Gidel, den 19.11.15 Die Geschichte des Krankenhauses Erinnern

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Gidel, den 19.11.15
Die Geschichte des Krankenhauses
Erinnern Sie sich noch an Asterix und Obelix? Und an den Mann im Ausguck des Piratenkonnte? Er und auch sein Bruder (Asterix und Cleopatra?) kamen von hier, von den NubaBergen: klassisches Herkunftsland für gute Sklaven, der Antike, des Mittelalters und auch
der Neuzeit. Es ist immer noch der Konflikt der Jahrtausende, der den Sudan (Kusch =
Sudan, Salomo, 950 v.Chr.) geteilt hat und immer noch teilt. Im Norden die Sklavenjäger,
im Süden die Beute.
Daran hat auch die Berliner Konferenz 1880, als Afrika zwischen den Kolonialmächten aufzugesprochen wurde, nichts verändert. Der Aufstand des Mahdi 1889 (er kam selber auch
aus dieser Gegend unweit von Gidel, das Gemetzel wurde vom damaligen jungen Kriegsreporter Winston Churchill eindrücklich beschrieben) errichtete kurzfristig ein Kalifat, der
unter seinem Nachfolger wieder 1898 von den Engländer zurückerobert wurde.
Erst 1956 erlangte das Land erneut seine Unabhängigkeit, und wird seit 1989, also nach
genau 100 Jahren, von dem neuen Erlöser, Diktator al-Baschir, mit harter Hand regiert.
Mittlerweile wusste sich der Süden zu schützen und gründete bereits 1983 die SPLM, was
dann durch Aktion und Gegenreaktion zu einem immerwährenden Bürgerkrieg (bis zum
Waffenstillstand 2005) mit Millionen Internal Displaced People geführt hat, vor allem in
den Westen des Landes. In einem Zeltlager habe ich damals einen Monat lang mit der
etr
Es wurde
danach versucht, eine gemeinsame Regierung zu machen. Was aber nicht zusammengehört, kann nicht zusammenwachsen. 2011 wurde das Land schließlich geteilt, offiziell
am 9. Juli.
Die Grenze wurde willkürlich gezogen, die Regionen Nuba Mountains, Abyej und Blue Nile
erst gar nicht gefragt, keine Lobby. Sie gehören nun auf den Landkarten zum Norden, sind
Beute! (Damit sind erstmal die Menschen gemeint im Sudan ist der
Sklavenmarkt noch aktiv - aber vor allem auch mögliche Bodenschätze, um die sich die
bekannten Player streiten und an die al-Baschir verkauft). Ein paar Tage vor dem Abkommen wurden Flugzeugangriffe auf diese Gegend gemacht, die Leute hier mobilisierten ihre
alten Uniformen und Waffen, und es entstand wieder einmal der Status quo eines Waffenstillstandes ohne Gewähr.
Jedes Jahr werden ein paar Angriffe geflogen, zuletzt mit ein paar alten Antonovs aus dem
20 Flugminuten entfernten El Obeid im Juni 2015 (davon zeugen auch noch die in den
Boden gegrabene Löcher um das Krankenhaus herum, in die man sich flüchten kann, wenn
das wieder passiert), die Grenzen nach Norden sind dicht, keine Verwaltung, keine Unterund auf dem Weg von Yida bis hierher haben wir wohl 20 bis 30 Straßensperren passiert,
aber sonst wird nichts getan. Gar nichts.
Ganz Nubamountains? Nicht ganz. Ein kleines Krankenhaus leistet Widerstand gegen die
Hoffnungslosigkeit. Seit 2008 hat
eine halbe Million Menschen hier) eine Gesundheitsarbeit aufgebaut, das Mother-ofMercy-Hospital. Alle Materialien wurden vom Süden eingeflogen, bis 2011 in die Nähe,
danach nur bis Yida, und von dort mit LKWs durch das Gelände transportiert.
Das Personal wurde aus anderen
kirchlichen Häusern aus Kenia und
vor allem Uganda rekrutiert, auch
der ärztliche Direktor Dr. Tom
Catena war von Anfang an dabei.
Es wurden zunächst einzelne
Internierungseinheiten und der OP
Trakt fertiggestellt, dann kamen
andere Abteilungen dazu,
Kooperationen mit anderen
Hilfsorganisationen, Tuberkuloseprogramm und Lepraprogramm
wurden standardisiert.
Durch das Netzwerk der Kirche ist es möglich geworden, trotz der mangelnden Ressourcen
die Patientenströme so zu lenken, dass die Sonderveranstaltungen wie Augenarzt (2 x pro
Jahr für 3 Wochen, jeweils 300 OP) oder Prothesenversorgung (2 x pro Jahr für 2 Wochen,
15 pro Tag) sowie die kontrollierte Gabe der Medikamente für Tuberkulose und Lepra nach
Plan laufen können.
Der normale Tagesbetrieb wird hauptsächlich von den Clinical Officers durchgeführt, dazu
ein Heer von Angestellten, die muss man so sagen für wenig Lohn und viel Engagement versuchen, Barmherzigkeit zu üben, so wie es der Name des Krankenhauses schon
sagt. Selbstverständlich läuft nicht alles gut hier.
Durch die Überbelegung der
Betten kommt es täglich zu
Engpässen, wobei man das
auch wörtlich nehmen muss;
es fällt einigen Leuten
schwer, Verantwortung zu
übernehmen oder auch abzugeben; die Präventivarbeit
ist unterbesetzt, da sie von
der Bevölkerung nur zögerlich angenommen wird (Wer
ändert auch schon gerne
seine Gewohnheiten, würde
uns genauso gehen) und vor
allem für die Spender und Sponsoren nicht attraktiv ist. Dabei kann das ganze Projekt nur
als Ganzes gelingen.
Das ganze Unternehmen wird von Nairobi aus koordiniert und geplant, die Versorgung
sowieso. Die Ressourcen werden akribisch verwaltet, aber insgesamt werden diese
weniger und nicht mehr. Großzügige Menschen auf der Geberseite wechseln zur
Habenseite, weil sie keine Erfolge sehen. Die Kooperation mit anderen Stützpunkten und
anderen Organisationen der Umgebung läuft ohne Schwierigkeiten.
Da von Patienten nirgendwo Geld verlangt wird, ist die Korruption vernachlässigbar. Was
will mach auch schon gewinnen? Längerfristig sind die Mitarbeiter natürlich irgendwann
frustriert, da nirgendwo eine Aussicht auf Änderung ist. Man kann nicht vorwärtskommen,
wenn alle Wege dicht sind. Es ist eine Klinik im Nirgendwo (für uns!), für die Leute hier ist es
ihre Heimat, gefangen zwischen Nord und Süd, zwischen Angst und Hoffnungslosigkeit,
zwischen Kampf und Aufgabe. Ein bisschen Zaubertrank würde jetzt guttun, um bei
unserem ursprünglichen Thema zu bleiben.
22.11.2015
Nichts ist gut in Afghanistan. Was für ein Schmarrn. Theoretisch sind die Pessimisten
immer im Vorteil. Wenn sie Recht hatten, können sie stolz auf sich sein (positiv für sie),
wenn sie Unrecht haben, ist es ja noch einmal gut gegangen, also positiv für alle. Ersteres
ist theoretisch jedenfalls moralisch zumindest fragwürdig, sich am Nichtgelingen zu
erfreuen und beim Nichtrechthaben schwingt trotz des guten allgemeinen Wohlbefindens
noch ein Maß an Verliererfrust mit hinein. Es ist sicherlich nicht alles gut, weder in
Afghanistan noch in den Nuba-Bergen. Na und?
Dieser Vers aus 1. Mose 21, 17, mit der Hagar in der Wüste von Gott
selbst getröstet wird, nachdem sie von Abraham und Sarah mit ihrem Sohn Ismael verjagt
hier besonders liebevoll hin. Man muss manchmal allerding die eigene Brille abnehme oder einfach nur die
Augen aufmachen, um das auch zu sehen.
Ich habe schon so viele nette und freundliche und fähige Menschen kennengelernt, die
ohne zu murren ihren Dienst schieben, ihre Arbeit verrichten, den Kranken aufhelfen und
beistehen, ohne Gesundheitskasse, ohne DRG, ohne OP Berichte und ohne Briefe, ohne
Rentenanträge oder QM Formulare. Dabei sind wir ein Missionskrankenhaus der
Maximalversorgung, keine falsche Bescheidenheit! Es tut gut, wieder in Afrika zu sein.
Darf ich vorstellen?
Luke ist OP-Pfleger, spricht gutes Englisch, d.h. ich kann ihn verstehen (kann ja auch an mir
liegen). Heller Bursche, wollte sich seine Kamera von mir einstellen lassen (also doch nicht
ganz so hell). Hat ein gutes chirurgisch vorausschauendes Gefühl und für alles zu
gebrauchen.
Sein Kumpel Haraon, eher schweigsam und einsilbig, hat die ganze erste Woche Dienst.
Am zweiten Tag sehe ich ihn immer wieder mit kümmerlich dreinschauenden Klienten in
den OP laufen, ein kurzer Schrei, dann kommen beide wieder heraus. Es werden Zähne
gezogen. Einmal nimmt er ein paar doch zu große Zangen mit. ?? Ein Gips muss runter,
auch dafür ist er zuständig. Früher hat man das im septischen OP gemacht, aber da ist das
Augenteam drin. Wir vereinbaren, dass der große OP dafür denkbar ungeeignet ist und
draußen der Mandarinenbaum, die Veranda oder sonst ein nicht belegter Ort dafür
bestens ausreicht. Man muss nur erklären, warum das so ist. Manchmal funktioniert es.
Monday ist der Anästhesist und OP
Organisator. Ich habe gerade ein
Déjà-vu-Erlebnis. Er hat keine
formale Ausbildung. Mit dem
Halotan-Vernebler die ITNs und
ansonsten Ketamin, dabei auch
astreine Spinale gesetzt. Ich habe
selber ein paar gemacht, um wieder
in Übung zu kommen, aber er kann
das deutlich besser.
Anästhesieschwester ist hier überflüssig bzw. er ist eine. Er ist auch
für die Bluttransfusionen
verantwortlich, d.h. er scheucht die Verwandten, einen Spender zu organisieren. Eine
Einheit B+ habe ich selber schon zur Verfügung gestellt.
Morsal ist der verantwortliche Clinical Officer, ein engagierter junger Mann. Er wohnt hier
auf dem Compound des Krankenhauses und eigentlich immer im Dienst. Sie sind zu dritt
für die ODPs zuständig und sorgen dafür, dass die Warteschlangen kürzer werden. Anmeldungen werden auch schon für morgen entgegengenommen, mit Nummer und Karteikarte, die der Patient persönlich mit nach Hause nimmt und bei Bedarf wieder mitbringt. Da die meisten zu Hause eh nichts an Bücher oder Heften haben, passen sie in der
Regel gut auf die Dokumente auf. Funktioniert. Und man spart sich so das Suchen in den
Archiven.
Anna ist die Verantwortliche der Männerstation. Ebenfalls zupackend und engagiert. Eine
junge Frau, die ihre Abteilung fest im Griff hat, immer einen flotten Spruch auf den Lippen.
Die Geburtenabteilung ist ausbaufähig. Über 90 % aller Geburten finden zu Hause statt,
mit lokalen Hebammen, und ohne irgendwelche sterilen Bedingungen. Da diese allerdings
sowieso keine direkten Untersuchungen machen, ist dies nicht so schlimm, wie man es
sich vorstellt. Leider gibt es trotzdem Komplikationen, und dann ist der Transport ins
Krankenhaus schwierig. Heute (22.11.) bereits die erste Gebärmutterruptur operiert, Kind
ist tot aber der Mutter geht es so la-la.
Dr. Achmed kommt aus dem Nachbardistrikt (Dinka), Ausbildung in der Universität El
Obeid bis 2009, danach den Pflichtteil der Rotation gemacht und 2011 im Süden geblieben
und regelmäßig bei der Armee beschäftigt. War ein ganzes Jahr hier mit Dr. Tom zusammen und hat viel gelernt. Braucht noch mehr Erfahrung. Würde sich gerne chirurgisch
weiterbilden (am ehesten Kenia oder Uganda). Heute ist er im deutschen Notfallkrankenhaus von Cap Anamur, etwa eine Stunde entfernt, und hilft dort aus.
Ryan habe ich gestern kennengelernt. Er kommt aus Amerika und seine Frau aus Nubien.
Sie erwartet gerade das zweite Kind und der Vater ist sehr besorgt, ob denn auch alles im
Krankenhaus gut laufen würde. Wäre dann die erste Privatpatientin (Na ja, der Kaiserschnitt war auch schon jemand vom Staff). Er wohnt seit 13 Jahren in der Gegend und
verleiht ihr mit www.nubareports.org eine Internetstimme. Jeder ist gerne eingeladen, die
Seite zu besuchen.
Henrica kommt aus Italien, vom Lago di Como. Seit Jahren förderte sie hier und in Juba das
lokale Gemeinschaftsradio.
Sr. Angelina aus Uganda war viele Jahre Clinical Officer im Süden Sudans. Seit Beginn leitet
sie dieses Unternehmen hier als Oberin mit freundlicher und fester Hand. Auf der Knochentour von Yida (wir saßen uns gegenüber) die Fahrgemeinschaft mit lustigen Bemerkungen
aufgeheitert und selbst bei den Schlaglöchern noch im Takt gesungen. Die Obervorsitzende (eine Amerikanerin aus Indiana) war auch mit, dazu eine Stellvertreterin aus Chihuahua
in Mexico, so dass auch ein paar spanische Sätze fielen. Sie kannte auch die traditionellen
Mennoniten aus ihrer Gegend und konnte es nicht fassen, dass ich zu denen gehören
sollte. Vielleicht gehöre ich ja auch nicht zu denen.
Ingrid kommt aus Holland. Ich sagte ihr, dass unser gemeinsames Länderspiel abgesagt
wurde, wegen der Terrorgefahr, aber das interessierte sie nicht wirklich. Sie ist seit vielen
Jahren mit der Gesundheitsvorsorge beschäftigt. Es ist mühsam und anstrengend. Mittlerweile spricht sie recht gut arabisch, lässt ihre Unterlagen auch auf Arabisch dokumentieren, da immerhin einige Leute das lesen können.
Joseph, Julius, Imam, Mohammed, Francis: die Reihe ist lang. Manche Journalisten sehen
immer nur die Gallionsfigur Dr. Tom Catena, der natürlich unermüdlich für das Wohl der
Patienten sorgt, aber die viele Arbeit, die getan werden muss, wird auf viele verteilt, und es
ist mir eine Ehre, dazuzugehören.
Es gibt ein Problem mit dem Kühlschrank. Er steht seit vorgestern im Untersuchungszimmer von Dr. Tom, gerade vor dem einzig funktionierenden und mobilen Sonogerät
(stimmt auch nicht ganz, die Batterie ist tot), und hängt an einer funktionierenden Steckdose. Wahrscheinlich ist das auch die Ursache der Consultation (unser alter Kühlschrank in
Paraguay hieß auch so, Consul). Mehr Platz ist nicht im Zimmer, neben dem Tisch und den
zwei Stühlen. Ich habe jetzt drei Möglichkeiten:
1. Sonogerät auf den Kühlschrank, beide an die Wand, und dann weitermachen
2. Alle mir bekannten Uniformträger zu belangen, das Gerät zu entfernen, aber keiner weiß
wohin es hat ja auch niemand hingestellt.
3.
(er ist übrigens bis auf einen 4.-L leeren Wasserkanister leer).
Ich habe mir vorgenommen, mich diese drei Wochen über nichts aufzuregen, bin zwar
schon ein paarmal rückfällig geworden, aber immer noch auf gutem Weg und nehme also
die Möglichkeit eins. Man könnte sogar selber eine Wasserflasche hineinstellen und hätte
bei jeder Ultraschalluntersuchung noch die Möglichkeit, gekühltes Wasser zu trinken.
Sehen Sie, schon ist aus einer Krise eine Chance geworden.
Vielleicht will mich der Kühlschrank auch auf Weihnachten vorbereiten (Am Weihnachtsbaum, die Lichter brennen): Zwei Engel sind hereingetreten, kein Auge hat sie kommen
seh'n, sie gehe
wobei der zweite Teil noch aussteht. Lebkuchenherzen, Girlanden, Weihnachtsbasar, Jingle
Bells, ich vermisse es nicht. Passt irgendwie auch nicht hierher. Die arabische heitere Musik
schon eher, leider über den Handylautsprecher im Nachbarzimmer, damit alle es hören. Na
ja, gerade wurde die file gewechselt und nun ertönt ein Kirchenlied. Alle singen alles mit,
Gerade hat sich das OP Programm halbiert, weil die Blutspender nicht gekommen sind,
die Prostata und die Schilddrüse
werden auf nächste Woche verschoben. Inschallah. Dafür noch
eine Phimose dazu bekommen,
und ein paar Abszesse. Die kommen immer irgendwie dazu. An
der Schleuse wird gerade die
große Kuhglocke gebimmelt,
e
gerufen, und dann der Patient
von der jeweiligen Station abgeholt. Da es eine Schiebetür ist,
leider aber das belegte Bett Nr.
102 gerade davor im Gang steht,
muss zuerst das Bett von der
Wand geschoben werden, damit
die Tür aufgeht, dann schräg
gestellt werden, damit die
Rollbahre den Patienten aus dem
OP aufnehmen kann (beide
Liegen können nirgendwo
parallel nebeneinanderstehen),
dann mit einem Hauruck der
Patient herübergezerrt.
Meist fällt ein Bein oder Arm kurzfristig dazwischen. Zum allgemeinen Vorteil ist zu sagen,
dass ich hier außer im Spiegel noch keine einzige übergewichtige Person gesehen
habe. Zweitens haben alle Patienten bereits einen iv - Zugang, und drittens gehen sie
selbständig in den OP und legen sie selber auf den Tisch. Optimale Bedingungen. Könnte
man in D auch so einführen, das Einschleusen in 30 Sekunden, und bei Warten Film
gucken.
So, gleich ist der Saft des Laptops weg, der letzte Abszess ist eingeschleust und dann auf
zum Abendessen. Reis? Bohnen? Süßkartoffeln?
PS: war doch kein Abszess, sondern eine eingeklemmte Leistenhernie, seit drei Tagen, plus
Fieber. Nach Eröffnen des Bruchsackes bewegt sich der Darm fröhlich und erleichtert
wieder, zwar mit einer Schürfurche, aber nichts wirklich kaputt. Die Därme halten hier
mehr aus, vielleicht sind sie auch an mehr Leiden gewöhnt,
Fieber kommt von woanders.
24.11.2015
Der Kühlschrank ist weg
Heute früh kam ich gleich morgens in den Sono-Raum (ok, das Sprechzimmer, Besprechungszimmer, Archiv für TBC und Leprapatienten, usw.) und mein Kühlschrank ist weg!
Gerade hatte ich mich an ihn gewöhnt. Gestern hatte ich eine kostbare leere Plastikflasche
aufgestöbert, sie gesäubert und mit Wasser gefüllt, und schon kann ich sie nicht mehr in
den Kühlschrank stellen. Wie ungerecht! (vgl. dazu Jona Kap 4,6 11). So werde ich diesen
Tag wohl wieder ohne gekühltes Wasser verbringen müssen.
Dabei wollte ich ja nur eine Ultraschalluntersuchung machen, eine jungen Frau, mit einer
langsam wachsenden Tumormasse im
Beckenbereich. Einen künstlichen Ausgang
hat Dr. Tom ihr schon vor 2 Jahren angelegt,
jetzt geht auch das Wasser nicht mehr.
Gestern Abend habe ich den Katheter abklemmen lassen, um besser zu sehen, tja,
und dann haben wir das Resultat: beide
Nieren sind schon erheblich aufgestaut, mit
einer riesigen Blase. Also machen wir ihr
auch da morgen einen Ausgang hinein, so
dass sie sich selber katheterisieren kann. Wahrscheinlich wird sie im nächsten Jahr sterben,
gnädigerweise im Nierenversagen oder vielleicht bei einem neuen Darmverschluss.
Was ist das Leben wert? Ist es hier weniger wert als in Europa, für die Menschen, für die
Familie, für Gott? Wenn nach wie vor jedes Jahr über 100.000 Kinder in Deutschland bereits
vor ihrer Geburt umgebracht werden, weint Gott denen etwa nicht nach, genauso wie
jedem totgeborenen Kind hier oder jedem einzelnen bei der hier durchschnittlich 20%igen
Kindersterblichkeit unter 5 Jahren? Ich könnte viele Ungerechtigkeiten aufzählen: die
Beschneidung der Frauen, die Rechtlosigkeit der Frauen im Allgemeinen, Kinderrechte,
Menschenrechte, Gesundheits- und Bildungsrechte. Diese Art Wörter könnte ich bis zum
Ende der Seite fortsetzen. Andere wie Arbeitsrecht, Arbeitslosigkeit, BG, Rente, Übergangsregelung und Vorruhestand kommen dabei noch nicht einmal vor. Und das ist nicht nur in
den Nuba-Bergen so, sondern Afrikaweit fast überall und auch irgendwie weltweit.
Soll ich jetzt darüber jammern und die Hände über dem Kopf zusammenschlagen? Es liegt
an uns, uns dort ganz einzusetzen (nicht nur immer für uns selber!), wo Gott uns gerade
hingestellt hat, mal herzhaft zupackend, mal zurückhaltend und begleitend. Und ich will
mir von IHM die Weisheit schenken lassen, diese beiden Dinge zu unterscheiden. Sie
können jetzt sicher besser verstehen, dass ich immer einen Kulturschock bekomme, wenn
ich wieder zurück nach Deutschland komme.
Zwei riesige Zelte für die Lebensmittel, Matratzen, Decken, Medikamente. Der LKW davor
fährt die Strecke 2 3 Mal wöchentlich außerhalb der Regenzeit aus Yida, dahin kommt es
per Frachtflieger aus Kenia. Von Norden, aus dem eigentlichen Land, kommt nichts.
Stehend: Simon Peter und Lorenz, die beiden Orthopädiemechaniker und Prothesenbauer,
aus Uganda. Sie bleiben 2 Wochen, dann 10 Tage in Yida und Juba, dann zurück nach
Hause. 2 x im Jahr besuchen sie die Station. Sitzend Nyolo, der Vater von Luke (OP-Pfleger),
Chefmechaniker und Fahrer des LKW. Vor 4 Jahren das li Bein abgeschossen, im MMMH
operiert und prothetisch versorgt. Man sieht sein Hinken kaum. Dahinter das Foxhole, eine
Grube von ca. 1,5 m Tiefe, in die man sich wirft, wenn Flugzeuggeräusche zu hören sind,
zuletzt Juni 2015. Die meisten Fensterglasscheiben sind immer noch kaputt.
Leid und Freude auf einem Bild. Rechts der Junge vom Kaiserschnitt, mit glücklichen Eltern
(sieht man so gut wie nie gemeinsam), die gerade den Namen gefunden haben. Mubarak,
sagt Mama (der Gesegnete). Arabisch geht gar nicht, sagt Papa. So heißt der Kleine nun
Mani Logana (Freund des Vaters und Vater der Mutter), auf Tira. Daneben die Frau vom
Sonntag, allein, ohne das tote Kind. Sie lebt.
312 Marterfahrzeug. Nicht alle fahren mit, aber es ginge.
355 Der Innenhof des Krankenhauses. Rundum ein Karree von ca. 50m Seitenlänge, mit
nach außen gehenden geschlossenen Verandas. Alles muss gegossen werden, wie überall
in Afrika, durch die starke Hand des schwächeren Geschlechts.
26.11.2015
Haraon mit dem 8 jährigen Isaac Damal, dem eine Granate gestern Abend die rechte Hand
zerfetzt hat. Heute Morgen amputiert. Begleitmusik auf dem Handy: Krieg der Sterne.
Scheißkrieg!
27.11.2015
1. FC MMMH gegen Borussia Ohnehemden eV
Am Montag habe ich mich gegen Abend zu einer sportlichen Herausforderung entschlossen. Standesgemäß mit dem T-Shirt der Aktion und dem Kurzwellengerät in der Tasche
quer durch das Krankenhausgelände (etwa 10 ha) und durch das Außentor gejoggt, dann
links Richtung Wadi am Zaun entlang. Das wäre eine Superstrecke für mein Motorrad, so
eine Mischung aus Stein, Sand, Abhang und engen Pfaden. In der Regenzeit kommt es
manchmal urplötzlich zu einer Wasserwelle, und dann verwandelt sich dieses gewundene
Flussbett in einen reißenden Sturzbach. Im vorigen Jahr hat ein ungeduldiger Fahrer ein
Auto geschrottet, weil dachte, er käme noch rüber. Es wurde ein paar hundert Meter
mitgerissen.
Eine Stunde später ist wieder alles ruhig und friedlich und trocken. Heute ist nichts mit
Regen und ich laufe weiter, vorbei an ein paar Rindern, alle mit Buckel, dann die Pfarrei
und dahinter ich kann es kaum glauben wird Fußball gespielt. Lautstark werde ich
eingeladen mitzumachen, als Mithemd bei den Ohnehemden und schaffe sogar einen
Schuss aufs Tor. Große Begeisterung.
Es ist so wie früher in Paraguay, vor fast 40 Jahren, als wir gegen die Lenguas oder
Chulupies gespielt haben. Athletisch waren sie uns überlegen, aber ansonsten eine zu
einfache Strategie: vorne die Flinken, hinten die Langen, die alles außer den Ball trafen.So
auch hier. Bei Angriff alle nach vorn, danach langsam zurück. Alle spielen barfuß oder mit
Socken (schont den nicht vorhandenen Rasen) und alle geben alles. Nach 20 Min war ich
platt. Also, ich hatte morgens Blut gespendet, wir sind auf 1000 Höhenmetern und das ist
es wahrscheinlich ich bin gerade nicht gut in Form. Immerhin sogar einen Schiedsrichter
haben sie, im Kaká-Hemd von bet-and-win von irgendeinem italienischen Club. Abseits
und Ecke gibt es nicht, und auch die Handspiele wurden nicht geahndet.
Während ich draußen noch nach Luft japste begrüßen mich der Anästhesist und der OPPfleger, die dem Spiel entspannt zuschauten. So ganz lapidar fragte ich sie, ob die drei
Spieler mit den Verbänden an den Füßen eigentlich zu uns gehören oder zu sonst wem,
oder ob sie etwa sogar unsere Patienten sind? Ja, sie liegen stationär. Wegen Malaria, oder
Durchfall, oder sonst wie? Nein, wegen der Wunden an den Füßen. Also vielleicht Physiotherapie? Nein, sie spielen Fußball, sieht du doch. Es ist was faul, im Staate - nee nicht
Dänemark, sondern hier, im Sudan Südsudan Irgendwo. Es werden zu viele Leute
aufgenommen, die gar nicht in ein Krankenhausbett gehören. Wieder habe ich ein Déjà-vu
Erlebnis. Hier sind es nicht pekuniäre Grunde wie in Deutschland (nur ein belegtes Bett ist
ein gutes Bett, Idealfall wäre ein doppelt belegtes Bett das haben wir hier schon),
sondern hehre medizinische Überlegungen.
Jede Wunde soll überwacht werden, bis sie vollständig verheilt ist, sozusagen bis der
Schorf abgefallen ist, und der Patient wird so lange dabehalten. Dass die Exzellenzkriterien
meines amerikanischen Kollegen nobel sind, bezweifelt niemand, aber manchmal beißen
sie sich mit der Realität. Ich argumentiere aus der Position heraus, dass die meisten wegen
Pille-Palle nicht einmal herkämen, und jetzt sollen sie deshalb bleiben. Und außerdem
benötigt jeder stationäre Patient mindestens 1 2 Begleitpersonen, die in dieser Zeit
ebenfalls nicht zu Hause oder auf dem Feld eingesetzt werden können.
Auch bei Malaria wird so lange stationär behandelt, dass sich fast Resistenzen bilden
müssen. Kinder mit ihren gut platzierten iv-Nadeln rennen tagsüber durch die Gänge,
spielen draußen auf dem Hof oder liegen unter den Bäumen, die Mütter und Tanten
langweilen sich und tratschen, und die hier im Krankenhaus und Umgebung heimische
Malariamücke kriegt sich vor Freude nicht ein ob des Überangebotes an frischem zapfbaren Blut. Auch Antibiotika wird zu viel gegeben, fast so viel wie in Deutschland.
. Ich habe eine Hochachtung vor
den Leuten hier, die ihr ganzes Leben auf diesen Dienst ausgerichtet haben, ihr Lebenswerk (Dr. Tom). Und trotzdem läuft vieles nicht richtig, viele könnte jetzt schon effektiver
gestaltet werden, beim Planen, beim Gestalten, beim Durchführen.
Und was ist, wenn plötzlich die Versorgung aus Kenia über den Südsudan nicht mehr
möglich ist? Wenn der Diözese das Geld und die Sponsoren ausgehen? Welchen Plan hat
das ganze Werk längerfristig in der Umgebung, mit Schule, mit Landwirtschaft, mit
geistiger Begleitung, wer sieht das große Bild? Und, rein auf die medizinischen Aspekte
reduziert: welchen Stellenwert hat die Vorsorge, die viele mehr erreicht als die Behandlung
der einzelnen Patienten?
So ein Krankenhaus frisst ungeheuer viele
Ressourcen (Geld, Personal, Material,
Transportfahrzeuge, Sprit, etc.). Was ist
mit den hier ausgebildeten guten Leuten,
die außerhalb des Krankenhauses keine
einzige gültige Bescheinigung aufweisen
können? Wenn der Laden hier dicht
gemacht werden sollte, stehen sie
buchstäblich auf der Straße (na ja, Straße
im eigentlichen Sinn gibt es hier nicht,
aber Sie verstehen schon, was ich meine).
Am Sonntag habe ich mit Sister Angelina
diese Problematik lange hin und her
besprochen. Es ist eine Mischung aus
Entsagung und Verzweiflung, mit der sie
die Situation zu meistern versucht. Das
Büro in Nairobi ist weit weg (es ist zudem
eine Diözese und keine Gesundheitsorganisation), und die
hierarchischen Strukturen sind
kategorisch. Gerade weil die Versorgung
das Aushängeschild ist, geht zu viel
Aufmerksamkeit in diese Richtung. So
viele Begleitpersonen hängen hier Tag
für Tag rum und können zumindest irgendeine Sache lernen, ob das jetzt Hygiene,
Ernährung, Durchfall, Malaria oder sonst etwas ist.
Die Gesundheitszentren in der Umgebung, selbst in Kooperation mit den German
Emergency Doktors in Lwere (Cap Anamur) decken nur einen kleinen Teil ab. Die holländische Ärztin Dr. Ingrid Kelters koordiniert zwar diese Arbeit, aber es fehlt überall an
Ressourcen, besonderes an verantwortlichen Mitarbeitern. Es gibt viel Material, natürlich
nicht genau in Tira, aber die meisten verstehen auch arabisch oder Nuer oder Dinka. Man
muss nicht immer das Rad neu erfinden.
Vor allem die HIV Problematik ist bisher nicht zu einem wichtigen Thema geworden. In
diesem Jahr wurden bisher 27 Personen positiv getestet (insgesamt), das ist eigentlich
nichts, aber es nimmt zu. In Uganda wurde das Thema erfolgreich vom Krankenhaus in die
Schule getragen, und zwar in die Grundschule. Dabei geht es nicht um die von den WHO
politisch gewollten Erklärungen zur Kondombenutzung, sondern ist sehr gut vereinbar
mit der katholischen Morallehre erstmal auf Enthaltsamkeit und Treue aufgebaut.
Es gibt hier 6 Grundschulen, die von der Diözese getragen werden, mit insgesamt etwa
2.000 Schülern, und eine Sekundarschule mit über 200 Schülern (immer im Blick die
Bevölkerung von etwa 500.000 Menschen plus/minus 10.000, also etwas mehr als Bochum
Einwohner hat, auf einem Gebiet von 200 x 300 km ohne Verkehrseinbindung es kann
auch kleiner oder größer sein, spielt keine Rolle. Ich will Sie nicht langweilen mit Entwicklungshilfe- oder Missionsdoktorinterna, aber ich finde das persönlich nachdenkenswerter,
als über den Fernsehnachrichten zu einem Terrorexperten zu werden.
Es ist eine Mammutaufgabe, mehr als David gegen Goliath, eigentlich gar nicht zu
schaffen. Kennen Sie die Geschichte der ersten Abrüstung in der Bibel? (Richter Kap 7).
Gideon soll Israel vom Joch der Midianiter befreien. Bei der Mobilmachung folgen 32.000
Mann, 22.000 werden aufgrund von Verzagtheit entlassen, und dann werden nochmals
weitere 9.700 nach Hause geschickt. Mit 300 Mann und Gottes Hilfe werden die Midianiter
geschlagen und verjagt. Wahrscheinlich liegt hier die ganz besondere Kraft des Unternehmens hier in Gidel. Mit rein menschlichen Überlegungen und Kalkulationen ist das
Projekt nicht möglich, wäre nicht mal begonnen worden; aber wer auf Gott vertraut,
braucht sich nicht zu fürchten, vor den Träumen der Nacht und der Einsamkeit. Der kann
mit Hoffnung Gottes Hilfe sehen. Denn Er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie
Dich behüten, bei Tag und Nacht.
28.11.2015
Taube hören
lich politisch werden und es ist ihm wahrscheinlich auch wie Cäsar damals persönlich
völlig egal,
oder nicht.
Wie seltsam ist doch manchmal der Lauf der Dinge. Vor 2050 Jahren, als die Gallier noch
des Schreibens unkundig hauptsächlich über missverständliche Befehle und Muskelkraft
kommunizierten, gab es bereits eine Zunft gut ausgebildeter schreibtüchtiger Nubier, die
in den Verlagshäusern der Welthauptstadt Rom ihr Brot verdienten. Leider waren sie
stumm (die Nubier, nicht die Gallier).
Knapp 70 Jahre später, im Jahr 26 nach der Zeitenwende, zieht ein gewisser Jesus von
Nazareth durch Galiläa (nicht Gallien). Auf die Frage des Johannes des Täufers, ob er nun
der Messias sei, antwortet er
gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf und den
Armen wird
th. 11,5)
Und jetzt, in der Moderne oder Postmoderne, die Gallier haben mittlerweile Lesen und
Schreiben gelernt, waren jahrhundertelang das Zentrum für Kultur und Wissenschaft der
geworden und
immer noch stumm..
Gerade heute baut Dr. William im Nebenraum die 211te Linse ein (Blinde sehen). Ich als
unfallchirurgischer Orthopäde bin bei der Knochenbruchbehandlung recht erfolgreich
(Lahme gehen). Gestern wurden wieder 2 Leprapatienten nach einer 12monatigen
Behandlung geheilt entlassen (Aussätzige werden rein). Und den Armen wird das Evangelium gepredigt (Pater Deogracia = Gott sei Dank, Pater Francis, die Sisters hauptsächlich
sind wir noch nicht. Was aber ist mit dem Tauben (also die, die nicht hören können)?
So langsam dämmert es mir, dass ich in die falsche Richtung geschaut habe. Es geht nicht
um die Gehörlosen hier, es geht um uns! Ich selber bin gemeint. Die Nubier waren nie
stumm. Wir haben sie bisher nur nicht gehört. Vielleicht waren wir zu sehr beschäftigt, zu
müde, zu gleichgültig? Vielleicht gingen ihre Schreie im Nachrichtenuniversum auch
einfach unter. Was ist mit den anderen Schreien nach Aufmerksamkeit, nach Zuwendung,
nach Barmherzigkeit, nach Liebe?
Ich weiß nicht, ob ich als Taube tauge (also eine fliegende, nachrichtenübermittelnde, mit
und ohne Anhang) und ich bin auch nicht die Stimme eines Predigers aus der Wüste (der
hat ganz andere Töne gespuckt), aber ich will meine Stimme denen leihen, die nicht
gehört oder gelesen werden, ob das aus dem Sudan, aus Burundi, Malawi oder Mosambik
ist. Wenn wir Christen die einzige Bibel sind, die in der Öffentlichkeit überhaupt noch
gelesen wird, dann man tau.
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