Handbuch der Geschichte Europas 2297 Europa zwischen den Kriegen 1914-1945 Handbuch der Geschichte Europas 9 Bearbeitet von Walther L. Bernecker 1. Auflage 2002. Buch. 569 S. Kartoniert ISBN 978 3 8252 2297 0 Format (B x L): 15 x 21,5 cm Weitere Fachgebiete > Geschichte > Europäische Geschichte Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. UTB 2297 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Beltz Verlag Weinheim und Basel Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien Wilhelm Fink Verlag München A. Francke Verlag Tübingen und Basel Paul Haupt Verlag Bern · Stuttgart · Wien Verlag Leske + Budrich Opladen Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart Mohr Siebeck Tübingen C. F. Müller Verlag Heidelberg Ernst Reinhardt Verlag München und Basel Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen WUV Facultas · Wien Handbuch der Geschichte Europas – Band 9 Walther L. Bernecker Europa zwischen den Weltkriegen 1914 –1945 17 Karten 6 Tabellen Verlag Eugen Ulmer Stuttgart Walther L. Bernecker ist Inhaber des Lehrstuhls für Auslandswissenschaft (Romanischsprachige Kulturen) an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist außerdem Bundesvorsitzender des Deutschen Spanischlehrerverbandes. Seine Arbeitsschwerpunkte sind deutsche, spanische und lateinamerikanische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Er veröffentlichte u. a. Anarchismus und Bürgerkrieg (1978), Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg (3. Aufl. 1997), Die Handelskonquistadoren – Europäische Interessen und mexikanischer Staat im 19. Jahrhundert (1988), Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert – Vom Ancien Régime zur parlamentarischen Monarchie (1990), zusammen mit Horst Pietschmann Geschichte Spaniens. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. (3. Aufl. 2000), Religion in Spanien. Darstellung und Daten zu Geschichte und Gegenwart (1995), MitHerausgeber Handbuch der Geschichte Lateinamerikas (3 Bände 1996 ff.), zusammen mit Horst Pietschmann und Rüdiger Zoller: Eine kleine Geschichte Brasiliens (2000). Titelfoto: Streik der Textilarbeiter in Lancashire (Großbritannien) gegen die Einführung des „Mehrstuhlsystems“: Schlange der Streikenden vor dem Streikbüro. Foto von 1929. (Foto: akg-images) Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-8252-2297-7 (UTB) ISBN 3-8001-2780-6 (Ulmer) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2002 Verlag Eugen Ulmer GmbH & Co. Wollgrasweg 41, 70599 Stuttgart (Hohenheim) E-Mail: [email protected] Internet: www.ulmer.de Lektorat: Dr. Renate Blickle, Dr. Nadja Kneissler Herstellung: Otmar Schwerdt Satz und Repro: ES Typo-Graphic, Ellen Steglich, Stuttgart Druck: Gutmann, Talheim Bindung: Koch, Tübingen Printed in Germany ISBN 3-8252-2297-7 (UTB-Bestellnummer) Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort des Verfassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 11 1 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen . . . . . . . 13 2 Nationalstaatliche Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1 2.1.1 2.1.2 Deutschland: Weimarer Republik und Drittes Reich . . . . . . . . Die Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das nationalsozialistische Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 37 69 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 Italien: Geburt des Faschismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liberaler Staat in der Defensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbruch zur Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die totalitäre Diktatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Großmachtträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 99 103 108 113 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 Die Sowjetunion: Aufbau des „Sozialismus in einem Land“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krieg und Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgerkrieg und Reichszerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „Übergangsgesellschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialistischer Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 117 124 130 135 140 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 Frankreich: Die lange Krise der Dritten Republik . . . . . . . . . . . Nationale Bewährung und Triumph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prosperität und Ordnung: die 20er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krise und Destabilisierung: die 30er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 145 148 155 2.5 Großbritannien: Sozialstaatsentwicklung, Kolonialproblematik, Appeasement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Der Erste Weltkrieg und die Parteienentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 164 Weltwirtschaftskrise, Welfare State und das Scheitern totalitärer Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2.5.1 2.5.2 6 Inhaltsverzeichnis 2.5.3 2.5.4 Vom Empire zum Commonwealth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Problematik der Appeasement-Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 177 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.6.5 Spanien: Der zweifache Zusammenbruch der Demokratie . . . Die Krisen der Restaurationsmonarchie (1898–1923) . . . . . . . . . . . . Die Diktatur Primo de Riveras (1923–1930) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zweite Republik zwischen Reform und Revolution (1931–1936/39) Der Bürgerkrieg 1936–1939 und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spaniens „Neutralität“ im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 183 186 190 195 204 2.7 2.7.1 2.7.2 Portugal: Republik und Estado Novo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Zusammenbruch der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Salazarismus und Estado Novo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 206 209 2.8 2.8.1 2.8.2 2.8.3 Skandinavien: Neutralität, Demokratie, Sozialstaatsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norwegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 216 221 226 2.9 2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4 2.9.5 Osteuropa: Strukturprobleme einer Neuordnung . . . . . . . . . . . Der Weg in die Nachkriegsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederaufbau und wirtschaftliche Konsolidierung . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Demokratie und Diktatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltwirtschaftskrise und Destabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Scheitern der parlamentarischen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . 231 231 241 247 257 264 2.10 Die Schweiz: Neutralität, Strukturveränderungen, Kriegsverwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der langsame Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . Politische Gegensätze und Frontenfrühling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu den umstrittenen Geschäften der Schweiz im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2.11 2.11.1 2.11.2 2.11.3 2.11.4 Die westeuropäischen Kleinstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die drei Kleinstaaten im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 278 280 283 283 3 Der Zweite Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 3.1 3.1.1 3.1.2 Der militärische Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Krieg um Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Luftkrieg um England und der U-Boot-Krieg . . . . . . . . . . . . . . . 288 290 291 2.10.1 2.10.2 2.10.3 266 266 268 Inhaltsverzeichnis 3.1.3 3.1.4 3.1.5 Italien, der Balkan und Nordafrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Überfall auf die Sowjetunion und der Kriegseintritt Japans . . . . . Das Ende des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 297 302 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 Okkupation, Kollaboration, Widerstand, Holocaust . . . . . . . . . Besatzungsmacht und Kollaboration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der europäischen Faschismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerstand und Befreiung besetzter Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . Das andere Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 304 308 311 314 317 3.3 3.3.1 3.3.2 Nachkriegspläne zur Neuordnung Europas . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gipfeltreffen der „Großen Drei“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gründung der UNO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 328 332 4 Strukturprobleme der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4.1 Zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft: Widersprüche, Diskontinuität und Zerrissenheit . . . . . . . . . . . Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturwandel, Staat und Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 337 346 354 359 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 Die internationalen Beziehungen zwischen Status quo und Radikalrevisionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pariser Vorortverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reparationsproblematik und Weltwirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . Völkerbund und Paktsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kommunistische Internationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Destabilisierung der Versailler Ordnung in den 30er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Fehlschlag der Europabewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungen und Recht: gemeineuropäische Tendenzen und nationalstaatliche Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeineuropäische Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutschland: von der liberal-demokratischen Republik zum rassenideologischen „Führerstaat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Italien: vom liberalen Parlamentarismus zum faschistischen Korporatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jugoslawien: von der verfassungsmäßigen Monarchie zum autoritären Zentralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die sowjetischen Verfassungen der UdSSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 361 364 366 368 370 375 376 377 381 384 386 387 390 7 8 Inhaltsverzeichnis 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 Kultur und Kunst: Avantgarde, Vermassung, Propaganda . . . . Krieg, Revolution und künstlerische Avantgarde . . . . . . . . . . . . . . . . Modernes Leben und Massenkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „Gleichschaltung“ der Massenkultur und die Polarisierung der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Forschungsstand, Forschungskontroversen und Forschungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10 5.11 Deutschland: Weimarer Republik und Drittes Reich . . . . . . . . . . . . . Die Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Dritte Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Skandinavien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Osteuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die westeuropäischen Kleinstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 407 413 427 431 439 444 452 459 464 469 475 479 6 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10 6.11 6.12 6.13 6.14 6.15 6.16 6.17 Charakter der Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Skandinavien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Osteuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die westeuropäischen Kleinstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Zweite Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaft und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die internationalen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungen und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultur und Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 483 498 500 505 507 511 513 516 520 524 528 530 535 537 538 539 5 390 390 394 Inhaltsverzeichnis/Abkürzungen und Siglen Zeittafel 1914 –1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 550 562 Abkürzungen und Siglen AfS AHR APuZ CEH EHR GG GWU HistT HZ IWK = = = = = = = = = = JBfGO JCH NPL PVS RR SR SS SZG TfAH VZG ZfG = = = = = = = = = = = Archiv für Sozialgeschichte The American Historical Review Aus Politik und Zeitgeschichte Contemporary European History European History Review Geschichte und Gesellschaft Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historisk Tidskrift (Schweden) Historische Zeitschrift Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Jahrbücher für Geschichte Osteuropas Journal of Contemporary History Neue politische Literatur Politische Vierteljahresschrift Russian Review Slavic Review Slavic Studies Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Tidskrift for arbeiderbevelgens historie Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9 Vorwort des Herausgebers Das Handbuch der Geschichte Europas (HGE) zeigt die historischen Voraussetzungen des modernen Europa. Es ermöglicht die kritische Auseinandersetzung mit Europa durch den Nachweis geschichtlicher Kontinuitäten und Brüche und dient damit dem Verständnis der europäischen Integration. Das Handbuch der Geschichte Europas (HGE) umfasst 10 Bände in chronologischer Abfolge. Es behandelt jedes europäische Land gesondert sowie Europa als kulturelle Einheit insgesamt und ist in dieser Konzeption neu. Das Handbuch der Geschichte Europas (HGE) vermittelt in kompakter Form gesichertes historisches Wissen auf dem neuesten Forschungsstand. Für jeden Band trägt ein Autor die Verantwortung. Alle Bände folgen der gleichen Gliederung. In einem einleitenden Kapitel über den Charakter der Epoche bringt der Autor seine eigene Interpretation zur Darstellung. Das Länderkapitel behandelt jedes europäische Land entsprechend seiner Bedeutung für die Epoche. Im Sachbereichskapitel werden die europäischen Gemeinsamkeiten herausgearbeitet, systematisiert nach Verfassung und Recht, Politik und internationalen Beziehungen, Gesellschaft und Wirtschaft sowie Kultur und Religion. Ein Schlusskapitel erörtert Forschungsstand, Forschungskontroversen und Forschungsperspektiven, wobei die nationalen historiographischen Traditionen angemessen berücksichtigt werden. Gelegentliche Modifikationen des Schemas sind sachbezogen. Ein umfassendes Verzeichnis der Literatur schließt jeden Band ab. Bern, im Frühjahr 2002 Peter Blickle Vorwort des Verfassers Der vorliegende Band über Europa in der Zwischenkriegszeit hält sich hinsichtlich seines formalen Aufbaus im wesentlichen an die Vorgaben des Handbuchs der Geschichte Europas. Bezüglich des Anfangs- und Endpunkts der behandelten Epoche bedarf es allerdings eines Hinweises: Sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg fallen in den Bearbeitungszeitraum dieses Bandes. Der Verfasser hat sich dafür entschieden, kein eigenes Kapitel über den Ersten Weltkrieg voranzustellen, dessen Verlaufsgeschichte und Analyse vielmehr in das einführende Kapitel zum Charakter der Epoche und, soweit erforderlich, in die einzelnen Länderkapitel zu integrieren. Im Fall des Zweiten Weltkriegs ließ sich nicht so vorgehen. In Abweichung von den übrigen Bänden des Handbuchs der Geschichte Europas wurde daher – im Anschluß an die Länderkapitel, deren wichtigste mit dem Jahr 1939 enden – ein eigenes Kapitel zum Zweiten Weltkrieg eingefügt, das sowohl militärische als auch politische Aspekte umfaßt. (In den Fällen, in denen ein Land während des Krieges keine zentrale Rolle spielte – wie beispielsweise Spanien oder Portugal –, wurde die chronologische Darstellung im entsprechenden Länderkapitel bis 1945 fortgeschrieben.) Wenn man als Historiker nicht eine bestimmte Interpretationsrichtung forcieren will, sondern – wie im vorliegenden Band – vor allem informieren und zusammenfassend gestalten möchte, muß man vieles (nahezu alles) von den Vorgängern übernehmen und weitergeben. Es läßt sich bei einem so breit gefächerten Thema wie einer Geschichte Europas – auch wenn es „nur“ um einen relativ kurzen Zeitraum geht – gar nicht verhindern, daß bestimmte Aspekte unberücksichtigt bleiben oder nur angedeutet werden. Die folgende Darstellung baut auf einer außergewöhnlich umfangreichen Forschungsliteratur auf; sie wurde so gewissenhaft wie möglich ausgewertet. Die nicht oder nur knapp angesprochenen Gesichtspunkte können mit Hilfe der angegebenen Bibliographie weiter verfolgt und vertieft werden. Bei der Bearbeitung des Bandes wurde dem Verfasser deutlich, daß es für einen einzelnen Wissenschaftler ein nahezu nicht zu bewältigendes Unterfangen ist, eine Überblicksdarstellung zur Geschichte Europas in der Zwischenkriegszeit zu schreiben; allzu hochgesteckt ist der Anspruch, sämtliche Probleme zu identifizieren und korrekt zu analysieren; allzu unterschiedlich sind die vielfältigen Aspekte, zu heterogen die Sachbereiche und Länder, zu zahlreich die Sprachen, die er eigentlich lesen müßte. Außerdem sind Erkenntnisse der verschiedensten Bereiche zu verarbeiten: Geschichtswissenschaft, Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Politik, Recht, Demographie. Um der Fülle der Themen und des Materials in etwa gerecht werden zu können, war ich auf die Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Lehr- 12 Vorwort des Verfassers stuhl für Auslandswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg angewiesen. An erster Stelle gebührt für jahrelange, hervorragende Mitarbeit Sören Brinkmann ganz besonderer Dank. Des weiteren haben Peter Roß, Michael Truckenbrodt, Hubertus Freisinger, Tilman Rosin und Rüdiger Zoller mitgewirkt. Sie haben für diesen Band systematisch bibliographiert, Material aufbereitet, Entwürfe erstellt und kritische Ratschläge erteilt. Ohne ihren Beistand läge das Buch in seiner jetzigen Form nicht vor. Eine große Hilfe waren auch Frau Margit Boscher und Frau Eva Gerl, die bei der Reinschrift der Texte und der Bewältigung vieler Computerprobleme stets zuverlässig arbeiteten. Ihnen allen sage ich meinen herzlichen Dank. Für verbleibende Fehler und Mängel bin allerdings ich allein verantwortlich. Erlangen-Nürnberg, im Frühjahr 2002 Walther L. Bernecker 1 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen Die Zeitspanne von 1914 bis 1945 scheint für Europa auf den ersten Blick chronologisch klar abgrenzbar zu sein: Es handelt sich um die Jahre vom Beginn des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, somit um die „Ära der Weltkriege“ oder (auf die Jahre 1918–1939 eingeschränkt) um die Zwischenkriegszeit. Obwohl es sich bei den beiden Weltkriegen zweifellos um zwei sehr unterschiedliche, durch eine lange und konfliktreiche Zwischenkriegsphase getrennte Kriege handelte, stellt sich für manchen Historiker die Epoche der Jahre 1914 bis 1945 als ein zusammenhängender, über dreißigjähriger „europäischer Bürgerkrieg“ dar. Diese Epoche hat die politische Landkarte Europas von Grund auf verändert, die weltpolitische Führungsstellung der „Alten Welt“ wurde gegenüber den aufsteigenden Flügelmächten USA und UdSSR in Frage gestellt. Die Einheit der Epoche ergibt sich aus einer gesamteuropäischen Perspektive. Aus dieser Sicht ist es auch gerechtfertigt, von der Selbstzerstörung und dem Untergang Europas zu sprechen. Eine streng nationalgeschichtliche Betrachtungsweise kommt zu anderen, spezifischeren Periodisierungen, die für die jeweiligen Länder ihre Berechtigung behalten: 1917 für Rußland, 1922 für Italien, 1933 für Deutschland, 1936 für Spanien, 1940 für Frankreich, usw. Der Erste Weltkrieg bedeutete für Europa eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes; er stellte den Anfang vom Ende der europäischen Weltstellung dar. Alle am Krieg beteiligten europäischen Großmächte wurden durch diesen Konflikt politisch, wirtschaftlich und psychisch dauerhaft beschädigt; es sollte ihnen auch nicht gelingen, die Folgen des Krieges durch Eigenanstrengung zu überwinden. Die globale Folge war eine „Enteuropäisierung“ der Weltwirtschaft, der Kolonialherrschaft, der Weltpolitik. Die zentrale Bedeutung, die dem Ersten Weltkrieg als ausschlaggebendem Faktor für diesen Prozeß zukommt, hat zu einer intensiven historiographischen Beschäftigung mit Vorgeschichte, Verlauf und Folgen der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts geführt. Der Erste Weltkrieg Die Frage nach den Entstehungszusammenhängen und Gründen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges gehört zu den umstrittensten Themen unter Historikern. Oft genug verbanden sich in den Auseinandersetzungen um dieses Thema unterschiedliche historische Interpretationen und gegensätzliche Standpunkte zum Weg der (deutschen) Geschichte überhaupt. Die „Politisierung“ der geschichtswissenschaftlichen Diskussion über die Ursachen des Ersten Weltkrieges hing nicht zuletzt damit zusam- 14 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen men, daß im Versailler Vertrag dem Deutschen Reich die Alleinschuld am Krieg zugeschrieben wurde und nationalistische Kräfte in der Weimarer Republik dies als Argument nutzten, um für eine grundsätzliche Revision des Versailler Systems zu plädieren. Sicherlich gehören – in einem allgemeineren Sinne – Industrialisierung, Imperialismus und Nationalismus sowie die sich daraus ergebenden und durch wirtschaftlichmilitärische Konkurrenz sich verschärfenden Konfliktpotentiale zu den längerfristigen Ursachen des Weltkrieges. In seinem epochemachenden Werk „Griff nach der Weltmacht“ führte der Hamburger Historiker Fritz Fischer 1961 sodann (auf das Wilhelminische Reich bezogen) aus, daß die deutsche Reichsleitung den entscheidenden Anteil an der historischen Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges trage; die „Kriegszielpolitik“ habe letztlich als eine Fortsetzung der deutschen „Weltpolitik“ spätestens seit 1911 zu gelten. Die später stattfindende Radikalisierung der Thesen Fischers war in erster Linie eine Folge der unerwartet scharfen Kritik an seinen Arbeiten durch die deutschen Neuzeithistoriker. 1979 nämlich dehnte Fischer seine Überlegungen auf die Weimarer Republik und das Dritte Reich aus und nahm dezidiert Stellung zur Frage nach der Kontinuität in der deutschen Geschichte, die er im wesentlichen auf die „Machtstrukturen“ und das „Bündnis der Eliten“ reduzierte. In der „Fischer-Kontroverse“ machten die älteren deutschen Historiker – wie Gerhard Ritter, Erwin Hölzle oder Egmont Zechlin – massiv Front gegen den Hamburger Ordinarius. Den Gegnern Fischers ging es vor allem darum, die „Diskontinuität“ in der deutschen Geschichte nachzuweisen, damit zwischen dem kriegstreiberischen Kurs der deutschen Regierung 1914 und Hitlers Krieg von 1939 keine Verbindungslinie hergestellt werden konnte; Hitler sollte als ein „Betriebsunfall“ der deutschen Geschichte gelten.1 Inzwischen haben sich die Zugänge zu Problemen des Ersten Weltkrieges verändert. Was das Entscheidungshandeln in der Julikrise von 1914 angeht, ist heute die von Wolfgang J. Mommsen eingeführte Formel allgemein akzeptiert, derzufolge die deutsche Regierung im Juli 1914 „hart am Rande des Abgrunds“ operierte und zur expansiven Sicherung ihrer Weltmachtstellung auch das Risiko eines „Großen Krieges“ nicht scheute. Stärker aber als in den 60er Jahren haben die Historiker später anerkannt, daß die internationale Situation 1914 auf die Deutschen traumatisierend gewirkt haben mag. Zumeist wird heute akzeptiert, daß die wilhelminische Gesellschaft unter dem Einkreisungssyndrom litt. In den letzten Jahren sind in der Historiographie zum Ersten Weltkrieg neue Fragestellungen in den Vordergrund getreten: die nach den Mentalitäten der Beteiligten, nach den Erfahrungen der Kriegsteilnehmer und deren Verarbeitung, nach Modernisierungsaspekten, allgemein nach den Folgen der Totalisierung des Krieges für die Gesellschaften der beteiligten Länder.2 Neuerdings versuchen einige Historiker sogar eine Totalrevision bisheriger Ursachenforschung zum Ersten Weltkrieg. Der Schotte Niall Ferguson etwa3 verwirft in seinem „falschen Krieg“ den jahrzehntelang gültigen PriVgl. F. FISCHER, Griff, und die Zusammenfassung der „Fischer-Kontroverse“ bei H. LEHMANN (Hg.), Historikerkontroversen. 2 Eine gute Einführung in traditionelle ebenso wie in modernere Fragestellungen liefert der Sammelband von H. STRACHAN (Hg.), The Oxford Illustrated History. 1 Der Erste Weltkrieg mat der Innenpolitik und plädiert statt dessen für eine neue Diplomatie- und Bündnisgeschichte. Nachdem die leidenschaftlich ausgefochtene Kontroverse um die Julikrise, den deutschen Anteil an der Entfesselung des Krieges und die Kontinuität imperialistischer Kriegsziele etwas abgeflaut war, beherrschten sozioökonomische Fragestellungen die historiographische Produktion.4 Seit einigen Jahren ist der Krieg Gegenstand der Mentalitäts- und neuerdings der Kulturgeschichte: In Deutschland (und anderswo) begrüßten viele namhafte Künstler und Gelehrte den Krieg als ersten Schritt zur dringend notwendigen kulturellen Erneuerung, als „große, läuternde Katastrophe“ und Verteidigungskampf „deutscher Kultur“ gegen „westliche Zivilisation“. Nur wenige vermochten sich der Mobilisierung der „geistigen Ressourcen“ für den Krieg und dem Druck der Solidarisierung mit der Reichsleitung zu entziehen. Schon bald nach Kriegsbeginn wurden kritische Stimmen unterdrückt und ein „Geist von 1914“ beschworen, der den Kriegszielen förderlich war.5 Daß dieser Appell auf große Resonanz stieß, ließ die Bereitschaft deutlich werden, mit der man in Deutschland später (1918) der Dolchstoßlegende Glauben schenkte und daraus die Lehre zog, nur die Einheit von innerer und äußerer Front gewährleiste den Sieg. Zu Kriegsbeginn reagierten nicht nur in Deutschland, sondern in nahezu allen europäischen Staaten die Menschen euphorisch und begeistert. Die Kriegserklärungen wurden als Befreiung, als erlösendes Erlebnis aufgenommen. Das überwältigende Augusterlebnis wirkte bis in die 30er Jahre; es stand in deutlichem Gegensatz zur „widerwilligen Loyalität“ vieler Deutscher im September 1939. Allerdings änderten sich die Wahrnehmungsweisen der Kriegsrealität. In den auf 1914 folgenden Jahren kam es immer häufiger zu Protestaktionen, Streiks und Hungerrevolten. Kriegswirtschaft und die Erfahrungen des von Entbehrungen und Krankheiten gekennzeichneten Kriegsalltags revolutionierten die europäischen Gesellschaften. Kriegspropaganda, Literatur und Kunst versuchten, dem Krieg einen Sinn abzugewinnen oder seine Sinnlosigkeit zu akzeptieren. In neueren Studien – etwa in der von John Keegan – wird der Erste Weltkrieg als tragischer Konflikt ohne historischen Sinn gedeutet. Er kostete Millionen Tote, zerstörte die Kultur des Fortschritts und verhalf später den totalitären Bewegungen zum Durchbruch. Der „Große Krieg“ bedeutete den politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Ruin des alten Europa.6 Schon nach wenigen Wochen erwies sich die anfänglich auf allen Seiten vorhandene Siegesgewißheit als Illusion; sehr bald wurde der Bewegungs- zu einem Stellungskrieg. Im Westen verlief 1915 die Stellungslinie von der Schweizer Grenze bis zum belgischen Nieuwpoort, im Osten von der Rigaer Bucht bis nach Czernowitz (am Nordrand der Karpaten). Außerhalb der Reichweite der schweren Artillerie blieben Stadt und Hinterland allerdings nahezu unberührt. Zwar sollte der Gegner durch Seeblockaden und Zermürbungsschlachten ausgehungert und N. FERGUSON, Der falsche Krieg. Ein schulemachendes Standardwerk dieser neuen Richtung ist die Studie von Gerald D. FELDMAN, die sich mit „Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914 bis 1918“ beschäftigt. 5 Vgl. J. VERHEY, Der „Geist von 1914“. 6 Vgl. J. KEEGAN, Der Erste Weltkrieg. 3 4 15 16 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen Abb. 1: Die Westfront 1914–1918 Der Erste Weltkrieg ausgeblutet werden; aber zu Umfassungsmanövern oder direkten Durchbrüchen kam es nur selten. Die großen Offensiven, die zumeist nur geringe Geländegewinne erbrachten, stehen für das neue Zeitalter des mechanisierten Massentodes: Ypern, Verdun, Arras, Gorlice, Gallipoli, Isonzo. Die Anzahl der Verluste ist erschütternd: Im Dezember 1914 war das russische Heer bereits von 3,5 auf 2 Millionen Soldaten dezimiert worden; Österreich-Ungarn verzeichnete 1,3 Millionen Tote; bei Gallipoli verloren die Alliierten 265 000 Mann. Bei Verdun standen sich zwischen Februar und Juli 1916 zwei Millionen Soldaten gegenüber, eine Million davon fiel. In der mehrwöchigen Schlacht an der Somme (Juli 1916) beklagten die Deutschen 600 000 Tote und Verwundete; die Briten hatten 420 000 Tote (es waren die höchsten Verluste in der britischen Kriegsgeschichte). Ein einziges Gefecht am Isonzo kostete die Italiener 100 000 Mann. Die Franzosen verloren fast 20% ihrer Männer im wehrfähigen Alter; sie waren noch 1939 derart ausgeblutet, daß sie dem erneut einen „Blitzkrieg“ führenden Deutschland kaum Widerstand entgegensetzen konnten. Im Jahr 1917 formulierte US-Präsident Woodrow Wilson bei seiner Begründung des Kriegseintritts der Vereinigten Staaten auch das ideologische Kriegsziel: Es gehe darum, „die Welt für die Demokratie sicher zu machen“; nur die „Partnerschaft demokratischer Nationen“ garantiere ein „beständiges Zusammenspiel für den Frieden“. Wilson zufolge war der Anfang eines neuen Zeitalters gekommen, in dem demokratisch verfaßte Staaten sich zum Konzert der freien Völker zusammenfinden würden. Damit hatte der US-Präsident das liberale Modell der Friedenssicherung in der Weltpolitik eingeführt; seine Grundelemente lauteten Demokratie, Selbstbestimmung, Freihandel, Abrüstung. Der Erste Weltkrieg stellte mit seinen fatalen politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Folgen einen gesamteuropäischen Epocheneinbruch gewaltigen Ausmaßes dar und führte zu vielfachen Veränderungen in den einzelnen Staaten. Die Kriegserfahrung war durch den Zusammenbruch herkömmlicher Sinnangebote, die Delegitimierung der angestammten Führungsschichten und eine breite politische Mobilisierung geprägt; sie begründete eine Formveränderung der Politik, die zu erheblichen sozioökonomischen Belastungen führte und allenthalben mit populistischen Strategien sowie der Verstärkung korporativer Strukturen beantwortet wurde.7 Der Weltkrieg begann als europäischer Kontinentalkrieg, der sich an den nationalen Konflikten des Balkans entzündet hatte; diese wären allerdings marginal geblieben, wenn der Gegensatz der Großmachtinteressen ihnen nicht europäisches Gewicht verschafft hätte. Der europäische Hegemonialkrieg weitete sich schließlich zu einer globalen Auseinandersetzung aus, die weit über Europa hinausgriff und den Prozeß der Entkolonialisierung in Gang setzte. Er war der politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenbruch des bisherigen Europa. Die geistige Gemeinsamkeit des Kontinents ging zu Ende, nationale Egoismen wurden durch Krieg und Kriegspropaganda gesteigert und verfeindeten die Völker. Der ökonomische Zusammenbruch bedeutete das Ende der Weltwirtschaft des 19. Jahrhunderts, nachdem der Krieg vorher beste- 7 Vgl. H. MOMMSEN (Hg.), Der Erste Weltkrieg. 17 18 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen hende Verbindungen zerrissen hatte, die Goldwährung suspendiert worden war, die kriegführenden Länder enorme Staatsausgaben hatten, die Kämpfe insgesamt einen ungeheuren Verarmungsprozeß darstellten. Europa verelendete zum Vorteil (eines Teils) der außereuropäischen Welt. Politisch scheiterte die Funktionsfähigkeit des Systems der Großen Mächte, ihr außenpolitisches Zusammenspiel, auf dem ein wesentlicher Teil ihrer Weltgeltung beruht hatte. Eine politische Neuordnung gelang nach dem Zusammenbruch des alten europäischen Staatensystems nicht. Der österreichische Satiriker Karl Kraus (1874–1936) – und nicht nur er – sah mit dem Ersten Weltkrieg „die letzten Tage der Menschheit“ gekommen. Zwar ging in dem Ringen von 1914–1918 nicht die Menschheit zugrunde, wohl aber die Zivilisation des 19. Jahrhunderts. Bis zum Ersten Weltkrieg war Europa während des „langen 19. Jahrhunderts“ kapitalistisch in seiner Wirtschaft, weitgehend liberal in seinen rechtlich-konstitutionellen Strukturen, bürgerlich in der Kultur, positivistisch in seinem Glauben an materiellen und wissenschaftlichen Fortschritt, europabezogen in seiner Weltsicht. Die auf 1918 folgenden Jahrzehnte waren demgegenüber eine Epoche der Katastrophen, der Rebellion und Revolution, des Zusammenbruchs riesiger Kolonialreiche, einer Weltwirtschaftskrise vorher unbekannten Ausmaßes. Überall verschwanden oder litten die liberal-demokratischen Institutionen, faschistische oder rechtsautoritäre Systeme traten an ihre Stelle. Für den Geschichtsphilosophen Oswald Spengler (1880–1936) bedeutete der Erste Weltkrieg den „Untergang des Abendlandes“; der Titel seines Werkes kennzeichnet treffend das Lebensgefühl einer Generation. Nach einem oft zitierten Wort des amerikanischen Historikers George F. Kennan stellt der Erste Weltkrieg die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts dar. Seine Bedeutung für die „Weltgeschichte Europas“ (Hans Freyer) kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, seine Nachwirkungen dauern bis in die Gegenwart. Schon allein die Opferbilanz ist entsetzlich: Von weltweit 60 Millionen mobilisierten Soldaten waren bis 1918 um die zehn Millionen gefallen oder gestorben, unter ihnen etwa 1,8 Millionen Deutsche. Mehr als zwanzig Millionen wurden im Krieg verwundet, darunter 4,2 Millionen Deutsche. Die Kosten waren unvorstellbar hoch: Genaue Zahlen liegen zwar nicht vor; Schätzungen gehen aber davon aus, daß der Weltkrieg mindestens 180 Milliarden US-Dollar an direkten und 150 Milliarden US-Dollar an indirekten Kosten verursacht hat. Die Nachkriegsordnung: Machtverschiebung und Instabilität Vor dem Ersten Weltkrieg bestimmten weitestgehend die europäischen Mächte die internationale Ordnung – sowohl durch ihre politische und militärische Macht als auch durch ihre ökonomische Stärke. Sie teilten unter sich einen Großteil der Kolonien der Welt auf, sie erzeugten gemeinsam rund zwei Drittel der industriellen Weltproduktion, sie bestritten nahezu drei Viertel des Welthandels und fast den gesamten Kapitalexport. Europäische Maßstäbe und Werte prägten auch internationale Vertragssysteme und diplomatische Gepflogenheiten. Die Ära der europäischen Dominanz endete mit dem Ersten Weltkrieg. Das wichtigste Ergebnis des Ersten Weltkriegs auf internationaler Ebene bestand in einer grundlegenden politischen Gewichtsverlagerung zugunsten der USA, denen gegenüber die europäischen (Sieger- und Verlierer-) Staaten in finanzielle und ökono- Die Nachkriegsordnung: Machtverschiebung und Instabilität mische Abhängigkeit gerieten. Nach vierjährigem Ringen, das erst durch das Eingreifen der USA beendet worden war, verloren die europäischen Staaten somit ihre weltpolitische Stellung. Die USA, allgemein die Amerikanisierung wurden für die weitere Gestaltung Europas von großer Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ Hans Rothfels 1953 in einer berühmt gewordenen Definition die „Zeitgeschichte“ mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg (und der Russischen Oktoberrevolution) 1917 beginnen. Zwar überwachten die USA die politische Friedensregelung von Versailles nicht; sie blieben aber über interalliierte Schuldenregelung und Reparationen wirtschaftlich (und damit auch politisch) in Europa präsent. In den 20er Jahren wurden sie sogar zum zentralen Bezugspunkt der europäischen Politik, unabhängig davon, daß Washington sich politisch-militärisch aus dem alten Kontinent zurückgezogen hatte. Spätestens nach der Unterzeichnung der Locarno-Verträge (1925) ergoß sich ein breiter Strom amerikanischer Gelder nach Europa; die Notjahre der kriegsbedingten Zerstörungen, der Inflation und der wirtschaftlichen Stagnation schienen der Vergangenheit anzugehören, die „goldenen 20er Jahre“ brachen an, Europa lebte wieder auf. Die Jahrzehnte zwischen den beiden Weltkriegen wurden systemtheoretisch häufig als eine Phase interpretiert, in der die USA noch nicht jene hegemoniale Rolle übernehmen konnten (oder wollten), die Großbritannien im 19. Jahrhundert innegehabt hatte. Außerdem handelte es sich um eine Ära fortschreitender Internationalisierung; Charakteristika waren der Völkerbund, der Dawes-Plan (1924), die Locarno-Verträge (1925) und eine vorher unbekannte Intensivierung des internationalen Handels- und Finanzwesens. Schon auf der Pariser Friedenskonferenz war die neue Zeit – mit ihrem demokratischen Anspruch, der Proklamierung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, dem Internationalismus des Völkerbunds und dem Aufstieg der außereuropäischen Welt – in Erscheinung getreten. Bald aber zeigten sich Bruchstellen in jener internationalen Ordnung, die in den 30er Jahren (durch die Weltwirtschaftskrise 1929, die japanische Annexion der Mandschurei 1931, die deutsche Revisionspolitik nach 1933 und den Krieg Italiens gegen Abessinien 1935/36) zerbrach und durch „regionale Ordnungen“ ersetzt wurde: Italien ging es um eine Dominanz im Mittelmeerraum, Deutschland in Mittel- und Südosteuropa, Japan in Asien. In dieser Phase traten die demokratischen Mächte als Bewahrer des Status quo, die diktatorischen Regime als Revisionisten auf; ein Zusammengehen zur Bewahrung des Friedens wurde zusehends schwieriger, nachdem die Wirtschaftsrivalitäten mit machtpolitischen und ideologischen Gegensätzen zu einem gefährlichen Konfliktpotential verwuchsen. Viele Autoren haben „Instabilität“ als Kennzeichen der Zwischenkriegsjahre bezeichnet und nicht nur von der extremen inneren Labilität der europäischen Staaten, sondern zugleich von der Instabilität der gesamten internationalen Ordnung jener Zeit gesprochen. Ihnen geht es um die Frage nach der „Korrespondenz der innenpolitischen Instabilität und der Instabilität der europäischen Staatenordnung“.8 Letztere resultierte aus den Bestimmungen des Versailler Vertrages und den anderen Pariser Vorortverträgen, die nicht Grundlage einer anhaltenden Friedensordnung, sondern Keim zu neuen Konflikten waren. 8 H. MÖLLER, Europa, XI. 19 20 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen Der nach dem Krieg von den Siegern oktroyierte Friedensvertrag von Versailles – Clemenceaus „Abrechnungsfrieden“ –, der die letzte Chance zum Wiederaufbau eines bürgerlich-liberalen und stabilen Europa vergab, beruhte auf mehreren Überlegungen: Das erste und drängendste Problem bezog sich auf den Zusammenbruch der politischen Systeme in Osteuropa und die Auswirkungen der russischen Revolution. Es ging darum, die Sowjetunion hinter einem cordon sanitaire genannten „Quarantänegürtel“ von antikommunistischen Staaten zu isolieren. Sodann mußte Deutschland kontrolliert werden, dem auf der Grundlage des Kriegsschuldartikels ein Frieden diktiert wurde, der dem Land territoriale Einbußen, Entmilitarisierung und wirtschaftliche Auflagen gewaltigen Ausmaßes aufbürdete. Des weiteren ging es um eine politische Neuordnung der Landkarte Europas; Grundprinzip dieser Neuordnung sollten ethnisch-lingual homogene Nationalstaaten auf der Grundlage des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ sein; tatsächlich jedoch entstanden kaum lebensfähige, ebenfalls multinational strukturierte Nachfolgestaaten. Schließlich sollte eine Friedensordnung etabliert werden, um einen neuen Krieg zu verhindern; der dafür vorgesehene Hauptmechanismus, der Völkerbund, konnte seine Funktion allerdings nicht erfüllen. Im Kern waren es machtpolitische Interessen, die hinter den Kompromissen der Siegerstaaten in Versailles standen. Die USA waren an einem starken südslawischen Staat („Jugoslawien“) interessiert, die Franzosen an einem selbständigen Polen, die Briten an Griechenland und am Orient. Die Niederlage der Mittelmächte machte nach 1918 eine europäische Neuordnung erforderlich. Die Kriegsziele der Alliierten hatten nicht nur in der Zerschlagung der deutschen Hegemoniepläne in Mitteleuropa bestanden; sie zielten außerdem darauf ab, dem demokratischen Prinzip zum Durchbruch zu verhelfen und eine internationale Friedensordnung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu errichten. Die Zielsetzung der Pariser Vorortverträge, das Prinzip des homogenen Nationalstaats in Europa durchzusetzen, scheiterte schon deshalb, weil die neuen Grenzziehungen zur Entstehung nationaler Minderheiten führten; außerdem verhinderte die nationale Gemengelage in Mittel- und Osteuropa die Herausbildung national homogener Staaten.9 Folgt man der Typologie von Theodor Schieder, der das Augenmerk auf die unterschiedlichen Entstehungsbedingungen der Nationalstaaten gerichtet hat, so gibt es drei Typen von Nationalstaatsbildungen: die revolutionäre (England und Frankreich in der Frühen Neuzeit), die unitarische (Italien und Deutschland im 19. Jahrhundert) und die sezessionistische. Zu letzterem Typus gehörten die meisten Staaten, die als Folge des Ersten Weltkrieges und der Pariser Friedenskonferenz von 1919 als Abspaltungen von den großen Imperien des 19. Jahrhunderts geschaffen wurden.10 Damit entstanden nach dem Ersten Weltkrieg mehr Nationalstaaten in Europa als während des „langen“ 19. Jahrhunderts; der (republikanische) Nationalstaat war gleichsam zur Normalform staatlicher Existenz geworden. Allerdings wurde schnell deutlich, daß es Vgl. den Sammelband von G. KRUMEICH/S. FEHLEMANN (Hg.), Versailles 1919, der von der These ausgeht, daß es den Zeitgenossen aller beteiligten Nationen nicht möglich war, nach dem verheerenden Weltkrieg wirklich an einen Friedenszustand zu denken. 10 Vgl. TH. SCHIEDER, Nationalismus, 71. 9 Liberalismus, Autoritarismus, Faschismus außerordentlich schwer war, nationale und staatliche Grenzen zur Deckung zu bringen. Instabil war nicht nur das aus den Pariser Vorortverträgen hervorgegangene internationale System; sehr bald zeigte sich vielmehr auch die Labilität der neuen (vor allem in Ostmitteleuropa, aber nicht nur dort geschaffenen) Verhältnisse und die Gefährdung der neuentstandenen, noch ungefestigten Staaten. Nachdem im Krieg die anfängliche Flamme des Patriotismus erloschen und die Kriegsmüdigkeit zu Feindseligkeit gegenüber der nicht endenden, als sinnlos betrachteten Schlachterei geworden war, führte das Kriegsende in vielen Fällen – besonders bei den unterlegenen Staaten – zu politischem Zusammenbruch und revolutionären Krisen. Die gekrönten Herrscher der besiegten Mächte verloren ihren Thron, auch in den Siegerstaaten kam es zu sozialen Unruhen. Ganz offensichtlich war die alte Ordnung dem Untergang geweiht; als Alternative bot sich das Vorbild der bolschewistischen Oktoberrevolution in Rußland an. Jene „zehn Tage, die die Welt erschütterten“ (John Reed), sollten – marxistischen Theoretikern zufolge – das Fanal für eine Weltrevolution sein (die schließlich nicht stattfand). In den ersten zwei Nachkriegsjahren waren in Europa die gewaltigen Druckwellen zu verspüren, die vom russischen Oktober ausgingen; politische Massenstreiks erstreckten sich von Wien über Prag nach Deutschland, in Ungarn kam es kurzzeitig zu einer Räterepublik, in Spanien und Italien fanden „rote“ Unruhen statt. Erst 1923 gab die sowjetische Führung ihre Hoffnung auf die Weltrevolution auf. In den Jahren zuvor war es zu einer dauerhaften Spaltung der Arbeiterbewegung gekommen, da die Bolschewisten eine neue Internationale nach dem Muster von Lenins Vorhutpartei gründeten, die Kommunistische Internationale (Komintern), der die radikalisierten linken Flügel der europäischen Arbeiterparteien beitraten. Liberalismus, Autoritarismus, Faschismus In diesem Zusammenhang kreist eine zentrale Frage der Zwischenkriegszeit um das Problem, welche Rolle dem Liberalismus als politisch-sozialem Phänomen zugesprochen werden kann. Eric Hobsbawm spricht vom „Untergang“ des Liberalismus, den er aus dem Erstarken der radikalen Rechten in Europa erklärt und sowohl politisch als auch ideologisch versteht.11 Durch den Weltkrieg und seine direkten Folgen kam es zum Kollaps der Werte und Institutionen der liberalen Zivilisation (Konstitutionalismus oder Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit). Obwohl es nach dem Ersten Weltkrieg zur Einrichtung einer Reihe „repräsentativer“ Regierungen kam, befanden sich die Institutionen des politischen Liberalismus in der Folgezeit auf dem Rückzug. Die Gefahr kam von rechts und links, die liberale Demokratie und Zivilisation sahen sich einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt. Dabei konnte diese Bedrohung ebenso von einer nationalistisch-militaristischen (etwa Horthy in Ungarn und Pilsudski in Polen) wie von einer konfessionell-korporatistischen Rechten (zum Beispiel Salazar in Portugal und Dollfuß in Österreich) oder gar vom Faschismus (in seiner italienischen und deutschen Variante) herrühren. Mit ihrem Sieg über die kontinentaleuropäischen Demokratien war der Liberalismus zu Fall gebracht. 11 E. HOBSBAWM, Zeitalter; zur folgenden Zusammenfassung vgl. auch ANSELM DOERING-MANTEUFFEL, Das schwarze Jahrhundert und sein „Goldenes Zeitalter“, in: NPL 3, 1997, 365–377. 21 22 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen Der Hauptgrund für die kraftvolle Entwicklung der Rechten war die Oktoberrevolution, das heißt die revolutionäre Kraftentfaltung auf der Linken. Der Aufstieg der Rechten war eine Reaktion auf Bewegungen, die die bestehende Gesellschaftsordnung (tatsächlich oder scheinbar) bedrohten. Die erschrockenen konservativen Kräfte waren 1918 geneigt, sich zum Schutz vor der befürchteten sozialistischen Revolutionierung der Gesellschaft zur kämpferischen radikalen Rechten hinzuorientieren. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 zerstörte dann endgültig das Fundament, auf dem eine demokratische und liberale Politik hätte beruhen können. Letztlich waren vier Faktoren für den Untergang des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit verantwortlich: Zum einen funktionierte das Zusammenspiel von freier Marktwirtschaft, parlamentarischer Demokratie und bürgerlichen Freiheitsrechten nicht mehr; zum anderen setzten die Wirkungen des Krieges und die Friedensvereinbarungen in Ostmitteleuropa Nationalismus und Ethnozentrismus frei, die schließlich zum Aufbrechen der internationalen Ordnung führten; zum dritten war die parlamentarische Regierungsform den Gegebenheiten nach 1918 nicht angemessen, charismatische Herrscher waren gefragt; zum vierten schließlich fehlte es an Wohlstand und Prosperität als Voraussetzung für politische Stabilität. Vorerst war die Funktionsunfähigkeit des liberalen Parlamentarismus in Ostmitteleuropa nicht voll erkennbar, da die dominierende Stellung Frankreichs im System der „Kleinen Entente“ dem parlamentarischen System in einigen Ländern einen gewissen Rückhalt verschaffte. Dies änderte sich jedoch spätestens mit der Weltwirtschaftskrise, die auch die indirekte Finanzhegemonie Frankreichs in Ostmitteleuropa beendete.12 Sehr schnell folgten die neu entstandenen Mittelstaaten dem faschistischen Italien auf dem Weg zu antidemokratischen Experimenten, wobei die nicht hinreichend in den neuen Staatsverband integrierten nationalen Minderheiten häufig den auslösenden Faktor für die Eliminierung des Parlamentarismus bildeten. Die Nachkriegsentwicklung der wichtigsten ostmitteleuropäischen Staaten läßt deutlich werden, daß der Weg der Weimarer Republik in die Diktatur keineswegs so einzigartig war, wie er häufig dargestellt wird. Fragt man danach, in welchen Staaten der Parlamentarismus in die Krise geriet und einem autoritären System weichen mußte, so wird einerseits auf das Ausmaß der jeweiligen nationalen Krise, andererseits aber auch und insbesondere auf die parlamentarisch-demokratischen Traditionen verwiesen werden müssen. Vor allem die vielen neuen Staaten verfügten über keine ausgeprägte politische Krisenlösungskapazität; in fast allen wurde (auf durchaus unterschiedliche Weise) die Demokratie ausgehöhlt und schließlich abgeschafft. Offensichtlich hatten „die in Krieg und Revolution begründeten extremen politischen Veränderungen der europäischen Staatenwelt in denjenigen Staaten einen Legitimierungsdruck geschaffen, die die Staatsform, das Regierungssystem und das Staatsterritorium (und damit zum Teil sogar die Zusammensetzung des Staatsvolks) verändert hatten. Diese Staaten, Neugründungen, aber auch revolutionierte Staaten wie Deutschland, waren dadurch von vornherein labiler, weil die neuen Ordnungen erst noch an Legitimität gewinnen mußten: Dies gelang der 12 Vgl. H. MOMMSEN, Krise, 53. Liberalismus, Autoritarismus, Faschismus Mehrzahl nicht.“13 Am demokratisch stabilsten blieben die Länder, die 1918 weder Revolution noch territoriale Veränderungen erlitten hatten: die skandinavischen Monarchien, die Benelux-Staaten (die ebenfalls monarchisch regiert wurden) und die Schweiz, von den Großmächten nur Großbritannien und bis zu einem gewissen Grad Frankreich, wo es 1940 allerdings zum autoritär-diktatorischen État Français von Marschall Pétain kam. Theodor Eschenburg hat schon vor etlichen Jahrzehnten die unterschiedliche Widerstandskraft der europäischen Demokratien aus ihren differierenden historischen Voraussetzungen erklärt.14 Letztlich leitete er die Instabilität bzw. Beharrungskraft der Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg aus der Vorkriegsgeschichte ab; er kam zu dem Ergebnis, daß nur diejenigen Demokratien Bestand hatten, die in die Krise der Zwischenkriegszeit mit einem seit Jahrzehnten bewährten parlamentarisch-demokratischen System eintraten. Im mittelosteuropäischen Raum konstatierte er „improvisierte Demokratien“, die politisch noch nicht die erforderliche Reife hatten, um die Krise der Zwischenkriegszeit überstehen zu können; sie entwickelten sich zu „funktionalen Diktaturen“, die vor allem den Staat intakt halten mußten. Die Krise des liberal-demokratischen Systems konnte in unterschiedlicher Form in Erscheinung treten. Kam es in zahlreichen Staaten zur Aushöhlung des parlamentarischen und zur Etablierung eines autoritären Systems, so entstanden in anderen faschistische Bewegungen. Die schier unübersehbare Fülle von Theorien zur Entstehung des „faschistischen Zeitalters“ macht es eher schwerer als leichter, eindeutige kausale Zusammenhänge festzustellen. In der Historiographie wird (bei unterschiedlichen Gewichtungen) allerdings überwiegend die Meinung vertreten, die faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit seien als Reaktion auf die revolutionären Bestrebungen der Linken entstanden.15 Ihr Aufstieg beruhte auf der Ausnutzung einer gewissen „Gleichgewichtssituation“ zwischen den bürgerlich-konservativen Gruppierungen auf der einen und den zersplitterten Kräften der organisierten Arbeiterbewegung auf der anderen Seite. Sie stellten eine neue nationalpolitische und soziale Integration der Gesellschaft in Aussicht – wobei sie sich an neokonservative und völkische Ideologien anlehnten – und versprachen die Überwindung von Klassenantagonismen durch eine „volksgemeinschaftliche“ Geschlossenheit. Faschistische Tendenzen setzten sich vor allem in Ländern durch, die zu den Verlierern des Krieges gehörten (psychologisch gilt dies auch für Italien); ihr Auftreten fiel denn auch mit dem Ausgang des Krieges und den ökonomisch-sozialen Spannungen zusammen, die im Gefolge der Kriegsniederlage entstanden. Der Nährboden für den Aufstieg der Faschismen waren die sozialen Ressentiments der durch die Weltkriegserfahrung sozial entwurzelten Frontkämpfer und die sich ausbreitende nationalistische Stimmung in der Gesellschaft. Diesen neuen politischen Be- 13 H. MÖLLER, Europa, 10. 14 TH. ESCHENBURG u. a., Weg, 9–12. 15 Zum folgenden vgl. H. MOMMSEN, Krise, 64–68. Zum Bedingungszusammenhang zwischen der bolschewistischen Revolution und dem Aufstieg faschistischer Bewegungen vgl. G. CRAIG, Geschichte Europas, bes. 425, und weitaus pointierter E. NOLTE, Faschismus, und ders., Der europäische Bürgerkrieg. 23 24 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen wegungen gelang es, die Protestpotentiale vor allem in den nicht-modernen Sektoren der Gesellschaft zu mobilisieren, wobei die ideologische Ausrichtung dieser Bewegungen durchaus differieren konnte. Zumeist gehörten militanter Nationalismus, antisemitischer Rassismus sowie ausgeprägter Antiliberalismus und Antikommunismus zu den Charakteristika der Bewegungen. Ohne Berücksichtigung der Oktoberrevolution und ihrer direkten wie indirekten Folgen kann die Geschichte des europäischen 20. Jahrhunderts nicht erklärt werden. Besonders pointierte Interpretationen reduzieren die Zwischenkriegsjahre im Kern auf einen bürgerkriegsartigen Gegensatz zwischen dem Bolschewismus und dem Westen sowie auf die Auseinandersetzung zwischen diesen und dem Nationalsozialismus. Die These eines europäischen Bürgerkrieges im totalitären Zeitalter ist von verschiedenen Autoren vorgetragen worden; in zugespitzter Form postulierte Ernst Nolte eine Kausalität zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus als dominantem Bestimmungsfaktor der Geschehnisse in der Zwischenkriegszeit16: Die Exzesse der bolschewistischen Revolution hätten dem deutschen Bürgertum einen „ursprünglichen“ Schrecken eingejagt, und der Antisemitismus der Nationalsozialisten sei dann nur noch eine Folge – eine „Interpretation“ – dieses Grundaffekts des deutschen bürgerlichen Antibolschewismus gewesen.17 1986 behauptete Nolte, der „Rassenmord“ der Nationalsozialisten sei als Reaktion auf den „Klassenmord“ der Bolschewisten zu verstehen, der Archipel GULag sei „ursprünglicher“ als Auschwitz und zwischen beiden bestehe ein „kausaler Nexus“. Gegen die Interpretation Noltes der nationalsozialistischen Judenpolitik, die nichts anderes als eine radikalisierte Reaktion auf das gewesen sein soll, was seit 1917 in Sowjetrußland praktiziert wurde, sind viele Stimmen laut geworden. Gerd Koenen etwa macht in einer Untersuchung der Wirkung der russischen Ereignisse auf die Weimarer Republik deutlich18, daß ein „kausaler Nexus“ zwischen bolschewistischer Revolution und dem Scheitern der ersten deutschen Demokratie kaum nachweisbar ist. Die Interpretation der russischen Revolution als Verschwörung zugunsten der jüdischen Weltherrschaft, wie sie die in Rußland gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ suggerierten, war ein Geschichtsmythos, der in seiner unmittelbaren Wirkung überschätzt wird. Auch der angebliche Reflex des Erschreckens im deutschen Bürgertum spielte keine dominierende Rolle; vielmehr wurden die Berichte über den Terror der Bolschewiki in der deutschen Bildungsschicht eher ignoriert. Viele Autoren sehen in den beiden großen Totalitarismen der Zwischenkriegszeit, dem Faschismus und dem Kommunismus, den größten Angriff, den die „bürgerliche“ Welt je erlebt hat. François Furet spricht in „Das Ende der Illusion“ dem Bolschewismus ebenfalls eine Vorläuferfunktion für die europäischen Faschismen zu.19 Anders jedoch als Nolte in der nationalsozialistischen Ideologie sucht er in der kommunistischen nicht das, was ihr unter prinzipiellen Gesichtspunkten Legitimität verschaffen könnte. Im Anschluß an die kommunistische Prophezeiung von 1919, daß das alte Europa „in rasender Geschwindigkeit der proletarischen Revolution entgegengeht“ (Zinov’ev), er16 17 18 19 E. NOLTE, Der europäische Bürgerkrieg. Vgl. zu dieser These auch K. HORNUNG, Das totalitäre Zeitalter. G. KOENEN, Überprüfungen. Vgl. F. FURET, Das Ende der Illusion. Sozio-ökonomische Entwicklungen und Weltwirtschaftskrise faßten das europäische Bürgertum Überwältigungs- und Entmachtungsängste. Trotz der bolschewistischen „Bürgerkriegserklärung“ unterlagen jedoch große Teile der westlichen Gesellschaften der wachsenden Faszination des Kommunismus; viele Intellektuelle empfanden eine heimliche Neigung zum Kommunismus und versuchten, noch für seine abscheulichsten Verbrechen eine Rechtfertigung zu finden. Furet geht davon aus, daß der Erste Weltkrieg bis 1917 keinen ideologischen Kern hatte; erst mit der Oktoberrevolution und dem Frieden von Brest-Litowsk wurde dem Krieg seine ideologische Rechtfertigung nachgeliefert. Durch das Ausscheiden des zaristischen Rußland erst konnten die Westmächte die allgemeinen Menschenrechte, Demokratie und Selbstbestimmung auf ihre Fahnen schreiben. Wilsons „Vierzehn Punkte“, so Furet, hätten noch ein Jahr zuvor keine Chance auf Durchsetzung gehabt. Im weiteren Verlauf der Zwischenkriegsjahre sieht er nicht im Zusammenprall von Nationalsozialismus und Kommunismus, sondern beider Totalitarismen mit der Demokratie den „unvermeidlichen Krieg zweier Weltanschauungen“. Sozio-ökonomische Entwicklungen und Weltwirtschaftskrise Zu den politischen und kulturellen Faktoren, die wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg ausübten, kamen die ökonomischen und sozialen. Während des Krieges hatte schon eine Veränderung der wirtschaftspolitischen Rolle des Staates stattgefunden. Die staatliche Wirtschaftslenkung hatte zugenommen, planwirtschaftliche Komponenten machten sich breit. Zunehmende Konzentrationen im ökonomischen Bereich und Trustbildung schränkten die Marktwirtschaft ein, die staatlicher Lenkung unterliegenden Bereiche nahmen zu. Inflationen und Währungsturbulenzen behinderten sodann in den Zwischenkriegsjahren den Freihandel weiter. Im Verlauf der 20er Jahre kam es dann – unter maßgeblicher Finanzbeteiligung der USA – zu einer allgemeinen Wirtschaftserholung. Zahlreiche europäische Länder konnten ökonomisch expandieren: Frankreich und Belgien, Schweden und die Niederlande, einige osteuropäische und baltische Staaten, auch und vor allem Deutschland, das eine umfangreiche Reorganisation seiner Industrie und Rationalisierung der Produktionsverfahren unternahm. Allerdings erfaßten Rationalisierungskonjunktur und Prosperität nicht alle industrialisierten Länder Europas gleichermaßen: Österreich etwa machte während der 20er Jahre eine permanente „chronische Krise“ durch; auch Großbritannien konnte aus der Rationalisierungsprosperität nur bedingt Nutzen ziehen. Mitte der 20er Jahre waren Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung in Europa weitgehend abgeschlossen, die späten 20er Jahre waren sodann von einem weltweiten Boom gekennzeichnet. Schnell sollte sich jedoch herausstellen, daß allenfalls von einer Scheinprosperität gesprochen werden konnte. Zweifellos trug zwischen den Kriegen der Zusammenbruch der Weltwirtschaft zum Aufstieg Hitlers bei. Die Krise, die mit dem New Yorker Börsenkrach am 29. Oktober 1929 begann, war globaler und tiefergreifend als von sämtlichen Prognostikern für möglich gehalten worden war. Das Trauma der (kapitalistischen) Weltwirtschaftskrise wurde noch von der Tatsache verstärkt, daß die sozialistische Sowjetunion sich als weitgehend immun erwies. Während weltweit Stagnation um sich griff, wurde in der Sowjetunion im Rahmen der Industrialisierungsmaßnahmen des neuen Fünfjahresplans die Industrieproduktion verdreifacht; und während Arbeitslosigkeit zur weitver- 25 26 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen breiteten Geißel der marktwirtschaftlich strukturierten Länder wurde, war sie in der Sowjetunion praktisch unbekannt. Obwohl die Weltwirtschaftskrise auf vielfältige Ursachen zurückzuführen ist, deren ökonomische vor allem in den USA lagen, gab es auch genuin europäische Wurzeln der Krise, die im wesentlichen in politischen Nachkriegsentscheidungen angesiedelt waren. So gelang es trotz der Zunahme internationaler Anleihen und Kredite in den 20er Jahren nicht, einen funktionierenden Kapitalmarkt einzurichten, was zum einen mit der verbreiteten Nachkriegsinflation, zum anderen mit dem komplizierten Verschuldungssystem zwischen den Alliierten und dem damit zusammenhängenden Reparationssystem der Kriegsverlierer zusammenhing. Auf der Versailler Friedenskonferenz waren Deutschland riesige, wenn auch nicht eindeutig festgelegte Reparationen für Kriegskosten und Schäden der Alliierten auferlegt worden; 1921 wurde die Höhe der Reparationen auf 132 Milliarden Goldmark festgelegt – eine in jeglicher Hinsicht phantastische Summe. Das Reparationssystem führte zu einem gesamteuropäischen Finanzkreislauf, da die Reparationsleistungen und die Zahlung alliierter Schulden an die USA eng zusammenhingen. Schon 1920 kritisierte der junge John Maynard Keynes „die wirtschaftlichen Folgen des Friedens“; er argumentierte, daß in Europa sich keine stabile und liberale Zivilisation und Wirtschaft ohne entsprechende Genesung Deutschlands herausbilden könnten. Frankreichs Ziel, Deutschland schwach zu halten, sei kontraproduktiv. Die Reparationen zwangen Deutschland zur Aufnahme gewaltiger Kredite; die tatsächlich geleisteten Reparationen stammten letztlich aus den riesigen US-Kapitalanleihen der 20er Jahre. Als die USA nach dem Börsenkrach sodann ihre kurzfristig ausgeliehenen Kapitalien abriefen, fiel das gesamte Reparationssystem in sich zusammen. 1932 wurden schließlich alle Zahlungen vorzeitig eingestellt. Im Gegensatz zu den Erwartungen der Marxisten führte die Weltwirtschaftskrise jedoch nicht zu einer intensivierten Fortführung der sozialen Revolution, sondern zum Erstarken der nationalistischen Rechten. Die Weltwirtschaftskrise war „eine Katastrophe, die alle Hoffnungen auf eine Wiederherstellung der Wirtschaft und der Gesellschaft des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ zunichte machte“.20 Die weitestreichende soziale Folge dieser Krise war die Massenarbeitslosigkeit. Schätzungen sprechen für Ende 1932 von 15 Millionen Arbeitslosen in Europa; viele von ihnen waren nur äußerst schlecht versichert, die Systeme der Arbeitslosenversicherung waren völlig überfordert. Auch die finanziellen und ökonomischen Konsequenzen der Weltwirtschaftskrise waren verheerend: Die Zahl der Konkurse nahm dramatisch zu, die industrielle Produktion sank erheblich. Selbst Staaten mit einer liberalen Wirtschaftstradition gingen zu einer Politik der Schutzzölle, zu staatlichem Interventionismus und limitierten Importquoten über. Da der Staat in vielen Fällen (etwa in den neuen ostmitteleuropäischen Ländern) als Reformer und Modernisierer aufgetreten war, stellten die dirigistischen Tendenzen allerdings häufig keine Neuerung dar. Insgesamt führte die Wirtschaftskrise nicht zu größerer ökonomischer Zusammenarbeit, sondern im Gegenteil zu einer Verstärkung des Isolationismus, zu Protektionismus, etwas später zu Autarkiepolitik, insgesamt somit zur Desintegration der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. 20 E. HOBSBAWM, Zeitalter, 141f. Die Totalitarismusdebatte: Nationalsozialismus und Stalinismus Die Totalitarismusdebatte: Nationalsozialismus und Stalinismus Auf die Frage nach den Charakteristika der Epoche zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg sind vielerlei Antworten gegeben worden. Vor einigen Jahrzehnten schon wurde jene Phase als die „Epoche des Faschismus“ bezeichnet21; sicherlich kann man jene Jahre auch als Krisenjahre der Demokratie charakterisieren, nachdem diese Regierungsform in außerordentlich vielen Staaten vorübergehend eingeführt und dann mehr oder minder gewaltsam wieder abgeschafft wurde.22 Eine weitere Möglichkeit, sich den politischen Systemen der Zwischenkriegszeit analytisch zu nähern, besteht in der Anwendung der Totalitarismustheorie auf die beiden extremsten Diktaturformen jener Phase. Die 30er Jahre erlebten in Deutschland die Diktatur des Nationalsozialismus, in der Sowjetunion die volle Durchsetzung des Stalinismus. Lange Zeit wurden diese beiden Systeme unter der Kategorie Totalitarismus analysiert. Totalitäre Systeme beruhten auf zwei Grundvorstellungen: auf dem Anspruch totaler Herrschaft und auf der Idee einer vollständigen Identität von Regierung und Regierten.23 Totalitarismen entstanden im Gefolge der Erschütterungen des Ersten Weltkriegs; sie waren eine Antwort auf die verwirrenden Konsequenzen der Krise Europas. Zu politischer Verwirklichung gelangten sie vor allem im sowjetischen Kommunismus (nach 1917) und deutschen Nationalsozialismus (nach 1933), in abgeschwächter Form auch im italienischen Faschismus (nach 1922). Zu modernen Demokratien haben totalitäre Bewegungen und Systeme ein äußerst ambivalentes Verhältnis, nachdem sie zwar Pluralismus und Gewaltenteilung einer repräsentativen Demokratie ablehnen, sich zugleich aber selbst als die höhere Form von Volksherrschaft ausgeben, in der der Führer oder die Monopolpartei angeblich den Gemeinwillen in Staat und Gesellschaft verkörpern. Ohne die demokratische Idee der Volkssouveränität ist somit ein totalitäres System nicht denkbar. Der Begriff des Totalitären stammt aus dem faschistischen Italien, wo er zu Beginn der 20er Jahre von Mussolinis Gegnern geprägt und sodann vom Duce aufgegriffen wurde. In den 30er Jahren war der polemische Begriff bereits – allerdings ohne anerkannte theoretische Untermauerung – allgemein geläufig; er bezeichnete die Herrschaft Hitlers, Stalins und Mussolinis. Eine erste Systematisierung des Begriffs erfolgte dann in deutschen Emigrantenkreisen in den USA; nach dem Zweiten Weltkrieg fand der Totalitarismus-Ansatz mit dem Beginn des Kalten Krieges im Westen paradigmatischen Charakter. Die Merkmale totalitärer Herrschaft wurden von Carl J. Friedrich (und Zbigniew Brzezinski) herausgearbeitet. Um von einem „totalitären“ Staat sprechen zu können, mußten demnach sechs Merkmale erfüllt sein24: Es bedurfte einer mit chiliastischen Verheißungen arbeitenden Herrschaftsideologie, die den Anspruch erhob, für nahezu alle Problembereiche verbindliche Lösungen zu bieten; die Herrschaft mußte von einer Massenpartei ausgeübt werden, die der Staatsbürokratie übergeordnet war; Partei 21 22 23 24 Vgl. E. NOLTE, Faschismus. Vgl. D. BERG-SCHLOSSER/J. MITCHELL (Hg.), Conditions of Democracy. Zu folgendem vgl. K. D. Bracher, Zeitgeschichtliche Kontroversen. Vgl. C. J. FRIEDRICH, Totalitäre Diktatur. 27 28 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen und Geheimpolizei trugen ein Terrorsystem, das systematisch abweichende Kräfte ausschaltete; der Staat übte ein Nachrichtenmonopol aus und verfügte über das Waffenmonopol; die Wirtschaft wurde zentral gelenkt. Spätere Theoretiker haben das Erfordernis der zentralen Wirtschaftslenkung durch Kontrolle der Ökonomie und der sozialen Beziehungen ersetzt. Im Gegensatz zu diesem eher positivistischen Ansatz von Carl J. Friedrich betonte Hannah Arendt in einer philosophisch orientierten Geschichtsschau die elementaren Gemeinsamkeiten totaler Herrschaft.25 Das eigentliche „Wesen“ und die grundsätzliche Herrschaftsform totalitärer Regierungen sah Arendt im Terror, der auch nach der Eroberung der Macht und der Unterwerfung der Bevölkerung ausgeübt wurde – unabhängig von den der jeweiligen Herrschaft zugrundeliegenden Ideologien. Gemeinsam ist allen Totalitarismusforschern die Vorstellung, daß nur eine „moderne“ Form der Diktatur totalitär sein könne, die sämtliche technische Möglichkeiten der industrialisierten Welt nutzt, um eine vollständige Kontrolle des Menschen herbeizuführen. (Dabei ist es nicht erforderlich, daß die Individuen tatsächlich „total“ kontrolliert werden; entscheidend ist vielmehr das systematisch erstrebte Ziel der totalen Kontrolle durch den Staat.)26 Viele Studien versuchen, die großen totalitären Bewegungen mit quasitheologischen Begriffen zu untersuchen. Als einer der ersten hat Eric Voegelin den Vorschlag gemacht, das Wesen des Nationalsozialismus als religiös bestimmt zu interpretieren. In der Untersuchung „Die politischen Religionen“ formuliert er seine Grundthese, alle modernen Totalitarismen seien innerweltliche Religionen, messianische Heilsversprechen, die an die Stelle der christlichen Offenbarung und Erlösungshoffnungen die Gewißheit irdischer Glücksverheißungen setzten.27 Auch heutige Politikwissenschaftler gehen davon aus, daß in der Geschichte der totalitären Regime vieles aus religiösen oder religionsähnlichen Zügen erklärbar sei: die Loyalität und Gehorsamsbereitschaft vieler Menschen, die Unempfindlichkeit gegenüber Kritik und Zweifeln, das missionarische Gefühl oder die Bereitschaft, alles im Dienst der „neuen Zeit“ zu tun. Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus gemein ist die Sakralisierung der Politik, die durch das Aufkommen der Massenbewegungen begünstigt wurde.28 Folgt man dem in einigen Aspekten soeben kursorisch vorgestellten Totalitarismusmodell, so wiesen die stalinistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland eine Reihe von Strukturmerkmalen auf, durch die sie sich von liberal-parlamentarischen Staaten unterschieden: etwa eine staatlich verordnete Ideologie, die Herrschaft einer einzigen Massenpartei, die Entwicklung eines umfassenden Repressionsapparats zur Unterdrückung jeglicher Opposition und die bürokratische Planung der Wirtschaft. Partei und Staat erhoben einen jeweils „totalen“ Herrschaftsanspruch. 25 H. ARENDT, Elemente. 26 Vgl. (zur Konstruktion einer homogenen Nation oder einer widerspruchsfreien, perfekten Gesellschaft in totalitären Systemen) den Beitrag von Zygmunt Baumann in dem Sammelband von D. DAHLMANN/G. HIRSCHFELD (Hg.), Lager. 27 Eine ausführliche (allerdings fast ausschließlich zustimmende) Auseinandersetzung mit diesem Interpretationsschema bietet der Sammelband von M. LEY/J. M. SCHOEPS (Hg.), Der Nationalsozialismus; vgl. auch M. Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus. 28 Vgl. H. MAIER (Hg.), Wege in die Gewalt. Die Totalitarismusdebatte: Nationalsozialismus und Stalinismus Diese formal übereinstimmenden Strukturmerkmale setzten die Koordinaten der Erforschung des Stalinismus und des Nationalsozialismus in den 50er und 60er Jahren. Je weiter jedoch die Forschung voranschritt, desto deutlicher wurde – vor allem aus sozialgeschichtlicher Perspektive – auf die Unterschiede zwischen nationalsozialistischem Deutschland und stalinistischer Sowjetunion hingewiesen. Außerdem wurde bestritten, daß die beiden Regime in der Lage gewesen seien, ihren totalitären Herrschaftsanspruch in die Praxis umzusetzen. Ab Mitte der 60er Jahre wandten sich daher viele Wissenschaftler gegen den Totalitarismusbegriff, der wegen seiner Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus zunehmend als „Produkt des Kalten Krieges“ kritisiert wurde. Totalitarismusforscher, etwa Karl Dietrich Bracher, hielten den Kritikern entgegen, der Begriff Totalitarismus schaffe Kriterien, die einen Vergleich von linken und rechten Diktaturen erst ermöglichten; die Gemeinsamkeiten untereinander machten sie zu ähnlichen Systemen, während die Unterschiede zu nicht-totalitären Systemen viel größer seien.29 Außerdem diene die Abwehr aller Vergleichsversuche dazu, die notwendige Frage nach der Verbrechensbilanz kommunistischer Systeme nicht stellen zu müssen. Auch (und gerade) Totalitarismustheoretiker verwiesen im übrigen auf die markanten Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Faschismus einerseits sowie Marxismus und Kommunismus andererseits. Sie betonen etwa den Gegensatz zwischen dem Irrationalismus der nationalsozialistischen Rassenideologie und der pseudowissenschaftlichen Dialektik der kommunistischen Klassenideologie.30 Der Kampf- und Elitegedanke des Nationalsozialismus stand im Gegensatz zur Monopolisierung der Friedens- und Gerechtigkeitsidee des Kommunismus. Faschismus und Nationalsozialismus setzten sich im Herzen Europas, der Kommunismus vorerst in der Ferne Rußlands durch; der Nationalsozialismus wirkte (durch seinen Anti-Charakter) als Sammelbecken, während der Kommunismus eine konstruktive und globale Zukunftsvision zu besitzen vorgab. Hervorzuheben sind aber auch (und besonders) die Gemeinsamkeiten beider Ideologien: ihre Verachtung der repräsentativen Demokratie, ihre Mißachtung und Vernichtung von Minderheiten und Andersdenkenden, ihre Heiligung sämtlicher Mittel für die Zwecke ihrer Regime. Der welthistorische Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90 hat sodann die wissenschaftliche Kritik am Totalitarismusbegriff verstummen lassen, es kam sogar zu einer Reaktivierung der Totalitarismustheorien. Seither wird wissenschaftlich auf einen „modernisierten“ Totalitarismusbegriff zurückgegriffen, der eher eine pragmatisch zu verwendende Denkfigur als eine geschlossene Theorie darstellt.31 Demnach waren sowohl der deutsche Nationalsozialismus als auch der sowjetische Kommunismus totalitäre Systeme, die ursprünglich aus Massenbewegungen mit spezifischen Heilserwartungen hervorgegangen sind: das sowjetische mit Wurzeln in Aufklärung und Französischer Revolution, das deutsche in Romantik und „konservativer Revolution“. 29 Eine exemplarische Darstellung für die Anwendung des Totalitarismuskonzepts auf Nationalso- zialismus und Stalinismus ist die Studie von G. KOENEN, Utopie der Säuberung. 30 Vgl. K. D. BRACHER, Zeitideologien. 31 Vgl. exemplarisch auf dieser Linie die Doppelbiographie Hitlers und Stalins von A. BULLOCK, Hit- ler und Stalin. 29 30 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen Beide Regime traten mit dem Anspruch an, die Gesellschaft neu zu formieren. So unterschiedlich auch die Feindbilder, so verschieden die historischen Bedingungen, der soziale und nationale Rahmen, die ideologischen Positionen und Ziele waren, so deutlich waren auch ihre jeweils gemeinsamen Züge, was Methoden und Praxis der Herrschaft, Technik von Regierung, Manipulation und Unterdrückung betraf. Um die Vergleichbarkeit von nationalsozialistischer und sowjetischer Diktatur und ihrer Massenverbrechen sowie um die Unterscheidung zwischen singulären und wiederkehrenden Elementen ging es auch im „Historikerstreit“, der 1986 in Deutschland um die Stellung des Nationalsozialismus in der Geschichte ausbrach und die Debatte um die vergleichende Geschichtsschreibung in eine zentrale öffentliche Stellung rückte. Interessanterweise sprachen sich in diesem „Historikerstreit“ – aus dem die Formel von der „Singularität“ der nationalsozialistischen Massenverbrechen, vor allem der Judenmorde, hervorging – gerade die damaligen Fürsprecher einer komparativ arbeitenden historischen Sozialwissenschaft – wie Jürgen Kocka oder Hans-Ulrich Wehler – gegen die Möglichkeit aus, den Holocaust aus seiner isolierten historischen Betrachtung zu lösen und in eine Reihe mit qualitativ potentiell ähnlichen Brüchen in der europäischen Geschichte seit Beginn der Industriellen Revolution zu stellen. Im Gegensatz dazu verglichen Neo-Historisten – wie Ernst Nolte und Andreas Hillgruber – den Holocaust mit den stalinistischen Säuberungen in der UdSSR der 30er Jahre. Methodologisch interessant wurde der „Historikerstreit“ durch die Tatsache, daß somit eine Neubestimmung der komparativen Geschichtsschreibung erforderlich wurde. Gewissermaßen paradox am Ergebnis der Debatte ist, daß selbst die Zurückweisung komparativen Vorgehens vergleichende Forschung erforderlich macht: Nur durch einen Vergleich des Holocaust mit den Massenmorden an den Kulaken in der Sowjetunion war es möglich, zu dem Ergebnis zu kommen, daß diese beiden historischen Ereignisse nicht vergleichbar sind.32 Neuere Kommunismusuntersuchungen betonen – vor allem im Hinblick auf Herrschaftsmethoden und Terrormaßnahmen – explizit die Vergleichbarkeit kommunistischer Regime, besonders des Stalinismus, mit dem Nationalsozialismus. Stéphane Courtois zum Beispiel, der Herausgeber des „Schwarzbuches des Kommunismus“, legt es bewußt auf einen quantitativen Vergleich der mörderischen Bilanzen beider Totalitarismen an.33 Im Vorwort seines Werkes weist er darauf hin, daß die kommunistischen Regime rund 100 Millionen Menschen umgebracht haben, während es im Nationalsozialismus 25 Millionen waren. Courtois geht von François Furets These aus, Kommunismus und Faschismus seien zwei ebenso feindliche wie verwandte Abarten einer im Ersten Weltkrieg entschwundenen Welt, hervorgegangen nicht zuletzt aus bürgerlichem Selbsthaß; er spricht in diesem Zusammenhang von „konfliktueller Komplizenschaft“ der beiden so gegensätzlichen Ideologien. Courtois behauptet, das Verbrechen sei ein konstituierendes Merkmal des Kommunismus: „Die kommunistischen Regime haben das Massenverbrechen zu einem wahrhaften Regierungssystem erhoben, um ihre Macht zu begründen.“ Und diese Massen32 Zum Historikerstreit vgl. „Historikerstreit“; H.-U. WEHLER, Entsorgung; sowie die Antwort von E. NOLTE, Vergehen. 33 Vgl. ST. COURTOIS u. a., Schwarzbuch. Die Totalitarismusdebatte: Nationalsozialismus und Stalinismus verbrechen entsprächen den „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, wie sie erstmals in Nürnberg abgeurteilt wurden. So seien unter den Bolschewiki ganze soziale oder ethnische Gruppen vernichtet oder durch Zwangsumsiedlungen tödlich getroffen worden. Allein für die in Kauf genommene Hungersnot in der Ukraine rechnet das „Schwarzbuch“ für die Jahre 1932/33 rund sechs Millionen Tote vor. Solch ein „Klassen-Genozid“ komme dem nationalsozialistischen „Rassen-Genozid“ gleich. Das Neue am „Schwarzbuch“ war der Versuch, eine globale Schreckensbilanz des Kommunismus vorzulegen; gerade zu diesem Punkt wurden jedoch die meisten Zweifel angemeldet, da in Courtois‘ Vorwort die komparative Perspektive fehlt und der Herausgeber sich darauf beschränkt, die Opferzahlen zu addieren und schließlich auf die unvorstellbare Zahl von rund 100 Millionen Opfern kommt. Kritiker des Schwarzbuches verweisen darauf, daß eine Gleichstellung von Nationalsozialismus und Kommunismus auf der Ebene der Verbrechen das Singuläre der geschichtlichen Erfahrung des Kommunismus nicht betone, sondern gerade ausblende. Courtois mache, indem er sich auf die Methoden konzentriere, den Kommunismus zu einer verkappten Form von „rotem Faschismus“ oder Nazismus. Bei einem (durchaus sinnvollen) Vergleich von Nationalsozialismus und Stalinismus sind in der Tat die Unterschiede erhellender als die Ähnlichkeiten. Sowohl Nationalsozialismus als auch Stalinismus waren apokalyptische, von Endzeiterwartungen bestimmte Reaktionen auf die sich überstürzenden Entwicklungen der kapitalistischen Weltwirtschaft, der sozialen und kulturellen Umbrüche. Beide wollten in totalitärer Weise einen „neuen Menschen“ produzieren, einen „höheren gesellschaftlich-biologischen Typus“ (Lev Trockij). Aber die beiden Projekte unterschieden sich grundlegend: Die Nationalsozialisten zielten auf Aussonderung, auf Selektion. Von einem prinzipiell „gesunden“ Volkskörper mußten die „artfremden“ und „degenerierten“ Elemente abgestoßen werden, während die „Volksgenossen“ keinem Rassenterror ausgesetzt waren; der Nationalsozialismus richtete seine ganze Vernichtungswut nahezu ausschließlich gegen die willkürlich zu „Andersrassigen“ und „Untermenschen“ erklärten Bürger, im Weltkrieg außerdem gegen die unterworfenen und versklavten Völker. Das „Judentum“ galt dabei als Inkarnation alles Feindlichen schlechthin. Der Mord an den Juden Europas ist durchaus singulär zu nennen, weil es der radikalste Versuch war, einen lückenlosen Genozid durchzuführen. Demgegenüber übte der Stalinismus organisierten sozialen und politischen Massenterror gegenüber vielen Millionen Menschen ohne Unterschied von Klasse oder Gruppe der Gesellschaft aus. Jeder konnte jederzeit zu einem „Feind des Volkes“ werden. Der stalinistische Terror ist deshalb „vollkommen intrusiv“ (Gerd Koenen) genannt worden, der keine Struktur unberührt ließ.34 Auch neuere Untersuchungen, die bewußt die Kategorie Totalitarismus vermeiden, betonen die Vergleichbarkeit der nationalsozialistischen und der stalinistischen Diktatur: „Beide Systeme herrschten etwa zur gleichen Zeit, beide sind für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich, beide wurden von Monopolparteien und Führern mit immenser Machtfülle dominiert, beide haben als Vorgeschichte eine ungenügen34 Auch FRANÇOIS FURET hat darauf hingewiesen, daß der sowjetische Kommunismus in den 30er Jahren bedeutend terroristischer war als Faschismus und Nationalsozialismus. Vgl. F. FURET, Das Ende der Illusion. 31 32 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen de oder verspätete Entwicklung zur bürgerlichen Demokratie, beiden lag ein Weltkonzept zugrunde, das über den nationalen Rahmen hinausging.“35 Die deutlichste Parallele zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus besteht (dieser Definition zufolge) in den von beiden Regimen verübten Massenverbrechen; andere Regime (wie der italienische Faschismus) fallen nicht so eindeutig unter diese Kategorie. Zur vergleichenden Untersuchung der Staaten Die Zwischenkriegsjahre bieten gute Voraussetzungen, um die Entstehung und den Zusammenbruch demokratischer Systeme vergleichend zu untersuchen: Manche Länderentwicklungen beruhten auf ähnlichen sozioökonomischen und politisch-kulturellen Charakteristika; die historische Phase zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg ist relativ gut erforscht; die Epocheneinheit ist durch die beiden Weltkriege klar abgegrenzt; die 20er und 30er Jahre haben innen- wie außenpolitisch ein Eigengewicht, das sie von der vorhergehenden ebenso wie von der nachfolgenden historischen Phase abhebt. Die meisten europäischen Länder begannen die historische Phase der Zwischenkriegszeit als parlamentarische oder konstitutionelle „Demokratien“, wenn auch in mehreren Fällen diese Regierungsform eher formal als inhaltlich bestand. Sie alle wurden, in der einen oder anderen Form, von der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre betroffen; einige Demokratien überlebten, andere wurden zu autoritären Regimen, wieder andere zu faschistischen. Herkömmliche Vorstellungen von Modernisierung und Fortschritt (marxistischer oder liberaler Provenienz) wurden ernsthaft in Frage gestellt. Zur Erklärung der Entwicklung Europas in den Zwischenkriegsjahren wurden von Historikern Demokratie- ebenso wie Faschismus- oder Entwicklungstheorien bemüht. Dabei fanden einzelne Faktoren oder Faktorenbündel Berücksichtigung, deren kausale Verknüpfung Antwort auf die Frage geben sollte, unter welchen Bedingungen Demokratien stabil blieben oder politische Systeme zusammenbrachen. Als wichtigste Faktoren wurden zumeist herangezogen36: Allgemeine sozioökonomische Indikatoren: Modernisierungstheorien greifen auf Entwicklungsindikatoren zurück und konstruieren einen Zusammenhang zwischen diesen Indikatoren und der Entwicklung von Demokratie. Paradigmatisch hierfür ist etwa Seymour M. Lipset mit seiner Studie „Political Man“ (1960), in der er die Hypothese aufstellt: Je entwickelter eine Nation ist, desto größer sind die Chancen, daß die Demokratie erhalten bleibe. Positive Beispiele für diesen Zugang sind Belgien, die Niederlande, Schweden, Großbritannien – alles Länder mit einem hohen Niveau an Reichtum, Industrialisierung, Bildung und Urbanisierung; demgegenüber wurden Länder mit niedrigem Entwicklungsstand wie Griechenland, Ungarn, Polen, Portugal oder Spanien instabil oder gar zu Diktaturen. (Als Ausnahmen gelten Deutschland und Österreich; in diesen Fällen bedarf es gesonderter Erklärungen.) Sicherlich darf der Zu35 M. VETTER (Hg.), Terroristische Diktaturen, 7. Zur Vergleichbarkeit grundlegend I. KERSHAW/ M. LEWIN (Hg.), Stalinism and Nazism. 36 Zum folgenden vgl. die einleitenden Überlegungen von D. BERG-SCHLOSSER und J. MITCHELL, in: dies. (Hg.), Conditions of Democracy, 1–39. Zur vergleichenden Untersuchung der Staaten sammenhang zwischen Entwicklungsindikatoren und Demokratie nicht allzu starr gesehen werden, zumal Langzeitstudien zu den einzelnen Ländern fehlen und die Annahme einer Unilinearität von Entwicklungen ohnehin problematisch ist. Spezifische makroökonomische Variablen: Zu den spezifischen Faktoren, die in den Zwischenkriegsjahren die politische Krise beschleunigten und womöglich zu einem Zusammenbruch des demokratischen Systems führten, zählen gemeinhin die hohen Arbeitslosenraten im Gefolge der Weltwirtschaftskrise. Wenn auch das deutsche Beispiel diese Annahme zu bestätigen scheint, muß andererseits darauf hingewiesen werden, daß etwa in den Niederlanden (32,7% Arbeitslosigkeit 1936 im Vergleich zu 30,1% in Deutschland 1932) die Arbeitslosenrate höher als im Deutschen Reich war (oder in Irland höher als in Österreich). Ganz offensichtlich muß vor allem die Wirkung der Arbeitslosigkeit auf die gesellschaftlichen und politischen Kräfte in einer je besonderen Situation berücksichtigt werden. Auch beim Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens und der industriellen Produktion ist Vorsicht geboten; in Österreich, Frankreich und Belgien zum Beispiel war in den Jahren der Weltwirtschaftskrise der Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens mit 27%–29% ähnlich hoch, und die industrielle Produktion Belgiens fiel (mit 37%!) dramatisch – ohne, daß es zu den verheerenden politischen Folgen wie in Deutschland gekommen wäre. Sozialstrukturelle Aspekte: Der Rückgriff auf sozialstrukturelle Aspekte zur Erklärung politischer Entwicklungen erfolgt zumeist in marxistisch orientierten „historisch-materialistischen“ Analysen, in denen vor allem der Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus betont wird; der Faschismus wird als Agentur des staatsmonopolistischen Imperialismus interpretiert. Einige Autoren betonen auch die Beziehungen zwischen bestimmten sozialen Schichten und der Durchsetzung des Faschismus; sie deuten die „Machtergreifung“ etwa als einen „Kaufakt“ durch die traditionellen Oberschichten. Seit längerem schon sehen sich solche Deutungen massiver Kritik ausgesetzt, in der auf die Vernachlässigung der Massenbasis des Faschismus sowie zahlreicher sozialpsychologischer Faktoren hingewiesen und dieser Analyse-Ansatz als allzu reduktionistisch abgelehnt wird. Bedingungen politischer Kultur: Obwohl schwer zu fassen und zu quantifizieren, sind diese Faktoren zweifellos bedeutsam. Dauerhafte politische Systeme beruhen auf „Kulturen“, in die sie eingebettet sind und die sie stützen. Studien zu ethnisch-religiösen Strukturen, zu Milieus und zu „Subkulturen“ haben deren Stellenwert für die Instabilität politischer Systeme deutlich werden lassen. Die dominierende politische Kultur kann auf individueller Ebene auch bestimmte Persönlichkeitszüge verstärken, etwa den Typus „autoritäre Persönlichkeiten“ (im Sinne von Theodor W. Adorno) oder die Bereitschaft zur Akzeptanz charismatischer Führergestalten. Intermediäre Strukturen: Viele Autoren betrachten die Fraktionierung des Parteiensystems oder die Polarisierung der Parteien als eine wichtige Ursache von Regierungsinstabilität, möglicherweise sogar des Systemzusammenbruchs; andere wiederum (wie Ferdinand Hermens) verweisen auf die Problematik des Verhältniswahlrechts oder auf die Intervention des Militärs in den politischen Prozeß (zum Beispiel in Spanien). Institutionelle und verfassungsrechtliche Aspekte: Die Beibehaltung einer liberal-demokratischen Monarchie wird in Darstellungen, die vor allem institutionelle Aspekte untersuchen, als wichtige, möglicherweise sogar entscheidende Bedingung für das Über- 33 34 Charakter der Epoche: Europa zwischen den Weltkriegen Abb.2: Politische Regime und größere Protestbewegungen Zur vergleichenden Untersuchung der Staaten 35