KURZINFORMATION über die ambulante

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PATIENTENINFORMATION über die ambulante PSYCHOTHERAPIE
Sie wollen sich ambulant psychotherapeutisch behandeln lassen. Dieses Merkblatt soll Sie über Wirkungen,
Nebenwirkungen und äußere Bedingungen der Therapie informieren und Ihnen allgemeine Hinweise geben.
Psychotherapie-Patienten und ihre Beschwerden: Seit 1969 bzw. 1971 werden von den Krankenkassen die
Kosten für eine ambulante Psychotherapie bei seelisch bedingten Erkrankungen übernommen. Dazu gehören u.a.
folgende Störungen oder Beschwerden: Selbstunsicherheit, Kontaktstörungen, depressive Verstimmungen mit
Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit, Zwangssymptome, Ängste, Angstanfälle, Schlafstörungen, Magersucht, Fettsucht;
auch seelisch bedingte Körperbeschwerden wie chronische Kopfschmerzen, funktionelle Herzbeschwerden, Atemstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, Bewegungsstörungen, sexuelle Störungen.
Sie sollten wissen, dass Sie mit Ihren Schwierigkeiten nicht allein sind und dass es kein Makel ist, seelisch
bedingte Beschwerden zu haben. Im Gegenteil: Man schätzt, dass etwa 30 - 50 % aller Patienten, die von Hausärzten
oder Fachärzten behandelt werden, seelisch bedingte Beschwerden haben, bei denen sich eine körperliche Ursache
nicht nachweisen lässt. In der Psychiatrie-Enquête 1975 wurde sogar angenommen, dass 20 % der Bundesbürger im
Laufe ihres Lebens behandlungsbedürftige psychische Beschwerden entwickeln. Diese Beschwerden sind also sehr
häufig!
Behandlungsmöglichkeiten: Da sich bei seelisch bedingten Beschwerden keine ausreichenden körperlichen
Ursachen finden lassen, wird in vielen Fällen zunächst ein Beruhigungsmittel verschrieben. Das hilft dann auch vorerst
- denn Beruhigungsmittel können vorübergehend dämpfen, entlasten, die Angst lindern. Aber Sie heilen nicht, weil sie
Lebensschwierigkeiten und Konflikte nicht zum Verschwinden bringen! Außerdem dürfen Beruhigungsmittel nur
kurzfristig verschrieben werden (höchstens 1 - 2 Wochen), weil Sie sogar bei niedriger Dosierung zur
Medikamentenabhängigkeit führen können! Schließlich können Medikamente sogar die Symptome verstärken, die Sie
beheben sollen: Schmerzmittelmissbrauch kann z.B. zu chronischen Kopfschmerzen führen, unter Beruhigungsmitteln
kann sich die innere Unruhe sogar noch steigern!
Es wird für Sie ungewohnt sein, wie während der psychotherapeutischen Behandlung mit den Symptomen Ihrer
Erkrankung umgegangen wird: Es geht nicht um prompte medikamentöse Behandlung sondern um die Erarbeitung
der Ursachen und der Auslöser Ihrer Symptome. Das klingt zunächst ganz vernünftig - ist aber schwierig und
mühevoll genug! Denn: Wohin komme ich, wenn ich zu mir komme? Was erfahre ich, wenn ich mich selbst erfahre?
Das alles können Sie am Anfang der "Reise zu sich selbst" noch nicht wissen. Denn es liegt in der Natur der Sache,
dass die vielfältigen Ursachen und Hintergründe der oben beschriebenen Erkrankungen meist unbewusst sind und
erst während der psychotherapeutischen Behandlung für andere und für Sie deutlich werden (am anderen sieht man
alles früher und viel besser!). In der Psychotherapie geht es um die Bearbeitung und Änderung von Einstellungen,
Lebensschwierigkeiten und Beziehungsstörungen, die hinter den Beschwerden stehen. Das alles hat sich bei Ihnen in
vielen Jahren oder Jahrzehnten entwickelt. Sie können sich vorstellen, dass deshalb für eine psychotherapeutische
Behandlung Zeit nötig ist - manchmal viel Zeit ("Die Seele geht zu Fuß"). Deshalb dauert eine ambulante
psychotherapeutische Behandlung in der Regel ein bis drei Jahre.
Es gibt inzwischen eine Fülle von psychotherapeutischen Behandlungstechniken und Gruppenverfahren: die
Psychoanalyse nach Siegmund Freud, die Individualpsychologie nach Alfred Adler, die analytische Psychologie nach
Carl G. Jung, die klientenzentrierte Gesprächstherapie nach Carl Rogers, die Verhaltenstherapie, das Psychodrama
nach Jakob Moreno, die Gestalttherapie nach Fritz Perls, die Transaktionsanalyse nach Eric Berne, die
themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn, das katathyme Bilderleben nach Karl Leuner u.a.m. Nur die
Psychoanalyse, die daraus abgeleiteten Verfahren und die Verhaltenstherapie (seit 1987) gelten als anerkannte
Psychotherapieverfahren und werden von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt.
Die verschiedenen Psychotherapieverfahren waren zunächst ambulante Behandlungsverfahren. Mittlerweile gibt
es aber auch vielfältige teilstationäre und stationäre Behandlungsmöglichkeiten. Bei schwerer Symptomatik bzw.
schweren Erkrankungsformen ist eine ambulante Psychotherapie oft nicht ausreichend oder zunächst nicht
ausreichend. Dann sollten Sie zur Einleitung der ambulanten Behandlung an eine teilstationäre oder stationäre
Psychotherapie denken. Man schätzt, dass Sie durch eine etwa 3monatige stationäre oder teilstationäre
psychotherapeutische Behandlung etwa 1 Jahr ambulante Psychotherapie einsparen können.
Bei Selbstzahlern (Privatpatienten) richten sich die Kosten ambulanter psychotherapeutischer Leistungen nach
der GOÄ, der Gebührenordnung für Ärzte. Die Regelungen sind von Privatkasse zu Privatkasse sehr unterschiedlich.
Die Concordia private Krankenversicherung bezahlt 20 Psychotherapiesitzungen pro Jahr („wenn vom Versicherer
nicht vorher mehr Sitzungen genehmigt wurden“). Der Bundesgerichtshof hat sich in einem Urteil vom 16. Juni 2004
(Aktenzeichen: IV ZR 257/03) mit dieser Frage auseinander gesetzt und auf die Notwendigkeit hingewiesen,
vertraglich vereinbarte Begrenzungen einzuhalten.
Die Behandlungstermine: Ihre Therapeutin / Ihr Therapeut werden regelmäßige Behandlungstermine
vereinbaren, möglichst am gleichen Wochentag zur gleichen Zeit. Bitte seien Sie pünktlich, damit Sie sich einige
Minuten vor Therapiebeginn noch sammeln und auf sich besinnen können. Wenn Sie verhindert sind, sagen Sie bitte
rechtzeitig telefonisch ab. Während der Einzeltherapie sollte die Urlaubsplanung gemeinsam besprochen werden,
damit Sie möglichst wenige Therapiesitzungen versäumen.
Ziele der Psychotherapie: Die Forderung "Erkenne dich selbst!" kannten schon die alten Griechen. Selbsterkenntnis, Selbstentdeckung oder Selbsterfahrung ("Werde, der du bist!") sind aber deshalb so schwierig, weil wir uns
selbst so nahe stehen. Da die Ursachen seelisch bedingter Erkrankungen unbewusst sind (nicht „unterbewusst“ – das
ist Bildzeitungsniveau!), haben wir dort, wo sich unsere Schwierigkeiten befinden, sozusagen einen ganz besonders
großen blinden Fleck. Der soll durch die psychotherapeutische Behandlung verkleinert werden.
Die Psychotherapie soll Ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst besser kennen zu lernen, Schwierigkeiten und
Probleme mit anderen deutlicher zu sehen und zu klären, eigene positive oder negative Gefühle gegenüber anderen
Menschen wahrzunehmen und auszudrücken. Das ist schwieriger, als Sie denken! Viele Menschen sind sich nämlich
über ihre wahren Gefühle nicht im klaren. Was sie sagen, sind oft von anderen übernommene Meinungen,
Grundsätze oder allgemeine Erklärungen, die ihre wahren (meist unbewussten) Gefühle abwehren oder verdecken
sollen. Wir alle neigen dazu, Kränkendes oder Unangenehmes zu verdrängen oder zu vergessen. Der Philosoph
Friedrich Nietzsche hat das sehr schön beschrieben: "’Das habe ich getan’, sagt mein Gedächtnis. ‚Das kann ich nicht
getan haben!’ sagte mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich - gibt das Gedächtnis nach!" Aber gerade diese
"vergessenen", abgewehrten oder verdrängten Gefühle und Wünsche können uns krank machen.
Die Anamnese: Ihre Lebens- und Krankheitsgeschichte ist für das Verständnis Ihrer Beschwerden
außerordentlich wichtig. Deshalb sollten Sie den beiliegenden Anamnese-Fragebogen gründlich ausfüllen. Das spart
Zeit in der Psychotherapie für die Daten und Fakten und schafft die Möglichkeit, die Hintergründe Ihrer Erkrankung
ausführlicher zu erarbeiten. Außerdem arbeiten Sie durch das Beantworten der Fragen aktiv an Ihrer Gesundung mit!
Da die Anamnese so etwas wie die Bilanz Ihres Lebens ist, kann die Beantwortung des Fragebogens zu einer leichten
depressiven Verstimmung führen. Damit sollten Sie nicht allein bleiben! Deshalb beantworten Sie die Fragen bitte erst
kurz vor dem nächsten Behandlungstermin (z.B. am Abend vorher). Im therapeutischen Gespräch lässt sich eine
mögliche depressive Verstimmung gut bearbeiten bzw. nutzen.
Wirkungen und Nebenwirkungen der Psychotherapie: Erfahrungsgemäß werden sich während der
psychotherapeutischen Behandlung die Schwierigkeiten wiederholen, die Sie auch sonst haben (Was wichtig ist,
kommt wieder!). Das kann dazu führen, dass sich Ihre Beschwerden nach anfänglicher Besserung wieder
verschlimmern, dass die Beschwerden wandern oder dass alte Beziehungsschwierigkeiten wieder auftauchen ("Die
alten Gleise sind verführerisch!"). Es ist sehr wichtig, sich durch diese Wiederholungen nicht entmutigen zu lassen.
Seelische Gesundheit entwickelt sich oft nur langsam und manchmal erst nach schmerzhaften Umwegen (Die Seele
braucht Zeit!). Möglicherweise haben Sie vergessen, was Sie krank gemacht hat. Dabei ist es für Ihre Gesundung
wichtig, sich an das Vergessene, an die andere Hälfte der Geschichte zu erinnern. Das kann Ihnen helfen, Ihr
Verhalten und das Verhalten anderer besser zu verstehen. Dadurch können Sie sich in ähnlichen krankmachenden
Situationen besser helfen und sich und andere besser "behandeln". In der Therapie können Sie lernen, Schwierigkeiten und Probleme deutlicher zu sehen und zu lösen. Durch die Behandlung sollen Sie sozusagen Fachärztin oder
Facharzt Ihrer eigenen Erkrankung werden (M. Balint). Sie werden merken, wie sehr diese neuen Fähigkeiten Ihr
Selbstwertgefühl stärken. Bei Schwierigkeiten mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin oder mit Ihrer Familie kann die
Behandlung durchaus dazu führen, dass die Beziehung sich bessert, befriedigender und tiefer wird – sie kann aber
auch dazu führen, dass unüberbrückbare Gegensätze deutlicher werden. Ziel und Aufgabe der Behandlung ist es
nicht, Sie an Ihren Partner, Ihre Partnerin oder Ihre Familie zu binden oder Sie von ihnen zu trennen. Die Behandlung
soll Beziehungen klären, und soll Ihnen helfen, sich eigenverantwortlich zu entscheiden. Psychotherapie ist eine
wirksame Behandlungsmethode und hat natürlich auch Nebenwirkungen. Wirkungen und Nebenwirkungen der
Behandlung sind aber nicht immer vorhersehbar. Der Erfolg der Behandlung hängt sehr von Ihrer eigenen Bereitschaft
zur Mitarbeit und von Ihrem Verhalten ab.
Der "Rück - Fall" während der Therapie: Wenn es während der Behandlung zu einem Rückfall kommen sollte,
ist es außerordentlich wichtig, ihn in der Therapiestunde zu bearbeiten. Denn: Jeder Rückfall ist eine Möglichkeit,
mehr über sich zu erfahren! Zu jedem Rückfall gibt es eine auslösende Situation, eine "Schlüsselsituation", und jeder
Rückfall hat seine Ursachen, die meist im Gefühlsbereich liegen und mit ungelösten Konflikten zusammenhängen.
Wenn der Rückfall einfach nur erlitten oder hingenommen wird, ist er oft eine persönliche Katastrophe. Dann könnte
man sagen: "Schade um den schönen Rückfall! Der wollte Ihnen etwas sagen!" Wenn daraus gelernt wird, dann ist
der Rückfall eine ganz wichtige Möglichkeit der Selbsterfahrung und der Heilung, eine "Schatztruhe des ungelebten
Lebens": denn da ist oft alles drin, was Sie krank gemacht hat und was Sie gesund machen kann!
Der Therapieabbruch: Die Selbsterfahrung, die "Reise zu sich selbst", ist eine Reise mit Hindernissen. An
besonders schwierigen, ärgerlichen oder verwirrenden Stellen dieser Reise kann es passieren, dass Sie "aussteigen"
wollen. Das kann bedeuten, dass Sie sich auf altbekannte Auswege besinnen (Zunahme der körperlichen
Beschwerden, Rückzug in ängstliche oder depressive Verstimmungen, vor allem aber Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch) oder dass Sie die Therapie abbrechen wollen. Wenn dem so ist, wenn Sie die Therapie abbrechen
wollen, oder wenn Sie das Gefühl haben, nicht mehr weiterzukommen, auf der Stelle zu treten, dann befinden Sie sich
in aller Regel an einer wichtigen Stelle im Therapieprozess: merkwürdigerweise wird die Therapie oft dann
abgebrochen, wenn alles besser werden könnte, wenn Sie sich am Wendepunkt der Behandlung befinden. Denn das
Licht am Ende des Tunnels kann Angst machen, und die alten Gleise sind verführerisch! In der Therapie versuchen
Sie, neue Gleise zu verlegen - heraus aus dem Teufelskreis der Erkrankung. Aber die alten Gleise sind immer noch
fest verlegt - und es gibt schnelle Weichen dorthin! Das heißt: ein vorzeitiger Therapieabbruch kann zu einem
schweren Rückfall führen. Oft wird dann alles schwerer. Deshalb sollten Sie sich bei Abbruchwünschen unbedingt
zwei oder drei Therapiestunden Zeit nehmen, und Ihre Abbruchwünsche bearbeiten. Es könnte sein, dass Sie vor der
Lösung wichtiger Schwierigkeiten oder vor einem notwendigen Reifungsschritt ausweichen wollen. Und das wäre
schade!
Allgemeine Empfehlungen: Ihr Verhalten, Ihre Art zu leben und Ihre Fähigkeit, Schwierigkeiten zu bewältigen,
können sich durch die psychotherapeutische Behandlung deutlich ändern. Deshalb sollten Sie während der
Behandlung keine wichtigen Entscheidungen treffen, die einschneidende persönliche oder familiäre Veränderungen
betreffen (z.B. Partnertrennung, Wohnungswechsel, Arbeitsplatzveränderungen). Sie sollten mit sich, Ihren
Beschwerden, Ihren Familienangehörigen und Ihrem Therapeuten Geduld haben. Ich möchte nicht, dass Sie übereilte
Entscheidungen später bitter bereuen. In jedem Fall sollten Sie sich gut überlegen, wem Sie mitteilen, dass Sie
psychotherapeutisch behandelt werden. Es gibt immer noch Vorurteile gegen die Psychotherapie. Viel wichtiger ist,
dass Sie die Möglichkeiten der ambulanten Behandlung für sich nutzen. Dann kann diese Zeit für Sie ein wichtiger
Lebensabschnitt werden, vielleicht sogar ein Wendepunkt ihres Lebens.
Dr. med. Wolfgang Scherf, Juni 2008
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