. Somit liegt die Konstruktion innerhalb der Zulassung. Zäsuren geben das räumliche Thema vor Für die Umnutzung zum Museum waren Eingriffe notwendig, die über die Sicherung und Bewahrung der Anlage hinausgehen und die wiederum eine neue Baugeschichte erzählen: Diese Reparatur und das neue Notwendige sollten im Sinne der alten Substanz erkennbar ihre Herstellungszeit darstellen. Diese historischen Zäsuren machten die Planer deutlich und konzipierten daraus ein räumliches Thema. Der Zwischenraum zwischen dem älteren Geschossbau und der nach dem zweiten Weltkrieg errichteten Shedkonstruktion dient als Achse und zentraler Raum des Museums. An der Westseite befinden sich die Anlieferung und der interne zweite Eingang mit einer vertikalen Transporterschließung. Sie bildet den Abschluss der neuen Achse, die als durchgehendes neues Shed konzipiert ist und hier zeichenhaft nach außen den einzigen Eingriff in die Substanz sichtbar macht. Das Gebäude bietet eine Ausstellungsfläche von insgesamt 3.500 m2. Filigrane Pfosten-Riegel-Konstruktion: Der Querriegel ist als bekleidetes Stahlbauteil ausgeführt. Die 3 Meter hohen Scheiben der G 30-Fassade bestehen aus Brandschutzglas in 6 mm Stärke. Der rote Faden – das Navigationssystem Die Ausstellungsarchitektur stammt von Atelier Brückner aus Stuttgart, das damit einen geladenen Wettbewerb gewonnen hatte. Das Ausstellungskonzept steht unter dem Motto „Mensch – Maschinen – Muster – Mode“. Es sieht unter anderem die Videoprojektion von durch die Besucher ausgewählter Muster auf überlebensgroße „Figurinen“ vor, um die lichtempfindlichen Muster überhaupt zeigen zu können. Für diese Art der Präsentation wurde das Museum zusammen mit dem Atelier Brückner kürzlich mit dem iF Design Award ausgezeichnet. Die Erschließung wird in zwei parallel verlaufenden Rundgängen um den zentralen Raum geführt, eine markante Bodengrafik dient dabei als visuelles Leitsystem. Ein Rundgang ist der Sozialgeschichte der bayerischen Textilindustrie von den Anfängen des Weberhandwerks bis zu ihrem Niedergang im 20. Jahrhundert gewidmet und endet in einem als Labor gestalteten „Zukunftsraum“. Im zweiten Rundgang geht es um die Textilherstellung von den Rohstoffen bis zum Endprodukt. Die innenliegenden Glasfassaden geben der Raumstruktur ihre Klarheit. Dabei zeichnen sie sich durch Einfachheit und Kosteneffizienz aus. Obwohl die Konstruktion ohne spektakuläre Kunstgriffe auskommt, verbreitet die großzügige Verglasung einen Charme, der dem industriellen Charakter des historischen Gebäudes vollkommen gerecht wird. Form follows function! Bautafel Bauherr: Stadt Augsburg, Referat 5 Architekten: Kada Wittfeld Architekten, Graz Bauleitung: Schuller + Tham Architekten, Augsburg Fassadenbau: Oberland Metallbau & Bauschlosserei GmbH, Weira Fachplaner Brandschutz: Amt für Brand- und Katastrophenschutz, Feuerwache Süd, Augsburg element + BAU 4/2011 25