Wetterbaum und Holderbusch

Werbung
______________________________________ Samstag, 23. Juli 2011 __________________________________________
Wetterbaum und Holderbusch
Die Appenzeller Gartenkultur ist vom Aussterben bedroht. Der Landschaftsarchitekt Roman
Häne kämpft dafür, dass die Gärten Anerkennung erhalten und nicht komplett verschwinden.
Eigentlich gibt es im Appenzellerland keine richtigen Gärten. Rund
um traditionelle Appenzellerhäuser
sieht man keine gepützelten Rasen
und perfekt gestutzte Hecken.
Dennoch haben sich in der Kulturlandschaft der beiden Appenzell
einige typische Gartenelemente
etabliert: der Trüeter, das Strussgstell, der Wetterbaum oder der
Pflanzblätz. Doch diese Appenzeller
Gärten sind vom Aussterben bedroht. Mit den Neuzuzügern steigt
auch das Bedürfnis nach Erholungszonen, die durch künstliche
Terrainveränderungen geschaffen
werden.
Keine Gartenkultur?
Der Landschaftsarchitekt Roman
Häne hat sich für seine MasterArbeit mit dem Phänomen der
Appenzeller Gärten auseinandergesetzt: «Die Appenzellerhäuser sind
weltberühmt, aber niemand hat
sich bisher mit der Landschaft um
sie herum beschäftigt», sagt Häne.
«Viele Appenzeller meinen sogar,
sie hätten keine Gartenkultur.» Um
Aufklärungsarbeit zu leisten,
machte sich der Waldstätter mit
Skizzen und alten Bildern auf, die
Gartentradition im Appenzellerland
zu entdecken – in Appenzell wurde
er fündig.
Neben dem Haus zur Bleiche, das
im 16. Jahrhundert entstand, trifft
er auf traditionelle Appenzeller
Gärten. Das eingezäunte Geviert
vor der Bleiche steht an ursprünglicher Stelle – nahe beim Haus.
Darin wachsen Nutzpflanzen, Gemüse und heute auch Blumen.
«Blumenstöcke oder wertvolle Heilkräuter stellte man im Strussgstell
vor dem Stubenfenster zur Schau»,
erklärt Roman Häne. Früher waren
Blumen ein Luxusgut. Einfache
Bauern konnten sie sich nicht
leisten. «Sogar die Blumen auf dem
Hut der Appenzeller Tracht sind
seit jeher aus Papier», sagt der
Landschaftsarchitekt.
Auf der Nachbarliegenschaft von
etwa 1930 steht eine mächtige
Linde als Wetterbaum neben dem
Haus. Oft waren es auch Eschen
oder Ahornbäume, da ihr Holz für
Möbel oder die Blätter als Futter
für die Tiere genutzt wurden. Ansonsten dienten sie als Blitzableiter. Diese Funktion konnten auch
die spitzen Blätter des kakteenähnlichen Hauswurz übernehmen. Ein
solcher wächst unauffällig auf dem
Brunnen vor dem Haus zur Sonne,
ebenfalls in Appenzell. Auf Darstellungen aus dem Jahr 1880 war der
Wurz bereits an dieser Stelle. «Das
könnte sogar ein und dieselbe
Pflanze sein, denn sie braucht
keinerlei Pflege», sagt Häne.
Da man früher jeden Quadratmeter
Wiese fürs Heu brauchte, wurden
die Gartenelemente dicht ans Haus
gebaut. Dort waren die Obstbäume
des Trüeters (einer Art Spalier), die
Blumen im Strussgstell oder der
Holderbusch hinter dem Haus
auch von Wind und Wetter geschützt.
Die Landschaft passend machen
Heute verlieren die traditionellen
Gartenelemente zunehmend ihre
Bedeutung, da Komfort und Freizeitnutzung der Landschaft vor
dem Haus im Vordergrund stehen.
Rund um neue Einfamilienhäuser
werden Rasenflächen begradigt,
kugelige Buchsbäumchen gepflanzt
und moderne Gartensitzplätze
eingerichtet. Man passt sich nicht
mehr der Appenzeller Landschaft
an, sondern macht sie passend.
Glücksfall durch Zufall
In Gais wurde Häne dennoch auf
eine Symbiose von alt und neu
aufmerksam: Ein junges Paar hat
ein altes Bauernhaus renoviert und
den Garten neu gestaltet. Obwohl
dieser Pflanzblätz nur drei Jahre
alt ist, blieb man der Struktur des
traditionellen Gevierts treu. Kräuter, Salat und Blumen stehen
hinter dem Holzzaun, und ein
Sitzplatz wurde harmonisch integriert. «Dies ist ein Glücksfall, der
durch Zufall entstanden ist», sagt
Roman Häne, «dem Paar fehlte
unter anderem auch das Geld, das
Gartengelände zu begradigen.»
von Katrin Meier
Herunterladen