Ein Wettbewerbsvorteil nur für die öffentliche - nexus

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Führung + Management
Legitimation durch Bürgerbeteiligung
Ein Wettbewerbsvorteil nur für
die öffentliche Wirtschaft?
Öffentliche Unternehmen interessieren sich zunehmend für eine Einbeziehung der Bürgerschaft. Ihre
Beteiligung, so das Argument dieses Aufsatzes, kann dabei zu einer zusätzlichen Legitimationsquelle
werden, die zum Beispiel wirksam wird, wenn die öffentliche Wirtschaft nicht mit Preisen konkurrieren
kann oder will. Im Folgenden wird ein Überblick über diese Art von Throughput-Legitimation und
verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten gegeben. Letztlich steht dabei die Frage im Raum, ob nicht auch
private und grüne Stromunternehmen davon profitieren könnten.
Im Stromsektor ist die Diskussion über eine
Beteiligung der Bürgerschaft im Kontext
von Rekommunalisierungen entstanden.
In [1] wurde bereits über die Stadtwerke in
Stuttgart berichtet. Nun geht es darum, die
Diskussion fortzusetzen. Anders als noch
vor zehn Jahren, wird bei Rekommunalisierungen von sozialen Bewegungen nicht
nur ein Zurück zur Kommune gefordert,
sondern auch eine Mitsprache in den neu
entstehenden Unternehmen. Am weitesten mag dabei die Forderung des Berliner
Energietischs gehen, der per Volksentscheid
ein Gesetz verabschieden wollte, das die
Direktwahl des Aufsichtsrats durch die
Bürgerschaft vorsah. Doch auch wenn das
Referendum letztlich nicht erfolgreich war,
so hat es doch eine Diskussion angestoßen.
Denn in Hamburg hat zum Beispiel jetzt der
Senat – in Diskussion mit verschiedenen
Akteuren – einen Entwurf für einen Beirat
vorgelegt, als Reaktion auf die dortige Rekommunalisierung des Netzbetriebs. Partizipation scheint somit ein Trend zu werden.
Was aber genau ist ihr Vorteil? Und wieso
werden solche Forderungen gestellt?
Zusätzliche Legitimation
Kommunale Unternehmen stehen unter
besonderen Partizipationserwartungen,
weil in den Rathäusern Bürgerbeteiligung
mittlerweile weit verbreitet ist. Beispiele
sind unter anderem bei der Stadtplanung
zu finden, aber auch bei der Diskussion
über den öffentlichen Haushalt. Kommunale Unternehmen entziehen sich, zumindest wenn sie als GmbH organisiert
sind, zunächst dieser Entwicklung. Denn
Aufsichtsräte müssen per Gesetz unter
Ausschluss der Öffentlichkeit tagen und
Anfragen nach Informationen stehen oft
der Verschwiegenheitspflicht entgegen.
Dabei kann Bürgerbeteiligung, so zeigen
es die Erfahrungen der Verwaltung, zu
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Input
Throughput
Output
Öffentliches
Unternehmen
Auftrag
Leistungen
42962.1
Bild 1. Legitimationsquellen öffentlicher Unternehmen
einer besonderen Legitimation führen:
Einfach durch das Beteiligtsein, das Mitmachen-Können, kann eine verfahrensbezogene Legitimation entstehen. Die
Sozialforschung spricht hier von einer
Unterstützung, die im Folgenden als
Throughput-Legitimation bezeichnet wird.
Diese Legitimation kann in öffentlichen
Unternehmen zwischen der Input-Legitimation des demokratischen Auftrags
der Gemeindevertretung und der Output-Legitimation der Leistungen verortet
werden (Bild 1). Zu letztgenannten zählen
auch die (Strom-)Preise. Die Hypothese der
Throughput-Legitimation besteht darin,
dass zwar Preise und Leistungen weiterhin die wichtigsten Gründe sind, weshalb sich Kunden für ein Unternehmen
entscheiden. In bestimmten Fällen oder
für bestimmte Gruppen kann Beteiligung
jedoch ein zusätzliches relevantes Kriterium sein; zum Beispiel dann, wenn alle
Unternehmen den gleichen Preis bieten,
einige jedoch darüber hinaus durch eine
Mitsprache ihre Attraktivität erhöhen.
Kundenbeiräte für interessierte
Einzelkunden
Ein Beispiel für die Wirkung der Throughput-Legitimation ist bei den Stadtwerken
in Münster zu finden. Sie haben in den
vergangenen Jahren mehrfach zu einem
Kundenforum eingeladen. Beim ersten
Aufschlag im Jahr 2011 wurden ausdrücklich Kritiker angesprochen, wozu
unzufriedene Bürger sowie Journalisten
gehörten, die die Stadtwerke regelmäßig
in schlechtem Licht dargestellt hatten. An
den Kundenforen können darüber hinaus
alle interessierten Bürger teilnehmen und
ihr Anliegen vorbringen. In manchen Fällen lädt das Unternehmen zu speziellen
Themen ein, um sich Rückmeldung zur
Verbesserung seiner Produkte einzuholen, wie zum Nahverkehrsangebot. In
Münster haben solche offenen Gespräche
für Klärung gesorgt. Die Wirkung lässt
sich anhand der Äußerung eines Teilnehmers veranschaulichen: »Die Veranstaltung, der Rahmen, die Vorbereitung und
die Bereitschaft der Stadtwerkevertreter,
sich der Kritik zu stellen, fand ich äußerst
zufriedenstellend.«
Die Throughput-Legitimation der Beteiligung hat also zur Verbesserung des Rufs
der Stadtwerke beigetragen. Für öffentliche Kritik wurde ein Kanal des Umgangs
gefunden, der dazu geführt hat, dass
Auseinandersetzungen in den Medien
nachgelassen haben.
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Für öffentliche und auch für
private Unternehmen ist die
Reputation vor allem dort, wo
sich Kunden ihren (Strom-)Anbieter selbst wählen können,
viel wert. Kundenforen haben
nicht zuletzt deshalb eine rege Verbreitung gefunden.
Münster ist kein Einzelfall –
und auch private Stromanbieter wie Vattenfall und Eon
haben solche Beteiligungsinstrumente – mal ist es ein
fester Kreis von Bürgern, mal
sind es öffentliche Veranstaltungen wie in Münster.
Allerdings ist festzustellen,
dass sich Bürgerinitiativen
wie die Energietische in Berlin und Hamburg nicht mit
einem Kundenbeirat zufrieden geben. Eine wichtige Erkenntnis lautet also, dass eine
Throughput-Legitimation der
Beteiligung nur wirksam sein
kann, wenn das Verfahren von
der einzubeziehenden Zielgruppe anerkannt wird. Im
Fall der beiden Großstädte
fordern die Initiativen eine
weitergehende Beteiligung.
Inwiefern ist das möglich?
Bürgerinitiativen in
den Aufsichtsrat?
Den sozialen Bewegungen,
also den Bürgerinitiativen,
geht es oft darum, Überschüsse der Unternehmen für die
Energiewende einzusetzen,
wobei sie Stadtwerke als Mittler zwischen den verschiedenen betroffenen Akteuren
sehen. Um einen derartigen
Einfluss ausüben zu können,
wird die Forderung nach einer
Vertretung im Kontrollgremium gestellt. Erfahrungen
wurden damit außerhalb des
Stromsektors bereits im Wassersektor gesammelt, vor allem in Frankreich, wo es einen
Wettbewerb im Markt gibt.
Bei den Pariser Wasserbetrieben sind Umweltverbände und Verbraucherschutzinitiativen mit Stimmrecht im
Kontrollgremium vertreten.
Darüber hinaus gibt es einen
Beirat, hier Observatorium
genannt, in dem strategische
Fragen mit einer breiteren
Öffentlichkeit erörtert werden. Damit die Diskussion
das Kontrollgremium erreicht, ist der Vorsitzende
des Beirats dort ebenfalls
vertreten. Diese Strukturen
wurden von der damaligen
Wasserbeigeordneten, Anne Le Strat, geschaffen, die
in Paris die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe
maßgeblich vorangebracht
hat. Sie berichtet davon, dass
Bürger eine neue Perspektive
in das Kon­trollgremium einbringen. Dies wird auch von
der konservativen Opposition
bestätigt. Die ehemaligen
Privatisierungsbefürworter,
die ebenfalls in das Beteiligungsmodell einbezogen
sind, stellen das öffentliche
Unternehmen nicht mehr infrage, worin sich die Wirkung
der Throughput-Legitimation
zeigt.
In Deutschland ist es bei vielen Stadtwerken heute schon
üblich, dass neben Mitgliedern des Gemeinderats Vertreter aus der Wirtschaft im
Aufsichtsrat sind. Hier könnten prinzipiell weitere Sitze
an lokale Gruppen vergeben
werden, was bisher allerdings
nur zögerlich aufgegriffen
wird, obwohl hier ein großes
Potenzial liegt. Privatunternehmen hingegen dürften
sich schwertun, Bürgerinitiativen und Umweltverbänden
ein Stimmrecht zu geben, weil
dies weniger Einfluss für ihre
Anteilseigner bedeuten würde. Damit könnte ein grundlegender Wettbewerbsnachteil
für die Privatwirtschaft entstehen. Die Frage ist demnach,
inwiefern auch sie Bürgergruppen einbeziehen können,
um von der Beteiligungslegitimation zu profitieren.
Projektfonds als Alternative
Der Tu-Watt-Beirat der Stadtwerke Norderstedt ist eine
Möglichkeit, die auch für private Unternehmen, vor allem
aus der Ökostrombranche,
interessant sein könnte. Hier
hat der Beirat eine Mitsprache
über die Verwendung von
Geldern, mit denen Projekte
der lokalen Energiewende
gefördert werden. Um den
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Zielgruppe ist entscheidend
Geschäftsführung
Vorstand
des Beirats
Empfehlung an den
Werkausschuss
1 Mio. € Sockelbetrag
1 000 € je Kunde
rund 1,8 Mio. € (2014)
Vorschläge
alle Kunden des Tu-Watt-Tarifs
Bild 2. Tu-WattBeirat Norderstedt
42962.2
Ökostromtarif Tu-Watt für Neukunden
attraktiv zu machen, wurde er mit einem
partizipativen Projektbudget verbunden:
1 Mio. € bilden den Grundstock, weitere 1 000 € werden je Kunde ergänzt, inzwischen sind es rund 1,8 Mio. €. In
Norderstedt können alle Kunden an der
Vollversammlung des Tu-Watt-Beirats
teilnehmen (Bild 2). Dort werden die Sprecher gewählt, die sich regelmäßig mit der
Werksleitung treffen, um Projekte wie
Blockheizkraftwerke und Smart-Grid-Lösungen, aber auch Bildungsmaßnahmen
für Jugendliche und Kinder auszuarbeiten. Die Vorschläge werden dem Werksausschuss, dem offiziellen Kontrollgremium des Eigenbetriebs, zur letzten
Entscheidung vorgelegt.
Der Ansatz von Norderstedt könnte durchaus Schule machen. Die Frage lautet, ob
für einen solchen Fonds auch Gruppen
wie die Energietische in Hamburg oder
Berlin für eine Mitarbeit gewonnen werAnzeige
den könnten. Schließlich besteht hier die
Möglichkeit, über Investitionen mitzuentscheiden. Der Einfluss der Bürgerseite
kann dabei variabel gestaltet werden: In
Norderstedt ist es ein Erörterungsprozess zwischen Unternehmensleitung
und den Sprechern des Beirats. Aber es
wäre durchaus möglich, einen Fonds für
Mieterstromprojekte, Kleinproduktionen
und Bildungsmaßnahmen zur Verfügung
zu stellen. Der Beirat kann zudem eine
Chance sein, auch strategische Entscheidungen mit einem breiteren Akteurskreis
zu diskutieren, ähnlich wie beim Wasserobservatorium in Paris.
In gewisser Weise leistet der Projektfonds
in Norderstedt auch das, was bei anderen Unternehmen durch das Sponsoring
abgedeckt wird. Durch partizipative Diskussion über die Verwendung der Gelder
könnte jedoch über die Werbewirkung
des klassischen Sponsorings hinaus eine
Beteiligungslegitimation entstehen.
Die angeführten Beispiele zeigen, dass
durch Beteiligung eine zusätzliche Legitimation beziehungsweise ein gesellschaftlich verankerter Rückhalt für das Unternehmen entstehen kann. Entscheidend
dabei ist, dass das Verfahren von den Teilnehmenden akzeptiert wird. In vielen Fällen mögen Kundenforen wie in Münster
eine gute Lösung sein. Dort, wo es jedoch
engagierte Umweltverbände, Bürgerinitiativen oder Bürgergenossenschaften gibt, könnte die Einführung weiterer
Partizipationsformen interessant sein.
Diesen Gruppen kann eine Vertretung
im Kontrollgremium angeboten werden,
womit in der französischen Hauptstadt
gute Erfahrungen gemacht wurden. Ein
Projektfond, abgeleitet aus dem Beispiel Norderstedt, könnte eine weitere
Option – auch für die Privatwirtschaft –
sein. Durch ein engagiertes und gut geführtes Partizipationsprojekt wird auf
jeden Fall die öffentliche Aufmerksamkeit
erhöht. Es bleibt also spannend, wer als
Erstes in großem Stil die Beteiligungsidee
aufgreift, um sein Unternehmen durch
eine Beteiligungslegitimation zusätzlich
zu stärken.
Literatur
[1] Interview mit Michael Maxelon:
Bürgernahes Stadtwerk für die Region
Stuttgart: Start auf der grünen Wiese.
ew Jg. 114 (2015), Spezial IV/2015, S. 6 – 9.
[2] Herzberg, C.: Legitimation durch
Beteiligung – Stadt- und Wasserwerke in
Deutschland und Frankreich. Hamburg,
VSA, ISBN 978-3-89965-670-1.
Dr. Carsten Herzberg,
Politikwissenschaftler und
Beteiligungsexperte,
Nexus Institut für
Kooperationsmanagement
und interdisziplinäre
Forschung GmbH, Berlin
>>[email protected]
>>www.bb-ec.net
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