HR Consulting Review, Band 4/2014 - Humboldt

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Human Resources
Consulting Review
2014
Herausgeber: Prof. Dr. Jens Nachtwei & Dr. Charlotte von Bernstorff
Band 4 / 2014
Verlag
Der Verlag für Qualitätssicherung in Personalauswahl
und -entwicklung (VQP) baut eine Brücke zwischen
theoretischen Erkenntnissen und praktischer Anwendung im Bereich Human Resources.
Ziel ist es, einer breiten Leserschaft aus dem Arbeitsfeld sowie fachlich interessierten Studierenden am
Institut für Psychologie der HU Berlin relevante Publi-
kationen aus der praxisnahen, universitären Lehre zur
Verfügung zu stellen. Alle Publikationen sind frei zum
Download verfügbar.
Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage
des Verlags unter http://macs2.psychologie.hu-berlin.
de/vqp/.
HR Consulting Review
Im jährlichen Herausgeberband „HR Consulting Review“ stellen PersonalmanagerInnen aktuelle Projekte, innovative Modelle und Sichtweisen sowie wissenschaftliche Studien aus der Unternehmenspraxis vor.
Die Themen stammen aus den Bereichen Führung, Personalauswahl, PE und Organisationsentwicklung.
Die Autoren der Artikel sind PersonalmanagerInnen
von Unternehmen verschiedener Branchen im deutschsprachigen Raum. Die Artikel werden begleitend zur
Ringvorlesung „Personal- und Organisationsberatung“
entwickelt, so dass die Autoren auf Basis ihres Artikels einen Vortrag an der HU Berlin halten. Alle Artikel
werden einem Review-Prozess durch die Herausgeber
Prof. Dr. Jens Nachtwei und Dr. Charlotte von Bernstorff
unterzogen.
Verlag für Qualitätssicherung in Personalauswahl und -entwicklung (VQP)
HR Consulting Review, Band 4 / 2014
Herausgeber: Prof. Dr. Jens Nachtwei & Dr. Charlotte von Bernstorff
OnlineFirst
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
2
Editorial
Viel(falt) Personalarbeit – Wie Verantwortliche dem
Wandel begegnen
Prof. Dr. Jens Nachtwei & Dr. Charlotte von Bernstorff (HU Berlin/ HAM/ IQP)
Globalisierung und Fachkräftemangel sind wohl die
Schlagworte, mit denen sich zentrale Herausforderungen für Personalmanager auf den Punkt bringen lassen.
Demographische Entwicklung und internationaler Wettbewerb zwingen Personaler in den Spagat zwischen Abwanderung und Entsendung, Kompensation und Kündigung, Selektion und Fluktuation. Die Attraktivität des
neue Formen der Informations- und Kommunikationspolitik. Um die Verwendung moderner, aber auch bewährter Instrumente und Kriterien der Personalbeschaffung
zur Steigerung von Kulturbildung und Unternehmensattraktivität. Um Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Zeiten demographischen Wandels. Um kompetenzbasierte Mentoringprozesse und
Unternehmens soll gesteigert, die Ausgaben verringert
werden. Neue Medien wollen im Sinne kommunikativer
Effizienz und Flexibilität nicht verpasst, dabei persönliches Feedback nicht verhindert werden. Kontinuierliche
Maßnahmen der Umstrukturierung sind ebenso notwendig wie solche zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit. Im Bereich der Personalauswahl kämpfen Recruiter mit geringen Basisraten und somit der Schwierigkeit,
überhaupt geeignete Personen für eine Stelle zu finden.
Als Folge kommen Personalmanager immer häufiger
den Anforderungen einer Stelle eher kompromisshaft,
den Forderungen von Bewerbern dagegen vollständig
nach.
Währenddessen steigen ironischer Weise die Anforderungen an die (Schlüssel-)Position eines Human Resources-Manager selbst. Was Personalmanagern als
Verkörperung von Change- und Talent Manager heute
abverlangt wird, haben unsere Autoren zuletzt in der
Sonderausgabe zu PE & OE 2013 diskutiert. Mit dem
diesjährigen Band greifen wir den globalen und gesellschaftlichen Wandel aus unterschiedlichen HR-bezogenen Blickpunkten noch einmal auf. Jeder Autor liefert
dafür einen spezifischen Beitrag, der als Konsequenz
auf die oben beschriebenen zentralen Herausforderungen verstanden werden kann. So geht es um ein ganzes
Spektrum aus Personalthemen: Um verbesserte organisationale Veränderungsbereitschaft oder das Erwerben
der dafür notwendigen individuellen Kompetenzen. Um
Newplacement zur Vorbeugung von Fachkräftemangel.
Und um neue Formen der internationalen und interkulturellen Zusammenarbeit. Die thematische Vielfalt unserer Beiträge macht auf beeindruckende Weise deutlich:
In kaum einem Tätigkeitsfeld spiegelt sich der globale
Wandel derart facettenreich wider wie im Personalbereich. Dabei nicht nur die Herausforderungen an, sondern auch die Relevanz von Personalmanagern herauszustellen, ist uns mit dieser Ausgabe des HR Consulting
Review erneut ein Anliegen.
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen,
Ihr
Ihre
Prof. Dr. Jens Nachtwei
Dr. Charlotte von Bernstorff
3
Inhaltsverzeichnis
Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU
Prof. Dr. Barbara Kump1 & Dr. Christina Schweiger2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1)
Stadt Wien Stiftungsprofessur für Forschung im Bereich Organisationsentwicklung und lernende Organisation
(Schwerpunkt KMU), FHWien der WKW in Wien
2)
Forscherin im Kompetenzteam für Entrepreneurship an der FHWien der WKW in Wien
Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) – Instrumentarium für
Führungskräfte in Zeiten des Wandels
Jens-Peter Toepper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Leiter Unternehmensorganisation
Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen – Konzern versus
Mittelstand
Werner Oergel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Partner von Graf Lambsdorff & Compagnie Unternehmensberater und Personalberater
HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung
Prof. Dr. Thorsten Petry . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Professor für Organisation und Personalmanagement an der Hochschule RheinMain
Arbeitgeberattraktivität und Personalführung
Prof. Dr. Bernd Helbich1 & Prof. Dr. Volker Herzig2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1)
Dipl. Ing. u. Diplom Soziologe, Geschäftsführer in einem Personalentwicklungsverbund mittelständischer
Unternehmen: MACH2 Personalentwicklung
2)
Dipl. Kaufmann, langjährige Erfahrungen als Leiter Personalentwicklung u. Personalleiter in der Industrie
beide heute: Professoren an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Wirtschaft in der Fachgruppe
„Personal u. Organisation“
Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden
Nikola Holle-Spiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Director Human Resources, Lautsprecher Teufel GmbH
Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg
Tim Jaschke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Ehem. Personalleiter im Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel, aktuell Mitarbeiter der Versorgungsausgleichskasse
Schleswig-Holstein im Personalservice
Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler
Andy Donaubauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Manager Personnel & Organizational Development Xella International GmbH
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
4
Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell
Christian Reincke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
STI Group, Leiter Personalentwicklung
Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis – Was bringen sie neben der
Identifikation von Potenzialträgern noch?
Simone Olbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Bereichsleiterin Personalentwicklung, Aus- und Weiterbildung & Personalbetreuung, Lidl Stiftung & Co. KG
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich!
Oliver Flohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters und Leiter Personal und Organisation, Gemeinde Lindlar
Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring
Sabine Nitsche1 & Ljerka Heinecke-Cuvaj1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
1)
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)
Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen
Wolfram Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Bereichsleiter Personal / Prokurist, Hamburger Volksbank
Kultur der kollektiven Kreativität
Gitta Blatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Head of People, Wooga GmbH
Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit – Erfahrungsbericht aus einem
mittelständischen Unternehmen
Gabriele L.E. Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Personalleiterin im Mittelstand und in Aktiengesellschaften
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
5
Förderung der strategischen
Veränderungskompetenz von KMU
Prof. Dr. Barbara Kump1 & Dr. Christina Schweiger2
Stadt Wien Stiftungsprofessur für Forschung im Bereich Organisationsentwicklung und lernende Organisation
(Schwerpunkt KMU), FHWien der WKW in Wien
2)
Forscherin im Kompetenzteam für Entrepreneurship an der FHWien der WKW in Wien
1)
SCHLÜSSELWÖRTER: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Strategie, Veränderungskompetenz
KURZFASSUNG: Eine maßgebliche Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens ist dessen Fähigkeit, dynamisch auf Veränderungen zu reagieren. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stehen hier vor einer
besonderen Herausforderung: Einerseits sind KMU im Vergleich zu großen Unternehmen flexibler, andererseits fehlt
es in KMU häufig an strategischen Perspektiven, sowie an personellen Ressourcen, um Tätigkeiten außerhalb ihres
operativen Tagesgeschäfts durchzuführen. Im Artikel werden zunächst unterschiedliche Arten von strategischen Veränderungskompetenzen beschrieben, die zentral für den erfolgreichen Umgang mit Veränderungen von KMU sind.
Anschließend werden Methoden vorgestellt, die geeignet sind, um KMU beim Aufbau der unterschiedlichen strategischen Veränderungskompetenzen zu unterstützen.
Herausforderungen für den Umgang mit Veränderung in KMU
Die kontinuierliche Anpassung an
veränderte
Umweltbedingungen
ist für Unternehmen überlebensnotwendig. In der Praxis geschieht
diese Anpassung vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aufgrund von engen Ressourcen meist spontan und
‚intuitiv‘ und ist selten strategisch
geplant (Güttel, 2006). Ein Mangel
an strategischer Veränderung kann
dazu führen, dass es langfristig unmöglich wird, auf neue Anforderungen aus der Umwelt entsprechend
zu reagieren. Negative Entwicklungsverläufe in Form von manifesten Krisen bis hin zur Liquidation des Unternehmens können die
Folge sein. Wollen KMU im Spannungsfeld von geplanten und ungeplanten Wandelprozessen positive
Entwicklungsverläufe erzielen, ist
neben der Entwicklung von personellen Kompetenzen (z. B. Führungskompetenz, kaufmännischbuchhalterische Kompetenz) die
Entwicklung von organisationalen
Veränderungskompetenzen unerlässlich (Güttel, 2006; Schweiger,
2012). Unter organisationaler Kompetenz versteht man die Fähigkeit
einer Organisation, Inputgüter und
interne Ressourcen so zu nutzen,
dass das Leistungspotenzial der
Organisation ausgeschöpft wird
(Fichtner, 2008). In Hinblick auf Veränderung bedeutet dies beispielsweise, dass das Unternehmen in
der Lage ist, Trends in der Branche
zu erkennen und an diese Trends
angepasste Produktinnovationen
auf den Markt zu bringen. Organisationale Kompetenz manifestiert sich
unter anderem in routinierten Abläufen und Prozessen (z. B. kontinuierlicher Verbesserungsprozess)
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
und in kollektivem Wissen (z. B.
Best Practices). Organisationale
Kompetenzen können durch den
Einsatz von geeigneten Strukturen
(z. B. Aufbau einer F&E-Abteilung)
und Abläufen (z. B. standardisierter
Umgang mit Kundenbeschwerden)
unterstützt werden.
Bei der professionellen Unternehmensgestaltung in KMU wird häufig
versucht, Ansätze, die in großen
Unternehmen funktionieren, auf
KMU zu übertragen. Dabei gibt es
allerdings eine Reihe von Rahmenbedingungen zu berücksichtigen,
welche die Übertragbarkeit deutlich einschränken (Bussiek, 1996;
Volkmann & Tokarski, 2006): Zum
einen sind in KMU die finanziellen
und personellen Ressourcen häufig
knapp und es ist lediglich ein begrenzter Zugriff auf externe Finanzierungsquellen möglich. Zum anderen fehlt es oft an ExpertInnen für
6
Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU
Veränderungsprozesse und an systematisierten Planungs- und Regelsystemen zur erfolgreichen Umsetzung von Veränderungen. Konkrete
Methoden zur Analyse und Förderung der Entwicklung strategischer
Veränderungskompetenzen
für
KMU existieren bisher kaum (z. B.
Madsen et. al 2006; Frank, Güttel
& Kessler, 2008). Im Folgenden
wird ein Modell vorgestellt, das
beschreibt, welche organisationalen Kompetenzen KMU brauchen,
um sich strategisch weiterzuentwickeln. Für jede der Kompetenzen
werden Diagnose- und Interven­
tionsmöglichkeiten vorgeschlagen.
Komponenten strategischer Veränderungskompetenz
In Anlehnung an Güttel (2006)
wird davon ausgegangen, dass
sich die organisationale Veränderungskompetenz
aus
Strategieentwicklungskompetenz,
Generierungskompetenzen
und
Umsetzungskompetenzen zusammensetzt.
Die Strategieentwicklungskompetenz umfasst die Fähigkeit eines Unternehmens, sich unter
Berücksichtigung der verfügbaren
Ressourcen ein längerfristiges Ziel
(Vision) zu setzen und die Unternehmensentscheidungen auf die
Erreichung des Zieles auszurichten. Typischerweise ist die Strategieentwicklungskompetenz in KMU
bei der Geschäftsführung angesiedelt. In selteneren Fällen werden
Führungskräfte und Mitarbeiter in
die Strategieentwicklung eingebunden.
Als Generierungskompetenzen
sind die organisationale Suchkom-
petenz, die Reflexionskompetenz
sowie die Absorptionskompetenz
definiert. Die Suchkompetenz meint
die Fähigkeit eines Unternehmens,
durch etablierte Routinen Umweltbeobachtungen durchzuführen, um
dadurch effektiv Innovationsmöglichkeiten zu erkennen. Während
große Unternehmen in der Regel
eigene Abteilungen (z. B. Marktforschung) haben, ist in KMU aus
Ressourcengründen die Suchkompetenz häufig über unterschiedliche
Stellen verteilt und passiert „nebenbei“: So nehmen etwa einzelne MitarbeiterInnen an Konferenzen teil,
oder erhalten Newsletter von relevanten Netzwerken. Die Reflexionskompetenz entspricht der organisationalen Fähigkeit zur Beobachtung
der eigenen Organisation durch
etablierte Routinen der Fremdund Selbstreflexion. Zum Beispiel
könnten nach dem Abschluss von
Projekten die positiven und negativen Erfahrungen gesammelt und
dokumentiert werden. Absorptionskompetenz bedeutet die organisationale Fähigkeit, durch etablierte
Routinen Wissen aufzunehmen,
zu transformieren und in die organisationale Wissensbasis zu integrieren. Absorptionskompetenz kann
sich unter anderem darin äußern,
dass basierend auf Informationen
über neue Branchentrends im Unternehmen innovative Produktideen
entwickelt werden können.
Die
Umsetzungskompetenzen umfassen die organisationle Planungskompetenz und die
Handlungskompetenz. Planungskompetenz ist die Fähigkeit des
Unternehmens zur Operationalisierung der strategischen Zielvor-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
gaben und umfasst die Erstellung
von Umsetzungsplänen sowie die
Identifikation von Barrieren. Häufig
besteht in KMU ein großes Problem darin, dass die MitarbeiterInnen vollständig für Kundenaufträge
verplant sind. Die Planungskompetenz ist beispielsweise hoch, wenn
Veränderungsvorhaben so geplant
werden, dass sie sich neben dem
Tagesgeschäft realisieren lassen.
Die organisationale Handlungskompetenz meint schließlich die
Fähigkeit des Unternehmens, geplante Veränderungsvorhaben erfolgreich in die Umsetzung zu bringen. Dazu gehört die ausreichende
Qualifikation der MitarbeiterInnen
oder die Anschaffung von erforderlichen Arbeitsgeräten.
Diagnose und Entwicklung strategischer Veränderungskompetenzen
Die Förderung der Entwicklung der
organisationalen
Veränderungskompetenz in KMU bedarf einer gezielten Vorgehensweise. In einem
ersten Schritt sollte eine Analyse
der Ausprägung der Veränderungskompetenz im jeweiligen Unternehmen durchgeführt werden. Dazu
eignen sich die in Tabelle 1 aufgelisteten Leitfragen, die sich das Management eines KMU alleine oder
gemeinsam mit externen BeraterInnen stellen kann.
Die in Tabelle 1 aufgelisteten Leitfragen stellen zwar kein Diagnoseinstrument im engeren Sinn
dar, können jedoch einen ersten
Eindruck über die Ausprägung der
Veränderungskompetenzen im betrachteten Unternehmen geben:
7
Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU
Tabelle 1: Leitfragen zur (Selbst-)Diagnose der strategischen Veränderungskompetenz
Veränderungskompetenz
Strategieentwicklung
Leitfragen zur (Selbst-)Diagnose
Suche
Wie gut gelingt es dem Unternehmen, über neue Trends und Innovationen in der Branche auf
dem Laufenden zu bleiben?
Gibt es geeignete Kanäle über die neue Informationen ins Unternehmen gelangen? Sind diese
Informationen ausreichend, sodass keine potenziell relevanten Trends übersehen werden?
Werden alle potenziell relevanten Quellen genutzt?
Reflexion
Wie gut gelingt es dem Unternehmen, aus eigenen Erfahrungen (Fehlern, Erfolgen) zu lernen?
Ist klar, welches die Kernaufgaben- und Prozesse sind, in denen sich das Unternehmen kontinuierlich verbessern möchte? Findet an diesen Stellen kontinuierliche Verbesserung statt?
Absorption
Wie gut gelingt es dem Unternehmen, neue Ideen zu verinnerlichen?
Gibt es geeignete Kanäle über die neue Informationen im Unternehmen weitergegeben können? Ist die Weitergabe von Informationen ausreichend? Werden diese Informationen im Unternehmen in ausreichendem Maß genutzt?
Planung
Wie gut gelingt es dem Unternehmen, strategische Veränderungen bei der Planung zu berücksichtigen?
Wird die Strategie (oder Vision) in die Planung einbezogen? Werden die für die Veränderung
notwendigen Ressourcen realistisch geplant? Ist die Planung flexibel für Abweichungen?
Handlung
Wie gut gelingt es dem Unternehmen, strategisch geplante Veränderungen auch umzusetzen?
Ermöglichen Strukturen und Abläufe im Unternehmen die geplanten Veränderungen bzw. werden diese gegebenenfalls angepasst? Werden bei geplanten Veränderungen erforderliche
Weiterbildungen der MitarbeiterInnen berücksichtigt? Werden Zielvorgaben und Belohnungssysteme an die Veränderungen angepasst?
Wie gut gelingt es dem Unternehmen, sich bewusst und strategisch weiter zu entwickeln?
Gibt es ein übergeordnetes Ziel (Vision) des Unternehmens? Ist dieses Ziel den MitarbeiterInnen bekannt? Gibt es ein klares Verständnis darüber, wie das Unternehmen versucht, dieses
Ziel zu erreichen (Strategie)? Sind die relevanten Aspekte der Strategie den MitarbeiterInnen
bekannt?
Je mehr der Fragen in Tabelle 1 mit
„Ja“ beantwortet werden können,
desto höher ist die entsprechende
Veränderungskompetenz ausgeprägt. Zeigt diese erste (Selbst-)
Diagnose der strategischen Veränderungskompetenzen einen Entwicklungsbedarf auf, gibt es unterschiedliche Methoden, mit denen in
die Strategieentwicklungs-, Generierungs- und Umsetzungskompetenzen in Unternehmen verbessert
werden können (siehe Tabelle 2).
Diskussion
Im vorliegenden Artikel wurden unterschiedliche Komponenten von
strategischer Veränderungskompetenz beschrieben, die zentral
für die Veränderungsfähigkeit von
KMU sind. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der einzelnen Kompetenzkomponenten ist
der Aufbau einer entsprechenden
Unternehmenskultur (vgl. Schein,
1990). Eine förderliche Kultur ist
geprägt durch Vertrauen, Kritikfähigkeit, Offenheit für Neues und
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
durch einen konstruktiven Umgang
mit Fehlern. Beim Aufbau strategischer Veränderungskompetenz in
KMU kommt Führungskräften eine
Schlüsselrolle zu. Führungskräfte
leben durch ihr Verhalten und ihren Führungsstil Unternehmenswerte vor (Mohn, 2012). Darüber
hinaus fördert ein wertschätzender
Umgang mit MitarbeiterInnen das
persönliches Engagement und die
Bereitschaft, Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen.
Während die Diagnose von Verän-
8
Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU
Tabelle 2: Methoden zur Verbesserung der strategischen Veränderungskompetenzen
Veränderungskompetenz
Methoden und Instrumente zur Kompetenzentwicklung, die sich für KMU eignen
Strategieentwicklung
SWOT-Analyse; Effectuation; Stakeholder-Netzwerk-Analyse
Suche
Porter’s 5-Forces; systematische Auswertung von Kundenanfragen
Reflexion
Reflexions-Workshops (abteilungsübergreifend); Datenauswertung zur Erhebung des Ist-Standes; Einzel- und Teamsupervision
Absorption
Technologie-gestützte Wissensmanagement-Systeme, die einfachen Wissensaustausch ermöglichen (z. B. Wikis); Teamarbeit und wechselnde Team-Zusammensetzungen
Planung
Kompetenzmodelle (z. B. Aufgaben-Kompetenz-Matrix); strategische Personalplanung; operative Pläne für Veränderungsprojekte; Allokation von zeitlichen Ressourcen für Innovation und
Veränderung
Handlung
Integration der strategisch geplanten Veränderungen in die Zielvorgaben; gezielte Weiterbildungsplanung; Anpassung der Evaluierungs- und Belohnungssysteme; Entwicklung von neuen
Prozessen und Routinen
derungskompetenz eine isolierte
Betrachtung der einzelnen Kompetenzkomponenten erfordert, existieren diese natürlich nicht unabhängig
voneinander. Die Strategieentwicklungskompetenz hängt beispielsweise eng mit der Entscheidung
zusammen, welche Quellen bei
der Suche nach externen Informationen berücksichtigt (Suchkompetenz) oder welche Kernprozesse regelmäßig hinterfragt werden sollen
(Reflexionskompetenz). Die Frage,
wie wichtig die einzelnen Komponenten für die gesamte strategische
Veränderungskompetenz eines Unternehmens sind, beziehungsweise
welche komplexen Wechselwirkungen zwischen den Komponenten
existieren, ist Gegenstand zukünftiger Forschungen.
Literatur
Bussiek, J. (1996). Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen. 2. Auflage, Oldenbourg.
Frank, H.; Güttel, W.; Keßler, A.
(2008). Dynamic Capabilities: How They Become What
They Are. Strategic Management Society (SMS) 28th Annual International Conference,
Cologne, Deutschland, 12.1015.10.
Fichtner, H. (2008): Unternehmenskultur und strategisches Kompetenzmanagement,
Wiesbaden.
Güttel, W. (2006). Corporate Entrepreneurship als Strategie.
In: H. Frank (Ed.), Corporate
Entrepreneurship (pp. 80-111).
Wien: Wiener Universitätsverlag.
Madsen, E.L; Alsos, G.A.; Borch,
O.J; Ljunggren, E.; Brastad, B.
(2006). Developing entrepreneurial orientation – The role
of dynamic capabilities and intangible resources, RENT XX:
Research in Entrepreneurship
and Small Business: Brussels
(Belgium).
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Mohn, L. (2012). Unternehmenskultur und Führung: Erfolgsfaktoren zur Gestaltung der
Zukunft in Wirtschaft und Unternehmen. In H. Bruch, B.
Vogel, & S. Krummaker (Hg.),
Leadership-Best Practices und
Trends (2. Aufl., pp. 209-218).
Wiesbaden: Springer Gabler.
Schein, E. H. (1990). Organizational culture. American Psychologist, 45(2), 109-119.
Schweiger, C. (2012). Junge
Technologieunternehmen.
Systemische Personal- und
Organisationsentwicklung.
Wiesbaden: Springer Gabler.
Volkmann, C. K., & Tokarski, K.
O. (2006). Entrepreneurship.
Gründung und Wachstum von
jungen Unternehmen. Stuttgart: Lucius & Lucius.
►Xing-Profil Barbara Kump
►Xing-Profil Christina Schweiger
■
9
Interview
mit Barbara Kump
Im Artikel ist die Rede von der
„Anpassung an veränderte Umweltbedingungen“. Welchen Veränderungen stehen KMU heutzutage gegenüber?
Ich glaube, man kann das so pauschal nicht sagen. Nicht nur KMU
sind mit Veränderungen konfrontiert, sondern die Anforderungen
sind für viele Unternehmen gleich.
Die KMU tun sich schwerer damit
umzugehen, da sie deutlich weniger Ressourcen zur Verfügung
haben und schwächer vom Personal aufgestellt sind. Ich glaube
nicht, dass die Anforderungen an
die KMU anders sind als für andere
Unternehmen, sondern sie unterscheiden sich darin, wie sie damit
umgehen. Ein Beispiel ist die Baubranche in Österreich, in der immer
mehr Zuwanderer aus den östlichen Ländern Leistungen zu sehr
niedrigen Preisen anbieten und
somit der hohe Preiskampf in der
Branche dazu führt, dass die KMU
nicht mehr mitkommen. In den letzten zehn Jahren hat es auch technische Veränderungen, wie z. B.
das Internet gegeben, die v. a. KMU
getroffen haben, wie z. B. in der Hotelbranche.
Es werden verschiedene notwendige Unternehmenskompetenzen
vorgestellt. Sind diese alle gleich
bedeutsam, um als KMU in der
heutigen Zeit überleben zu können oder würden Sie einige von
ihnen als „wichtiger“ einstufen
als andere?
Ich denke, die müssen alle zusam-
menspielen. Wenn man eine davon
gar nicht hat, wird es schwierig,
denn eine tolle Idee ohne Umsetzung hilft nichts. Sehr wichtig sind
die strategische Positionierung bei
Veränderungen, das Wahrnehmen
von Trends sowie dass Entscheidungen konsequent durchgehalten
werden. KMU haben, wie wir es oft
wahrnehmen, eine Schwäche darin,
den Markt zu beobachten vor dem
Hintergrund ihres normalen Tagesgeschäfts und sie scheitern oft an
kurzfristigen Verlockungen, sodass
sie Entscheidungen nicht standhaft
beibehalten. Tagesgeschäft. KMU
scheitern oft an kurzfristigen Verlockungen.
Wie können Mitarbeiter von KMU
den Anpassungsvorgang ihres
Unternehmens stützen?
Ich glaube, dass Mitarbeiter einen
starken Einfluss haben, wenn die
Unternehmenskultur das zulässt.
Da ist sehr viel Potenzial bei den
Mitarbeitern, die aber auch ermutigt
und motiviert werden müssen, ihre
Ideen einzubringen. Es muss dafür
aber auch Transparenz über die
Ziele herrschen, offen kommuniziert
werden und belohnt werden, wenn
Mitarbeiter selbst etwas einbringen.
Es gibt Potenzial, dass Mitarbeiter
den Vorgang aktiv unterstützen und
regulierend wirken, wofür es aber
Klarheit und Offenheit in der Unternehmenskultur braucht.
Inwiefern haben KMU gegenüber
Großunternehmen einen Vorteil
im Rahmen von Veränderungs-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
prozessen?
Sie sind einfach schneller. Es gibt
unterschiedliche Größen von KMU.
Wir haben KMU mit einer Größe
von 100-150 Mitarbeitern betrachtet. Dabei gibt es deutlich weniger
starre Abläufe, kürzere Produktionswege etc. im Vergleich zu Großunternehmen, sodass KMU schneller reagieren können und flexibel
sind.
Was kann bei dem Versuch der
Unternehmensgestaltung „Ansätze, die in großen Unternehmen funktionieren auf KMU zu
übertragen“ problematisch werden?
Unternehmensgestaltung bezieht
sich auf große Veränderungsprojekte. Für kleinere Unternehmen,
die weniger Ressourcen haben,
sind solche häufig zu groß. Die Veränderungsprogramme der Großunternehmen sind oft zu überdimensioniert für kleine Unternehmen, da
sie zu viel Zeit und Ressourcen in
Anspruch nehmen, die für kleinere Unternehmen nicht umsetzbar
bzw. gar nicht erforderlich sind. Bei
kleineren Unternehmen kann man
gezielter arbeiten u. a. aufgrund
kürzeren Kommunikationswegen.
Wir haben versucht, Methoden zu
entwickeln, die auch für kleinere
Unternehmen passen, sodass man
nicht zu viele Leute involviert. Man
muss mit KMU anders umgehen,
da sie weniger Zeit haben, sich mit
sich selbst zu beschäftigen.
■
10
Projekt- und Prozessorientierte
Organisationsgestaltung (PPO) –
Instrumentarium für Führungskräfte
in Zeiten des Wandels
Jens-Peter Toepper1
1)
Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Leiter Unternehmensorganisation
SCHLÜSSELWÖRTER: Personalbeschaffungsmethoden, Kompetenzkriterien, Persönlichkeitstests
KURZFASSUNG: Veränderte Märkte, Verordnungen, Gesetze und neue Technologien führen zu einem starken Veränderungsdruck in den Unternehmen. Führungskräfte müssen schnell auf diese Veränderungen reagieren, Entscheidungen treffen und organisatorische Maßnahmen einleiten. Die Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) ist ein Instrument, das für einen strukturierten, flexiblen und ganzheitlichen Veränderungsprozess sorgen
kann. Durch PPO haben die Führungskräfte die Möglichkeit sich optimal auf die jeweils gestellten Aufgabenschwerpunkte und Anforderungen einzustellen. PPO kann nur erfolgreich funktionieren, wenn Organisationsgestaltung nicht
nur technologisch sondern auch soziologisch verstanden und angegangen wird. Dafür ist es essentiell, dass die
Führungskräfte über entsprechende Kompetenzen und Eigenschaften verfügen.
1. Einleitung – Organisation als
Führungsaufgabe
„Organisation ist ganzheitliches Gestalten von Beziehungen zwischen
Aufgabe, Menschen, Sachmitteln
und Information in sozialen Systemen“ (Chrobok, 1996, S. 3).
Führung und Organisation leiten
sich aus den Unternehmenszielen
und -strategie, dem Unternehmensumfeld sowie den Interessen der
Anspruchsgruppen (Stakeholder)
ab. Ferner erfordern Globalisierung, Technologien, Kapitalverkehr
und Logistik neue Organisationsformen und damit einhergehend angepasste Führungskonzepte (Becker,
Ehrhardt, Gora, 2006, S. 27). Um
diesem ständigen Koordinationsund Veränderungsprozess gerecht werden zu können, müssen
Führungskräfte die Auswirkungen
von Entwicklungen auf ihren Verantwortungsbereich erkennen und
entsprechende Maßnahmen einleiten. Die Komplexität der zu bearbeitenden Problemstellungen und
Maßnahmen ergibt sich aus dem
fachlichen Aufgabengebiet der Führungskraft sowie aus der Stellung
der Führungskraft in der Hierarchie
bzw. Leitungsstuktur des Unternehmens.
„Die Leitungsstruktur des Betriebes ist pyramidenförmig aufgebaut.
Die Form der Leitungspyramide
wird durch die Anzahl der Leitungsebenen und der Anzahl der Leiterstellen innerhalb jeder Ebene
bestimmt. Zur Spitze der Leitungspyramide hin nimmt die horizontale Arbeitsteilung ab, während die
Komplexität der Aufgaben und der
Verantwortung zunimmt.“ (Arnold,
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Borchert, Finger, Graichen, Polaschewski, Schmidt, 1982, S. 108).
PPO ist ein universelles Instrument,
welches es den Führungskräften ermöglicht, Veränderungen und Wandel gezielt und effizient anzugehen
– unabhängig von der Art der jeweiligen Anforderung, der fachlichen
Ausrichtung der Führungskraft und
der Stellung der Führungskraft in
der Leitungsstruktur des Unternehmens.
2. Beschreibung der Projekt- und
Prozessorientierte
Organisationsgestaltung
Zur Begriffsbestimmung sind Prozessorganisation bzw. Projektorganisation von Projekt- und Prozessorientierten Organisationsgestaltung
(PPO) abzugrenzen. Während es
sich bei Prozess- und Projektorga-
11
Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO)
nisation um Organisationsformen
handelt, wie z. B. Linien- und Matrixorganisation, ist unter PPO ein
ganzheitliches Vorgehensmodell zu
verstehen, das aus folgenden Prozessschritten besteht:
• Strategie und Ziele
• Produkte und Leistungen
• Prozesse und Aufgaben
• Strukturen und Rollen
• Management- und IT-Systeme
Jeder dieser Prozessschritte wird,
wenn überhaupt, in der gegenwärtigen Praxis oft isoliert betrachtet.
Sollten doch mehrere Prozessschritte zusammen behandelt werden, dann aus der Situation heraus
und nicht einem strukturierten Vorgehensmodell folgend. In der Einzelbetrachtung und in der fehlenden
Flexibilität liegen die wesentlichen
Schwachstellen der heutigen Verfahren und Vorgehensweisen. Das
unstrukturierte Vorgehen und das
Ausblenden oder nicht Wahrnehmen einzelner Prozessschritte der
PPO kann zu fehlerhaften Entwicklungen führen: Abhängigkeiten
werden nicht deutlich; Maßnahmen
werden nicht zu Ende gedacht; die
Umsetzung bleibt stecken oder hat
nicht den gewünschten Erfolg; Probleme und Risiken werden nicht
erkannt und können so auch nicht
beseitigt werden. Mit einem ganzheitlichen Gestaltungsprozess der
immer alle Prozessschritte der PPO
umfasst, kann der unstrukturierten
und fehleranfälligen Einzelbetrachtung entgegengewirkt werden. Die
Erfolgsaussichten werden so deutlich gesteigert. Das Erfolgsrezept
liegt in einer konsequenten Anwendung der PPO und in der Vernet-
zung der in der PPO beschriebenen Prozessschritte ohne die das
Gesamtmodell nicht trägt.
In welchem Umfang, in welcher
Tiefe und in welcher Reihenfolge
die einzelnen Prozessschritte betrachtet und vernetzt werden müssen, ist abhängig vom konkreten
Sachverhalt und kann daher flexibel gehandhabt werden.
Wichtig ist: Egal was der Auslöser
ist, wo der Schwerpunkt liegt und
mit welchem Prozessschritt begonnen wird, alle Prozessschritte müssen überprüft und bearbeitet werden. Die einzelnen Prozessschritte
werden in den nächsten Kapiteln
beschrieben.
2.1 Strategie und Ziele
In diesem Prozessschritt werden
die Ziele für das Unternehmen und
die jeweiligen Verantwortungsbereiche festgelegt und Strategien
zur Zielerreichung definiert. Dabei
stehen vor allem äußere Einflussfaktoren, von denen die Organisation abhängig ist, im Vordergrund.
Strategie und Ziele sind die Basis
für das weitere unternehmerische
Handeln der Führungskraft und damit der Ausgangspunkt für die weitere Prozess- und Organisationsgestaltung. Handlungsfelder sind
u. a. Markt- und Umfeldanalysen,
Vision, Mission, Leitbild, Unternehmensziele und Maßnahmen zur
Umsetzung. Im Prozessschritt Strategie und Ziele wird die Frage „Wohin soll es gehen?“ beantwortet.
Nachdem die Strategie und damit
die Richtung, in die sich das Unternehmen entwickeln will, feststehen,
müssen die Produkte und Leistungen festgelegt werden.
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
2.2 Produkte und Leistungen
Im Mittelpunkt stehen die für den
Kunden zu erbringenden Leistungen bzw. die zur Verfügung zu stellenden Produkte. Mit der Vermarktung der Produkte und Leistungen
werden die Erlöse generiert. Festgelegt werden müssen daher die
Produkte und Leistungen, die einen
Marktwert entstehen lassen. Dazu
sind die Anforderungen der Kunden
aufzunehmen, Leistungen und Produkte zu strukturieren, Varianten
und Szenarien zu bewerten und zu
kalkulieren. Leistungen und Produkte sollten in ihren inhaltlichen
Merkmalen und ihren monetären
Aspekten abgestimmt werden. Ein
einheitliches Verständnis zur Leistungsstruktur ist wichtig. Die zentrale Fragestellung lautet: „Worum
soll es gehen?“. Im PPO-Ansatz
ist auch dies keine Einbahnstraße.
Produkte und Leistungen können
jeweils für sich angepasst, weiterentwickelt oder neu designt werden.
Sie sind dann jedoch mit der Strategie des Unternehmens in Einklang
zu bringen. Für die Erbringung der
Produkte und Leistungen müssen
die dazu notwendigen Prozesse
und Aufgaben definiert werden.
2.3 Prozesse und Aufgaben
Bei diesem Prozessschritt geht es
um die konkrete Erbringung der
Dienstleistungen bzw. um die Herstellung der Produkte. Aus den Prozessen ergeben sich die Aufgaben,
die ausgeführt werden müssen,
um Leistungen zu erbringen bzw.
Produkte herzustellen. „Wie soll es
ablaufen?“ ist die Fragestellung im
Prozessschritt Prozesse und Aufgaben.
12
Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO)
Hier kommt der ganzheitlich flexible Ansatz der PPO erneut zum
Tragen, da Prozesse und Aufgaben
zunächst eigenständig betrachtet
und ausgestaltet werden können.
Auch in diesem Fall ist eine Rückkopplung auf Produkte und Leistungen notwendig, um z. B. Qualitätseinbußen zu erkennen, die sich aus
der Umgestaltung von Aufgaben
und Prozessen ergeben.
Nach der Festlegung der Prozesse und Aufgaben, müssen die
Strukturen, Rollen und Ressourcen
geschaffen werden, die dafür sorgen, dass die Prozesse und Aufgaben möglichst reibungslos durchgeführt werden können.
2.4 Strukturen und Rollen
In diesem Prozessschritt werden
Verantwortung, Aufgaben
und
Kompetenzen konkret zugeordnet.
Es geht um aufbauorganisatorische
und hierarchische Fragen. Die Festlegung von Strukturen, Rollen und
Regeln ist unabdingbar um Prozesse flüssig abzuarbeiten, Doppelarbeiten zu vermeiden, lose Enden
zu verknüpfen, klare Kompetenzen
zu erteilen und Ressourcen richtig
zuzuordnen. Hauptgegenstand ist
die Antwort auf die Frage: „Wer ist
wofür zuständig?“.
Das Festlegen von Strukturen
und Rollen ist immer auch ein Festlegen der Hierarchien und damit
der Machtverteilung. Es geht hier
oft nicht um Logik, sondern sehr oft
um Firmenpolitik. In der Folge kann
es dazu kommen das Prozesse und
Leistungen an Strukturen und Rollen angepasst werden müssen.
Management und IT-Systeme
sind dann so einzurichten, dass sie
Prozesse und Leistungen optimal
unterstützen und auch Strukturen
und Rollen abbilden.
2.5 Management- und IT-Systeme
Management und IT-Systeme dienen dazu, die Prozesse der Organisation zu unterstützen. EDV-Tools
stellen den Prozesssupport zur Verfügung um schneller, besser und
sicherer arbeiten zu können. Managementsysteme wie Risikomanagement helfen Schäden vom Unternehmen abzuwenden. Zentrale
Fragestellung ist hier: „Wie wird unterstützt, überprüft, überwacht und
motiviert?“.
Management und IT-Systeme
dienen nicht ausschließlich der Prozessunterstützung, sie haben ebenfalls ein „Eigenleben“ und können
eigenständig umgestaltet werden,
müssen dann allerdings auch mit
den anderen PPO-Prozessschritten
in Übereinstimmung gebracht werden. Dies kann zur Folge haben,
das Veränderungen der IT- und Managementsysteme u. a. zu Veränderungen in Prozessen, Aufgaben,
Rollen und Strukturen führen.
3. PPO-Rahmenbedingungen
Für den Einsatz der PPO sind die
jeweils geltenden Rahmenbedingungen zu beachten. Dabei kann
es sich um geltende Richtlinien und
Vorgaben,
Unternehmenskultur,
Qualifikationsniveau der Mitarbeiter und der Führungskräfte, Hierarchien, technische Gegebenheiten
sowie die wirtschaftliche Situation
handeln. Ohne Berücksichtigung
dieser Rahmenbedingungen ist
eine erfolgreiche Organisationsgestaltung nicht möglich. Im Einzelfall
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
kann sich auch die Frage stellen,
inwieweit die vorhandenen Rahmenbedingungen verändert werden müssen, um die Organisation
verändern zu können.
4. PPO-Führungskompetenzen
Um PPO erfolgreich umzusetzen,
muss die Führungskraft verschiedene Managementaufgaben, wie
beispielsweise Planung, Organisation, Kontrolle und Führung, wahrnehmen. Die Führungskraft sollte
dazu über technische, analytische
und soziale Kompetenzen sowie
über entsprechendes Fachwissen
verfügen. Diese Führungskompetenzen werden in jedem Teilbereich
der PPO – jedoch in unterschiedlicher Ausprägung – benötigt. So
sind z. B. in Prozessschritt Strategie und Ziele vor allem analytische
Kompetenzen gefordert, wohingegen im Prozessschritt Strukturen
und Rollen soziale Kompetenzen
eine große Rolle spielen.
5. PPO-Weiterentwicklung
Die bisherige Fokussierung der
PPO auf einen technologisch geprägten Führungs- und Organisationsprozess ist nicht ausreichend
und ein Risiko für die erfolgreiche
Anwendung der PPO.
Schreyögg und von Werder beschreiben Organisationen als soziale Gebilde, in denen der Kommunikation zwischen Mitarbeitern,
Führungskräften, aber auch externen Personengruppen eine zentrale Rolle zukomme. Kommunikation werde dabei als ein Prozess
verstanden, in dem sich Menschen
gegenseitig wahrnehmen und Botschaften, Gefühle und Intentionen
13
Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO)
austauschen. Innerhalb einer Organisation können Kommunikationsprozesse formalisiert und informell sein. Während die formale
Kommunikation geplant, spezialisiert und entlang der bestehenden
Hierarchien ablaufe, reiche informelle Kommunikation über formale
Strukturen hinweg (Schreyögg, von
Werder, 2004, S. 569). Ferner lassen sich Organisationen als komplexe, eigensinnige soziale Systeme beschreiben, die sich weder
„engineeren“ noch „reengineeren“
lassen, zu vergleichen mit einer
Maschine, bei der man Schraubenzieher oder Schneidbrenner ansetzen kann (Becker, Ehrhardt, Gora,
2006, S. 24). PPO kann nur dann
erfolgreich sein, wenn auch soziale und kommunikative Aspekte und
Führungskompetenzen maßgeblich
mit eingebunden werden. Steger
(1994, S. 225) konstatiert in diesem Zusammenhang: „Führung ist
die zielorientierte Gestaltung von
Unternehmen. Sie umfasst die Planung, Kontrolle, Organisation und
Information. Diese werden den Mitarbeitern von Seiten der Führung
so ausgestaltet und kommuniziert,
dass die Unternehmensziele bestmöglich verwirklicht werden. Hinzu
kommt eine informationsverarbeitende Aufgabe der Führung, die Änderungen in der Unternehmensumwelt verarbeiten muss, um eventuell
Unternehmensziele zu korrigieren“.
Bei der weiteren Entwicklung der
PPO werden das technologische
Vorgehensmodell, die einzelnen
Prozessschritte und das für die erfolgreiche Umsetzung notwendige
Führungsverhalten weiter ausgestaltet.
6. Literatur
Chrobok, R. (1996). Grundbegriffe der Organisation. Stuttgart:
Schäffer-Pöschel Verlag.
Becker, L., Ehrhardt, J., Gora, W.
(2006). Führungskonzepte und
Führungskompetenz. Düsseldorf: Symposion Publishing
GmbH.
Borchert, H. et al., (1982). Fachschullehrbuch für Ökonomen.
Berlin: Die Wirtschaft.
Schreyögg, G. & von Werder, A.
(2004). Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation. Stuttgart: SchäfferPöschel Verlag.
Steger, U. (1994). Lean-Administration: Die Krise der öffentlichen
Verwaltung als Chance. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
►Xing-Profil des Autors
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
■
14
Interview
mit Jens-Peter Toepper
Wie sind Sie auf die Problematik
mit der Organisationsgestaltung
im Führungsbereich aufmerksam geworden?
In meiner Funktion als Leiter Unternehmensorganisation ist es eine
meiner Kernaufgaben, u. a. Strukturen und Prozesse nach den Erfordernissen des Unternehmens
auszurichten. Daher steht Organisationsgestaltung im Mittelpunkt
meiner Tätigkeit. Ich erleben jeden
Tag auf’s Neue die unterschiedlichsten Problem- und Aufgabenstellungen. Das ist alles in allem
sehr vielfältig, spannend und herausfordernd. Als ich relativ neu in
meinem Job war habe ich schnell
gemerkt, dass ich ein Instrument
brauchen würde, das mir hilft meine
Aufgaben strukturiert zu bearbeiten. Als „gelernter“ IT-Fachmann
war ich es gewohnt, strukturiert
und geplant vorzugehen. Organisa­
tionsgestaltung ist aber etwas anderes als Programmierung. Ich
habe dann zunächst verschiedene
lineare Ansätze ausprobiert, die
sich aber alle ein wenig steif angefühlt haben. Ohne das Rad neu
erfinden zu wollen, brauchte ich ein
Instrument, das flexibel gehandhabt werden kann. So kam ich nach
und nach zur PPO.
In welcher Entwicklungsphase
befindet sich PPO derzeit? Was
gilt es noch auszuarbeiten?
Die Anforderungen an die Organisationsgestaltung ändern sich laufend und ich lerne ständig dazu. Daher ist die Entwicklung der PPO nie
abgeschlossen. Wie schon gesagt,
brauchte ich ein Instrument für mich
selbst. Zunächst habe ich ein wenig herumexperimentiert, nach und
nach hatte ich den Eindruck, auf
dem richtigen Weg zu sein. Nachdem PPO in seinen Eckpunkten
Gestalt annahm, entwickelte sich
die Idee, dass PPO auch für andere, insbesondere für Führungskräfte, von Nutzen sein könnte. Im
Moment frage ich mich z. B., was
eine Führungskraft können muss,
damit sie PPO erfolgreich anwenden kann. Solange ich PPO nur als
Instrument für meine Arbeit gesehen habe, war das gar kein Thema.
Also jede Antwort, jede Erkenntnis,
jeder weitere Schritt führt zu neuen
Fragen und hoffentlich zu neuen
Antworten.
Wie verbreitet ist diese Organisationsgestaltung?
Organisationsgestaltung ist allgegenwärtig. Alle Firmen, Behörden,
Vereine und sonstige Institutionen
sind ständig dabei, ihre Organisation anzupassen und zu verbessern.
Neue Strategien und Konzepte auszuarbeiten, geeignete Strukturen zu
schaffen, Prozesse zu optimieren,
Leistungen und Produkte marktgerecht zu entwickeln, usw. Umfang
und Intensität ist dabei von Fall zu
Fall verschieden, ob bewusst oder
unbewusst findet Organisationsgestaltung überall statt.
Die Anforderungen, Wünsche und
Aufträge, die an meinem Team und
an mich herangetragen werden,
nehmen ständig zu. Daher denke
ich, dass wir unseren Job gut machen. PPO ist ein Instrument, das
wir dabei benutzen. Unsere Auftraggeber kennen den Begriff PPO
nicht. Es ist denen in der Regel
auch nicht wichtig, wie die Methoden heißen, mit denen wir vorgehen. Da zählt in erster Linie der Erfolg und auch die Transparenz.
Welchen Nutzen können Führungskräfte aus PPO ziehen?
Führungskräfte können Organisationsgestaltung und Veränderungsprozesse strukturiert, ganzheitlich
aber auch agil und flexibel handhaben. Sie können den Schwerpunkt
dort setzen, wo auch das Problem
ist ohne dass wichtige andere Themen, die in diesem Kontext stehen,
vernachlässigt werden. Das führt zu
mehr Schnelligkeit, spart Kräfte und
Ressourcen und ist zielführend.
■
Welche Rückmeldungen kommen seitens der Mitarbeiter / Manager zum PPO?
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
15
Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen –
Konzern versus Mittelstand
Werner Oergel1
1)
Partner von Graf Lambsdorff & Compagnie Unternehmensberater und Personalberater
SCHLÜSSELWÖRTER: Information und Kommunikation, Mitarbeiterbeteiligung, Führungskräfte, Integrations- und
Veränderungsprozesse
KURZFASSUNG: Veränderungen begleiten uns im Erwachsenwerden, in unserer Gesellschaft, für uns gut zu beobachten, in der Natur über alle vier Jahreszeiten hinweg. Übertragen wir das auf ein Unternehmen, stellen wir fest,
dass die Dynamik in den Märkten und die stetig wachsende Komplexität von Aufgaben dazu auffordert, uns beständig auf Veränderungen einzustellen. Produktzyklen werden kürzer, Entwicklungen müssen immer schneller zur
Marktreife gebracht werden. Akquisitionen verändern Prozesse und Strukturen, schaffen Synergien. Sie ermöglichen
das Wachstum, die Erweiterung des Produktportfolios ebenso wie den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit. Um diese
systemischen Veränderungen in einem Unternehmen erfolgreich umzusetzen, bedarf es einer Strategie, einer klaren
Informations- und Kommunikationspolitik gegenüber allen Mitarbeitern, die frühzeitige Einbindung und Mitwirkung
von Führungskräften und Mitarbeitern. Dieser Artikel skizziert einige Punkte, die für ein Gelingen von Integrationsund Veänderungsprozessen eine sehr gute Basis bilden können: Information und Kommunikation, der Umgang mit
Widerständen, eine positive Unternehmenskultur sowie die Betrachtung von Risiken.
1. Veränderung – ein zentrales
Thema
Zunächst werden aus eigener Erfahrung (am Beispiel eines Umzugs), Veränderungen eher skeptisch betrachtet. Das Verlassen
oder Loslassen von gewohnten
Strukturen bringt Unsicherheit
und Ängste, wirft viele Fragen auf.
Veränderung bedeutet immer Vertrautes, Bekanntes hinter sich zu
lassen, um Platz für das Neue zu
schaffen. Man kann es so beschreiben: Wir nehmen die Rolle eines
„Entdeckers“ ein. Was tun wir, um
diese Situation zu klären? – Wir
informieren uns. Diese Informationen stellen das Rüstzeug dar, um
mit den Neuerungen bestmöglich
umgehen zu können, um uns Si-
cherheit in unseren Handlungen zu
geben und unser Unbehagen weitgehend zu beseitigen. Reflektieren
wir das auf ein Unternehmen, ist es
die Aufgabe des Managements in
Bezug auf geplante Veränderungen
die Risiken ausreichend zu bewerten, die Gründe, das Ziel (z. B. die
Wettbewerbsfähigkeit auszubauen,
die Internationalität zu stärken, ggf.
auch die Arbeitsplatzsicherung, die
Vermeidung von Stillstand) schlüssig an alle Mitarbeiter zu vermitteln.
2. Jede Veränderung birgt Risiken…
Im Zusammenhang von Veränderungen in Unternehmen wird auf
einige der oben beschriebenen
Punkte näher eingegangen. Be-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
obachtbar ist, dass eine Vielzahl
der Mitarbeiter bei Veränderungen
(insbesondere auf Grund von Informationsmangel) zunächst eine abwartende Haltung einnimmt. Weiter
entstehen Ängste, Unsicherheit in
Bezug auf die eigenen Fähigkeiten, nicht zuletzt hinsichtlich des
Arbeitsplatzes. Vereinzelt ist Widerstand und boykottierendes Verhalten erkennbar. Besonders intensiv
ist dieses Verhalten in Unternehmen, die sich über Jahre hinweg in
einer Sanierungsphase befinden.
Zusätzlich entsteht die Sorge, dass
das Arbeitsvolumen zunimmt, der
Termindruck größer wird, bei Internationalisierung andere Kulturen
dazukommen u. v. m.
Die Erfahrung zeigt, dass sowohl
16
Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen
im Konzern als auch im Mittelstand
die Berücksichtigung von weichen
Faktoren (Befähigung / Motivation
der Führungskräfte, ausreichend
Zeit im Tagesgeschäft einräumen,
Förderung der Teamarbeit, regelmäßige
Information / Kommunikation in die Organisation) nicht
stattfindet. In erster Linie werden
die harten Faktoren (Verbesserung
der Wettbewerbsfähigkeit, des Ergebnisses, die Kostenreduzierung)
betrachtet. Weiter jagt eine Veränderungsmaßnahme die andere,
ohne dass es zu einem Abschluss
kommt. Mitarbeiter die lange genug
im Unternehmen sind, stellen fest:
Das heute Neue war vor einigen
Jahren das Alte. Begleitet mit dem
Kommentar: „Warum wird schon
wieder etwas Neues begonnen,
wenn das Alte noch nicht einmal
abgeschlossen ist – das hatten wir
doch alles schon einmal; die da
oben wissen nicht, was sie wollen.“
Die Risiken im Überblick
• Arbeitsverdichtung (quantitativ)
• Anforderungsverdichtung
(qualitativ)
• Zeit- und Termindruck
• Informationsmangel / Informationsflut
• ständige Umorganisation im
Unternehmen
• Schnittstellenprobleme
• Kommunikations- und Kooperationsbarrieren
• Arbeitsplatzunsicherheit
• Personalabbau (Wiessmann)
3. ...und Chancen
Die Chancen und die damit verbundenen positiven Aspekte im Zusam-
menhang von organisatorischen
Veränderungen in Betrieben und
Unternehmen sowie mit der Integration von neuen Tochterunternehmen überwiegen deutlich.
U. a. sind folgende Fragestellungen, die gleichzeitig zur Risikobewertung genutzt werden könnten,
in der Konzeptphase zu klären:
Wie können die einzelnen Funktionen / Bereiche miteinander verbunden werden bzw. was könnte
das Ergebnis des Zusammenwirkens sein? Welche Auswirkungen
haben die Veränderungen ggf. auf
einzelne Abteilungen bzw. auf Mitarbeiter? Weiter ist zu klären, welche Vor- ggf. auch Nachteile sich
ergeben könnten. Ziel sollte sein,
die Vorteile hervorzuheben, z. B.
die Verbesserung des technischen
Know-hows, um damit den Ausbau
der Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und zugleich den Nachteilen
entgegenzuwirken, z. B. dem sich
daraus ergebenden größeren Aufwand, der zunächst u. a. zu erhöhten Kosten führen wird.
Ergänzend ist die Vorbereitung
eines detaillierten Informationsund Kommunikationskonzeptes unerlässlich. Geistige Führerschaft,
Kommunikation im emotionalen
Bereich und persönliches Engagement seitens des Managements
untermauern die zwingend notwendige Identifikation aller Beteiligten.
Wobei man eine Identifikation nur
über eine sorgfältige Entwicklungsarbeit aufbauen kann: über eine
starke und lebendige, auf Offenheit
und Vertrauen beruhende Unternehmenskultur (Doppler & Lautenburg, 2000).
Der Vorteil für Firmen, die eine
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
solche Unternehmenskultur bereits
aufgebaut haben, ist offensichtlich.
Ein Baustein für eine erfolgreiche
Umsetzung bildet die Beteiligung
der relevanten Zielgruppen – die
Führungskräfte und Mitarbeiter.
Weiter sollte es gelingen die Aufmerksamkeit der Führungskräfte auch auf die Integration des zu
akquirierenden Unternehmens zu
lenken. Damit gelingt es den Führungskräften die Integration durch
Einordnung in einen Kontext als ein
größeres Ganzes zu verstehen.
Da wir heute in einer Zeit des
kontinuierlichen Wandels leben,
bildet ein Wertesystem in einem
Unternehmen, basierend auf Offenheit, Transparenz und Vertrauen, ein tragfähiges Fundament. Ein
solches Wertesystem hat positiven
Einfluss auf die Loyalität, wirkt motivierend und zeigt sich am Ende in
der Arbeitsqualität.
Wandlungsfähig sein, neugierig sein, sich auf Neues einlassen,
setzt jedoch voraus, dass die geplante Strategie auf allen Ebenen
verstanden und letztlich akzeptiert,
eventuell sogar unterstützt wird. Für
die Umsetzung braucht es Engagement, ein hohes Maß an Kommunikation und Kooperation, zudem die
Fähigkeit zu Teamarbeit, und dass
auf allen Ebenen unternehmerisch
gedacht sowie im Gesamtinteresse
gehandelt wird (Doppler, Lautenburg).
Das Verhalten eines Systems
als Ganzes, wird nicht verursacht
durch das Verhalten bloß eines
Teils, sondern ist das Ergebnis des
Zusammenwirkens aller Teile (Ulrich, Probst).
Schaut man bei der Umsetzung
17
Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen
von organisatorischen Veränderungen oder der Integration von Unternehmen auf den Faktor Zeit, sind
die wenigsten Prozesse binnen
weniger Monate abgeschlossen.
Die Zeiträume belaufen sich auf ein
Jahr oder mehr. Da sich in diesem
Zeitraum die Rahmenbedingen permanent verändern, sind die Entscheider verpflichtet, die Prozesse
und Verläufe zu beobachten und
den neuen Anforderungen entsprechend anzupassen. Sie unterstützen bei Schwierigkeiten, beheben
Hindernisse und geben Regeln vor.
Die Chancen im Überblick
• Vielseitigkeit der Arbeit
• Zunahme von Kompetenzen
• lebenslanges Lernen
• mehr Entscheidungs-, Handlungs- und Gestaltungsspielräume
• mehr (Eigen-)Verantwortung
• anspruchsvollere Tätigkeiten
• Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen
• Zeitsouveränität
• Persönlichkeitsentwicklung
(Wiessmann)
4. Resümee
Zusammenfassend kristallisieren
sich mehrere Faktoren für die erfolgreiche Umsetzung von organisatorischen Veränderungen und
der Integration z. B. von neuen
Tochterunternehmen bzw. Unternehmensgesellschaften heraus, die
auf den Mittelstand sowie auf Konzerne zutreffen.
a) Weiche und harte Faktoren
Studienergebnisse machen deutlich, dass ein neues Denken im Ma-
nagement tiefgreifender Veränderungen erforderlich ist. Sie zeigen
auf, dass nur die Berücksichtigung
harter und weicher Faktoren der
Schlüssel zu erfolgreich umgesetzten Veränderungen ist (C4 Consulting).
b) Personalkapazität
All zu oft werden solche strategischen Projekte mit der vorhanden
Personalkapazität umgesetzt. Das
bedeutet, dass Führungskräfte und
Mitarbeiter, die eine einhundertprozentige Auslastung haben, noch mit
zusätzlichen Projekt- / Integrationsaufgaben betraut werden. Häufig
besitzen die Führungskräfte keine
Erfahrung und nicht das notwendige Wissen für die Umsetzung. Die
generelle Motivation und das Engagement halten sich dabei verständlicher Weise in Grenzen. Eine Alternative, die sich anbietet: diesen
Mitarbeiterkreis für einen gewissen
Zeitraum freizustellen, um mit ihnen ein Integrationsprojektteam zu
bilden. Und alle Beteiligten auf die
Aufgabe entsprechend ausreichend
vorzubereiten. Je stärker die Motivation der Beschäftigten, je mehr
Wissen des Integrationsteams zur
Umsetzung vorhanden ist, desto höher ist die Identifikation und
die Erfolgsquote im Unternehmen.
c) Motivation
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg
zeigt sich in der Motivation aller
im Unternehmen Beschäftigten.
Voraussetzung ist, dass jedem
Mitarbeiter Orientierung gegeben
wird, dass Eigeninitiative und Gestaltungsfreiheit zugelassen und
gefördert wird. Natürlich innerhalb
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
vereinbarter Ziele, Strukturen und
Regeln. Zusätzlich müssen die
Veränderungsgründe für alle Mitarbeiter im Unternehmen transparent und nachvollziehbar sein.
Über Projektfortschritte, auch über
Misserfolge muss seitens der Führungskräfte und der Entscheider
kontinuierlich informiert werden.
d) Konsequenz
Ausreichendes Engagement der
oberen Führungsebene, klare Ziele, angemessene personelle Unterstützung, Erfahrung in der Projektplanung und im Umgang mit
unsicheren Situationen, verlässliche Kommunikation und Unterstützung aus dem Management sind
wichtige Bausteine für eine erfolgreiche Umsetzung von Veränderungen in Unternehmen und Betrieben.
Zurück zur Überschrift des Artikels – Kultur des „Führens“ in
Veränderungs- und Integrationsprozessen – Konzern versus Mittelstand.
Die Vorteile des Konzerns liegen
in der Größe des Unternehmens.
Damit sind in der Regel Strukturen,
ganze Stabsstellen vorhanden, die
jederzeit zur Verfügung stehen und
als unterstützende Elemente wirken
können. Zusätzlich kann sich die finanzielle Stärke eines Konzerns,
je nach Verlauf, als sehr nützlich
erweisen. Nachteilig jedoch können sich ggf. langwierige Entscheidungsprozesse auswirken.
Die Vorteile des Mittelstandes
liegen in den flacheren Hierarchien und der pragmatischeren Herangehensweise, den kurzen Entscheidungwegen, der größeren
18
Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen
Flexibilität und kürzeren Kommunikationswegen. Wobei der Gesamtaufwand, häufig durch nicht
vorhandene Strukturen und Defizite
in den Fachbereichen, mehr Managementkapazitäten bindet. Und
damit das finanzielle Risiko ansteigen kann.
5. Fazit
Die Mehrheit der Unternehmen
verfolgt mit der Integration von
neuen Tochterunternehmen oder
Unternehmensgesellschaften
Wachstums- und Technologieziele.
Doch ist die ausschließliche Konzentration auf diese Themen nicht
ausreichend.
Zwei Aspekte sind im Mittelstand
besonders deutlich: Die Integration
bindet mehr Managementkapazität als in Großunternehmen, und
die kulturelle Integration wird im
Gegensatz zu operativen Aspekten zurückgestellt. Die kulturelle
Integration, die von ca. 45 Prozent
der befragten Unternehmen als
wichtig empfunden, ist aus Sicht
der Experten jedoch diejenige, die
am meisten vernachlässigt wird
(Deloitte, 2012).
Die Erfahrung zeigt, dass ein erkennbarer Unterschied zwischen
Konzern und Mittelstand nicht wirklich vorhanden ist und die voran
aufgeführten Aspekte auf beide,
Konzern und Mittelstand zutreffen.
Schlussendlich bilden das Vertrauen in die Organisation, die
Beteiligung aller Mitarbeiter, die
Befähigung und Erfahrung der
Führungskräfte sowie eine ausreichende Planung und Vorbereitung
beste Voraussetzungen, den PMIProzess erfolgreich abzuschließen.
5. Literatur
C4 Consulting GmbH (2007). Repräsentative
Untersuchung
über Erfolg und Misserfolg im
Veränderungsmanagement.
Houben, A. Frigge, C. Trincek,
R. Pongartz, H.J. Technische
Universität München. Die wichtigsten Ergebnisse.
Deloitte (2012). Merger & Acquistions im Mittelstand, Kapitel
Spannungsfelder, 5-9.
Doppler, K. & Lauterburg C. (2000).
Change Management. Den
Unternehmenswandel gestalten. Campus, 51-53.
Ulrich, H. Probst, Gilbert J.B. (1991).
Anleitung zum ganzheitlichen
Denken und Handeln. Ein Brevier für Führungskräfte, 30-36.
Wiessmann, Dr. F. (2005). Veränderungen in der Arbeitswelt.
6. Über den Autor
●● Partner Graf Lambsdorff &
Compagnie - Unternehmensberater und Personalberater
●● Stationen: HR-Leitung, Konzern und Mittelstand
►Xing-Profil des Autors
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
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19
Interview
mit Werner Oergel
Wie kam es dazu, dass Sie sich
mit dem Thema Veränderungen
in Unternehmen auseinandergesetzt haben?
Durch meine beruflichen Erfahrungen. Charles Darwin sagte im 19.
Jahrhundert: „Weder der Stärkste,
noch die intelligenteste Spezies
überlebt, sondern jene, die sich am
besten dem Wandel anpasst.“ Obwohl vor 100 Jahren formuliert gilt
diese These auch heute noch. Wir
leben im stetigen Wandel: Technik,
Kommunikation, berufliche und private Ansprüche, allem sollen wir
gerecht werden. Unsere Arbeitswelt
ist diesem Wandel in besonderem
Maße ausgesetzt und stellt hohe
Anforderungen an das Management und die Mitarbeiter. Die Frage
ist, wie gelingt es die Mitarbeiter auf
diese Reise mitzunehmen?
Was ist der Grund dafür, dass
die Berücksichtigung von weichen Faktoren – egal ob im Konzern oder im Mittelstand- (bisher)
nicht stattfindet?
Häufig spielt der Faktor Zeit eine
wichtige Rolle. Dadurch findet die
Beachtung der weichen Faktoren
in Change-Management und PMIProzessen nur ungenügend bzw.
keine Berücksichtigung und führen
zum scheitern von Veränderungsprozessen. Wenn Führungskräfte
und Mitarbeiter wissen, wo die Reise hingeht, sie Orientierung haben,
in Prozesse und Entscheidungen
eingebunden sind, bildet das die
besten Voraussetzungen für das
Gelingen von Change-Manage-
ment. Dazu noch eine Anmerkung:
Prinzipiell müssen Unternehmen
wandlungsfähig sein, um im Wettbewerb bestehen zu können. Und
Mitarbeiter müssen akzeptieren,
dass dies Teil ihres Arbeitsalltages
geworden ist.
Welche Kompetenzen muss das
Management während eines Veränderungsprozesses mitbringen,
sodass dieser möglichst erfolgreich verläuft?
Die Fähigkeit, alle Risiken zu bewerten. Wie werden Beispielsweise die neuen Mitarbeiter des zu
integrierenden Unternehmens in
die neue Organisation integriert?
Welche Auswirkungen hat dieser Prozess auf die bestehenden
Strukturen? Wo können Synergien erzielt werden? Wie kann sich
der PMI-Prozess ggf. auf einzelne
Arbeitsplätze auswirken? In welchem Umfang muss das Budget
berücksichtigt werden? Welche Erfahrung haben die Führungskräfte
einen solchen Prozess erfolgreich
zu steuern? Wie gehen Führungskräfte mit Unsicherheiten um und
sind sie in der Lage, ihren Mitarbeitern die erforderlichen Antworten
zu geben bei den Fragen: Werde
ich noch gebraucht? Verändert sich
meine Aufgabe? Muss ich in eine
andere Abteilung wechseln? usw.
Eine Begleitung ein Coaching der
Entscheider und Führungskräfte ist
eine gute Investition in die Zukunft.
trauen“ essenziell für ein Unternehmen, das Veränderungen erfolgreich umsetzen möchte?
Klarheit und Verlässlichkeit in allem,
was getan wird, ist wichtig. Und
auch dass die Themen eindeutig
angesprochen werden mit den jeweiligen Gründen und Vorgehensweisen. Das ist das Wichtigste für
die Mitarbeiter und alle Beteiligten.
Die Botschaften müssen eindeutig
sein, ob das in einem Restrukturierungsprozess, Wachstumsprozess oder Change-ManagementProzess ist. Häufig werden in den
Unternehmen die neuen Dinge und
Veränderungen im stillen Kämmerlein entwickelt, aber eine relativ klare Kommunikation ist das Wichtigste überhaupt. Auch die Mitarbeiter
können den Prozess fördern: Wenn
alle Rahmenbedingung gut gelöst
sind, dann sind die Erwartungen an
die Mitarbeiter, dass sie den Prozess unterstützen und nicht boykottieren. Da halte ich es auch für
angemessen, dass man bezüglich
der Mitarbeiter konsequent handelt,
falls diese den Prozess an der einen oder anderen Stelle gefährden.
■
Welche Faktoren sind neben
„Offenheit, Transparenz und Ver-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
20
HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf
Personalmanagement und -führung
Prof. Dr. Thorsten Petry1
1)
Professor für Organisation und Personalmanagement an der Hochschule RheinMain
SCHLÜSSELWÖRTER: Social Media, HR 2.0, Enterprise 2.0, Leadership 2.0
KURZFASSUNG: Seit ein paar Jahren ist Social Media eines der heißen Themen in der HR-Community. Es findet
sich kaum ein HR-Kongress oder eine HR-Fachzeitschrift, in der das Thema nicht in irgendeiner Form berücksichtigt
wird. Während hierbei zunächst meist auf den Einsatz sozialer Medien in Personalmarketing und -beschaffung fokussiert wurde, hat sich in der letzten Zeit mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch die Personalentwicklung und -führung sowie die interne Kommunikation und Zusammenarbeit stark beeinflusst werden. Der Beitrag zeigt
auf, welche Potenziale Social Media für die genannten Funktionen bieten und wo die Unternehmen in der Umsetzung
aktuell stehen. Hierbei wird auf diverse Studienergebnisse eines langjährigen Forschungsschwerpunkts an der Hochschule RheinMain zurückgegriffen.
1. Kernaspekte von Social Media
Der Begriff Social Media beschreibt
Plattformen, über die Nutzer miteinander kommunizieren, zusammenarbeiten und sich zu Gemeinschaften vernetzen. Ein zentrales
Element ist dabei die Erstellung
des Inhalts durch die Nutzer selbst
(„User Generated Content“). Im auf
Social Media basierenden Web 2.0
ist jeder Empfänger auch gleichzeitig (potenzieller) Sender. Im Mittelpunkt steht der soziale Dialog.
Beim Thema Social Media geht es
deshalb nicht rein um Tools und Kanäle, sondern auch um eine veränderte Kommunikationskultur.
Das Spektrum an konkreten Social Media Instrumenten ist sehr
groß, die einzelnen Tools lassen
sich aber vereinfachend zu ein
paar wenigen Kategorien zusammenfassen. Am bekanntesten sind
sicherlich Social Networks (z. B.
Wikipedia) dienen der Informationsbereitstellung und Kollaboration, in
dem Texte von Usern gemeinsam
erarbeitet und weiterentwickelt werden. (Micro-)Blogs (z. B. Blogger,
Twitter) dienen primär der Informationsbereitstellung bzw. Meinungsäußerung (Fokus von Blogs) sowie
der Kommunikation (Fokus von
Microblogs). Social Sharing Plattformen (z. B. YouTube, kununu)
unterstützen ebenfalls primär die
Informationsbereitstellung, wobei
Inhalte anderen Nutzern nicht nur
verfügbar gemacht, sondern auch
gemeinsam geordnet sowie bewertet werden (Vaßen & Petry, 2011).
2. Social Media im Personalmanagement insgesamt (HR 2.0)
Die dargestellten Social Media Instrumente können prinzipiell in allen
HR-Funktionen – von Personalpolitik, -strategie und -planung über
controlling und -verwaltung – eingesetzt werden. Für HR-Manager
ist es wichtig, sich dieser vielfältigen Einsatzmöglichkeiten bewusst
zu sein und das Thema HR 2.0
ganzheitlich zu verstehen. Allerdings unterscheiden sich die konkreten Einsatzpotenziale in den
verschiedenen HR-Funktionen erheblich. Deshalb ist es neben einem generellen Verständnis auch
wichtig, für jede einzelne Funktion
konkret zu prüfen, ob und welche
Möglichkeiten soziale Medien hier
eröffnen (Vaßen & Petry, 2011). Im
Folgenden wird exemplarisch für
die Funktionen Personalmarketing,
-beschaffung, -entwicklung und
-führung sowie die interne Kommunikation und Zusammenarbeit im
Unternehmen betrachtet, welche
Potenziale soziale Medien hier bieten und wo die Unternehmen aktuell in der Umsetzung stehen.
Facebook, XING), bei denen Netzwerkaufbau und Beziehungspflege
im Vordergrund stehen. Wikis (z. B.
Personalmarketing und -beschaffung sowie Personaleinsatz und
-entwicklung bis hin zu Personal-
3. Social Media im Personalmarketing (Personalmarketing 2.0)
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
21
HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung
Da sich viele interessante Zielgruppen mehr und mehr in Social Media aktiv sind, stellen diese Kanäle
sehr attraktive Wege dar, um mit
potenziellen Mitarbeitern in Kontakt
zu kommen und eine Beziehung
aufzubauen. Als interaktive Kanäle
bieten soziale Medien die Möglichkeit, einen authentischen Dialog mit
den avisierten Zielgruppen zu führen.
Dies haben mittlerweile auch
viele Unternehmen erkannt und
versuchen über diese Wege ihre
Bekanntheit und Attraktivität als
Arbeitgeber zu steigern. En vogue
sind hier bspw. Unternehmens- /
Karriereseiten auf Facebook, ein
Twitter-Kanal oder Employer Branding Videos.
Es gibt zwar einige positive Beispiele, die insgesamt gemischten
Ergebnisse und Reaktionen zeigen jedoch, dass sich das Thema
bei der Mehrheit der Unternehmen
nach wie vor noch in den Kinderschuhen befindet. Viele Maßnahmen kommen bei den Adressaten
gar nicht erst an oder bieten keinen
wirklichen Mehrwert gegenüber bisherigen Ansätzen. Ohne besondere
Inhalte und einen gelebten Dialog
bringt eine Facebook-Seite bspw.
kein Plus gegenüber der traditionellen Karrierehomepage. Darüber
hinaus sind etliche Employer Branding Videos, die eigentlich ein junges und modernes Bild vermitteln
wollten, von der Zielgruppe als völlig unauthentisch verspottet worden
und haben der Glaubwürdigkeit des
betreffenden Unternehmens eher
geschadet (Petry & Schreckenbach, 2010a sowie Schreckenbach
& Petry, 2011).
Es gibt also noch viel zu optimieren. Es besteht allerdings kaum ein
Zweifel daran, dass Social Media
zukünftig ganz selbstverständlich
mit zur Standardklaviatur eines
Personalmarketiers gehören wird.
4. Social Media in der Personalbeschaffung (Recruiting 2.0)
Neben diesen dialogorientierten
interaktiven Möglichkeiten zum
mittelfristigen Aufbau einer Arbeitgebermarke ergeben sich durch
Social Media auch Nutzenpotenziale für die konkrete Personalbeschaffung. Im Recruiting 2.0 werden zum einen Plattformen wie
Facebook und Twitter gezielt dazu
genutzt, um offene Stellen zu veröffentlichen. Zum anderen bieten
Business Netzwerke wie XING und
LinkedIn auch die Möglichkeit zum
Active Sourcing. Selbst wenn die
gezielte Suche und Ansprache von
Kandidaten an und für sich nichts
Neues ist (in den Bewerberdatenbanken der Online-Jobbörsen ist
dies ja bereits seit vielen Jahren
möglich), entsteht durch Social Media eine neue Qualität der aktiven
Suche. Dies liegt zum einen darin
begründet, dass sich in Business
Netzwerken neben aktiv Suchenden auch viele latent Jobsuchende befinden (Jäger & Petry, 2012).
Zum anderen entstehen durch die
Vernetzung der Mitglieder untereinander neue Potenziale im Sinne einer viralen Rekrutierung, denn eine
von einem Bekannten empfohlene
Stelle erhält eine wesentlich höhere
Beachtung.
Auch hier befindet sich die Entwicklung noch in einem frühen Stadium (vgl. Schreckenbach & Petry,
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
2011 und Dannhäuser, 2013). Vor
dem Hintergrund des berühmt berüchtigten zunehmenden „War for
Talents“ und der Tatsache, dass die
Mehrheit der Personen in Business
Netzwerken einer Direktansprache
über diese Kanäle positiv gegenüber steht, wird das Thema Recruiting 2.0 sicherlich weiter an Relevanz zunehmen.
5. Social Media in der Personalentwicklung (Personalentwicklung 2.0)
Aktuell ist die Bedeutung von Social Media im Bereich der Personalentwicklung in den meisten
Unternehmen noch relativ gering.
Zwar nutzen 60 % der befragten
Unternehmen Social Media basierte Personalentwicklungsansätze.
Aber nur bei 11 % gehören diese
zu den fünf am meisten genutzten
Ansätzen. Hier ist jedoch zukünftig
mit einer Verschiebung zu rechnen,
denn 92 % erwarten eine Zunahme des Einsatzes sozialer Medien
in der Personalentwicklung (Petry,
2012a).
Inhaltlich wird damit gerechnet,
dass sich der Fokus des Einsatzes
verändern wird. Während aktuell
die Speicherung von Wissen (z. B.
über Wikis) ganz oben auf der Liste
der verfolgten Ziele steht, wird das
größte Potenzial im Bereich der
Vernetzung der Know-How-Träger
gesehen. Soziale Netzwerke bzw.
Medien eröffnen die Möglichkeit,
Köpfe zu vernetzen, statt (nur) Wissen zu speichern.
Auch bei der Förderung von Eigenverantwortung und dem Ausbau
informellen Lernens gibt es erhebliche Potenziale. Durch die Nutzung
22
HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung
von Social Media besteht die Chance die berüchtigte 80 / 20-Regel zu
kippen, nach der 80 % des Lernens
zwar informell erfolgt, aber die Personalentwicklungsbudgets zu 80 %
für formelles Lernen verwendet
werden (Petry, 2012a).
Social Media werden traditionelle Ansätze zwar nicht verdrängen,
aber ergänzen. Die Personalentwicklung der Zukunft muss traditionelle Ansätze mit Social Media
Technologien und der dahinterliegenden, offenen „Mitmachkultur“ vereinen (vgl. Trost/Jenewein,
2011).
6. Social Media in der internen
Kommunikation und Zusammenarbeit (Enterprise 2.0)
Ein großer Einfluss auf HR ergibt
sich auch aus dem Einsatz von Social Media zur Verbesserung der internen Kommunikation und Zusammenarbeit (Jäger & Petry, 2012). In
den letzten Jahren haben immer
mehr Unternehmen entsprechende
Enterprise 2.0 Initiativen gestartet.
Relativ bekannte Beispiele sind
etwa connect.BASF, Telekom Social Network, oder ConNext (Continental).
Bei Gesprächen mit diesen und
anderen Unternehmen, die an solchen Initiativen arbeiten, fällt ein
Begriff immer und immer wieder:
„Kultur“. Es wird ausdrücklich betont, wie wichtig und zentral die
Kultur für Enterprise 2.0 Initiativen
ist. Auch empirische Studien kommen zu diesem Ergebnis (Petry &
Schreckenbach, 2010b, 2012 und
2013a). Die am häufigsten genannten Wirkungen von Enterprise 2.0
sind eine offenere Kommunikation,
ein offenerer Informationszugang
und eine intensivere abteilungsübergreifende
Zusammenarbeit.
Dies stellt für viele traditionelle, hierarchisch geprägte Unternehmen
eine große Herausforderung dar.
Dementsprechend verlangt die
erfolgreiche Transformation zum
Enterprise 2.0 einen entsprechenden Kulturwandel (Petry & Schreckenbach, 2013b). Hier ist natürlich
HR gefragt, diesen Wandel als Kulturmanager und Change Agent zu
begleiten bzw. gar voranzutreiben
(Petry, 2012b).
7. Social Media und Personalführung (Leadership 2.0)
Die hinter Social Media stehende
Kultur hat natürlich auch Auswirkungen auf eine adäquate Personalführung. Hinsichtlich der Erwartungen an Leadership 2.0 liegt
der Fokus auf Offenheit. Eine Führungskraft im Social Media Zeitalter
muss offen kommunizieren (63 %),
offenes Feedback geben (57 %)
und auch selbst für Kritik offen sein
(37 %; Petry, 2013).
Auch das Zulassen und Fördern
von Selbststeuerung und -organisation steht ganz weit oben in der
Liste der Erwartungen. Die Komplexität ist heute viel zu hoch, als
dass Führungskräfte alles für ihre
Mitarbeiter fremdregeln könnten.
Leadership 2.0 bedeutet (einen Teil
der) Steuerungskontrolle aufzugeben. Dies heißt aber nicht, dass
Mitarbeiter zukünftig agieren können wie sie wollen. Die Kontrolle
der Zielerreichung gehört natürlich
nach wie vor zu den Aufgaben einer
Führungskraft 2.0, der Weg dorthin
bleibt den Mitarbeitern zukünftig
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
jedoch mehr und mehr selbst überlassen. Es gilt der Grundsatz: Kontrolle aufgeben – Führung behalten
(Jäger & Petry, 2012).
Die Entwicklung zu einer offeneren und weniger detailsteuernden
Führung ist nicht revolutionär oder
gänzlich neu, vielmehr ist in den
letzten Jahren und Jahrzehnten bei
vielen Unternehmen bereits eine
Veränderung in diese Richtung zu
beobachten. Durch die neuen Technologien und die damit verbundenen veränderten Informations- und
Kommunikationsprozesse hat sich
diese Entwicklung aber noch einmal massiv beschleunigt (Petry,
2013).
8. Langsam entwächst HR 2.0
den Kinderschuhen
Als zentrales Fazit dieses Beitrags
lässt sich festhalten, dass Social
Media das Personalmanagement
auf vielfältige Weise betrifft. Es ist
wichtig, das Thema ganzheitlich zu
verstehen und nicht nur als Spielwiese für Personalmarketing und
-beschaffung abzutun. Noch befindet sich das Thema mehrheitlich in
den Kinderschuhen, aber die Relevanz sozialer Medien wird sicherlich
zukünftig noch weiter zunehmen.
Dies beutet nicht, dass von jetzt
an alles Bewährte über Bord geschmissen werden sollte und zukünftig alles über soziale Medien
laufen muss. Die zwanghafte Nutzung aller potenziell möglichen
Social Media Instrumente in sämtlichen HR-Funktionen ist sicherlich
wenig effektiv und auch nicht effizient. Aber es ist ein Muss für jede
HR-Funktion einzeln, spezifisch
und kritisch zu analysieren, welche
23
HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung
Einflüsse, Chancen und Risiken
sich durch Social Media und die
dahinterliegende Kommunikationskultur für einen selbst oder andere
Marktteilnehmer ergeben.
9. Literatur
Dannhäuser, R. (Hrsg, 2013): Praxishandbuch Social Media
Recruiting.
Springer-Gabler,
Wiesbaden.
Jäger, W. & Petry, T. (2012): Enterprise 2.0 – Herausforderungen
für Personal, Organisation und
Führung. In: Jäger, W. & Petry,
T. (Hrsg.): Enterprise 2.0 – die
digitale Revolution der Unternehmenskultur, S. 17-35. Wolters-Kluwer: Köln.
Petry, T. (2012a): Personalentwicklung 2.0: Mehr Evolution statt
viel Revolution. wirtschaft +
weiterbildung, 10/2012, S. 2224.
Petry, T. (2012b): HR und der Weg
zum Enterprise 2.0. Human
Resources Manager, 8, S. 7274.
Petry, T. (2013): Chef 2.0 gesucht.
Personalmagazin, 5, S. 30-31.
Petry, T. & Schreckenbach, F.
(2010a): Web 2.0: Königs- oder
Holzweg? Personalwirtschaft,
10, S. 68-70.
Petry, T. & Schreckenbach, F.
(2010b): Wenn wir wüssten,
was wir wissen. Personalwirtschaft, 12, S. 50-52.
Petry, T. & Schreckenbach, F.
(2012): Empirische Ergebnisse
zum Status Quo von Enterprise
2.0 in Unternehmen. In: Jäger,
W. & Petry, T. (Hrsg.): Enterprise 2.0 – die digitale Revolution
der Unternehmenskultur, S.
37-58. Wolters-Kluwer: Köln.
Petry, T. & Schreckenbach, F.
(2013a): Enterprise 2.0: Der
Reifegrad nimmt zu. Personalwirtschaft, 5, S. 29-31.
Petry,
T./Schreckenbach,
F.
(2013b): Enterprise 2.0 Transformation: Social Media unternehmensintern nutzen. Zeitschrift Führung + Organisation
(zfo), 4, S. 237-244.
Schreckenbach, F. & Petry, T.
(2011): Auf der Suche nach
dem Königsweg. Personalwirtschaft, 9, S. 54-56.
Trost, A. & Jenewein, T. (Hrsg.,
2011):
Personalentwicklung
2.0. Wolters-Kluwer: Köln.
Vaßen, M. & Petry, T. (2011): Social
Media kann mehr. Personalmagazin, 9, S. 60-62.
►Xing-Profil des Autors
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
■
24
Interview
mit Prof. Dr. Thorsten Petry
Wie entstand Ihr Interesse für Social Media im Personalbereich?
Der Auslöser war der Geschäftsführer von embrander Florian Schreckenbach, der ein ehemaliger Kollege von mir ist. Er kam 2009 mit
der Frage auf mich zu, ob wir im
Hinblick auf den Social Media Einsatz im HR-Umfeld nicht mal etwas
zusammen machen wollen. Vorher
hatte ich das Thema weniger auf
dem Radar. In der Folge haben wir
diverse Studien durchgeführt und
nun lässt mich das Thema nicht
mehr los.
Aus welchem Grund ist die Bedeutung von Social in der Personalarbeit noch so gering?
Ich sehe das gar nicht so, dass die
Bedeutung „sooo“ gering ist. Es
ist ganz normal, dass Neuerungen
einfach dauern und es ist auch völlig verständlich, dass insbesondere
nicht so große Unternehmen nicht
auf jeden Zug aufspringen und
erst einmal gucken, ob es nur ein
Modethema ist oder es dauerhaft
bleibt. Bei Social Media ist jetzt klar,
dass das ein Thema ist, das nicht
vorbeizieht, sondern bleibt. Jetzt
geht es in die Breite und auch nicht
so große Unternehmen setzten sich
vermehrt damit auseinander, machen Versuche etc. Bei Social Media im Personalbereich ist das eine
normale Entwicklung, wie das bei
solchen Themen immer ist.
Was genau verstehen Sie unter
der „Kultur“, die hinter Social
Media steht?
Kultur ist immer die Art und Weise
wie Menschen miteinander umgehen und wie die Kommunikation
stattfindet. Die Social Media Kultur
ist geprägt durch eine direkte Kommunikation, Offenheit und Transparenz und tendenziell auch eine
größere Authentizität. Das Wesentliche ist aber die Direktheit bei der
Kommunikation.
Welche Herausforderungen kommen auf die HR zu im Rahmen
der veränderten Informationsund Kommunikationsprozesse?
Ob und wie Informations- und Kommunikationsprozesse funktionieren,
hängt – wie bereits gesagt – an der
Kultur. Die Kultur wiederum hängt
an den Menschen. Und der Umgang mit Menschen ist die Kernaufgabe von HRM.
Hier sind sowohl die Führungskräfte als auch die HR-Funktion
gefragt. HR ist mitverantwortlich für
das Thema Kulturentwicklung und
Change Management, deshalb sollte HR ein Treiber bei dem Thema
Social Media sein und nicht auf der
Strecke stehen bleiben.
Was sehen Sie kritisch an sozialen Medien im Personalbereich?
An Social Media im Allgemeinen
sehe ich kritisch, dass die Kommunikation manchmal zu schnell
geht und dadurch leider öfters auch
„sehr flach“ wird. D.h. es bleibt
manchmal das kritische Reflektieren und Durchdenken auf der Strecke. Dafür hat sicherlich jeder Beispiele aus seinem Umfeld.
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
In Social Media werden Inhalte
oft auch viel zu sehr komprimiert.
Wenn man sich mit einem Thema auseinandersetzen will, muss
man sich aber auch mit den Details auseinandersetzen. Das sehe
ich generell bei Social Media problematisch. Bzgl. Social Media im
HR-Bereich sollte der Ansatz bitte
nicht der olympische Gedanke „dabei sein ist alles“ sein. Wenn auf
der Facebook-Seite eines Unternehmens z. B. nichts passiert und
die gleichen Informationen wie auf
der Website stehen, sollte man als
Unternehmen überlegen, was der
Mehrwert davon ist. D.h. man muss
sich vorab überlegen, welchen
Mehrwert für welchen Adressaten
man bieten kann/will und dann die
entsprechende Social Media Plattform oder Funktionalität hierfür
wählen.
Bitte auch nicht „zu plump“ an die
Sache rangehen. Die Mehrzahl der
„Personalmarketing-Rap-Videos“
von Unternehmen ist bei der Zielgruppe eher mit Unbehagen aufgenommen worden. Auf der anderen Seite muss man aber auch zu
einem gewissen Maß bereit sein,
Fehler zu machen. Wer in innovativen Bereichen tätig ist und Neues ausprobiert, wird zwangsweise
auch mal Fehler machen. Aber idealerweise macht man nicht jeden
Fehler selbst…
In Summe gilt: Zwar beherzt und
Fehler-bereit aber eben auch reflektiert und geplant an die Sache
herangehen.
■
25
Arbeitgeberattraktivität und
Personalführung
Prof. Dr. Bernd Helbich1 & Prof. Dr. Volker Herzig2
Dipl. Ing. u. Diplom Soziologe, Geschäftsführer in einem Personalentwicklungsverbund mittelständischer Unternehmen: MACH2 Personalentwicklung
2)
Dipl. Kaufmann, langjährige Erfahrungen als Leiter Personalentwicklung u. Personalleiter in der Industrie
beide heute: Professoren an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Wirtschaft in der Fachgruppe „Personal u.
Organisation“
1)
SCHLÜSSELWÖRTER: Strategiekonzept, kooperatives Führungsverhalten, intelligente Kommunikation
KURZFASSUNG: Arbeitgeberattraktivität, Arbeitgebermarke, employer branding – unter diesen Etiketten machen
sich Unternehmen auf, gute Fach- und Führungskräfte zu finden und zu binden. Der demographische Wandel wirkt
als Treiber eines sich beschleunigenden Wettbewerbskarussells – v. a. zwischen Großindustrie und Mittelstand.
Allgemein sind es besondere personalwirtschaftliche Maßnahmen der Personalentwicklung, Sozialleistungen oder
Work-Life-Balance- bzw. Gesundheitsmaßnahmen, die ein Unternehmen attraktiv machen. Arbeitgeberattraktivität
entsteht nicht von selbst, sie muss gewollt und „gesteuert“ werden. Diese Steuerung geht über die Durchführung
von unkoordinierten Einzelmaßnahmen hinaus und setzt an zwei neuen Stellen an: 1. einer strategischen Klärung im
Management unter Einbezug von Führungskräften, also nicht nur auf Geschäftsführung / Personalleitung beschränkt,
welche die für das Unternehmen wichtigen Zielgruppen in den Fokus nimmt, 2. der bewussten Verankerung in der
Personalführung. Herausgearbeitet wird, wie Führungskräfte über intelligente Kommunikation und kooperatives Führungsverhalten ein Unternehmen so attraktiv machen, dass Mitarbeiter ihre positive Wahrnehmung auf den Arbeitsmarkt transportieren. Personalführung, bisher im Zusammenhang mit „Arbeitgeberattraktivität“ weitgehend unberücksichtigt, kann so eine Hebelwirkung entfalten, die vorhandene Mitarbeiter an ihren Arbeitgeber ideell bindet und
potenzielle Mitarbeiter auf das Unternehmen aufmerksam macht.
1. Einführung: Begriffe, Hintergründe
Wer sich heute mit Arbeitgeberattraktivität befasst, wird nicht
unmittelbar den Bezug zur Personalführung sehen, sondern eher
an Personalmarketing oder an die
Etablierung des employer branding
als Prozess denken. Arbeitgeberattraktivität macht sich fest an dem
neudeutschen Begriff der Arbeitgebermarke. Man spricht vom Aufbau einer Arbeitgebermarke analog zum Produktmarketing, um als
Arbeitgeber für Mitarbeiter ähnlich
attraktiv zu sein wie Anbieter von
Markenartikeln für Kunden (Gaiser,
Linxweiler & Brucker, 2005). Das
Entwickeln einer Marke erfordert
einen strategisch angelegten nachhaltigen Prozess, der die Kunden-,
hier Mitarbeiterbedürfnisse analysiert und soweit wie möglich konsequent umsetzt (Preißing, 2010). Attraktiv wird man mit „Maßnahmen“,
die mehr sind als selbstverständlich
und sich von anderen Unternehmen positiv abheben.
Gab es das früher auch, oder ist
es neu? Älteren Arbeitnehmer-Generationen hat sich eingeprägt:
• der Handschlag des Chefs am
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Freitagnachmittag,
• die finanzielle Unterstützung
örtlicher Vereine, denen große
Teile der Belegschaft angehörten,
• das Darlehen des Firmeninhabers für den eigenen Hausbau;
das war der familiäre Stil, der die
Mitarbeiter sehr persönlich ansprach. Und das waren sichtbare
Maßnahmen, so dass sich Mitarbeiter heimisch und wohl fühlten und
darüber im Bekanntenkreis anerkennend berichteten.
Arbeitgeberattraktivität gab es
26
Arbeitgeberattraktivität und Personalführung
also immer als Zeiterscheinung,
sie wurde nur nicht so genannt.
Überlegt hat sich der Arbeitgeber
auch früher schon, wie er gute Mitarbeiter finden und binden konnte.
Heute sollten Unternehmen zeitgemäße Akzente setzen und das Konzept einer Arbeitgeberattraktivität
strategisch angehen, Zielgruppen
definieren, sinnvolle Maßnahmen
anbieten, Führungskräfte offensiv
einbinden, Ergebnisse kontrollieren
und das Vorhaben angemessen
kommunizieren.
Die Gründe liegen zum einen in
der Problematik der personellen
Bedarfsdeckung, weil insbesondere bei Fach- und Führungskräften
aufgrund des demographischen
Wandels Lücken entstehen werden. Zum anderen wird Loyalität zunehmen ökonomisiert - v. a. bei der
jungen Generation, die im Vergleich
zu früheren Generationen nicht nur
zahlenmäßig schrumpft, sondern
auch weniger bindungsbereit ist.
Gefahr droht nicht nur Großunternehmen, sondern dem Mittelstand,
seine Betriebe sind unbekannter
und hinsichtlich einer Bewerbungsentscheidung weniger attraktiv.
Arbeitgeberattraktivität
richtet
sich nach innen und außen. Innen
meint solche Mitarbeiter, welche
Unternehmen aufgrund ihrer Leistung und Erfahrung halten wollen.
Außen meint zunächst unspezifisch
potenzielle Mitarbeiter, weshalb es
sinnvoll ist, genaue Zielgruppen zu
bestimmen (Stritzke, 2010).
Die Autoren nehmen – der Tätigkeit als Hochschullehrer geschuldet
- die Generation Y in den Blick. Das
sind die von 1984 – 1994 Geborenen, die heute und in nächster Zeit
Fünf Bausteine zum Aufbau von Arbeitgeberattraktivität
1. Strategiekonzept formulieren
2. Zielgruppen bestimmen
3. zielgruppenorientierte Maßnahmen anbieten
4. kooperatives Führungsverhalten praktizieren
5. Wahrnehmungen nach innen und außen kommunizieren
als Hochschulabsolventen in die
Unternehmen eintreten werden.
Die Generation Y ist gut qualifiziert und legt Wert auf interessante
und anspruchsvolle Aufgaben, die
Spaß machen sollen. Sie wünscht
Abwechslung, ist wechselbereit,
tritt auf dem Arbeitsmarkt wähle-
muliert werden, was heißt, dass
jedes Unternehmen für sich Sinn
und Notwendigkeit einer adäquaten Personalausstattung klärt. Das
setzt voraus, dass Ausgangssituation, Problemstellung und Ziele
systematisch erörtert werden. Zur
Strategie gehört der Kosten- und
risch auf und bewertet Arbeitgeber
ähnlich wie Produkte (Parment,
2009). Sie ist gut vernetzt, permanent online kommuniziert sie über
Facebook, Twitter und XING – eine
„neue Kommunikation“. Arbeitszufriedenheit und Wechselbereitschaft können so schnell verbreitet
werden – man denke an den „Gefällt mir-Button“. Ob das Verhalten
für alle gilt, wird sich zeigen. Unternehmen sollten sich darauf einstellen: Die durchschnittliche Verweildauer der unter dreißigjährigen
Mitarbeiter sinkt, sie beträgt heute
600 Tage, vor 20 Jahren waren
das noch 800. (IAB, 2011). Fluktuationskosten werden zukünftig eine
noch größere Rolle spielen.
Erfolgsblick. Unternehmen sollten
als Arbeitgeber so attraktiv sein,
dass sie quantitativ und qualitativ
Mitarbeiter mit vertretbarem Mitteleinsatz finden und binden, um
Wertschöpfung generieren zu können. Wenn dies nicht gelingt, entstehen wegen hoher Fluktuation
Opportunitätskosten für Ersatz-Rekrutierung, ganz zu schweigen von
schwer messbarem Know-howVerlust.
Themen wie das Kostenmanagement oder die Erarbeitung von
Personalszenarien sind Führungsthemen! Und das bedeutet, Führungskräfte mehr als bisher einzubeziehen in die strategischen
Überlegungen und einzufordern,
dass sie sich Gedanken zur Mitarbeiterbindung machen (was noch
naheliegend ist), aber auch perspektivisch zur Mitarbeiterfindung.
Das darf nicht alleinige Spielwiese
von Geschäftsführung und / oder
Personalleitung sein.
Praktisch ist die Einbindung realisierbar, indem Unternehmen einen
moderierten Strategieworkshop mit
2. Vom Anspruch zur Wirkung
Fünf Bausteine, die in enger Wechselbeziehung zueinander stehen,
sind zentral, um vom Anspruch,
als Arbeitgeber attraktiv zu sein, zu
Wirkungen zu kommen.
Der Anspruch sollte im ersten
Baustein strategisch erarbeitet
und in einem Strategiekonzept for-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
27
Arbeitgeberattraktivität und Personalführung
Geschäftsführung, Personalabteilung, Betriebsrat und ausgewählten Führungskräften durchführen,
um dadurch Akzeptanz, Transparenz und verbindliche Beteiligung
der Führungskräfte zu erreichen
(Baustein 1). Ein erstes Ziel dabei
wäre, dass die Führungskräfte die
Bedeutung der Arbeitgeberattraktivität für die Personalfindung und
-bindung und die Bedeutung von
Zielgruppen, insbesondere die der
relevanten Zielgruppe der Generation Y mit deren Bedürfnissen und
Ansprüchen, erkennen. Zweites
Ziel wäre, dass die Führungskräfte
Bedeutung und Chancen der Personalführung für das erste Ziel analysieren und zu neuen Einsichten
und ggf. zu Vereinbarungen über
ein entsprechend angepasstes unterstützendes Führungsverhalten
gelangen.
Der zweite Baustein ist die Bestimmung von Zielgruppen. Auch
wenn hier Hochschulabsolventen
der Generation Y im Fokus stehen, heißt das nicht, dass diese
die einzig relevante Zielgruppe
bilden. Weitere Zielgruppen können Auszubildende, Facharbeiter,
Ingenieure, Produktmanager oder
Frauen als Berufsrückkehrerinnen
sein. Man sieht an dieser willkürlich erscheinenden Mischung, dass
es nicht einfach ist, Zielgruppen
zu definieren. Aus Sicht des Unternehmens sind das Gruppen mit
bestimmten Funktionen und Qualifikationen, an denen es heute oder
zukünftig mangeln wird. Ohne Bestimmung von Zielgruppen und deren Anforderungen bleibt der Begriff
„Arbeitgeberattraktivität“ eine leere
Hülse, und es drohen Maßnahmen,
die einen reinen „nice to have-Charakter“ haben und in ihrer Wirkung
verpuffen.
Mit dem dritten Baustein bringen
die Autoren genau diese Maßnahmen ins Spiel, die bisher allein ausreichten, um Arbeitgeberattraktivität zu verdeutlichen. Gemeint sind
soziale Leistungen, Aufstiegs- und
Fördermöglichkeiten, variable Arbeitszeiten, die Durchführung von
Hochschultagen, Angebote zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf etc. Dies macht alles nach wie
vor Sinn, aber wichtig wäre, dass
etwas mehr als selbstverständlich
und professionalisiert und als Katalog in sich stimmiger zielgruppenorientierter Maßnahmen angeboten
wird. Ungeplanter Aktionismus hilft
nicht weiter, Maßnahmen sollten
zum Unternehmen passen. So
könnte ein Unternehmen, das Gesundheitsprodukte herstellt, seinen
Mitarbeitern Gesundheitsmaßnahmen anbieten, ein KüchenmöbelUnternehmen könnte die gute
Ernährung in der Kantine herausstellen. Die Vergabe und Betreuung
von Examensarbeiten als Maßnahme zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität ist nur sinnvoll, wenn
auch hinreichend viele Akademiker
benötigt werden.
Der vierte Baustein beansprucht
einen gewissen Neuheitswert. Das,
was Arbeitgeberattraktivität erzeugen soll, muss in ein kooperatives
Führungsverhalten
eingebunden
und durch dieses flankiert werden.
Neben dem unmittelbar Erlebbaren
ist dann für die Mitarbeiter noch etwas spürbar, was einen Arbeitgeber
attraktiv macht, was durch das Führungsverhalten verstärkt werden
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
kann. Das Spürbare ist die Kultur,
das gelebte Miteinander, der Umgang der Führungskräfte mit den
Mitarbeitern, das Gespräch, die
Abstimmung von Zielen und Aufgaben, die Anerkennung für gute Leistungen, das konstruktive Feedback,
der motivierende menschliche Umgang als Ausdruck von Wertschätzung und Akzeptanz.
Der fünfte Baustein bezieht sich
auf die Kommunikation. Arbeitgeberattraktivität ohne zielgruppengerichtete Kommunikation nach innen
und außen versandet. Spannende
Fragen der Wirtschaftspsychologie
wären solche nach der Wahrnehmung von Attraktivität und deren
Vermittlung. Über welche Kanäle
und Medien wird kommuniziert,
was kommt wie intern im Unternehmen, in der Öffentlichkeit, bei den
Zielgruppen an?
Eine konventionelle Methode ist
die Veröffentlichung in der regionalen Presse oder in Betriebszeitschriften. Moderne Unternehmen
weisen in Stellenanzeigen und auf
ihrer Homepage auf „besondere
Leistungen“ hin. In Zukunft können
Soziale Medien wie Facebook und
Twitter einen Kommunikationsbeitrag leisten, auf jeden Fall für die
junge Generation. So „postete“
jüngst eine Praktikantin in einem
von den Autoren beratenden Unternehmen, dass ihr die Arbeitsaufgaben und der Umgangsstil angenehm sind, worauf sie „geliket“
wurde (Daumen hoch = I like it).
Das ist die neue Welt der Kommunikation!
3. Was hat Arbeitgeberattraktivität mit Personalführung zu tun?
28
Arbeitgeberattraktivität und Personalführung
Die Frage, ob Führungskräfte einzubeziehen und für Arbeitgeberattraktivität zu sensibilisieren sind, ist
bei den fünf Bausteinen angesprochen und mit klarem „Ja“ beantwortet worden. Ergänzend und pointiert
soll nun dargelegt werden, wie Personalführung und Führungsverhalten ins Spiel kommen und welchen
Beitrag sie leisten können. Dieser
Zusammenhang ist in der noch jungen Diskussion um Arbeitgeberattraktivität weitgehend ausgeblendet.
Die Vorstellungen der Autoren
gehen in folgende Richtung: An
erster Stelle sollte das Führungsverhalten darauf überprüft werden,
inwieweit es einen Beitrag zur Mitarbeiterbindung leistet. Führungskräfte werden – sinnvoll unterstützt
durch Führungskräftetrainings – zu
der Erkenntnis kommen, dass ein
kooperatives Führungsverhalten für
die Generation Y angemessen ist.
Das heißt nicht, andere Gruppen
außer Acht zu lassen. Zu einem
kooperativen
Führungsverhalten
gehören die Einbindung und Beteiligung der Mitarbeiter, der Ausdruck
von Empathie und das Schaffen
einer Leistungs- und Wohlfühlatmosphäre im Arbeitsbereich, was
zusammen ein erwünschtes (mit-)
unternehmerischen Handeln begünstigt (Wunderer, 2009).
Ein Beispiel aus der Service-Abteilung eines Maschinenbau-Unternehmens mag dies illustrieren.
Die Abteilung kümmert sich um den
Ersatzteilverkauf und Einsatz von
Servicetechnikern. Zwei Serviceteams sind altersgemischt mit jungen Leuten der Generation Y und
älteren Mitarbeiten zusammenge-
stellt. Der Abteilungsleiter ist Ende
dreißig, er kommt aus dem Team,
hat den Stallgeruch der Branche.
Seine Führung findet Gefallen, er
• bespricht mit den Mitarbeitern
Ziele,
• holt Vorschläge ein, z. B. wie
Lieferzeiten verkürzt werden
können,
• macht sich Gedanken zur
„Chemie und Zusammensetzung“ beider Teams, die er mit
den Mitarbeitern diskutiert,
• vergibt anspruchsvolle Projekte und Aufgaben, z. B. zur
Erstellung eines Kalkulationsprogramms für den Beratungsaufwand mit Kunden,
• stellt Aufgaben, die das Team
selbst regeln kann, z. B. zur
Betreuung der Kunden,
• fördert die Idee kollegialer
Schulungen, womit kurze
Runden am Nachmittag gemeint sind und bei denen das
andere Team die Vertretung
übernimmt,
• schafft Transparenz mit Kennzahlen
• und gibt Feedback im Rahmen
von Teambesprechungen und
Einzelgesprächen, wobei er
Interessen, Fähigkeiten, Stärken und Schwächen erfahren
will, um darauf individuell
eingehen zu können.
Wenn dann noch das Führungsverhalten speziell für junge Mitarbeiter
• Einarbeitungsprogramme
beinhaltet und sich an guter
Nachwuchsförderung ausrichtet,
• Mentoring und Wissenstransfer vorsieht (nach dem Modell:
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Ältere und Jüngere arbeiten
Hand in Hand und partizipieren gegenseitig von den
Fähigkeiten der anderen)
• und soziale Aspekte aufgreift,
z. B. Vermeidung von Überlastung, Gesundheitsförderung,
Offenheit und Ansprechbarkeit
auch für private Probleme,
wird die Generation Y dies als
wertschätzend und fördernd registrieren und darauf mit positiver Resonanz reagieren.
Klar ist, dass das nicht allein
von Führungskräften gestaltbar ist,
sondern einer Unterstützung der
Personalabteilung bedarf, die so
eine wichtige Funktion als ServicePartner erfüllt. Und zu berücksichtigen ist auch, dass viele Führungsthemen wie die Durchführung von
Stärken- und Schwächen-Analysen
und die Feedbackgabe nicht automatisch von Führungskräften in
ihrem Führungsrepertoire vorgehalten werden, sondern mit Hilfe der
betrieblichen Weiterbildung professionalisiert werden müssen.
Kommunikation als zentraler Bestandteil von Personalführung, und
hier speziell die traditionelle „face
to face-Kommunikation“ als zentrale Führungsaufgabe, wird weiterhin
hohe Bedeutung haben. Für die
junge Generation gilt ebenfalls, die
traditionelle Kommunikation stärker
zu praktizieren. Vielleicht steigt der
Wunsch danach im beruflichen Alltag umso mehr, je mehr die Kommunikation im privaten Umfeld digitalisiert wird. Führungskräfte sollten
aber auch die Möglichkeiten neuer
Kommunikation erkennen, um sie
im Interesse des Unternehmens zu
nutzen.
29
Arbeitgeberattraktivität und Personalführung
Über Kommunikation wird nicht
nur das Arbeitsverhältnis zwischen
Führungskraft und Mitarbeiter geregelt, es können auch „Botschaften“
im Sinne guter Erfahrungen und
Erlebnisse mit Mitarbeiterführung
nach innen und außen versendet
werden. Ob die neuen Sozialen
Medien wie Facebook oder XING
dazu beitragen könnten, haben die
Autoren in einer nicht repräsentativen aktuellen Erhebung ihre Studierenden befragt. Danach würde nur
ein kleiner Teil private Netzwerke
wie Facebook verwenden und dabei empfängerorientiert auf Nachrichten eher reagieren als selbst
textliche Eindrücke zu formulieren.
Anders sieht es mit kommerziellen
Netzwerken aus. Sie eignen sich
nach Meinung der Studenten besser, um hier aus Mitarbeitersicht positive Erfahrungen zu beschreiben.
Alle Studierenden sehen mehr das
Unternehmen am Zuge, um z. B.
über eine eigene Facebook-Seite
für sich zu werben. Dazu ist das
Zusammenspiel zwischen Personalabteilung und Führungskräften
gefragt, um strategisch und ressourcenbewusst und nicht aktionistisch zu handeln. Erfreulich in dem
Zusammenhang ist, dass man sich
im privaten Bereich eher im persönlichen Gespräch zur beruflichen Situation austauschen würde.
Das ist die Vision: In der Paarung
von traditioneller und neuer Kommunikation, in der Verzahnung des
beruflichen und privaten Kommunikationsverhaltens entstünde eine
intelligente Kommunikation, welche Unternehmen und Arbeitnehmern gleichermaßen nützt, indem
sie vorhandene Mitarbeiter in ihrer
Loyalität bestärkt und potenzielle
anzieht.
Literatur:
Gaiser, B., Linxweiler, R. & Brucker,
V. (2005). Praxisorientierte
Markenführung. Neue Strategien, innovative Instrumente und
aktuelle Fallstudien. Wiesbaden: Gabler Verlag.
IAB (2011): Pressekonferenz am
3.3.2011, Verfügbar unter:
(http://www.iab.de/1406/view.
aspx).
Parment, A. (2009). Die Generation Y – Mitarbeiter der Zukunft:
Herausforderung und Erfolgsfaktor für das Personalmanagement. Wiesbaden: Gabler
Verlag.
Preißing, Dagmar (2010). Erfolgreiches Personalmanagement
im demografischen Wandel.
München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.
Stritzke, C. (2010). Marktorientiertes Personalmanagement
durch Employer Branding.
Theoretisch-konzeptioneller
Zugang und empirische Evidenz. Wiesbaden: Gabler Verlag.
Wunderer, R. (2009). Führung und
Zusammenarbeit: Eine unternehmerische Führungslehre.
Köln: Hermann Luchterhand
Verlag.
►Xing-Profil Prof. Dr. Bernd Helbich
■
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
30
Interview
mit Prof. Dr. Helbich & Prof. Dr. Herzig
Welche weiteren „Treiber eines
sich beschleunigenden Wettbewerbskarussels“ neben dem
demografischen Wandel sehen
Sie?
Herr Prof. Dr. Helbich: Globalisierung, Technologie, Wertewandel.
Das merken wir in unserer Beratung mit mittelständischen Unternehmen. Da kommt sehr viel Druck,
die Aufträge international und
schnell abzuwickeln. Dafür braucht
man Mitarbeiter, die längere Zeit an
Bord bleiben, um Kunden zu betreuen. Das Problem ist: Zum einen
wird die Zahl der verfügbaren Mitarbeiter geringer, zum anderen nimmt
der Wettbewerb zwischen den Unternehmen um diese Mitarbeiter zu.
Dazu kommt die technologische
Entwicklung, wie das stark im Maschinenbau zu sehen ist. Auch der
Wertewandel – gerade im Umgang
mit der jüngeren Generation – ist
ein Thema. Bei ihr verändern sich
die Ansprüche an die berufliche
Tätigkeit: Sie muss anforderungsgerecht sein, Spaß machen, Teamarbeit beinhalten und sich mit Familie und Privatleben vereinbaren
lassen.
Was sind heutzutage die zentralen Instrumente und Vorgehensweisen, um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern?
Herr Prof. Dr. Herzig: Das ist sehr
vielfältig. Es gibt das interne und
externe Personalmarketing. Beim
internen Personalmarketing geht
es darum, die vorhandenen Mitarbeiter zu binden, beim externen
darum, potenzielle Mitarbeiter und
Bewerber auf das Unternehmen
aufmerksam zu machen. In beiden
Fällen braucht es Maßnahmen, die
die Bereitschaft erhöhen, in das
Unternehmen einzutreten bzw.
auch dort zu bleiben: Das Spektrum
reicht von der Vergütung, Arbeitsplatzsicherheit, den Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen über
interessante und abwechslungsreiche Aufgaben, Perspektiven
und Gesundheitsförderung bis zur
Unternehmenskultur und zum Betriebsklima. Wir sehen einen weiteren erfolgsversprechenden Ansatz
zur Förderung der Arbeitgebermarke in der Personalführung, indem
Konzepte entwickelt und umgesetzt
werden, die sich für die jüngere Generation als attraktiv erweisen. Relevante Aspekte darin sind z. B. die
Intensivierung kooperativen Führungsverhaltens sowie die Einrichtung größerer Freiräume und variabler Arbeitszeiten, um Beruf und
Familie bzw. Freizeit besser zu vereinbaren. Auch eine intensivierte
Kommunikation der Führungskräfte
in Form von regelmäßigen Mitarbeitergesprächen und Schulungen
kann dazu beitragen, dass Leistung
erzeugt wird, aber gleichzeitig auch
eine Atmosphäre geschaffen wird,
in der sich die Mitarbeiter wohlfühlen.
Wo sehen Sie noch Nachholbedarf bei der Personalführung
bzgl. der Arbeitgeberattraktivität?
Herr Prof. Dr. Helbich: Man muss
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
unterscheiden zwischen Großunternehmen und Mittelständlern.
Letztere haben weniger Ressourcen für strategisches Personalmanagement zur Verfügung. Das heißt
dann auch, dass Führungskräfte
erst mal das „Employer Branding“
verinnerlichen müssen. Es ist häufig nur ein Thema in der Personalabteilung und Geschäftsführung.
Führungskräfte erleben die Engpasssituation noch nicht. Da muss
man in Workshops deutlich machen, wie wichtig das Thema ist.
Im anschließenden zweiten Schritt
sollte man sich über die verschiedenen Zielgruppen klar werden,
also wen man überhaupt führt und
wie Mitarbeiter geführt werden wollen. Wichtig ist ein kooperatives
Führungsverhalten. Dabei gilt es
die Mitarbeiter einzubeziehen und
Partizipations- und Fragemöglichkeiten zu geben, was zu einer stärkeren intrinsischen Motivation führt.
Kommunikation steht dabei an erste Stelle, wozu gehört Feedback zu
geben, zur Leistung zu motivieren
und Kritik anzubringen. Das sind
Bedarfe, die trainiert und professionalisiert werden können, z. B. durch
Rollenspiele, in denen Kommunikation bewusst geübt wird. Auch hier
besteht noch Nachholbedarf. Auf
den Punkt gebracht: Die Führungskräfte sollten sich bewusst machen,
dass sie viel zur Arbeitgeberattraktivität beitragen können, indem sie
Mitarbeiter an sich ziehen, binden,
fördern und fordern und damit auch
Signale nach außen an potenzielle
Bewerber ausstrahlen.
■
31
Effizienzpotenzial Recruiting –
Kompetent entscheiden
Nikola Holle-Spiegel1
1)
Director Human Resources, Lautsprecher Teufel GmbH
SCHLÜSSELWÖRTER: Personalbeschaffungsmethoden, Kompetenzkriterien, Persönlichkeitstests
KURZFASSUNG: Die Instrumente moderner Personalbeschaffung sollen einen Abgleich von Referenz- und IST-Profil ermöglichen. Ziel ist die Beurteilung von Kompetenzen für Schlüsselpositionen, die über verschiedene Methoden
abgeprüft werden. Dabei erscheint das klassische Interview ebenso wichtig wie die Analyse der Persönlichkeitsstruktur über anerkannte Testverfahren. Voraussetzung hierfür ist die Definition der Erwartungen an Kompetenz- und Leistungskriterien einer jeden Vakanz, abgeleitet von den Organisationszielen. Im Folgenden werden Hinweise gegeben,
die zeigen sollen, dass definierte Kompetenzkriterien in Verbindung mit Persönlichkeitstests dazu beitragen, einen
validen Soll-Ist-Profilabgleich zu erzielen und schlussendlich Erfolgsfaktor für die Absicherung von Personalentscheidungen sind.
Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich
deutlich verbessert. Fach- und Führungskräfte haben gute Chancen,
ihren gewünschten Job zu bekommen. Im Umkehrschluss stehen
Personaler vor der Herausforderung, aus geringer Quantität den
richtigen Kandidaten auszuwählen.
Fehlentscheidungen in der Personalauswahl kosten Geld und Zeit.
Die modernen strategischen Personalbeschaffungsziele sind daher
auf Methoden ausgerichtet, die es
ermöglichen, Referenz- und ISTProfil so nah wie möglich abzugleichen.
Wichtig erscheint ein Umdenken
im Personalauswahlprozess. Strukturierte Gesprächsbögen sind konsistent auszufüllen und auszuwerten, um Vergleiche zu ermöglichen.
Empathie und Menschenkenntnis
sind Eigenschaften, die wir u. a.
in HR benötigen, aber kennen wir
einen Menschen nach zwei Interviews in der Tiefe, um z. B. den
dringend gesuchten „Leiter Online
Marketing“ als den Richtigen zu
identifizieren? Selbst mit strukturierten Leitfäden und gut ausgebildeten Entscheidern bleiben „blinde
Flecken“.
Die „Bauchentscheidung“ beruht
auf einer wichtigen Eigenschaft, die
wir Intuition nennen. Nur werden wir
oft durch das eigene Wertesystem
geleitet. Aus meiner Praxis kenne ich diese „Falle“: Als leistungsorientierter Mensch treffe ich auf
meinesgleichen und schon überschlägt sich das Gespräch, „Ziele
erreichen“, „ehrgeizig am Ball bleiben“ usw. Hier kommt es intuitiv zur
Begeisterung für den Kandidaten,
da sich Werte überschneiden. Ein
rationales Entscheiden scheint nur
noch eingeschränkt möglich. Wir
brauchen ein weiteres Standbein:
den Rückgriff auf valide Daten.
Da Intuition allein nicht zur fundierten
Personalentscheidung
zu führen scheint, sollte das Ziel
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
sein, die Professionalisierung von
Personalauswahlprozessen
voranzutreiben. Dabei können bestehende Verfahren ergänzt werden.
Der Interviewleitfaden behält seine
Berechtigung, wenn aussagekräftige Instrumente, wie z. B. valide
Persönlichkeitsfragebogen1 hinzukommen. Dies setzt voraus, dass
Anforderungs- bzw. Referenzprofile
existieren, mit denen ein Abgleich
des Personenprofils von Bewerber
bzw. Mitarbeiter erfolgen kann.
Weiterhin ist bei jeder Vakanz die
erneute und systematische Definition persönlicher Kompetenzen
notwendig. Um beim Beispiel „Leiter Online Marketing“ zu bleiben: In
der Vorbereitung des Auswahlprozesses sollte es auch um Fragen
wie diese gehen: Brauche ich den
extravertierten Motivator und Generalisten oder den zurückhaltenden
Hier ist auf datenschutzrechtliche Bedingungen zu achten, da nur abgefragt werden
darf, was für den Arbeitserfolg relevant ist
1
32
Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden
Analytiker, der die Konversion erhöht? Die Entscheidung hängt vom
Referenzprofil ab. Mit Hilfe vordefinierter Persönlichkeitsmerkmale
pro Vakanz lassen sich ausgewählte Persönlichkeitstests nutzen, um
bezogen auf das Anforderungsprofil
Anlagen und Talente einer Person
zu messen. Hier sei kurz erwähnt,
dass bei solchen Tests stets eine
Vergleichsstichprobe die Basis
bildet. D. h., wird ein Test zur Abklärung von für Führung relevante Kompetenzen verwendet, so
braucht es eine Norm für Führungskräfte. Gleiches gilt für andere Anforderungen: soll Konfliktfähigkeit
erfasst werden, so ist zu prüfen, ob
der eingesetzte Test dasselbe unter
der Begrifflichkeit versteht, wie der
Anwender des Instruments.
Im Jahr 2012 prüfte eine DelphiStudie (Schermuly u. a., 2012) die
Trends und Erwartungen von erfahrenen Personalverantwortlichen bis
ins Jahr 2020. Die Resultate zeigten, dass die Stoßrichtung zukünftig u. a. auf die Eignungsdiagnostik
und Potenzialanalyse ausgerichtet
ist und sich mehr und mehr mit der
Organisationsentwicklung verzahnen wird, um die Besonderheiten
von Fach- und Führungskräften
personenspezifisch zu entwickeln
und letztendlich auch zu beurteilen.
Für den modernen Beschaffungsprozess gilt daher, sich über eigene
Erwartungen an jede Position im
Klaren zu sein und sich sowohl dem
externen Markt als auch den eigenen Talenten zu widmen. Dies setzt
die Definition von Kompetenzkriterien an Fach- und Führungskräfte in Schlüsselpositionen voraus.
Es macht durchaus Sinn, interne
Kandidaten, die das Potential zum
Erreichen des Referenzprofils haben, über PE-Maßnahmen in die
vakante Position zu bringen. Dies
kann über das eigene Performance
Development System erfolgen. Entscheidend ist, mit definierten Kennzahlen/Zielen zu arbeiten und diese
regelmäßig nachzuverfolgen, bis
das Referenzprofil erreicht ist.
Die eingangs erwähnte Bewerbermarktsituation und der Anspruch, Referenz- (Soll) und Personen-Profil (Ist) so nah wie möglich
zusammenzubringen, veranlasste
uns, den Recruitingprozess zu überarbeiten. Aufgrund unseres Wachstums war ein strategisches Ziel im
Bereich OE, das Management zu
stärken und im Rahmen der Personalneugewinnung Führungskräfte,
im Sinne von High Performance
Indikatoren (HPI) zu rekrutieren.
Dazu analysierten wir zuerst die
Kompetenzen (für eine detaillierte
Definition des Begriffs, siehe Weinert, 2001). Gemeinsam mit dem
Senior Management erarbeiteten
wir die unternehmensspezifischen
High Performance Indikatoren.
Dies befähigte uns, folgende Kriterien festzulegen: Eigeninitiative und
Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungsfähigkeit, Offenheit für
Veränderungen (Flexibilität), Problemlösekompetenz, Ergebnis- und
Zielorientierung sowie Glaubwürdigkeit und Akzeptanz.
Überdies war festzulegen, welche Kompetenzen pro Vakanz zusätzlich von Bedeutung waren, z. B.
Kommunikations- und Analysefähigkeit etc.
Nach der Definition der zentralen
Kompetenzen wurde auf die Mes-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
sebene fokussiert. Wie sollen die
oben dargestellten Kompetenzen in
ihrer Ausprägung erfasst werden?
Im Zentrum sollte nach wie vor das
Interview stehen. Die Interviews
unterteilten wir dabei in zwei Themenblöcke. Im Erstinterview nutzten wir den Interviewleitfaden, um
Fach- und Methodenwissen sowie
die Näherung an unsere HPIs zu
hinterfragen. Neben ausformulierten Fragen bewährten sich Skalen
in Bezug auf PC- und Sprachkenntnisse, z. B. „Wie schätzen Sie Ihre
Englischkompetenz auf einer Skala
von 0-10 ein, wenn 0 keinerlei Kompetenz und 10 „native“ entspricht?“
Im zweiten Interview wechselten
wir u. a. in den englischen Dialog,
um Selbst- und Fremdbild abgleichen und damit die subjektiven
Aussagen des Bewerbers überprüfen zu können. Fallbeispiele
gaben uns zusätzliche Ergebnisse
zum methodischen und fachlichen
Knowhow sowie zur Kommunikationsfähigkeit. Zudem erfragten wir
Referenzen. Ein strukturierter Leitfaden half beim Referenz-Check.
In Deutschland ist diese Methode
eher im gehobenen Management
üblich. Rechtlich gilt für den Referenzgeber, Antworten nur auf leistungs- und arbeitsplatzbezogene
Fragen zu liefern. Unser ReferenzCheck erfolgte telefonisch: Mit etwas Geschick konnten in diesen
Telefonaten weitaus mehr Information gewonnen werden, als das Arbeitszeugnis bescheinigte.
Der Einsatz von Persönlichkeitsfragebogen war neu für uns.
Grundsätzlich wollten wir beantwortet wissen, wie valide dieser Schritt
sei. Zudem war uns wichtig, über
33
Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden
die vielfältigen Möglichkeiten der
Nutzung persönlichkeitsorientierter
Fragebogenverfahren im Personalmanagement informiert zu sein
(vgl. Hossiep, Mühlhaus, 2005).
Das bedeutendste Bewertungskriterium bei der Anwendung von
Persönlichkeitstest war für uns die
Validität zur Optimierung und Absicherung von Entscheidungen sowie
die damit verbundenen Kosten.
Hinsichtlich der Funktionsweise
von Persönlichkeitsfragebogen ist
festzuhalten, dass der Bewerber
i. d. R. aufgefordert ist, sich anhand
unterschiedlicher Aussagen einzuschätzen. Diese Einschätzung ist
mehr oder weniger realistisch und
hängt vom Selbstbild ab. Danach
wird die Selbsteinschätzung der
Person mit der Selbsteinschätzung
von anderen verglichen – der sogenannten Vergleichsgruppe oder
Normstichprobe. Das Ergebnis des
Persönlichkeitsfragebogens
gibt
an, wie weit eine Person in ihrem
Selbstbild anderen ähnlich ist bzw.
sich unterscheidet (Lord, 2011).
Entscheidend ist, die Ergebnisse
des Instruments mit anderen Informationen über die Person zu verbinden und zu einem stimmigen
Gesamtergebnis zusammen zu
führen. Hinsichtlich der Ökonomie
ist festzuhalten, dass auch valide
Tests/Potenzialanalysen
oftmals
vergleichsweise wenig zeit- und
kostenintensiv sind. So lassen sich
selbst akademisch etablierte Instrumente (vgl. NEO-PI-R) in weniger
als einer Stunde anwenden, was in
Relation zu Interview, Assessment
Center oder Arbeitsprobe zeitökonomisch (und bei Blick auf die Lizenzkosten auch kostengünstig)
ist. Die Kombination von Persönlichkeitsinventaren mit anderen
Verfahren (denkbar auch die Ergänzung durch Intelligenztests) erhöht
die Validität noch einmal merklich,
ohne dabei notgedrungen die Ökonomie zu mindern – insbesondere,
wenn die Einsparpotentiale durch
eine Verringerung der Fehlbesetzungen einbezogen werden.
Bei der Auswahl betrachteten
wir verschiedene Ansätze der Persönlichkeitsanalyse. Einer der Ansätze beruhte auf dem Modell „die
16 Grundmuster des menschlichen
Verhaltens“. Es erwächst aus dem
MBTI-Ansatz von Myers u. Briggs
(Bents & Blank 1992) und baut
auf der Typologie von Carl Gustav
Jung auf, der seine Beobachtungen in „Psychologische Typen“ niederschrieb. Katherine Cook Briggs
und Isabel Myers griffen diese auf.
Problematisch ist jedoch die dahinter liegende Typenlehre, die
eine zu starke Vereinfachung der
menschlichen Persönlichkeit darstellt und – wie inzwischen auch in
der Praxis diskutiert wird – keine
valide Messung darstellt. Moderner
erschien uns das Fünf-FaktorenModell (Barrick, M.R., Mount M.K.,
1991), das anstatt Persönlichkeiten
in „Typen“ einzuordnen Bezug auf
die zuverlässigen Ausprägungen
der fünf Persönlichkeitszüge (NEO
AC) nimmt.
Eine mögliche Alternative stellt
die Nutzung kostenloser Tests dar.
Diese sind u. U. eine weniger aufwendige Lösung, sollten jedoch
einen gut dokumentierten theoretischen und methodischen Hintergrund (bspw. Orientierung am Fünffaktorenmodell der Persönlichkeit)
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
aufweisen, der die Einschätzung
ihrer Güte erlaubt und eine zuverlässige und valide Messung gewährleistet.
Gesamthaft betrachtet, können
wir unseren neuen Prozess als erfolgreich einstufen. Die Kombination der unterschiedlichen Verfahren
hat unsere Personalauswahl qualitativ aufgewertet zudem haben wir
bei unseren AC-Teilnehmern eine
gute Visitenkarte hinterlassen: ganz
im Sinne eines positiven „employer
branding“. Mit Blick auf unsere KPIs
kam es in der Jahresbetrachtung zu
keiner arbeitgeberseitigen Probezeitkündigung, dies entspricht einer
5%igen Verbesserung im Vergleich
zum Vorjahr und einer geschätzten Einsparung von rund 120TSD
Euro. Zukünftig sehen wir im Einsatz von Interviews und Persönlichkeitsfragebögen in Kombination
mit Plan- und Rollenspielen weitere
Potenziale hinsichtlich der umfassenden Personalbeschaffungsanalyse und der Beurteilung interner
Ressourcen, um die Organisation
im Rahmen der klar definierten Erwartungen und Kompetenzen weiterzuentwickeln und nachhaltig zu
stärken.
Literatur
Barrick, M.R., Mount M.K. (1991).
The Big Five Personality Dimensions and Job Performance: A Meta-Analysis. in:
Personnel Psychology 44, S.
1-26
Bents, R., Blank, R., (1992). Der
M.B.T.I. (Myers-Briggs-TypenIndikator).
Hossiep, R., Mühlhaus, O., (2005).
Personalauswahl und -ent-
34
Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden
wicklung mit Persönlichkeitstests.
Lord, W. (2011). Das NEO-Persönlichkeitsinventar in der berufsbezogenen Anwendung.
Schermuly, C.C., Schröder, T.,
Nachtwei, J., Kauffeld, S. &
Gläs, K. (2012). Die Zukunft
der Personalentwicklung - eine
Delphi-Studie. Zeitschrift für
Arbeits- und Organisationspsychologie, 56, 111-122.
Weinert, F. (2001). Leistungsmessungen in Schulen (Definition
Kompetenz S. 27 ff).
►Xing-Profil der Autorin
■
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
35
Interview
mit Nikola Holle-Spiegel
Ist die Personalauswahl heutzutage wichtiger als früher? Was
hat sich in den letzten Jahren
verändert?
Wichtiger als früher würde ich nicht
sagen, denn die Personalauswahl
ist immer wichtig gewesen. Die
Methodik hat sich aber geändert,
da sich das Maß geändert hat. In
der heutigen Zeit haben wir einen
Fachkräftemangel und wir müssen
bei der geringen Quantität dahin
schauen, dass wir das, was wir auswählen, an Qualität vernünftig prüfen. Die Kandidaten sollten mehr
hinterfragt werden in den Kompetenzen, was sich durch Persönlichkeitstests gut durchführen lässt. In
Deutschland hat in dem Bereich in
den letzten Jahren eine Änderung
stattgefunden.
Was bedeutet für Sie eine „erfolgreiche Personalauswahl“?
Das bedeutet für mich das Erstellen eines Soll-Profils und ein Kandidat, der ein Ist-Profil hat, das darauf passt. Eine gute Vorbereitung
ist wichtig, sodass man sich bei der
Entscheidung möglichst sicher sein
kann und in dieser auch vertrauen
kann. Und wir uns sicher sind, dass
wir uns gut vorbereitet haben. Jedes Ziel eines Unternehmens ist es,
eine hohe Leistung abzurufen. Jedes Unternehmen ist aber anders
aufgestellt im Wertesystem. Man
muss sich vorher über die Persönlichkeitsmerkmale im Klaren sein
und diese nicht vernachlässigen,
wie z. B. Offenheit für Veränderungen. Ein geschärftes Soll-Profil als
Grundlage für die Unternehmung
und dann speziell schauen, was
die Person auf der Position genau
braucht. So etwas kann man durch
Assessment- oder DevelopmentCenter abrufen, sodass man am
Ende möglichst viel über das jeweilige Ist-Profil des Kandidaten weiß.
Wo sehen Sie derzeit die größten
Defizite in der Vorgehensweise
bei der Personalauswahl deutscher Unternehmen?
Ich sehe Defizite in der Wertschätzung der HR gegenüber, wenn
man sich mit den Führungskräften
vernetzen möchte und auch darin, dass manche Führungskräfte
nicht sehen, dass diese Verfahren
wichtig und gewinnbringend für das
Unternehmen sind. Das zweite ist
direkt in der HR begründet, da oft
zu wenig Ressourcen vorhanden
sind, um solche Prozesse durchzuführen. Ich nehme mir z. B. für
jeden Kandidaten zwei Stunden
Vorbereitungszeit, was sonst anderswo eher selten vorkommt. Und
ich merke am Ende, dass sich das
auszahlt, da ich schließlich weniger
Interviews bei der Auswahl durchführen muss, um eine Entscheidung zu treffen. Es sollte in der
HR die Bereitschaft da sein, sich
wirklich intensiv mit den Kandidaten auseinanderzusetzen. Und sich
auch durchzukämpfen, dass diese
Verfahren Akzeptanz finden.
Ich habe mir Studien durchgelesen,
die aus der Schweiz kommen. Da
sind Assessment- und Development-Center ganz normal. Ich bin
der Meinung, dass es in Zukunft
nicht nur bei dem Interviewprozess
bleiben wird, sondern dass solche
Management- oder Persönlichkeitstests etabliert werden, um die
Interviews vorzubereiten. Sowie
dass man sich mehr mit dem Typ
Mensch auseinandersetzt und die
jeweilige Lernkurve der Kandidaten analysiert. Also die Symbiose
aus Rollenspiel, Case Study, Persönlichkeitsanalyse und Interviews
wird zunehmen. Die Unternehmen
haben kein Geld, sich in der Probezeit schon wieder von dem Kandidaten zu trennen. Also wird auch
viel in Mitarbeiterbindung und Talente investiert. Inwieweit man sich
seinen Nachwuchs selber „heranziehen“ kann, wie etwa im Sinne
von einem Dualen Studium. Die
Großunternehmen machen das
schon, und ich glaube, das geht
auch auf die kleineren und mittleren
Unternehmen zukünftig über. Sich
als kleineres/mittelständiges Unternehmen an den Konzernstrukturen
zu orientieren, um Nachwuchs zu
rekrutieren ist die richtige Strategie.
■
Wie schätzen Sie die Entwicklung von Personalauswahlverfahren in der Zukunft ein?
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
36
Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg
Tim Jaschke1
Ehem. Personalleiter im Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel, aktuell Mitarbeiter der Versorgungsausgleichskasse Schleswig-Holstein im Personalservice
1)
SCHLÜSSELWÖRTER: Auswahlgespräche, Auswahltests, Moderation
KURZFASSUNG: Die Auswahl des „richtigen“ Bewerbers gehört mit zu den schwierigsten Aufgaben, denen sich
ein Unternehmen stellen muss. Für viele Betriebe sind große Assessment Center (AC) nicht zu bewältigen, da sie
sehr aufwendig sind und es u. a. bereits bei der Anzahl der Beobachter zu organisatorischen Problemen kommt. Aus
diesem Grunde verbinden wir diverse Bestandteile von ACn mit den veralteten Bewerbungsgesprächen, die leichter
zu organisieren und auch kostengünstiger sind. Für jedes Stellenbesetzungsverfahren haben sich individuell zugeschnittene Auswahlverfahren bewährt. Hierzu gibt es verschiedene, aufeinander abstimmbare Aufgabenstellungen,
von denen hier einige verdeutlicht werden. Zudem hat sich die Rolle des Personalleiters in Auswahlverfahren in Richtung eines Moderators gewandelt. Gute, individuell zugeschnittene Auswahlverfahren dienen heute als Visitenkarte
eines Unternehmens.
Während die Bewerbungszahlen
aufgrund des demographischen
Wandels immer weiter sinken,
scheint es nur auf den ersten Blick
gegensätzlich, die Auswahlkriterien wesentlich komplexer und herausfordernder zu gestalten, um
sich so verstärkt der Suche und
Auswahl der „richtigen“ Mitarbeiter
zu widmen. Wiederum ist der demographische Wandel und die damit verbundene sinkende Zahl der
Fachkräfte einer der Hauptgründe,
den perfekten Kandidaten für die
für ihn perfekte Stelle zu suchen.
Heutige Fehler bei der Personalauswahl werden zukünftig wesentlich aufwändiger und damit kostenintensiver zu beheben sein.
Die Zeiten, in denen ausschließlich Interviews in Auswahlverfahren
als alleiniges Bewertungskriterium
für eine Entscheidung dienten, sollten der Vergangenheit angehören.
Immerhin handelt es sich um eine
Entscheidung, deren Wert im Laufe
der Jahre leicht den siebenstelligen
Euro-Bereich erreicht. Entsprechend sind für viele Betriebe umfangreiche AC, die die Eigenschaften von Bewerbern verdeutlichen,
zwar notwendig, organisatorisch
jedoch eine große Hürde, die es zu
bewältigen gilt. Aus diesem Grund
haben wir die „einfache“ Organisation von Vorstellungsgesprächen mit
den zur Analyse von Eigenschaften
zwingend notwendigen Bestandteilen von ACn in einem für unseren
Betrieb passenden Rahmen kombiniert.
Auslöser hierfür waren Auswahlverfahren, die nicht deutlich die geforderten Eigenschaften erfassten.
Somit wurde vor ein paar Jahren
dazu übergegangen, jedes Auswahlverfahren ganz individuell auf
den zu besetzenden Arbeitsplatz
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
abzustimmen (Schermuly, Schröder, Nachtwei & Gläs, 2012).
Dabei stellen wir das Verfahren
aus diversen Bausteinen immer neu
zusammen, die uns für die Auswahl
bestimmter Eigenschaften sinnvoll
erscheinen. So unterscheiden sich
die zu messenden Eigenschaften
und nicht zuletzt die Aufgaben bei
einem Auswahlverfahren für eine
Person mit Personalverantwortung
massiv in Art und auch Quantität
von reinen Sachbearbeitungstätigkeiten.
Zu Beginn eines jeden Auswahlverfahrens steht jedoch immer ein
Gespräch mit der nächsten Führungsebene in Bezug auf Anforderungen und Eigenschaften. Der
Ausschreibungstext kann hierzu
viele Hinweise auf die gesuchten
Eigenschaften und Fähigkeiten
geben, ist erfahrungsgemäß aber
nie für sich alleine ausreichend als
37
Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg
Grundlage, um hieraus ein Auswahlverfahren zu konstruieren.
Hinzu kommen Anforderungsprofile, Stellenbewertungen und alle
weiteren Informationen, die hilfreich
sein können, ein möglichst realistischen Soll-Profil, bzw. Idealbild
über die Anforderungen abzuleiten.
Anhand dieser Informationen wird
dann ein Auswahlverfahren individuell zusammengestellt. Hierbei ist
allerdings darauf zu achten, dass
die Anzahl der Eigenschaften bzw.
Kompetenzen in einem überschaubaren Umfang bleibt, so dass das
Auswahlverfahren verlässlich in den
drei bis vier Stunden vollzogen werden kann. Zu viele unterschiedliche
Kompetenzen verleiten zum Abschweifen, womit die wesentlichen
nicht mehr ihrer Rolle angemessen
erkannt werden können und damit das individuell zugeschnittene
Auswahlverfahren das eigentliche
Ziel verliert (Nachtwei, Schermuly,
Schölmerich & Uedelhoven, 2012).
Das Auswahlgremium besteht
grundsätzlich aus der oder den
übergeordneten Führungskräften,
den Arbeitnehmervertretern und einer/einem Beschäftigten aus dem
Personalwesen, durch den die Moderation erfolgt.
Eine grundlegende Voraussetzung, die bei allen Auswahlverfahren eine große Rolle spielt, ist die
Vorbereitung des Bewerbers. Ob
der Bewerber sich bereits im Vorfeld gedanklich mit der zu besetzenden Stelle auseinandergesetzt
hat, ist sehr einfach durch vertiefende Fragen zu den erwarteten
Aufgaben des Arbeitsplatzes zu erkennen (z. B. „Wie stellen Sie sich
den Arbeitsalltag als .... bei uns
vor? Worin liegen Ihre Hauptaufgaben?“).
Auch die Informationen über das
Unternehmen lassen sich sehr einfach in Form einer Vorstellung des
Unternehmens durch den Bewerber in Erfahrung bringen (z. B. „Haben Sie sich über unseren Betrieb
informiert? Dann stellen Sie uns bitte einmal den Betrieb ... vor!“).
Die personenbezogenen bzw.
kompetenzbezogenen
Fragen
können nur dann zielführend sein,
wenn Sie sich auf Eigenschaften
beziehen, die an der zu besetzenden Stelle maßgeblich zum Erfolg
beitragen. Hier kommt wieder eine
entsprechende Vorbereitung des
Auswahlverfahrens zum Tragen.
So kann z. B. die Frage: „Welche
Eigenschaften irritieren Sie an anderen Menschen am meisten und
wie gehen Sie damit um?“ überaus
aufschlussreich sein, wenn die zu
besetzende Position den direkten
Kundenkontakt erfordert. Im strukturierten Interview geben wir einen
Sachverhalt vor. Die Lösung bzw.
der Weg zur Lösung, soll durch den
Bewerber erfolgen, wobei der wahrscheinlichste Lösungsweg dem
Auswahlgremium vorliegt. Durch
diese Aufgabe besteht die Möglichkeit, Lösungen der Bewerber für
Situationen, z. B. aus Sicht einer
Führungskraft, und/oder für Arbeitsabläufe zu erkennen. Hierbei gibt es
nur in den seltensten Fällen einen
einzigen richtigen Weg. Vielmehr
können die Bewerber durch Erklärungen und unterschiedliche Sichtweisen für sie passende Lösungen
begründen. Dies stellt jedoch sehr
hohe Anforderungen an den Interviewer dar, der im Dialog mit dem
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Bewerber den Lösungsweg begleiten und hinterfragen muss. Bei
fachlichen Aufgaben ist es entsprechend sinnvoll, das Interview durch
die Führungskraft durchführen zu
lassen.
Bei Präsentationen lässt sich gut
erkennen, ob dem Bewerber das
freie Sprechen leicht fällt und ob er
eine Beziehung zu den Zuhörern
aufbauen kann. Auch bei diesen
Aufgaben gibt es so gut wie nie nur
einen richtigen Weg. Vielmehr wird
die Kreativität und das Verhalten in
dieser Rolle gewertet.
Rollenspiele gehören zu den aufwändigsten Aufgaben, die jedoch
einen tiefen und verlässlichen Einblick in die Verhaltensweisen der
Bewerber bieten. Es lassen sich
Situationen schaffen, die durch
das Verhalten auf die unterschiedlichen Eigenschaften des Bewerbers
schließen lassen. Beispielsweise
kann es im Rollenspiel mit potentiellen Führungskräften um einen
Sachverhalt arbeitsrechtlicher Art
gehen, zu dem die Führungskraft
zunächst ein Gespräch mit dem betreffenden Mitarbeiter und anschließend ein Gespräch mit dem Vorgesetzten führt. Hierbei kann der
Bewerber in verschiedenen Rollen
zu einem Sachverhalt und sein entsprechendes situatives Verhalten
beobachtet werden. Es hat sich
bewährt, das Rollenspiel mit Unterstützung von weiteren Personen
durchzuführen. Hierfür übernimmt
z. B. ein Beschäftigter des Betriebs
die Rolle und wird im Vorwege damit vertraut gemacht. Wenn dann
im Auswahlverfahren der im Sachverhalt beschriebene Mitarbeiter
den Raum betritt, wirkt die Situati-
38
Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg
on für den Bewerber absolut realistisch. Die Anforderungen an den
Rollenspieler sind bei dieser Aufgabe sehr hoch, da er sich bei jedem
Bewerber vergleichbar verhalten
muss. Entsprechend muss für den
Rollenspieler im Vorwege eine genaue Rolle definiert und Verhaltensregeln vorgegeben werden, die
er dann lebt. Je besser die Rolle im
Vorwege beschrieben wurde, desto
einfacher ist es für den Rollenspieler, sich in den unterschiedlichsten
Situationen vergleichbar zu verhalten. Die Verantwortung für einen
reibungslosen Ablauf liegt auch hier
beim Moderator, der diesen Vorgang koordiniert. Neben der Überwachung der zeitlichen Beschränkung sollte an dieser Stelle auch
erkannt werden, wann sich das
Gespräch an einem Punkt befindet,
an dem keine neuen Erkenntnisse
mehr zu erwarten sind.
Ein weiterer möglicher Baustein
bei der Personalauswahl ist die
Nutzung von wissenschaftlich anerkannten psychologischen Testverfahren für die berufsrelevanten
Persönlichkeitsmerkmale (z. B. das
Bochumer Inventar (BIP) von Hossiep & Paschen, 2003). Das BIP
kann sowohl als reliables als auch
valides Testverfahren berufsbezogener
Persönlichkeitsmerkmale
betrachtet werden. Kritik besteht
allerdings inzwischen an der zu
hohen Anzahl von Merkmalen und
der entsprechend dadurch bedingten erhöhten Redundanz (im Mittel weisen die Merkmale mehr als
15 % gemeinsame Varianz auf, was
ein für Persönlichkeitsinventare wenig akzeptabler Wert ist). Auch hier
ist die Möglichkeit eines Vergleichs
mit den bereits zuvor festgelegten
Anforderungen des neuen Mitarbeiters sinnvoll, um Übereinstimmungen wie auch Abweichungen
zu hinterfragen. Das BIP ist eine
Selbstbeschreibung des Bewerbers, dessen Aussagen dann im
Auswahlverfahren jedem Bewerber
erläutert und verdeutlicht werden.
Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollten sich im Verhalten des
Bewerbers bei den verschiedenen
Aufgaben des Auswahlverfahrens,
insbesondere bei dem Rollenspiel,
wiederfinden. Für die Durchführung
des BIP benötigen wir externe Unterstützung eines Dienstleisters, da
der für dieses Testverfahren notwendige Aufwand überaus groß
und die Notwendigkeit eines Einsatzes in unserem Betrieb eher gering ist.
Auch wenn unser hier beschriebenes gesamtes Auswahlverfahren
sehr aufwändig und zum Teil auch
kostenintensiv ist, zeigen unsere
Erfahrungen, dass diese Art von
Auswahlverfahren für einen Betrieb
unserer Größe sämtliche Anforderungen und Erwartungen erfüllt.
Die gewonnenen Erkenntnisse in
Bezug auf die Kompetenzen der
Bewerber sind so umfassend, dass
die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung auf ein Minimum reduziert wird. Die weniger stark ausgeprägten, für die zu besetzende
Stelle aber relevanten Kompetenzen des Bewerbers werden erkannt
und können je nach Möglichkeit in
Form von z. B. Schulungen oder
Coachings beeinflusst werden.
Dies hilft sowohl dem Betrieb als
auch dem Mitarbeiter, da er so besser für seine Aufgabe gerüstet ist.
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Somit rechnet sich der deutlich höhere Aufwand des Auswahlverfahrens langfristig immer, denn eine
falsche Personalentscheidung hat
finanzielle und psychische Auswirkungen auf Bewerber, Vorgesetzte,
Team und schadet langfristig dem
Betriebsklima.
Das Personalwesen als interner
Dienstleister sollte das Auswahlverfahren als Visitenkarte des Betriebes verstehen. Hierzu gehört z. B.
die Ausstattung des Raumes, wie
auch die Vorbereitung sämtlicher
Unterlagen für das Auswahlgremium.
Beginnend mit der Begrüßung
leitet bzw. moderiert ein/eine MitarbeiterIn des Personalwesens unser
Auswahlverfahren und ist damit für
den Bewerber der „Vertreter“ des
Betriebes. Die Rollen der Beobachter obliegen dem übrigen Auswahlgremium. Dem Moderator/der Moderatorin ist es in der Regel nicht
möglich, ein Gespräch von drei bis
vier Stunden bei Auswahlverfahren
für die oberen Leitungsebenen zu
führen, im Dialog mit dem Bewerber
zu stehen und sich gleichzeitig diverse Notizen zu machen. Am Ende
hat allerdings auch der/die ModeratorIn einen bewertungsrelevanten
Eindruck erhalten. Egal wie erfolgreich der Bewerber war, sollte er mit
einem positiven Gefühl den Betrieb
wieder verlassen. Dies ist, insbesondere bei komplexen Auswahlverfahren, die den Bewerber unter
erheblichen Stress setzen, ein hoher Anspruch. Je besser und positiver die Stimmung in der gesamten
Situation des Auswahlverfahrens
ist, desto authentischer verhält sich
der Bewerber. Hierfür darf am Ende
39
Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg
des Gespräches auch die Frage
an den Bewerber gestellt werden:
„Wie war dieses Auswahlverfahren
für Sie?“. Die Antwort wird Sie überraschen.
Danksagung
Ich danke dem Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel für die Möglichkeit, Dinge
zu verändern. Zudem Frau Antje
Sandmann, die mich schon mehrmals bei großen Auswahlverfahren
unterstützt hat und von der ich sehr
viel gelernt habe.
Literatur
Nachtwei, J., Schermuly C.C.,
Schölmerich, F. & Uedelhoven,
S. (2012). Assessment Center: Plädoyer für mehr Sorgfalt.
Human Resources Manager,
5/12, 72-74.
Schermuly, C.C., Schröder, T.,
Nachtwei, J. & Gläs, K. (2012).
Recruiting im Jahr 2020. Harvard Business Manager, 11/12,
8-11
Hossiep, R. & Paschen, M. (2003,
unter Mitarbeit von O. Mühlhaus). Bochumer Inventar zur
berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) (2.
Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
►Xing-Profil des Autors
■
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
40
Interview
mit Tim Jaschke
Welche Vorteile haben kleinere
Unternehmen bei der Personalauswahl?
Der Vorteil liegt darin, dass alle
Hierarchieebenen maßgeblich an
der Auswahl beteiligt sind. Dadurch
können sie sich ein einheitliches
Bild von einem Bewerber machen,
was bei einem Assessment Center, z. B. aufgrund von verschiedenen parallel laufenden Bausteinen,
nicht immer der Fall ist. Bei einem
kleinen Unternehmen ist der direkte
Vorgesetzte direkt bei der Auswahl
beteiligt. Das gibt es in größeren
Unternehmen oft nicht. Da wird
häufig von übergeordneten Ebenen ausgewählt und dem direkten
Vorgesetzten ist der Bewerber nicht
bekannt.
Zeigen sich schon Erfolge mit
Ihrem Prozess? Wie sehen diese
aus?
Die Erfolge sehen so aus, dass
wir ganz klar die stark und weniger
stark ausgeprägten Eigenschaften
feststellen. Diese finden wir dann
später im Berufsalltag auch genau
so wieder. Wenn ein Mitarbeiter im
Auswahlverfahren z. B. eine weniger ausgeprägte Durchsetzungskraft gezeigt hat, war dies auch im
späteren Berufsalltag erkennbar.
Wir können also mit diesem Auswahlverfahren sehr verlässliche
Aussagen über die Eigenschaften
und Fähigkeiten der Bewerber treffen.
Welchen Schwierigkeiten stehen
Sie mit ihrer individuellen Vorge-
hensweise gegenüber?
Der Aufwand der Konzipierung eines individuellen Auswahlverfahrens ist sehr hoch. Dies ist aber keine Schwierigkeit.
Schwierig ist es manchmal, bei
der Minderausprägung eines einzelnen Kriteriums einen Bewerber
mit sonst guten bis sehr guten Ergebnissen abzulehnen. Wenn es
sich hierbei aber um eine erfolgskritische Eigenschaft handelt, gibt es
keine andere Möglichkeit.
wichtig. Somit war es für mich kein
langer Weg. Selbst bei internen Bewerbern haben wir das Verfahren
angewendet und auch von diesen
Bewerbern, die nicht den erhofften
Zuschlag erhalten haben, erhielten
wir tolle Rückmeldungen.
■
Wie lauten die meisten Antworten der Bewerber auf die Frage
„Wie war dieses Auswahlverfahren für Sie?
Ich bin erstaunt über die ausnahmslos positiven Antworten. Viele sagen, dass sie diesen Umfang
nicht erwartet hätten. Sie sehen
in der Komplexität des Verfahrens
aber die Bedeutung und Mühe, die
sich das Unternehmen bei der Personalauswahl gibt. Dieser große
Aufwand wird ausnahmslos als Zeichen unserer Mühe gesehen, den
besten Bewerber für das Unternehmen zu finden.
Das für mich wichtigste Feedback
kommt für mich immer von den Bewerbern, die am Ende eine Absage
erhalten haben.
War es ein langer Prozess diese
Art von Mitarbeiterauswahl in Ihrem Unternehmen zu etablieren?
Nein, weil ich zum Glück äußerst
frei in meinen Verfahren und Ideen
war und bin. Das Vertrauen des Unternehmens in das, was man tut, ist
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
41
Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler
Andy Donaubauer1
1)
Manager Personnel & Organizational Development Xella International GmbH
SCHLÜSSELWÖRTER: Personalauswahl, Entscheidungskriterien, Beurteilungsfehler, Ähnlichkeitseffekt, Vignettenanalyse
KURZFASSUNG: Der Artikel beschreibt mittels neuer Erkenntnisse aus der Entscheidungs- und Einstellungsforschung, welche Kriterien bei der Personalvorauswahl eine signifikante Rolle spielen und welchen Einfluss die Merkmale des Beurteilenden haben. Vorrangig wird aufgezeigt, wie der Ähnlichkeitseffekt wirkt und inwieweit Personen
mit entsprechend gleichen Merkmalen besser bewertet werden. Die Ergebnisse dieser Studie basieren auf einer
Befragung von über 200 Mitarbeitern aus dem Personalbereich und knapp 3.000 Beurteilungen von vergleichbaren,
fiktiven Lebensläufen. Die Wichtigkeit von Personalauswahlkriterien kann in eine Rangfolge gebracht und – bei intuitiven Entscheidungen verstärkt auftretende – Beurteilungsfehler und -verzerrungen aufgezeigt werden.
Professionelle Personalauswahl
– ein Dilemma
Bei der Personalauswahl gehören
intuitive
Entscheidungsprozesse
entgegen wissenschaftlicher Forderungen weiterhin zum Alltag.
Selbst bei der Analyse schriftlicher
Bewerbungsunterlagen, die auf Basis eines Anforderungsprofils der
zu besetzenden Stelle und objektivierten (Leistungs-)Merkmalen und
demnach einer rationalen Entscheidungsfindung unterliegen sollten
(Schuler, 2001), ist das der Fall. Begleiten unbewusste und nicht-rationale Prozesse die Auswahl, so sind
die Beurteilungen fehlerhaft, von
den Organisationen ungewünscht
und mit immensen Kosten verbunden (Nerdinger, Blickle & Schaper,
2008). Besonders gefährlich ist dies
bei (Fehl-)Urteilen, die auf einer
Bewertung einer einzelnen Person
basieren, da dann keine Korrektur dieses Einzelurteils vorgenommen werden kann (Nachtwei, von
Bernstorff, Uedelhoven & Liebenow, 2013). Dies ist insbesondere
bei der Personalvorauswahl oft der
Fall. Ein Aspekt dieser Urteilerfehler ist die Auswirkung der verzerrten
Bewertung aufgrund von Ähnlichkeit zwischen dem Entscheidungsträger und dem Bewerber. Hierbei
liegt der Fokus der Untersuchungen jedoch oft auf einer (direkten)
Abfrage der Kriterien oder der Beobachtung von realen Auswahlsituationen, wie beispielsweise einem
Assessment-Center (Wick, 2005).
Frühere Studien zum Thema Personalvorauswahl vernachlässigten
demnach entweder ein realitätsnahes Design durch eine direkte
Abfrage der Kriterien, oder die Vergleichbarkeit der Bewerber, durch
Beobachtungen in der Realität
(Reinhardt, 2006). Deshalb wurde
in dieser Studie ein neuer Ansatz
verfolgt. Eine empirische Analyse
der realitätsnahen, vergleichbaren,
schriftlichen Bewerbung, angelehnt
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
an tabellarische Lebensläufe, die
indirekt die Kriterien prüft und damit die intuitive Auswahl misst. Damit kann verdeutlicht werden, dass
selbst bei der Vorauswahl, die weniger anfällig für Beurteilungs- und
Wahrnehmungsfehler ist, Verzerrungen bei Entscheidungen auftreten können.
Altes Problem, neue Methode
Um diese Vergleichbarkeit mit
gleichzeitiger realer Beschreibung
der Situation sicherzustellen, kann
der Faktorielle Survey genutzt werden. Dieses quasi-experimentelle
Design samt einer Abfrage der wesentlichen Kriterien und die Kontrolle weiterer Einflüsse, ermöglicht wichtige Erkenntnisse über
die bewussten und unbewussten
(intuitiven) Entscheidungskriterien
(bezüglich der Bewerber) und Beurteilungsfaktoren (bezüglich der
beurteilenden Personaler) bei der
Personalvorauswahl. Der Faktoriel-
42
Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler
le Survey lässt sich auf die Dissertation von Rossi (1951) zurückführen
und beruht auf einer Randbemerkung Lazarsfelds. Rossi (1979) erweiterte die Grundidee, die nach
und nach unterschiedliche Anwendungen fand (Rossi & Nock, 1982;
Jasso, 2006). Mit dem Faktoriellen
Survey, oder auch Vignettenanalyse genannt, können normative Einstellungen oder auch Handlungsintentionen aufgedeckt werden.
Mittels dieser in den letzten Dekaden häufig verwendeten und weit
verbreiteten Methode, (Auspurg et
al., 2009a; Wallander, 2009; Atzmüller & Steiner, 2010) kommen nun
auch neue Erkenntnisse zur korrekten Anwendbarkeit hinzu (Auspurg,
Hinz & Liebig, 2009b; Sauer et al.,
2009). Bei der Vignettenanalyse
stehen Objekt-, Situations- oder
Personenbeschreibungen, auch Vignetten genannt, im Vordergrund,
die aus Dimensionen und Ausprägungen bestehen. Dimensionen
sind in diesem Fall die herangezogenen Beurteilungskriterien der
Bewerber, wie beispielsweise das
Geschlecht, und variieren in ihren
Ausprägungen, also den Merkmalen oder Eigenschaften, in diesem
Falle dann männlich oder weiblich
zu sein.
Diese faktoriellen Variationen und
verschiedenen Zusammenstellungen sind systematisch angeordnet;
die so konstruierten Vignetten, also
tabellarischen und realitätsnahen
Lebensläufe, werden den befragten
Personalern zur Beurteilung vorgelegt. In der vorliegenden Studie
handelt es sich dabei um Hochschulabsolventen mit Personalschwerpunkt, die sich bei Recrui-
tern auf eine Stelle in deren Team
bewerben.
Erkenntnisgewinn durch folgende Kriterien
Damit eine realitätsnahe Konstruktion, aber auch eine methodische
Auswertbarkeit gewährleistet ist,
wurden unter Berücksichtigung der
Fragestellung und nach Analyse
der einzelnen möglichen Bewerbermerkmale folgende Bewerbermerkmale ausgewählt: Geschlecht,
Studiengang,
Studienabschluss,
Hochschulform, Note, Studiendauer, Praktika, Auslandsaufenthalt.
Diese haben einen starken Fokus
auf das Studium und die akademische Leistung.
Um eine auswertbare Datenbasis
zu erhalten, mussten mindestens
100 Personaler jeweils 24 Vignetten bewerten. Im ersten Schritt der
Studie wurde zunächst die Wichtigkeit der einzelnen Bewerbermerkmale direkt abgefragt, um einen
Vergleich zur indirekten Abfrage
sicherzustellen. Bei der Skala von
0 bis 10, wobei 0 für unwichtig und
10 für sehr wichtig steht, unterscheiden sich die Bewerbermerkmale stark in ihrer Einflussgröße.
Im zweiten Schritt folgte die Vignettenanalyse. Es wurden 24 tabellarische Lebensläufe vorgelegt, die
ebenfalls von 0 (wird auf keinen Fall
zum Vorstellungsgespräch eingeladen) bis 10 (wird auf jeden Fall zum
Vorstellungsgespräch eingeladen)
bewertet wurden. Mit der Fallzahl
von 217 Befragten und 2.919 Urteilen liegt eine gute Datenbasis vor.
Praktikum und gute Noten, aber
flott!
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Bei der direkten Abfrage der Wichtigkeit einzelner Kriterien wurde
das Geschlecht mit durchschnittlich
0.92 als unwichtigstes bewertet. Als
wichtigstes Kriterium gilt die Praxiserfahrung bei einem Wert von
8.47, gefolgt vom Studienfach mit
6.96. Mittels der Analyse der vorgelegten fiktiven Lebensläufe, also
der Vignetten und damit der indirekten Abfrage der Kriterien, können
nun ergänzend konkrete Vorhersagen getroffen werden, inwieweit
die Chance abhängig der Bewerbermerkmale steigt oder sinkt, zu
einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Der Abgleich
zwischen einzelnen Vignettenurteilen und den Vorhersagewerten des
Modells belegt die Güte seiner Vorhersagekraft auf die Einflüsse der
Bewerbermerkmale sowie der Gesamtbeurteilung der Lebensläufe.
Betrachtet man die Wichtigkeit und
Stärke der Effekte im Detail, wird
deutlich, dass auch bei der indirekten Abfrage die Praxiserfahrung den
größten Einfluss auf die Bewertung
hat. Dies aber nicht linear. So steigt,
im Vergleich zum Nichtabsolvieren
eines Praktikums, die Bewertung
bei drei Monaten Praktikum um 2.1
(also um 21 Prozentpunkte) und bei
6 Monaten um 2.6 (siehe Tabelle).
Dabei haben alle herangezogenen
Bewerberkriterien
signifikanten
Einfluss auf die Entscheidung. Ein
männlicher Bachelorabsolvent in
Sozialwissenschaften, mit der Note
3,3 und sechs Semestern über der
Regelstudienzeit, ohne Praktika
und Auslandserfahrung hätte beispielsweise nur eine Chance von
10 % zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Im Vergleich liegt
43
Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler
die Wahrscheinlichkeit einer
Masterabsolventin innerhalb der
Regelstudienzeit mit der Note 1,3
in Betriebswirtschaftslehre, sechs
Monaten Praxiserfahrung und zwei
Auslandssemestern bei durchschnittlich 83 %. Entsprechend wirken die bewerteten Kriterien in dem
Ausmaß auf die Wahrscheinlichkeit
zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, dass die Person hinter dem zweiten beschriebenen Lebenslauf achtmal so große
Chancen hat. Im nächsten Schritt
werden Einflüsse auf Entscheideralso Personalerebene analysiert
und der Ähnlichkeitseffekt nachgewiesen. Dadurch soll hinsichtlich
der Personalvorauswahl auf vermeidbare Beurteilungsfehler aufmerksam gemacht werden.
Ähnlichkeit ist die Identität der
Qualitäten1
Es folgt eine Analyse, inwieweit
Personaler Bewerber besser bewerten, wenn diese ihnen ähnlich
sind. Die Kriterien Auslandssemester, Praktikum und Regelstudienzeit
befinden sich auf signifikantem Niveau. Urteiler erachten jene bei der
direkten Abfrage, also der Bitte die
Wichtigkeit der Kriterien zu bewerten, als wichtiger, die im positiven
Sinne auf sie selbst zutreffen. Am
Beispiel des Auslandssemesters
steigt die Wichtigkeit von 4.57 um
2.27 auf 6.84, also um etwa 50 %.
Bei der indirekten Abfrage, also
Vorlage der komplexeren Situation mittels tabellarischen Lebenslaufes, wirkt der Ähnlichkeitseffekt
Ähnlichkeit ist die Identität der Qualitäten.
– Immanuel Kant (1724 - 1804), deutscher
Philosoph
1
Tabelle: Einflüsse der Bewerbereigenschaften auf das Urteil
Vignettendimension (Kriterium
mit Merkmalen) | Konstante 3,2*
2. Ausprägung
3. Ausprägung
Praktika in Monaten (0; 3; 6)
+2,1
+2,6
Studiendauer in Semestern (RSZ; +3; +6)
-0,7
-1,6
Studiennote (3,3; 2,3; 1,3)
+1,1
+1,6
Auslandssemester (0; 1; 2)
+0,4
+0,6
Fach (BWL; Psych.; SoWi)
-0,3
-0,4
Abschluss (Bachelor; Diplom; Master)
+0,2
+0,3
Geschlecht (weiblich; männlich)
-0,2
/
*) Werte gerundet
sogar um 73 %. Betrachtet man
die Durchschnittsurteile der Vignettenpersonen, mit versus ohne
Auslandssemester im Vergleich der
Urteilergruppen, erkennt man einen
deutlichen Trend und höhere Steigung der Wichtigkeit bei Personalern mit Auslandssemester. Auf Vignetten- und Befragtenebene sinkt
demnach die Wahrscheinlichkeit zu
einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden um etwa 4,9 Prozentpunkte, sobald man kein Auslandssemester absolviert hat. Ein
Personaler allerdings mit Auslandssemester bewertet nochmal um
weitere 3,6 Prozentpunkte schlechter. Demnach sinkt die Chance
insgesamt bereits um 8,5 Prozentpunkte, was im Verhältnis zum Urteiler ohne Auslandssemester eine
Reduktion der Wahrscheinlichkeit
um 73 % ausmacht. Weitere Effekte zeigen sich beispielsweise bei
Absolventen der Studienrichtung
Betriebswirtschaftslehre (BWL) und
der Regelstudienzeit (RSZ). Konkret zeigen sich die enormen Einflüsse der Merkmale der Personaler
wie folgt: Ein Bewerber mit den Eigenschaften kein Praktikum, RSZ,
Note 3,3, kein Auslandssemester,
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
BWL und Bachelor wird mit einer
Wahrscheinlichkeit von nur 12,8 %
von einem Personaler mit einer
Studiendauer über der Regelstudienzeit, einem Auslandssemester
und einem Studienfach ungleich
BWL zu einem Gespräch eingeladen. Im Gegensatz dazu erhöht
sich die Chance um mehr als das
doppelte auf 26,2 %, wenn der Personaler seinen Abschluss in BWL
innerhalb der RSZ absolviert hat
und kein Auslandssemester bestritt.
Hier zeigt sich deutlich der Effekt
der Ähnlichkeit, selbst bei nur drei
von acht möglichen Übereinstimmungen.
Kritischer Ausblick
Ist man sich nun der Tatsache bewusst, dass die Merkmale des beurteilenden Personalers einen starken Einfluss auf die Bewertung der
Bewerber haben, sollte im Auswahlprozess erstens noch bewusster
damit umgegangen und zweitens
durch einen strukturierten Prozess
diese Verzerrungen vermieden
werden. Im Sinne einer objektiven
und rationalen (Vor-)Auswahl und
der komplexen Gesamtsituation im
Auswahlprozess, werden weitere
44
Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler
Studien mittels der Vignettenanalyse empfohlen. Allerdings müsste
das Untersuchungsfeld ausgeweitet werden und eine höhere Fallzahl für gezieltere Untersuchungen
einzelner Befragtengruppen umgesetzt werden, damit der Fokus noch
stärker auf unerwünschte Effekte
ausgerichtet werden kann. Was
bestätigt wurde ist, dass selbst im
standardisierten
Vorauswahlprozess zu viel Einfluss der Personaler und ihrer Personenmerkmale
vorhanden ist. Zum Nachteil des
Unternehmens, das auf eine rational-objektive Auswahl abzielt. Wie
sich diese Einflüsse negativ auf
das Unternehmen auswirken und
verhindert werden können, sollte
ebenfalls Bestandteil weiterer Studien werden.
Literatur
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(2010). Experimental Vignette
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Auspurg, K., Hinz, T., Liebig, S. &
Sauer, C. (2009a). Auf das
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Coleman & H. P. Rossi (Hrsg.),
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Rossi, H. P. & Nock, L. S. (Hrsg.).
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Wallander, L. (2009). 25 years of
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Diss.-Kaiserlautern,
2005. (1. Aufl.). München:
Hampp.
►Xing-Profil des Autors
■
45
Interview
mit Andy Donaubauer
Was ist der zentrale Grund dafür,
dass Personaler bei der Personalauswahl ihrer Intuition den
Vorrang geben?
Ich glaube nicht, dass alle Personaler intuitive Entscheidungen bevorzugen. Eher ist vielen oft nicht bewusst, dass sie intuitiv entscheiden.
Man kann diese Beurteilungsproblematik von zwei Seiten beleuchten: Einerseits die Personaler, die
bewusst ohne Anforderungsprofil,
Struktur, etc. den Rekrutierungsprozess durchführen und auf Basis
von Bauchgefühl entscheiden und
das Bauchgefühl durch ihre Erfahrung präferieren. Andererseits die,
die denken, objektiv zu entscheiden, sich dann aber einfach durch
Wahrnehmungsfehler bzw. -verzerrungen zu einer intuitiveren Entscheidung verleiten lassen. Die beiden Beispiele können sich natürlich
auch überschneiden.
Sie schreiben über den Faktoriellen Survey, dass dieser „häufig“
in der letzten Dekade verwendet
wurde. Können Sie nähere Zahlen nennen um von der Verbreitung eine grobe Vorstellung zu
bekommen?
Alleine bei einer Metastudie von
Wallander zu „bedeutenden“ Anwendungen des Faktoriellen Surveys innerhalb der Soziologie handelt es sich um einen dreistelligen
Bereich. Bei Recherchen innerhalb
eines von der DFG geförderten Projektes haben wir hunderte weitere
Studien anderer Fachbereiche wie
der Medizin oder Pädagogik gefun-
den. Insgesamt sprechen wir also
sicherlich von Anwendungszahlen
im (mindestens) vierstelligen Bereich.
Gibt es einen negativen Aspekt
an dem Faktoriellen Survey?
Es gibt natürlich schwierige oder
besonders zu beachtende Aspekte
bzw. Nachteile. Wenn man es richtig machen möchte, ist es aufwändiger als eine normale, rein direkte
Abfrage oder qualitative Interviews.
Insbesondere bei komplexen Befragungen nimmt es sehr viel Zeit allein schon bei der Vorbereitung ein.
Das Design, die Konstruktion der
Vignetten, dass diese eine valide
Zusammensetzung haben, ist sehr
aufwändig. Dafür werden mehrere
und statistisch anspruchsvolle Software benötigt. Das Design und die
Auswertungen sind demnach anspruchsvolle Hürden. Doch der Ertrag ist es meines Erachtens nach
Wert und dieses realitätsnahe Forschungsdesign spricht für sich und
bringt wissenschaftliche Ergebnisse ganz nah an der Praxis
bzw. bestenfalls multimodalen Interviews führt, einen mehrstufigen
Prozess konzipiert, der an Kompetenzen und Persönlichkeit orientiert ist. Dabei sollte die Praxis
versuchen neueste Erkenntnisse
der Wissenschaft in die Auswahl
einzubeziehen und die Wissenschaft sollte praxisrelevante und
umsetzbare Forschungsergebnisse
anstreben. Dann glaube und hoffe
ich, dass die meisten Unternehmen
sich in die richtige Richtung bewegen. Der Worst-Case wäre, wenn
ein Großteil der Unternehmen weiterhin unstrukturierte Auswahlprozesse durchführen und dabei von
Personalern nur auf das Bauchgefühl gehört wird. Das Bauchgefühl
ist nicht grundsätzlich falsch, aber
es sollte nicht der treibende Faktor
bei der Entscheidung sein.
■
In welche Richtung wird sich der
Vorgang Personalauswahl entwickeln?
Da gibt es Worst-Case-Szenarien
und wünschenswerte Szenarien.
Wünschenswert wäre es, wenn die
HR-Arbeit weiter professionalisiert
wird und Praxis und Wissenschaft
noch mehr verknüpft werden. Also
z. B. grundsätzlich einen konsequenten Auswahlprozess mit Anforderungsprofil, (teil-)strukturierten
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
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Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell
Christian Reincke1
1)
STI Group, Leiter Personalentwicklung
SCHLÜSSELWÖRTER: Personalauswahl, Einstellungsverfahren, Sozialkompetenz, soft skills
KURZFASSUNG: Bei Bewerbern wird in nahezu allen Stellenausschreibungen meist eine ausgeprägte Sozialkompetenz vorausgesetzt oder als extrem wichtig herausgestellt. Wie diese aber in der Realität definiert, getestet und
am Ende sogar bewertet wird, bleibt meist nebulös. Der vorliegende Artikel beschreibt aus der Praxis heraus die
Herausforderung für den Personalbereich, diesem offenbar doch sehr wichtigen Kriterium im Auswahlprozess in der
tatsächlichen Umsetzung zu begegnen und auch gerecht zu werden. Abrundend wird das Thema Transparenz kritisch beleuchtet und ein Versuch gewagt, Sozialkompetenz greif- und messbar zu machen.
Fachwissen versus Persönlichkeit?
Im Austausch mit anderen Personalern und Personalverantwortlichen habe ich in den vergangenen
Jahren festgestellt, dass das Gros
der bereits in der Probezeit beendeten Arbeitsverhältnisse nicht an
fachlichen, sondern an (zwischen-)
menschlichen
Herausforderungen gescheitert ist. Die heutige
Arbeitswelt ist geprägt von kurzen
Projektintervallen und hohen Anforderungen an zeitliche und inhaltliche Flexibilität und Beweglichkeit
der Arbeitenden. Teams formieren
sich schnell, sollen zeitlich befristet
auf höchstem Niveau Leistung erbringen und werden dann zeitnah
wieder aufgelöst. Da ist es ersichtlich, dass der Mensch als soziales
Wesen in der Lage sein muss, sich
auch auf unterschiedliche Typen
von Arbeitskollegen und Kunden
einzustellen. Und zu wollen. Neben
den erforderlichen Fachkompetenzen sind von daher die Fähigkeit
und Bereitschaft, sich mit Kolle-
gen zu organisieren und auszutauschen, unabdingbar. Wer sich heute nicht in sich schnell verändernde
Systeme und Gruppen einbringen
kann, der wird isoliert und verliert
mit großer Wahrscheinlichkeit den
Bezug zum Projekt, dem Produkt
und somit dem Ergebnis. Das Zutun wird beschnitten und möglicher
Input qua mangelnder Gruppenzugehörigkeit limitiert – oder im
Extremfall ausgeschlossen. Zugegeben, dieses Szenario ist reichlich überzogen. In einer Eskalation
aber keinesfalls undenkbar. Auch
Fachabteilungen haben in den zurückliegenden Jahren den Wert
der Personalabteilung als wesentlichem Wertstifter und Nutzenbringer
im Auswahlprozess verstanden und
bedienen sich gerne der Vertreter
von Human Resources (HR). War
es früher noch kein Einzelfall, dass
man einen Bewerber aufgrund des
hervorragenden Fachwissens unbedingt und auch gegen den Willen bzw. das Veto des Personalers
eingestellt hat, so ist es heute in
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zahlreichen Unternehmen ungeschriebenes Gesetz, dass Einstellungen nur mit Zustimmung seitens
HR getätigt werden. Und dies nicht
etwa, weil hier die Hoheit über die
Personalplanung und das entsprechende Budget liegt; nein, sondern
aufgrund der Einschätzung seitens
der Personalabteilung bezüglich
einer vermuteten menschlichen
Passung in das bestehende Gefüge. Häufig haben sich Hinweise
des Personalers auf grenzwertige
oder zumindest „kritischere“ Eigenschaften im Nachhinein als berechtigt herausgestellt. Was vormals in
den Bereich der Sozialromantik und
schlimmstenfalls des persönlichen
Menschen- oder Weltbilds des beteiligten Vertreters von HR geschoben und hinter vorgehaltener Hand
auch gerne einmal leicht spöttisch
belächelt wurde, ist heute im Einstellungsprozess salonfähig. Oder
gar Gesetz.
Wie aber kommt die Personalabteilung dazu, zu einem solch
gewichtigen und im weiteren Pro-
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Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell
zess relevanten Spieler zu werden? Wie wird das, was man als
„sozialkompetent“ einfordert letzten Endes geprüft? Man kann sich
nun trefflich auf Recherche begeben, um ein buntes Kompendium
an Kriterien zusammen zu tragen,
welches auf das Konto Sozialkompetenz einzahlt. Nicht wenige
Quellen definieren Sozialkompetenz und weisen aus, was in Summe einen entsprechend fähigen
Menschen ausmacht. Sicherlich ist
dies ein denkbarer Ansatz. Oder
zumindest ein erster Schritt. Unstrittig jedoch ist sicherlich, dass
man die Passung eines Bewerbers
zu Tätigkeit und Umfeld sowie die
möglichen Fehlerquellen in der Betrachtung und Bewertung des Menschen beachten muss. Aus diesem
Grunde setzt das hier beleuchtete
Vorgehensmodell wesentlich pragmatischer an. Die Definitionen und
Lesarten all der Zutaten sind nahezu unendlich und beliebig ausgeprägt. Folglich wird klar, dass man
sich das Umfeld genauer ansehen
muss, in dem der spätere Kollege
sich wird bewegen müssen. Wohl
wissend, dass erwartete soziale
Kompetenz vor allem mit eigenen
Werten, Erfahrungen und Vorlieben
zu tun hat, muss man diese in den
Prozess weben und einfließen lassen. Am Ende sucht man sich als
Auswählender immer auch ein wenig selbst. Gemeinsamkeit schafft
Nähe und generiert Sympathie.
Und erzeugt dadurch ein positives
Gefühl, welches sich womöglich in
der Zuweisung „Sozialkompetenz“
wieder findet. Mögliche Probleme
in einer validen Eignungsbeurteilung sind somit die Bewertenden,
die angewandten Maßstäbe bzw.
Kriterien, das Setting oder die Urteilsfindung.
Aber worauf muss man denn nun
achten?
In der Praxis bedeutet dies, den
auswählenden Vorgesetzten frühzeitig mit ins Boot zu holen und
abzuklären, welche Kompetenzen
er wirklich sucht. Bei jedem auf
die Beobachtung einzelner Individuen gestützten Auswahlprozess
existiert natürlich die subjektive
Fehlerquelle des persönlichen Bewertungsrasters. Es empfiehlt sich
hierbei zusätzlich, auch das durch
die erhoffte Neueinstellung wachsende Team zu betrachten. Beispielsweise kann es für das Gefüge
zweckmäßig sein, ganz spezielle
Eigenschaften hinein zu holen. Welche Rolle, welche Charaktereigenschaft oder welcher Typ Mensch
fehlt in dem Team, welches ergänzt
werden soll? Sollte die Stelleninhaberin oder der Stelleninhaber eher
ruhig oder extrovertiert sein? Wie
sieht es mit Eigenschaften wie Mut,
rhetorischem Geschick, Konfliktfähigkeit oder Reflexionskompetenz
aus? Das Set an abzuprüfenden
Eigenschaften wird in einer strukturierten Moderation erfragt und dokumentiert (wohlwissend, dass hier
die Gefahr von Wildwuchs im Kompetenzmanagement gegeben ist:
vgl. Liebenow, 2012). Mittels dieser
Beleuchtung des sozialen Gefüges
wird dann auch klar, was in diesem
individuellen und einzigartigen Fall
Sozialkompetenz bedeutet. Was
genau ist beispielswiese mit „kommunikativ“ gemeint? Wie, wann und
wem gegenüber muss man womög-
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lich „kritikfähig“ sein? Die zu definierenden Ausprägungsrade sind
dann ein weiterer Schritt in Richtung Schärfung des Profils. Ratsam
ist, die Vorgesetzten im Vorfeld
dieses Prozesses zu informieren,
zu beraten und dann in dem anzuwendenden Modell zu schulen. Der
Nutzen muss ebenso herausgestellt werden wie das schlussendlich weder esoterische, noch rein
bzw. ausschließlich klinisch-akademische Vorgehen. Die relevanten
Faktoren, die für unser Unternehmen Sozialkompetenz bedeuten,
haben wir aus unseren Leitlinien
und den Forderungen bzw. Erfahrungswerten unserer Führungskräfte abgeleitet. Ergänzt wurden sie
um die Ergebnisse mehrerer Workshops, in denen Auszubildende und
Ausbilder erarbeiteten, unter welchen Umständen aus ihrer Sicht
das betriebliche Miteinander ideal
verläuft. Wichtig hierbei war, in einem zweiten Schritt beobachtbares
Verhalten zu beschreiben, welches
sich mit den anzukreuzenden Werten festhalten ließ. Für einen mehr
oder weniger abstrakten Begriff wie
Motivation wurde hier ein Raster
erstellt, welches dem Beobachter
ermöglicht, jeden Kandidaten zu
„benoten“. Und zwar anhand sichtbarer und leicht verständlicher Verhaltensweisen. Die Frage in der
Konzeption war somit, was wir unter Motivation verstehen und woran
wir sie festmachen.
Der Versuch einer Objektivierung
Dennoch ist bis zum jetzigen Stand
die mögliche Quelle für allzu subjektive Entscheidungen auf zwei
Paar Schultern verteilt. Um auch
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Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell
diesem Problem zu begegnen,
muss man den Kreis der Beobachter und somit der Bewertenden erweitern. Man stellt so sicher, dass
verschiedene Dinge bzw. Verhaltensweisen bei den Kandidaten
aus unterschiedlichen Perspektiven
und vor unterschiedlichen Erfahrungshintergründen betrachtet und
bewertet werden. Kulturelle Merkmale und Beobachtungen, welche
in Bezug auf das Lebensalter, die
Einstellungen und die Merkmale
einer sich verändernden Gesellschaft aufgenommen werden, erfahren hierdurch eine uneinheitliche Betrachtung. Empfehlenswert
ist zudem eine Parität hinsichtlich
der Geschlechter. Mit in Summe
nunmehr 5 Beobachtern wurden
verschiedene Sichtweisen und persönliche Schwerpunkte abgebildet.
Denn: Verhaltensweisen der Kandidaten werden unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt.
Operativ kommt in Interview und
Übungen ein strukturierter Beobachtungsbogen zum Einsatz, der
verschiedene Kriterien in definierten Ausprägungsraden erfassbar
macht. Betrachtet wurden hier
sowohl die Kommunikations-, Argumentations-, Motivations- und
Analysefähigkeit, als auch das
Miteinbeziehen anderer Teammitglieder oder das Umgehen mit Widerstand oder gar Kritik. Die Bewertungen sind natürlich auch hier
subjektiv und demnach anfällig für
Verzerrungen. Da jedoch die Beobachter geschult in das Verfahren
gehen, sind sie sich eigener Filter
bewusst und versuchen zumindest,
eigene Beobachtungs- und Beurteilungsfehlerquellen zu minimieren.
Nach der Übung finden sich das
Beobachterteam (vier Personaler
und die beteiligte Führungskraft
aus der Fachabteilung) zusammen
und diskutiert sowie aggregiert die
Beobachtungen. Jede Stimme zählt
hierbei gleich und führt dazu, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen. Spannend ist zudem meist
die Diskussion über vermutete Ursachen einer Handlung oder Verhaltensweise. Das Bild wird runder
und über die Auswertung bzw. Diskussion vervollkommnet sich der
Eindruck bei dem Einstellenden.
Das im Vorfeld erarbeitete, jedoch
dem Bewerterteam nicht vorgestellte Profil des idealen Stelleninhabers wird am Ende den gemachten
Beobachtungen gegenüber gestellt.
Es entsteht im Ergebnis ein Profil,
aus dem sich Abweichungen ergeben können. Diese eignen sich hervorragend, um im Verbund mit dem
aus der Übung und den besprochenen Vermutungen Hypothesen für
das Einzelinterview mit den interessantesten Kandidaten abzuleiten.
In diesem Folgeschritt gilt es nun
u. a. zu erfragen, wie der Bewerber
sich selbst erlebt hat und warum er
in einer spezifischen Situation so
reagiert hat, wie es wahrgenommen
wurde. Der hier erlebbar gemachte
Abgleich eines Selbst- und Fremdbildes ist meist ein sehr valides
Instrument, die Authentizität der
Bewerber einschätzen zu können.
Vertiefen lässt sich dies mittels provokanter oder zirkulierender Fragen. Hier hat man jede Möglichkeit,
die Persönlichkeit des Gegenübers
genauer zu erforschen. Natürlich
muss man sich darüber im Klaren
sein, dass der Auswahlprozess
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dem Bewerber auch ein Bild über
die Kultur des Unternehmens gibt.
Dieses sollte natürlich authentisch
sein und zur gelebten Realität passen. Letzten Endes ist jeder Bewerbungsprozess eine in diesem Sinne
bipolare Situation.
Die Effekte in der Anwendung
Die Ergebnisse aus den letzten vier
Jahren zeigen, dass die Qualität
der eingestellten Bewerber uneingeschränkt sehr gut war. Die Zahl
der während der Probezeit beendeten Arbeitsverhältnisse ist deutlich
zurückgegangen. Die Einarbeitung
bzw. Aufnahme in die Organisationseinheiten wurde verkürzt. Zudem zeigte sich, dass sich über
die beschriebene Methode die im
Team fehlenden Kompetenzen und
Charaktereigenschaften
hervorragend haben finden lassen. Das
Bild der eigenen Ressourcen wurde den Führungskräften klarer und
die Bedeutung der Wechselwirkung
ersichtlich. Die involvierten Führungskräfte zeigten sich – trotz anfänglicher Skepsis - schnell begeistert von dem skizzierten Verfahren.
Empfehlungen seitens HR, einen
Kandidaten eher nicht zu nehmen
und einen anderen zu favorisieren, sind nun greifbar und werden
angenommen. Die Auswahlkriterien, welche sich hinter dem Begriff
„Sozialkompetenz“ verbergen, werden sichtbar – und am Ende sogar
messbar. Im Sinne der Nutzer und
entsprechend ihrer Bedürfnisse.
Empfehlungen und Tipps
Natürlich muss kritisch betrachtet
werden, dass sich das dargestellte Modell nicht auf jede Organisa-
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Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell
tionsform übertragen lässt. Hierzu
bedarf es einer gewissen Reife und
Kultur. Zudem erfordert es die Bereitschaft, sich auf das Verfahren
einzulassen. Und auf die Erkenntnisse zu verlassen. Zu empfehlen
ist eine gründliche Analyse der
tatsächlichen Anforderungen und
die Schulung aller Beteiligten. Die
während der Beobachtung und der
Interviews entstehenden Unterlagen werden aufbewahrt und dienen
somit auch der Transparenz. Hier
zeigt die Erfahrung, dass dies angebracht ist, da man sowohl intern
als auch extern mit Fragen rechnen darf. Dass am Ende natürlich
subjektive Bewertungen eine Rolle
spielen, ist auch nicht von der Hand
zu weisen. Das Übertragen in Zahlenwerte hilft beim Einordnen des
Ausprägungsgrades und erleichtert
den Vergleich der Kandidaten. Der
Start z. B. als Pilot im Einstellungsprozess eines Ausbildungsjahrgangs legt zudem mögliche weitere
Fehlerquellen im Prozess oder der
inhaltlichen Vorbereitung der Teilnehmer offen und hilft, das Verfahren weiter zu justieren. Sicherlich
muss auch bemerkt werden, dass
es sich womöglich auch nicht für
jede zu besetzende Position anwenden lässt; für den gehobenen
Führungskreis sind derlei Verfahren
nicht wirklich en vogue. Oder aber
der Reifegrad des Prozesses und
aller Beteiligten sollte in diesem Falle sehr hoch sein. Wobei auch (oder
gerade) hier gelten sollte: Auch Managern schadet Sozialkompetenz
ganz sicher nicht. Unabhängig von
der Größe oder der Branche ihres
Unternehmens.
Literatur
Bastians, F. & Runde, B. (2002).
Instrumente zur Messung sozialer Kompetenzen. Zeitschrift
für Psychologie, 201, S. 186196.
Jerusalem, M. & Klein-Heßling, J.
(2002). Soziale Kompetenz.
Zeitschrift für Psychologie, 4,
S. 164-174.
Jugert, G., Rehder, A. , Notz, P. &
Petermann, F. (2007). Soziale
Kompetenz für Jugendliche.
Büdingen: Beltz Juventa.
Kanning, U. (2009). Diagnostik sozialer Kompetenzen. Göttingen: Hogrefe.
Drude, C. (2008). Geistes und Sozialwissenschaften. München:
Urban & Fischer Verlag.
Liebenow, D. (2012). Kompetenzmodell als Grundlage für ein
strukturiertes Kompetenzmanagement – eine Orientierungshilfe für Praktiker. HR
Consulting Review, 1, Berlin:
VQP
■
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Interview
mit Christian Reincke
Wie sind Sie auf das Thema Sozialkompetenz in der Auswahl aufmerksam geworden?
In fast allen Stellenausschreibungen wird davon ausgegangen,
dass man sozialkompetent ist: „Wir
wünschen uns Teamorientierung,
Kommunikationsstärke...“. Wirklich
abgefragt in der Auswahl wird das
aber ganz selten. Da ergab sich für
mich einfach eine Lücke zwischen
der Kommunikation und der tatsächlichen Abfrage. Das habe ich
geholt und deren Wertigkeit herausgearbeitet. Ich stelle fest, dass
für Bewerber in den letzten Jahren
bei der Auswahl die „sozialromantischen“ Aspekte wichtig sind, die
noch vor dem Gehalt stehen. Soziale Aspekte sind wichtiger geworden als früher, und von daher auch
eine gewisse Sozialkompetenz.
bisher in vier Firmen so erlebt. Es
gibt Statistiken, dass die meisten
Leute wegen des schlechten Miteinanders gehen, also wegen sozialer Aspekte. Von daher muss man
sich die Frage stellen, wie man diese sozialen Aspekte als Unternehmen bei der Auswahl mit einbringt.
deutet „geschult“ in diesem Fall?
Das bedeutet, dass ich die Vertreter
der Fachbereiche sehr klar über die
angewandten Methoden informiere,
worauf sie je nach Fragestellung
achten sollen. Ein Fachgruppenleiter muss (oder sollte) zum Beispiel
auch darauf achten, was er für eine
Rolle in seinem Team noch braucht,
sodass die Teamdynamik positiv ist.
Das ist vielen Führungskräften nicht
präsent. Die schauen nicht so genau auf die sozialen Kompetenzen.
Ich stelle in der Vorbereitung dem
Leiter beispielsweise Fragen zu
dem Team, führe sie in den strukturierten Beobachtungsbögen und
in das Verfahren ein, sodass man
gezielt beobachten kann, was und
wen man sucht.
Es heißt in Ihrem Artikel, dass
heute in den meisten Unternehmen Einstellungen nur mit Zustimmung des Personalbereichs
getätigt würden, früher deren
Meinung jedoch oft nicht berücksichtigt worden wäre. Was ist der
Grund für diese Entwicklung?
Die Leiter der Fachbereiche können im Interview bzw. Dialog meist
die Facheignung sehr gut erfragen.
Sie haben aber oftmals nicht die
Fähigkeit oder aber das Auge, die
menschliche Komponente zu erfragen. Da werden einfach ganz andere Fragen über Berechnungen oder
Formeln gestellt, aber keine sozialen Dinge wie Wohlfühlen am Arbeitsplatz. Für genau diese Fragen
hat man Personaler mit ins Boot
In Ihrem Artikel heißt es auch,
dass die Mitarbeiter „geschult“
in das Verfahren gehen. Was be-
sprechen, was man gesehen hat
und woran man Entscheidungen
festmacht, war eine Hürde. Außerdem ist jede Beobachtung, die man
tätigt, stark von der Tagesform abhängig, von der Tagesform des Beobachters und von dem, der beobachtet wird. So kann es sein, dass
Leute runtergestuft werden, wenn
man erst später im Nachgang über
die Teilnehmer diskutiert. Eine gute
Moderation bei der Evaluation ist
wichtig und dass die richtigen Fragen gestellt werden, sodass man
auch die versteckten Stellen von
den Teilnehmern noch mal beobachtet. Und es ist eminent wichtig,
dass jede Beobachtung, vollkommen gleichgültig welcher Beobachter sie gemacht hat, Bedeutung hat
und hinterfragt bzw. diskutiert wird.
■
Sehen Sie irgendwelche Schwierigkeiten, die das Modell mit sich
bringt?
Eine Schwierigkeit war zu Beginn
die Bereitschaft der Führungskräfte, sich in ein neues Terrain zu
begeben. Die Beobachtungen im
Nachgang zu diskutieren und be-
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Potenzialeinschätzungsverfahren in
der Praxis – Was bringen sie neben
der Identifikation von Potenzialträgern noch?
Simone Olbert1
1)
Bereichsleiterin Personalentwicklung, Aus- und Weiterbildung & Personalbetreuung, Lidl Stiftung & Co. KG
SCHLÜSSELWÖRTER: Potenzialanalyse, multimethodale Verfahren, diagnostische Instrumente
KURZFASSUNG: In Unternehmen werden unterschiedlichste diagnostische Instrumente zur Potenzialeinschätzung
eingesetzt. Multimethodale Verfahren sind eine zuverlässige und valide Möglichkeit, Potenzialträger zu identifizieren.
Daneben hat der Einsatz solcher Verfahren viele weitere – positive wie gegebenenfalls unerwünschte – Effekte, die
im Artikel aus Sicht der Organisation, der Führungskräfte, der potenziellen Teilnehmer und der Human Resources Abteilung diskutiert werden. Deutlich wird, dass Verfahren zur Potenzialanalyse auch eine kulturbildende Komponente
beinhalten und ihre vielfältigen Auswirkungen vor allem bei der Neueinführung zu bedenken sind.
1. Potenzialeinschätzung in der
Praxis
Verfahren zur Potenzialeinschätzung sind – in mannigfacher Ausgestaltung – gängige Praxis in Unternehmen. Die Zielsetzungen, mit
denen diese Verfahren zum Einsatz
kommen, variieren genauso stark
wie die Gestaltung der Verfahren.
So bilden Potenzialanalyseverfahren die Entscheidungsgrundlage,
um beispielsweise geeignete Bewerber1 auszuwählen, Mitarbeiter
zu befördern oder Nachwuchskräften Orientierung bezüglich der
Ausrichtung ihres künftigen beruflichen Weges und der persönlichen
Weiterentwicklung zu bieten. Vom
(unterschiedlich stark bzw. völlig
unstrukturierten) Interview über
Bei der Bezeichnung von Personengruppen wird im Folgenden die männliche Form
verwendet, diese steht stets für Männer und
Frauen.
1
verschiedenste Testverfahren und
Fragebögen bis hin zu AssessmentCenter-Verfahren oder Kombinationen dieser Instrumente findet sich
die komplette Bandbreite diagnostischer Verfahren zur Potenzialanalyse.
Die Forschungsergebnisse zur
Vorhersagekraft der verschiedenen
Verfahren mit Blick auf Berufserfolg (vgl. z. B. Becker et al., 2011;
Schmidt & Hunter, 1998) sprechen
für die Kombination mehrerer Instrumente im Sinne eines multimethodalen Ansatzes, also ein Verfahren, bei dem zum Beispiel ein
biographieorientiertes, strukturiertes Interview mit eigenschaftsorientierten Fragebögen und Testverfahren sowie simulationsorientierten
Assessment-Center-Übungen kombiniert wird.
In der Praxis verlassen sich aber
dennoch viele Unternehmen auf die
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wenig valide Variante unstrukturierter Interviews und scheuen vor
allem den Einsatz vorhersagekräftiger Leistungstests (vgl. Hell et al.,
2006; Nachtwei & Schermuly, 2009;
Schuler et al., 2007). Die Assessment-Center-Methode scheint sich
jedoch in Deutschland zunehmend
zu etablieren (vgl. Höft & Obermann, 2010).
2. Effekte von Potenzialeinschätzungsverfahren
Kommt ein multimethodales Verfahren zum Einsatz, so ergeben
sich neben der validen Identfikation
von Potenzialträgern viele weitere
Effekte, die im Folgenden aus vier
verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: Aus der Perspektive der Organisation, der Führungskräfte, der potenziellen Teilnehmer
und der Human Resources Abteilung.
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Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis
2.1. Perspektive der Organisation
Nachfolgend werden vier Facetten
von Potenzialeinschätzungsverfahren thematisiert, die sich eine Organisation bewusst zu Nutze machen kann: So können im Rahmen
eines Potenzialanalyseverfahrens
(a) Kompetenzen im Unternehmen
verankert werden, die für die Zukunftsfähigkeit besonders wichtig
sind, das Verfahren kann (b) als
Lernort für das mittlere und obere Management genutzt werden,
weiterhin können (c) bei den Beteiligten strategisch und operativ
wichtige Themen platziert und (d)
den Führungskräften gezielt sich
ändernde Anforderungen transparent gemacht bzw. die Fluktuation
ab einer bestimmten ManagementEbene gesteigert werden.
a) Platzierung strategisch wichtiger
Kompetenzen
Ausgangspunkt jedes Potenzialeinschätzungsverfahrens ist eine Anforderungsanalyse, in deren Zuge
unter anderem die Kompetenzen
definiert werden, die durch das
Verfahren abgebildet und erfasst
werden sollen. Idealerweise gibt
es bereits ein unternehmensweites
Kompetenzmodell, das zu Grunde
gelegt werden kann und in dem die
Organisation bereits für sie strategisch wichtige Kompetenzen festgelegt hat.
Ist dies nicht der Fall, muss durch
die Anforderungsanalyse herausgefiltert werden, welche Kompetenzen für die Zielgruppe des Verfahrens und die Zukunftsfähigkeit
des Unternehmens besonders
wichtig sind: Was müssen die künf-
tigen Führungskräfte2 oder andere
Inhaber von Schlüsselpositionen
mitbringen, um den Erfolg der Organisation in der Zukunft sicherzustellen?
Das Potenzialanalyseverfahren
stellt dann standardisiert für diese
Schlüsselpositionen sicher, dass
alle Mitarbeiter auf diesen Positionen die künftig wichtigen Kompetenzen besitzen und das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft
führen können. Entwickelt sich ein
Unternehmen beispielsweise zum
weltweit tätigen Konzern, wird die
interkulturelle Kompetenz künftig
maßgeblich an Bedeutung gewinnen; wurde diese Facette bisher bei
Beurteilungen und Potenzialeinschätzungen nicht beachtet, kann
sie nun in den Fokus gerückt und
für Schlüsselpositionen zu einem
maßgeblichen Bewertungskriterium
werden.
b) Das Potenzialeinschätzungsverfahren als Lernort
Bei standardisierten, multimethodalen Assessment-Center-Verfahren
(AC) zur Potenzialeinschätzung
fungieren in der Regel mittlere
und obere Führungskräfte als Beobachter. Für sie ist ein solches
Verfahren aus mehrerlei Hinsicht
ein „Lernort“ – für die Organisation
bietet das Verfahren also eine sehr
gute Gelegenheit, diese Zielgruppe
(die meist eher selten in Weiterbildungsmaßnahmen anzutreffen ist)
gezielt „on the job“ weiterzubilden.
So geht es in der Beobachterschulung im Rahmen eines ACs nicht
Potenzialeinschätzungsverfahren kommen
besonders häufig bei Nachwuchsführungskräften und Führungskräften zur Anwendung (vgl. Höft & Obermann, 2010).
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nur um die spezifischen Inhalte
des Verfahrens, sondern auch um
die – für jede Führungskraft auch
im Arbeitsalltag grundlegenden –
Themen „Beobachten“, „Beurteilen“, Fehler, die damit einhergehen,
und gegebenenfalls auch um das
Geben von Feedback. Die Beobachter/ Führungskräfte erhalten im
Rahmen des ACs die Möglichkeit,
sich in diesen Themen zu üben und
neue Anregungen für ihren Führungsalltag zu gewinnen.
Darüber hinaus bekommen die
Führungskräfte in der Diskussion
der einzelnen Beobachtungen und
Bewertungen mit den anderen Beobachtern direkte Rückmeldung zu
individuellen Tendenzen und Einstellungen, und haben so die Möglichkeit, den eigenen Bewertungsmaßstab zu „benchmarken“. Das
Unternehmen erreicht damit unter
anderem, dass ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab in der Organisation eingeführt und verankert wird;
externe Dienstleister, die ein AC
moderieren, oder auch HR-Verantwortliche, die viele Verfahren begleiten, können sicherstellen, dass
ein einheitlicher Maßstab über die
einzelnen Verfahren hinweg eingehalten wird.
c) Platzierung strategisch oder operativ wichtiger Themen
Im Rahmen eines ACs setzen sich
Teilnehmer wie Beobachter in den
verschiedenen Elementen auch inhaltlich mit Themen auseinander.
Dies bietet der Organisation bei
internen Verfahren die Möglichkeit,
Themen zu platzieren, die für sie
strategisch oder auch aktuell operativ von Bedeutung sind. So könn-
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Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis
te beispielsweise ein Unternehmen,
dessen Fluktuation sehr hoch ist,
genau dieses Problem zum Thema machen (beispielsweise im
Rahmen einer Präsentation oder
Gruppendiskussion), um dafür zu
sorgen, dass sich Teilnehmer und
Beobachter gedanklich damit auseinandersetzen.
Gegebenenfalls
können aus den Ideen der Teilnehmer auch Lösungsansätze für die
Organisation abgeleitet werden.
d) Schaffung von Transparenz bezüglich geänderter Anforderungen
bzw. gezielte Steigerung der Fluktuation ab einer bestimmten Management-Ebene
Je nach strategischer Ausrichtung
und „Lebensphase“ der Organisation (z. B. Wachstums-, Maturitätsphase; vgl. Hanks et al., 1993),
kann es für ein Unternehmen sinnvoll sein, auf einer bestimmten
Management-Ebene für erhöhte
Fluktuation zu sorgen bzw. den bestehenden Führungskräften Transparenz bezüglich der sich ändernden Anforderungen zu gewähren.
Denkbar ist dies beispielsweise
nach einer starken Wachstumsphase, wenn im Unternehmen in der
Konsolidierungs-/ Maturitätsphase
andere „Managertypen“ mit anderen Eigenschaften und Stärken
gefragt sind: Während bei starkem
Unternehmenswachstum im Fokus steht, das Produktions-/ Distributionsvolumen zu erhöhen, die
Geschäftskapazitäten zu erweitern
und Marktanteile zu gewinnen, geht
es in der Konsolidierungs- oder Maturitätsphase im Schwerpunkt um
die Gewinnmaximierung und damit
um erhöhte Effizienz und Profitabi-
lität, um Prozessoptimierung, Standardisierung, Ausgaben- und Kostenkontrolle. Dass für diese sehr
unterschiedlichen Geschäftsaufgaben auch unterschiedliche Eigenschaften im Management gefordert
sind, liegt auf der Hand.
Durch die Einführung eines standardisierten Potenzialanalyseverfahrens können in transparenter
Art und Weise zwei Effekte erzielt
werden: 1) Führungskräfte, welche
die künftig erfolgskritischen Eigenschaften, Stärken und Kompetenzen besitzen, können in Schlüsselpositionen gebracht werden;
lung und Förderung von Mitarbeitern
Aus Sicht der Führungskraft bedeutet die Einführung eines Potenzialeinschätzungsverfahrens
in der Regel die Abgabe von Entscheidungsautonomie – wo bisher
die Führungskraft selbst (oder gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten)
Besetzungs- und Beförderungsentscheidungen
getroffen
und
über die Weiterentwicklung eines
Mitarbeiters entschieden hat, tritt
nun ein Verfahren in Kraft, bei dem
andere Personen über die Zukunft
des eigenen Mitarbeiters (mit-)ent-
2) den bestehenden Führungskräften können die geänderten
Anforderungen vor Augen geführt
werden, und sie erhalten ein klares Feedback, ob und inwiefern sie
auch künftig in der Organisation erfolgreich sein werden bzw. welche
persönlichen Entwicklungsschritte
nötig sind, um auch bei geänderten
Anforderungen erfolgreich zu bleiben.
scheiden. Damit verändert sich die
Aufgabe der Führungskraft in der
Weiterentwicklung und Förderung
der eigenen Mitarbeiter. Es geht
nicht mehr nur darum, die Mitarbeiter für den eigenen Bereich „auszubilden“, sondern jeden Einzelnen so
zu fördern, dass er in einem Verfahren mit bereichsunabhängigen/ un­
ternehmensweiten Anforderungen
bestehen kann.
Ein weiterer Effekt eines Potenzialanalyseverfahrens ist auch, dass
die Führungskräfte als Beobachter
Potenzialträger anderer Bereiche
kennenlernen und der „Austausch“
von Mitarbeitern über Bereichsgrenzen hinweg unterstützt wird.
2.2. Perspektive der Führungskräfte
Durch Potenzialeinschätzungsverfahren verändert sich (a) die Aufgabe der Führungskräfte hinsichtlich
der Entwicklung und Förderung von
Mitarbeitern: Es wird eine bereichsübergreifende Perspektive eingefordert. Die Führungskräfte werden
(b) aber auch vor die Herausforderung gestellt, ein negatives Ergebnis des Verfahrens – gemeinsam
mit ihrem Mitarbeiter – zu verarbeiten und wieder zum Positiven zu
wenden („Verlierer-Problematik“).
a) Bereichsunabhängige Entwick-
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b) Verlierer-Problematik
In der Regel werden nicht alle Teilnehmer eines Potenzialeinschätzungsverfahrens als Potenzialträger bestätigt. Diese sogenannte
„Verlierer-Problematik“ ist bei einem unternehmensinternen Verfahren nicht zu unterschätzen.
Für die Führungskraft geht die
Empfehlung eines Mitarbeiters für
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Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis
die Teilnahme an einem Potenzialeinschätzungsverfahren mit einem hohen Risiko einher:
Verlässt der Mitarbeiter, der bisher ein Leistungsträger der Abteilung war und dem die Führungskraft
Potenzial für weitere Karriereschritte bescheinigt hat, das Verfahren
mit einem negativen Ergebnis, so
kommt in der Regel ein deutlich demotivierter Mitarbeiter zurück. Die
Führungskraft hat nun die Aufgabe, den Misserfolg gemeinsam mit
dem Mitarbeiter aufzuarbeiten, ihn
zur alten Motivation zurückzuführen
und gemeinsam neue Perspektiven
zu erarbeiten.
Gleichzeitig ist das Scheitern des
Mitarbeiters aber auch eine negative Rückmeldung an die Führungskraft selbst (vorausgesetzt, dass
die Führungskraft voll und ganz von
der Empfehlung des Mitarbeiters
überzeugt war): Die Potenzialträger
des Bereichs können im unternehmensweiten Vergleich nicht bestehen; das heißt, dass die Führungskraft sich entweder im Vorfeld nicht
hinreichend mit den Anforderungen
des Verfahrens auseinander gesetzt hat, oder sie einen zu geringen
Maßstab in ihrer Beurteilung von
Leistung und Potenzial anlegt, oder
dass die Führungskraft den Mitarbeitern zu wenig Unterstützung in
der Vorbereitung auf das Verfahren
bzw. eine neue Rolle/ Aufgabe zukommen lässt.
2.3. Perspektive der potenziellen
Teilnehmer
Inwiefern Potenzialeinschätzungsverfahren Akzeptanz im Unternehmen finden, hängt von verschiedenen Faktoren ab (a). Ein in jedem
Fall positiver Effekt der Verfahren
ist eine bewusstere Auseinandersetzung der Teilnehmer mit den
Anforderungen der angestrebten
Position/ Funktion (b).
a) Akzeptanz von Potenzialanalyseverfahren
Wie Mitarbeiter bzw. potenzielle
Teilnehmer von Potenzialanalyseverfahren die Einführung eines solchen Verfahrens erleben und inwiefern diese Instrumente Akzeptanz
finden, hängt – wie in jedem Veränderungsprozess – maßgeblich von
der Kommunikation und Transparenz ab.
Wichtig ist es, die Führungskräfte
von der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu überzeugen und sie damit
als positiv verstärkendes Sprachrohr zu nutzen. Genauso muss allerdings die Kommunikation mit den
„betroffenen“ Mitarbeitern gezielt
gesteuert werden. Sie müssen detailliert über die Gründe für die Einführung, das Verfahren selbst, die
gestellten Anforderungen und vor
allem auch den Prozess nach dem
Verfahren aufgeklärt werden. Was
mit den „Gewinnern“ und „Verlierern“ nach der Teilnahme passiert,
ist die Visitenkarte des Verfahrens
und damit maßgeblich für die Akzeptanz im Unternehmen.
Studien haben zwar auch gezeigt,
dass die individuelle Einschätzung
der Erfolgswahrscheinlichkeit im
Sinne einer selbstwertdienlichen
Attribution bei Verfahrensteilnehmern eine hohe Auswirkungen auf
die Akzeptanz hat (vgl. Kersting,
2010), jedoch sollte dies für die
Verfahrensverantwortlichen
nur
ein weiterer Grund sein, für hohe
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Transparenz und einen gezielt gesteuerten Prozess im Nachgang
zum Verfahren zu sorgen. Teilnehmer, Vorgesetzte und HR sollten in
regelmäßigem Austausch über das
weitere Vorgehen und die weitere
individuelle Entwicklung bleiben.
b) Bewusste Auseinandersetzung
mit Anforderungen
Ein äußerst positiver Effekt von
Potenzialeinschätzungsverfahren
auf Seiten der potenziellen Teilnehmer ist die deutlich bewusstere und gezieltere Auseinandersetzung mit den Anforderungen, die
im Verfahren an die Teilnehmer
angelegt werden, aber vor allem
auch jenen Anforderungen, die mit
der angestrebten Position/ Funktion/ Aufgabe einhergehen. Die Eingangshürde wird erhöht, gezieltes
Engagement und Selbstreflexion
werden deutlich gefördert und auch
Selbstselektionseffekte sind zu beobachten.
2.4. Perspektive Human Resources
HR-Abteilungen haben sicher ein
maßgebliches Interesse an der
Durchführung möglichst objektiver
und valider Verfahren zur Personalauswahl und Potenzialeinschätzung, um den Personalbedarf im
Unternehmen nachhaltig zu decken. Schaut man auf die Personalentwicklung, bieten Potenzialanalysen der HR-Abteilung zwei Vorteile:
a) eine Möglichkeit zur Steigerung
der Qualität von Beobachtung und
Beurteilung bei Führungskräften
und b) einen Überblick über Entwicklungsbedarfe im Unternehmen.
55
Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis
a) Steigerung der Qualität von Beobachtung und Beurteilung
Die Qualität von Verfahren zur Potenzialeinschätzung steht und fällt
u. a. mit der Qualifikation der Beobachter/ Beurteiler, weshalb auch
für die Verantwortlichen im Personalbereich die Möglichkeit, das
Potenzialeinschätzungsverfahren
als Lernort für das Management zu
nutzen von Bedeutung ist. Die unter
2.1. genannte Möglichkeit, mittlere
und obere Führungskräfte zu den
Themen „Beobachten“, „Beurteilen“
und „Feedback geben“ weiterzubilden, und für einen einheitlichen
Bewertungsmaßstab im Unternehmen zu sorgen, hat aus Sicht der
HR-Abteilung aber auch über das
Verfahren hinaus positive Auswirkungen, wie zum Beispiel eine erhöhte Qualität bei regelmäßigen
Leistungsbeurteilungen und Personalauswahlverfahren.
b) Identifikation von Entwicklungsbedarfen
Für HR-Verantwortliche bieten
standardisierte Verfahren aber
auch die Chance, Entwicklungsfelder zu identifizieren, die über das
Individuum oder einen spezifischen
Bereich hinausgehen und für die
Organisation als Ganzes symptomatisch sind. So können für bestimmte Zielgruppen spezifische
Trainingsbedarfe und -inhalte abgeleitet und entsprechende Curricula
implementiert werden.
3. Fazit
Potenzialeinschätzungsverfahren
haben neben ihrem originären Ziel,
geeignete Personen auszuwählen
bzw. Potenzialträger zu identifi-
zieren, viele weitere positive wie
auch möglicherweise unerwünschte Effekte in einer Organisation. Sie
sind ein kulturbildendes Instrument,
dessen Auswirkungen vor allem bei
der Einführung in einem Unternehmen, das bislang ohne standardisierte Verfahren Mitarbeiter ausgewählt oder befördert hat, nicht zu
unterschätzen sind. Wie bei allen
Veränderungsprozessen gilt auch
in einem solchen Fall, dass eine
möglichst hohe Transparenz und
frühzeitige Kommunikation mit allen
Betroffenen und Beteiligten forciert
werden sollte.
4. Literatur
Becker, N., Höft, S., Holzenkamp,
M. & Spinath, F.M. (2001).
The Predictive Validity of Assessment Centers in GermanSpeaking Regions. A MetaAnalysis. Journal of Personnel
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Der Praxiseinsatz von Assessment Centern im deutschsprachigen Raum: Eine zeitliche
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den
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kommt an und worauf kommt
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Schuler, H., Hell, B., Trapmann, S.,
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Verfahren der externen Personalauswahl in deutschen Unternehmen. Ein Vergleich über
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►Xing-Profil der Autorin
■
56
Interview
mit Simone Olbert
Was ist der Vorteil eines multimethodalen Verfahrens bei der Potenzialeinschätzung?
Die Forschungsergebnisse zur
Vorhersagekraft sprechen klar für
einen multimethodalen Ansatz. Validere Auswahlentscheidungen minimieren das Risiko einer Falschaussage und damit schlussendlich
auch die Kosten eines Potentialeinschätzungsverfahrens.
Warum sind in der Praxis wenig
valide Instrumente (z. B. unstrukturiertes Interview) immer noch
weit verbreitet?
Dass wenig valide Instrumente immer noch eingesetzt werden, liegt
meiner Meinung nach häufig entweder an mangelndem Wissen um
bessere Alternativen oder zu geringem Vertrauen in andere Methoden
und Veränderungswiderstand in
der Organisation („Das haben wir
schon immer so gemacht und es
hat gut funktioniert“) oder aber an
einer nicht hinreichend umfassenden Betrachtung der Vorteile von
Instrumenten mit höherer Vorhersagekraft (Methoden wie ein unstrukturiertes Interview sind auf den
ersten Blick mit weniger Aufwand in
der Vorbereitung und Umsetzung
verbunden; übersehen wird dabei
jedoch häufig, dass der Aufwand,
der mit einer Falschentscheidung
einhergeht, deutlich höher ist).
Was sollte bei der Einführung eines Potenzialeinschätzungsverfahrens beachtet werden, damit
die genannten Vorteile auch rea-
lisiert werden?
Zum einen ist es wichtig, dass die
eingesetzten Verfahren eine hohe
Qualität aufweisen. Die Unterstützung durch Experten bei der Anforderungsanalyse, Ausgestaltung
der Instrumente, Durchführung und
Nachbereitung eines Potentialeinschätzungsverfahrens ist ratsam.
Zum anderen ist die Kommunikation bzw. ein gutes Change Management bei Einführung einer neuen
Methodik essentiell. Betroffen sind
nicht nur jene Personengruppen,
die als Teilnehmer das Verfahren
durchlaufen, sondern ebenso deren Vorgesetzte und/oder Führungskräfte, die bisher am Entscheidungsprozess beteiligt waren.
Wenn nicht alle direkt und indirekt
Betroffenen in den Veränderungsprozess integriert und Widerstände
nicht proaktiv abgebaut werden,
kann am Ende auch das Verfahren
seine Vorteile nicht entfalten.
ter neue Ziele zu erarbeiten.
Rechtfertigt der Nutzen dieser
Verfahren den hohen Aufwand,
der damit verbunden ist?
Ja, in jedem Fall. Die Folgekosten
einer Fehlentscheidung sind für das
Unternehmen deutlich höher als die
Kosten für den erhöhten Aufwand
in Vorbereitung und Durchführung
eines valideren Instruments.
■
Welche „unerwünschten Effekte“
bringen derartige Verfahren mit
sich?
Der maßgebliche unerwünschte
Effekt ist bei einem internen Potenzialeinschätzungsverfahren die
sogenannte Verliererproblematik.
Wenn ein Mitarbeiter ein Potentialeinschätzungsverfahren
nicht
mit dem erwünschten Ergebnis
durchläuft, führt dies in der Regel
zunächst zu Frustration und Demotivation. Für die Führungskraft ist es
in der Folge eine Herausforderung,
diese Demotivation aufzufangen
und gemeinsam mit dem Mitarbei-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
57
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich!
Oliver Flohr1
Allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters und Leiter Personal und Organisation, Gemeinde Lindlar (22.000 Einwohner, NRW)
1)
SCHLÜSSELWÖRTER: Personalentwicklung, Betriebliche Gesundheitsförderung, Employee-Assistance-Program
KURZFASSUNG: Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource jedes Unternehmens. Die Belegschaft wird aufgrund des
gestiegenen Renteneintrittsalters älter, die Fachkräftegewinnung wird aufgrund des demografischen Wandels und
des daraus resultierenden Wettbewerbs für Unternehmen schwieriger. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten wandeln
sich. Megatrends, Arbeitsbedingungen, Lebensstile, veränderte Anforderungen durch neue Arbeitsbedingungen wirken sich auf die Mitarbeiter direkt aus. Die stetige Verbesserung bzw. der Erhalt der Zufriedenheit, Motivation, Leistung, Identifikation, Gesundheit und Engagement dieser Ressource muss Chefsache sein bzw. werden. Mit Hilfe von
Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) lässt sich der ökonomische Erfolg sichern.
1. Die Ressource Mitarbeiter
In einer sich ständig verändernden
Arbeitswelt bilden die Mitarbeiter
die wichtigste Ressource bzw. das
wichtigste Leistungspotenzial eines Unternehmens. Motivierte und
leistungsbereite Mitarbeiter sichern
einen nachhaltigen Unternehmenserfolg. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) kümmert
sich um die wichtigste Ressource.
Insbesondere die Unternehmensleitung muss mit gutem Beispiel vorangehen, als Vorbild fungieren und
die Führungskräfte im Betrieblichen
Gesundheitsmanagement einbinden. Eine gesunde Struktur im Unternehmen muss top-down gelebt
werden. Denn die Gesundheit und
somit die gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung im Unternehmen
sind ein wesentlicher Baustein für
den Erfolg des Unternehmens.
Dieses gilt nicht nur für die freie
trends (z. B. technischer, politischer
und kultureller Wandel; Beschleunigung der Prozesse), veränderte
Belastungen durch neue Arbeitsbedingungen, veränderte Lebensstile und veränderte Anforderungen
durch neue Arbeitsbedingungen,
wie Arbeitsmenge, Zeitdruck, Entgrenzung der Arbeit, Kommunikationserfordernisse, nicht halt. Hinzu kommt, dass die Fehlzeiten im
öffentlichen Dienst regelmäßig im
Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen stehen.
2. Fehlzeiten im öffentlichen
Dienst 2010
Der Krankenstand im Jahr 2010 betrug 4,8 % im Bundesdurchschnitt
(AOK-Versicherte),
durchschnittlich waren die Arbeitnehmer 17,6
Kalendertage
krankgeschrieben.
Der Krankenstand in der Branche
„öffentliche Verwaltung und Sozi-
5,9 % den zweiten Platz und liegt
insgesamt über dem Durchschnitt.
In NRW liegt der Krankenstand
in der öffentlichen Verwaltung bei
6,1 % und ist somit überdurchschnittlich in Relation zum übrigen
öffentlichen Dienst.
Positiv zu bewerten ist, dass sich
der Krankenstand in der öffentlichen Verwaltung von 6,9 % (1994)
auf 5,5 % (2010) gesenkt hat. Auch
die Tage je Arbeitsunfähigkeit-Fall
(AU-Fall) sind im gleichen Zeitraum von 15,9 auf 12,0 gesunken.
Zunächst wird vermutet, dass u. a.
die Unkündbarkeit der Mitarbeiter
in der öffentlichen Verwaltung zur
überdurchschnittlichen krankheitsbedingten Fehlzeiten führt. Es ist
aber zu berücksichtigen, dass der
öffentliche Dienst seiner gesetzlichen Verpflichtung (u. a. § 82 SGB
IX) zur Beschäftigung von Schwerbehinderten stärker nachkommt
Wirtschaft sondern auch für den
öffentlichen Dienst. Denn auch im
öffentlichen Dienst machen Mega-
alversicherung“ betrug 5,5 % und
belegt nach der Branche „Energie /
Wasser / Entsorgung / Bergbau“ mit
als andere Branchen. Der Anteil
erwerbstätiger
Schwerbehinderter liegt im öffentlichen Dienst um
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
58
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich!
etwa 50 % höher als in anderen
Branchen (6,6 % der Beschäftigten
in der öffentlichen Verwaltung gegenüber 4,2 %). Die Hans-BöcklerStiftung hat in einer Studie festgestellt, dass die gegenüber anderen
Beschäftigungsbereichen höhere
Zahl von Arbeitsunfähigkeitsfällen im öffentlichen Dienst etwa zur
Hälfte auf den erhöhten Anteil an
schwerbehinderten Arbeitnehmern
zurückzuführen ist. Des Weiteren
muss aber auch berücksichtigt
werden, dass ein großer Anteil der
AOK-Mitglieder in der öffentlichen
Verwaltung im gewerblichen Bereich, wie Straßenbau, Straßenreinigung etc. tätig sind und somit körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten
bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen ausführen. Weiterhin
weist die AOK-Mitgliederstruktur in
der öffentlichen Verwaltung eine im
Vergleich zur freien Wirtschaft ungünstige Alterstruktur auf, die zum
Teil für die erhöhten Krankenstände
mitverantwortlich ist. Diese Rahmenbedingungen werden in der
öffentlichen Diskussion nicht genannt.
3. Krankheitsarten in der öffentlichen Verwaltung
Zu betrachten ist jedoch nicht nur
der Krankenstand an sich, sondern auch die Krankheitsart, um
gezielte Maßnahmen im Rahmen
des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu implementieren. Die
Entwicklung der psychischen Erkrankungen, insbesondere der von
„Burn-Out“ spielt in der heutigen Arbeitswelt eine immer stärkere Rolle. Psychische Erkrankungen treten
überdurchschnittlich im öffentlichen
Dienst auf. „Psychische Erkrankungen haben sich zu einer gravierenden finanziellen Belastung für
Wirtschaft und Sozialversicherung
entwickelt“, stellt BPtK-Präsident
Professor Rainer Richter fest. Zwischen 2004 und 2010 haben sich
die AU-Tage aufgrund von BurnOut bei den AOK-Versicherten um
das Neunfache erhöht. Bei der näheren Betrachtung zeigt sich, dass
Frauen deutlich stärker betroffen
sind: Sie sind mehr als doppelt so
lange krankgeschrieben wie Männer. Auch mit zunehmendem Alter
steigt das Risiko einer Krankmeldung infolge eines Burn-Outs.
4. Was bedeutet BGM?
Der führende deutsche Wissenschaftler auf dem Gebiet, Prof. Dr.
Badura, definiert Betriebliches Gesundheitsmanagement als die Entwicklung betrieblicher Rahmenbedingungen, betrieblicher Strukturen
und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit
und Organisation und die Befähigung zum gesundheitsfördernden
Verhalten der Mitarbeiter zum Ziel
haben. Das BGM lässt sich in drei
Teilbereiche untergliedern:
A. Arbeits- und Gesundheitsschutz
B. Betriebliche Gesundheitsförderung
C. Betriebliches Eingliederungsmanagement
5. Maßnahmen am Beispiel einer
Kommunalverwaltung
Vielfach wird diskutiert, ob sich
der Invest lohnt, wann der Return
on Invest (ROI) (Kosten-NutzenVerhältnis) für das „Sozialkapital
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Mensch“ erreicht wird. Hierzu gibt
es verschiedene wissenschaftliche
Studien. Jedoch spielen nicht nur
monetäre Faktoren eine Rolle. Die
folgenden Vorteile eines BGM überzeugten die Kommunalpolitik trotz
knapper finanzieller Ressourcen in
den Prozess zu investieren:
Bei den Mitarbeitern kann die
Arbeitszufriedenheit, Leistungsfähigkeit, Einsatzbereitschaft und die
Identifikation steigen, wogegen die
Kosten durch geringere Fehlzeiten,
Unfälle und Fluktuation gesenkt
werden können.
Mithilfe des Budgets konnten die
folgenden Maßnahmen durchgeführt werden, wobei der gesamte Prozeß zur Chefsache erklärt
wurde. Einzelmaßnahmen wurden
systematisch
zusammengeführt.
Sporadische
Einzelmaßnahmen
bringen wenig oder nur kurzfristig
Erfolg. Eine systematische und somit auch nachhaltige Etablierung im
Unternehmen sichert den Erfolg.
5.1. Mitarbeiterumfrage
Mit Hilfe eines externen Dienstleisters wurde für die 120 Mitarbeiter
eine Mitabeiterumfrage durchgeführt. Die Umfrage wurde gemeinsam durch den Personalrat und
die Behördenleitung begleitet. Die
Umfrage ist ein wesentliches Instrument für eine systematische
Stärken- und Schwächenanalyse
des Unternehmens. Mitarbeiter bekommen die Möglichkeit, das Unternehmen aus ihrer Sicht in Bezug
auf Betriebsklima, Führungsstil und
Verantwortung zu bewerten. Unternehmen erhalten über die Analyse
die Möglichkeit, gezielte Maßnahmen der Gesundheitsförderung ge-
59
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich!
meinsam mit Interessenvertretungen, Mitarbeitern und Externen in
einer Projektgruppe zu entwickeln.
Das Ziel der Befragung bestand
darin, ein Stimmungsbild aus der
Belegschaft zu erhalten und Optimierungspunkte aus Sicht der Belegschaft zu ermitteln. Insbesondere wurde das Modul „Führung“
abgefragt, so dass eine anonyme
Rückmeldung zur Wahrnehmung
der Führungsaufgaben und Beziehung erfolgen kann. Die Ergebnisse
wurden im Rahmen einer Personalversammlung durch den externen
Dienstleister vorgestellt und die
festgestellten
Verbesserungspotenziale wurden und werden umgesetzt, denn eine Umfrage weckt
auch Ansprüche in der Belegschaft.
5.2. Schulung der Führungskräfte
Die Führungskräfte haben eine
Doppelrolle. Zum einen tragen sie
Verantwortung für ihre Mitarbeiter
und zum anderen sind sie selbst
Belastungen und Beanspruchungen ausgesetzt. Die Führungskräfte haben Verantwortung für
die Gesundheit und Leistungen
ihrer Mitarbeiter wie auch für sich
selbst. Die Führungskräfte wurden in Workshops zu Themen wie
Kommunikation,
Führungsstile,
Konfliktmanagement, Resilienz und
Suchtprobleme in der Arbeitswelt
geschult. Ergänzt wird dieses durch
Einzel- oder Gruppencoaching.
5.3. Employee-Assistance-Program (EAP)
Ergänzt wird die betriebliche Gesundheitsförderung durch einen
elementaren Baustein, dem soge-
nannten EAP-Modell. In schwierigen beruflichen und/oder privaten
Situationen (z. B. Stress, Konflikte,
emotionale Belastungen, finanzielle Schwierigkeiten, Abhängigkeitsgefährdungen und -erkrankungen,
schwere/chronische Erkrankungen)
können sich die Mitarbeiter an einen externen Sozialberater wenden. Dieser steht sowohl den Mitarbeitern als auch deren Angehörigen
telefonisch oder persönlich kostenlos zur Verfügung und unterliegt
dem gesetzlichen Datenschutz.
Die Kosten übernimmt hierfür der
Arbeitgeber. Der Tätigkeitsbericht
zeigt dem Arbeitgeber auf, in welchen Bereichen er noch Optimierungspotenzial hat.
5.4. Betriebliches Eingliedrungsmanagement
Im Mai 2004 wurden die Vorschriften zur Prävention in § 84 SGB IX
erweitert und das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) als
gesetzliche Regelung eingeführt (§
84 Abs. 2). Sein Ziel ist es, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen
und den Arbeitsplatz des betroffenen Mitarbeiters zu erhalten. Dieses ist durchzuführen, wenn ein
Mitarbeiter innerhalb eines Jahres
länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Es gilt für alle Beschäftigte - egal, ob behindert oder
nicht behindert. Im Rahmen einer
Personalversammlung als auch
im Führungskreis wurde das BEM
vorgestellt (Gesetzliche Grundlage,
Verfahren, Möglichkeiten). In der
Praxis zeigt sich, dass das BEM
angenommen wird. Je nach Bedarf
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
werden z. B. auch Betriebsärzte,
Fachärzte, Integrationsfachdienst
eingebunden.
5.5. Weitere Maßnahmen
Des Weiteren wurde mit einer privaten Krankenversicherung eine
Gruppenversicherung abgeschlossen, Bioobst in den Teeküchen
angeboten sowie Laufrunden (Vorbereitung für alle Leisstufen auf
den Ortskernlauf „Lindlar läuft“)
bzw. eine „bewegte Mittagspause“
(Dehn-, Lockerungs- und Entspannungsübungen) angeboten.
6. Ergebnis
Bereits nach einem Jahr zeigten
sich erste positive Ergebnisse.
Der Krankenstand sank um 2,5 %.
Aber der Indikator Krankenstand
ist nicht der maßgebliche Faktor,
obwohl dieser bewiesen hat, dass
sich das BGM wirtschaftlich gelohnt
hat. Vielmehr sind es die „weichen“,
teilweise nicht messbaren Indikatoren. Innerbetriebliche Rückmeldungen haben Verbesserungen
des Betriebsklimas, der Arbeitszufriedenheit, der innerbetrieblichen
Kommunikation und der Motivation
trotz weiter zunehmender Arbeitsverdichtung gezeigt. Die Mitarbeiter
merken, dass sich der Arbeitgeber
auch für sie interessiert und in die
Belegschaft investiert. Das BGM
wird als wertschätzend empfunden.
Auch das Verständnis auf allen Hierarchieebenen für die Situation, die
Probleme, die Belastungen ist gestiegen. In Vorstellungsgesprächen
werden die Bewerber aktiv auf die
Maßnahmen hingewiesen, so dass
sich das Unternehmen als Marke
auf dem Markt hervorheben kann
60
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich!
und somit an Attraktivität gewinnt.
Festzuhalten ist: Betriebliches Gesundheitsmanagement lohnt sich!
7. Literatur
Meyer, M., Stallauke, M. & Weirauch, H. (2011). Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der
deutschen Wirtschaft im Jahr
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H. Schröder, J. Klose, K. Macco (Hrsg.), Fehlzeiten-Report
2011, Führung und Gesundheit (S. 223-268). Heidelberg:
Springer
heitsmanagement
verringert
die negativen Folgen. Personalmagazin, 6, S. 12-15.
►Xing-Profil des Autors
■
BAD GmbH (2012). Seminar Unternehmer im Gespräch: Betriebliches
Gesundheitsmanagement – Sozialromantik
oder Produktivitätssteigerung?
Erfurt und Jena.
Badura, B., Schröder, H. & Vetter,
C. (2008). Fehlzeiten-Report
2008, Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und
Nutzen. Heidelberg: Springer.
Badura, B. & Hehlmann, T. (2003):
Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden
Organisation. Berlin und Heidelberg: Springer.
Deutsches Institut für Normung e.V.
(2012). DIN SPEC 91020 –
Betriebliches Gesundheitsmanagement.
Enderle, K. & Schmitt, K. (2011).
Unternehmen im Stresstest –
Die psychischen Belastungen
bei Mitarbeitern steigen. Ein
strategisch geführtes Gesund-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
61
Interview
mit Oliver Flohr
BGM ist ja ein breites Feld. Was
Sind Ihrer Meinung nach die
Grundpfeiler des Betrieblichen
Gesundheitsmanagements?
Es ist wichtig, dass der Mitarbeiter
als Mensch im Mittelpunkt steht.
Dann sollte man systematisch vorgehen und daraus einen richtigen
Prozess entwickeln, anstatt nur
Einzelmaßnahmen
einzuführen.
Dabei sollten ein systematischer
Aufbau, Arbeitsschutz, Betriebliche
Gesundheitsförderung und Betriebliches Eingliederungsmanagement
beachtet werden. Außerdem muss
die Unternehmensleitung das mittragen. Sie sollte davon überzeugt
sein, dass BGM wirklich sinnvoll
und nicht nur ein moderner Trend
ist. Eine Mitarbeiterumfrage kann
helfen, die Fakten „schwarz auf
weiß“ zu generieren, um so eine
Ist-Aufnahme zu erstellen.
Warum ist es gerade heute so
wichtig?
Ein Grund ist die Arbeitsplatzverdichtung. Man hat weniger Personal
als früher, sodass man Krankheitsfälle nicht so leicht kompensieren
kann. Auch der Demografische
Wandel führt dazu, dass auf dem
Arbeitsmarkt immer weniger qualifiziertes Personal zur Verfügung
steht, sodass man als Unternehmen im Wettbewerb um die besten
Mitarbeiter steht. Das BGM ist ein
wichtiger Faktor, um sich unter all
den Unternehmen hervorzuheben.
Wie sahen die Workshops für die
Führungskräfte genau aus?
Wir hatten mit einer externen Beraterin Seminare zu Themen wie Mitarbeiterkommunikation, Resilienz,
u. v. m. durchgeführt, um deren Priorität hervorzuheben. Die meisten
Probleme sind reine Kommunikationsprobleme. Generell sollten bei
Workshops auch die Führungskräfte zur Teamarbeit zusammenkommen, damit sie als Vorbild für die
Mitarbeiter fungieren können. Man
hat danach deutlich gemerkt, dass
ein Umdenken in die richtige Richtung stattgefunden hat. Also in dem
Sinne, dass gute Mitarbeiterführung mit regelmäßiger Kommunikation, Transparenz und Wertschätzung sehr wichtig sind. Allgemein
muss man bei der Führungskräfteauswahl immer die soziale Kompetenz betrachten, denn fachlich kann
man sich in Seminaren fortbilden,
aber Führungsprobleme auf sozialer Ebene kosten viel Zeit, Geld und
Kraft, was sich langfristig bemerkbar macht. Die soziale Kompetenz
sollte schon bei den Auszubildenden gefördert werden.
Wie viel Aufwand steckte in dem
Prozess, diese Erneuerungen zu
etablieren?
Der Aufwand ist am Anfang hoch.
Man muss viel Überzeugungsarbeit
leisten bei den Führungskräften, Interessenvertretungen, Mitarbeitern,
in meinem Fall auch in der Politik
aufgrund der damit einhergehenden Kosten. Man sollte mit erheblichen Widerständen umgehen
können und ständig versuchen, die
Leute zu überzeugen. Wir beziehen
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
die Mitarbeiter mit ein, denn der
Prozess soll wirklich „gelebt“ und
nicht nur in einem Ordner abgeheftet werden. Dafür muss man die
Leute mit Transparenz und guter
Kommunikation mitnehmen. Jeden
kriegt man auch nicht überzeugt.
Manche haben Ängste, trauen der
Sache nicht und blocken direkt ab.
Für eine höhere Durchsetzungskraft sollte das BGM direkt auf der
Leitungsebene angesiedelt werden.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Mitarbeitern im
Alltag?
Fast ausschließlich nur positive
Rückmeldungen. Die zwischenmenschliche Ebene hat sich deutlich verbessert. Die Mitarbeiter freuen sich regelrecht darüber, dass
man solche Angebote macht. Vor
allem die, die schwerkrank sind,
sind froh, dass sie Unterstützung
vom Arbeitgeber bekommen. Die
Mitarbeiter vertrauen einem. Ich
konnte den Krankenstand innerhalb
von drei Jahren auf 50 % reduzieren und eine Prämie von 10.000
Euro einholen. Das ist schon super
und motiviert alle.
■
62
Kompetenzbasiertes Matching im
Mentoring
Sabine Nitsche1 & Ljerka Heinecke-Cuvaj1
1)
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)
SCHLÜSSELWÖRTER: Mentoring, Matching, kompetenzbasierte Personalentwicklung
KURZFASSUNG: Das Matching der Mentoren und Mentess hat eine zentrale Rolle im Mentoringprozess und ist
ausschlaggebend für den Mentoringerfolg. In der bisherigen Matching-Praxis wird jedoch überwiegend nach Sympathie-Kriterien vorgegangen und ein systematischer Matchingansatz, in dem die Tandems nach ihren Stärken und
Entwicklungsbedarfen gematcht werden, fehlt bisher ganz. In diesem Artikel wird von daher eine innovative Form
des Matchings vorgestellt, welche die individuellen Kompetenzprofile der Beteiligten erhebt und miteinander abgleicht. Die Tandems werden somit systematisch nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip anhand der Stärken (Angebote) und Entwicklungspotenziale (Bedarf) zusammengebracht. Das kompetenzbasierte Passungsverhältnis der Paare
gewährleistet, dass die geforderten Kompetenzen der Mentoren auch auf die aktuellen Bedürfnisse der Mentees
passen.
Mentoring gewinnt als feedbackbasiertes Instrument der strategischen
Personalentwicklung zunehmend
an Bedeutung. Die Attraktivität des
Mentoring liegt, anders als bei den
edukations- und erfahrungsbasierten Bildungsmaßnahmen, mehr im
Gewinnen von organisationalem
Wissen und Erfahrungswissen als
in konkreten Lern-Outputs, die unmittelbar Anwendung in der Arbeit
finden. Ein positives, weniger auf
Defizite und mehr auf persönlichkeitsfördernde Entwicklungsaspekte ausgerichtetes Lernumfeld mit
großzügig gesteckten Freiheitsgraden im Vorgehen stößt dabei auf
hohe Akzeptanz bei den Beteiligten.
Nicht festgelegte inhaltliche Ausgestaltung der Mentoring-Gespräche
und weitgehende Offenheit der
Ergebnisse scheinen die inneren
Kräfte der Mentoren und Mentees
zu mobilisieren und inspirieren.
Diese attraktiven Freiheitsgra-
de können sich aber auch als eine
Falle herausstellen. Beliebigkeit
im pragmatischen Vorgehen und
in der inhaltlichen Ergebnisorientierung sowie eine zu hohe Betonung des organisationalen und des
Erfahrungswissens weisen darauf
hin, dass es keine konkreten, objektiven Faktoren gibt, die dem
Mentoring eine Richtung vorgeben
(Ragins, 2000). Von daher kommt
immer häufiger die Frage nach erfolgsbegünstigenden Faktoren der
Mentoring-Programme auf (BlakeBeard et al., 2008). Die Effektivität
des Mentoring wird insbesondere
vom Potenzial, Hintergrundwissen
und den Kompetenzen der Mentoren und Mentees gesteuert, die
aber in der gängigen Praxis nicht
explizit erfasst werden (Niemeier,
2009). Genau hier setzt der kompetenzbasierte Ansatz als wichtiges
Steuerungselement im MentoringProzess an, wobei vor allem dem
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Matching der Mentoren und Mentees auf Basis ihrer Kompetenzen
eine zentrale Rolle zukommt (Deitmer & Ruth, 2007).
Matching – Strategische Weichenstellung im Mentoring
Das Matching bzw. die Initiierung
der Mentoring-Partnerschaften bildet die Basis des gesamten Mentoring-Prozesses. Ein gutes Passungsverhältnis zwischen Mentor
und Mentee ist ein Indiz für erfolgreiches Mentoring und nach dem
einstigen Zusammenkommen der
Paare bedarf es eines hohen organisationalen und persönlichen Aufwandes, diese Entscheidung wieder zu berichtigen (Blake-Beard et
al., 2008). Die wichtigste Aufgabe
bei der Entwicklung von MentoringProgrammen besteht demzufolge
darin, das Risiko eines verfehlten
Matchings zu minimieren und die
Passung der Paare zu optimieren.
63
Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring
In der wissenschaftlichen Literatur und in Praxisberichten wird die
strategische Bedeutung des Matchings jedoch kaum berücksichtigt.
Es gibt nur wenige Hinweise auf
eine systematische Vorgehensweise mittels messbarer und objektiver Entscheidungskriterien (Finkelstein & Poteet, 2010), die einem
formulierten
Entwicklungsbedarf
Rechnung trägt (Blake-Beard et al.,
2008). Es ist bemerkenswert, dass
gerade solche Seitenaspekte wie
gegenseitige Sympathie, Wünsche
und vorsichtig formulierte erste Erwartungen als ausschlaggebende
Kriterien für die Zusammenführung
betrachtet werden, während wiederum Kenngrößen wie Qualifikationen, spezifisches Wissens und
besondere Kompetenzen beliebig
behandelt werden (Blake-Beard et
al., 2008).
Ein Verfahren, das die Entscheidungsfindung beim Matching diesbezüglich erleichtert, sollte daher
die individuellen Stärken- und
Schwächen-Profile von Mentoren
und Mentees berücksichtigen, um
das genaue Angebot-NachfrageVerhältnis festzustellen (Ragins,
1997). Mentoring könnte hier an
die Praxis der Personaldiagnostik
ansetzen und auf kompetenzbasierte Verfahren zurückgreifen, die
sich bei der Erhebung von Stärkenund Schwächen-Profilen bewährt
haben. Damit wird auf eine objektive und effiziente Art und Weise
gewährleistet, dass diejenigen
Kompetenzen von Mentoren und
Mentees ausgemacht werden, die
für ein erfolgreiches Passungsverhältnis benötigt werden (Deitmer &
Ruth, 2007).
Kompetenzbasiertes Matching
im Mentoring
Das kompetenzbasierte Vorgehen
im Mentoring läuft in mehreren ineinandergreifen Phasen ab, die
einer Prozesslogik folgen und von
entsprechenden Interventionen begleitet werden:
Die programmverantwortlichen
Akteure legen als Basis ein Portfolio von ausgewählten Kompetenzen fest. Dadurch werden die
organisationalen und individuellen
Ziele gleich zu Anfang miteinander
zweckdienlich verknüpft. In einem
nächsten Schritt werden die Kompetenzen der Mentoren und Mentees gemessen und miteinander
abgeglichen. Die Bewertungsbasis
bilden hierbei die gleichen Kompetenzen sowohl für Mentoren als
auch für Mentees. Individuelle Stärken und Schwächen werden so anhand der Kompetenzunterschiede
auf beiden Seiten sichtbar gemacht,
um dann im Matching und im nachfolgenden Mentoring konkret aufgegriffen zu werden (Deitmer & Ruth,
2007). Gegenüber herkömmlichen
Verfahren hat dies den Vorteil, dass
die passenden Angebote der Mentoren mit den Bedarfserfordernissen der Mentees gematcht werden.
So wird der „Gap“ zwischen der
Expertise und dem Erfahrungswissen der Mentoren dem Entwicklungsbedarf der Mentees in einem
fest definierten Kompetenzkontext
gegenübergestellt (Steinmann &
Schreyögg, 2005). Qualifikationsdefizite, blinde Flecken und Wissenslücken seitens der Mentees
werden durch den Erfahrungsvorsprung der Mentoren kompensiert
(Finkelstein & Poteet, 2010). Auf
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
diese Weise erhält das Mentoring
eine konkrete inhaltliche Perspektive und Entwicklungszielstellung. Je
nach Ausprägung der Kompetenzprofile werden die Tandems entweder nach einem komplementären
oder einem supplementären Prinzip
gematcht.
Komplementäres Matching – Ergänzung des Kompetenzportfolios
Zeigt das Kompetenzprofil des
Mentees eine besondere Schwerpunktsetzung in spezifischen Kompetenzen sowie einen starken Entwicklungsbedarf in den übrigen
Kompetenzen, dann eignet sich ein
Matching nach dem komplementären Prinzip. Dabei wird im Matching
dem Mentee nach dem SchlüsselSchloss-Prinzip genau der Mentor
zugeteilt, der in den schwach ausgeprägten Kompetenzen des Mentees seine spezifischen Stärken
hat. Abhängig vom Entwicklungsbedarf des Mentees kann z. B. bei
einem vertikalen Positionswechsel
das komplementäre Matching bewirken, dass die noch fehlenden
Kompetenzen, die der Aufstieg erfordert, den Fokus im Mentoring
bilden. Bei einem horizontalen Positionswechsel hingegen, z. B. im
Zuge des Projektmanagements,
bringt eine Komplementär-Strategie
gewünschte „Enlargement“-Effekte
hervor. Somit wird das Kompetenzportfolio des Mentees um die noch
fehlenden Kompetenzen ergänzt,
der Handlungsradius geschlossen
und das Kompetenzprofil abgerundet.
64
Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring
Supplementäres Matching – Aufbau des Kompetenzportfolios
Zeigt hingegen das Kompetenzportfolio des Mentees einen grundlegenden Entwicklungsbedarf, bei
dem die Kompetenzen in ihrer Gesamtheit noch nicht stark genug
ausgeprägt sind, eignet sich ein
Matching nach dem supplementären Prinzip. In diesem Fall besteht
ein übergreifender Entwicklungsbedarf und dem Mentee wird ein Mentor zugeteilt, der zwar ein ähnliches
Kompetenzprofil zeigt, jedoch mit
einer viel höheren Ausprägung.
Der Fokus beim supplementären
Matching liegt auf der Entwicklung
eines insgesamt höheren Performanz-Niveaus und kann sogar
bei einer bereits gut angelegten
Kompetenzbasis eine zunehmende Professionalisierung durch den
gezielten Aufbau der Expertise im
Mentoring initiieren. Damit wird gewährleistet, dass sich das Kompetenzprofil des Mentees insgesamt
auf ein höheres Niveau entwickelt
und der Handlungsradius auf diese
Weise erweitert wird.
Vorteile des kompetenzbasierten
Matchings auch im Mentoring
Mit dem kompetenzbasierten Matching werden die Tandems optimal
unter Berücksichtigung des spezifischen Angebots-Bedarfsverhältnisses gematcht und erhalten so einen
bestmöglichen Einstieg ins Mentoring. Das Kompetenzportfolio bildet
dabei sowohl einen gemeinsamen
Bezugspunkt als auch eine übergreifende Handlungsrichtlinie mit
zielgerichteten Hilfestellungen auf
allen Interventionsebenen. Anhand
des Komplementär-Prinzips wird
eine in die Breite ausgerichtete Entwicklungsstrategie mit dem Ziel der
Erweiterung („Enlargement“) des
Kompetenzportfolios des Mentees
verfolgt. Das Supplementär-Prinzip
hingegen hat eine in die Tiefe ausgerichtete
Entwicklungsstrategie
(„Enrichment“) mit dem Ziel des
Aufbaus des gesamten Kompetenzportfolios im Mentoring. Bei
beiden Matchingprinzipien wird der
Handlungsradius geschlossen und
die Ausprägung der Kompetenzen
abgerundet.
So bietet das kompetenzbasierte
Matching einen Mehrwert im Mentoring, der die bereits beschriebenen Entwicklungsfunktionen um
eine Ziel- und Strukturkomponente
sinnvoll erweitert. Zudem gewinnt
das Mentoring durch die objektiv
messbare Erfassung der Kompetenzentwicklung und die darauf aufbauende Evaluation der Mentoringeffekte an Kontur und Transparenz.
Literatur
Blake-Beard, Stacy D.; O´Neill,
Regina M. & McGowan, Eileen M. (2008): Blind Dates?
The Importance of Matching
in Succsessful Formal Mentoring Relationships. In: Ragins,
Belle R.; Kram Kathy E. (Hg.):
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Deitmer, Ludger; Ruth, Klaus
(2007): „Cornerstones of Mentoring Processes“ – How to implement, conduct and evaluate
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Institut Technik und Bildung
(ITB), Universität Bremen,
2007 ITB-Forschungsberichte
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
28/2007.
Finkelstein, Lisa M.; Poteet, Mark
L. (2010): Best Practices in
Workplace Formal Mentoring
Programs. In: Allen, Tammy D.;
Eby, Lillian T.: The Blackwell
Handbook of Mentoring. A Multiple Perspectives Approach.
Malden, Oxford, West Sussex:
Blackwell Publishing.
Niemeier, Moritz (2009): Mentoring
als Instrument der Personalentwicklung: Die Mentorausbildung im Blickpunkt. Hamburg:
Igel Verlag.
Ragins, Belle R. (1997): Diversified
Mentoring Relationships in Organizations: A Power Perspective. In: The Academy of Management Review Vol. 22 (2),
S. 482–521.
Ragins, Belle R. (2000): Marginal
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of Mentor, Quality of Relationship, and Program Design on
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Academy of Management
Journal Vol. 43, S. 1177-1194.
Scheelen, Frank M.; Bingby, David
G. (2011): Kompetenzbasierte
Unternehmensführung. Erfolgreiche
Personalentwicklung
mit Kompetenzdiagnostiktools.
München: Haufe Verlag.
Steinmann, Horst; Schreyögg,
Georg (2005): Management.
Grundlagen der Unternehmensführung.
Konzepte
Funktionen - Fallstudien. 6.
Auflage. Wiesbaden: Gabler
Verlag.
■
65
Interview
mit Sabine Nitsche
Wie entstand Ihr Interesse für
Mentoring?
Ich habe mich schon immer mit
dem Thema Personalentwicklung
beschäftigt und finde vor allem die
feedbackbasierten Ansätze besonders interessant. Durch mein
Forschungsprojekt für das Institut
für angewandte Forschung in Berlin habe ich mich dann intensiv mit
dem Thema Mentoring auseinandersetzen können. Im Rahmen des
Projektes zu dem Thema CrossCultural-Mentoring haben wir UnternehmerInnen aus dem Raum
Berlin mit und ohne Migrationshintergrund zusammen gebracht.
Was genau verstehen Sie unter
Mentoring?
Mentoring ist ein Instrument der
Personalentwicklung, welches idealerweise einen Mentor und einen
Mentee so zusammenbringt, dass
sich der Mentee hinsichtlich bestimmter Fragen und Problemstellungen entwickeln kann und dabei
durch den Mentor unterstützt wird.
Der Mentor kann / soll sich dabei
aber auch entwickeln und die eigenen Kompetenzen erweitern z. B.
dadurch, dass er anderen Hilfestellungen und Unterstützung gibt.
Mentoring hat für beide Seiten einen positiven Effekt.
Was ist der zentrale Nutzen davon?
Der zentrale Nutzen beim Mentoring ist, dass an konkreten Fragestellungen des Mentees gearbeitet
werden kann und somit seine Kom-
petenzen gezielt weiterentwickelt
werden können. Dabei geht es darum, das Wissen und die Expertise
von dem Mentor an den Mentee
weiterzugeben und direkt am Bedarf des Mentees zu arbeiten.
Welche Position hat Mentoring
derzeit in der Personalentwicklung?
Mentoring gibt es schon seit vielen
Jahren aber es hat noch nicht so
eine große Verbreitung gefunden
wie die „normalen“ Weiterbildungsmethoden. Es werden v.a. Mentoringpaare wie „Jung/Alt“ oder „mit
Migrationshintergrund / ohne Migrationshintergrund“ gebildet. Gerade
in Zeiten des demografischen Wandels ist es wichtig, dass die älteren
Mitarbeiter ihr Wissen an die jüngeren Mitarbeiter weitergeben, bevor
sie das Unternehmen verlassen.
tematischen Ansatz sondern z. B.
nur einfache Fragebögen, die von
beiden Seiten ausgefüllt werden.
Es braucht aber einen systematischen Ansatz v.a. auch für den
Entwicklungsbedarf. Dieses Zusammenbringen der Paare ist ausschlaggebend für den Erfolg eines
Mentorings, denn wenn sich die
beiden Seiten nicht gut ergänzen
können, kann das Ziel auch nicht
erreicht werden
■
Welche Schwierigkeiten können sich bei der Organisation
eines wirksamen Mentoring-Programms ergeben?
Es ist sehr aufwändig, ein Mentoring-Programm zu organisieren.
Das Matching der Tandems (Mentorenpaare) ist sehr zeitintensiv
und zeitaufwändig. Der große administrative Aufwand im Vorfeld ist
im Vergleich zu „normalen“ Weiterbildungsangeboten groß, was ein
Nachteil ist. Oft werden die Tandempaare willkürlich zusammengebracht, obwohl ein auf Kompetenzen basiertes Matching notwendig
für eine erfolgreiche Durchführung
ist. Häufig gibt es dafür keinen sys-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
66
Internes Newplacement –
Win-Win Option für Mitarbeiter und
Unternehmen
Wolfram Kaiser1
1)
Bereichsleiter Personal / Prokurist, Hamburger Volksbank
SCHLÜSSELWÖRTER: Fachkräftemangel, internes Newplacement, Arbeitgebermarketing
KURZFASSUNG: Im Laufe eines Berufslebens ändern sich die Anforderungen an Mitarbeiter. Wer gestern beste
Leistung einbringen konnte, kann mit heutigen oder künftigen Tätigkeiten überfordert sein. Das Personalmanagement ist daher gefordert, intelligente und praktikable Lösungen anzubieten, um Mitarbeiter – sofern notwendig – mit
ihren Fähigkeiten neu im Unternehmen zu platzieren und so von deren Kenntnissen und Erfahrungen zu profitieren
– statt sich von langjährigen, loyalen und meist gut ausgebildeten Mitarbeitern zu lösen. Der Artikel zeigt auf, wie die
Hamburger Volksbank mit dieser Herausforderung umgeht, den sich abzeichnenden Fachkräftemangel damit vorbeugend abwehrt, als Zusatzerfolg die Arbeitgeberattraktivität erhöht und den Wertekanon des unternehmerischen
Handelns mit Leben füllt.
Veränderung als Chance
Zwischen den ersten Schritten im
Arbeitsleben und dem Eintritt in
den Ruhestand liegen nicht selten
zwischen 40 und 45 Jahre. Das bedingt, dass sich in Verbindung mit
einer relativ langen durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von
10,8 Jahren in Deutschland (Rhein,
2010) die Anforderungen im Berufsleben ständig ändern. Während
jüngere sich per se mit Änderungen
leichter tun, es ferner eine Reihe
von Mitarbeitern gibt, die Wandel
als Chance erleben und mit einem
permanenten Change-Prozess umgehen können, gibt es eine Gruppe von Mitarbeiter, denen es nicht
möglich ist, sich auf neue Herausforderungen einzustellen.
Es obliegt der Verantwortung von
Führungskräften zur Erreichung der
gesteckten
Unternehmensziele,
die ihnen anvertrauten Mitarbeiter
zu fordern und zu fördern. „Für die
seit geraumer Zeit auf uns zukommenden Herausforderungen ergibt
jedoch das lebenslange Lernen ein
vortrefflich geeignetes Instrument,
denn es allein mag angesicht einer
insgesamt risikoreichen Zukunft
die erforderliche Anpassungsfähigkeit und Flexibilität an unerwartete Veränderungen der Umstände
sicherzustellen“ (Brödel, 2013).
Vorgesetzte haben mithin darauf
zu achten, dass sich ihre Mitarbeiter heute und in Zukunft flexibel
auf Veränderung einstellen und
die ihnen übertragenen Aufgaben
anforderungsgerecht erfüllen können. Das Personalmanagement ist
gleichzeitig aufgerufen, frühzeitig
dafür zu sorgen, dass Instrumente
bereitstehen, um sowohl die betrieblichen als auch die individuellen, persönlichen Möglichkeiten
in Einklang zu bringen. „Es soll ih-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
nen [den Mitarbeitern] ermöglicht
werden, ihre Fähigkeiten und Neigungen durch Lern-, Ausbildungs-,
Entwicklungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zur Erreichung der
Individual-, Team-, und Unternehmensziele ständig zu verbessern.
Darüber hinaus wird die generelle
Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter
und daraus auch die des Unternehmens aufrecht erhalten und gesichert.“ (Jürgens, 2010).
In der täglichen Praxis gelebt wird
meist jedoch ein Aussitzen bis zur
Schmerzgrenze. Gefolgt von einem
daran anschließenden Wunsch an
den Personalbereich nach Trennung und / oder Zwangsversetzung
(‚wohin auch immer und per sofort‘).
Mit überspitzter Feder beschrieben,
stellt sich dies wie folgt dar: Die Mitarbeiter erfahren das beschriebene
Vorgehen und die darauf folgende
Veränderung zumeist als eine mas-
67
Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen
sive persönliche und im beruflichen
Kontext betrachtet fachliche Beeinträchtigung. Diese geht oftmals mit
einem weiteren Leistungsabfall aufgrund von psychischem Druck einher. Im Endstadium: existenzieller
Tätigkeitsverlust und damit finanzielle Einschnitte für die Betroffenen.
Führungskräfte erleben derartige Situationen meist als unangenehm, können aber aufgrund nicht
vorhandener oder nicht gelebter
Kompetenz sowie wegen scheinbar
mangelnder Alternativen nicht angemessen reagieren. Das Arbeitsumfeld nimmt die Art des Umgangs
mit den betroffenen Mitarbeitern
und den Führungsstil auf und reflektiert diesen mit dem Fokus darauf,
wie es ihnen selbst gehen könnte.
Die Außenwirkung ist stets desaströs, offenbart sich in solchen Fällen
doch, wie laienhaft Unternehmen
mit Veränderungen umgehen und
welche interne Kultur – abseits von
Hochglanzleitbildern – vorherrscht.
Betriebswirtschaftlich gesehen ist
eine derartige Praxis ebenfalls ein
Verhängnis. Wertvolle Zeit vergeht
ungenutzt, eine an anderer Stelle
eventuell sinnvoll einzusetzende
Ressource ist verloren und gleichzeitig laufen Personalkosten konstant weiter. Gleich welche Handlung
oder Nichthandlung – systemisch
gesehen, bedeutet dies, dass Beteiligte und Nichtbeteiligte, sowohl
innerhalb eines Betriebes als auch
außerhalb die gelebte Führungskultur sorgsam beachten und beurteilen.
Gleichzeitig ist zur Sicherung
des unternehmerischen Erfolges
das Halten geeigneter Fachkräften
gerade im Zeichen der demografi-
schen Veränderung jedoch oberstes Gebot für das Personalmanagement. In ihrer gemeinsamen Studie
„The Future of HR in Europe – Key
Challenges Through 2015” kommen die Boston Consulting Group
und die European Association for
Personnel Management in der Länderanalyse für Deutschland zu dem
eindeutigen Ergebnis: „Of the five
most critical HR topics facing Europe in the Future, German executives are primarily concerned with
two: managing demographics und
managing talent.” (Caye, Strack,
Leicht, Villis 2007). Mitarbeiter, auf
die sich ändernde Arbeitswelt vorzubereiten, zu begleiten und dabei
den unternehmerischen Wertekanon im Auge halten – dies liegt
der strategischen Überlegung und
damit der Entwicklung und Anwendung eines internen Newplacement
zugrunde.
Einführungsschritte für das interne Newplacement
Mit der unternehmerischen Neuausrichtung aufgrund einer Fusion
im Jahr 2007 und der aus der Gesamtstrategie abgeleiteten Personalstrategie, befasste sich die
Hamburger Volksbank u. a. mit den
Themen Veränderung der Arbeitswelt, Demografie, Verlängerung der
beruflichen Lebenszeit, Generationenmix sowie künftige Anforderungen an Mitarbeiter. Auf Grundlage
dieser Gedanken wurde u. a. das
Programm eines internen Newplacement unter dem Arbeitstitel
„PersonalPool“ entwickelt. Ziel war
und ist es, frühzeitig Mitarbeiter zu
identifizieren, deren Leistung im aktuellen Tätigkeitsbereich im unteren
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Drittel liegt und deren persönliche
Entwicklungspotentiale für die aktuellen und künftigen Aufgaben bereits ausgeschöpft wurden, um sie
für neue Aufgaben im Unternehmen
zu gewinnen.
Die Vorgehensweise umfasste
aufeinander aufbauende Teilsegmente. Im ersten Schritt wurde
ein auf der bereits seit längerem
etablierten Mitarbeiterbeurteilung
aufgesetztes Mitarbeiter-Portfolio
installiert. Getreu dem Motto „Ein
Bild sagt mehr als tausend Worte“
sehen Führungskräfte nun die von
ihnen beurteilte Einzel- und Teamaufstellung ihrer Mitarbeiter, abgetragen auf den Achsen Leistung
und Potential. Der Personalbereich
begleitet dabei die Führungskräfte
bei der Auswertung des Portfolios
und der Findung von Personalentwicklungsmaßnahmen auf Teamund Einzelmitarbeiterebene. Hier
setzt nun die Möglichkeit an, Mitarbeiter zu identifizieren, deren Leistungsentwicklung und damit auch
die chronologische Betrachtung ihrer Beurteilung nicht so verläuft, wie
die Anforderungen ihrer Position es
verlangen.
In enger Zusammenarbeit von
Führungskraft, Betriebsrat und Personalbereich bietet das interne
Newplacement die Möglichkeit, diese Mitarbeiter gezielt anzusprechen
und sie in die Organisationseinheit
PersonalPool einzugliedern. So gelingt es, sie an neue, bislang nicht
übernommene bzw. unbekannte
Aufgaben und Tätigkeiten heranzuführen und das Interesse an einem Wechsel in eine neue, andere
Position zu wecken. Die Option der
Eigenbewerbung von Mitarbeitern
68
Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen
ist bewusst eingeräumt und gewünscht.
Mitarbeitern, die sich der Herausforderung des internen Newplacement stellen, sind alle Optionen
– vom Verbleib auf der aktuellen
Position, über eine (sofern vorhandene) anderweitige interne Stellenveränderung, die Teilnahme am
Programm Newplacement, bis hin
zur Möglichkeit der einvernehmlichen Trennung – zu erläutern. Auch
und gerade die offene Kommunikation über letztgenanntes zeugt von
Transparenz und Klarheit. Dies ist
notwendig, denn das Unternehmen
will signalisieren, dass einerseits
Veränderungen notwendig sind,
andererseits die von allen Parteien getragene Möglichkeit besteht,
neue Herausforderungen innerhalb
des Betriebes anzunehmen.
Mit Hilfe des Newplacement-Programmes erhalten alle Teilbereiche
des Unternehmens die Möglichkeit,
potentielle interne Bewerber über
einen längeren Zeitraum kennen
zu lernen. Die Begleitung geeigneter Projekte, Mitarbeit im Tagesgeschäft und auch das Prüfen, ob der
Mitarbeiter in das bestehende Team
integriert werden kann, zählen zu
den Vorteilen. Nicht zuletzt die interne Verrechnung der Mitarbeiter
über eine gesonderte Kostenstelle zählt zu den Vorteilen des Programms.
Nur dadurch, dass alle Beteiligte gemeinsam das Ziel verfolgen,
langjährige Fachkräfte durch internes Newplacement im Unternehmen zu halten, ist es möglich,
ausreichende Aufgaben, Projekte
und zeitliche Ressourcen zu finden.
Dies führt wiederum dazu, dass im-
mer wieder neue Mitarbeiter für das
Programm gewonnen werden können. Für die Mitarbeiter bedeutet
die Teilnahme, dass sie alle von ihnen präferierte Bereiche und Tätigkeitsgebiete durch Hospitationen,
deren Dauer individuell variieren,
intensiv kennen lernen können. Die
Einsatzplanung erfolgt unter Zuhilfenahme der Selbsteinschätzung
der Mitarbeiter. Sie selbst teilen das
Aufbauorganigramm in die Ampelfarben Rot (nicht gewünscht), Gelb
(weitere Informationen benötigt)
oder Grün (Einsatzwunsch) ein.
Es versteht sich, dass bei höherer
Bereitschaft viele Bereiche kennen
zu lernen und zu übernehmen, die
Chancen auf eine neue berufliche Tätigkeit steigen. Im Umkehrschluss hat das Unternehmen die
Möglichkeit bei nur geringer Veränderungsbereitschaft einer eventuellen Trennung mehr Gewicht zu
verleihen.
Um die Chancen auf eine neue
Position zu erhöhen, ist vereinbart,
dass die Teilnehmer des Newplacement bei internen Stellenausschreibungen unter den Voraussetzungen
der vergleichbaren Qualifikation
first-choice besitzen. Von besonderer Bedeutung für die Mitarbeiter
ist es, dass während der gesamten
Dauer der Programmteilnahme die
bisherige Vergütung in voller Höhe
weiter erhalten bleibt
Die betriebswirtschaftliche Sicht:
Zahlen und Fakten
Das interne Newplacement, gestartet als Projekt und seit der Einführung ein erfolgreiches HR-Programm, bot bislang rund 8 % der
Betriebszugehörigen der Hambur-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
ger Volksbank die Möglichkeit, ihre
bisherige Position einzutauschen
gegen eine berufliche Herausforderung mit dem Ziel, eine neue fachliche Heimat zu finden. Für den weitaus größten Teil – mehr als 85 %
– hat sich dies gelohnt. Diese Zahlen verdeutlichen es: 39 Teilnehmer
mit einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von 16 Jahren
und einem mittleren Alter von 44
Jahren nahmen seit 2007 am Programm teil. Die durchschnittliche
Verweildauer betrug 16 Monate.
Insgesamt konnten 34 Mitarbeiter
anschließend eine neue berufliche
Tätigkeit im Unternehmen aufnehmen. Nur fünf Mitarbeiter stellten
während des Newplacement fest,
dass ein weiterer Verbleib im Haus
nicht zielführend erfolgen kann. Die
dann einvernehmlich beschlossene Trennung wurde durch ein Outplacement begleitet.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht
lässt sich das interne Newplacement wie nachstehend darstellen:
Während auf der Sollseite die laufenden Personalkosten zu tragen
sind, erwirtschaften die Mitarbeiter
diese durch ihre aktive Teilnahme
am Geschäftsleben zumindest zu
einem Teil wieder. Im Falle einer
Trennung wären Abfindungssumme, ggf. arbeitsrechtliche Beratung,
Kosten für ein externes Outplacement sowie der Aufwand für notwendige externe Rekrutierungen durch
den Arbeitgeber zu tragen. Interessanterweise sind aus ehemaligen
Leistungsschwachen zwischenzeitlich auch Top-Performer geworden.
Es lässt sich nur so erklären, dass
diese Mitarbeiter ihre fachliche Heimat gefunden haben und damit zur
69
Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen
Fachkraft im ­wahrsten Sinne des
Wortes werden konnten. Und so
sind es diese zwei Aspekte, die das
Programm attraktiv machen: Zum
einen rekrutiert das Unternehmen
Fachkräfte aus den eigenen Reihen, um die vorhandene Nachfrage
zu decken. Zum anderen gibt es
langjährigen Mitarbeitern die Chance, sich beruflich nochmals neu zu
finden. Es spricht dafür: Die Mitarbeiter sind bereits im Unternehmen tätig. Ihr Einsatz kann daher
kurzfristig erfolgen. Die Einarbeitung ist meist schon während einer
vorangegangenen Hospitation erfolgt, die Teams erfahren sofortige
Unterstützung. Mitarbeiter, die am
Newplacement-Programm teilgenommen haben, sind überaus loyal. Sie erlebten die Wertekultur im
Unternehmen und sind ein Teil derer. Daher, der dritte wichtige Punkt:
Dieses HR-Programm steigert in
hohem Maße die Arbeitgeberattraktivität – nach innen und außen.
Erfolg der überzeugt, werteorientiert und nachhaltig
In den überwiegenden Fällen hat
die Hamburger Volksbank gute bis
sehr gute Erfahrungen mit dem internen Newplacement gemacht.
Nur wenige Themen sind es, die
negativ zu Buche schlagen: Seit
Beginn und auch heute wird der
Arbeitstitel „PersonalPool“ missverstanden mit einem Auffang- und
Verwahrbecken. Tatsächlich werden der Eintritt und die ersten Wochen im Programm von den Teilnehmern als „Sprung ins kalte Wasser“
empfunden. Auch scheuen einige
Mitarbeiter den vermeintlichen Reputationsverlust, wenn sie ihre bis-
herige Position aufgeben. Und nicht
zu vergessen, bedarf es immer der
Überzeugungskraft gegenüber der
Geschäftsführung, um die erforderliche finanzielle Investition jährlich
neu zu begründen. Im Ergebnis
lässt sich zusammenfassen: Das
interne Newplacement ist als HRProgramm eine Win-Win Option für
Mitarbeiter und Unternehmen, welche den sich durch den demographischen Wandel abzeichnenden
Fachkräftemangel vorbeugend abwehrt, als Zusatzerfolg die interne
und externe Arbeitgeberattraktivität
signifikant erhöht und vor allem den
Wertekanon des unternehmerischen Handelns widerspiegelt.
Rhein, T. (2010). Beschäftigungsdynamik im internationalen Vergleich: Ist Europa auf dem Weg
zum
“Turbo-Arbeitsmarkt“?
IAB-Kurzbericht, 19/2010, S. 6.
►Xing-Profil des Autors
■
Literatur:
Brödel, R. (2013). Lebenslanges
Lernen im demografischen
Wandel. In Schwuchow, K.-H.
& Gutmann, J. (Hrsg.), Personalentwicklung – Themen,
Trends, Best Practices 2014
(S. 363-372). Freiburg: Haufe.
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2015. Zugriff am 13.2.2014.
Verfügbar unter: https://www.
bcgperspectives.com/content/
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human_resources_future_of_
hr_in_europe/
Jürgens, I. (2010). Kompetenzen
und Motivationen: Warum Sie
so wichtig sind. In Scholz, C. &
Stein, V. (Hrsg.), Dynamisches
Human-Capital- und Kompetenz-Controlling im innovativen Mittelstand (S. 87-121).
München und Mering: Rainer
Hampp Verlag.
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
70
Interview
mit Wolfram Kaiser
Wie könnten „geeignete Maßnahmen“ konkret aussehen, um
Mitarbeiter im Change-Prozess
zu „fordern und zu fördern“ und
ggf. auch „aufzufangen“?
Aus meiner Sicht stellt sich die
frühzeitige und durchgängige Einbeziehung der Mitarbeiter als das
entscheidende Kriterium dar. Es ist
wichtig, die betroffenen Personen
einzubinden und sie ernst zu nehmen. Ihnen nicht nur das Gefühl
geben, sondern dieses auch tat-
gewählt?
Sowohl als auch. Mitarbeiter können sich selbst melden. Aber auch
der Betriebsrat, Personalbereich
oder die jeweilige Führungskräfte schlagen Mitarbeiter vor. Es ist
ganz unterschiedlich, da auch die
Entscheidungsgründe
vielfältig
sind. Veränderungen in der fachlichen Anforderung bis hin zu familiären Gründen können dazu führen,
dass es zu einer Änderung kommt.
Wir bieten unseren Mitarbeitern an,
sächlich im gesamten Prozess tun.
Dafür ist natürlich Kommunikation
wichtig, auf die Themen der Mitarbeiter einzugehen und deren Ideen,
aber auch Ängste zuzulassen.
im Unternehmen zu bleiben und
sich zielgerichtet neu zu platzieren.
Wie wurde das Projekt Internes
Newplacement entwickelt?
Im Jahr 2007 hatten wir eine Fusion
zwischen zwei gleichberechtigten
Partnern. Dabei waren natürlich
auch eine Vielzahl von Mitarbeitern
von Änderungen betroffen. Wir haben diesen Prozess intensiv vorausgedacht und die klare Bekenntnis
zur Arbeitsplatzsicherheit gegeben.
Allerdings auch offen kommuniziert,
dass es neue Aufgaben und Herausforderungen geben kann / wird.
Wie viele gute Personalprogramme
unterlag das interne Newplacement
einem Entwicklungsprozess, der in
den letzten Jahren mit den Gegebenheiten gewachsen ist.
Melden sich die Mitarbeiter auf
freiwilliger Basis zur Teilnahme
an dem Programm oder werden
diese vom Personalbereich aus-
sich der Invest für alle Beteiligte
lohnt.
■
Schätzen Sie, dass auch weitere
Firmen ein derartiges Programm
in Zukunft nutzen werden und
sich dieses Vorgehen weiter ausbreiten wird?
Ich glaube, dass es eher ein wirtschaftlicher Zwang ist, da die Bewerberzahl kontinuierlich abnimmt
und Unternehmen gut beraten sind,
loyale Mitarbeiter in ihrem Unternehmen zu halten. Ich glaube, es
ist ein Zukunftsmodell. Ich wünsche
es den Mitarbeitern, aber auch den
Unternehmen. Wann immer, wenn
ich das Modell vorgestellt habe,
habe ich positive Resonanzen erhalten. Die meisten schreckt aber
der finanzielle und organisatorische Aufwand ab, da ein Erfolg zu
Beginn nicht eindeutig kalkulierbar
ist. Alleine die jährlichen Personalkosten betragen pro Mitarbeiter in
unserem Haus ca. 50.000 Euro im
Durchschnitt. Dazu ist nicht jedes
Unternehmen bereit.
Meine Erfahrung zeigt aber, dass
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
71
Kultur der kollektiven Kreativität
Gitta Blatt1
1)
Head of People, Wooga GmbH
KURZFASSUNG: Die These ist, dass eine Kultur der Gemeinschaft den wirtschaftlichen Erfolg auf internationaler Basis forciert. Bei dem hier vorgestellten „Best Practice“ Beispiel aus einer IT Trend Branche geht es um die Entwicklung
komplexer virtueller Produkte bei einem Entwickler mobiler Spiele. Wooga versucht, durch eine Kultur der Gemeinschaft und gegenseitigen Unterstützung Komplexität zu verringern, sowie gleichzeitig Kreativität und Innovationen
zu fördern. Es geht um die Regeln einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe, um eine Arbeitskultur, in der Beiträge aller
gewünscht sind und in der kluge Köpfe nicht wichtiger als gute Ideen sind.
Unternehmenskultur als Auswahlkriterium der Kandidaten
Um in der schnelllebigen und hart
von morgen ist mobiler und sucht
die beste Karriere in Zukunft nicht
vorrangig nach dem Faktor Bezah-
bieten kann. Sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber geht es
zunehmend um den „Fit“ von Ar-
umkämpften Branche der mobilen
Spiele zur internationalen Spitze
zählen zu können, benötigt man
die besten Talente aus aller Welt.
Unter hohem Tempo müssen systematisch neue Ideen erarbeitet
werden und sich global als „Hit“
durchsetzen. Wie heute häufig in
der Tech Branche handelt es sich
um einen Arbeitnehmermarkt. In
dieser sich schnell verändernden
und noch jungen Branche gibt es
nicht sonderlich viele gestandene
Experten. Die raren Talente sind
überwiegend jung, über alle Kontinente verteilt und haben die Auswahl zwischen diversen attraktiven
internationalen Arbeitgebern. Mit
einigen international erfolgreichen
deutschen Game Start-Ups gehört
der Standort Berlin neben London
immerhin zu den begehrtesten in
Europa. Trotzdem ist es eine große Herausforderung die Besten für
das eigene Unternehmen zu begeistern. Denn: Der Anspruch an
einen innovativen Arbeitgeber hat
sich über die letzten Jahre stark
gewandelt. Die Arbeitnehmerwelt
lung aus. Studien der Intelligence
Group zufolge ziehen 88 % der sogenannten Millennials, also derjenigen in ihren Zwanzigern und frühen
Dreißigern, die den Großteil der
Wooga Mitarbeiter ausmachen, ein
kollaboratives Arbeitsumfeld einem
wettbewerbsorientiertem vor. Die
Mehrheit der Befragten wären gerne ihr oder sein eigener Chef. Haben sie jedoch einen Vorgesetzten,
wünschen sie sich, dass dieser als
Mentor oder Coach fungiert (Klaffke
& Parment, 2011). Ebenfalls 88 %
ist eine Work-Life-Integration wichtig, was das Ineinanderfließen des
Lebens- und des Arbeitsbereichs
beschreibt und seine wachsende
Bedeutung verdeutlicht. Das Manager-/Mitarbeiterverhältnis
wird
weniger elitär, dafür agiler und für
den Mitarbeiter selbstbestimmter.
Die Entscheidung für oder gegen
ein Unternehmen erfolgt zumeist
anhand der angestrebten persönlichen Entwicklung und des Beitrags,
den das Unternehmen dazu in Form
eines inspirierenden Umfelds und
in Form von Hochleistungsteams
beitnehmerpersönlichkeit und Unternehmenskultur (Wiggenhorn &
Nachtwei, 2014).
Beispiel: Jeder Wooga Bewerber
beantwortet zwei Fragen, nämlich
wie er auf Wooga aufmerksam geworden ist und warum er sich bei
Wooga beworben hat. Diejenigen,
die dann ein Vertragsangebot angenommen haben, beantworten
anschließend eine dritte Frage,
nämlich warum sie sich für Wooga
entschieden hat. Aus den Antworten haben wir uns eine Analyse an
eigenen Stärken und Verbesserungspotentialen in Bezug auf die
Wünsche zukünftiger Mitarbeiter
erstellt.
Zurzeit stammen 55 % des Wooga Teams nicht aus Deutschland,
insgesamt sind Mitarbeiter aus
über 40 Nationen in Berlin beschäftigt. Nur 10 % der Mitarbeiter
stammen aus Berlin. Die Unterstützung und Vernetzung für neue
Mitarbeiter beginnt direkt nach Vertragsunterzeichnung, noch vor der
Ankunft in Berlin. Das „Relocation
Paket“ folgt dabei den Wünschen
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
72
Kultur der kollektiven Kreativität
der Mitarbeiter: Wooga stellt eine
möblierte Wohnung für die ersten
sechs Wochen in Berlin und bietet
intensive individuelle Betreuung bei
der Wohnungssuche. Es gibt Unterstützung beim Durchdringen eines
deutschen Mietvertrags und beim
Umzug in das erste eigene Zuhause. Ein Onboarding Team kümmert
sich um Formalitäten, Übersetzungen und begleitet die Mitarbeiter zu Ämtern. Wooga unterstützt
auch bei der persönlichen Eingewöhnung in das neue Umfeld: Die
neuen Mitarbeiter können mit einer
Spezialistin für „Personal Employee
Assistance“ über kulturelle Unterschiede oder persönliche Veränderungssorgen sprechen und sich
Rat für die nächsten Schritte holen.
Oft wird für die Gesamtheit dieser
Dienstleistungen der nicht ganz
treffende Titel „Feelgood Management“ verwendet. Dieser suggeriert
vor allem Spaß durch Partys, Bier
und Prosecco im Büro und kostenlose Lunches. Uns geht es jedoch
um nachhaltig vorbereiteten Erfolg
durch Mitarbeiterbindung. Familienfreundlichkeit, Teilzeit-Modelle,
einen Nanny-Service, Sprachkurse
und Unterstützung der Lebenspartner. Denn dies sind zunehmend
wichtige
Entscheidungskriterien
in der Arbeitgeberwahl (Lohmann,
2012).
Kultur als Erfolgsfaktor für internationale Teams
Die Kultur der Vielfalt unterstützt den
Erfolg der Teams. Diversität sorgt
für Reibungen, Spannungen und
das Lernen aus Gegensätzen, die
zu Überraschungen und damit zu
Neuem führen können. So genutzt,
ist Kreativität nicht ein momentaner
Hype, sondern ein Werkzeug, eine
Herangehensweise für die geplante Entwicklung von neuen Trends.
Konträre Lebenserfahrungen fließen in die Produktentwicklung ein,
sie stellen Routine regelmäßig in
Frage und lassen Unkonventionelles zu. Die internationalen Teams
brauchen viel Spielraum zum
Ausprobieren und viel Feedback
für eine erfolgreiche Ausrichtung.
„Wenn Menschen aufeinander hören und dann miteinander handeln,
sind sie gemeinsam erfolgreich“
Christian Gansch, Dirigent und Produzent. Dezember 2013.
In der Wissensgesellschaft von
morgen geht es nicht mehr nur um
den Austausch von Informationen
und Wissen, sondern vor allem um
eine vernetzte Intelligenz, durch im
Internet ständig vernetztes und sich
multiplizierendes Wissen. In den
Nischen der globalen Wissensorganisationen vollzieht sich bereits
diese Anpassung in ein innovatives
Netzwerk. (Gallup, 2013).
„Die Digitalisierung führt zu einer zunehmenden Vernetzung der
Menschen und der Dinge. Diese
Vernetzung wirkt Hierarchien entgegen und führt zu Veränderungen
in Prozessen und der Organisation von Unternehmen.“ Don Tapscott, Prof. für Management an der
Joseph L. Rotman School of Management, Toronto, Kanada (FAZ,
2014).
Beispiel: Das Einstellen von
Spielen wird nicht im Management,
sondern aus den Teams heraus
entschieden. Das Stoppen eines
Projektes wird nicht als Misserfolg
angesehen, sondern als notwen-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
diger Schritt auf dem Weg zum
bestmöglichen Spiel. In “Brownbag
Meetings” teilen die Teams offen,
positive wie negative Erfahrungen
und Ergebnisse, um an diesen
auch andere Teams teilhaben zu
lassen. An jedes Spiel, erfolgreiche wie eingestellte, erinnert ein
Rahmen an der „Wall of Fame”. Im
wöchentlichen Rahmen finden innerhalb der Disziplinen sogenannte „Five Minutes of Fame“ Meetings statt, in denen sich im fünf
Minuten Takt über aktuelle Fragen
ausgetauscht wird. Auf täglicher
Basis finden morgens und abends
Produkt-Meetings statt, zu denen
alle Mitarbeiter in ein eigens gebautes Wooga Auditorium eingeladen
sind. Die Woche beginnt mit einem
Monday Morning Meeting, das vom
CEO Jens Begemann moderiert
wird. Es gibt somit offenen Zugang
zu nahezu allen Kennzahlen durch
das Management, ausgewertet und
für kommende Schritte interpretiert,
werden diese jedoch eigenverantwortlich durch die Teams (Delloitte,
2013).
Kultur als Anker in fluidem Umfeld
Neben der optimalen Zusammenarbeit und dem schnellen Austausch
geht es um Respekt auf persönlicher Ebene. Onboarding- und Integrationsthemen stehen im Fokus.
Persönliche Wertschätzung und
das Wissen um die Stärken und
Schwächen, aber auch Hobbys
und Passionen der anderen Teammitglieder schaffen Vertrauen und
bieten eine Orientierungshilfe. Der
Trend in Organisationen der Unterhaltungsindustrie entwickelt sich
73
Kultur der kollektiven Kreativität
weg von permanenten Teams, hin
zu agilen und sich selbstverwaltenden, für begrenzte Zeit zusammenarbeitenden Projektteams.
Ein außergewöhnliches Beispiel
für ein Unternehmen mit nicht nur
flachen, sondern einem Verzicht
auf Hierarchien ist die US-amerikanische Spiele- und Softwarefirma
Valve. Sie bezeichnen sich selbst
als „Flatland“, haben kein Management und keine Berichtsstrukturen; vielmehr ist das Unternehmen
das der Mitarbeiter. Diesen obliegt
es eigenverantwortlich das Unternehmen hin zu Chancen und weg
von Risiken zu steuern (Valve Corporation, 2012). In solchen fluiden
Organisationen sind Teams oft nur
ein Quartal gemeinsam an einem
Projekt tätig. Durch den kurzen Zyklus von Prototype Erfindungen, die
noch vor einem weltweiten Launch
wieder gestoppt werden können,
entstehen bei Mitarbeitern automatisch auch Leerräume zwischen
den Projekten, die eigenverantwortlich gefüllt und mit Zielen versehen
werden müssen.
Beispiel: Wooga nennt diesen
Zeitraum „Labtime“ und jeder widmet sich selbst gewählten Aufgaben. Ein ähnliches Vorgehen ist
von Google bekannt, wo Mitarbeiter
20 % ihrer Wochenzeit selbstgestaltet verbringen, allerdings wie bei
Wooga auch, nach dem definierten
Zeitraum Ergebnisse teilen müssen. Solche Phasen fallen leichter,
wenn sich die Mitarbeiter umeinander kümmern.
Das erfordert ständige Kommunikation und intensiven Austausch.
Jeder hat die Freiheit mit allen zu
reden. Es ist ein 250-Mann starkes
Netzwerk mit möglichst wenig Hierarchie, allerdings nicht komplett anarchisch. Eigene Ideen können gefahrlos eingebracht werden. Auch
das Management sitzt im Großraumbüro, es gibt keine verschlossenen Türen (Delloitte, 2013). Das
Büro in einem hellen Loft ist so
gestaltet, dass Zusammenarbeit
unterstützt wird. Im Mittelpunkt
steht die stark frequentierte große
Küche mit langen Holzbänken und
gläsernen Konferenzräumen. Auch
wird darauf geachtet, dass auf Sitzsäcken oder in Couchecken auch
jenseits des eigenen Arbeitsplatzes
produktiv gearbeitet werden kann.
Limitierende Faktoren von „Common Sense“
Organisationen, die im Gründungsmoment Werte festlegen, aus denen bereits früh eine erfolgsunterstützende Kultur entsteht, haben
einen Vorteil. Ein Wandel einer hierarchischen Organisation in eine
mitbestimmte, flache Organisation
gelingt nur langsam und unter großem Kraftaufwand. Veränderungen
von gelernten und gelebten Verhaltensweisen sind oft nur gegen
starke Widerstände durchsetzbar.
Einfacher gelingt die Schaffung
einer agilen Unternehmenskultur sicher auch in einem gründergeführten Unternehmen, in dem
durch das Gründungsmanagement
täglich vorgelebte gemeinsame
Werte sichtbar werden. Patty McCord, CEO Reed Hastings, sagte
in einem Interview gegenüber dem
Harvard Business Review, dass
eben auch die Branche entscheidend für das Herangehen an innovative Organisationsstrukturen ist.
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
„Many of the ideas in it seem like
common sense, but they go against
traditional HR practices. Why aren’t
companies more innovative when it
comes to talent management? As
a society, we’ve had hundreds of
years to work on managing industrial firms, so a lot of accepted HR
practices are centered in that experience. We’re just beginning to learn
how to run creative firms, which is
quite different. Industrial firms thrive
on reducing variation (manufacturing errors); creative firms thrive on
increasing variation (innovation).“
Sowohl die junge Branche der
Trend- und Entertainment-Industrie
als auch das frühe Stadium der
Organisationsentwicklung, in dem
Wooga sich befindet, begünstigen
einen „Common Sense” Ansatz.
Die Mechanismen sind weder in
größere Aktiengesellschaften mit
mehreren tausend Angestellten,
noch in reifere Organisationen mit
nicht hierfür ausgewählten Mitarbeitern übertragbar. Entsprechend
ist die Gestaltung dieses Change
Prozesses eine der großen Herausforderungen, der sich der Bereich
des Personalmanagements aktuell
stellen muss (Weilbacher, 2014).
Literatur
Delloitte (Hrsg.). The Millenial Survey 2013. Zugriff am
09.05.2014. Verfügbar unter:
(http://www2.deloitte.com/global/en/pages/about-deloitte/
articles/2014-millennial-survey-positive-impact.html).
Gallup (Hrsg.). Gallup Engagement Index 2013. Zugriff am
09.05.2014. Verfügbar unter:
(http://www.gallup.com/strate-
74
Kultur der kollektiven Kreativität
gicconsulting/168164/pm-gallup-engagement-index-2013.
aspx).
Klaffke, M. & Parment, A. (2011).
Personalmanagement von Millennials. Wiesbaden: Gabler.
Lohmann, D. (2012). Und mittags
geh ich heim: Die völlig andere
Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen. Wien: Linde.
Tapscott, D. (2014).Im Gespräch:
Don Tapscott, Professor für
Management an der Universität von Toronto Aus hierarchischen Unternehmen werden
Netzwerke. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3, 18.
Valve Corporation (Hrsg.). Valve
Handbook For New Employees
2012. Zugriff am 09.05.2014.
Verfügbar unter: (http://www.
valvesoftware.com/company/
Valve_Handbook_LowRes.
pdf).
Weilbacher, C. (2014). Schrittweise zur Innovation. Human Resources Manager, 4-5, 60.
Wiggenhorn, M. & Nachtwei, J.
(2014). Bindung durch Entwicklung. Human Resources
Manager, 4-5, 74-77.
►Xing-Profil der Autorin
■
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
75
Interview
mit Gitta Blatt
Warum wird erfolgreiches Wissensmanagement „ethisch gewonnen“ und nicht organisatorisch?
Es geht darum, dass schon bei der
Auswahl der Mitarbeiter und damit
in der Einstellung der Neuen gemeinsame Einstellungen zu Werten
und Umgangsformen abgeglichen
werden. Wir haben ja sehr unterschiedliche Kulturen an Bord und
trotzdem sehen wir bei allen Mitarbeitern, die wir einstellen, eine Neu-
Berufserfahrungen, Studiengänge
und Lebenssituationen eingehen.
Auch darauf, ob es ein Mitarbeiter
ist, der mit Partner bzw. Familie
umgezogen ist. All das hat dermaßen viele unterschiedliche Einflussfaktoren, je nachdem aus welchen
der 23 Länder unsere Mitarbeiter
kommen. Da macht eine Standardisierung gar keinen Sinn und jeder
muss individuell eingeführt werden.
Deshalb helfen auch keine detaillierten ausgearbeiteten Checklist-
friedenheit, bei Wooga zu arbeiten,
sehr hoch ist. Um mehr Informationen für Verbesserungen zu bekommen, stellen wir noch die Fragen
„Wo ist Verbesserungspotenzial?“
,„Was sind Highlights bei Wooga?“.
Zu den Highlights gehören u. a.
Feedback und die Unternehmenskultur. Verbesserungspotenzial wird
noch bzgl. innovativeren Karrierewegen gesehen. Also eben keine
Kaminkarriere, sondern dass viele
Facetten einer Weiterentwicklung
gier auf fremde Kulturen. Das ist
ein besonderes Merkmal, das wir
jenseits der Fachkriterien für nützlich sehen sowie auch dass man
voneinander lernt und sich gegenseitig wertschätzt. Ich denke, dass
jenseits der Fachexpertise die Person ein gewisses Werteverständnis
mitbringen sollte. Diese ethische
Komponente wird nicht durch die
Organisation, sondern durch die
Person mitgebracht, weshalb Wissensmanagement „ethisch gewonnen“ wird.
en, sondern es geht wirklich um
das persönliche Engagement eines
Onboardingteams, das die Fachexpertise und Erfahrung hat z. B.
auch bzgl. Einreisemechanismen.
Sie sind dann die entsprechenden
Ansprechpartner bei der Aufnahme
der Arbeitstätigkeit aber auch anderen Themen wie z. B. Wohnungssuche. Jeder Mitarbeiter hat ganz
eigene Schwerpunkte, die für ihn
eine Schwierigkeit im neuen Land
darstellen.
und einer fluiden Organisationsstrukturen gegeben sind, die wir bei
Wooga zulassen. Das Gesamtfeedback ist, dass alle zufrieden sind.
Das bekommen wir auch im Alltag
zu hören: Wir hören viel zu und
es herrschen wenig standardisierte Prozesse, dafür aber ein hoher
Grad an Individualität.
■
Kann es nicht kritisch sein, mit
jedem neuen Mitarbeiter dieselbe Onboardingstruktur zu verfolgen?
Ja, ich glaube, dass kann kritisch
sein. Eine ausgesprochen intensive Onboardingkultur, wie wir sie
für wichtig halten, kann gar nicht
standardisiert werden. Die einzelnen Situationen sind so individuell,
dass standardisierte Maßnahmen
nicht helfen können. Man muss
den Menschen sehr viel zuhören
und auf die Länder, die vorherigen
Welche Rückmeldungen bekommen Sie von ihren Mitarbeitern
bzgl. des Wohlfühlens am Arbeitsplatz?
Wir haben in der letzten Woche
gerade eine Mitarbeiterumfrage abgeschlossen und fragen ein Mal im
Quartal alle Mitarbeiter, ob sie Wooga als Arbeitgeber empfehlen würden. Das ist eine Rankingfrage, d. h.
es können Punkte von 0-10 vergeben werden. Wir haben mit einer
8,5 abgeschlossen, womit wir sehr
zufrieden sind. Das zeigt, dass die
Empfehlungsbereitschaft und Zu-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
76
Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit –
Erfahrungsbericht aus einem mittelständischen Unternehmen
Gabriele L.E. Peter1
1)
Personalleiterin im Mittelstand und in Aktiengesellschaften
SCHLÜSSELWÖRTER: interkulturelle Kompetenz, Anforderungen Personalentwicklung, internationale Personalarbeit, Mittelstand
KURZFASSUNG: Die zunehmende Globalisierung erfordert eine häufigere Entsendung von Fachkräften in ferne
Länder mit völlig anderen Kulturen (PwC, 2000). Das Selbstverständnis z. B. deutscher Ingenieur-Experten macht
es diesen oft schwer, sich auf fremde Kulturen einzustellen. Wie aber kann man Mitarbeiter davon überzeugen, dass
das Einstellen auf fremde Kulturen zwar eine unumgängliche Herausforderung, jedoch auch einen persönlichen Gewinn darstellt? Wie vermittelt man an „hard facts“ gewöhnte Experten, dass ihr künftiger Erfolg im Ausland wesentlich
auch von ihren „soft skills“ bestimmt wird? Kann dieses Dilemma durch die moderne Personalentwicklung gelöst werden, kann defizitorientierte Personalentwicklung eine Lösung bieten oder sollten andere, kreative Wege beschritten
werden? Die Autorin zeigt aufgrund ihrer eigenen langjährigen Erfahrungen im internationalen HR-Bereich, welcher
Maßnahmen-Mix aus dem Dilemma helfen kann und wirbt für eine umfassendere Betrachtung der meist rein quantitativen Bewertung der gegebenen Entsendepolitik vieler Unternehmen.
1. Vorfreude & Kulturschock:
Gerade in Deutschland, mit seiner
Exportorientierung, stehen Firmen
zunehmend vor der Situation, ihre
Fach- und Führungskräfte ins Ausland entsenden zu müssen (PwC,
2000).
Dies stellt bereits innerbetrieblich
oft größere Herausforderungen dar.
Zum einen, weil internationale Kunden – vor allem im arabischen sowie asiatischen Raum – nur wirklich
erfahrene und somit ältere, idealerweise „ergraute“ Fachkräfte akzeptieren und zum anderen, weil gerade diese oft aus familiären Gründen
nicht zur uneingeschränkten Mobilität bereit sind.
Hat ein Unternehmen nun einen
geeigneten Kandidaten identifiziert,
so lernt dieser schnell seinen Wert
für den Arbeitgeber in den richtigen
Fokus zu setzen, so dass sich die
Firmen oft mit unrealistischen Anspruchshaltungen seitens ihrer Mitarbeiter konfrontiert sehen.
Sind dann diese Diskussionspunkte zwischen Arbeitgeber und
zu entsendendem Mitarbeiter geklärt, reist die Fachkraft ins ferne
Land, überzeugt davon, dort mit offenen Armen empfangen zu werden
– immerhin lässt sich der Arbeitgeber seine Entsendung eine Menge
kosten.
Umso irritierender ist die häufige
Erfahrung der deutschen Experten,
wenn Sie vor Ort vom ausländi-
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
schen Kunden bei z. B. Präsentationen bewusst in die „Enge getrieben“ werden. Sie sehen sich dann
provozierenden Fragen gegenüber,
die an ihrem Selbstverständnis als
Experte zehren. Ist dann der entsendete Experte „beleidigt“ und
„schmollt“, hat er den Praxistest aus
Sicht des Kunden nicht bestanden.
Sollte der Experte des Weiteren
nicht ausreichend Interesse an
gemeinsamen Ritualen (wie Teetrinken etc.) mit den Auftraggebern
haben oder zu introvertiert sein,
kommt es im Anschluss seitens des
Kunden häufig zu „Beschwerden“
beim Arbeitgeber im Heimatland.
Dieser ruft gern umgehend die
Personalabteilung an und be-
77
Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit
auftragt sie, für den entsendeten
Experten ein Seminar zur Persönlichkeitsstärkung bzw. zu interkulturellen Kompetenzen zu buchen.
2. Übliche Reisevorbereitungen
Experten werden überwiegend
ausschließlich aufgrund ihres fachlichen Know-hows ausgesucht und
entsendet.
Viele Unternehmen entsenden
ohne große Vorlaufzeiten (Wimmer,
2002), so dass für das Personalmanagement maximal eine Vorbereitung des Kandidaten im Hinblick
auf die künftigen kulturellen Unterschiede möglich ist.
Da Unternehmen oft Mühe haben, die richtigen Mitarbeiter zu
einer Entsendung zu bewegen,
kommt man ihnen in vielen Punkten
entgegen. Im schlimmsten Fall veranlasst dies die Mitarbeiter, ihren
eigenen Beitrag zu überschätzen
(„Die sind auf mich angewiesen.“).
Viele der beschriebenen Experten sind ausschließlich Fachleute
und weit weniger Führungskräfte,
die sich ganz ihrer Materie widmen wollen. Daher fällt es ihnen oft
schwer, sich u. a. an fremde Kommunikationsmuster zu gewöhnen.
Jedoch gerade im arabischen und
asiatischen Raum wird erst einmal
der Mensch als solcher „gemustert“ und will kennengelernt werden
– z. B. beim Tee & Gebäck oder
einem Abendessen. Hinzu kommt,
dass gerade im arabischen Raum,
Auftraggeber wiederum andere
Expats (meist aus muslimischen
Bruderländern) damit beauftragen,
dem von deutschen Unternehmen
entsandten Mitarbeiter auf die „Fin-
ger zu schauen“. Daher kommt es
am Anfang einer Zusammenarbeit
oft zu Fragen, die eigentlich bereits
beantwortet worden sind und den
Entsandten auf eine Geduldsprobe
stellen. Hier muss sich der zu Hause hofierte Fachmann nochmals
beweisen, indem er souverän sein
Know-how beweist und dem Auftraggeber zeigt, dass er sein Geld
wert ist.
3. „Impfempfehlungen“
Da in den Unternehmen für Expats
ein vielfaches von dem aufgewendet werden muss, was ein inländischer Mitarbeiter kostet (Siemann,
2010), ist die Bereitschaft vieler
CEOs, proaktiv weitere Aufwendungen für Vorbereitung und Betreuung zu finanzieren während einer
Entsendung oft nicht stark ausgeprägt. Dennoch sollten bei der Personalauswahl (zur Einstellung oder
mindestens zur Entsendung) neben
der fachlichen Qualifikation auch
unbedingt die Kompetenzen geprüft
werden, die ein Bestehen im interkulturellen Kontext ermöglichen.
Dies ist u. a. mittels entsprechender
Assessment Center möglich.
Des Weiteren ist die Prüfung der
Fremdsprachenkenntnisse
dringend angezeigt. Hier hat sich die
hartnäckige Auffassung gehalten,
dass diese den Fachkenntnissen
untergeordnet werden können.
Aber wie soll ein Fachmann sein
Know-how zeigen, wenn er es nicht
auch in einer Fremdsprache kann?
In Unternehmen, die in vielen verschiedenen Ländern agieren und
deren Mitarbeiter zeitnah von einem ins andere Ausland wechseln
müssen, machen vorbereitende
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Seminare zu den kulturellen Unterschieden von Land A im Vergleich
zu Land B nur bedingt Sinn. Hier
bietet es sich an, die Wahrnehmungen und deren Interpretationen der
betreffenden Mitarbeiter gezielt zu
entwickeln. Ebenso deren Selbstreflexionsfähigkeit. Dies ermöglicht
es einem später im Ausland tätigen
Experten, mit ihm bisher unbekannte Verhaltensweisen Einheimischer
mit der erforderlichen Achtsamkeit
umzugehen und eben nicht nur
sein in Deutschland erprobtes Interpretationsmuster anzuwenden.
Hier sollte demnach vom Personalmanagement
weitreichender
gedacht werden. Alle vom Personalmanagement
eingeleiteten
Maßnahmen sollten geeignet sein,
die Handlungskompetenzen des
zu Entsendenden zu erhöhen. Hier
bieten sich maßgeschneiderte Unternehmensspiele an, welche eine
gefahrlose Simulation verschiedenster Situationen ermöglichen.
Oder im Rahmen einer „kollegialen
Beratung“ wird dem Mitarbeiter die
Gelegenheit gegeben, sich zu seinen Auslandserfahrungen auszutauschen und einen wesentlichen
Beitrag zum Wissensmanagement
zu leisten (Maletzky, 2010).
Ungeachtet der unter Umständen weiter anfallenden Kosten,
sollte den Expatriates ein Zeitraum
gewährt werden, in dem sie eben
nicht aus Unternehmenssicht produktiv arbeiten, sondern sich vor
Ort vorstellen und mit den handelnden Akteuren und Gegebenheiten
bekannt machen. Also bspw. die
erste Zeit nur zum Tee trinken verabredet sind. Diese Investition zahlt
sich in einer vertrauensvolleren Zu-
78
Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit
sammenarbeit aus, das Risiko des
Scheiterns sinkt. Nur sollte es aus
dem Heimatland sorgsam vorbereitet werden. Je nach Status (z. B.
für einen CEO einer Niederlassung
oder ausländischen Tochter) kann
dem Expatriate auch ein externer
Berater für die ersten Wochen zur
Verfügung gestellt werden.
Des Weiteren sollten bei Entsendungen die Mitarbeiter nicht als
„Insel“ betrachtet werden, sondern
im selben Maß auch deren soziales
Umfeld. Denn, ob eine Entsendung
erfolgreich wird, hängt eben nicht
nur von der richtigen fachlichen
und interkulturellen Kompetenz
ab, sondern in besonderem Maße
auch vom Wohlbefinden des Mitarbeiters im Ausland. Dazu bietet es
sich an, für die Unterbringung der
Kinder in deutschen bzw. internationalen Schulen Sorge zu tragen
(Siemann, 2010). Jedoch auch
ausreisende und normalerweise
berufstätige Frauen sollten vom
Personalmanagement bei deren
beruflicher Neuorientierung unterstützt werden. Vergessen werden
dürfen darüber hinaus nicht die älteren Angehörigen der Mitarbeiter
– hier verlangt der in Deutschland
zu beobachtende demographische
Wandel ebenfalls Lösungen, damit
ein „Expat“ guten Gewissens im
Ausland tätig sein kann (Maletzky,
2010).
Um die Kosten für die Unternehmen nicht weiter ansteigen zu lassen, sollten flexiblere Gehaltskomponenten entwickelt und mit den
einzelnen Fachleuten verhandelt
werden.
Auch flexiblere Entsendemodelle
(z. B. kürzere Einsatzzeiten, Tan-
dems) sollten geprüft werden; so
finden sich im Allgemeinen leichter
Mitarbeiter, wenn sie nur für einige
Monate ins Ausland gehen sollen.
Nicht zuletzt die Herausforderung
der Reintegration ist dann weitaus
leichter zu meistern.
4. Last but not least
Kaum etwas im Personalmanagement ist so komplex wie das Thema
der Auslandsentsendungen (Siemann, 2010).
Mitarbeiter sollten daher bereits
bei ihrer Einstellung auch auf deren Eignung für Auslandseinsätze
hin sorgfältig ausgesucht werden.
Hierfür bieten sich verschiedene diagnostische Instrumente an.
Die Auslandseinsätze müssen
zwingend gut vorbereitet sein, was
über die einfache Vermittlung von
Kenntnissen über landestypische
Gepflogenheiten hinausgehen sollte. All dies mit dem Ziel, dass man
„…mit dem Eigenen und dem Fremden spielerisch umgehen und sein
Repertoire der jeweiligen Situation
anpassen“ kann (Maletzky, 2011).
Hier sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, so können z. B. Round
Tables mit ehemals Entsandten helfen, die Scheu vor einem Auslandsengagement zu mindern. Eine gute
Vorbereitung der Einsätze erfordert
jedoch auch eine zeitnahe und umfassende Einbindung des Personalmanagements.
Und auch während des Auslandseinsatzes sollten die Expatriates
eng betreut werden, um Misserfolgen und vorzeitiger Beendigung
vorzubeugen (Wimmer, 2002).
Hierbei sind neben dem Personalmanagement auch Vorgesetzte,
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Kollegen und die Familien der Entsandten mit einzubeziehen (Maletzky, 2010).
Die Betreuung der Expats beinhaltet demnach auch die Einbindung von deren Familien – unabhängig davon, ob sie mit ausreisen
oder im Heimatland bleiben. Um
die spätere Reintegration zu erleichtern, bieten sich regelmäßige
Heimatbesuche oder die Teilnahme
an Besprechungen in der Zentrale
bzw. an üblichen Unternehmensfeiern wie Weihnachtsfeiern an.
Zusammenfassend lässt sich somit
sagen:
Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Reintegration sind Perspektiven, Vereinbarungen hinsichtlich
der künftigen Tätigkeitsfelder im
Ursprungsland sowie ein Wissensmanagement, dass die Auslandserfahrungen des Mitarbeiters
wertschätzt und für das Unternehmen und andere zu entsendende
Mitarbeiter nutzbar macht. Darüber
hinaus ist die intensive Begleitung
des Mitarbeiters und seiner Familie
wichtig, um die Folgen des Reintegrationsschocks zu mildern und
ein schnelles wieder Einleben zu
ermöglichen.
Literatur
Maletzky, M. (2010). Herausforderung Auslandsentsendung. Human Resources Manager, 05,
S. 68-71
Maletzky, M. (2011). Weniger Anpassung ist manchmal mehr:
Zugriff am 12.12.2011 http://
www.sueddeutsche.de/karriere/arbeiten-im-ausland-weniger-anpassung-ist-manchmalmehr-1.1017510
79
Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit
PwC (Hrsg.) (2000). Auslandsentsendungen von Mitarbeitern
gewinnen für Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Verfügbar unter: http://www.presseportal.de/pm/8664/115118/
auslandsentsendungen-vonmitarbeitern-gewinnen-fuerunternehmen-immer-mehr-anbedeutung
Siemann, C. (2010). Die üppigen
Zeiten sind vorbei. Personalwirtschaft, 05, S. 4-8
Wimmer, M. (2002). Arbeit im Ausland Härtetest für die Karriere.
Zugriff am 23.08.2002. Verfügbar unter http://www.ingenieur.
de/Arbeit-Beruf/Arbeitsmarkt/
Arbeit-im-Ausland-Haertetestfuer-Karriere
►Xing-Profil der Autorin
■
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
80
Interview
mit Gabriele L.E. Peter
Haben Sie selbst Erfahrungen im
Ausland gemacht, die den Artikel
stützen?
Obwohl ich als Mitarbeiterin nie entsendet wurde, konnte ich bereits in
meiner Studienzeit erste eigene interkulturell geprägte Situationen als
Praktikantin in Costa Rica erleben.
Dort erlebte ich einen Kulturschock
und überlegte mir, wie ich mit dieser Situation fern der Heimat umgehen konnte. Meine „Analyse“ ergab,
dass ich zum einen die Situation
Mitarbeiters zu machen, standen
wir auch den Ehepartnern der betroffenen Mitarbeiter für Fragen zu
kulturellen Unterschieden bzw. zur
Situation im Entsendeland gern zur
Verfügung.
nicht ändern und zum anderen die
Situation nicht vorzeitig verlassen
konnte. Somit blieb nur noch meine
innere Haltung zur gegebenen Situation zu verändern. Als ich dies erkannte, habe ich mich sehr schnell
in die fremde Umgebung integrieren und das Fremde vorbehaltlos
kennen- und schätzen lernen können. Diese Erfahrung war für mich
prägend.
Maß an Sozialkompetenz mitbringen, open minded, also neugierig
und selbstreflektierend sowie kommunikationsstark sein.
Wie kann das entsendende Unternehmen das Wohlbefinden
und den Arbeitserfolg des entsandten Mitarbeiters im Ausland
steigern?
Wichtig ist, dass der Mitarbeiter und
ggf. seine Familie vor der Entsendung auf das Ausland vorbereitet
wird und man kontinuierlich auch
während seiner Entsendung den
Kontakt zu ihm hält. Wir haben betroffenen Mitarbeitern und ihren Familien „look and see trips“ ermöglicht, so dass sie selbst einschätzen
konnten, was auf sie zukommen
wird. Da wir gelernt haben, die
Rechnung nie ohne die Familie des
Nach welchen Kriterien, neben
fachlichem Wissen, sollte der
Mitarbeiter für eine Versetzung
ins Ausland ausgewählt werden?
Aus meiner Sicht muss ein zu entsendender Mitarbeiter ein hohes
Wie schätzen Sie die Zukunft des
Personalbereichs im Bezug auf
weitere Entwicklungen der Globalisierung ein?
Da für mich der Mensch der wichtigste Produktionsfaktor in jedem
Unternehmen ist, unabhängig von
der Branche, bin ich davon überzeugt, dass die Rolle des modernen
Personalmanagements
entsprechend der steigenden Globalisierung bedeutender werden wird.
■
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
81
Index
Index
A
Absorptionskompetenz 7
Ähnlichkeitseffekt 42, 44
Akzeptanz 28, 36, 55
Anforderungen 6, 10, 12, 38
Anforderungsanalyse 53
Anforderungsprofil 32, 42
Anforderungsverdichtung 17
Arbeitgeberattraktivität 26, 27, 28, 29, 70
Arbeitgebermarketing 67
Arbeitsprobe 34
Arbeitszufriedenheit 27, 59, 60
Assessment Center 36, 37, 41, 52, 78
Aufgabenkomplexität 11
Auswahlgespräche 37
Auswahlprozess 32, 46, 47, 49
Auswahlverfahren 37, 38, 41
B
Bauchgefühl 32, 46
beobachtbares Verhalten 48
Beobachterschulung 53
Beobachtungsbogen 49, 51
Betriebliche Gesundheitsförderung 58, 59
Betriebliches Eingliederungsmanagement 59, 60
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) 58
Beurteilungsfehler 42, 44
Beurteilungskriterien 43
Bewerbermerkmale 43
Bewerterteam 49
Bewertungsraster 48
Branchentrends 7
Burn-Out 59
Business Netzwerke 22
C
Chancen 17
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Change Agent 23
Change Management 20, 57
Change Prozess 67, 71, 74
D
Demotivation 55, 57
Development Center 36
Diagnostische Instrumente 52
E
EDV-Tools 13
Eignungsbeurteilung 48
Eignungsdiagnostik 33
Einarbeitungsprogramm 29
Einstellungsverfahren 47
Employee-Assistance-Program 58, 60
Employer Branding 22, 26, 31
Enterprise 2.0 21, 23
Entscheidungsautonomie 54
Entwicklungsbedarf 8, 55, 63, 66
Entwicklungspotentiale 68
Entwicklungsprozess 71
Erfahrungswissen 63
Erfolgswahrscheinlichkeit 55
F
Fachkompetenz 47, 51
Fachkräfte 27, 32, 37
Fachkräftemangel 67
Faktorieller Survey 42, 46
Feedback 28, 53, 54, 56, 73
Fehlentscheidungen 32
Fehlerquellen 48
Fehlzeiten 59
Fluide Organisation 74
Fluktuation 54
Fluktuationskosten 27
Fördermöglichkeiten 28
Führung 11, 23
Führungskompetenzen 14
Führungskonzepte 11
82
Führungskräfte 11, 13, 16, 17, 27, 28, 32, 36, 38, 48,
53, 60, 68
Führungskräftetrainings 29
Führungsstil 68
Führungsverhalten 26, 28
Fünf-Faktoren-Modell 34
G
Generation Y 27, 28
Gesamtbeurteilung 43
Gestaltungsfreiheit 18
Gesundheitsmanagement 58
Gesundheitsmaßnahmen 26
Gesundheitsschutz 59
H
Hierarchieebenen 41
Hierarchien 13
HR 2.0 21
kompetenzbasiertes Matching 65
kompetenzbasierte Verfahren 64
Kompetenzen 6, 32, 33, 36, 39, 49, 53, 64, 77
Kompetenzentwicklung 65
Kompetenzkriterien 11, 32
Kompetenzmodell 53
Kompetenzprofil 63, 64
Kompetenzunterschiede 64
Komplexität 11, 16, 23
Konfliktfähigkeit 33
Konsolidierungsphase 54
Kooperationsbarrieren 17
Krankenstand 59
krankheitsbedingten Fehlzeiten 58
Kultur 25, 28, 49, 56, 68, 70, 72, 73, 74
Kulturentwicklung 25
Kulturmanager 23
Kulturwandel 23
Kundenanforderungen 12
L
I
Indikatoren 33
Informationsflut 17
Informationsmangel 17
Innovative Organisationsstruktur 74
Instrumente 15, 52
Integrationsprozesse 16
Intelligenztest 34
Interkulturelle Kompetenz 77, 78
Internationale Personalarbeit 77
Internes Newplacement 67, 68, 69
Interview 38, 52, 57
Interviewleitfaden 32
Interviewprozess 36
IT-Systeme 13
K
Know-how-Träger 22
Know-how-Verlust 27
Kommunikation 13, 16, 19, 23, 26, 28, 29, 55, 58, 60,
71, 74
Kommunikationskonzept 17
Kommunikationskultur 21, 24
Kommunikationsprozess 14, 23
Kommunikationsverhalten 30
kompetenzbasierte Personalentwicklung 63
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Leadership 2.0 21
Leistungsbeurteilungen 56
Leistungsstruktur 12
Leitungsebenen 11
Leitungspyramide 11
M
Management 13, 17
Managementsysteme 13
Matching 63
Maturitätsphase 54
Mentoring 29, 63
Mentoringerfolg 63
Mentoring-Programm 63
Methodenwissen 33
Mitarbeiter 10, 13, 16, 17, 26, 27, 38, 69
Mitarbeiterbedürfnisse 26
Mitarbeiterbeteiligung 16
Mitarbeiterbeurteilung 68
Mitarbeiterbindung 29
Mitarbeiterführung 30, 58
Mitarbeiter-Portfolio 68
Moderator 39
Motivation 18
multimethodale Assessment Center 53
multimethodale Verfahren 52
83
N
Nachwuchsförderung 29
Netzwerk 74
Newplacement 67, 68, 69
Nutzenpotenziale 22
O
Operationalisierung 7
Opportunitätskosten 27
Organisation 11, 13, 42
organisationale Veränderungskompetenz 7
Organisationsentwicklung 33
Organisationsformen 11
Organisationsgestaltung 11, 13, 15
Organisationsziele 32
P
Performance Development System 33
Personalauswahl 37, 42, 47, 78
Personalauswahlkriterien 42
Personalauswahlprozess 32
Personalbeschaffung 21, 32
Personalbeschaffungsanalyse 34
Personalbeschaffungsmethoden 11, 32
Personalbindung 28
Personalentwicklung 21, 22, 58, 63, 66, 77
Personalkapazität 18
Personalmarketing 21, 23, 26, 31
Personalplanung 21
Personalstrategie 21, 68
Personalvorauswahl 42, 44
Persönlichkeitsfragebogen 32, 34
Persönlichkeitsmerkmale 39
Persönlichkeitsstärkung 78
Persönlichkeitstest 11, 32, 34
Potenzialanalyse 33, 34, 52, 55
Potenzialanalyseverfahren 54
Potenzialeinschätzung 52
PPO-Führungskompetenzen 13
PPO-Rahmenbedingungen 13
PPO-Weiterentwicklung 13
Prozessorganisation 11
Prozessunterstützung 13
Qualifikationsniveau 13
Qualität 49, 56
R
Rahmenbedingungen 13, 18
Recruiting 22, 33
Referenz-Check 33
Referenzprofil 32
Reflexionskompetenz 7
Regeln 13
Reintegration 79
Ressourcen 6, 10, 36, 58, 68
Risikobewertung 17
Risikomanagement 13
Rollenspiele 38
Routine 7
S
Schlüssel-Schloss-Prinzip 64
Schnittstellenprobleme 17
Selbsteinschätzung 34
Selbstreflexion 7
Selbstreflexionsfähigkeit 78
Social Media 21, 22, 25
Soft skills 47, 77
Soziale Netzwerke 22
Soziale Systeme 14
Sozialkompetenz 47, 48, 81
Stellenbesetzungsverfahren 37
Strategie 6, 12, 17
Strategiekonzept 26
Strategieworkshop 27
strategische Personalentwicklung 63
strategische Veränderungskompetenz
7
strukturierter Beobachtungsbogen 49, 51
Supplementäres Matching 65
T
Teamarbeit 17
Trainingsbedarf 56
Transparenz 10, 15, 28, 55, 65
U
Q
Qualifikation 28, 64
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
Umgestaltung 13
Unternehmen 16
84
Unternehmenskultur 13, 16, 17
Unternehmensumwelt 14
Unternehmensziele 11, 12, 14
Urteilerfehler 42
V
Veränderung 6, 11, 16, 18
Veränderungsfähigkeit 8
Veränderungskompetenz 6, 8
Veränderungsprozess 7, 11, 15, 16, 55
Veränderungswiderstand 57
Vergleichsstichprobe 33
Verhalten 17
Verliererproblematik 54, 57
vernetzte Intelligenz 73
Vernetzung 72
Vignettenanalyse 42, 45
Vision 12
Vorauswahlprozess 45
Vorgehensmodell 12
Vorhersage 43
Vorhersagekraft 52
Vorstellungsgespräch 43
W
Wahrnehmungsfehler 42, 46
War for Talents 22
Wechselbereitschaft 27
Wertesystem 17, 36
Wertewandel 31
Wettbewerbsfähigkeit 16
Wissensmanagement 78
Wissensorganisation 73
Wissenstransfer 29
Work-Life-Balance 26
Work-Life-Integration 72
Z
Zielerreichung 23
HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232
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