Das Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“

Werbung
DAS GESCHAFTSMODELL „OLDENBURGER MUNSTERLAND“
Mit dem Blick des Insiders, der bis vor kurzem selber noch aus Berlin auf
das Oldenburger Münsterland geschaut hat und auch ein wenig den Vorurteilen vom landwirtschaftlich-biederen, erzkonservativen und wenig
innovativen Landstrich erlegen war, stellt der Autor das Besondere dieses
erfolgreichen Geschäftsmodells heraus.
Sieben Beobachtungen zu den
Grundlagen des Erfolgs dieser Region
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
Einstieg
Nicht zuletzt die trotz der massiven Auswirkungen der Finanz-,
Wirtschafts- und Schuldenkrise bisher sehr stabile Entwicklung
der Deutschen Wirtschaft überrascht viele Experten. Auf die
Frage nach dem Warum gibt es zahlreiche Erklärungsversuche,
die im Kern auf die besondere Wirtschaftsstruktur sowie die
hohe Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Deutschen
Firmen im internationalen Vergleich zurückgeführt werden.
Ähnlich staunend stehen Experten schon seit einiger Zeit vor
der Entwicklung des Oldenburger Münsterlandes.
Quelle: www.heimatbund-om.de
Das Oldenburger Münsterland umfasst die Landkreise Cloppenburg und Vechta, in denen insgesamt knapp 300.000 Einwohner leben, ein Großteil davon in
ländlichen Gebieten.1 Entgegen verschiedener Prognosen und überregionaler Trends, entwickelt sich diese Region im Nordwesten Deutschlands allerdings sowohl demografisch als
auch wirtschaftlich sehr viel dynamischer, als andere ländliche Gebiete.
Auch hier liegt der Kern in einer speziellen Ausrichtung der Wirtschaftsstruktur, die begleitet
wird durch eine geschichtlich tief verwurzelte Werthaltung der Bevölkerung, die unter den
aktuellen Rahmenbedingungen eine besonders positive Entwicklung der Region ermöglicht,
sie also quasi als erfolgreiches Geschäftsmodell des Oldenburger Münsterlands wirkt.
Kleine und mittlere Familienunternehmen
als Garanten einer Sozialen Marktwirtschaft
Das Oldenburger Münsterland ist durch eine stark klein- und mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur bestimmt. Neben der Landwirtschaft spielen handwerkliche Unternehmen
und mittelständische Industriebetriebe die wesentliche Rolle. Großunternehmen im herkömmlichen Sinne sucht man – zumindest auf den ersten Blick - vergebens. Die Mehrzahl
der Betriebe dürften als Einzelbetriebe, Personengesellschaften oder familiengeführte Kapitalgesellschaften geführt werden.
Vor dem Hintergrund dieser eher kleinteiligen Wirtschaftsstruktur und den gesamtwirtschaftlich schwierigen Vorzeichen der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise ab 2008 haben viele investitionswillige Firmen im Oldenburger Münsterland die Gunst der niedrigen
Zinsen nutzen können und dank eines in den Vorjahren aufgebauten Finanzpolsters Erweiterungs- und Modernisierungsvorhaben umgesetzt. Die oftmals langjährigen, durch den engen
persönlichen Kontakt geprägten und weniger auf hohe Renditen ausgerichteten Verbindungen zu den regionalen Geldinstituten waren dabei für rasche Kreditentscheidungen sehr hilfreich.2
Dieses in den Vorkrisenjahren erarbeitete Potenzial kommt dem gesamten Oldenburger
Münsterland nun zugute, wie die hervorragenden Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten belegen.
1
2
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 6 und 9ff.
Vgl. Deeben 2011, in OM Jahrbuch 2011, S. 190.
1
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
Die lange handwerklich-gewerblich geprägte Tradition des „konkreten Arbeitens“, sowie die
überwiegend positiven, persönlichen Erfahrungen im Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern relativieren typische Vorbehalte der Bevölkerung vor industriellen, handwerklichen und gewerblich-technischen Tätigkeiten. Im Gegenteil, oftmals führen die engen persönlichen Beziehungen zu dem Gefühl,
in einem Boot mit den Arbeitgebern zu sitzen und durch gemeinsame Arbeit gemeinsame Ziele
erreichen zu können.3 Die auf höheren Ebenen oftmals ideologisch
geprägten Vorbehalte zwischen
Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften, zwischen Konservativen und Linken, zwischen Fundis
und Realos etc. werden durch dieses gemeinsame Verständnis im
praktischen Zusammenleben häufig
Quelle: iStockphoto LP
relativiert.
Die hohe Flexibilität, die sich die oftmals inhaber- und familiengeführten Unternehmen des
Oldenburger Münsterlandes gesichert haben, ermöglicht die rasche Anpassung von Prozessen und die schnelle Erschließung neuer Tätigkeitsfelder. Dies hat sich z. B. in der Reaktion
auf den Einbruch der exportorientierten Produktion und Zulieferung in den Jahren 2008 bis
2010 gezeigt, die dazu beitrugen, dass Umsatzeinbußen um rund 70 Prozent geringer ausfielen als im Bundestrend.4
„Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass die gesunde Wirtschaftsstruktur, die
Flexibilität der Unternehmen und ihre gute Kapitalausstattung schlimmere Auswirkungen der Krise auf das Oldenburger Münsterland verhindert haben. Positiv
ist zudem zu werten, dass die betroffenen Unternehmen die Krise als Chance verstanden haben, von niedrigerem Niveau aus neues stetiges Wachstum erreichen
zu können. Mit der Erschließung neuer Auslandsmärkte, der Optimierung bestehender Produkte und der Entwicklung neuer Güter und Verfahren blicken sie optimistisch in die Zukunft.“5
Die starke gesellschaftliche Einbindung der Eigentümerunternehmer, die oftmals nicht nur
aus der Region stammen, sondern weiterhin in vielfältiger Weise in das soziale Leben eingebunden sind und dies auch bleiben wollen, spiegeln die Bedeutung der sozialen Dimension
des Unternehmertums in der Region wider.
Im Verbund mit einer für die Unternehmen der Region typischen Strategie des stetigen und
langfristigen Wachstums, der an den Kernkompetenzen orientierten Diversifikation und Innovation sowie regionaler Partnerschaften und Zulieferketten bei gleichzeitiger Öffnung für
neue Märkte, sorgt dieses Verständnis der Unternehmer für eine hohe Wertschätzung des
Systems der Sozialen Marktwirtschaft in allen Schichten der Bevölkerung. 6
3
Vgl. von Laer 2002, in OM Jahrbuch 2002, S. 293f.
Vgl. Deeben 2011, in OM Jahrbuch 2011, S. 191f.
5
Deeben 2011, in OM Jahrbuch 2011, S. 195.
6
Vgl. von Laer 2002, in OM Jahrbuch 2002, S. 295ff; vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 22.
4
2
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
Hohe wirtschaftliche Dynamik und Innovationskraft,
trotz vergleichbar geringer Hochqualifizierten-Quote
Das Oldenburger Münsterland trug im Jahr 2009 insgesamt rund 7,7 Mrd. Euro zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bei, dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Jahr 2000
von 26,3 Prozent. Im vergleichbaren Zeitraum stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten um 20,6 Prozent auf 103.055 Personen (Stichtag: 30.06.2010).7 Beide Kennzahlen sind exemplarisch für die enorme wirtschaftliche Dynamik, die die Region vorweist.
Auch die weit überdurchschnittliche Gründungsdynamik, die im Oldenburger Münsterland
im Saldo von Gewerbean- und –abmeldungen bei einem Wert von 3,1 gegenüber dem Bundesdurchschnitt von 1,4 liegt, belegt die hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.8
Gleichzeitig liegt der Anteil der so genannten Hochqualifizierten, d. h. der Beschäftigten mit
Fach- und Hochschulabschluss, im Oldenburger Münsterland deutlich unter dem Bundesdurchschnitt (Landkreis Cloppenburg: 3,8 Prozent, Landkreis Vechta: 5,5 Prozent, Bundesdurchschnitt: 7,8 Prozent). Der Anteil der Ingenieure lag im Jahr 2008 in Cloppenburg bei 1,3
Prozent, in Vechta bei 1,5 Prozent und im Bundesdurchschnitt bei 2,2 Prozent.9 Auch die Zahl
der Schulabgänger mit Hochschulreife (Landkreis Cloppenburg: 17 Prozent, Landkreis Vechta: 27 Prozent,
Deutschland: 27 Prozent) fällt tendenziell hinter dem
Bundesschnitt zurück, während die Hauptschulen
mindest im Landkreis Cloppenburg noch eine
durchschnittlich starke Bedeutung haben (25 Prozent
gegenüber 23 Prozent im Bundesschnitt).10
Insbesondere im Oldenburger Münsterland zeigt sich
insofern, dass die weitverbreitete These, wirtschaftliche
Dynamik entwickelt sich in einer modernen Gesellschaft
und Wirtschaft ausschließlich dort, wo ein großer Anteil
hochqualifizierter Personen beschäftigt wird, nicht zutrifft. Oder diese These zumindest nicht mit einem eindimensionalen Verständnis von hoher Qualifikation
gleich hochrangiger formaler Bildungsabschluss einhergehen kann.
Quelle: Microsoft
Gerade die persönlichen Kompetenzen und Eigenschaften, die der typische Bewohner des
Oldenburger Münsterlands mitbringt und die häufig mit Begriffen wie Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Arbeitsmoral, Bodenständigkeit, Innovationsfreude und Risikobereitschaft beschrieben werden11, sind vielen Unternehmen durchaus sympathisch, da sie den
Wert für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen erkannt haben12 und selber aus diesem Umfeld erwachsen sind.
Die Menschen im Oldenburger Münsterland haben in ihrer Geschichte aus Wenig Viel schaffen müssen. Aus einer gezwungenen Einfachheit haben sie mit hohem praktischem Ver7
Vgl. www.lskn.niedersachsen.de.
Vgl. www.insm-regionalranking.de.
9
Vgl. www.insm-regionalranking.de.
10
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 8.
11
Vgl. Schwerdtfeger 2004, in OM Jahrbuch 2004, S. 282ff.
12
Vgl. von Laer 2002, in OM Jahrbuch 2002, S. 294.
8
3
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
ständnis und einer gewissen „Bauernschläue“ die Grundlagen für den persönlichen, aber
auch den gesellschaftlichen Erfolg gelegt.13 Die Erfolgsgeschichten einiger so genannter
„Hidden Champions“ aus dem Oldenburger Münsterland, also von mittelständischen Unternehmen, die als Weltmarktführer international sehr erfolgreich tätig sind, beruhen eben
gerade nicht auf einer hohen formalen Bildung des Unternehmers, sondern auf seinen besonderen Persönlichkeitsmerkmalen,14 und prägen seine Sicht auf die Anforderungen an
seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Bündelung von Wertschöpfungsketten
verringert Konjunkturabhängigkeit und
dient als regionale Unternehmensvision
Mit sechs Prozent trug die Agrarwirtschaft im Jahr 2006 zur Bruttowertschöpfung im Oldenburger Münsterland bei, während sie im nationalen Durchschnitt eigentlich keine Rolle mehr
spielt. Immerhin noch 4,4 Prozent der Beschäftigten im Oldenburger Münsterland sind direkt
in der Landwirtschaft beschäftigt, viermal so viele wie im deutschen Durchschnitt.15 Insgesamt arbeiten im so genannten Agribusiness – dem Gesamtkomplex der Erzeugung von Lebensmitteln –knapp 36 Prozent der Beschäftigten des Oldenburger Münsterlandes.16 Diese
Indikatoren deuten auf die weiterhin hohe Bedeutung des primären Sektors für die regionale wirtschaftliche Entwicklung hin.
Quelle: Microsoft
„Dass die Krise im Oldenburger Münsterland
dennoch insgesamt weniger stark ausgeprägt war als in anderen Regionen, ist auf
die gute Stellung der konsumnahen Branchen insbesondere des Ernährungsgewerbes mit seinen vor-und nachgelagerten Bereichen zurückzuführen. Die relative Stabilität dieser umsatzstärksten und beschäftigungsintensiven Branchen hat dafür gesorgt, dass die Krise in der Region nicht tiefer durchdringen konnte.“ 17
Aber das Geschäftsmodell Oldenburger Münsterland geht über die Betonung des Primärsektors hinaus. Der Aufbau und die Bündelung von Wertschöpfungsketten in der Nahrungsmittelbranche wurden zum Erfolgsmodell.
Die enge Verflechtung von Futtermittelproduktion, Tierzucht und –mästung, Landwarenhandel, Pharmaunternehmen, Bau landwirtschaftlicher Gebäude und Einrichtungen, Betrieb von
Schlachthöfen und Molkereien, Fleischveredelung, Land- und Spezialmaschinenbau, Verpackungsindustrie, Lebensmitteltechnologie, Logistik und entsprechender unternehmensnaher
Dienstleistungen sowie weiterer Schnittstellentechnologie, z. B. im Bereich der Erneuerbaren
13
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 38.
Vgl. Schwerdtfeger 2004, in OM Jahrbuch 2004, S. 283f.
15
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 8.
16
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 21.
17
Deeben 2011, in OM Jahrbuch 2011, S. 194.
14
4
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
Energien, sorgt dafür, dass Know-how und Wirtschaftskraft in der Region gebündelt werden.18
Darüber hinaus wirkt dieses erfolgreiche Modell quasi als regionale Unternehmensvision, an
der sich Politik, Investoren und Bürger orientieren. Zahlreiche Betriebsneugründungen beruhen auf Nischen, die in der Wertschöpfungskette erkannt wurden. Gesamtgesellschaftliche
und individuelle Bildungs- und Infrastrukturentscheidungen werden durch diese übergreifende Idee zielgerichtet beeinflusst. Die Orientierung an der Wertschöpfungskette zeichnet
ein klares plastisches Bild der Zukunft und dient als Leuchtfeuer für die Zukunftsroute der
regionalen Entwicklung.
Positive Bevölkerungsentwicklung
sichert hohes Arbeitskräftepotenzial
Seit vielen Jahrzehnten werden im Oldenburger Münsterland
durchgehend mehr Kinder geboren als Sterbefälle registriert,
ein Trend der bundesweit seit den 1970er Jahren nicht mehr
zutrifft.19
Die atypische demografische Entwicklung zeigt sich auch
darin, dass die Bevölkerung im Oldenburger Münsterland
allein in den Jahren 2000 bis 2010 um 6,3 Prozent gewachsen
ist. In der ersten Jahreshälfte 2011 wurde sowohl ein geringer
Geburtenüberschuss als auch ein positiver Wanderungssaldo
festgehalten.20 Des Weiteren waren im Oldenburger Münsterland im Jahr 2006 rund 26 Prozent der Bevölkerung 20
Jahre und jünger (Deutschland: 19 Prozent) und nur 15 Prozent über 65 Jahre alt (Deutschland: 20 Prozent).21
Vor diesem Hintergrund wird für diese Region auch für die
folgenden Jahre ein Bevölkerungswachstum prognostiziert, in
dessen Folge der Landkreis Cloppenburg langfristig über eine
relative junge Bevölkerungsstruktur und damit über ein
überdurchschnittliches Arbeitskräftepotenzial verfügen wird.
Quelle: iStockphoto LP
Dennoch gilt es auch, weitere Arbeitskräftepotenziale zu erschließen. So ist es z. B. sehr
erfreulich, dass es trotz eines bislang sehr geringen öffentlichen Betreuungsangebots für
Kinder auch im Oldenburger Münsterland inzwischen besser gelingt, Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Im Jahr 2006 waren 66 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 65
Jahren in Arbeit oder arbeitssuchend, was knapp über dem Bundesdurchschnitt liegt und
gegenüber dem Jahr 1995 einem Zuwachs von 16 Prozent entspricht (bundesweit im gleichen Zeitraum: -3 Prozent).22 Neben der Gruppe der Frauen und den Älteren spielen in diesem Zusammenhang für das Oldenburger Münsterland vor allem auch Personen mit Migrationshintergrund eine wesentliche Rolle, wie nachfolgende Ausführungen zeigen.
18
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 8.
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 7.
20
Vgl. www.lskn.niedersachsen.de.
21
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 7.
22
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 8f.
19
5
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
Hohe Leistungs- und Integrationsfähigkeit
durch nachhaltige Wert- und Familienorientierung
Die Bevölkerung des Oldenburger Münsterlands kann tendenziell als bodenständig charakterisiert werden. Eigenheim, Großfamilie, enge nachbarschaftliche Bindungen und regionale
Netzwerke sowie eine geringe Abwanderungsneigung zeugen von einer starken Verwurzelung in der Heimat.23
Gerade auch die über 40.000 Flüchtlinge und
Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen
Ostgebieten, die nach dem zweiten Weltkrieg in der Region angesiedelt wurden,24
teilten die traditionellen Grundwerte der
Bevölkerung des Oldenburger Münsterlandes in weitem Umfang. Auf der Basis dieses
gemeinsamen Werteverständnisses, einer
raschen Aufnahme in den hiesigen Arbeitsmarkt, den Bau von Eigenheimen und die
Mitwirkung in den örtlichen Vereinen gelang
ein rasche und dauerhafte Integration.25
Quelle: iStockphoto LP
Diese positive Erfahrung trug auch dazu bei, dass die zweite Zuwanderungswelle Ende der
1980er/Anfang der 1990er Jahre mehr oder weniger erfolgreich gemeistert wurde. Binnen
weniger Jahre wurden rund 20.000 Aus- und Übersiedler aus Osteuropa und der ehemaligen
Sowjetunion im Oldenburger Münsterland aufgenommen. Die hohe Eigentumsquote sowie
stabile Familiensysteme und Freundeskreise führen bei den Spätaussiedlern inzwischen zu
einer ebenso geringen Bereitschaft, das Oldenburger Münsterland zu verlassen und zu enger
Verbundenheit zur Region, wie bei der hier geborenen Bevölkerung. Bis heute sind Politiker
und Unternehmer dankbar für diesen Zuzug von strebsamen Arbeitskräften, der half, den
erhöhten Arbeitskräftebedarf der Region zu decken.26
Niedrige Lebenshaltungskosten
als regionaler Wettbewerbsvorteil
Im bundesweiten Vergleich der Einkommensteuerkraft belegte der Landkreis Cloppenburg
im Jahr 2007 ebenso einen unterdurchschnittlichen Platz wie der Landkreis Vechta. Jüngste
Ergebnisse aus dem Jahr 2009 zeigen, dass die Arbeitskosten je Arbeitnehmer sich im Kreis
Cloppenburg auf 27.636 Euro belaufen. Im Bundesmittel liegen diese Kosten, die sich aus
dem Bruttolohn beziehungsweise -gehalt und den Sozialversicherungsbeiträgen zusammensetzen, bei 31.846 Euro.27
Die Beschäftigten im Oldenburger Münsterland akzeptieren diese niedrigeren Nominaleinkommen, die Ansiedlungsanreize für Unternehmen sind vor allem, da das Preisniveau – ins-
23
Vgl. von Laer 2002, in OM Jahrbuch 2002, S. 293.
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 20.
25
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 36.
26
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 26 und 35f.
27
Vgl. www.insm-regionalranking.de.
24
6
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
besondere bei Kosten für Wohnraum – niedriger ist und somit wesentlich höhere Reallöhne
und ein besserer Lebensstandard als in anderen Regionen erzielt werden können. 28
So zeigt sich im Vergleich zwischen den Lebenshaltungskosten in Hamburg und einer zentralen, städtischen Lage im Oldenburger Münsterland, dass die jährlichen Lebenshaltungskosten in unserer Region um rund 45 Prozent niedriger lagen.29 Im Jahr 2009 lag der Unterschied noch zwischen 35 und 40 Prozent.30
Starke Zivilgesellschaft
gleicht Infrastrukturdefizite aus
Als ländliche Region steht das Oldenburger Münsterland insbesondere beim öffentlichen Personennahverkehr und populären Kultur- und Kunstereignissen vor
Herausforderungen, die sich vor allem aufgrund der
Zersplitterung der Nachfrage an der Grenze von
Wunsch und Wirtschaftlichkeit ergeben.
Quelle: iStockphoto LP
„Sicher ist, dass im Westen Niedersachsens ein ganz spezieller Menschenschlag
zuhause ist, der traditionell die Dinge selbst in die Hand nimmt und sich nicht auf
Andere verlässt. (…) Die Menschen haben gelernt, aus Wenig Viel zu machen und
mit einfachen Mitteln zu überleben.“31
Familiäre Unterstützung und Nachbarschaftshilfe spielen dabei für das Sozialkapital der Region eine ebenso wichtige Rolle wie das ehrenamtliche Engagement in Sport-, Heimat- und
Kulturvereinen, in den Kirchen und Verbänden. Gerade in Zeiten, in denen sich der Staat aus
diesen Aufgaben zurückzieht, sind diese sozialen Potenziale und besonderen Fähigkeiten der
Bewohner von besonderer Bedeutung.32
Exemplarisch für dieses private Engagement ist die hohe Betreuungsquote der Kleinkinder in
den Familien. Diese Form der Betreuung erfährt weiterhin eine hohe Wertschätzung, wird
als gleichwertig mit einer Erwerbsarbeit angesehen und gleicht das nur in geringem Maße
zur Verfügung stehende öffentliche Angebot aus.33
Im Oldenburger Münsterland sind nach einer Umfrage des Berlin-Instituts darüber hinaus
80 Prozent der Bevölkerung, unabhängig von Geschlecht und Alter, gemeinschaftlich aktiv.
Dies entspricht einem um 20 Prozent höheren Anteil als im Bundeschnitt. Für rund 75 Prozent ist das bürgerschaftliche Engagement ein zentraler Teil im Leben. Wichtigste Orte für
das freiwillige Engagement sind die Familie, Vereine und kirchliche Einrichtungen. Dabei stehen die Themen Familien- und Bildungsarbeit, Sport und Bewegung, Freizeitaktivitäten sowie Kultur und Musik im Mittelpunkt.34 Die entsprechenden Defizite des ländlichen Gebiets
in diesen Bereichen lassen sich so zum Teil ausgleichen.
28
Vgl. von Laer 2002, in OM Jahrbuch 2002, S. 293.
Vgl. Schwerdtfeger 2004, in OM Jahrbuch 2004, S. 285.
30
Vgl. OM 2011, S. 74.
31
Klingholz 2009, in Glander/Hoßmann 2009, S. 5.
32
Vgl. Klingholz 2009, in Glander/Hoßmann 2009, S. 5.
33
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 9 und 29f.
34
Vgl. Glander/Hoßmann 2009, S. 33f.
29
7
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
Fazit
Das Oldenburger Münsterland hat sich zu einer besonders erfolgreichen ländlichen Region
entwickelt. Die Grundlage dieses Erfolgs liegt vor allem in der besonderen Werthaltung und
den spezifischen Kompetenzen, die die Bevölkerung auszeichnen und deren Zusammenspiel
die folgenden sieben Entwicklungsstränge ermöglicht haben:
1. Kleine und mittlere Familienunternehmen als Garanten einer sozialen
Marktwirtschaft
2. Hohe wirtschaftliche Dynamik und Innovationskraft, trotz vergleichbar
geringer Hochqualifizierten-Quote
3. Bündelung von Wertschöpfungsketten verringert Konjunkturabhängigkeit und dient als regionale Unternehmensvision
4. Positive Bevölkerungsentwicklung sichert hohes Arbeitskräftepotenzial
5. Hohe Leistungs- und Integrationsfähigkeit durch nachhaltige Wert- und
Familienorientierung
6. Niedrige Lebenshaltungskosten als regionaler Wettbewerbsvorteil
7. Starke Zivilgesellschaft gleicht Infrastrukturdefizite aus.
Sollte es gelingen, die Grundpfeiler dieses Erfolgsmodels in Zukunft zu retten und auch weiterhin erfolgreich an die sich wandelnden Herausforderungen anzupassen, wird sich die positive Entwicklung des Oldenburger Münsterlands fortsetzen lassen. Zentrale Herausforderungen werden dabei auch in dieser Region im demografischen Wandel, in den steigenden
ökologischen Anforderungen, im technischen Fortschritt und im globalen Wettbewerb liegen. Hoffen wir, dass das Oldenburger Münsterland die Chancen erhält, seine traditionellen
Stärken in Bezug auf diese Herausforderungen zu nutzen und passgenaue Lösungen zu finden. Die Chancen hierfür stehen gut.
8
Geschäftsmodell „Oldenburger Münsterland“
Literatur/Quellen
DEEBEN 2011, IN OM JAHRBUCH 2011: K. Deeben: Die Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre
Auswirkungen im Oldenburger Münsterland. In: Heimatbund für das Oldenburger Münsterland (Hrsg.): Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 2011, 60. Jg., S. 188 - 195, Cloppenburg 2011.
GLANDER/HOßMANN 2009: Berlin-Institut (Hrsg.), M.L. Glander, I. Hoßmann: Land mit Aussicht
– Was sich von dem wirtschaftlichen und demografischen Erfolg des Oldenburger Münsterlandes lernen lässt. Berlin 2009.
KLINGHOLZ 2009, IN GLANDER/HOßMANN 2009: R. Klinkholz: Massiv unterschätzt: Die Zukunft
auf dem Lande. In: Berlin-Institut (Hrsg.), M.L. Glander, I. Hoßmann: Land mit Aussicht – Was
sich von dem wirtschaftlichen und demografischen Erfolg des Oldenburger Münsterlandes
lernen lässt. S. 4f, Berlin 2009.
OM 2011: Verbund Oldenburger Münsterland (Hrsg.): fakten 2011 – Das Kompendium des
Verbundes Oldenburger Münsterland. Vechta 2011.
SCHWERDTFEGER 2004, IN OM JAHRBUCH 2004: C. Schwerdtfeger: Gedanken zu einer Qualifizierungsoffensive für das Oldenburger Münsterland. In: Heimatbund für das Oldenburger
Münsterland (Hrsg.): Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 2004, 53. Jg., S. 282 - 291,
Cloppenburg 2003.
VON LAER 2002, IN OM JAHRBUCH 2002: H. von Laer: Das Oldenburger Münsterland
– eine
moderne Industrie-Region. In: Heimatbund für das Oldenburger Münsterland (Hrsg.): Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland 2002, 51. Jg., S. 286 – 318, Cloppenburg 2001.
INTERNETQUELLEN: www.insm-regionalranking.de
www.lskn.niedersachsen.de
Der Autor
Dr. Michael Hoffschroer zog nach Abitur und Ausbildung zum Sparkassenkaufmann in der emsländischen Heimat zum Studium nach
Köln.
Dort wurde er zum Diplom-Handelslehrer ausgebildet und forschte
als Wirtschaftspädagoge beim Forschungsinstitut für Berufsbildung
im Handwerk an der Universität zu Köln. Hier promovierte er auch
2009 zum Thema Berufsbildungsberatung in handwerklichen Bildungszentren.
Nach einer weiteren beruflichen Station beim Zentralverband des Deutschen Handwerks
übernahm er 2010 die Geschäftsführung der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg.
Dr. Hoffschroer ist 40 Jahr alt und verheiratet.
Dieser Artikel wurde im Februar 2012 von der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg herausgegeben.
Abdruck und Vervielfältigung nur nach Genehmigung bzw. unter Nennung der Quelle.
9
Herunterladen