KIEFERORTHOPÄDIE KIEFERORTHOPÄDIE KIEFERORTHOPÄDIE NACHRICHTEN NACHRICHTEN Sonderdruck Sonderdruck Ausgabe 9/o9 • September • 7. Jahrgang AusgabeSonderdruck 9/o9 • September • 7. Jahrgang Ausgabe 9/o9 • September • 7. Jahrgang Stabile Gleichgewichtssituation des orofazialen Systems Stabile Gleichgewichtssituation des orofazialen Systems Stabile Gleichgewichtssituation des orofazialen Systems Biofunktionelle Frühbehandlung Biofunktionelle Frühbehandlung Prof. Dr. Dr.Wilfried Engelke über den Einsatz eines Vakuumaktivators und sich daraus ergebende, Biofunktionelle Frühbehandlung Prof. Dr.Wilfried Engelke über den Einsatz eines Vakuumaktivators und sich daraus ergebende, neueDr. Aspekte für die Frühbehandlung von Kindern, bei denen orofaziale Dysfunktionen als Mal- neueDr. Aspekte fürokklusion die Frühbehandlung von Kindern, bei denen orofaziale Dysfunktionen als MalProf. Dr.Wilfried Engelke über den Einsatz eines Vakuumaktivators sich daraus ergebende, auslösende Faktoren angenommen werdenund müssen. okklusion auslösende Faktoren angenommen werden müssen. neue Aspekte für die Frühbehandlung von Kindern, bei denen orofaziale Dysfunktionen als Mal„myofunktioneller StörunEine Anlagerung der Zunge stark von der Po- angenommen Funktionsstörungen okklusion des Strukturen auslösende Faktoren werden müssen. Funktionsstörungen des orofazialen Systems im Kinorofazialen Systems im Kindesalter haben erhebliche Funktionsstörungen des desalter haben erhebliche Bedeutung für die Entsteorofazialen Systems im KinBedeutung für die Entstehung vonhaben Malokklusionen: desalter erhebliche hung von Malokklusionen: So stellte bereits Bedeutung für die Edward EntsteSo stellte bereits Edward Angle 1907Malokklusionen: fest: Eine orthohung von Angle 1907Behandlung fest: Eine orthodontische hat So stellte bereits Edward dontische Behandlung hat wenig Aussicht auf Erfolg, Angle 1907 fest: Eine orthowenig Aussicht auf Erfolg, wenn die funktionellen dontische Behandlung Stöhat wenn die funktionellen Störungen weiter bestehen. Ein wenig Aussicht auf Erfolg, rungen weiter bestehen. Ein Gleichgewicht der auf Stödie wenn die funktionellen Gleichgewicht der auf die Zahnreihe einwirkenden rungen weiter bestehen. Ein Zahnreihe einwirkenden Kräfte stellt nach Proffit Gleichgewicht der auf die Kräfte stellt eine nachwesentliProffit (1978) hierfür Zahnreihe einwirkenden (1978) hierfür eine wesentlicheVoraussetzung ProfKräfte stellt nachdar. Proffit cheVoraussetzung dar.allerProffit (1978) beobachtete (1978) hierfür eine wesentlifit (1978) beobachtete allerdings im Rahmen dar. desProfvon cheVoraussetzung dings im Rahmen des von ihm vorgestellten Funkfit (1978) beobachtete allerihm vorgestellten Funktionskonzeptes ein des erheblidings im Rahmen von tionskonzeptes ein erhebliches Ungleichgewicht zwiihm vorgestellten Funkches Ungleichgewicht zwischen der Zunge einerseits tionskonzeptes ein erheblischen der Zunge einerseits und von Lippen undzwiäuchesden Ungleichgewicht und den von Lippen und äußeren Weichgewebsstruktuschen der Zunge einerseits ßeren Weichgewebsstrukturen Kräften und ausgeübten den von Lippen und anäuren ausgeübten Kräften andererseits. ßeren Weichgewebsstruktudererseits. Deshalb stellte er fest, dass ren ausgeübten Kräften anDeshalb stellte erder fest,Funkdass das Verständnis dererseits. das Verständnis der Funktion des stellte orofazialen SysDeshalb er fest, dass tion des orofazialen Systems offensichtlich noch das Verständnis der Funktems offensichtlich noch nicht ausreiche, um präzise tion des orofazialen Sysnicht ausreiche, um präzise Vorhersagen über tems offensichtlichdessen noch Vorhersagen über dessen Funktion zu treffen. nicht ausreiche, um präzise Funktion zu treffen. John Mew (2004) bestätigte Vorhersagen über dessen John Mew (2004) bestätigte ältere Auffassungen in Funktion zu treffen. ältere Auffassungen in einem 2004 verfassten John Mew (2004) bestätigte einem 2004 verfassten Übersichtsartikel mit der ältere Auffassungen in Übersichtsartikel mit der Feststellung: „Es gibt keinen einem 2004 verfassten Feststellung: „Es gibt keinen Zweifel darüber, dass Übersichtsartikel mitunter der Zweifel darüber, dass unter bestimmten VoraussetzunFeststellung: „Es gibt keinen bestimmten Voraussetzungen faziale und dentale Zweifel darüber, dass unter gen faziale und dentale bestimmten Voraussetzungen faziale und dentale Strukturen stark von der Position der Weichgewebe besition der Weichgewebe beeinflusst werden und einige Strukturen stark von der Poeinflusst werden und einige Formen Malokklusion sition derder Weichgewebe beFormen der Malokklusion offensichtlich ihre Ursache einflusst werden und einige offensichtlich ihreWeichgeUrsache in der Position (der Formen der Malokklusion in der Position (der Weichgewebe) haben.“ ihre Ursache offensichtlich webe) haben.“ Weichgewebsfunktion wird in der Position (der WeichgeWeichgewebsfunktion wird häufig mit „Myofunktion“ webe) haben.“ häufig mit „Myofunktion“ Weichgewebsfunktion wird häufig mit „Myofunktion“ „myofunktioneller Störungen“ wirken könnten, näher gen“ wirken könnten, näher zu analysieren. „myofunktioneller Störunzu analysieren. Es istwirken weitgehend unstrittig, gen“ könnten, näher Es isteine weitgehend unstrittig, dass tiefe kaudale Lage zu analysieren. dass eine tiefe kaudale Lage der Zunge am Mundboden Es ist weitgehend unstrittig, der Zunge am Mundboden bei dass offener eine tiefeMundhaltung kaudale Lage bei offener Mundhaltung für die dentoalveoläre Entder Zunge am Mundboden für die dentoalveoläre Entwicklung schädlich ist. bei offener Mundhaltung wicklung schädlich ist. für die dentoalveoläre Entwicklung schädlich ist. Abb. 1: Tiefe Zungenlage bei offener Mundhaltung. Abb. 1: Tiefe Zungenlage bei offener Mundhaltung. gleichgesetzt, also WeichgeAbb. 1: Tiefe Zungenlage bei offener Mundhaltung. gleichgesetzt, also Weichgewebshaltung ausschließlich webshaltung ausschließlich durch Aktivität der muskugleichgesetzt, also Weichgedurch Aktivität der verbunmuskulären Strukturen webshaltung ausschließlich lären Strukturen verbunden. hatder der myodurchLeider Aktivität muskuden. Leider Ansatz hat der bisher myofunktionelle lären Strukturen verbunfunktionelle Ansatz bisher noch allgemein akden. nicht Leiderzuhat der myonoch nicht zu allgemein akzeptierten, vorhersagbaren funktionelle Ansatz bisher zeptierten, vorhersagbaren Behandlungsresultaten genoch nicht zu allgemein akBehandlungsresultaten geführt. Insofern ist es lohzeptierten, vorhersagbaren führt. Insofern ist es lohnend, die Faktoren, die geals Behandlungsresultaten nend, die Faktoren, die als die funktionelle Basis führt. Insofern ist es lohdie funktionelle Basis nend, die Faktoren, die als die funktionelle Basis Nach Mew (2004) ist gerade Nach (2004) ist gerade diese Mew Position typisch für diese Position typisch für industrialisierte Länder, Nach Mew (2004) ist gerade industrialisierte Länder, ebenso typisch wie die Tatdiese Position typisch für ebenso typisch wie dieLänTatsache, dass in diesen industrialisierte Länder, sache, dass in diesen Ländern die Entwicklung von ebenso typisch wie die Tatdern die Entwicklung von verschiedenen Malokklusache, dass in diesen Länverschiedenen Malokklusionsformen endemisch von ist. dern die Entwicklung sionsformen endemisch ist. Wenn die Zunge nun nicht verschiedenen MalokkluWenn die Zunge nun nicht am Mundboden liegen soll, sionsformen endemisch ist. am Mundboden liegen soll, stellt sich die Frage, welche Wenn die Zunge nun nicht stellt sich die Frage, welche Alternativen existieren: am Mundboden liegen soll, Alternativen existieren: stellt sich die Frage, welche Alternativen existieren: Eine Zunge nach Anlagerung oben an den der Gaumen – nach oben an den Gaumen – wie von der myofunktionelEine Anlagerung der Zunge wie von der myofunktionellen empfohlen nachTherapie oben an den Gaumen – len Therapie empfohlen – löst das Problem nur scheinwie von der myofunktionellöst das Problem nur scheinbar. Eine dauerhaft erhöhte len Therapie empfohlen – bar. Eine dauerhaft erhöhte aktive Spannung der Zunge löst das Problem nur scheinaktive Spannung der Zunge durch kontinuierliche Anbar. Eine dauerhaft erhöhte durch kontinuierliche Anspannung ihrer intrinsiaktive Spannung der Zunge spannung ihrer intrinsischen und extrinsischen durch kontinuierliche Anschen und extrinsischen Muskeln spannung wäre ihrervergleichintrinsiMuskeln wäre vergleichbar damit, man eischen und dass extrinsischen bar damit, dassempfiehlt, man einem Kugelstoßer Muskeln wäre vergleichnem Kugelstoßer empfiehlt, er bar möge damit, dadurch dass manEnteier möge dadurch Entspannung suchen, dass nem Kugelstoßer empfiehlt, spannung suchen, dass er dauerhaft einen Arm in möge dadurch Enter dauerhaft einen Arm in die Höhe hält. Dies könnte spannung suchen, dass die Höhe hält. Dies könnte sicherlich einen er dauerhaft einengewissen Arm in sicherlich einen gewissen Trainingseffekt haben, aber die Höhe hält. Dies könnte Trainingseffekt haben,selbst aber irgendwann ermüdet sicherlich einen gewissen irgendwann ermüdet selbst der stärkste Muskel und Trainingseffekt haben, aber der stärkste MuskelRuheund sucht eine bequeme irgendwann ermüdet selbst sucht eine bequeme Ruheposition. Eine Dauerander stärkste Muskel und position. Eine Daueranspannung der Zunge ist sucht eine bequeme Ruhespannung der Zunge ist nämlich nicht nur auf Dauer position. Eine Dauerannämlich nicht nur auf Dauer ermüdend, sondern spannung der Zungeauch ist ermüdend, sondern auch energieaufwendig. Hat die nämlich nicht nur auf Dauer energieaufwendig. Hat die Natur also sondern tatsächlich im ermüdend, auch Natur also tatsächlich im Mund auf einen Mechaenergieaufwendig. Hat die Mund auf einen Mechanismus gesetzt, der zum ErNatur also tatsächlich im nismus gesetzt, der zum Erhalt eines physiologischen Mund auf einen Mechahalt eines physiologischen Gleichgewichtszustandes nismus gesetzt, der zum ErGleichgewichtszustandes ausschließlich auf einen halt eines physiologischen ausschließlich auf einen dauernden SpannungszuGleichgewichtszustandes dauernden Spannungszustand angewiesen Anausschließlich aufist?einen stand angewiesen ist? eine Anders gefragt, muss dauernden Spannungszuders gefragt, muss eine Herabsetzung des ist? Muskelstand angewiesen AnHerabsetzung des Muskeltonus der Zunge ders gefragt, muss auch eine tonus der Zunge auch gleichzeitig unHerabsetzungmit deseiner Muskelgleichzeitig mit einer unphysiologischen Lage am tonus der Zunge auch physiologischen Lage am Mundboden, also einer Art gleichzeitig mit einer unMundboden, also einer Art physiologischen Lage am Mundboden, also einer Art GmbH & Co.KG · Weissenhorner Str. 2 · 89250 Senden · Germany · Tel. (+49) 0 73 09 / 8 72-22 · Fax (+49) 0 73 09 / 8 72-24 www.bredent.com · e-mail [email protected] Abb. 2: Modell orofazialer Funktionen in Anlehnung an Proffit (1978): Beein- Abb. 3: Biofunktionelles Modell nach Engelke (2007): Kräftegleichgewicht flussung der dentoalveolären Situation durch innere (Zunge) und äußere durch Schluss der intraoralen Kompartimente nach Art einer elastischen Vakuumkammer: Bei geschlossenen Kompartimenten entsteht ohne MuskelaktiMuskelaktivität (Lippen). vität ein von vestibulär und oral gegen die Zahnreihe gerichteter gleichgroßer Druckgradient. Kontrolle des Kompartimentschlusses durch Vakuumaktivator. a b Abb. 4a, b: Situation der oralen Kompartimente im offenen Zustand (a) und im geschlossenen Ruhezustand (b) mit interokklusalem und subpalatinalen Unterdruck. Die Pfeile zeigen die Wirkung der Druckdifferenz zwischen Atmosphäre und Kompartiment. „Herumliegen“ verbunden sein? Oder könnte es einen Mechanismus geben, der der Zunge eine bequeme Lage ermöglicht, in der sie ihre biofunktionelle Aufgabe erfüllt und sich zugleich in einem energetisch optimierten physiologischen Ruhezustand befindet? Offensichtlich gibt es einen solchen optimalen physiologischen Ruhezustand, leider ist er bisher nur wenig bekannt. Bereits im Jahre 1914 hat der kieferorthopädisch tätige Zahnarzt Körbitz durch Selbstbeobachtung festgestellt, dass nach einem bewusst durchgeführten Schluckakt die Zunge überall fest dem Gaumen anliege und das Gefühl einer behaglichen Mundruhe entstehe. Genau genommen bedeutet dies nichts anderes, als dass die Zunge in Ruhe am Gaumen hängen bleibt, sozusagen „abhängen“ kann und nicht am Mundboden „herumliegen“ muss. Das Körbitz-Manöver ist nichts Weiteres als ein durch forciertes Schlucken entstehender Zustand einer Zungen-Gaumen-Kontaktposition, die auch nach dem Schluckakt weiter in Ruhe während nasaler Atmungstätigkeit fortbesteht. Dies wurde von Eckert-Möbius 1953 durch kasuistische Röntgenaufnahmen bestätigt. Vierzehn Jahre später führte Fränkel (1967) Experimente durch, in denen er durch Kunststoffschilde im Mund den geschlossenen Ruhezustand nach Körbitz soweit verstärkte, dass die Versuchspersonen während des Manövers ihren Mund nicht mehr öffnen konnten. Fränkel betätigte mit diesem Experiment sein Konzept des dreifachen Mundschlusses. Leider blieben auch diese Ver- suche weitgehend ohne Resonanz für die klinische Behandlung. Stattdessen wurde in den 70er- und 80erJahren die myofunktionelle Therapie mit aktiver Positionierung der Zunge ohne Bezug auf die bestehenden Beobachtungen der genannten Autoren entwickelt und verbreitet. Ein objektiv dokumentierbares Manöver, das ein systematisches Trainieren des Körbitz-Versuches erlaubt, wurde erst 2003 als druckkontrolliertes Zungenrepositionsmanöver beschrieben und in der Folge (Engelke 2003, Engelke et al. 2006) radiologisch an einer größeren Patientenzahl untersucht. Wie lässt sich nun eine Gaumenkontaktposition ohne kontinuierliche Muskelspannung, d. h. das Zungenrepositionsmanöver (Zungenparkposition, „Abhängen“ der Zunge in Ruhe, ge- schlossene Ruheposition) biomechanisch erklären? Hierzu hat Engelke (2007) die wichtigsten Strukturen des orofazialen Systems zusammengefasst und als biofunktionelles Modell im Zusammenhang der Rhonchopathie beschrieben: Das biofunktionelle Modell des orofazialen Systems unterscheidet grundsätzlich biofunktionelle Einheiten, d. h. Hart- und Weichgewebsstrukturen als Bauelemente, funktionelle Kompartimente, die von den funktionellen Einheiten begrenzten Räume und funktionelle Verschlüsse, die die Kompartimente voneinander abgrenzen. Im Gegensatz dazu gehen bisherige Modelle von orofazialen Funktionen lediglich von inneren und äußeren muskulären „Funktionskreisen“ aus, die sich im Wesentlichen auf die von Proffit (1978) beschriebene Modellvorstellung im Zusammenhang der Äquilibriumtheorie beziehen. In dieser älteren Modellvorstellung des orofazialen Systems werden äußere muskuläre Komponenten (Lippen und mimische Muskulatur) und innere Muskeln (im Wesentlichen die Zunge und angrenzende Muskeln) beschrieben, die auf die Zahnreihen Kräfte ausüben. Proffit (1978) stellte allerdings bereits fest, dass eine vereinfachende Betrachtung von Lippen- und Zungendruck zu unzulässigen Schlussfolgerungen führt. Denn es sei offensichtlich, dass Zungenkräfte beim Schlucken immer wesentlich höher seien als Lippenkräfte, die sie kompensieren sollten. Das biofunktionelle Modell demgegenüber nimmt an, dass die Zahnreihen nicht nur durch unmittelbare neuromuskuläre Aktivität beeinflusst werden, sondern u. a. durch ein physikalisch entstehendes Kräftegleichgewicht, das durch den Verschluss intraoraler Abb. 6: Indikation zur Anwendung der BFT: Dysfunktionell bedingte sagittale Anomalie. Abb. 7: Indikation zur BFT: Zungenhabit im frühen Wechselgebiss. Abb. 5: Vakuumaktivator für Kinder. Kompartimente während und nach dem Schluckvorgang entsteht. Hiernach wird neuromuskulär nur die Bildung eines intraoralen subatmosphärischen Druckes unterstützt, nicht jedoch notwendigerweise eine dauerhafte Tonuserhöhung gefordert. Dies ist seit dem von Fränkel publizierten vorläufigen Bericht zumindest Stand der Wissenschaft, ohne dass es jedoch eine angemessene Beachtung in Therapeutenkreisen gefunden hätte. Gaumensegel, Zunge und Lippen können dabei im biofunktionellen Modell nach Art von Rückschlagventilen fungieren, es entsteht durch Unterdruckbildung während des Schluckvorganges ein extra-intraoraler Druckgradient, der die intraoralen Strukturen nach Art einer elastischen Vakuumkammer komprimiert. Somit wäre die Gaumenkontaktsituation der Zunge nach Körbitz (1914) ein neuromuskulär initiierter und physikalisch unterhaltener Zustand, in dem die Zunge nicht der Schwerkraft folgt, sondern durch den atmosphärischen Druck an Ort und Stelle, d. h. in Kontakt mit dem Gaumen gehalten wird: Ein genialer Trick der Natur, um die Zunge in einer physiologischen Position ausruhen zu lassen. Das Vorhandensein von spontanen Unterdruckphasen im Mund, die nach dem biofunktionellen Modell notwendig sind, wurde bereits in Arbeiten von Thuer et al. (1999) sowie durch eigene Beobachtungen hinlänglich unter Beweis gestellt. Neuere Arbeiten bestätigen auch die mit dem Schluckvorgang verbundene Bildung negativen Druckes im Mund (Kieser et al.). Interessanterweise legen ältere Beobachtungen an Säuglingen nahe, dass der Zustand eines intraoralen Unterdruckes regelmäßig bereits beim Neugeborenen auftritt (Lindner 1991). Hauck et al. (2005) haben in neuerer Zeit festgestellt, dass Säuglinge, die Schnuller zum Einschlafen erhalten, seltener einen plötzlichen Kindstod erleiden. Auch hier spielt möglicherweise die Kom- partimentbildung zur biofunktionellen Stabilisierung eine wesentliche Rolle. Konsequenzen aus biofunktioneller Gleichgewichtstheorie für die Praxis Das Behandlungsprinzip besteht im Wesentlichen aus dem Erlernen und Einüben des Zungenrepositionsmanövers mit dem Resultat eines dreifachen Mundschlusses, wie von Fränkel konzipiert. Der Vakuumaktivator hat dabei eine wesentliche Bedeutung. Er zeigt vereinfacht gesprochen an, ob sich im Mund ein geschlossener Ruhezustand eingestellt hat. Das Gerät zeigt also an, ob die Zunge am Gaumen „abhängt“ oder in der Mundhöhle „herumliegt“. Ist die Membran des Vakuumaktivators eingezogen, befindet sich die Zunge in ihrer Parkposition am Gaumen und „hängt ab“. Der geschlossene Ruhezustand liegt vor, mit ihm ein Kräftegleichgewicht der oral und vestibulär anliegenden Weichgewebe. Ist die Membran nicht eingezogen, so folgt die Zunge der Schwerkraft. Die Ventile sind geöffnet, es herrscht ein Zustand, in dem wechselnde Kräfte auf die Zahnreihe einwirken können, je nach Aktivierung der einzelnen beteiligten Einheiten wie Lippen, Wangen und Zunge. Es wird also über eine Druckanzeige zweifelsfrei möglich, den therapeutisch erwünschten Zustand zu identifizieren und somit auch in der Therapiesituation zu vermitteln. Aus dem Gesagten ergeben sich wesentliche, neue Aspekte für die Frühbehandlung von Kindern, bei denen orofaziale Dysfunktionen als Malokklusion auslösende Faktoren angenommen werden müssen. Mundatmen Ein gestörtes orofaziales Gleichgewicht liegt bei Mundatmern vor, und zwar bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen. Bereits im a Abb. 8a, b: Gleichgewicht nach dem Prinzip des Fränkel-Experimentes (1967) durch vestibuläre und orale Führungsschienen: Der silencos-Vakuumaktivator* wird bei interdentaler Zungenposition mit einer lingualen Führungshilfe verbunden. Jahre 1972 fand Schopf unter 1.000 Kindern im Alter zwischen acht und zwölf Jahren mit behandlungsbedürftigen Zahnstellungsanomalien 271 Mundatmer. Bei offener Mundhaltung resultierte eine transversale Enge des oberen Zahnbogens sowie eine Tendenz zu frontal offenem Biss. Bei 101 von Schopf untersuchten a Kindern wurden daneben auch Anzeichen beginnender Parodontopathien festgestellt. Die Aufforderung, den Mund zu schließen, ist bei Mundatmern therapeutisch keineswegs ausreichend, um eine stabile Gleichgewichtssituation des orofazialen Systems zu erreichen. Vor einer biofunktionellen Übungsbehandlung ist es erforderlich, abzuklären, ob eine anatomisch bedingte Störung der Nasenatmung oder eine andere hals-nasen-ohrenärztliche Erkrankung vorliegt. Erst nach deren sicherem Ausschluss kann eine biofunktionelle Behandlung erfolgen. Nach dem biofunktionellen Modell steht in erster Linie die Herstellung einer geschlossenen Ruhelage durch Training mit dem Vakuumaktivator im Vordergrund, also für die Kinder und Jugendlichen eine Umstellung der b Zungenfunktion in Ruhe: „abhängen statt herumliegen“. Die Ruhelage wird durch Erlernen des Zungenrepositionsmanövers und schrittweises Erhöhen der Tragezeit erarbeitet. Wird zunächst eine tägliche Übungszeit von dreimal 10 Minuten begonnen, so kann durch systematisches Nutzen der nicht kommunikativen Phasen am Tage, z. B. beim Fernsehen, Lesen, bei den Hausaufgaben, vor dem Schlafengehen, die Übungszeit beliebig verlängert werden, um eine Automatisierung der geschlossenen Ruheposition zu erzielen. Nach einem ca. dreimonatigen Intervall sollte die Behandlung soweit fortgeschritten sein, dass ein Tragen des Gerätes nicht mehr erforderlich ist, um die spontane Einnahme der geschlossenen Ruheposition zu unterstützen. Jederzeit können Auffrischungsphasen für die Übungsbehandlung erfolgen. Funktionell bedingte Malokklusion Die aus dem biofunktionellen Modell abgeleitete Gleichgewichtstheorie besagt, dass sich dann funktionell bedingte Störungen nicht einstellen, wenn sich das orofaziale System für einen suffizienten Zeitraum im Zustand des geschlossenen Ruhezustandes befindet. Ziel einer daraus abgeleiteten Therapie wären Behandlungsmaßnahmen, die diesen Zustand erlernen, trainieren und unterstützen sowie objektiv kontrollieren. Eine b ausschließliche Behandlung mit dem Vakuumaktivator ist allerdings als Behandlungsmaßnahme nur ausreichend, wenn zu Behandlungsbeginn keine wesentliche Okklusionsstörung vorliegt, die eine interdentale Position der Zunge beim Zungenrepositionsmanöver erlaubt, und somit zu einer pathologischen Verbindung zwischen interokklusalem und subpalatinalem Funktionsraum und somit zur Unwirksamkeit des Manövers führen kann. Zusätzlich zum Einsatz desVakuumaktivators muss in solchen Fällen eine linguale Führungshilfe für die Zunge eingegliedert werden, die während der Aktivierung das Eindringen der Zunge in den interokklusalen Raum verhindert. In diesem Zusammenhang ist die ge- zielte Aktivierung durch verschiedene Saugübungen nutzbringend. Alle Maßnahmen, die gezielt eine differenzierte Unterdruckbildung in den Kompartimenten 1 (interokklusaler Raum) und 2 (subpalatinaler Raum) erlauben, tragen grundsätzlich zur Bildung eines physikalischen Gleichgewichtes bei. Im Rahmen der Therapie sollte die Phase des Gleichgewichtszustandes soweit erhöht werden, dass eine bestehende Störung kompensiert wird und eine stabile funktionelle Situation entsteht. Dies lässt sich klinisch oder durch ein Druckmonitoring beweisen. In Zweifelsfällen kann jederzeit ein Homemonitoring zur Überprüfung der Funktionsumstellung durchgeführt werden. Nach Rückführung der Okklusionsstörung kann auf eine einfache Form der Übung ohne linguale Führungshilfe zurückgegriffen werden. Schlucken und Saugen Saugen und Schlucken sind elementare Lebensäußerungen, die lange vor der lautsprachlichen Kommu- Anmerkung der Redaktion Zum Artikel „Biofunktionelle Frühbehandlung“ ist eine Literaturliste verfügbar, die unter folgender E-Mail-Adresse angefordert werden kann: [email protected] b Abb. 9a, b: BFT-Spieltherapie: Vakuumaktivator mit angeschlossenem Verbindungsschlauch (a), BFT-Spieltherapie mit Handpuppen (b). a nikation und vor der Kaufunktion präsent sind und aufs Engste mit emotionalen Faktoren, d. h. oralen Bedürfnissen verbunden sind. Aus Sicht des biofunktionellen Modells sind sowohl das Saugen als auch das Schlucken im Normalfall außerordentlich wirksame Mechanismen, die am Zustandekommen eines Kompartimentschlusses ursächlich beteiligt sind. Insofern kann regelmäßiges Saugen und Schlucken – wie beim Säugling als wesentlich für eine physiologische Biofunktion angesehen werden – im Gegensatz zur Lautbildung und Mundatmung, grundsätzlich nicht zu einer Störung des Gleichgewichtes der Kräfte und zu einem temporären Austrocknen des Mundmilieus mit verstärkter Biofilmbildung führen. Primär kann deshalb das „Nuckeln“ solange als sinnvoll angesehen werden, als nicht Daumenlutschen, Lippensaugen oder andere ungeeignete Lutschobjekte einer neutralen biofunktionellen Wirkung entgegenstehen. Durch ein geeignetes Design von Lutschobjekten können allerdings die Forderungen der biofunktionellen Therapie eines funktionsneutralen Kompartimentschlusses gelöst wer- den, sodass z. B. die Kombination eines Vakuumaktivators mit einem Beruhigungssauger als nützliches Therapieinstrument Verwendung finden kann. Dies gilt letztendlich auch für die funktionelle Therapie schlafbezogener Atemstörungen beim Erwachsenen. In diesem Zusammenhang besteht auch die Möglichkeit, verschiedene Spielgeräte in Handpuppenform bei der Motivation und Übung in dafür empfänglichen Lebensphasen der kleinen Patienten nutzbringend einzusetzen. Abschließend sei die Frage gestellt: Was sollte das orofaziale System in Ruhe eigentlich leisten, um das offensichtlich notwendige Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten? Die aus dem biofunktionellen Modell abgeleiteten Antworten sind recht eindeutig: „Abhängen“ der Zunge am Gaumen statt „herumliegen“ am Mundboden. Dies führt zur: � Unterstützung der Atmung durch einen offenen Luftweg � Entlastung der neuromuskulär aktiven biofunktionellen Einheiten: Erholung von Aktivität und/oder Hyperaktivität � Unterstützung einer gesunden Gebissentwicklung in der Frühbehandlung � Und – last but not least – Gesunderhaltung des oralen Milieus durch Aktivierung des Speichelflusses und Verhinderung einer Austrocknung oraler Strukturen. Gerade hier ist eine erwünschte Nebenwirkung, die Reduktion der frühkindlichen Karies absehbar, ohne dass dafür derzeit evidenzbasierte Daten vorliegen würden. *Anm. d. Red.: Beim silencosVakuumaktivator handelt es sich um ein Produkt der Firma bredent GmbH & Co. KG, Senden (www.bredent.com). Adresse Prof. Dr. Dr. Wilfried Engelke Universitätsmedizin Göttingen Georg-August-Universität Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Tel.: 05 51/39 83 06 Fax: 05 51/39 92 17 E-Mail: [email protected] www.mkg.med.uni-goettingen.de Kurzvita Prof. Dr. Dr. Wilfried Engelke • 1976–1985 Klinische Tätigkeit und Fachweiterbildung in Chirurgie, HNO, Phoniatrie (MH Hannover) • 1986 –1988 Assistent an der Kieferchirurgischen Abt. der GAU Göttingen • seit 1988 Ltd. Oberarzt der Abt. Zahnärztliche Chirurgie, GAU Göttingen • seit 1989 Leiter der Implantatsprechstunde am Zentrum ZMK • seit 1992 Leiter des Labors für Orofaziale Funktionsdiagnostik und Endoskopie am Zentrum ZMK • 1992 Habilitation • 1993–1997 DFG-Forschungsprojektleiter, EU-Alfaprojekt-Koordinator • 1997 apl. Professur • Arbeitsschwerpunkte: Dentale Implantologie, Odontoskopie, Rhonchopathiebehandlung • zahlreiche nationale wie internationale Publikationen, Patente, Kongressbeiträge, Fortbildungsveranstaltungen • Lehr- und Forschungstätigkeit in Kooperation mit internationalen Arbeitsgruppen in USA, Argentinien, Korea • Mitgliedschaft in diversen Fachgesellschaften • Orthodontic Study Club Biofunktionelle Therapie mit silencos /silencos kids Wie wirkt die biofunktionelle Therapie mit dem Vakuumaktivator? Mundatmung bei offener Ruhelage Schnarchen durch instabiles Gaumensegel bei Mundatmung und verzweigtem Luftweg. Nasenatmung bei geschlossener Ruhelage Die Funktionsweise Der Vakuumaktivator hilft durch tägliches Training die Lippen geschlossen zu halten und durch Schlucken einen geschlossenen Ruhezustand im Mund zu erzeugen. Durch Unterdruck erhält dabei der Zungengrund Kontakt mit dem Gaumensegel. Es entsteht das Gefühl eines festen aber angenehmen Zustandes des Mundrachensystems. Dieser Vorgang wird über eine Membran angezeigt, die hier als Biofeedbacksystem genutzt wird. So können Übungen zum inneren Mundschluss und zur geschlossenen Ruhelage kontrolliert und behandelt werden. Ziel der Behandlung ist eine möglichst dauerhafte Systemstabilisierung der geschlossenen Ruhelage. silencos für die Kinderfrühbehandlung Geschlossene Ruhelage, unverzweigter Luftweg und stabiles Gaumensegel mit eingesetztem Vakuumaktivator. Das Therapiegerät silencos kids Das Ziel der biofunktionellen Therapie für Kinder ist, durch tägliches Training die Habitualisierung der natürlichen Zungenruhelage am Gaumen und das Training der Nasenatmung zu erreichen. silencos kids wird wie eine Mundvorhofplatte getragen. Das Gerät wird durch das Sammeln von Speichel und anschliessendem kräftigen Schlucken aktiviert. Die Kontrollmöglichkeit beim Üben ergibt sich durch die Visualisierung des Unterdrucks an der Membran. Regelmäßiges Training über einen bestimmten Zeitraum bewirkt, dass die Zunge nachhaltig am Gaumen bleibt. Es kann ein Gleichgewicht der Kräfte des orofazialen Systems erzielt werden. silencos kids wurde für Kinder im Vorschulalter entwickelt und bietet ein breites Behandlungsspektrum: • • • • • • Behandlung der pathologischen Mundatmung kontrollierte Behandlung von Habits myofunktionelle Störungen Anbildung einer natürlichen Zungenruhelage Nachbehandlung bei Adenotonsillektomie Behandlung von habituellen Dysfunktionen silencos für Erwachsenenbehandlung Primäres Schnarchen kann mit der biofunktionellen Therapie erfolgreich behandelt werden. Der Vakuumaktivator hilft durch tägliches Training die Lippen geschlossen zu halten und durch Schlucken einen geschlossenen Ruhezustand im Mund zu erzeugen. Durch Unterdruck erhält der Zungengrund Kontakt mit dem Gaumensegel. So wird ein Schwingen im Luftstrom sowie Schnarchgeräusche verhindert. Das Nachtgerät verschließt den Mund nach außen und stabilisiert das Gaumensegel – für einen geräuschlosen Schlaf. GmbH & Co.KG · Weissenhorner Str. 2 · 89250 Senden · Germany · Tel. (+49) 0 73 09 / 8 72-22 · Fax (+49) 0 73 09 / 8 72-24 www.bredent.com · e-mail [email protected] 10/09 341 0D ?