Dynamische Okklusionskonzepte in der Totalprothetik Seite 1 Martin J. Hauck, Merz Dental GmbH, Lütjenburg 1. Dynamische Okklusion, Okklusionskonzept - Was ist das eigentlich? Unter dynamischer Okklusion werden die antagonistischen Kontakte zwischen den Ober- und Unterkieferzähnen während der zahngeführten Unterkieferbewegung (Laterotrusion, Mediotrusion, Protrusion) verstanden. Ein Okklusionskonzept ist eine aufgrund von Nachdenken, Analysieren und gewonnener Erfahrung basierende (Ideal)Vorstellung davon, wann und wie Zähne miteinander in Kontakt treten oder Kontakte besser aufgehoben werden sollten. 2. Das Form-Funktions-Gesetz der Okklusalfläche bei Seitenzahngarnituren Seitenzahngarnituren gibt es viele und es ist besonders für zahntechnische aber auch für zahnmedizinische Anfänger gar nicht so einfach dahinter zu kommen, welche Okklusionskonzepte sich mit den einzelnen Garnituren verwirklichen lassen. Es gehört eine Menge Erfahrung und Wissen dazu, eine Seitenzahngarnitur “lesen” zu können, d.h. sich auf die Form und deren Funktion zu konzentrieren und nicht, wie es häufig geschieht, den Blick auf Farbe, Schichtung der Zahnkrone und des Zahnhalses zu richten. Jede Fläche eines Zahnes erfüllt eine bestimmte Funktion. Dazu zählen gerade bei Zahngarnituren der neueren Generation auch die Gestaltung der Vestibulärflächen für die Wangen und Lippenabstützung, die Proportion und Kontur der Oralflächen für die Freiheit des Zungenraumes und somit auch für die Phonetik. Wichtig ist jedoch auch die notwendige “Masse” eines Zahnes, um ihn für den Kombi-Zahnersatz und für Implantatarbeiten anwenden zu können, damit die Zähne nach dem Formschleifen noch als Zähne erkennbar und funktionstüchtig sind. Dies ist gerade dann wichtig, wenn verblendete Kronen und Brücken in Kombi-Arbeiten oder implantatgetragenen Zahnersatz integriert werden sollen. Was nützen die hervorragend aufgewachsten oder in Keramik gestalteten Okklusionsflächen, wenn die Ersatzzähne der Kunststoffsättel deren Bewegungsmustern nicht folgen, d.h. sie nicht unterstützen können? Um dies besser sehen oder “lesen” zu können ist es empfehlenswert, die - sagen wir einmal - optischen Reize einer Garnitur zu eliminieren, um sich auf die Funktionsform zu konzentrieren und die Farbe und Schichtung zunächst nicht zu sehen. In der Vereinfachung liegt häufig die Anschauung. Die nachstehenden Schemazeichnungen beschreiben die markanten Unterschiede zwischen den so genannten halbanatomischen und (voll)anatomischen Seitenzahngarnituren. halbanatomische Seitenzahngarnitur halbanatomisch gestaltete Seitenzähne • kugel-/kuppelförmige, rundliche tragende Höcker • muldenförmige Fossae • flachere innere Höckerabhänge • insgesamt wenig anatomisch differenziert (voll)anatomische Seitenzahngarnitur anatomisch gestaltete Seitenzähne • eher elliptische tragende Höcker • Fossae mit konvexen Leisten und konkaven Bahnen • steilere innere Höckerabhänge • insgesamt anatomisch differenziert (Fissuren, Leisten) gestaltet 3. Typische dynamische Okklusionskonzepte in der Totalprothetik Unter Dynamik wird die Lehre von der Bewegung verstanden. Folglich bedeutet der Begriff "Dynamisches Okklusionskonzept" nichts anderes als die prothetische Zielvorstellung, wie Zähne bei der zahngeführten Unterkieferbewegung zu "funktionieren", d.h. zu okkludieren haben. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte wurden sehr unterschiedliche Zielvorstellungen formuliert, wie Totalprothesen während der Extrusionsbewegungen (Laterotrusion, Lateroprotrusion, Protrusion etc.) durch antagonistische Kontakte abzustützen oder zahngeführt zu führen seien. Eines der bekanntesten dynamischen Okklusionskonzepte ist mit Sicherheit das von Alfred GYSI, der eine Vollbalancierung der Arbeits- und Balanceseite sowie mindestens einen Kontakt in der Front forderte. Diese Forderung ist als so genannter Dreipunktkontakt in die Zahntechnik eingeflossen und wird noch heute angewendet. In der jüngsten Zeit gewinnen zunehmend Konzepte an Bedeutung, einige davon sind im übrigen auch schon sehr lange bekannt, so z.B. die Eckzahn-Prämolaren-Führung. Stand 07.2003 Dynamische Okklusionskonzepte in der Totalprothetik Seite 2 Martin J. Hauck, Merz Dental GmbH, Lütjenburg Dynamisches Okklusionskonzept Kurzbeschreibung Anforderungen an die Seitenzahngarni-turen 1.Vollbalancierung Abstützung (L+M) im Front- und Seitenzahnbereich: • Zuerst stützen die Seitenzähne (L+M), dann Funktioniert sowohl mit halbanatomischen als auch anatomischen Seitenzahngarnituren. halbanatomisch anatomisch • die Eckzähne (L) und zuletzt • die Schneidezähne (L). Laterotrusionsseite Mediotrusionsseite 2. Bilaterale Balancierung Die Prothese ist mind. über drei Punkte (lateral - frontal - lateral) abgestützt. Während der gesamten Bewegung stützen nur die Seitenzähne auf beiden Seiten(L+M) ab. Die Prothese ist somit mind. über zwei Punkte (lateral - lateral) abgestützt. Funktioniert sowohl mit halbanatomischen als auch anatomischen Seitenzahngarnituren. halbanatomisch anatomisch Laterotrusionsseite Mediotrusionsseite 3. Sequentielle Führung sequentiell = aufeinander folgend • Zuerst stützen bilateral die Seitenzähne (L+M), • dann die Eckzähne (L), die • zum Schluss auch zusammen mit den ersten Prämolaren zu einer Disklusion im Seitenzahnbereich führen. Laterotrusionsseite Mediotrusionsseite 4. Eckzahn-Prämolaren-Führung Laterotrusionsseite Mediotrusionsseite Stand 07.2003 Disklusion = Aufhebung der Okklusionskon-takte Geeigneter sind anatomische Seitenzahngarnituren • definierte, fixierte Schlussbisslage (möglichst tripodische) konvexe Kontaktbereiche in den Fossae • 4er: heben die Molarenführung auf und übernehmen die Führung, sie benötigen hierzu höhere, steilere äußere (UK) und innere (OK) Bukkalhöckerabhänge, damit die Molaren diskludieren. • 3er: müssen im UK labial und im OK palatinal Führungsflächen besitzen • Zuerst stützen für einen Moment Anatomische Zahngarnituren die Seitenzähne (L+M) bilateral für • definierte, fixierte Schlussbisslage (möglichst tripodische) konvexe Konca.1-2 mm, dann übernehmen taktbereiche in den Fossae • die ersten Prämolaren und die • steilere Höckerabhänge, 4er und 3er Eckzähne (L) die Führung, heben die Molarenführung auf • 4er: höhere, steilere äußere (UK) und innere (OK) Bukkalhöckerabhänge • zum Schluss führen sie zu einer Disklusion im Seitenzahnbereich. • 3er: im UK labial und im OK palatinal deutliche Führungsflächen