Stellungnahme des Netzwerks der Geburtshäuser in Deutschland zur Anfrage des Rates zu Fragen der bedarfsgerechten Versorgung 1. Definition des Begriffes Geburtshaus : Geburtshäuser sind selbständige, außerklinische Einrichtungen der Primärversorgung von Schwangeren und Gebärenden. Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und die Förderung des Gesundheitsbewußtseins stehen im Vordergrund. Die Dienstleistungen umfassen eine frauengerechte und individuelle Betreuung für Schwangere, Gebärende, Wöchnerinnen und deren Familien. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit im medizinischen und im psychosozialen Bereich werden die angebotenen Leistungen vervollständigt. Die medizinische Leitung obliegt Hebammen gemäß den Hebammenberufsordnungen der Bundesländer und dem Hebammengesetz in der Fassung vom 04.06.1985. Die Zeit vor, während und nach der Geburt wird als natürlicher Prozess im Leben einer Frau gesehen. Diese wichtige Phase der Familienbildung wird in einer Atmosphäre der Ruhe, der Geborgenheit und des Vertrauens umfassend begleitet. In Geburtshäusern wird mit wenigen Ausnahmen ausschließlich ambulante Geburtshilfe angeboten. Durch die Organisation einer regelmäßigen und kompetenten Nachbetreuung durch Hebammen zu Hause wird der Wöchnerin ermöglicht, das Geburtshaus wenige Stunden nach der Geburt zu verlassen.. Das Versorgungsangebot richtet sich dabei an Frauen mit risikoarmen Schwangerschaften, für die - das belegen inzwischen zahlreiche Studien aus dem In - und Ausland - die angemessene Versorgung die ambulante außerklinische und nicht die stationäre Versorgung sein kann.1 Geburtshäuser erfüllen damit den gesundheitspolitischen Anspruch, stationären Aufenthalt so weit als möglich zu vermeiden. 2. Entwicklung der Versorgung mit Geburtshäusern in Deutschland : In Deutschland existierten bis zur Gründung des ersten Geburtshauses in Berlin 1987 nur einige wenige Entbindungsheime, die in der Regel stationäre Geburten anboten. Nach der Initiierung in Berlin verbreitete sich die Idee der Geburtshäuser innerhalb weniger Jahre über ganz Deutschland, mittlerweile gibt es in Deutschland über 50 Geburtshäuser und ca. 20 Initiativen zur Gründung eines Geburtshauses. 1993 wurde zur Koordinierung und Förderung der Geburtshausarbeit das Netzwerk der Geburtshäuser in Europa gegründet, das Mitglieder aus Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich und der Schweiz vertritt. Aus dem europäischen Netzwerk gingen nachfolgend einige selbständige nationale Verbände hervor; das deutsche Netzwerk der Geburtshäuser besteht seit Mai 1999 und vertritt einen Großteil der bestehenden Geburtshäuser und der Gründungsinitiativen in Deutschland. Eine aktuelle Liste der Geburtshäuser liegt bei, aus ihr 1 Sens-Peterhofen, Niedersächsisches Ärzteblatt 1992 u.1993; Neumeyer, Freie Univ. Berlin; Linder u. Rupert, Mabuse1994; Milenovic u.a., München 1998; Dangel-Vogelsang u.a., Hamburg 1997; Rooks u.a., New England Journal of Medicine 1989; Campbell and Macfarlane, Oxford 1987; Alten u.a. British Journal of Obstetrics and Gynecology 1989 kann die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Geburtshäusern nachvollzogen werden. Die Nachfrage der Frauen und Familien nach dieser Form der geburtshilflichen Versorgung hat einen großen Bedarf geschaffen. Zwar liegen kaum statistische Referenzzahlen vor, die Auskunft über die tatsächliche Anzahl der Geburten in Geburtshäusern geben können. • Der Berliner Gesundheitsbericht belegt, dass die Zahl ambulanter außerklinischer Geburten seit 1985 von 1,7% auf knapp 4% 1995 kontinuierlich gestiegen ist. Ungefähr die Hälfte dieser außerklinisch geborenen Kinder kam in Geburtshäusern zur Welt, bei weiter anhaltender Zunahme.2 • In der bundesweiten Erhebung zur Qualitätssicherung außerklinischer Geburten wurden im Zeitraum vom 01.07.1997 bis 31.12.1998 insgesamt 8294 Geburten dokumentiert, von denen 3408 in Geburtshäusern stattfanden. Für das Jahr 1999 wird die Auswertung von ca. 8000 Geburten erwartet. Die Autorinnen gehen allerdings von einer Erfassung von nur ca.60 Prozent der tatsächlich außerklinisch stattfindenden Geburten aus. Dies würde bedeuten, dass bereits in den Jahren 1997 und 1998 weit über 3000 Geburten jährlich in Geburtshäusern zu verzeichnen waren. Da die Zahl der Geburtshäuser in Deutschland kontinuierlich steigt, ist davon auszugehen , dass auch die Anzahl der dort stattfindenden Geburten in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen hat3 Die Aufnahmekapazität der Geburtshäuser ist nach der Einschätzung und Erfahrung der Hebammen aber immer noch zu gering, um die Nachfrage zu befriedigen. Auch wenn diese Einschätzung in Deutschland nicht belegt ist, liegen aus England eindrucksvolle Ergebnisse vor, die besagen, dass 10 bis 15 % der Frauen ihre Kinder lieber außerhalb der Klinik zur Welt bringen würden, wenn sie die Wahlmöglichkeit hätten.4 Die grundsätzlich fehlende vertragsrechtliche Anerkennung der Institution Geburtshaus führt jedoch dazu, dass nur jene Frauen und Familien in Geburtshäuser gelangen, die ökonomisch in der Lage sind, die anfallenden Betriebs-/Sachkosten selbst zu tragen und die sich durch die in der Öffentlichkeit stattfindende Risikopolarisierung zwischen klinischer und außerklinischer Geburtshilfe nicht verunsichern lassen. Zudem hat die Konzentration der Geburtshäuser in (Groß-)Städten zur Folge, dass Frauen in ländlichen Gebieten meist kein nahe gelegenes Geburtshaus als Alternative zur Klinik zur Verfügung haben. Auch aufgrund der konzeptuellen Rahmenbedingungen der Geburtshäuser, die als Basiseinrichtung der Primärversorgung einerseits gesundheitspädagogische Ziele der Eigenverantwortlichkeit und der Selbstbestimmung und andererseits den Erhalt des gesundheitlichen Wohlergehens und die Minimierung von Komplikationen bei Frauen und Kindern durch Prävention schon in der Schwangerschaft in den Mittelpunkt rücken, sollte die Versorgung in Geburtshäusern gerade auch den Frauen und Familien offenstehen, die aufgrund ihrer sozialen Lebenszusammenhänge weniger begünstigt sind. 1. Zusammenarbeit mit bestehenden Einrichtungen und Strukturen 2 Senatsverwaltung für Gesundheit in Berlin, Jahresgesundheitsbericht Berlin 1980-1995 Qualitätssicherung in der außerklinischen Geburtshilfe, Berlin 2000 4 Campbell, Rona, The Place Of Birth, in : Alexander Jo, Valerie Levy und Sarah Roch : Intrapartum Care. A Research based approach. London 1990 3 Je nach Konzept sind bereits innerhalb der Geburtshäuser verschiedene Berufsgruppen vertreten. Neben Hebammen können ÄrztInnen, PsychologInnen, Geburtsvorbereiterinnen, HeilpraktikerInnen etc. in Geburtshäusern tätig sein. Nach außen ist das Geburtshaus auf eine gute Zusammenarbeit mit einer naheliegenden geburtshilflichen Klinik und mit einer pädiatrischen Abteilung angewiesen. Eine weitere Schnittstelle ist die Betreuung von Schwangeren in Zusammenarbeit mit niedergelassenen Gynäkologen. Für die Versorgung des ambulant entlassenen Neugeborenen ist die Übernahme der Vorsorgeuntersuchungen durch niedergelassene Pädiater erforderlich. Zur vollständigen Durchführung der Schwangerenvorsorge nach Mutterschaftsrichtlinien ist das Geburtshaus auf ein kooperierendes Labor angewiesen. In den genannten Punkten treten je nach örtlicher Situation verschiedene Probleme auf. In der Zusammenarbeit mit Kliniken ist festzustellen, dass die meisten Geburtshäuser mit der nächstgelegenen gynäkologischen Fachabteilung in Kontakt stehen und Regelungen zur Weiterleitung von Geburten, die nicht im Geburtshaus stattfinden können getroffen haben. Diese Zusammenarbeit geht aber nicht soweit, dass die jeweiligen Abteilungen bereit wären, vertragliche Regelungen mit den Geburtshäusern abzuschließen. Im Rahmen der Qualitätssicherung ist der Abschluss verbindlicher Regelungen für die Geburtshäuser jedoch ein angestrebtes Ziel. Ähnliches gilt für pädiatrische Abteilungen oder kinderärztliche Notdienste. In der Zusammenarbeit mit niedergelassenen Gynäkologen werden Geburtshäuser häufig mit dem Problem konfrontiert, dass viele Gynäkologen trotz Vorliegen guter Ergebnisse außerklinische Geburtshilfe sowie das selbständige Arbeiten von Hebammen kategorisch ablehnen. Gemeinsam betreute Schwangere geraten dadurch häufig in Konflikte und werden in einer objektiven Entscheidungsfindung behindert. Auch stellt der Informationsaustausch über die gemeinsam betreute Schwangere oft ein Problem dar, da die mitbetreuende Hebamme von den Gynäkologen vielerorts nicht als Kollegin angesehen wird. Da die Versorgung mit niedergelassenen Pädiatern dicht ist, stellt die Übernahme der fälligen frühen Vorsorgeuntersuchungen in der Regel kein Problem dar. In der Beauftragung eines Labors entsteht das Problem, dass Hebammen zwar berechtigt und verpflichtet sind, Blutuntersuchungen durchzuführen, andrerseits aber keinen Überweisungsschein für den Laborarzt ausstellen dürfen. Dieses Problem wurde übergangsweise an den meisten Orten dergestalt gelöst, dass der Laborarzt zum Auftrag einer Hebamme einen eigenen Überweisungsschein ausstellen darf, der von den Krankenkassen akzeptiert wird. Diese Lösung ist jedoch unbefriedigend und verlangt von den Hebammen Vorabverhandlungen mit dem für sie tätigen Labor. 2. Kosten und Finanzierung : Wie durch den beigelegten Kostenvergleich belegt wird, stellen Geburtshäuser eine kostensparende Alternative zu Krankenhäusern dar. In diesem Zusammenhang fallen vor allem folgende Punkte ins Gewicht : • • • Der Kostenaufwand in Geburtshäusern ist niedrig Geburten in Geburtshäusern finden nahezu ausschließlich ambulant statt Die Rate der operativen Eingriffe ist niedrig Noch nicht in diesem Vergleich berücksichtigt sind die niedrigeren Folgekosten, die u.a. durch eine niedrige Verletzungsrate der Frauen und eine hohe Stillfrequenz erreicht werden. Trotz der erwiesenen Kostenersparnis ist die Anerkennung durch die Krankenkassen umstritten. Zwar werden die Kosten für die Tätigkeit der Hebammen nach Hebammengebührenverordnung von den Krankenkassen erstattet, der Aufwand für Unterbringung, Pflege und Verwaltung wird von den Krankenkassen in der Regel aber nicht oder nur anteilig übernommen. Die mittlerweile jahrelangen Bemühungen, mit den Krankenkassen zu verbindlichen Vertragsabschlüssen zu gelangen, scheitern immer wieder an der nach Ansicht der Krankenkasse fehlenden gesetzlichen Grundlage für Geburtshäuser. An dieser Situation hat auch die letzte Stellungnahme von Frau Nickels in ihrer Funktion als Staatssekretärin bei der Ministerin für Gesundheit vom 22.03.2000, in der klargestellt wird, dass nach Ansicht des BMG § 197 RVO eine ausreichende gesetzliche Grundlage für Vertragsverhältnisse zwischen den Krankenkassen und den Geburtshäusern darstellt, bis jetzt nichts verändert. Da keine klare Regelung besteht, sind alle Erstattungen Einzelfallentscheidungen, die damit sogar Versicherte der selben Krankenkasse je nach Geschäftsstelle oder Sachbearbeiter mit sehr unterschiedlichen Erstattungsverfahren konfrontiert. Dies hat zur Folge, dass Eltern, die sich für eine Geburt im Geburtshaus entscheiden, Teile der Kosten selber tragen müssen und darüber hinaus zum Teil von ihren Krankenkassen mit äußerst unsachlichen Argumenten in der Wahl ihres Geburtsortes beeinflußt werden. 1. Qualitätssicherung Da die außerklinische Geburtshilfe in Deutschland immer wieder polemischen Angriffen seitens der Ärzte über das angebliche Risiko von Geburtshilfe außerhalb der Kliniken ausgesetzt ist, wurden in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, repräsentative Zahlen zu erheben. Die Ergebnisqualität außerklinischer Geburtshilfe wird mittlerweile durch die bundesweite, von den Hebammenverbänden in Auftrag gegebenen Erhebung außerklinischer Geburten eindrucksvoll belegt (Exemplar liegt bei). Die Geburtshäuser befinden sich seit Anfang 2000 in der Entwicklung eines umfassenden Qualitätssicherungsprojektes, das in Zusammenarbeit mit den Krankenkassenverbänden und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherer erstellt wird. Auch hierzu liegt Material bei. Abschließend ist festzustellen, dass Geburtshäuser in ihrer Arbeit vor allem durch fehlende Regelungen mit den Krankenkassen und anderen Leistungserbringern behindert sind. Außerdem scheinen die Krankenkassenverbände eine Verlagerung normaler Geburten in den ambulanten Bereich eher zu behindern als zu unterstützen. Eine Institutionalisierung der Einrichtung Geburtshaus könnte die Grundlage dafür schaffen, die Zahl ambulanter Geburten im Bundesgebiet weiter deutlich zu steigern Anlagen : • Erhebung außerklinischer Geburten • Kostenvergleich • Qualitätssicherungsprojekt • Liste der Geburtshäuser in Deutschland München, im August 2000