Dieter Janecek Mitglied des Deutschen Bundestages Wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis‘90/DIE GRÜNEN Konferenz: Ricardo@200 – Außenhandelstheorie in stürmischen Zeiten Podiumsdiskussion: Welche Perspektiven hat die wirtschaftliche Globalisierung? Vor dem Hintergrund der stürmischen Zeiten ließe sich die Frage nach den Perspektiven der wirtschaftlichen Globalisierung vielfältig beantworten. Die derzeitige Lage lässt mehrere Verläufe möglich erscheinen. Die entscheidende Frage ist doch vielmehr, welche Gestaltung braucht die wirtschaftliche Globalisierung, damit die Vorteile, die sie uns gebracht hat, fortgeführt werden können und die Nachteile, die sich mit ihr vollzogen haben, geändert werden. Unbestritten hat uns der freie Handel zwischen den Nationen in den Jahrzehnten nach Ende des II. Weltkrieges immenses globales Wirtschaftswachstum gebracht, welches den Wohlstand der Nationen gemehrt hat. Als Politiker blicke ich aber nicht nur durch eine ökonometrische Brille in die Welt und suche nach einfachen Möglichkeiten dieses Wachstum weiter voranzutreiben. Mein Blick richtet sich vielmehr auf die Steigerung der Lebensqualität und das unter ökologisch fairen Bedingungen für alle. Was für einen solchen Fairhandel notwendig ist, will ich später skizzieren, aber zunächst noch ein paar wichtige Punkte nennen, wenn man über die Gestaltungsmöglichkeit von Globalisierung nachdenkt, die uns auch zu den jüngsten politischen Entwicklungen in den USA, Stichwort „America First“, oder zu den Entwicklungen Großbritanniens, Stichwort „Brexit“, führen. Meines Erachtens lässt sich Globalisierung am ehesten als eine ganze Reihe von Entgrenzungsprozessen verstehen. In den letzten Jahrzehnten haben sich alle möglichen gesellschaftlichen Sphären aus dem Nationalstaat „entgrenzt“, sind über dessen Grenzen hinausgewachsen. Wirtschaft lässt sich nicht mehr in dem engen Korsett einer Volkswirtschaft verstehen. Die Entgrenzung der Wirtschaft aus dem Nationalstaat und die gleichzeitige globale Verflechtung ist wohl der dynamischste Prozess von allen. Aber auch Sportereignisse oder Bildungssysteme haben sich „globalisiert“, durch die rasanten Entwicklungen in den Kommunikationstechnologien hat sich auch so etwas wie eine Weltöffentlichkeit herausgebildet. Heute kann fast Jeder mit Jedem in Echtzeit kommunizieren. Keine Parlamentsdebatte kommt mehr umhin, bei der Regulierung im nationalstaatlichen Raum das Globale und dessen Wirkung (Beispiel: globale Wettbewerbsfähigkeit) mitzudenken und zu beachten. Das Nationale formt sich durch das Globale. Selbst der politische Raum hat sich über die Jahre „entgrenzt“, das europäische Projekt der EU ist der Versuch einen neuen politischen Regulierungsraum jenseits des Nationalstaates zu finden, der mit den politischen Aufgaben mitwächst. Das hat uns über Jahrzehnte Frieden, wirtschaftlichen Erfolg gebracht und vor allem in der jüngeren Generation zu neuen kulturellen Identitäten geführt. Vor dem Hintergrund dieser Prozesse lassen sich die jüngsten politischen Entwicklungen USA, GB, aber auch die nationalistischen Tendenzen wie Front National, die Autokratisierung der Türkei oder die AfD einordnen. Jede Entwicklung läuft nicht linear, sondern oft asymmetrisch mit Brüchen und Umwegen. Die Herausbildung unserer Vorstellung von Weltordnung, als ein Zusammenspiel von über 193 Nationalstaaten, hat im 18. Jahrhundert begonnen und ihr erstmal vorzeitiges Ende in der zweiten Dekolonialisierungsphase Afrikas in den 60ger, also vor nur 50 Jahren gefunden. Wir sprechen über einen immens kurzen Zeitraum der Menschheitsgeschichte, in denen sich diese Orientierungspunkte herausbildeten. Dieter Janecek Mitglied des Deutschen Bundestages Wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis‘90/DIE GRÜNEN Die Globalisierung, verstanden als eine Vielzahl von Entgrenzungsprozessen, führt zur Auflösung dieses „geordneten“ Weltbildes. Vieles wird komplexer, zunächst unverständlicher. Es gibt Gewinner und Verlierer dieser Dynamiken. Reaktionäre Kräfte versuchen gegenwärtig diese Verunsicherung auszunutzen und machen vielen Menschen die Hoffnung, dass ein Rollback in alte bessere Zeiten möglich ist, als noch alles national eingehegt und überschaubar war. Diese Erzählung braucht eine starke politische Gegenrede. Aber vor allem braucht es eine starke Antwort auf die dahinterliegende dargestellte tiefe Verunsicherung gegenüber der Globalisierung als Ganzes nicht nur der wirtschaftlichen Globalisierung. Dazu braucht es meines Erachtens eine Politik, die erklären kann, dass das Recht in der Lage ist, alle diese Entwicklungen aufeinander zu beziehen und in eine „Ordnung“ zueinander zu bringen. Quelle solchen Rechts müssen natürlich politische Entscheidungen sein und dafür braucht es neue politische Räume wie zum Beispiel ein starkes geeintes Europa. Was wir mit Blick auf die aktuelle globale Rechtsordnung sehen, ist eher eine Zersplitterung, denn eine Ordnung. In diesen Kontext muss man heutige Verhandlungen zu Handelsabkommen einordnen. In meinen Augen ist die Zeit vorbei, in der diese nur reine Wirtschaftsabkommen für die weitere Entgrenzung der wirtschaftlichen Globalisierung sein können. Heutige Handelsabkommen müssen sich konsistent in vorhandene auch nichtökonomische globale Rechtsabkommen, wie zum Beispiel den Pariser Vertrag, einfügen, sie dürfen diesen nicht zuwiderlaufen, damit sich ein konsequenter positiver Fortschrittsglauben mit der Globalisierung verbindet. Ich habe bereits im März 2014 unter dem Titel „Neustart für TTIP: Eine grüne Agenda für den Freihandel“ für einen solchen Fairhandel, geworben. Darin heißt es u.a.: - Ein Freihandelsabkommen auf der Basis hoher ökologischer und sozialer Standards, aufbauend auf einer gemeinsamen Wertebasis zwischen USA und EU, könnte für den globalen Handel stilbildend sein. - Mit der Verständigung auf klare ökologische, soziale und demokratische Rahmenbedingungen könnten wir beidseitig des Atlantiks den Wandel hin zu einer nachhaltigen Ökonomie anstoßen, in letzter Konsequenz als Hoffnungsbringer für den weltweiten Klimaschutz. - Wenn TTIP ein glaubhaftes Mandat für fairen Wettbewerb sein will, muss über ein „Fossil-Fuel Phase Out“ ernsthaft verhandelt werden. Die hohe Subventionierung der Förderung und Absicherung fossiler Energieträger ist extrem wettbewerbsverzerrend und schadet den Volkswirtschaften beiderseits des Atlantiks. - Fairer Wettbewerb bedeutet das Ende der fossilen Verschwendungswirtschaft. Wer global wettbewerbsfähig bleiben will, muss nachhaltig wirtschaften. - Ein klarer ordnungspolitischer Rahmen beinhaltet: Wettbewerb auf der Basis ökologisch korrekter Preise, Top-Runner-Ansatz für die Industrie, soziale Standards erhalten und ausbauen, künftige Rohstoffknappheiten berücksichtigen, Finanzmärkte so regulieren, dass sie ihre Dienstleistungsfunktion gegenüber Verbraucher und Wirtschaft wieder wahrnehmen. Der gesamte Beitrag ist nachzulesen unter: http://bit.ly/2qsUr2p Die (wirtschaftliche) Globalisierung kann eine positive Perspektive haben, wenn wir sie ganzheitlich nachhaltig und nicht nur unter verkürzten ökonomischen Gesichtspunkten gestalten. Wenn wir die Ökonomie wieder einbetten in eine nachhaltige globale Rechtsordnung, dann kann Politik wieder das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückgewinnen.