Im Fokus | Medizintechnik 67 Schneller, schärfer, schonender Die Medizintechnik hat einen hohen Entwicklungsstand erreicht. Große Innovationssprünge werden seltener. Systemlösungen sowie die Verbindung von IT und Medizinprodukten weisen den Weg in die Zukunft. GesundheitsWirtschaft | 8. Jahrgang | 5/14 | Oktober/November 2014 Illustrationen: Fotolia Von Dr. Adelheid Weßling „Stopp! Nicht bewegen, tief einatmen, Luft anhalten, fertig! Jetzt seitwärts, Arme hoch, einatmen, halten, fertig!“ Die Kommandos beim Röntgen sind über Jahrzehnte gleich geblieben. 1895 entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen, dass es mit den X-Strahlen möglich ist, Körper zu durchleuchten. Seither hat sich das Röntgen zum Standard- verfahren in der Diagnostik entwickelt. Technische Fortschritte wie kurze Belichtungszeiten, eine hohe Filmqualität und fokussierte Aufnahmen haben dazu geführt, dass die Strahlenexposition bei einer konventionellen Röntgenaufnahme heute relativ gering ist. Sie liegt deutlich unter einem Millisievert. Die natürliche Exposition ist höher (2,1 Millisievert). Dieses Jahr ist eine neue EU-Richtlinie in Kraft getreten, um den Schutz vor ionisierender Strahlung auf Basis neuer Kenntnisse weiter auszubauen. In den 1970er-Jahren hat die Computertomografie (CT) die Röntgendiagnostik revolutioniert. Das neue Verfahren ermöglicht, jede Körperschicht einzeln aufzunehmen. Eine 68 Im Fokus | Medizintechnik Neue Wege in der Forschung Ärzte und Pflegekräfte wissen meist recht gut, was ihre Arbeit im Krankenhaus erleichtern könnte. Manchmal sind es kleine Details, die ein anwenderfreundliches Medizinprodukt von einem anderen Produkt unterscheiden. Aus den Klinikanforderungen entstehen Ideen für eine Innovation in Diagnostik und Therapie. Ein Wunsch, der ehemals utopisch klingen mochte, kann sich realisieren, wenn er bei Forschern Gehör findet. So ist es möglich, das gesprochene Wort in Schriftsprache elektronisch umzuwandeln, minimalinvasiv zu operieren, Organe zu ersetzen, den menschlichen Körper zu durchleuchten und Hirnaktivitäten sichtbar zu machen. Neuerdings fragen Kliniken immer häufiger nach Lösungen für Prozessabläufe und Funktions- oder Organisationseinheiten. Seitens der Hersteller erfordert dies eine fundierte Kenntnis der Sachlage. Welcher Versorgungsbereich soll optimiert werden? Wie greifen Strukturen und Prozesse ineinander? Wie verlaufen die Kommunikationsprozesse von Mensch zu Mensch, von Mensch zu Maschine und von Maschine zu Maschine? Es geht um weit mehr als um die Entwicklung technisch einwandfreier Geräte und Produkte. Es geht um deren Funktionsfähigkeit innerhalb des komplexen Systems der Gesundheitsversorgung. Dies zieht konsequenterweise eine neue Form der Forschungsförderung nach sich, wie die Empfehlungen des nationalen Strategieprozesses „Innovationen in der Medizintechnik“ nahelegen. Der Strategieprozess wurde 2011 von den Bundesministerien für Bil- dung und Forschung (BMBF), Gesundheit (BMG) und Wirtschaft (BMWi) initiiert, mehr als 150 Experten haben sich beteiligt. Die BMBF-Fördermaßnahme „Industrie-in-Klinik-Plattformen“ baut darauf auf. Ziel ist es, die Erfahrung der forschenden Mediziner (wieder) stärker in den Entwicklungsprozess von Medizinprodukten einzubinden. Über die Kooperationsplattformen sollen Ärzte und Hersteller zusammenfinden. Die Ausschreibung richtet sich an beide Seiten – an Kliniken und an Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft. Je nach Ausgangssituation kann der Antrag den Aufbau von Kooperationsbeziehungen, die Beschleunigung der Produktentwicklung oder die Integration von Innovationen in die Versorgung zum Gegenstand haben. Interessenten können sich bis zum 30. November bewerben. Die Förderung erfolgt in zwei Phasen. In der Konzeptionsphase erhalten bis zu 20 Antragsteller die Möglichkeit, einen BusinessPlan für eine Kooperationsplattform zu entwickeln. In der zweiten Phase wird die Umsetzung der Konzepte gefördert, die am aussichtsreichsten erscheinen. Für das Programm stehen bis zu 30 Millionen Euro zur Verfügung. Mittelfristig sollen die Plattformen ohne Förderung fortbestehen können, beispielsweise über eine Finanzierung aus Mitgliedsbeiträgen der beteiligten Partner. Idealerweise haben sie Modellcharakter für nicht geförderte Kliniken und Unternehmen, ähnliche Forschungs- und Entwicklungskooperationen aufzubauen. wes Vielzahl an überlappungsfreien Bildern führt zu einer kontrastreichen Darstellung des Körpergewebes, was die Zuverlässigkeit der Diagnostik erhöht. Zum Einsatz kommt das CT vor allem bei Verdacht auf eine Krebserkrankung oder der Suche nach Metastasen. Einen weiteren Schub erhielt die Röntgentechnologie mit der Entwicklung der Positronen-Emissions-Tomografie, kurz PET-CT, um die Jahrtausendwende. Das nuklearmedizinische Verfahren erweitert die morphologische Bildgebung des CT um eine funktionell-biochemische Darstellung. Die Patienten erhalten ein schwach radioaktives Medikament, um die Stoffwechselvorgänge sichtbar machen zu können. Hüftgelenke aus dem 3-D-Drucker Die bessere Diagnostik hat ihren Preis. Ein CT verlangt den Patienten mehr ab als das konventionelle Röntgen. Die Strahlenexposition ist um ein Vielfaches höher, der Vorgang dauert länger, und das ruhige Liegen in einer engen Röhre kann eine mentale Herausforderung sein. Der Kontakt zum Arzt oder Assistenzpersonal ist auf eine Wechselsprechanlage begrenzt. Bedingt durch das CT, ist die Strahlenbelastung pro Einwohner seit Mitte der 1990er-Jahre leicht angestiegen, obwohl die Häufigkeit der Röntgenuntersuchungen insgesamt abgenommen hat. Sie liegt nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz bei 1,6 Untersuchungen pro Einwohner und Jahr [2010]. Die Sonografie und die Magnetresonanztherapie (MRT) sind ebenfalls bildgebende Technologien. Sie gelten als belastungsarm, da sie keine ionisierenden Strahlen verwenden. Die zweidimensionale Sonografie basiert auf Ultraschallwellen. Beim MRT, auch Kernspin genannt, werden dreidimensionale Aufnahmen mittels Magnetfeldern und Radiowellen erzeugt. Die Einsatzgebiete sind ähnlich wie beim CT. Die Aufnahmen dauern jedoch länger. Im Fokus | Medizintechnik 69 GesundheitsWirtschaft | 8. Jahrgang | 5/14 | Oktober/November 2014 Neue Dimensionen der Strahlentherapie Die Entdeckung der Röntgenstrahlen Ende des 19. Jahrhunderts blieb nicht ohne Folgen. Schon früh zeichnete sich ab, dass ionisierende Strahlen den Körper nicht nur durchleuchten, sondern ebenso zu Hautrötung oder Haarausfall an den bestrahlten Stellen führen. Die unerwünschten Effekte machte sich die Strahlentherapie zunutze, indem sie versucht, die zellzerstörende Wirkung gezielt zu erzeugen. Die Bestrahlung wird seither eingesetzt, um Krebserkrankungen zu behandeln oder um Schmerzen zu lindern, beispielsweise wenn Patienten unter rheumatisch-entzündlichen Krankheiten leiden und andere Therapieversuche erfolglos blieben. Das Wissen um die Bestrahlungstechniken hat sich in den vergangenen 100 Jahren laufend verfeinert. Zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galten die Kobaltgeräte als technische Errungenschaft, da die Strahlen besser in die Tiefe drangen. Ende des 20. Jahrhunderts lösten moderne Beschleuniger die Kobaltgeräte ab, wodurch die Bestrahlung für die äußeren Hautschichten schonender wurde. In Kombination mit einer computergestützten Bestrahlungsplanung führen die Beschleuniger zu einer immer präziseren und damit nebenwirkungsärmeren Behandlung. Die dreidimensional gesteuerte Strahlung ist mittlerweile Standard. Der Strah- Die bildgebenden Verfahren zählen nach wie vor zu den zukunftsträchtigen Technologiefeldern der Branche (Kasten Strahlentherapie). Mit dem MRT wird es möglich, funktionelle Abläufe darzustellen, beispielsweise den Blutstrom in der Aorta. Die molekulare Bildgebung erlaubt, Zellen abzubilden und mithilfe von fluoreszierenden Markern Krankheiten früher zu erkennen. Technisch vorstellbar sind in- lentherapeut greift auf bildgebende Verfahren wie Computertomografie oder Kernspin (MRT) zurück, um Lage, Form und Ausdehnung des Tumors erkennen, markieren und in den Behandlungsplan übertragen zu können, bevor er den Tumor möglichst punktgenau bestrahlt. Neue Beschleuniger integrieren die Bildgebung, sodass sich die Simulationstechnik erübrigt. Künftig geht es darum, die vierte Dimension, die Zeit, zu berücksichtigen, damit die Strahlenexposition weiter verkürzt und präzisiert werden kann. Dies gelingt durch äußerst kurze Unterbrechungszeiten, wenn sich der Tumor dem Atemrhythmus des Patienten entsprechend bewegt und damit nicht mehr im Fokus der Bestrahlung liegt. Ein weiteres Feld der Strahlentherapie sind minimalinvasive stereotaktische Verfahren. Auf diese Weise können Radioonkologen Tumore oder Metastasen millimetergenau entfernen, ohne das umliegende Gewebe zu beschädigen. Etwa die Hälfte der Tumorpatienten kann mit einer Strahlentherapie erfolgreich behandelt werden, so die gängige Expertenmeinung. Wie hoch der personelle dividuell für den Patienten angefertigte künstliche Hüftgelenke, die auf 3-D-Bild- und -Druckverfahren basieren. Die Endoskopie wiederum ermöglicht, dass der Arzt den Köper von innen beobachtet, indem er ein mit Mikrokamera und Beleuchtung ausgestattetes Instrument in Köperöffnungen und Gefäße einführt. Die Vorläufer der modernen Endoskopie sind vor über 150 Jahren entstanden. Mittlerwei- Aufwand hierfür ist, ließ sich lange Zeit nur schätzen. Die Empfehlungen in den Leitlinien zum Ressourcenbedarf blieben daher vage. Das hat sich nun geändert. Die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) hat in einer prospektiven Studie in 24 Kliniken erstmals den realen Zeitaufwand für Ärzte, RadiologieAssistenten und Physiker erhoben. Die Ergebnisse sind in den Leitlinien abgebildet und fließen in die Verhandlung über die ärztliche Vergütung ein. Zum Beispiel nehmen sich die Ärzte für die Bestrahlung des Rektumkarzinoms pro Patient gut sieben Stunden Zeit, die Radiologie-Assistenten zwölf Stunden und elf Minuten. Die Physiker investieren knapp drei Stunden. Beim Mammakarzinom, um ein anderes Beispiel zu nennen, ist der Aufwand für alle drei Berufsgruppen geringer. „Wir haben den Personaleinsatz nicht in Geldeinheiten umgerechnet. Das müssen Ökonomen in Angriff nehmen“, sagt Prof. Dr. Normann Willich, Geschäftsführer der DEGRO, mit Blick auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung und Systemgestaltung. wes le werden Endoskope in der Chirurgie genutzt. Der Chirurg steuert die Instrumente von außen und verfolgt seine „Handgriffe“ über einen Monitor. Die Aufnahmen können um das 100fache vergrößert werden, was zu Präzisionseingriffen führt. Der Weg zur computerassistierten Tele-Chirurgie ist damit vorbereitet. Zu den neuesten Entwicklungen der bildgebenden Methoden zählt das Magnetic Partikel 70 Im Fokus | Medizintechnik Bis aus einer Pionierarbeit vermarktungsfähige Medizinprodukte entstehen, vergehen zehn bis zwanzig Jahre. Der Cluster MedizinTechnik.NRW, der 2011 auf Initiative der Landesregierung gegründet wurde, blickt so gesehen erst auf eine kurze Zeitspanne in der Wertschöpfungskette zurück. Dennoch wird bereits deutlich, welchen Input ein organisiertes Netzwerk leisten kann, um medizinische Innovationen für Prävention, Diagnostik und Therapie auf den Weg zu bringen. Im Bereich der biohybriden Medizinsysteme steht jetzt die Suche nach einer (finanziellen) Förderung für Projektvorhaben an, um die Idee eines künstlich erzeugten mitwachsenden Organs Wirklichkeit werden zu lassen. Für Organtransplantationen im Kindesalter wäre dies ein großer Fortschritt. „Zunächst ging es darum, zukunftsträchtige Handlungsfelder der Medizintechnikbranche in NRW zu identifizieren. Dann führten wir die Experten des Landes in Konsortien zusammen“, skizziert Clustermanager Dr. Oliver Lehmkühler die Anfänge der Netzwerkarbeit. Im Herbst 2013 kamen Akteure aus Forschung und Industrie zusammen, um sich über die Realisierungschancen von neuartigen Implantaten auszutauschen. Ein Experte für Zulassungsfragen aus dem Paul-EhrlichInstitut informierte über gesetzliche Anforderungen der verschiedenen Produktkategorien. „Um Entwicklungen zur Marktreife zu bringen, ist es wichtig, sich zu Beginn mit den Zulassungskriterien auseinanderzusetzen, um später nicht daran zu scheitern“, begründet Lehmkühler. Für innovative Therapien, die humane Zel- len und Gewebe nutzen, ist eine behördliche Zulassung gemäß europäischer Arzneimittelrichtlinie erforderlich. Eine Zertifizierung nach der Medizinprodukterichtlinie reicht nicht. Bei den biotechnologisch bearbeiteten Gewebeprodukten wie den biohybriden Implantaten spricht man von Advanced Therapy Medicinal Products (ATMP), deren Genehmigung im Arzneimittelgesetz geregelt ist. Das erste Treffen machte deutlich, dass zwei wichtige Akteure in dem Konsortium fehlten: die Anwender in den Kliniken und die Kostenträger, jetzt vertreten über die Barmer GEK. Bereichert durch die Impulse der neuen Teilnehmer, kristallisierte sich auf den Folgetreffen der Anwendungsbereich für biohybride Systeme heraus: Die Implantate sollen Herzklappen und Gefäße ersetzen können. Moderation und Lobbyarbeit Die breite Zusammensetzung des Konsortiums ermöglicht es, die gesamte Prozesskette bis zur Versorgung abzubilden und die in den jeweiligen Entwicklungsstadien auftretenden Fragen vorausschauend zu bearbeiten. Dies beginnt bei der universitären Forschung: Auf dem Gebiet der biohybriden Medizinsysteme ist Aachen führend. Mit Blick auf die chemischen Zusammenhänge bei der Fertigung von neuartigen Funktionsmaterialien ist Münster zu nennen, bei der Sensorik und Oberflächenbehandlung die Universität Siegen. Des Weiteren sind zwei Fraunhofer-Institute beteiligt sowie sechs Medizinproduktehersteller, von denen das Gros aus NRW stammt. Die beteiligten Hersteller haben sich auf Nanotechnologie, Bioreaktoren, Zahnimplantate, regenerative Medizin, die Aufbereitung von tierischen Zellen und Zellkulturen und auf die Erstellung formstabiler Materialien spezialisiert. Die Bandbreite erlaubt eine Synthese von Biochemie und Organplastizität, wie sie für biohybride Medizinsysteme benötigt wird. „Die Medizintechnik in NRW wird von vielen kleinen und mittelständischen Betrieben getragen. Darum ist es hier wichtig, Kompetenzen zu bündeln und landesweite Entwicklungsplattformen zu schaffen. Großkonzerne in anderen Bundesländern decken die verschiedenen Sparten bereits in einem Unternehmen ab“, sagt Lehmkühler. Der Cluster übernimmt auch eine Lobbyfunktion in Brüssel. Lehmkühler: „Die europäischen Programme resultieren aus Ideen der Mitgliedstaaten. Wir müssen daher zeigen, welchen Beitrag wir leisten können, um patientenindividuelle Therapien auf den Weg zu bringen. Unser Ziel sind Forschungsund Entwicklungsprogramme, damit wir die hiesige Kompetenz einbringen können.“ Der Cluster befindet sich zurzeit in der ersten dreieinhalbjährigen Laufzeit. Das Auftragsvolumen, finanziert über das Wissenschaftsministerium NRW, beträgt rund 2,4 Millionen Euro. Neben der Entwicklungsplattform für biohybride Systeme sind Konsortien für kardiovaskuläre Erkrankungen und motorische Rehabilitation entstanden, die primär den Transfer vorhandener Produkte in die Versorgung im Blick haben und hierbei die Patienten einbeziehen. wes Foto: Fotolia Best Practice: Cluster Medizintechnik.NRW Im Fokus | Medizintechnik Imaging (MPI). Das noch junge Verfahren basiert auf dem messtechnischen Nachweis von magnetischen Nanopartikeln. Die ersten auf dieser Technik basierenden Scanner sind für Kleintiere entwickelt worden. Ob das Verfahren für Menschen geeignet ist und ob sich die erwarteten Vorteile gegenüber den bisherigen Bildgebungsverfahren realisieren lassen, ist noch ungewiss. Daher fördert die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) ein präklinisches Projekt zur Grundlagenforschung, in dem das erste kommerzielle MPI-Gerät weltweit zum Einsatz kommt. Die Förderung beträgt rund vier Millionen Euro. Der MPI-Scanner steht im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, ein zweiter in der Berliner Charité soll folgen. GesundheitsWirtschaft | 8. Jahrgang | 5/14 | Oktober/November 2014 Herausforderung Schnittstellen Manchmal reicht ein Blick auf die Bilder, um eine Verdachtsdiagnose zu erhärten oder zu widerlegen. Meist sind weitergehende Untersuchungen nötig. Nicht nur Patienten mit seltenen Erkrankungen erleben, dass bis zur richtigen Diagnose Monate oder Jahre vergehen können. Zum klinischen Alltag gehört es, den Patienten Gewebeproben oder Körperflüssigkeiten zu entnehmen und an Labore zu senden. Dort fahnden Spezialisten nach Krankheitserregern und Defekten. Die Grundlagen der modernen Mikrobiologie gehen gleichfalls auf das 19. Jahrhundert zurück und sind mit Namen wie Louis Pasteur und Robert Koch verwoben. Der Umgang mit den potenziell infektiösen Materialien ist riskant, damals wie heute. In einschlägigen Gesetzen und Verordnungen ist geregelt, welche Vorkehrungen die Absender, Verlader, Beförderer und Fahrzeugführer treffen müssen, damit der Transport von A nach B sicher erfolgt. Nicht minder bedeutsam ist die richtige Zuordnung von Probe, Laborergebnis und Patient. Jede Verwechslung wäre mit fatalen Folgen verbunden. Die Logistik im 71 Medizinprodukte am Markt Dass die am Markt erhältlichen Produkte einwandfrei sind, soll die CE-Kennzeichnung zum Ausdruck bringen (CE steht für Communautés Européennes). Die Hersteller erklären damit, dass ihre Produkte der Zweckbestimmung entsprechend einsetzbar sind. Dem geht ein Konformitätsbewertungsverfahren voraus. Die Art des Verfahrens hängt wiederum von der Risikoklasse des Produkts ab. Bei Produkten höherer Risikoklassen muss eine unabhängige Prüf- und Zertifizierungsstelle hinzugezogen werden. Wer dies sein kann, legt die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten fest. Den Herstellern steht es frei, zu wählen, an welche „Benannte Stelle“ sie sich innerhalb Europas wenden. Anders als bei Arzneimitteln spielt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für die Zulassung Hintergrund muss reibungslos laufen. Durch die Entwicklung mobiler Diagnostikverfahren am Ort der Behandlung ist es möglich, die Schnittstellen im Fahndungsprozess ein Stück weit zu reduzieren und den Behandlungsbeginn zu beschleunigen. Nichtsdestotrotz bleibt die Schnittstellenkommunikation in dem stark arbeitsteiligen Medizinsystem eine Herausforderung. Die Ansprüche an Effizienz, Qualität, Sicherheit und Schnelligkeit wachsen stetig. Ohne Informationstechnologie wäre das kaum zu schaffen. Sie hat sich den Weg in die Gesundheitsversorgung sukzessive erobert, von den ersten vorsichtigen Schritten bei der Verarbeitung von Patientenstammdaten über das inter- von Medizinprodukten keine Rolle, sondern tritt erst in Erscheinung, wenn Produktmängel beklagt werden und – davon unabhängig – bei der Genehmigung von klinischen Studien. Ob dieses Verfahren zugunsten einer staatlichen Zulassung von Medizinprodukten in Europa geändert werden sollte, wird europaweit diskutiert. Bei der ersten Lesung zur Novellierung der bisherigen Richtlinie am 2. April 2014 sprach sich die Mehrheit des europäischen Parlaments jedoch dagegen aus. Die Beratungen laufen weiter. Die europäische Medizinprodukteverordnung würde, anders als die derzeit gültige Medizinprodukterichtlinie, unmittelbar in nationales Recht überführt, sodass das deutsche Medizinproduktegesetz samt seiner Durchführungsverordnung keine Gültigkeit mehr hätte, es sei denn, dass die europäische Verordnung nationale Gestaltungspielräume enthält. wes ne Rechenzentrum bis zur Umstellung auf papierlose Patientenakte und den elektronischen Datentransfer über die Sektorengrenzen hinweg. Softwarelösungen im klinischen Alltag sind nicht darauf beschränkt, die Kommunikation zwischen Mensch und Technik per Computer zu kanalisieren, sondern zielen immer öfter auf den Informationsaustausch der Maschinen untereinander. Durch integrierte SoftwareModule und Robotik wird es möglich, Operationsabläufe zu überwachen und unterstützend einzugreifen. Dies birgt Potenzial für Systemlösungen. „Die Medizintechnik hat mittlerweile einen hohen Entwicklungsstand erreicht. Obwohl es immer noch klinisch re- Im Fokus | Medizintechnik 72 Sicherheit geht vor Dr. Martin Danner ist Sprecher des Koordinierungsausschusses der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Dr. Siiri Ann Doka ist Mitglied im Unterausschuss Methodenbewertung des G-BA. Herr Danner, stehen „sprechende Medizin“ und „Gerätemedizin“ im Widerspruch? Danner: Für uns steht die sprechende Medizin deshalb im Mittelpunkt, weil Arzt und Patienten sich im Behandlungsgeschehen intensiv austauschen müssen, um die Behandlungssituation richtig einschätzen zu können und um für den weiteren Behandlungsverlauf die richtigen Entscheidungen zu treffen. Stehen hervorragende Medizinprodukte zur Verfügung, dann erweitert dies die Entscheidungsoptionen. Sprechende Medizin und Gerätemedizin stehen daher nicht im Widerspruch. Solch ein Gedanke kommt allenfalls auf, wenn diskutiert wird, ob man lieber Arzthonorare oder in Geräte investieren soll. Das „Entweder-Oder“ ist für uns fehl am Platz. Welche Aspekte sind aus Patientensicht wichtig, wenn neue Medizintechniken zur Diskussion stehen? Doka: Das Entscheidende für Patientinnen und Patienten ist immer die Sicherheit des Medizinproduktes beziehungsweise der Untersuchungsund Behandlungsmethode, bei der die neue Technik zur Anwendung kommen soll. Für uns hat dieser Aspekt höchste Priorität, weil Mängel bei einem Medizinprodukt eine lebenslange Leidensgeschichte eines Patienten auslösen können. Sicherheitsfragen betreffen auch die Art der Untersuchung und Behandlung, etwa den Einsatz eines Lasers. In diesen Fällen kann es notwendig und wichtig sein, Qualitätskriterien festzulegen, wie die Medizinprodukte anzuwenden sind. Darüber hinaus ist wichtig, dass die neue Methode den Patientinnen und Patienten einen wirklichen Nutzen bringt. Idealtypisch sollte eine Neuerung eine Verbesserung für Patientinnen und Patienten darstellen und gleichzeitig keine oder nur geringe Risiken aufweisen. Worauf legen Sie bei der Methodenbewertung Wert? Doka: Letzten Endes genau auf diese beiden Aspekte, auf die Sicherheit des Produkts und der Methode. Leider ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nicht für alle Bereiche zuständig, die für die Sicherheit relevant sind. Die Zertifizierung der Medizinprodukte findet bei den Benannten Stellen statt, die Überwachung von Medizinprodukten liegt beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass eine CE-Kennzeichnung häufig nicht ausreicht, um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu schützen, zum Beispiel bei Brustimplantaten oder Stents. Hier wäre Handlungsbedarf. Über den G-BA können wir Sicherheitsfragen nur einbringen, wenn neue Methoden bewertet werden. Von der Sicherheit hängt stark ab, ob wir zu einerr positiven Einschätzung kommen oder nicht. Gibt es eine grundlegende Position, die die rund 100 Patientenvertreter in den G-BA-Gremien eint? Danner: Wir vertreten diejenigen, die angeblich im Gesundheitswesen immer im Mittelpunkt stehen: die Patienten. Das ist notwendig, da zuweilen die Eigeninteressen der Kostenträger und Leistungserbringer durchschlagen, die zwar „ihre“ Versicherten bzw. Patienten immer mitdenken sollten, doch dann Folgekosten scheuen oder Honorarfragen in den Vordergrund stellen. Bei IGeL-Leistungen können sich die Eigeninteressen sogar gegenseitig verstärken, da sie die Krankenkassen nichts kosten und für die Leistungserbringer finanziell lukrativer sein können als eine GKV-Leistung. Unsere Aufgabe ist es dann, auf richtige Aufklärung zu pochen. Ohne eine wirksame Einwilligung darf niemand Hand an den Patienten legen. wes GesundheitsWirtschaft | 8. Jahrgang | 5/14 | Oktober/November 2014 Im Fokus | Medizintechnik levante Verbesserungsoptionen bei den einzelnen Geräten gibt, wird es zunehmend wichtiger, vorhandene Diagnostik-, Labor- und OP-Technik in Prozesse und Zeitabläufe eines Krankenhauses zu integrieren, sodass die Anwender und Patienten hiervon profitieren“, skizziert Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer des ZVEI Fachverbands Elektromedizinische Technik, den Weg in die Zukunft. „Die Verbindung von medizintechnischen Verfahren mit Informationstechnologien der nächsten Generation ist einer der Trends der Branche“, bestätigt Manfred Beeres vom Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed). „Wir gehen davon aus, dass der medizintechnische Fortschritt immer rasanter werden wird. Die besten Innovationen entstehen, wenn verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten.“ Ein breites Anwendungsfeld ist mit der Telemedizin gegeben. Das Monitoring steht für ein hohes Maß an Patientensicherheit durch interagierende Überwachungssysteme, vorausgesetzt, der Patient stimmt dem zu. Zum Beispiel können Diabetiker ihren Blutzucker daheim digital erfassen; die Werte werden anschließend per Funk an Empfangsgeräte in der Arztpraxis übertragen und lösen im Notfall dort ein Signal aus. Ähnliche Verfahren existieren für Patienten mit Herzinsuffizienz oder einer chronischobstruktiven Lungenerkrankung. Die Anwendung ist in Selektivverträgen geregelt. Eine EBM-Abrechnungsziffer für den ambulanten Bereich steht weiterhin aus. Der Spitzenverband der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung verhandeln derzeit über den elektronischen Arztbrief, die Überprüfung von Herzschrittmachern und Online-Fallkonferenzen beim Mammografie-Screening. Dessen ungeachtet geht die technische Entwicklung weiter. Implantate werden immer kleiner und können immer mehr. Beeres beschreibt: „Neue Herzschrittmacher sind mit einem Sender ausgestattet. Der Patient erhält zusätzlich ein Empfangsgerät, über das die Daten an den Arzt transferiert werden. Je nach Modell werden die Daten entweder kontinuierlich gesendet oder zu bestimmten Zeiten ausgelesen.“ Der Trend zur Miniaturisierung führt schließlich dazu, dass Herzschrittmacher entstehen, die so klein wie Knopfzellenbatterien sind und über die Gefäße an der Leiste zum Herzen geschoben werden können, damit sie dort ihre Wirkung entfalten. Innovationssprünge sind bei den Implantaten und Prothesen selten. Fortschritt findet statt, indem einzelne Komponenten kontinuierlich besser werden. Entwicklungspotenzial besteht bei den Batterien, die bei Herzschrittmachern zum Einsatz kommen. Durch selbstaufladende Energiequellen könnte der Batteriewechsel, der immer mit einem kleinen operativen Eingriff verbunden ist, künftig vermieden werden. Anwender brauchen Sicherheit Seit jeher gehören Medizinprodukte zur Behandlung. Dies beginnt beim Verband einer Wunde, der Schiene bei einem Beinbruch, dem Katheter für Infusionen und endet beim künstlichen Hüftgelenk, dem Stent, Bypass oder der Herzklappe. Je höher die Risikostufe, desto notwendiger sind Sicherheitsvorkehrungen. Seit geraumer Zeit wird diskutiert, ob Medizinprodukte ein ähnliches Zulassungsverfahren durchlaufen sollten wie Arzneimittel, um am Markt angeboten werden zu „Facility-Management“ 73 dürfen (siehe „Medizinprodukte am Markt“). Für wesentlich entscheidender als eine Reform der Marktzulassung hält Bursig jedoch die Frage, ob neue Medizintechniken bei der Abrechnung von Krankenhausleistungen mit der Krankenkasse geltend gemacht werden können. Er führt aus: „In der Diskussion werden oft zwei Aspekte vermengt. Bevor Medizinprodukte am Markt zugelassen werden, ist ihre Sicherheit geprüft worden. Hierfür stehen die Hersteller ein. Sie haften für ihre Produkte mit allen Konsequenzen. Für die Refinanzierung über die GKV ist hingegen relevant, welchen medizinischen Nutzen die neue Medizintechnik hat. Das Verfahren der frühen Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln lässt sich aber nicht ohne Weiteres übertragen, da sich der klinische Nutzen von Medizinprodukten zum Beispiel wesentlich in der Lebensqualität niederschlägt. Der Effekt für die 5-Jahres-Überlebensrate ist dagegen nur schwer zu bestimmen. Es ist schonender für Patienten, wenn Operationen minimalinvasiv und Bestrahlungen punktgenau erfolgen.“ Nicht immer sind die neuen Techniken teurer als das Standardgerät oder -verfahren. Innovation ist dann keine Frage des Geldes, sondern hängt davon ab, ob die neue Technik ebenso wie die herkömmlichen Verfahren abgerechnet werden darf. „Wenn den Kliniken die Sicherheit fehlt, dass sie die neue Technik abrechnen können, zum Beispiel ein minimalinvasives Verfahren oder ein unterstützendes Telemonitoring, fehlt die Bereitschaft zur Innovation aus Sorge, auf den Kosten sitzen zu bleiben“, beschreibt Bursig das gegenwärtige Dilemma zwischen engen Abrechnungskorridoren und dem Streben nach Innovation. … steht „Im Fokus“ der Ausgabe 1/2015. Sichern Sie sich jetzt Ihren Anzeigenplatz im redaktionellen Umfeld: Waltraud Zemke · Mediaberaterin · Telefon (0 56 61) 73 44-81 · [email protected]