Human Resources Consulting Review 2014 Herausgeber: Prof. Dr. Jens Nachtwei & Dr. Charlotte von Bernstorff Band 4 / 2014 Verlag Der Verlag für Qualitätssicherung in Personalauswahl und -entwicklung (VQP) baut eine Brücke zwischen theoretischen Erkenntnissen und praktischer Anwendung im Bereich Human Resources. Ziel ist es, einer breiten Leserschaft aus dem Arbeitsfeld sowie fachlich interessierten Studierenden am Institut für Psychologie der HU Berlin relevante Publi- kationen aus der praxisnahen, universitären Lehre zur Verfügung zu stellen. Alle Publikationen sind frei zum Download verfügbar. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des Verlags unter http://macs2.psychologie.hu-berlin. de/vqp/. HR Consulting Review Im jährlichen Herausgeberband „HR Consulting Review“ stellen PersonalmanagerInnen aktuelle Projekte, innovative Modelle und Sichtweisen sowie wissenschaftliche Studien aus der Unternehmenspraxis vor. Die Themen stammen aus den Bereichen Führung, Personalauswahl, PE und Organisationsentwicklung. Die Autoren der Artikel sind PersonalmanagerInnen von Unternehmen verschiedener Branchen im deutschsprachigen Raum. Die Artikel werden begleitend zur Ringvorlesung „Personal- und Organisationsberatung“ entwickelt, so dass die Autoren auf Basis ihres Artikels einen Vortrag an der HU Berlin halten. Alle Artikel werden einem Review-Prozess durch die Herausgeber Prof. Dr. Jens Nachtwei und Dr. Charlotte von Bernstorff unterzogen. Verlag für Qualitätssicherung in Personalauswahl und -entwicklung (VQP) HR Consulting Review, Band 4 / 2014 Herausgeber: Prof. Dr. Jens Nachtwei & Dr. Charlotte von Bernstorff OnlineFirst HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 2 Editorial Viel(falt) Personalarbeit – Wie Verantwortliche dem Wandel begegnen Prof. Dr. Jens Nachtwei & Dr. Charlotte von Bernstorff (HU Berlin/ HAM/ IQP) Globalisierung und Fachkräftemangel sind wohl die Schlagworte, mit denen sich zentrale Herausforderungen für Personalmanager auf den Punkt bringen lassen. Demographische Entwicklung und internationaler Wettbewerb zwingen Personaler in den Spagat zwischen Abwanderung und Entsendung, Kompensation und Kündigung, Selektion und Fluktuation. Die Attraktivität des neue Formen der Informations- und Kommunikationspolitik. Um die Verwendung moderner, aber auch bewährter Instrumente und Kriterien der Personalbeschaffung zur Steigerung von Kulturbildung und Unternehmensattraktivität. Um Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements in Zeiten demographischen Wandels. Um kompetenzbasierte Mentoringprozesse und Unternehmens soll gesteigert, die Ausgaben verringert werden. Neue Medien wollen im Sinne kommunikativer Effizienz und Flexibilität nicht verpasst, dabei persönliches Feedback nicht verhindert werden. Kontinuierliche Maßnahmen der Umstrukturierung sind ebenso notwendig wie solche zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit. Im Bereich der Personalauswahl kämpfen Recruiter mit geringen Basisraten und somit der Schwierigkeit, überhaupt geeignete Personen für eine Stelle zu finden. Als Folge kommen Personalmanager immer häufiger den Anforderungen einer Stelle eher kompromisshaft, den Forderungen von Bewerbern dagegen vollständig nach. Währenddessen steigen ironischer Weise die Anforderungen an die (Schlüssel-)Position eines Human Resources-Manager selbst. Was Personalmanagern als Verkörperung von Change- und Talent Manager heute abverlangt wird, haben unsere Autoren zuletzt in der Sonderausgabe zu PE & OE 2013 diskutiert. Mit dem diesjährigen Band greifen wir den globalen und gesellschaftlichen Wandel aus unterschiedlichen HR-bezogenen Blickpunkten noch einmal auf. Jeder Autor liefert dafür einen spezifischen Beitrag, der als Konsequenz auf die oben beschriebenen zentralen Herausforderungen verstanden werden kann. So geht es um ein ganzes Spektrum aus Personalthemen: Um verbesserte organisationale Veränderungsbereitschaft oder das Erwerben der dafür notwendigen individuellen Kompetenzen. Um Newplacement zur Vorbeugung von Fachkräftemangel. Und um neue Formen der internationalen und interkulturellen Zusammenarbeit. Die thematische Vielfalt unserer Beiträge macht auf beeindruckende Weise deutlich: In kaum einem Tätigkeitsfeld spiegelt sich der globale Wandel derart facettenreich wider wie im Personalbereich. Dabei nicht nur die Herausforderungen an, sondern auch die Relevanz von Personalmanagern herauszustellen, ist uns mit dieser Ausgabe des HR Consulting Review erneut ein Anliegen. HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen, Ihr Ihre Prof. Dr. Jens Nachtwei Dr. Charlotte von Bernstorff 3 Inhaltsverzeichnis Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU Prof. Dr. Barbara Kump1 & Dr. Christina Schweiger2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1) Stadt Wien Stiftungsprofessur für Forschung im Bereich Organisationsentwicklung und lernende Organisation (Schwerpunkt KMU), FHWien der WKW in Wien 2) Forscherin im Kompetenzteam für Entrepreneurship an der FHWien der WKW in Wien Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) – Instrumentarium für Führungskräfte in Zeiten des Wandels Jens-Peter Toepper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Leiter Unternehmensorganisation Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen – Konzern versus Mittelstand Werner Oergel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Partner von Graf Lambsdorff & Compagnie Unternehmensberater und Personalberater HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung Prof. Dr. Thorsten Petry . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Professor für Organisation und Personalmanagement an der Hochschule RheinMain Arbeitgeberattraktivität und Personalführung Prof. Dr. Bernd Helbich1 & Prof. Dr. Volker Herzig2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1) Dipl. Ing. u. Diplom Soziologe, Geschäftsführer in einem Personalentwicklungsverbund mittelständischer Unternehmen: MACH2 Personalentwicklung 2) Dipl. Kaufmann, langjährige Erfahrungen als Leiter Personalentwicklung u. Personalleiter in der Industrie beide heute: Professoren an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Wirtschaft in der Fachgruppe „Personal u. Organisation“ Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden Nikola Holle-Spiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Director Human Resources, Lautsprecher Teufel GmbH Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg Tim Jaschke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Ehem. Personalleiter im Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel, aktuell Mitarbeiter der Versorgungsausgleichskasse Schleswig-Holstein im Personalservice Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler Andy Donaubauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Manager Personnel & Organizational Development Xella International GmbH HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 4 Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell Christian Reincke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 STI Group, Leiter Personalentwicklung Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis – Was bringen sie neben der Identifikation von Potenzialträgern noch? Simone Olbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Bereichsleiterin Personalentwicklung, Aus- und Weiterbildung & Personalbetreuung, Lidl Stiftung & Co. KG Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich! Oliver Flohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters und Leiter Personal und Organisation, Gemeinde Lindlar Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring Sabine Nitsche1 & Ljerka Heinecke-Cuvaj1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1) Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen Wolfram Kaiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Bereichsleiter Personal / Prokurist, Hamburger Volksbank Kultur der kollektiven Kreativität Gitta Blatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Head of People, Wooga GmbH Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit – Erfahrungsbericht aus einem mittelständischen Unternehmen Gabriele L.E. Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Personalleiterin im Mittelstand und in Aktiengesellschaften Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 5 Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU Prof. Dr. Barbara Kump1 & Dr. Christina Schweiger2 Stadt Wien Stiftungsprofessur für Forschung im Bereich Organisationsentwicklung und lernende Organisation (Schwerpunkt KMU), FHWien der WKW in Wien 2) Forscherin im Kompetenzteam für Entrepreneurship an der FHWien der WKW in Wien 1) SCHLÜSSELWÖRTER: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Strategie, Veränderungskompetenz KURZFASSUNG: Eine maßgebliche Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens ist dessen Fähigkeit, dynamisch auf Veränderungen zu reagieren. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stehen hier vor einer besonderen Herausforderung: Einerseits sind KMU im Vergleich zu großen Unternehmen flexibler, andererseits fehlt es in KMU häufig an strategischen Perspektiven, sowie an personellen Ressourcen, um Tätigkeiten außerhalb ihres operativen Tagesgeschäfts durchzuführen. Im Artikel werden zunächst unterschiedliche Arten von strategischen Veränderungskompetenzen beschrieben, die zentral für den erfolgreichen Umgang mit Veränderungen von KMU sind. Anschließend werden Methoden vorgestellt, die geeignet sind, um KMU beim Aufbau der unterschiedlichen strategischen Veränderungskompetenzen zu unterstützen. Herausforderungen für den Umgang mit Veränderung in KMU Die kontinuierliche Anpassung an veränderte Umweltbedingungen ist für Unternehmen überlebensnotwendig. In der Praxis geschieht diese Anpassung vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aufgrund von engen Ressourcen meist spontan und ‚intuitiv‘ und ist selten strategisch geplant (Güttel, 2006). Ein Mangel an strategischer Veränderung kann dazu führen, dass es langfristig unmöglich wird, auf neue Anforderungen aus der Umwelt entsprechend zu reagieren. Negative Entwicklungsverläufe in Form von manifesten Krisen bis hin zur Liquidation des Unternehmens können die Folge sein. Wollen KMU im Spannungsfeld von geplanten und ungeplanten Wandelprozessen positive Entwicklungsverläufe erzielen, ist neben der Entwicklung von personellen Kompetenzen (z. B. Führungskompetenz, kaufmännischbuchhalterische Kompetenz) die Entwicklung von organisationalen Veränderungskompetenzen unerlässlich (Güttel, 2006; Schweiger, 2012). Unter organisationaler Kompetenz versteht man die Fähigkeit einer Organisation, Inputgüter und interne Ressourcen so zu nutzen, dass das Leistungspotenzial der Organisation ausgeschöpft wird (Fichtner, 2008). In Hinblick auf Veränderung bedeutet dies beispielsweise, dass das Unternehmen in der Lage ist, Trends in der Branche zu erkennen und an diese Trends angepasste Produktinnovationen auf den Markt zu bringen. Organisationale Kompetenz manifestiert sich unter anderem in routinierten Abläufen und Prozessen (z. B. kontinuierlicher Verbesserungsprozess) HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 und in kollektivem Wissen (z. B. Best Practices). Organisationale Kompetenzen können durch den Einsatz von geeigneten Strukturen (z. B. Aufbau einer F&E-Abteilung) und Abläufen (z. B. standardisierter Umgang mit Kundenbeschwerden) unterstützt werden. Bei der professionellen Unternehmensgestaltung in KMU wird häufig versucht, Ansätze, die in großen Unternehmen funktionieren, auf KMU zu übertragen. Dabei gibt es allerdings eine Reihe von Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, welche die Übertragbarkeit deutlich einschränken (Bussiek, 1996; Volkmann & Tokarski, 2006): Zum einen sind in KMU die finanziellen und personellen Ressourcen häufig knapp und es ist lediglich ein begrenzter Zugriff auf externe Finanzierungsquellen möglich. Zum anderen fehlt es oft an ExpertInnen für 6 Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU Veränderungsprozesse und an systematisierten Planungs- und Regelsystemen zur erfolgreichen Umsetzung von Veränderungen. Konkrete Methoden zur Analyse und Förderung der Entwicklung strategischer Veränderungskompetenzen für KMU existieren bisher kaum (z. B. Madsen et. al 2006; Frank, Güttel & Kessler, 2008). Im Folgenden wird ein Modell vorgestellt, das beschreibt, welche organisationalen Kompetenzen KMU brauchen, um sich strategisch weiterzuentwickeln. Für jede der Kompetenzen werden Diagnose- und Interven­ tionsmöglichkeiten vorgeschlagen. Komponenten strategischer Veränderungskompetenz In Anlehnung an Güttel (2006) wird davon ausgegangen, dass sich die organisationale Veränderungskompetenz aus Strategieentwicklungskompetenz, Generierungskompetenzen und Umsetzungskompetenzen zusammensetzt. Die Strategieentwicklungskompetenz umfasst die Fähigkeit eines Unternehmens, sich unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen ein längerfristiges Ziel (Vision) zu setzen und die Unternehmensentscheidungen auf die Erreichung des Zieles auszurichten. Typischerweise ist die Strategieentwicklungskompetenz in KMU bei der Geschäftsführung angesiedelt. In selteneren Fällen werden Führungskräfte und Mitarbeiter in die Strategieentwicklung eingebunden. Als Generierungskompetenzen sind die organisationale Suchkom- petenz, die Reflexionskompetenz sowie die Absorptionskompetenz definiert. Die Suchkompetenz meint die Fähigkeit eines Unternehmens, durch etablierte Routinen Umweltbeobachtungen durchzuführen, um dadurch effektiv Innovationsmöglichkeiten zu erkennen. Während große Unternehmen in der Regel eigene Abteilungen (z. B. Marktforschung) haben, ist in KMU aus Ressourcengründen die Suchkompetenz häufig über unterschiedliche Stellen verteilt und passiert „nebenbei“: So nehmen etwa einzelne MitarbeiterInnen an Konferenzen teil, oder erhalten Newsletter von relevanten Netzwerken. Die Reflexionskompetenz entspricht der organisationalen Fähigkeit zur Beobachtung der eigenen Organisation durch etablierte Routinen der Fremdund Selbstreflexion. Zum Beispiel könnten nach dem Abschluss von Projekten die positiven und negativen Erfahrungen gesammelt und dokumentiert werden. Absorptionskompetenz bedeutet die organisationale Fähigkeit, durch etablierte Routinen Wissen aufzunehmen, zu transformieren und in die organisationale Wissensbasis zu integrieren. Absorptionskompetenz kann sich unter anderem darin äußern, dass basierend auf Informationen über neue Branchentrends im Unternehmen innovative Produktideen entwickelt werden können. Die Umsetzungskompetenzen umfassen die organisationle Planungskompetenz und die Handlungskompetenz. Planungskompetenz ist die Fähigkeit des Unternehmens zur Operationalisierung der strategischen Zielvor- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 gaben und umfasst die Erstellung von Umsetzungsplänen sowie die Identifikation von Barrieren. Häufig besteht in KMU ein großes Problem darin, dass die MitarbeiterInnen vollständig für Kundenaufträge verplant sind. Die Planungskompetenz ist beispielsweise hoch, wenn Veränderungsvorhaben so geplant werden, dass sie sich neben dem Tagesgeschäft realisieren lassen. Die organisationale Handlungskompetenz meint schließlich die Fähigkeit des Unternehmens, geplante Veränderungsvorhaben erfolgreich in die Umsetzung zu bringen. Dazu gehört die ausreichende Qualifikation der MitarbeiterInnen oder die Anschaffung von erforderlichen Arbeitsgeräten. Diagnose und Entwicklung strategischer Veränderungskompetenzen Die Förderung der Entwicklung der organisationalen Veränderungskompetenz in KMU bedarf einer gezielten Vorgehensweise. In einem ersten Schritt sollte eine Analyse der Ausprägung der Veränderungskompetenz im jeweiligen Unternehmen durchgeführt werden. Dazu eignen sich die in Tabelle 1 aufgelisteten Leitfragen, die sich das Management eines KMU alleine oder gemeinsam mit externen BeraterInnen stellen kann. Die in Tabelle 1 aufgelisteten Leitfragen stellen zwar kein Diagnoseinstrument im engeren Sinn dar, können jedoch einen ersten Eindruck über die Ausprägung der Veränderungskompetenzen im betrachteten Unternehmen geben: 7 Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU Tabelle 1: Leitfragen zur (Selbst-)Diagnose der strategischen Veränderungskompetenz Veränderungskompetenz Strategieentwicklung Leitfragen zur (Selbst-)Diagnose Suche Wie gut gelingt es dem Unternehmen, über neue Trends und Innovationen in der Branche auf dem Laufenden zu bleiben? Gibt es geeignete Kanäle über die neue Informationen ins Unternehmen gelangen? Sind diese Informationen ausreichend, sodass keine potenziell relevanten Trends übersehen werden? Werden alle potenziell relevanten Quellen genutzt? Reflexion Wie gut gelingt es dem Unternehmen, aus eigenen Erfahrungen (Fehlern, Erfolgen) zu lernen? Ist klar, welches die Kernaufgaben- und Prozesse sind, in denen sich das Unternehmen kontinuierlich verbessern möchte? Findet an diesen Stellen kontinuierliche Verbesserung statt? Absorption Wie gut gelingt es dem Unternehmen, neue Ideen zu verinnerlichen? Gibt es geeignete Kanäle über die neue Informationen im Unternehmen weitergegeben können? Ist die Weitergabe von Informationen ausreichend? Werden diese Informationen im Unternehmen in ausreichendem Maß genutzt? Planung Wie gut gelingt es dem Unternehmen, strategische Veränderungen bei der Planung zu berücksichtigen? Wird die Strategie (oder Vision) in die Planung einbezogen? Werden die für die Veränderung notwendigen Ressourcen realistisch geplant? Ist die Planung flexibel für Abweichungen? Handlung Wie gut gelingt es dem Unternehmen, strategisch geplante Veränderungen auch umzusetzen? Ermöglichen Strukturen und Abläufe im Unternehmen die geplanten Veränderungen bzw. werden diese gegebenenfalls angepasst? Werden bei geplanten Veränderungen erforderliche Weiterbildungen der MitarbeiterInnen berücksichtigt? Werden Zielvorgaben und Belohnungssysteme an die Veränderungen angepasst? Wie gut gelingt es dem Unternehmen, sich bewusst und strategisch weiter zu entwickeln? Gibt es ein übergeordnetes Ziel (Vision) des Unternehmens? Ist dieses Ziel den MitarbeiterInnen bekannt? Gibt es ein klares Verständnis darüber, wie das Unternehmen versucht, dieses Ziel zu erreichen (Strategie)? Sind die relevanten Aspekte der Strategie den MitarbeiterInnen bekannt? Je mehr der Fragen in Tabelle 1 mit „Ja“ beantwortet werden können, desto höher ist die entsprechende Veränderungskompetenz ausgeprägt. Zeigt diese erste (Selbst-) Diagnose der strategischen Veränderungskompetenzen einen Entwicklungsbedarf auf, gibt es unterschiedliche Methoden, mit denen in die Strategieentwicklungs-, Generierungs- und Umsetzungskompetenzen in Unternehmen verbessert werden können (siehe Tabelle 2). Diskussion Im vorliegenden Artikel wurden unterschiedliche Komponenten von strategischer Veränderungskompetenz beschrieben, die zentral für die Veränderungsfähigkeit von KMU sind. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der einzelnen Kompetenzkomponenten ist der Aufbau einer entsprechenden Unternehmenskultur (vgl. Schein, 1990). Eine förderliche Kultur ist geprägt durch Vertrauen, Kritikfähigkeit, Offenheit für Neues und HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 durch einen konstruktiven Umgang mit Fehlern. Beim Aufbau strategischer Veränderungskompetenz in KMU kommt Führungskräften eine Schlüsselrolle zu. Führungskräfte leben durch ihr Verhalten und ihren Führungsstil Unternehmenswerte vor (Mohn, 2012). Darüber hinaus fördert ein wertschätzender Umgang mit MitarbeiterInnen das persönliches Engagement und die Bereitschaft, Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Während die Diagnose von Verän- 8 Förderung der strategischen Veränderungskompetenz von KMU Tabelle 2: Methoden zur Verbesserung der strategischen Veränderungskompetenzen Veränderungskompetenz Methoden und Instrumente zur Kompetenzentwicklung, die sich für KMU eignen Strategieentwicklung SWOT-Analyse; Effectuation; Stakeholder-Netzwerk-Analyse Suche Porter’s 5-Forces; systematische Auswertung von Kundenanfragen Reflexion Reflexions-Workshops (abteilungsübergreifend); Datenauswertung zur Erhebung des Ist-Standes; Einzel- und Teamsupervision Absorption Technologie-gestützte Wissensmanagement-Systeme, die einfachen Wissensaustausch ermöglichen (z. B. Wikis); Teamarbeit und wechselnde Team-Zusammensetzungen Planung Kompetenzmodelle (z. B. Aufgaben-Kompetenz-Matrix); strategische Personalplanung; operative Pläne für Veränderungsprojekte; Allokation von zeitlichen Ressourcen für Innovation und Veränderung Handlung Integration der strategisch geplanten Veränderungen in die Zielvorgaben; gezielte Weiterbildungsplanung; Anpassung der Evaluierungs- und Belohnungssysteme; Entwicklung von neuen Prozessen und Routinen derungskompetenz eine isolierte Betrachtung der einzelnen Kompetenzkomponenten erfordert, existieren diese natürlich nicht unabhängig voneinander. Die Strategieentwicklungskompetenz hängt beispielsweise eng mit der Entscheidung zusammen, welche Quellen bei der Suche nach externen Informationen berücksichtigt (Suchkompetenz) oder welche Kernprozesse regelmäßig hinterfragt werden sollen (Reflexionskompetenz). Die Frage, wie wichtig die einzelnen Komponenten für die gesamte strategische Veränderungskompetenz eines Unternehmens sind, beziehungsweise welche komplexen Wechselwirkungen zwischen den Komponenten existieren, ist Gegenstand zukünftiger Forschungen. Literatur Bussiek, J. (1996). Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen. 2. Auflage, Oldenbourg. Frank, H.; Güttel, W.; Keßler, A. (2008). Dynamic Capabilities: How They Become What They Are. Strategic Management Society (SMS) 28th Annual International Conference, Cologne, Deutschland, 12.1015.10. Fichtner, H. (2008): Unternehmenskultur und strategisches Kompetenzmanagement, Wiesbaden. Güttel, W. (2006). Corporate Entrepreneurship als Strategie. In: H. Frank (Ed.), Corporate Entrepreneurship (pp. 80-111). Wien: Wiener Universitätsverlag. Madsen, E.L; Alsos, G.A.; Borch, O.J; Ljunggren, E.; Brastad, B. (2006). Developing entrepreneurial orientation – The role of dynamic capabilities and intangible resources, RENT XX: Research in Entrepreneurship and Small Business: Brussels (Belgium). HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Mohn, L. (2012). Unternehmenskultur und Führung: Erfolgsfaktoren zur Gestaltung der Zukunft in Wirtschaft und Unternehmen. In H. Bruch, B. Vogel, & S. Krummaker (Hg.), Leadership-Best Practices und Trends (2. Aufl., pp. 209-218). Wiesbaden: Springer Gabler. Schein, E. H. (1990). Organizational culture. American Psychologist, 45(2), 109-119. Schweiger, C. (2012). Junge Technologieunternehmen. Systemische Personal- und Organisationsentwicklung. Wiesbaden: Springer Gabler. Volkmann, C. K., & Tokarski, K. O. (2006). Entrepreneurship. Gründung und Wachstum von jungen Unternehmen. Stuttgart: Lucius & Lucius. ►Xing-Profil Barbara Kump ►Xing-Profil Christina Schweiger ■ 9 Interview mit Barbara Kump Im Artikel ist die Rede von der „Anpassung an veränderte Umweltbedingungen“. Welchen Veränderungen stehen KMU heutzutage gegenüber? Ich glaube, man kann das so pauschal nicht sagen. Nicht nur KMU sind mit Veränderungen konfrontiert, sondern die Anforderungen sind für viele Unternehmen gleich. Die KMU tun sich schwerer damit umzugehen, da sie deutlich weniger Ressourcen zur Verfügung haben und schwächer vom Personal aufgestellt sind. Ich glaube nicht, dass die Anforderungen an die KMU anders sind als für andere Unternehmen, sondern sie unterscheiden sich darin, wie sie damit umgehen. Ein Beispiel ist die Baubranche in Österreich, in der immer mehr Zuwanderer aus den östlichen Ländern Leistungen zu sehr niedrigen Preisen anbieten und somit der hohe Preiskampf in der Branche dazu führt, dass die KMU nicht mehr mitkommen. In den letzten zehn Jahren hat es auch technische Veränderungen, wie z. B. das Internet gegeben, die v. a. KMU getroffen haben, wie z. B. in der Hotelbranche. Es werden verschiedene notwendige Unternehmenskompetenzen vorgestellt. Sind diese alle gleich bedeutsam, um als KMU in der heutigen Zeit überleben zu können oder würden Sie einige von ihnen als „wichtiger“ einstufen als andere? Ich denke, die müssen alle zusam- menspielen. Wenn man eine davon gar nicht hat, wird es schwierig, denn eine tolle Idee ohne Umsetzung hilft nichts. Sehr wichtig sind die strategische Positionierung bei Veränderungen, das Wahrnehmen von Trends sowie dass Entscheidungen konsequent durchgehalten werden. KMU haben, wie wir es oft wahrnehmen, eine Schwäche darin, den Markt zu beobachten vor dem Hintergrund ihres normalen Tagesgeschäfts und sie scheitern oft an kurzfristigen Verlockungen, sodass sie Entscheidungen nicht standhaft beibehalten. Tagesgeschäft. KMU scheitern oft an kurzfristigen Verlockungen. Wie können Mitarbeiter von KMU den Anpassungsvorgang ihres Unternehmens stützen? Ich glaube, dass Mitarbeiter einen starken Einfluss haben, wenn die Unternehmenskultur das zulässt. Da ist sehr viel Potenzial bei den Mitarbeitern, die aber auch ermutigt und motiviert werden müssen, ihre Ideen einzubringen. Es muss dafür aber auch Transparenz über die Ziele herrschen, offen kommuniziert werden und belohnt werden, wenn Mitarbeiter selbst etwas einbringen. Es gibt Potenzial, dass Mitarbeiter den Vorgang aktiv unterstützen und regulierend wirken, wofür es aber Klarheit und Offenheit in der Unternehmenskultur braucht. Inwiefern haben KMU gegenüber Großunternehmen einen Vorteil im Rahmen von Veränderungs- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 prozessen? Sie sind einfach schneller. Es gibt unterschiedliche Größen von KMU. Wir haben KMU mit einer Größe von 100-150 Mitarbeitern betrachtet. Dabei gibt es deutlich weniger starre Abläufe, kürzere Produktionswege etc. im Vergleich zu Großunternehmen, sodass KMU schneller reagieren können und flexibel sind. Was kann bei dem Versuch der Unternehmensgestaltung „Ansätze, die in großen Unternehmen funktionieren auf KMU zu übertragen“ problematisch werden? Unternehmensgestaltung bezieht sich auf große Veränderungsprojekte. Für kleinere Unternehmen, die weniger Ressourcen haben, sind solche häufig zu groß. Die Veränderungsprogramme der Großunternehmen sind oft zu überdimensioniert für kleine Unternehmen, da sie zu viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen, die für kleinere Unternehmen nicht umsetzbar bzw. gar nicht erforderlich sind. Bei kleineren Unternehmen kann man gezielter arbeiten u. a. aufgrund kürzeren Kommunikationswegen. Wir haben versucht, Methoden zu entwickeln, die auch für kleinere Unternehmen passen, sodass man nicht zu viele Leute involviert. Man muss mit KMU anders umgehen, da sie weniger Zeit haben, sich mit sich selbst zu beschäftigen. ■ 10 Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) – Instrumentarium für Führungskräfte in Zeiten des Wandels Jens-Peter Toepper1 1) Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Leiter Unternehmensorganisation SCHLÜSSELWÖRTER: Personalbeschaffungsmethoden, Kompetenzkriterien, Persönlichkeitstests KURZFASSUNG: Veränderte Märkte, Verordnungen, Gesetze und neue Technologien führen zu einem starken Veränderungsdruck in den Unternehmen. Führungskräfte müssen schnell auf diese Veränderungen reagieren, Entscheidungen treffen und organisatorische Maßnahmen einleiten. Die Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) ist ein Instrument, das für einen strukturierten, flexiblen und ganzheitlichen Veränderungsprozess sorgen kann. Durch PPO haben die Führungskräfte die Möglichkeit sich optimal auf die jeweils gestellten Aufgabenschwerpunkte und Anforderungen einzustellen. PPO kann nur erfolgreich funktionieren, wenn Organisationsgestaltung nicht nur technologisch sondern auch soziologisch verstanden und angegangen wird. Dafür ist es essentiell, dass die Führungskräfte über entsprechende Kompetenzen und Eigenschaften verfügen. 1. Einleitung – Organisation als Führungsaufgabe „Organisation ist ganzheitliches Gestalten von Beziehungen zwischen Aufgabe, Menschen, Sachmitteln und Information in sozialen Systemen“ (Chrobok, 1996, S. 3). Führung und Organisation leiten sich aus den Unternehmenszielen und -strategie, dem Unternehmensumfeld sowie den Interessen der Anspruchsgruppen (Stakeholder) ab. Ferner erfordern Globalisierung, Technologien, Kapitalverkehr und Logistik neue Organisationsformen und damit einhergehend angepasste Führungskonzepte (Becker, Ehrhardt, Gora, 2006, S. 27). Um diesem ständigen Koordinationsund Veränderungsprozess gerecht werden zu können, müssen Führungskräfte die Auswirkungen von Entwicklungen auf ihren Verantwortungsbereich erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Die Komplexität der zu bearbeitenden Problemstellungen und Maßnahmen ergibt sich aus dem fachlichen Aufgabengebiet der Führungskraft sowie aus der Stellung der Führungskraft in der Hierarchie bzw. Leitungsstuktur des Unternehmens. „Die Leitungsstruktur des Betriebes ist pyramidenförmig aufgebaut. Die Form der Leitungspyramide wird durch die Anzahl der Leitungsebenen und der Anzahl der Leiterstellen innerhalb jeder Ebene bestimmt. Zur Spitze der Leitungspyramide hin nimmt die horizontale Arbeitsteilung ab, während die Komplexität der Aufgaben und der Verantwortung zunimmt.“ (Arnold, HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Borchert, Finger, Graichen, Polaschewski, Schmidt, 1982, S. 108). PPO ist ein universelles Instrument, welches es den Führungskräften ermöglicht, Veränderungen und Wandel gezielt und effizient anzugehen – unabhängig von der Art der jeweiligen Anforderung, der fachlichen Ausrichtung der Führungskraft und der Stellung der Führungskraft in der Leitungsstruktur des Unternehmens. 2. Beschreibung der Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung Zur Begriffsbestimmung sind Prozessorganisation bzw. Projektorganisation von Projekt- und Prozessorientierten Organisationsgestaltung (PPO) abzugrenzen. Während es sich bei Prozess- und Projektorga- 11 Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) nisation um Organisationsformen handelt, wie z. B. Linien- und Matrixorganisation, ist unter PPO ein ganzheitliches Vorgehensmodell zu verstehen, das aus folgenden Prozessschritten besteht: • Strategie und Ziele • Produkte und Leistungen • Prozesse und Aufgaben • Strukturen und Rollen • Management- und IT-Systeme Jeder dieser Prozessschritte wird, wenn überhaupt, in der gegenwärtigen Praxis oft isoliert betrachtet. Sollten doch mehrere Prozessschritte zusammen behandelt werden, dann aus der Situation heraus und nicht einem strukturierten Vorgehensmodell folgend. In der Einzelbetrachtung und in der fehlenden Flexibilität liegen die wesentlichen Schwachstellen der heutigen Verfahren und Vorgehensweisen. Das unstrukturierte Vorgehen und das Ausblenden oder nicht Wahrnehmen einzelner Prozessschritte der PPO kann zu fehlerhaften Entwicklungen führen: Abhängigkeiten werden nicht deutlich; Maßnahmen werden nicht zu Ende gedacht; die Umsetzung bleibt stecken oder hat nicht den gewünschten Erfolg; Probleme und Risiken werden nicht erkannt und können so auch nicht beseitigt werden. Mit einem ganzheitlichen Gestaltungsprozess der immer alle Prozessschritte der PPO umfasst, kann der unstrukturierten und fehleranfälligen Einzelbetrachtung entgegengewirkt werden. Die Erfolgsaussichten werden so deutlich gesteigert. Das Erfolgsrezept liegt in einer konsequenten Anwendung der PPO und in der Vernet- zung der in der PPO beschriebenen Prozessschritte ohne die das Gesamtmodell nicht trägt. In welchem Umfang, in welcher Tiefe und in welcher Reihenfolge die einzelnen Prozessschritte betrachtet und vernetzt werden müssen, ist abhängig vom konkreten Sachverhalt und kann daher flexibel gehandhabt werden. Wichtig ist: Egal was der Auslöser ist, wo der Schwerpunkt liegt und mit welchem Prozessschritt begonnen wird, alle Prozessschritte müssen überprüft und bearbeitet werden. Die einzelnen Prozessschritte werden in den nächsten Kapiteln beschrieben. 2.1 Strategie und Ziele In diesem Prozessschritt werden die Ziele für das Unternehmen und die jeweiligen Verantwortungsbereiche festgelegt und Strategien zur Zielerreichung definiert. Dabei stehen vor allem äußere Einflussfaktoren, von denen die Organisation abhängig ist, im Vordergrund. Strategie und Ziele sind die Basis für das weitere unternehmerische Handeln der Führungskraft und damit der Ausgangspunkt für die weitere Prozess- und Organisationsgestaltung. Handlungsfelder sind u. a. Markt- und Umfeldanalysen, Vision, Mission, Leitbild, Unternehmensziele und Maßnahmen zur Umsetzung. Im Prozessschritt Strategie und Ziele wird die Frage „Wohin soll es gehen?“ beantwortet. Nachdem die Strategie und damit die Richtung, in die sich das Unternehmen entwickeln will, feststehen, müssen die Produkte und Leistungen festgelegt werden. HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 2.2 Produkte und Leistungen Im Mittelpunkt stehen die für den Kunden zu erbringenden Leistungen bzw. die zur Verfügung zu stellenden Produkte. Mit der Vermarktung der Produkte und Leistungen werden die Erlöse generiert. Festgelegt werden müssen daher die Produkte und Leistungen, die einen Marktwert entstehen lassen. Dazu sind die Anforderungen der Kunden aufzunehmen, Leistungen und Produkte zu strukturieren, Varianten und Szenarien zu bewerten und zu kalkulieren. Leistungen und Produkte sollten in ihren inhaltlichen Merkmalen und ihren monetären Aspekten abgestimmt werden. Ein einheitliches Verständnis zur Leistungsstruktur ist wichtig. Die zentrale Fragestellung lautet: „Worum soll es gehen?“. Im PPO-Ansatz ist auch dies keine Einbahnstraße. Produkte und Leistungen können jeweils für sich angepasst, weiterentwickelt oder neu designt werden. Sie sind dann jedoch mit der Strategie des Unternehmens in Einklang zu bringen. Für die Erbringung der Produkte und Leistungen müssen die dazu notwendigen Prozesse und Aufgaben definiert werden. 2.3 Prozesse und Aufgaben Bei diesem Prozessschritt geht es um die konkrete Erbringung der Dienstleistungen bzw. um die Herstellung der Produkte. Aus den Prozessen ergeben sich die Aufgaben, die ausgeführt werden müssen, um Leistungen zu erbringen bzw. Produkte herzustellen. „Wie soll es ablaufen?“ ist die Fragestellung im Prozessschritt Prozesse und Aufgaben. 12 Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) Hier kommt der ganzheitlich flexible Ansatz der PPO erneut zum Tragen, da Prozesse und Aufgaben zunächst eigenständig betrachtet und ausgestaltet werden können. Auch in diesem Fall ist eine Rückkopplung auf Produkte und Leistungen notwendig, um z. B. Qualitätseinbußen zu erkennen, die sich aus der Umgestaltung von Aufgaben und Prozessen ergeben. Nach der Festlegung der Prozesse und Aufgaben, müssen die Strukturen, Rollen und Ressourcen geschaffen werden, die dafür sorgen, dass die Prozesse und Aufgaben möglichst reibungslos durchgeführt werden können. 2.4 Strukturen und Rollen In diesem Prozessschritt werden Verantwortung, Aufgaben und Kompetenzen konkret zugeordnet. Es geht um aufbauorganisatorische und hierarchische Fragen. Die Festlegung von Strukturen, Rollen und Regeln ist unabdingbar um Prozesse flüssig abzuarbeiten, Doppelarbeiten zu vermeiden, lose Enden zu verknüpfen, klare Kompetenzen zu erteilen und Ressourcen richtig zuzuordnen. Hauptgegenstand ist die Antwort auf die Frage: „Wer ist wofür zuständig?“. Das Festlegen von Strukturen und Rollen ist immer auch ein Festlegen der Hierarchien und damit der Machtverteilung. Es geht hier oft nicht um Logik, sondern sehr oft um Firmenpolitik. In der Folge kann es dazu kommen das Prozesse und Leistungen an Strukturen und Rollen angepasst werden müssen. Management und IT-Systeme sind dann so einzurichten, dass sie Prozesse und Leistungen optimal unterstützen und auch Strukturen und Rollen abbilden. 2.5 Management- und IT-Systeme Management und IT-Systeme dienen dazu, die Prozesse der Organisation zu unterstützen. EDV-Tools stellen den Prozesssupport zur Verfügung um schneller, besser und sicherer arbeiten zu können. Managementsysteme wie Risikomanagement helfen Schäden vom Unternehmen abzuwenden. Zentrale Fragestellung ist hier: „Wie wird unterstützt, überprüft, überwacht und motiviert?“. Management und IT-Systeme dienen nicht ausschließlich der Prozessunterstützung, sie haben ebenfalls ein „Eigenleben“ und können eigenständig umgestaltet werden, müssen dann allerdings auch mit den anderen PPO-Prozessschritten in Übereinstimmung gebracht werden. Dies kann zur Folge haben, das Veränderungen der IT- und Managementsysteme u. a. zu Veränderungen in Prozessen, Aufgaben, Rollen und Strukturen führen. 3. PPO-Rahmenbedingungen Für den Einsatz der PPO sind die jeweils geltenden Rahmenbedingungen zu beachten. Dabei kann es sich um geltende Richtlinien und Vorgaben, Unternehmenskultur, Qualifikationsniveau der Mitarbeiter und der Führungskräfte, Hierarchien, technische Gegebenheiten sowie die wirtschaftliche Situation handeln. Ohne Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen ist eine erfolgreiche Organisationsgestaltung nicht möglich. Im Einzelfall HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 kann sich auch die Frage stellen, inwieweit die vorhandenen Rahmenbedingungen verändert werden müssen, um die Organisation verändern zu können. 4. PPO-Führungskompetenzen Um PPO erfolgreich umzusetzen, muss die Führungskraft verschiedene Managementaufgaben, wie beispielsweise Planung, Organisation, Kontrolle und Führung, wahrnehmen. Die Führungskraft sollte dazu über technische, analytische und soziale Kompetenzen sowie über entsprechendes Fachwissen verfügen. Diese Führungskompetenzen werden in jedem Teilbereich der PPO – jedoch in unterschiedlicher Ausprägung – benötigt. So sind z. B. in Prozessschritt Strategie und Ziele vor allem analytische Kompetenzen gefordert, wohingegen im Prozessschritt Strukturen und Rollen soziale Kompetenzen eine große Rolle spielen. 5. PPO-Weiterentwicklung Die bisherige Fokussierung der PPO auf einen technologisch geprägten Führungs- und Organisationsprozess ist nicht ausreichend und ein Risiko für die erfolgreiche Anwendung der PPO. Schreyögg und von Werder beschreiben Organisationen als soziale Gebilde, in denen der Kommunikation zwischen Mitarbeitern, Führungskräften, aber auch externen Personengruppen eine zentrale Rolle zukomme. Kommunikation werde dabei als ein Prozess verstanden, in dem sich Menschen gegenseitig wahrnehmen und Botschaften, Gefühle und Intentionen 13 Projekt- und Prozessorientierte Organisationsgestaltung (PPO) austauschen. Innerhalb einer Organisation können Kommunikationsprozesse formalisiert und informell sein. Während die formale Kommunikation geplant, spezialisiert und entlang der bestehenden Hierarchien ablaufe, reiche informelle Kommunikation über formale Strukturen hinweg (Schreyögg, von Werder, 2004, S. 569). Ferner lassen sich Organisationen als komplexe, eigensinnige soziale Systeme beschreiben, die sich weder „engineeren“ noch „reengineeren“ lassen, zu vergleichen mit einer Maschine, bei der man Schraubenzieher oder Schneidbrenner ansetzen kann (Becker, Ehrhardt, Gora, 2006, S. 24). PPO kann nur dann erfolgreich sein, wenn auch soziale und kommunikative Aspekte und Führungskompetenzen maßgeblich mit eingebunden werden. Steger (1994, S. 225) konstatiert in diesem Zusammenhang: „Führung ist die zielorientierte Gestaltung von Unternehmen. Sie umfasst die Planung, Kontrolle, Organisation und Information. Diese werden den Mitarbeitern von Seiten der Führung so ausgestaltet und kommuniziert, dass die Unternehmensziele bestmöglich verwirklicht werden. Hinzu kommt eine informationsverarbeitende Aufgabe der Führung, die Änderungen in der Unternehmensumwelt verarbeiten muss, um eventuell Unternehmensziele zu korrigieren“. Bei der weiteren Entwicklung der PPO werden das technologische Vorgehensmodell, die einzelnen Prozessschritte und das für die erfolgreiche Umsetzung notwendige Führungsverhalten weiter ausgestaltet. 6. Literatur Chrobok, R. (1996). Grundbegriffe der Organisation. Stuttgart: Schäffer-Pöschel Verlag. Becker, L., Ehrhardt, J., Gora, W. (2006). Führungskonzepte und Führungskompetenz. Düsseldorf: Symposion Publishing GmbH. Borchert, H. et al., (1982). Fachschullehrbuch für Ökonomen. Berlin: Die Wirtschaft. Schreyögg, G. & von Werder, A. (2004). Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation. Stuttgart: SchäfferPöschel Verlag. Steger, U. (1994). Lean-Administration: Die Krise der öffentlichen Verwaltung als Chance. Frankfurt am Main: Campus Verlag. ►Xing-Profil des Autors HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 ■ 14 Interview mit Jens-Peter Toepper Wie sind Sie auf die Problematik mit der Organisationsgestaltung im Führungsbereich aufmerksam geworden? In meiner Funktion als Leiter Unternehmensorganisation ist es eine meiner Kernaufgaben, u. a. Strukturen und Prozesse nach den Erfordernissen des Unternehmens auszurichten. Daher steht Organisationsgestaltung im Mittelpunkt meiner Tätigkeit. Ich erleben jeden Tag auf’s Neue die unterschiedlichsten Problem- und Aufgabenstellungen. Das ist alles in allem sehr vielfältig, spannend und herausfordernd. Als ich relativ neu in meinem Job war habe ich schnell gemerkt, dass ich ein Instrument brauchen würde, das mir hilft meine Aufgaben strukturiert zu bearbeiten. Als „gelernter“ IT-Fachmann war ich es gewohnt, strukturiert und geplant vorzugehen. Organisa­ tionsgestaltung ist aber etwas anderes als Programmierung. Ich habe dann zunächst verschiedene lineare Ansätze ausprobiert, die sich aber alle ein wenig steif angefühlt haben. Ohne das Rad neu erfinden zu wollen, brauchte ich ein Instrument, das flexibel gehandhabt werden kann. So kam ich nach und nach zur PPO. In welcher Entwicklungsphase befindet sich PPO derzeit? Was gilt es noch auszuarbeiten? Die Anforderungen an die Organisationsgestaltung ändern sich laufend und ich lerne ständig dazu. Daher ist die Entwicklung der PPO nie abgeschlossen. Wie schon gesagt, brauchte ich ein Instrument für mich selbst. Zunächst habe ich ein wenig herumexperimentiert, nach und nach hatte ich den Eindruck, auf dem richtigen Weg zu sein. Nachdem PPO in seinen Eckpunkten Gestalt annahm, entwickelte sich die Idee, dass PPO auch für andere, insbesondere für Führungskräfte, von Nutzen sein könnte. Im Moment frage ich mich z. B., was eine Führungskraft können muss, damit sie PPO erfolgreich anwenden kann. Solange ich PPO nur als Instrument für meine Arbeit gesehen habe, war das gar kein Thema. Also jede Antwort, jede Erkenntnis, jeder weitere Schritt führt zu neuen Fragen und hoffentlich zu neuen Antworten. Wie verbreitet ist diese Organisationsgestaltung? Organisationsgestaltung ist allgegenwärtig. Alle Firmen, Behörden, Vereine und sonstige Institutionen sind ständig dabei, ihre Organisation anzupassen und zu verbessern. Neue Strategien und Konzepte auszuarbeiten, geeignete Strukturen zu schaffen, Prozesse zu optimieren, Leistungen und Produkte marktgerecht zu entwickeln, usw. Umfang und Intensität ist dabei von Fall zu Fall verschieden, ob bewusst oder unbewusst findet Organisationsgestaltung überall statt. Die Anforderungen, Wünsche und Aufträge, die an meinem Team und an mich herangetragen werden, nehmen ständig zu. Daher denke ich, dass wir unseren Job gut machen. PPO ist ein Instrument, das wir dabei benutzen. Unsere Auftraggeber kennen den Begriff PPO nicht. Es ist denen in der Regel auch nicht wichtig, wie die Methoden heißen, mit denen wir vorgehen. Da zählt in erster Linie der Erfolg und auch die Transparenz. Welchen Nutzen können Führungskräfte aus PPO ziehen? Führungskräfte können Organisationsgestaltung und Veränderungsprozesse strukturiert, ganzheitlich aber auch agil und flexibel handhaben. Sie können den Schwerpunkt dort setzen, wo auch das Problem ist ohne dass wichtige andere Themen, die in diesem Kontext stehen, vernachlässigt werden. Das führt zu mehr Schnelligkeit, spart Kräfte und Ressourcen und ist zielführend. ■ Welche Rückmeldungen kommen seitens der Mitarbeiter / Manager zum PPO? HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 15 Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen – Konzern versus Mittelstand Werner Oergel1 1) Partner von Graf Lambsdorff & Compagnie Unternehmensberater und Personalberater SCHLÜSSELWÖRTER: Information und Kommunikation, Mitarbeiterbeteiligung, Führungskräfte, Integrations- und Veränderungsprozesse KURZFASSUNG: Veränderungen begleiten uns im Erwachsenwerden, in unserer Gesellschaft, für uns gut zu beobachten, in der Natur über alle vier Jahreszeiten hinweg. Übertragen wir das auf ein Unternehmen, stellen wir fest, dass die Dynamik in den Märkten und die stetig wachsende Komplexität von Aufgaben dazu auffordert, uns beständig auf Veränderungen einzustellen. Produktzyklen werden kürzer, Entwicklungen müssen immer schneller zur Marktreife gebracht werden. Akquisitionen verändern Prozesse und Strukturen, schaffen Synergien. Sie ermöglichen das Wachstum, die Erweiterung des Produktportfolios ebenso wie den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit. Um diese systemischen Veränderungen in einem Unternehmen erfolgreich umzusetzen, bedarf es einer Strategie, einer klaren Informations- und Kommunikationspolitik gegenüber allen Mitarbeitern, die frühzeitige Einbindung und Mitwirkung von Führungskräften und Mitarbeitern. Dieser Artikel skizziert einige Punkte, die für ein Gelingen von Integrationsund Veänderungsprozessen eine sehr gute Basis bilden können: Information und Kommunikation, der Umgang mit Widerständen, eine positive Unternehmenskultur sowie die Betrachtung von Risiken. 1. Veränderung – ein zentrales Thema Zunächst werden aus eigener Erfahrung (am Beispiel eines Umzugs), Veränderungen eher skeptisch betrachtet. Das Verlassen oder Loslassen von gewohnten Strukturen bringt Unsicherheit und Ängste, wirft viele Fragen auf. Veränderung bedeutet immer Vertrautes, Bekanntes hinter sich zu lassen, um Platz für das Neue zu schaffen. Man kann es so beschreiben: Wir nehmen die Rolle eines „Entdeckers“ ein. Was tun wir, um diese Situation zu klären? – Wir informieren uns. Diese Informationen stellen das Rüstzeug dar, um mit den Neuerungen bestmöglich umgehen zu können, um uns Si- cherheit in unseren Handlungen zu geben und unser Unbehagen weitgehend zu beseitigen. Reflektieren wir das auf ein Unternehmen, ist es die Aufgabe des Managements in Bezug auf geplante Veränderungen die Risiken ausreichend zu bewerten, die Gründe, das Ziel (z. B. die Wettbewerbsfähigkeit auszubauen, die Internationalität zu stärken, ggf. auch die Arbeitsplatzsicherung, die Vermeidung von Stillstand) schlüssig an alle Mitarbeiter zu vermitteln. 2. Jede Veränderung birgt Risiken… Im Zusammenhang von Veränderungen in Unternehmen wird auf einige der oben beschriebenen Punkte näher eingegangen. Be- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 obachtbar ist, dass eine Vielzahl der Mitarbeiter bei Veränderungen (insbesondere auf Grund von Informationsmangel) zunächst eine abwartende Haltung einnimmt. Weiter entstehen Ängste, Unsicherheit in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten, nicht zuletzt hinsichtlich des Arbeitsplatzes. Vereinzelt ist Widerstand und boykottierendes Verhalten erkennbar. Besonders intensiv ist dieses Verhalten in Unternehmen, die sich über Jahre hinweg in einer Sanierungsphase befinden. Zusätzlich entsteht die Sorge, dass das Arbeitsvolumen zunimmt, der Termindruck größer wird, bei Internationalisierung andere Kulturen dazukommen u. v. m. Die Erfahrung zeigt, dass sowohl 16 Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen im Konzern als auch im Mittelstand die Berücksichtigung von weichen Faktoren (Befähigung / Motivation der Führungskräfte, ausreichend Zeit im Tagesgeschäft einräumen, Förderung der Teamarbeit, regelmäßige Information / Kommunikation in die Organisation) nicht stattfindet. In erster Linie werden die harten Faktoren (Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, des Ergebnisses, die Kostenreduzierung) betrachtet. Weiter jagt eine Veränderungsmaßnahme die andere, ohne dass es zu einem Abschluss kommt. Mitarbeiter die lange genug im Unternehmen sind, stellen fest: Das heute Neue war vor einigen Jahren das Alte. Begleitet mit dem Kommentar: „Warum wird schon wieder etwas Neues begonnen, wenn das Alte noch nicht einmal abgeschlossen ist – das hatten wir doch alles schon einmal; die da oben wissen nicht, was sie wollen.“ Die Risiken im Überblick • Arbeitsverdichtung (quantitativ) • Anforderungsverdichtung (qualitativ) • Zeit- und Termindruck • Informationsmangel / Informationsflut • ständige Umorganisation im Unternehmen • Schnittstellenprobleme • Kommunikations- und Kooperationsbarrieren • Arbeitsplatzunsicherheit • Personalabbau (Wiessmann) 3. ...und Chancen Die Chancen und die damit verbundenen positiven Aspekte im Zusam- menhang von organisatorischen Veränderungen in Betrieben und Unternehmen sowie mit der Integration von neuen Tochterunternehmen überwiegen deutlich. U. a. sind folgende Fragestellungen, die gleichzeitig zur Risikobewertung genutzt werden könnten, in der Konzeptphase zu klären: Wie können die einzelnen Funktionen / Bereiche miteinander verbunden werden bzw. was könnte das Ergebnis des Zusammenwirkens sein? Welche Auswirkungen haben die Veränderungen ggf. auf einzelne Abteilungen bzw. auf Mitarbeiter? Weiter ist zu klären, welche Vor- ggf. auch Nachteile sich ergeben könnten. Ziel sollte sein, die Vorteile hervorzuheben, z. B. die Verbesserung des technischen Know-hows, um damit den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und zugleich den Nachteilen entgegenzuwirken, z. B. dem sich daraus ergebenden größeren Aufwand, der zunächst u. a. zu erhöhten Kosten führen wird. Ergänzend ist die Vorbereitung eines detaillierten Informationsund Kommunikationskonzeptes unerlässlich. Geistige Führerschaft, Kommunikation im emotionalen Bereich und persönliches Engagement seitens des Managements untermauern die zwingend notwendige Identifikation aller Beteiligten. Wobei man eine Identifikation nur über eine sorgfältige Entwicklungsarbeit aufbauen kann: über eine starke und lebendige, auf Offenheit und Vertrauen beruhende Unternehmenskultur (Doppler & Lautenburg, 2000). Der Vorteil für Firmen, die eine HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 solche Unternehmenskultur bereits aufgebaut haben, ist offensichtlich. Ein Baustein für eine erfolgreiche Umsetzung bildet die Beteiligung der relevanten Zielgruppen – die Führungskräfte und Mitarbeiter. Weiter sollte es gelingen die Aufmerksamkeit der Führungskräfte auch auf die Integration des zu akquirierenden Unternehmens zu lenken. Damit gelingt es den Führungskräften die Integration durch Einordnung in einen Kontext als ein größeres Ganzes zu verstehen. Da wir heute in einer Zeit des kontinuierlichen Wandels leben, bildet ein Wertesystem in einem Unternehmen, basierend auf Offenheit, Transparenz und Vertrauen, ein tragfähiges Fundament. Ein solches Wertesystem hat positiven Einfluss auf die Loyalität, wirkt motivierend und zeigt sich am Ende in der Arbeitsqualität. Wandlungsfähig sein, neugierig sein, sich auf Neues einlassen, setzt jedoch voraus, dass die geplante Strategie auf allen Ebenen verstanden und letztlich akzeptiert, eventuell sogar unterstützt wird. Für die Umsetzung braucht es Engagement, ein hohes Maß an Kommunikation und Kooperation, zudem die Fähigkeit zu Teamarbeit, und dass auf allen Ebenen unternehmerisch gedacht sowie im Gesamtinteresse gehandelt wird (Doppler, Lautenburg). Das Verhalten eines Systems als Ganzes, wird nicht verursacht durch das Verhalten bloß eines Teils, sondern ist das Ergebnis des Zusammenwirkens aller Teile (Ulrich, Probst). Schaut man bei der Umsetzung 17 Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen von organisatorischen Veränderungen oder der Integration von Unternehmen auf den Faktor Zeit, sind die wenigsten Prozesse binnen weniger Monate abgeschlossen. Die Zeiträume belaufen sich auf ein Jahr oder mehr. Da sich in diesem Zeitraum die Rahmenbedingen permanent verändern, sind die Entscheider verpflichtet, die Prozesse und Verläufe zu beobachten und den neuen Anforderungen entsprechend anzupassen. Sie unterstützen bei Schwierigkeiten, beheben Hindernisse und geben Regeln vor. Die Chancen im Überblick • Vielseitigkeit der Arbeit • Zunahme von Kompetenzen • lebenslanges Lernen • mehr Entscheidungs-, Handlungs- und Gestaltungsspielräume • mehr (Eigen-)Verantwortung • anspruchsvollere Tätigkeiten • Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen • Zeitsouveränität • Persönlichkeitsentwicklung (Wiessmann) 4. Resümee Zusammenfassend kristallisieren sich mehrere Faktoren für die erfolgreiche Umsetzung von organisatorischen Veränderungen und der Integration z. B. von neuen Tochterunternehmen bzw. Unternehmensgesellschaften heraus, die auf den Mittelstand sowie auf Konzerne zutreffen. a) Weiche und harte Faktoren Studienergebnisse machen deutlich, dass ein neues Denken im Ma- nagement tiefgreifender Veränderungen erforderlich ist. Sie zeigen auf, dass nur die Berücksichtigung harter und weicher Faktoren der Schlüssel zu erfolgreich umgesetzten Veränderungen ist (C4 Consulting). b) Personalkapazität All zu oft werden solche strategischen Projekte mit der vorhanden Personalkapazität umgesetzt. Das bedeutet, dass Führungskräfte und Mitarbeiter, die eine einhundertprozentige Auslastung haben, noch mit zusätzlichen Projekt- / Integrationsaufgaben betraut werden. Häufig besitzen die Führungskräfte keine Erfahrung und nicht das notwendige Wissen für die Umsetzung. Die generelle Motivation und das Engagement halten sich dabei verständlicher Weise in Grenzen. Eine Alternative, die sich anbietet: diesen Mitarbeiterkreis für einen gewissen Zeitraum freizustellen, um mit ihnen ein Integrationsprojektteam zu bilden. Und alle Beteiligten auf die Aufgabe entsprechend ausreichend vorzubereiten. Je stärker die Motivation der Beschäftigten, je mehr Wissen des Integrationsteams zur Umsetzung vorhanden ist, desto höher ist die Identifikation und die Erfolgsquote im Unternehmen. c) Motivation Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg zeigt sich in der Motivation aller im Unternehmen Beschäftigten. Voraussetzung ist, dass jedem Mitarbeiter Orientierung gegeben wird, dass Eigeninitiative und Gestaltungsfreiheit zugelassen und gefördert wird. Natürlich innerhalb HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 vereinbarter Ziele, Strukturen und Regeln. Zusätzlich müssen die Veränderungsgründe für alle Mitarbeiter im Unternehmen transparent und nachvollziehbar sein. Über Projektfortschritte, auch über Misserfolge muss seitens der Führungskräfte und der Entscheider kontinuierlich informiert werden. d) Konsequenz Ausreichendes Engagement der oberen Führungsebene, klare Ziele, angemessene personelle Unterstützung, Erfahrung in der Projektplanung und im Umgang mit unsicheren Situationen, verlässliche Kommunikation und Unterstützung aus dem Management sind wichtige Bausteine für eine erfolgreiche Umsetzung von Veränderungen in Unternehmen und Betrieben. Zurück zur Überschrift des Artikels – Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen – Konzern versus Mittelstand. Die Vorteile des Konzerns liegen in der Größe des Unternehmens. Damit sind in der Regel Strukturen, ganze Stabsstellen vorhanden, die jederzeit zur Verfügung stehen und als unterstützende Elemente wirken können. Zusätzlich kann sich die finanzielle Stärke eines Konzerns, je nach Verlauf, als sehr nützlich erweisen. Nachteilig jedoch können sich ggf. langwierige Entscheidungsprozesse auswirken. Die Vorteile des Mittelstandes liegen in den flacheren Hierarchien und der pragmatischeren Herangehensweise, den kurzen Entscheidungwegen, der größeren 18 Kultur des „Führens“ in Veränderungs- und Integrationsprozessen Flexibilität und kürzeren Kommunikationswegen. Wobei der Gesamtaufwand, häufig durch nicht vorhandene Strukturen und Defizite in den Fachbereichen, mehr Managementkapazitäten bindet. Und damit das finanzielle Risiko ansteigen kann. 5. Fazit Die Mehrheit der Unternehmen verfolgt mit der Integration von neuen Tochterunternehmen oder Unternehmensgesellschaften Wachstums- und Technologieziele. Doch ist die ausschließliche Konzentration auf diese Themen nicht ausreichend. Zwei Aspekte sind im Mittelstand besonders deutlich: Die Integration bindet mehr Managementkapazität als in Großunternehmen, und die kulturelle Integration wird im Gegensatz zu operativen Aspekten zurückgestellt. Die kulturelle Integration, die von ca. 45 Prozent der befragten Unternehmen als wichtig empfunden, ist aus Sicht der Experten jedoch diejenige, die am meisten vernachlässigt wird (Deloitte, 2012). Die Erfahrung zeigt, dass ein erkennbarer Unterschied zwischen Konzern und Mittelstand nicht wirklich vorhanden ist und die voran aufgeführten Aspekte auf beide, Konzern und Mittelstand zutreffen. Schlussendlich bilden das Vertrauen in die Organisation, die Beteiligung aller Mitarbeiter, die Befähigung und Erfahrung der Führungskräfte sowie eine ausreichende Planung und Vorbereitung beste Voraussetzungen, den PMIProzess erfolgreich abzuschließen. 5. Literatur C4 Consulting GmbH (2007). Repräsentative Untersuchung über Erfolg und Misserfolg im Veränderungsmanagement. Houben, A. Frigge, C. Trincek, R. Pongartz, H.J. Technische Universität München. Die wichtigsten Ergebnisse. Deloitte (2012). Merger & Acquistions im Mittelstand, Kapitel Spannungsfelder, 5-9. Doppler, K. & Lauterburg C. (2000). Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. Campus, 51-53. Ulrich, H. Probst, Gilbert J.B. (1991). Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln. Ein Brevier für Führungskräfte, 30-36. Wiessmann, Dr. F. (2005). Veränderungen in der Arbeitswelt. 6. Über den Autor ●● Partner Graf Lambsdorff & Compagnie - Unternehmensberater und Personalberater ●● Stationen: HR-Leitung, Konzern und Mittelstand ►Xing-Profil des Autors HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 ■ 19 Interview mit Werner Oergel Wie kam es dazu, dass Sie sich mit dem Thema Veränderungen in Unternehmen auseinandergesetzt haben? Durch meine beruflichen Erfahrungen. Charles Darwin sagte im 19. Jahrhundert: „Weder der Stärkste, noch die intelligenteste Spezies überlebt, sondern jene, die sich am besten dem Wandel anpasst.“ Obwohl vor 100 Jahren formuliert gilt diese These auch heute noch. Wir leben im stetigen Wandel: Technik, Kommunikation, berufliche und private Ansprüche, allem sollen wir gerecht werden. Unsere Arbeitswelt ist diesem Wandel in besonderem Maße ausgesetzt und stellt hohe Anforderungen an das Management und die Mitarbeiter. Die Frage ist, wie gelingt es die Mitarbeiter auf diese Reise mitzunehmen? Was ist der Grund dafür, dass die Berücksichtigung von weichen Faktoren – egal ob im Konzern oder im Mittelstand- (bisher) nicht stattfindet? Häufig spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Dadurch findet die Beachtung der weichen Faktoren in Change-Management und PMIProzessen nur ungenügend bzw. keine Berücksichtigung und führen zum scheitern von Veränderungsprozessen. Wenn Führungskräfte und Mitarbeiter wissen, wo die Reise hingeht, sie Orientierung haben, in Prozesse und Entscheidungen eingebunden sind, bildet das die besten Voraussetzungen für das Gelingen von Change-Manage- ment. Dazu noch eine Anmerkung: Prinzipiell müssen Unternehmen wandlungsfähig sein, um im Wettbewerb bestehen zu können. Und Mitarbeiter müssen akzeptieren, dass dies Teil ihres Arbeitsalltages geworden ist. Welche Kompetenzen muss das Management während eines Veränderungsprozesses mitbringen, sodass dieser möglichst erfolgreich verläuft? Die Fähigkeit, alle Risiken zu bewerten. Wie werden Beispielsweise die neuen Mitarbeiter des zu integrierenden Unternehmens in die neue Organisation integriert? Welche Auswirkungen hat dieser Prozess auf die bestehenden Strukturen? Wo können Synergien erzielt werden? Wie kann sich der PMI-Prozess ggf. auf einzelne Arbeitsplätze auswirken? In welchem Umfang muss das Budget berücksichtigt werden? Welche Erfahrung haben die Führungskräfte einen solchen Prozess erfolgreich zu steuern? Wie gehen Führungskräfte mit Unsicherheiten um und sind sie in der Lage, ihren Mitarbeitern die erforderlichen Antworten zu geben bei den Fragen: Werde ich noch gebraucht? Verändert sich meine Aufgabe? Muss ich in eine andere Abteilung wechseln? usw. Eine Begleitung ein Coaching der Entscheider und Führungskräfte ist eine gute Investition in die Zukunft. trauen“ essenziell für ein Unternehmen, das Veränderungen erfolgreich umsetzen möchte? Klarheit und Verlässlichkeit in allem, was getan wird, ist wichtig. Und auch dass die Themen eindeutig angesprochen werden mit den jeweiligen Gründen und Vorgehensweisen. Das ist das Wichtigste für die Mitarbeiter und alle Beteiligten. Die Botschaften müssen eindeutig sein, ob das in einem Restrukturierungsprozess, Wachstumsprozess oder Change-ManagementProzess ist. Häufig werden in den Unternehmen die neuen Dinge und Veränderungen im stillen Kämmerlein entwickelt, aber eine relativ klare Kommunikation ist das Wichtigste überhaupt. Auch die Mitarbeiter können den Prozess fördern: Wenn alle Rahmenbedingung gut gelöst sind, dann sind die Erwartungen an die Mitarbeiter, dass sie den Prozess unterstützen und nicht boykottieren. Da halte ich es auch für angemessen, dass man bezüglich der Mitarbeiter konsequent handelt, falls diese den Prozess an der einen oder anderen Stelle gefährden. ■ Welche Faktoren sind neben „Offenheit, Transparenz und Ver- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 20 HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung Prof. Dr. Thorsten Petry1 1) Professor für Organisation und Personalmanagement an der Hochschule RheinMain SCHLÜSSELWÖRTER: Social Media, HR 2.0, Enterprise 2.0, Leadership 2.0 KURZFASSUNG: Seit ein paar Jahren ist Social Media eines der heißen Themen in der HR-Community. Es findet sich kaum ein HR-Kongress oder eine HR-Fachzeitschrift, in der das Thema nicht in irgendeiner Form berücksichtigt wird. Während hierbei zunächst meist auf den Einsatz sozialer Medien in Personalmarketing und -beschaffung fokussiert wurde, hat sich in der letzten Zeit mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch die Personalentwicklung und -führung sowie die interne Kommunikation und Zusammenarbeit stark beeinflusst werden. Der Beitrag zeigt auf, welche Potenziale Social Media für die genannten Funktionen bieten und wo die Unternehmen in der Umsetzung aktuell stehen. Hierbei wird auf diverse Studienergebnisse eines langjährigen Forschungsschwerpunkts an der Hochschule RheinMain zurückgegriffen. 1. Kernaspekte von Social Media Der Begriff Social Media beschreibt Plattformen, über die Nutzer miteinander kommunizieren, zusammenarbeiten und sich zu Gemeinschaften vernetzen. Ein zentrales Element ist dabei die Erstellung des Inhalts durch die Nutzer selbst („User Generated Content“). Im auf Social Media basierenden Web 2.0 ist jeder Empfänger auch gleichzeitig (potenzieller) Sender. Im Mittelpunkt steht der soziale Dialog. Beim Thema Social Media geht es deshalb nicht rein um Tools und Kanäle, sondern auch um eine veränderte Kommunikationskultur. Das Spektrum an konkreten Social Media Instrumenten ist sehr groß, die einzelnen Tools lassen sich aber vereinfachend zu ein paar wenigen Kategorien zusammenfassen. Am bekanntesten sind sicherlich Social Networks (z. B. Wikipedia) dienen der Informationsbereitstellung und Kollaboration, in dem Texte von Usern gemeinsam erarbeitet und weiterentwickelt werden. (Micro-)Blogs (z. B. Blogger, Twitter) dienen primär der Informationsbereitstellung bzw. Meinungsäußerung (Fokus von Blogs) sowie der Kommunikation (Fokus von Microblogs). Social Sharing Plattformen (z. B. YouTube, kununu) unterstützen ebenfalls primär die Informationsbereitstellung, wobei Inhalte anderen Nutzern nicht nur verfügbar gemacht, sondern auch gemeinsam geordnet sowie bewertet werden (Vaßen & Petry, 2011). 2. Social Media im Personalmanagement insgesamt (HR 2.0) Die dargestellten Social Media Instrumente können prinzipiell in allen HR-Funktionen – von Personalpolitik, -strategie und -planung über controlling und -verwaltung – eingesetzt werden. Für HR-Manager ist es wichtig, sich dieser vielfältigen Einsatzmöglichkeiten bewusst zu sein und das Thema HR 2.0 ganzheitlich zu verstehen. Allerdings unterscheiden sich die konkreten Einsatzpotenziale in den verschiedenen HR-Funktionen erheblich. Deshalb ist es neben einem generellen Verständnis auch wichtig, für jede einzelne Funktion konkret zu prüfen, ob und welche Möglichkeiten soziale Medien hier eröffnen (Vaßen & Petry, 2011). Im Folgenden wird exemplarisch für die Funktionen Personalmarketing, -beschaffung, -entwicklung und -führung sowie die interne Kommunikation und Zusammenarbeit im Unternehmen betrachtet, welche Potenziale soziale Medien hier bieten und wo die Unternehmen aktuell in der Umsetzung stehen. Facebook, XING), bei denen Netzwerkaufbau und Beziehungspflege im Vordergrund stehen. Wikis (z. B. Personalmarketing und -beschaffung sowie Personaleinsatz und -entwicklung bis hin zu Personal- 3. Social Media im Personalmarketing (Personalmarketing 2.0) HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 21 HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung Da sich viele interessante Zielgruppen mehr und mehr in Social Media aktiv sind, stellen diese Kanäle sehr attraktive Wege dar, um mit potenziellen Mitarbeitern in Kontakt zu kommen und eine Beziehung aufzubauen. Als interaktive Kanäle bieten soziale Medien die Möglichkeit, einen authentischen Dialog mit den avisierten Zielgruppen zu führen. Dies haben mittlerweile auch viele Unternehmen erkannt und versuchen über diese Wege ihre Bekanntheit und Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. En vogue sind hier bspw. Unternehmens- / Karriereseiten auf Facebook, ein Twitter-Kanal oder Employer Branding Videos. Es gibt zwar einige positive Beispiele, die insgesamt gemischten Ergebnisse und Reaktionen zeigen jedoch, dass sich das Thema bei der Mehrheit der Unternehmen nach wie vor noch in den Kinderschuhen befindet. Viele Maßnahmen kommen bei den Adressaten gar nicht erst an oder bieten keinen wirklichen Mehrwert gegenüber bisherigen Ansätzen. Ohne besondere Inhalte und einen gelebten Dialog bringt eine Facebook-Seite bspw. kein Plus gegenüber der traditionellen Karrierehomepage. Darüber hinaus sind etliche Employer Branding Videos, die eigentlich ein junges und modernes Bild vermitteln wollten, von der Zielgruppe als völlig unauthentisch verspottet worden und haben der Glaubwürdigkeit des betreffenden Unternehmens eher geschadet (Petry & Schreckenbach, 2010a sowie Schreckenbach & Petry, 2011). Es gibt also noch viel zu optimieren. Es besteht allerdings kaum ein Zweifel daran, dass Social Media zukünftig ganz selbstverständlich mit zur Standardklaviatur eines Personalmarketiers gehören wird. 4. Social Media in der Personalbeschaffung (Recruiting 2.0) Neben diesen dialogorientierten interaktiven Möglichkeiten zum mittelfristigen Aufbau einer Arbeitgebermarke ergeben sich durch Social Media auch Nutzenpotenziale für die konkrete Personalbeschaffung. Im Recruiting 2.0 werden zum einen Plattformen wie Facebook und Twitter gezielt dazu genutzt, um offene Stellen zu veröffentlichen. Zum anderen bieten Business Netzwerke wie XING und LinkedIn auch die Möglichkeit zum Active Sourcing. Selbst wenn die gezielte Suche und Ansprache von Kandidaten an und für sich nichts Neues ist (in den Bewerberdatenbanken der Online-Jobbörsen ist dies ja bereits seit vielen Jahren möglich), entsteht durch Social Media eine neue Qualität der aktiven Suche. Dies liegt zum einen darin begründet, dass sich in Business Netzwerken neben aktiv Suchenden auch viele latent Jobsuchende befinden (Jäger & Petry, 2012). Zum anderen entstehen durch die Vernetzung der Mitglieder untereinander neue Potenziale im Sinne einer viralen Rekrutierung, denn eine von einem Bekannten empfohlene Stelle erhält eine wesentlich höhere Beachtung. Auch hier befindet sich die Entwicklung noch in einem frühen Stadium (vgl. Schreckenbach & Petry, HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 2011 und Dannhäuser, 2013). Vor dem Hintergrund des berühmt berüchtigten zunehmenden „War for Talents“ und der Tatsache, dass die Mehrheit der Personen in Business Netzwerken einer Direktansprache über diese Kanäle positiv gegenüber steht, wird das Thema Recruiting 2.0 sicherlich weiter an Relevanz zunehmen. 5. Social Media in der Personalentwicklung (Personalentwicklung 2.0) Aktuell ist die Bedeutung von Social Media im Bereich der Personalentwicklung in den meisten Unternehmen noch relativ gering. Zwar nutzen 60 % der befragten Unternehmen Social Media basierte Personalentwicklungsansätze. Aber nur bei 11 % gehören diese zu den fünf am meisten genutzten Ansätzen. Hier ist jedoch zukünftig mit einer Verschiebung zu rechnen, denn 92 % erwarten eine Zunahme des Einsatzes sozialer Medien in der Personalentwicklung (Petry, 2012a). Inhaltlich wird damit gerechnet, dass sich der Fokus des Einsatzes verändern wird. Während aktuell die Speicherung von Wissen (z. B. über Wikis) ganz oben auf der Liste der verfolgten Ziele steht, wird das größte Potenzial im Bereich der Vernetzung der Know-How-Träger gesehen. Soziale Netzwerke bzw. Medien eröffnen die Möglichkeit, Köpfe zu vernetzen, statt (nur) Wissen zu speichern. Auch bei der Förderung von Eigenverantwortung und dem Ausbau informellen Lernens gibt es erhebliche Potenziale. Durch die Nutzung 22 HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung von Social Media besteht die Chance die berüchtigte 80 / 20-Regel zu kippen, nach der 80 % des Lernens zwar informell erfolgt, aber die Personalentwicklungsbudgets zu 80 % für formelles Lernen verwendet werden (Petry, 2012a). Social Media werden traditionelle Ansätze zwar nicht verdrängen, aber ergänzen. Die Personalentwicklung der Zukunft muss traditionelle Ansätze mit Social Media Technologien und der dahinterliegenden, offenen „Mitmachkultur“ vereinen (vgl. Trost/Jenewein, 2011). 6. Social Media in der internen Kommunikation und Zusammenarbeit (Enterprise 2.0) Ein großer Einfluss auf HR ergibt sich auch aus dem Einsatz von Social Media zur Verbesserung der internen Kommunikation und Zusammenarbeit (Jäger & Petry, 2012). In den letzten Jahren haben immer mehr Unternehmen entsprechende Enterprise 2.0 Initiativen gestartet. Relativ bekannte Beispiele sind etwa connect.BASF, Telekom Social Network, oder ConNext (Continental). Bei Gesprächen mit diesen und anderen Unternehmen, die an solchen Initiativen arbeiten, fällt ein Begriff immer und immer wieder: „Kultur“. Es wird ausdrücklich betont, wie wichtig und zentral die Kultur für Enterprise 2.0 Initiativen ist. Auch empirische Studien kommen zu diesem Ergebnis (Petry & Schreckenbach, 2010b, 2012 und 2013a). Die am häufigsten genannten Wirkungen von Enterprise 2.0 sind eine offenere Kommunikation, ein offenerer Informationszugang und eine intensivere abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Dies stellt für viele traditionelle, hierarchisch geprägte Unternehmen eine große Herausforderung dar. Dementsprechend verlangt die erfolgreiche Transformation zum Enterprise 2.0 einen entsprechenden Kulturwandel (Petry & Schreckenbach, 2013b). Hier ist natürlich HR gefragt, diesen Wandel als Kulturmanager und Change Agent zu begleiten bzw. gar voranzutreiben (Petry, 2012b). 7. Social Media und Personalführung (Leadership 2.0) Die hinter Social Media stehende Kultur hat natürlich auch Auswirkungen auf eine adäquate Personalführung. Hinsichtlich der Erwartungen an Leadership 2.0 liegt der Fokus auf Offenheit. Eine Führungskraft im Social Media Zeitalter muss offen kommunizieren (63 %), offenes Feedback geben (57 %) und auch selbst für Kritik offen sein (37 %; Petry, 2013). Auch das Zulassen und Fördern von Selbststeuerung und -organisation steht ganz weit oben in der Liste der Erwartungen. Die Komplexität ist heute viel zu hoch, als dass Führungskräfte alles für ihre Mitarbeiter fremdregeln könnten. Leadership 2.0 bedeutet (einen Teil der) Steuerungskontrolle aufzugeben. Dies heißt aber nicht, dass Mitarbeiter zukünftig agieren können wie sie wollen. Die Kontrolle der Zielerreichung gehört natürlich nach wie vor zu den Aufgaben einer Führungskraft 2.0, der Weg dorthin bleibt den Mitarbeitern zukünftig HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 jedoch mehr und mehr selbst überlassen. Es gilt der Grundsatz: Kontrolle aufgeben – Führung behalten (Jäger & Petry, 2012). Die Entwicklung zu einer offeneren und weniger detailsteuernden Führung ist nicht revolutionär oder gänzlich neu, vielmehr ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten bei vielen Unternehmen bereits eine Veränderung in diese Richtung zu beobachten. Durch die neuen Technologien und die damit verbundenen veränderten Informations- und Kommunikationsprozesse hat sich diese Entwicklung aber noch einmal massiv beschleunigt (Petry, 2013). 8. Langsam entwächst HR 2.0 den Kinderschuhen Als zentrales Fazit dieses Beitrags lässt sich festhalten, dass Social Media das Personalmanagement auf vielfältige Weise betrifft. Es ist wichtig, das Thema ganzheitlich zu verstehen und nicht nur als Spielwiese für Personalmarketing und -beschaffung abzutun. Noch befindet sich das Thema mehrheitlich in den Kinderschuhen, aber die Relevanz sozialer Medien wird sicherlich zukünftig noch weiter zunehmen. Dies beutet nicht, dass von jetzt an alles Bewährte über Bord geschmissen werden sollte und zukünftig alles über soziale Medien laufen muss. Die zwanghafte Nutzung aller potenziell möglichen Social Media Instrumente in sämtlichen HR-Funktionen ist sicherlich wenig effektiv und auch nicht effizient. Aber es ist ein Muss für jede HR-Funktion einzeln, spezifisch und kritisch zu analysieren, welche 23 HR 2.0 – Einfluss sozialer Medien auf Personalmanagement und -führung Einflüsse, Chancen und Risiken sich durch Social Media und die dahinterliegende Kommunikationskultur für einen selbst oder andere Marktteilnehmer ergeben. 9. Literatur Dannhäuser, R. (Hrsg, 2013): Praxishandbuch Social Media Recruiting. Springer-Gabler, Wiesbaden. Jäger, W. & Petry, T. (2012): Enterprise 2.0 – Herausforderungen für Personal, Organisation und Führung. In: Jäger, W. & Petry, T. (Hrsg.): Enterprise 2.0 – die digitale Revolution der Unternehmenskultur, S. 17-35. Wolters-Kluwer: Köln. Petry, T. (2012a): Personalentwicklung 2.0: Mehr Evolution statt viel Revolution. wirtschaft + weiterbildung, 10/2012, S. 2224. Petry, T. (2012b): HR und der Weg zum Enterprise 2.0. Human Resources Manager, 8, S. 7274. Petry, T. (2013): Chef 2.0 gesucht. Personalmagazin, 5, S. 30-31. Petry, T. & Schreckenbach, F. (2010a): Web 2.0: Königs- oder Holzweg? Personalwirtschaft, 10, S. 68-70. Petry, T. & Schreckenbach, F. (2010b): Wenn wir wüssten, was wir wissen. Personalwirtschaft, 12, S. 50-52. Petry, T. & Schreckenbach, F. (2012): Empirische Ergebnisse zum Status Quo von Enterprise 2.0 in Unternehmen. In: Jäger, W. & Petry, T. (Hrsg.): Enterprise 2.0 – die digitale Revolution der Unternehmenskultur, S. 37-58. Wolters-Kluwer: Köln. Petry, T. & Schreckenbach, F. (2013a): Enterprise 2.0: Der Reifegrad nimmt zu. Personalwirtschaft, 5, S. 29-31. Petry, T./Schreckenbach, F. (2013b): Enterprise 2.0 Transformation: Social Media unternehmensintern nutzen. Zeitschrift Führung + Organisation (zfo), 4, S. 237-244. Schreckenbach, F. & Petry, T. (2011): Auf der Suche nach dem Königsweg. Personalwirtschaft, 9, S. 54-56. Trost, A. & Jenewein, T. (Hrsg., 2011): Personalentwicklung 2.0. Wolters-Kluwer: Köln. Vaßen, M. & Petry, T. (2011): Social Media kann mehr. Personalmagazin, 9, S. 60-62. ►Xing-Profil des Autors HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 ■ 24 Interview mit Prof. Dr. Thorsten Petry Wie entstand Ihr Interesse für Social Media im Personalbereich? Der Auslöser war der Geschäftsführer von embrander Florian Schreckenbach, der ein ehemaliger Kollege von mir ist. Er kam 2009 mit der Frage auf mich zu, ob wir im Hinblick auf den Social Media Einsatz im HR-Umfeld nicht mal etwas zusammen machen wollen. Vorher hatte ich das Thema weniger auf dem Radar. In der Folge haben wir diverse Studien durchgeführt und nun lässt mich das Thema nicht mehr los. Aus welchem Grund ist die Bedeutung von Social in der Personalarbeit noch so gering? Ich sehe das gar nicht so, dass die Bedeutung „sooo“ gering ist. Es ist ganz normal, dass Neuerungen einfach dauern und es ist auch völlig verständlich, dass insbesondere nicht so große Unternehmen nicht auf jeden Zug aufspringen und erst einmal gucken, ob es nur ein Modethema ist oder es dauerhaft bleibt. Bei Social Media ist jetzt klar, dass das ein Thema ist, das nicht vorbeizieht, sondern bleibt. Jetzt geht es in die Breite und auch nicht so große Unternehmen setzten sich vermehrt damit auseinander, machen Versuche etc. Bei Social Media im Personalbereich ist das eine normale Entwicklung, wie das bei solchen Themen immer ist. Was genau verstehen Sie unter der „Kultur“, die hinter Social Media steht? Kultur ist immer die Art und Weise wie Menschen miteinander umgehen und wie die Kommunikation stattfindet. Die Social Media Kultur ist geprägt durch eine direkte Kommunikation, Offenheit und Transparenz und tendenziell auch eine größere Authentizität. Das Wesentliche ist aber die Direktheit bei der Kommunikation. Welche Herausforderungen kommen auf die HR zu im Rahmen der veränderten Informationsund Kommunikationsprozesse? Ob und wie Informations- und Kommunikationsprozesse funktionieren, hängt – wie bereits gesagt – an der Kultur. Die Kultur wiederum hängt an den Menschen. Und der Umgang mit Menschen ist die Kernaufgabe von HRM. Hier sind sowohl die Führungskräfte als auch die HR-Funktion gefragt. HR ist mitverantwortlich für das Thema Kulturentwicklung und Change Management, deshalb sollte HR ein Treiber bei dem Thema Social Media sein und nicht auf der Strecke stehen bleiben. Was sehen Sie kritisch an sozialen Medien im Personalbereich? An Social Media im Allgemeinen sehe ich kritisch, dass die Kommunikation manchmal zu schnell geht und dadurch leider öfters auch „sehr flach“ wird. D.h. es bleibt manchmal das kritische Reflektieren und Durchdenken auf der Strecke. Dafür hat sicherlich jeder Beispiele aus seinem Umfeld. HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 In Social Media werden Inhalte oft auch viel zu sehr komprimiert. Wenn man sich mit einem Thema auseinandersetzen will, muss man sich aber auch mit den Details auseinandersetzen. Das sehe ich generell bei Social Media problematisch. Bzgl. Social Media im HR-Bereich sollte der Ansatz bitte nicht der olympische Gedanke „dabei sein ist alles“ sein. Wenn auf der Facebook-Seite eines Unternehmens z. B. nichts passiert und die gleichen Informationen wie auf der Website stehen, sollte man als Unternehmen überlegen, was der Mehrwert davon ist. D.h. man muss sich vorab überlegen, welchen Mehrwert für welchen Adressaten man bieten kann/will und dann die entsprechende Social Media Plattform oder Funktionalität hierfür wählen. Bitte auch nicht „zu plump“ an die Sache rangehen. Die Mehrzahl der „Personalmarketing-Rap-Videos“ von Unternehmen ist bei der Zielgruppe eher mit Unbehagen aufgenommen worden. Auf der anderen Seite muss man aber auch zu einem gewissen Maß bereit sein, Fehler zu machen. Wer in innovativen Bereichen tätig ist und Neues ausprobiert, wird zwangsweise auch mal Fehler machen. Aber idealerweise macht man nicht jeden Fehler selbst… In Summe gilt: Zwar beherzt und Fehler-bereit aber eben auch reflektiert und geplant an die Sache herangehen. ■ 25 Arbeitgeberattraktivität und Personalführung Prof. Dr. Bernd Helbich1 & Prof. Dr. Volker Herzig2 Dipl. Ing. u. Diplom Soziologe, Geschäftsführer in einem Personalentwicklungsverbund mittelständischer Unternehmen: MACH2 Personalentwicklung 2) Dipl. Kaufmann, langjährige Erfahrungen als Leiter Personalentwicklung u. Personalleiter in der Industrie beide heute: Professoren an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Wirtschaft in der Fachgruppe „Personal u. Organisation“ 1) SCHLÜSSELWÖRTER: Strategiekonzept, kooperatives Führungsverhalten, intelligente Kommunikation KURZFASSUNG: Arbeitgeberattraktivität, Arbeitgebermarke, employer branding – unter diesen Etiketten machen sich Unternehmen auf, gute Fach- und Führungskräfte zu finden und zu binden. Der demographische Wandel wirkt als Treiber eines sich beschleunigenden Wettbewerbskarussells – v. a. zwischen Großindustrie und Mittelstand. Allgemein sind es besondere personalwirtschaftliche Maßnahmen der Personalentwicklung, Sozialleistungen oder Work-Life-Balance- bzw. Gesundheitsmaßnahmen, die ein Unternehmen attraktiv machen. Arbeitgeberattraktivität entsteht nicht von selbst, sie muss gewollt und „gesteuert“ werden. Diese Steuerung geht über die Durchführung von unkoordinierten Einzelmaßnahmen hinaus und setzt an zwei neuen Stellen an: 1. einer strategischen Klärung im Management unter Einbezug von Führungskräften, also nicht nur auf Geschäftsführung / Personalleitung beschränkt, welche die für das Unternehmen wichtigen Zielgruppen in den Fokus nimmt, 2. der bewussten Verankerung in der Personalführung. Herausgearbeitet wird, wie Führungskräfte über intelligente Kommunikation und kooperatives Führungsverhalten ein Unternehmen so attraktiv machen, dass Mitarbeiter ihre positive Wahrnehmung auf den Arbeitsmarkt transportieren. Personalführung, bisher im Zusammenhang mit „Arbeitgeberattraktivität“ weitgehend unberücksichtigt, kann so eine Hebelwirkung entfalten, die vorhandene Mitarbeiter an ihren Arbeitgeber ideell bindet und potenzielle Mitarbeiter auf das Unternehmen aufmerksam macht. 1. Einführung: Begriffe, Hintergründe Wer sich heute mit Arbeitgeberattraktivität befasst, wird nicht unmittelbar den Bezug zur Personalführung sehen, sondern eher an Personalmarketing oder an die Etablierung des employer branding als Prozess denken. Arbeitgeberattraktivität macht sich fest an dem neudeutschen Begriff der Arbeitgebermarke. Man spricht vom Aufbau einer Arbeitgebermarke analog zum Produktmarketing, um als Arbeitgeber für Mitarbeiter ähnlich attraktiv zu sein wie Anbieter von Markenartikeln für Kunden (Gaiser, Linxweiler & Brucker, 2005). Das Entwickeln einer Marke erfordert einen strategisch angelegten nachhaltigen Prozess, der die Kunden-, hier Mitarbeiterbedürfnisse analysiert und soweit wie möglich konsequent umsetzt (Preißing, 2010). Attraktiv wird man mit „Maßnahmen“, die mehr sind als selbstverständlich und sich von anderen Unternehmen positiv abheben. Gab es das früher auch, oder ist es neu? Älteren Arbeitnehmer-Generationen hat sich eingeprägt: • der Handschlag des Chefs am HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Freitagnachmittag, • die finanzielle Unterstützung örtlicher Vereine, denen große Teile der Belegschaft angehörten, • das Darlehen des Firmeninhabers für den eigenen Hausbau; das war der familiäre Stil, der die Mitarbeiter sehr persönlich ansprach. Und das waren sichtbare Maßnahmen, so dass sich Mitarbeiter heimisch und wohl fühlten und darüber im Bekanntenkreis anerkennend berichteten. Arbeitgeberattraktivität gab es 26 Arbeitgeberattraktivität und Personalführung also immer als Zeiterscheinung, sie wurde nur nicht so genannt. Überlegt hat sich der Arbeitgeber auch früher schon, wie er gute Mitarbeiter finden und binden konnte. Heute sollten Unternehmen zeitgemäße Akzente setzen und das Konzept einer Arbeitgeberattraktivität strategisch angehen, Zielgruppen definieren, sinnvolle Maßnahmen anbieten, Führungskräfte offensiv einbinden, Ergebnisse kontrollieren und das Vorhaben angemessen kommunizieren. Die Gründe liegen zum einen in der Problematik der personellen Bedarfsdeckung, weil insbesondere bei Fach- und Führungskräften aufgrund des demographischen Wandels Lücken entstehen werden. Zum anderen wird Loyalität zunehmen ökonomisiert - v. a. bei der jungen Generation, die im Vergleich zu früheren Generationen nicht nur zahlenmäßig schrumpft, sondern auch weniger bindungsbereit ist. Gefahr droht nicht nur Großunternehmen, sondern dem Mittelstand, seine Betriebe sind unbekannter und hinsichtlich einer Bewerbungsentscheidung weniger attraktiv. Arbeitgeberattraktivität richtet sich nach innen und außen. Innen meint solche Mitarbeiter, welche Unternehmen aufgrund ihrer Leistung und Erfahrung halten wollen. Außen meint zunächst unspezifisch potenzielle Mitarbeiter, weshalb es sinnvoll ist, genaue Zielgruppen zu bestimmen (Stritzke, 2010). Die Autoren nehmen – der Tätigkeit als Hochschullehrer geschuldet - die Generation Y in den Blick. Das sind die von 1984 – 1994 Geborenen, die heute und in nächster Zeit Fünf Bausteine zum Aufbau von Arbeitgeberattraktivität 1. Strategiekonzept formulieren 2. Zielgruppen bestimmen 3. zielgruppenorientierte Maßnahmen anbieten 4. kooperatives Führungsverhalten praktizieren 5. Wahrnehmungen nach innen und außen kommunizieren als Hochschulabsolventen in die Unternehmen eintreten werden. Die Generation Y ist gut qualifiziert und legt Wert auf interessante und anspruchsvolle Aufgaben, die Spaß machen sollen. Sie wünscht Abwechslung, ist wechselbereit, tritt auf dem Arbeitsmarkt wähle- muliert werden, was heißt, dass jedes Unternehmen für sich Sinn und Notwendigkeit einer adäquaten Personalausstattung klärt. Das setzt voraus, dass Ausgangssituation, Problemstellung und Ziele systematisch erörtert werden. Zur Strategie gehört der Kosten- und risch auf und bewertet Arbeitgeber ähnlich wie Produkte (Parment, 2009). Sie ist gut vernetzt, permanent online kommuniziert sie über Facebook, Twitter und XING – eine „neue Kommunikation“. Arbeitszufriedenheit und Wechselbereitschaft können so schnell verbreitet werden – man denke an den „Gefällt mir-Button“. Ob das Verhalten für alle gilt, wird sich zeigen. Unternehmen sollten sich darauf einstellen: Die durchschnittliche Verweildauer der unter dreißigjährigen Mitarbeiter sinkt, sie beträgt heute 600 Tage, vor 20 Jahren waren das noch 800. (IAB, 2011). Fluktuationskosten werden zukünftig eine noch größere Rolle spielen. Erfolgsblick. Unternehmen sollten als Arbeitgeber so attraktiv sein, dass sie quantitativ und qualitativ Mitarbeiter mit vertretbarem Mitteleinsatz finden und binden, um Wertschöpfung generieren zu können. Wenn dies nicht gelingt, entstehen wegen hoher Fluktuation Opportunitätskosten für Ersatz-Rekrutierung, ganz zu schweigen von schwer messbarem Know-howVerlust. Themen wie das Kostenmanagement oder die Erarbeitung von Personalszenarien sind Führungsthemen! Und das bedeutet, Führungskräfte mehr als bisher einzubeziehen in die strategischen Überlegungen und einzufordern, dass sie sich Gedanken zur Mitarbeiterbindung machen (was noch naheliegend ist), aber auch perspektivisch zur Mitarbeiterfindung. Das darf nicht alleinige Spielwiese von Geschäftsführung und / oder Personalleitung sein. Praktisch ist die Einbindung realisierbar, indem Unternehmen einen moderierten Strategieworkshop mit 2. Vom Anspruch zur Wirkung Fünf Bausteine, die in enger Wechselbeziehung zueinander stehen, sind zentral, um vom Anspruch, als Arbeitgeber attraktiv zu sein, zu Wirkungen zu kommen. Der Anspruch sollte im ersten Baustein strategisch erarbeitet und in einem Strategiekonzept for- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 27 Arbeitgeberattraktivität und Personalführung Geschäftsführung, Personalabteilung, Betriebsrat und ausgewählten Führungskräften durchführen, um dadurch Akzeptanz, Transparenz und verbindliche Beteiligung der Führungskräfte zu erreichen (Baustein 1). Ein erstes Ziel dabei wäre, dass die Führungskräfte die Bedeutung der Arbeitgeberattraktivität für die Personalfindung und -bindung und die Bedeutung von Zielgruppen, insbesondere die der relevanten Zielgruppe der Generation Y mit deren Bedürfnissen und Ansprüchen, erkennen. Zweites Ziel wäre, dass die Führungskräfte Bedeutung und Chancen der Personalführung für das erste Ziel analysieren und zu neuen Einsichten und ggf. zu Vereinbarungen über ein entsprechend angepasstes unterstützendes Führungsverhalten gelangen. Der zweite Baustein ist die Bestimmung von Zielgruppen. Auch wenn hier Hochschulabsolventen der Generation Y im Fokus stehen, heißt das nicht, dass diese die einzig relevante Zielgruppe bilden. Weitere Zielgruppen können Auszubildende, Facharbeiter, Ingenieure, Produktmanager oder Frauen als Berufsrückkehrerinnen sein. Man sieht an dieser willkürlich erscheinenden Mischung, dass es nicht einfach ist, Zielgruppen zu definieren. Aus Sicht des Unternehmens sind das Gruppen mit bestimmten Funktionen und Qualifikationen, an denen es heute oder zukünftig mangeln wird. Ohne Bestimmung von Zielgruppen und deren Anforderungen bleibt der Begriff „Arbeitgeberattraktivität“ eine leere Hülse, und es drohen Maßnahmen, die einen reinen „nice to have-Charakter“ haben und in ihrer Wirkung verpuffen. Mit dem dritten Baustein bringen die Autoren genau diese Maßnahmen ins Spiel, die bisher allein ausreichten, um Arbeitgeberattraktivität zu verdeutlichen. Gemeint sind soziale Leistungen, Aufstiegs- und Fördermöglichkeiten, variable Arbeitszeiten, die Durchführung von Hochschultagen, Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf etc. Dies macht alles nach wie vor Sinn, aber wichtig wäre, dass etwas mehr als selbstverständlich und professionalisiert und als Katalog in sich stimmiger zielgruppenorientierter Maßnahmen angeboten wird. Ungeplanter Aktionismus hilft nicht weiter, Maßnahmen sollten zum Unternehmen passen. So könnte ein Unternehmen, das Gesundheitsprodukte herstellt, seinen Mitarbeitern Gesundheitsmaßnahmen anbieten, ein KüchenmöbelUnternehmen könnte die gute Ernährung in der Kantine herausstellen. Die Vergabe und Betreuung von Examensarbeiten als Maßnahme zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität ist nur sinnvoll, wenn auch hinreichend viele Akademiker benötigt werden. Der vierte Baustein beansprucht einen gewissen Neuheitswert. Das, was Arbeitgeberattraktivität erzeugen soll, muss in ein kooperatives Führungsverhalten eingebunden und durch dieses flankiert werden. Neben dem unmittelbar Erlebbaren ist dann für die Mitarbeiter noch etwas spürbar, was einen Arbeitgeber attraktiv macht, was durch das Führungsverhalten verstärkt werden HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 kann. Das Spürbare ist die Kultur, das gelebte Miteinander, der Umgang der Führungskräfte mit den Mitarbeitern, das Gespräch, die Abstimmung von Zielen und Aufgaben, die Anerkennung für gute Leistungen, das konstruktive Feedback, der motivierende menschliche Umgang als Ausdruck von Wertschätzung und Akzeptanz. Der fünfte Baustein bezieht sich auf die Kommunikation. Arbeitgeberattraktivität ohne zielgruppengerichtete Kommunikation nach innen und außen versandet. Spannende Fragen der Wirtschaftspsychologie wären solche nach der Wahrnehmung von Attraktivität und deren Vermittlung. Über welche Kanäle und Medien wird kommuniziert, was kommt wie intern im Unternehmen, in der Öffentlichkeit, bei den Zielgruppen an? Eine konventionelle Methode ist die Veröffentlichung in der regionalen Presse oder in Betriebszeitschriften. Moderne Unternehmen weisen in Stellenanzeigen und auf ihrer Homepage auf „besondere Leistungen“ hin. In Zukunft können Soziale Medien wie Facebook und Twitter einen Kommunikationsbeitrag leisten, auf jeden Fall für die junge Generation. So „postete“ jüngst eine Praktikantin in einem von den Autoren beratenden Unternehmen, dass ihr die Arbeitsaufgaben und der Umgangsstil angenehm sind, worauf sie „geliket“ wurde (Daumen hoch = I like it). Das ist die neue Welt der Kommunikation! 3. Was hat Arbeitgeberattraktivität mit Personalführung zu tun? 28 Arbeitgeberattraktivität und Personalführung Die Frage, ob Führungskräfte einzubeziehen und für Arbeitgeberattraktivität zu sensibilisieren sind, ist bei den fünf Bausteinen angesprochen und mit klarem „Ja“ beantwortet worden. Ergänzend und pointiert soll nun dargelegt werden, wie Personalführung und Führungsverhalten ins Spiel kommen und welchen Beitrag sie leisten können. Dieser Zusammenhang ist in der noch jungen Diskussion um Arbeitgeberattraktivität weitgehend ausgeblendet. Die Vorstellungen der Autoren gehen in folgende Richtung: An erster Stelle sollte das Führungsverhalten darauf überprüft werden, inwieweit es einen Beitrag zur Mitarbeiterbindung leistet. Führungskräfte werden – sinnvoll unterstützt durch Führungskräftetrainings – zu der Erkenntnis kommen, dass ein kooperatives Führungsverhalten für die Generation Y angemessen ist. Das heißt nicht, andere Gruppen außer Acht zu lassen. Zu einem kooperativen Führungsverhalten gehören die Einbindung und Beteiligung der Mitarbeiter, der Ausdruck von Empathie und das Schaffen einer Leistungs- und Wohlfühlatmosphäre im Arbeitsbereich, was zusammen ein erwünschtes (mit-) unternehmerischen Handeln begünstigt (Wunderer, 2009). Ein Beispiel aus der Service-Abteilung eines Maschinenbau-Unternehmens mag dies illustrieren. Die Abteilung kümmert sich um den Ersatzteilverkauf und Einsatz von Servicetechnikern. Zwei Serviceteams sind altersgemischt mit jungen Leuten der Generation Y und älteren Mitarbeiten zusammenge- stellt. Der Abteilungsleiter ist Ende dreißig, er kommt aus dem Team, hat den Stallgeruch der Branche. Seine Führung findet Gefallen, er • bespricht mit den Mitarbeitern Ziele, • holt Vorschläge ein, z. B. wie Lieferzeiten verkürzt werden können, • macht sich Gedanken zur „Chemie und Zusammensetzung“ beider Teams, die er mit den Mitarbeitern diskutiert, • vergibt anspruchsvolle Projekte und Aufgaben, z. B. zur Erstellung eines Kalkulationsprogramms für den Beratungsaufwand mit Kunden, • stellt Aufgaben, die das Team selbst regeln kann, z. B. zur Betreuung der Kunden, • fördert die Idee kollegialer Schulungen, womit kurze Runden am Nachmittag gemeint sind und bei denen das andere Team die Vertretung übernimmt, • schafft Transparenz mit Kennzahlen • und gibt Feedback im Rahmen von Teambesprechungen und Einzelgesprächen, wobei er Interessen, Fähigkeiten, Stärken und Schwächen erfahren will, um darauf individuell eingehen zu können. Wenn dann noch das Führungsverhalten speziell für junge Mitarbeiter • Einarbeitungsprogramme beinhaltet und sich an guter Nachwuchsförderung ausrichtet, • Mentoring und Wissenstransfer vorsieht (nach dem Modell: HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Ältere und Jüngere arbeiten Hand in Hand und partizipieren gegenseitig von den Fähigkeiten der anderen) • und soziale Aspekte aufgreift, z. B. Vermeidung von Überlastung, Gesundheitsförderung, Offenheit und Ansprechbarkeit auch für private Probleme, wird die Generation Y dies als wertschätzend und fördernd registrieren und darauf mit positiver Resonanz reagieren. Klar ist, dass das nicht allein von Führungskräften gestaltbar ist, sondern einer Unterstützung der Personalabteilung bedarf, die so eine wichtige Funktion als ServicePartner erfüllt. Und zu berücksichtigen ist auch, dass viele Führungsthemen wie die Durchführung von Stärken- und Schwächen-Analysen und die Feedbackgabe nicht automatisch von Führungskräften in ihrem Führungsrepertoire vorgehalten werden, sondern mit Hilfe der betrieblichen Weiterbildung professionalisiert werden müssen. Kommunikation als zentraler Bestandteil von Personalführung, und hier speziell die traditionelle „face to face-Kommunikation“ als zentrale Führungsaufgabe, wird weiterhin hohe Bedeutung haben. Für die junge Generation gilt ebenfalls, die traditionelle Kommunikation stärker zu praktizieren. Vielleicht steigt der Wunsch danach im beruflichen Alltag umso mehr, je mehr die Kommunikation im privaten Umfeld digitalisiert wird. Führungskräfte sollten aber auch die Möglichkeiten neuer Kommunikation erkennen, um sie im Interesse des Unternehmens zu nutzen. 29 Arbeitgeberattraktivität und Personalführung Über Kommunikation wird nicht nur das Arbeitsverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter geregelt, es können auch „Botschaften“ im Sinne guter Erfahrungen und Erlebnisse mit Mitarbeiterführung nach innen und außen versendet werden. Ob die neuen Sozialen Medien wie Facebook oder XING dazu beitragen könnten, haben die Autoren in einer nicht repräsentativen aktuellen Erhebung ihre Studierenden befragt. Danach würde nur ein kleiner Teil private Netzwerke wie Facebook verwenden und dabei empfängerorientiert auf Nachrichten eher reagieren als selbst textliche Eindrücke zu formulieren. Anders sieht es mit kommerziellen Netzwerken aus. Sie eignen sich nach Meinung der Studenten besser, um hier aus Mitarbeitersicht positive Erfahrungen zu beschreiben. Alle Studierenden sehen mehr das Unternehmen am Zuge, um z. B. über eine eigene Facebook-Seite für sich zu werben. Dazu ist das Zusammenspiel zwischen Personalabteilung und Führungskräften gefragt, um strategisch und ressourcenbewusst und nicht aktionistisch zu handeln. Erfreulich in dem Zusammenhang ist, dass man sich im privaten Bereich eher im persönlichen Gespräch zur beruflichen Situation austauschen würde. Das ist die Vision: In der Paarung von traditioneller und neuer Kommunikation, in der Verzahnung des beruflichen und privaten Kommunikationsverhaltens entstünde eine intelligente Kommunikation, welche Unternehmen und Arbeitnehmern gleichermaßen nützt, indem sie vorhandene Mitarbeiter in ihrer Loyalität bestärkt und potenzielle anzieht. Literatur: Gaiser, B., Linxweiler, R. & Brucker, V. (2005). Praxisorientierte Markenführung. Neue Strategien, innovative Instrumente und aktuelle Fallstudien. Wiesbaden: Gabler Verlag. IAB (2011): Pressekonferenz am 3.3.2011, Verfügbar unter: (http://www.iab.de/1406/view. aspx). Parment, A. (2009). Die Generation Y – Mitarbeiter der Zukunft: Herausforderung und Erfolgsfaktor für das Personalmanagement. Wiesbaden: Gabler Verlag. Preißing, Dagmar (2010). Erfolgreiches Personalmanagement im demografischen Wandel. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Stritzke, C. (2010). Marktorientiertes Personalmanagement durch Employer Branding. Theoretisch-konzeptioneller Zugang und empirische Evidenz. Wiesbaden: Gabler Verlag. Wunderer, R. (2009). Führung und Zusammenarbeit: Eine unternehmerische Führungslehre. Köln: Hermann Luchterhand Verlag. ►Xing-Profil Prof. Dr. Bernd Helbich ■ HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 30 Interview mit Prof. Dr. Helbich & Prof. Dr. Herzig Welche weiteren „Treiber eines sich beschleunigenden Wettbewerbskarussels“ neben dem demografischen Wandel sehen Sie? Herr Prof. Dr. Helbich: Globalisierung, Technologie, Wertewandel. Das merken wir in unserer Beratung mit mittelständischen Unternehmen. Da kommt sehr viel Druck, die Aufträge international und schnell abzuwickeln. Dafür braucht man Mitarbeiter, die längere Zeit an Bord bleiben, um Kunden zu betreuen. Das Problem ist: Zum einen wird die Zahl der verfügbaren Mitarbeiter geringer, zum anderen nimmt der Wettbewerb zwischen den Unternehmen um diese Mitarbeiter zu. Dazu kommt die technologische Entwicklung, wie das stark im Maschinenbau zu sehen ist. Auch der Wertewandel – gerade im Umgang mit der jüngeren Generation – ist ein Thema. Bei ihr verändern sich die Ansprüche an die berufliche Tätigkeit: Sie muss anforderungsgerecht sein, Spaß machen, Teamarbeit beinhalten und sich mit Familie und Privatleben vereinbaren lassen. Was sind heutzutage die zentralen Instrumente und Vorgehensweisen, um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern? Herr Prof. Dr. Herzig: Das ist sehr vielfältig. Es gibt das interne und externe Personalmarketing. Beim internen Personalmarketing geht es darum, die vorhandenen Mitarbeiter zu binden, beim externen darum, potenzielle Mitarbeiter und Bewerber auf das Unternehmen aufmerksam zu machen. In beiden Fällen braucht es Maßnahmen, die die Bereitschaft erhöhen, in das Unternehmen einzutreten bzw. auch dort zu bleiben: Das Spektrum reicht von der Vergütung, Arbeitsplatzsicherheit, den Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen über interessante und abwechslungsreiche Aufgaben, Perspektiven und Gesundheitsförderung bis zur Unternehmenskultur und zum Betriebsklima. Wir sehen einen weiteren erfolgsversprechenden Ansatz zur Förderung der Arbeitgebermarke in der Personalführung, indem Konzepte entwickelt und umgesetzt werden, die sich für die jüngere Generation als attraktiv erweisen. Relevante Aspekte darin sind z. B. die Intensivierung kooperativen Führungsverhaltens sowie die Einrichtung größerer Freiräume und variabler Arbeitszeiten, um Beruf und Familie bzw. Freizeit besser zu vereinbaren. Auch eine intensivierte Kommunikation der Führungskräfte in Form von regelmäßigen Mitarbeitergesprächen und Schulungen kann dazu beitragen, dass Leistung erzeugt wird, aber gleichzeitig auch eine Atmosphäre geschaffen wird, in der sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Wo sehen Sie noch Nachholbedarf bei der Personalführung bzgl. der Arbeitgeberattraktivität? Herr Prof. Dr. Helbich: Man muss HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 unterscheiden zwischen Großunternehmen und Mittelständlern. Letztere haben weniger Ressourcen für strategisches Personalmanagement zur Verfügung. Das heißt dann auch, dass Führungskräfte erst mal das „Employer Branding“ verinnerlichen müssen. Es ist häufig nur ein Thema in der Personalabteilung und Geschäftsführung. Führungskräfte erleben die Engpasssituation noch nicht. Da muss man in Workshops deutlich machen, wie wichtig das Thema ist. Im anschließenden zweiten Schritt sollte man sich über die verschiedenen Zielgruppen klar werden, also wen man überhaupt führt und wie Mitarbeiter geführt werden wollen. Wichtig ist ein kooperatives Führungsverhalten. Dabei gilt es die Mitarbeiter einzubeziehen und Partizipations- und Fragemöglichkeiten zu geben, was zu einer stärkeren intrinsischen Motivation führt. Kommunikation steht dabei an erste Stelle, wozu gehört Feedback zu geben, zur Leistung zu motivieren und Kritik anzubringen. Das sind Bedarfe, die trainiert und professionalisiert werden können, z. B. durch Rollenspiele, in denen Kommunikation bewusst geübt wird. Auch hier besteht noch Nachholbedarf. Auf den Punkt gebracht: Die Führungskräfte sollten sich bewusst machen, dass sie viel zur Arbeitgeberattraktivität beitragen können, indem sie Mitarbeiter an sich ziehen, binden, fördern und fordern und damit auch Signale nach außen an potenzielle Bewerber ausstrahlen. ■ 31 Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden Nikola Holle-Spiegel1 1) Director Human Resources, Lautsprecher Teufel GmbH SCHLÜSSELWÖRTER: Personalbeschaffungsmethoden, Kompetenzkriterien, Persönlichkeitstests KURZFASSUNG: Die Instrumente moderner Personalbeschaffung sollen einen Abgleich von Referenz- und IST-Profil ermöglichen. Ziel ist die Beurteilung von Kompetenzen für Schlüsselpositionen, die über verschiedene Methoden abgeprüft werden. Dabei erscheint das klassische Interview ebenso wichtig wie die Analyse der Persönlichkeitsstruktur über anerkannte Testverfahren. Voraussetzung hierfür ist die Definition der Erwartungen an Kompetenz- und Leistungskriterien einer jeden Vakanz, abgeleitet von den Organisationszielen. Im Folgenden werden Hinweise gegeben, die zeigen sollen, dass definierte Kompetenzkriterien in Verbindung mit Persönlichkeitstests dazu beitragen, einen validen Soll-Ist-Profilabgleich zu erzielen und schlussendlich Erfolgsfaktor für die Absicherung von Personalentscheidungen sind. Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich deutlich verbessert. Fach- und Führungskräfte haben gute Chancen, ihren gewünschten Job zu bekommen. Im Umkehrschluss stehen Personaler vor der Herausforderung, aus geringer Quantität den richtigen Kandidaten auszuwählen. Fehlentscheidungen in der Personalauswahl kosten Geld und Zeit. Die modernen strategischen Personalbeschaffungsziele sind daher auf Methoden ausgerichtet, die es ermöglichen, Referenz- und ISTProfil so nah wie möglich abzugleichen. Wichtig erscheint ein Umdenken im Personalauswahlprozess. Strukturierte Gesprächsbögen sind konsistent auszufüllen und auszuwerten, um Vergleiche zu ermöglichen. Empathie und Menschenkenntnis sind Eigenschaften, die wir u. a. in HR benötigen, aber kennen wir einen Menschen nach zwei Interviews in der Tiefe, um z. B. den dringend gesuchten „Leiter Online Marketing“ als den Richtigen zu identifizieren? Selbst mit strukturierten Leitfäden und gut ausgebildeten Entscheidern bleiben „blinde Flecken“. Die „Bauchentscheidung“ beruht auf einer wichtigen Eigenschaft, die wir Intuition nennen. Nur werden wir oft durch das eigene Wertesystem geleitet. Aus meiner Praxis kenne ich diese „Falle“: Als leistungsorientierter Mensch treffe ich auf meinesgleichen und schon überschlägt sich das Gespräch, „Ziele erreichen“, „ehrgeizig am Ball bleiben“ usw. Hier kommt es intuitiv zur Begeisterung für den Kandidaten, da sich Werte überschneiden. Ein rationales Entscheiden scheint nur noch eingeschränkt möglich. Wir brauchen ein weiteres Standbein: den Rückgriff auf valide Daten. Da Intuition allein nicht zur fundierten Personalentscheidung zu führen scheint, sollte das Ziel HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 sein, die Professionalisierung von Personalauswahlprozessen voranzutreiben. Dabei können bestehende Verfahren ergänzt werden. Der Interviewleitfaden behält seine Berechtigung, wenn aussagekräftige Instrumente, wie z. B. valide Persönlichkeitsfragebogen1 hinzukommen. Dies setzt voraus, dass Anforderungs- bzw. Referenzprofile existieren, mit denen ein Abgleich des Personenprofils von Bewerber bzw. Mitarbeiter erfolgen kann. Weiterhin ist bei jeder Vakanz die erneute und systematische Definition persönlicher Kompetenzen notwendig. Um beim Beispiel „Leiter Online Marketing“ zu bleiben: In der Vorbereitung des Auswahlprozesses sollte es auch um Fragen wie diese gehen: Brauche ich den extravertierten Motivator und Generalisten oder den zurückhaltenden Hier ist auf datenschutzrechtliche Bedingungen zu achten, da nur abgefragt werden darf, was für den Arbeitserfolg relevant ist 1 32 Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden Analytiker, der die Konversion erhöht? Die Entscheidung hängt vom Referenzprofil ab. Mit Hilfe vordefinierter Persönlichkeitsmerkmale pro Vakanz lassen sich ausgewählte Persönlichkeitstests nutzen, um bezogen auf das Anforderungsprofil Anlagen und Talente einer Person zu messen. Hier sei kurz erwähnt, dass bei solchen Tests stets eine Vergleichsstichprobe die Basis bildet. D. h., wird ein Test zur Abklärung von für Führung relevante Kompetenzen verwendet, so braucht es eine Norm für Führungskräfte. Gleiches gilt für andere Anforderungen: soll Konfliktfähigkeit erfasst werden, so ist zu prüfen, ob der eingesetzte Test dasselbe unter der Begrifflichkeit versteht, wie der Anwender des Instruments. Im Jahr 2012 prüfte eine DelphiStudie (Schermuly u. a., 2012) die Trends und Erwartungen von erfahrenen Personalverantwortlichen bis ins Jahr 2020. Die Resultate zeigten, dass die Stoßrichtung zukünftig u. a. auf die Eignungsdiagnostik und Potenzialanalyse ausgerichtet ist und sich mehr und mehr mit der Organisationsentwicklung verzahnen wird, um die Besonderheiten von Fach- und Führungskräften personenspezifisch zu entwickeln und letztendlich auch zu beurteilen. Für den modernen Beschaffungsprozess gilt daher, sich über eigene Erwartungen an jede Position im Klaren zu sein und sich sowohl dem externen Markt als auch den eigenen Talenten zu widmen. Dies setzt die Definition von Kompetenzkriterien an Fach- und Führungskräfte in Schlüsselpositionen voraus. Es macht durchaus Sinn, interne Kandidaten, die das Potential zum Erreichen des Referenzprofils haben, über PE-Maßnahmen in die vakante Position zu bringen. Dies kann über das eigene Performance Development System erfolgen. Entscheidend ist, mit definierten Kennzahlen/Zielen zu arbeiten und diese regelmäßig nachzuverfolgen, bis das Referenzprofil erreicht ist. Die eingangs erwähnte Bewerbermarktsituation und der Anspruch, Referenz- (Soll) und Personen-Profil (Ist) so nah wie möglich zusammenzubringen, veranlasste uns, den Recruitingprozess zu überarbeiten. Aufgrund unseres Wachstums war ein strategisches Ziel im Bereich OE, das Management zu stärken und im Rahmen der Personalneugewinnung Führungskräfte, im Sinne von High Performance Indikatoren (HPI) zu rekrutieren. Dazu analysierten wir zuerst die Kompetenzen (für eine detaillierte Definition des Begriffs, siehe Weinert, 2001). Gemeinsam mit dem Senior Management erarbeiteten wir die unternehmensspezifischen High Performance Indikatoren. Dies befähigte uns, folgende Kriterien festzulegen: Eigeninitiative und Verantwortungsbewusstsein, Entscheidungsfähigkeit, Offenheit für Veränderungen (Flexibilität), Problemlösekompetenz, Ergebnis- und Zielorientierung sowie Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Überdies war festzulegen, welche Kompetenzen pro Vakanz zusätzlich von Bedeutung waren, z. B. Kommunikations- und Analysefähigkeit etc. Nach der Definition der zentralen Kompetenzen wurde auf die Mes- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 sebene fokussiert. Wie sollen die oben dargestellten Kompetenzen in ihrer Ausprägung erfasst werden? Im Zentrum sollte nach wie vor das Interview stehen. Die Interviews unterteilten wir dabei in zwei Themenblöcke. Im Erstinterview nutzten wir den Interviewleitfaden, um Fach- und Methodenwissen sowie die Näherung an unsere HPIs zu hinterfragen. Neben ausformulierten Fragen bewährten sich Skalen in Bezug auf PC- und Sprachkenntnisse, z. B. „Wie schätzen Sie Ihre Englischkompetenz auf einer Skala von 0-10 ein, wenn 0 keinerlei Kompetenz und 10 „native“ entspricht?“ Im zweiten Interview wechselten wir u. a. in den englischen Dialog, um Selbst- und Fremdbild abgleichen und damit die subjektiven Aussagen des Bewerbers überprüfen zu können. Fallbeispiele gaben uns zusätzliche Ergebnisse zum methodischen und fachlichen Knowhow sowie zur Kommunikationsfähigkeit. Zudem erfragten wir Referenzen. Ein strukturierter Leitfaden half beim Referenz-Check. In Deutschland ist diese Methode eher im gehobenen Management üblich. Rechtlich gilt für den Referenzgeber, Antworten nur auf leistungs- und arbeitsplatzbezogene Fragen zu liefern. Unser ReferenzCheck erfolgte telefonisch: Mit etwas Geschick konnten in diesen Telefonaten weitaus mehr Information gewonnen werden, als das Arbeitszeugnis bescheinigte. Der Einsatz von Persönlichkeitsfragebogen war neu für uns. Grundsätzlich wollten wir beantwortet wissen, wie valide dieser Schritt sei. Zudem war uns wichtig, über 33 Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden die vielfältigen Möglichkeiten der Nutzung persönlichkeitsorientierter Fragebogenverfahren im Personalmanagement informiert zu sein (vgl. Hossiep, Mühlhaus, 2005). Das bedeutendste Bewertungskriterium bei der Anwendung von Persönlichkeitstest war für uns die Validität zur Optimierung und Absicherung von Entscheidungen sowie die damit verbundenen Kosten. Hinsichtlich der Funktionsweise von Persönlichkeitsfragebogen ist festzuhalten, dass der Bewerber i. d. R. aufgefordert ist, sich anhand unterschiedlicher Aussagen einzuschätzen. Diese Einschätzung ist mehr oder weniger realistisch und hängt vom Selbstbild ab. Danach wird die Selbsteinschätzung der Person mit der Selbsteinschätzung von anderen verglichen – der sogenannten Vergleichsgruppe oder Normstichprobe. Das Ergebnis des Persönlichkeitsfragebogens gibt an, wie weit eine Person in ihrem Selbstbild anderen ähnlich ist bzw. sich unterscheidet (Lord, 2011). Entscheidend ist, die Ergebnisse des Instruments mit anderen Informationen über die Person zu verbinden und zu einem stimmigen Gesamtergebnis zusammen zu führen. Hinsichtlich der Ökonomie ist festzuhalten, dass auch valide Tests/Potenzialanalysen oftmals vergleichsweise wenig zeit- und kostenintensiv sind. So lassen sich selbst akademisch etablierte Instrumente (vgl. NEO-PI-R) in weniger als einer Stunde anwenden, was in Relation zu Interview, Assessment Center oder Arbeitsprobe zeitökonomisch (und bei Blick auf die Lizenzkosten auch kostengünstig) ist. Die Kombination von Persönlichkeitsinventaren mit anderen Verfahren (denkbar auch die Ergänzung durch Intelligenztests) erhöht die Validität noch einmal merklich, ohne dabei notgedrungen die Ökonomie zu mindern – insbesondere, wenn die Einsparpotentiale durch eine Verringerung der Fehlbesetzungen einbezogen werden. Bei der Auswahl betrachteten wir verschiedene Ansätze der Persönlichkeitsanalyse. Einer der Ansätze beruhte auf dem Modell „die 16 Grundmuster des menschlichen Verhaltens“. Es erwächst aus dem MBTI-Ansatz von Myers u. Briggs (Bents & Blank 1992) und baut auf der Typologie von Carl Gustav Jung auf, der seine Beobachtungen in „Psychologische Typen“ niederschrieb. Katherine Cook Briggs und Isabel Myers griffen diese auf. Problematisch ist jedoch die dahinter liegende Typenlehre, die eine zu starke Vereinfachung der menschlichen Persönlichkeit darstellt und – wie inzwischen auch in der Praxis diskutiert wird – keine valide Messung darstellt. Moderner erschien uns das Fünf-FaktorenModell (Barrick, M.R., Mount M.K., 1991), das anstatt Persönlichkeiten in „Typen“ einzuordnen Bezug auf die zuverlässigen Ausprägungen der fünf Persönlichkeitszüge (NEO AC) nimmt. Eine mögliche Alternative stellt die Nutzung kostenloser Tests dar. Diese sind u. U. eine weniger aufwendige Lösung, sollten jedoch einen gut dokumentierten theoretischen und methodischen Hintergrund (bspw. Orientierung am Fünffaktorenmodell der Persönlichkeit) HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 aufweisen, der die Einschätzung ihrer Güte erlaubt und eine zuverlässige und valide Messung gewährleistet. Gesamthaft betrachtet, können wir unseren neuen Prozess als erfolgreich einstufen. Die Kombination der unterschiedlichen Verfahren hat unsere Personalauswahl qualitativ aufgewertet zudem haben wir bei unseren AC-Teilnehmern eine gute Visitenkarte hinterlassen: ganz im Sinne eines positiven „employer branding“. Mit Blick auf unsere KPIs kam es in der Jahresbetrachtung zu keiner arbeitgeberseitigen Probezeitkündigung, dies entspricht einer 5%igen Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr und einer geschätzten Einsparung von rund 120TSD Euro. Zukünftig sehen wir im Einsatz von Interviews und Persönlichkeitsfragebögen in Kombination mit Plan- und Rollenspielen weitere Potenziale hinsichtlich der umfassenden Personalbeschaffungsanalyse und der Beurteilung interner Ressourcen, um die Organisation im Rahmen der klar definierten Erwartungen und Kompetenzen weiterzuentwickeln und nachhaltig zu stärken. Literatur Barrick, M.R., Mount M.K. (1991). The Big Five Personality Dimensions and Job Performance: A Meta-Analysis. in: Personnel Psychology 44, S. 1-26 Bents, R., Blank, R., (1992). Der M.B.T.I. (Myers-Briggs-TypenIndikator). Hossiep, R., Mühlhaus, O., (2005). Personalauswahl und -ent- 34 Effizienzpotenzial Recruiting – Kompetent entscheiden wicklung mit Persönlichkeitstests. Lord, W. (2011). Das NEO-Persönlichkeitsinventar in der berufsbezogenen Anwendung. Schermuly, C.C., Schröder, T., Nachtwei, J., Kauffeld, S. & Gläs, K. (2012). Die Zukunft der Personalentwicklung - eine Delphi-Studie. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 56, 111-122. Weinert, F. (2001). Leistungsmessungen in Schulen (Definition Kompetenz S. 27 ff). ►Xing-Profil der Autorin ■ HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 35 Interview mit Nikola Holle-Spiegel Ist die Personalauswahl heutzutage wichtiger als früher? Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Wichtiger als früher würde ich nicht sagen, denn die Personalauswahl ist immer wichtig gewesen. Die Methodik hat sich aber geändert, da sich das Maß geändert hat. In der heutigen Zeit haben wir einen Fachkräftemangel und wir müssen bei der geringen Quantität dahin schauen, dass wir das, was wir auswählen, an Qualität vernünftig prüfen. Die Kandidaten sollten mehr hinterfragt werden in den Kompetenzen, was sich durch Persönlichkeitstests gut durchführen lässt. In Deutschland hat in dem Bereich in den letzten Jahren eine Änderung stattgefunden. Was bedeutet für Sie eine „erfolgreiche Personalauswahl“? Das bedeutet für mich das Erstellen eines Soll-Profils und ein Kandidat, der ein Ist-Profil hat, das darauf passt. Eine gute Vorbereitung ist wichtig, sodass man sich bei der Entscheidung möglichst sicher sein kann und in dieser auch vertrauen kann. Und wir uns sicher sind, dass wir uns gut vorbereitet haben. Jedes Ziel eines Unternehmens ist es, eine hohe Leistung abzurufen. Jedes Unternehmen ist aber anders aufgestellt im Wertesystem. Man muss sich vorher über die Persönlichkeitsmerkmale im Klaren sein und diese nicht vernachlässigen, wie z. B. Offenheit für Veränderungen. Ein geschärftes Soll-Profil als Grundlage für die Unternehmung und dann speziell schauen, was die Person auf der Position genau braucht. So etwas kann man durch Assessment- oder DevelopmentCenter abrufen, sodass man am Ende möglichst viel über das jeweilige Ist-Profil des Kandidaten weiß. Wo sehen Sie derzeit die größten Defizite in der Vorgehensweise bei der Personalauswahl deutscher Unternehmen? Ich sehe Defizite in der Wertschätzung der HR gegenüber, wenn man sich mit den Führungskräften vernetzen möchte und auch darin, dass manche Führungskräfte nicht sehen, dass diese Verfahren wichtig und gewinnbringend für das Unternehmen sind. Das zweite ist direkt in der HR begründet, da oft zu wenig Ressourcen vorhanden sind, um solche Prozesse durchzuführen. Ich nehme mir z. B. für jeden Kandidaten zwei Stunden Vorbereitungszeit, was sonst anderswo eher selten vorkommt. Und ich merke am Ende, dass sich das auszahlt, da ich schließlich weniger Interviews bei der Auswahl durchführen muss, um eine Entscheidung zu treffen. Es sollte in der HR die Bereitschaft da sein, sich wirklich intensiv mit den Kandidaten auseinanderzusetzen. Und sich auch durchzukämpfen, dass diese Verfahren Akzeptanz finden. Ich habe mir Studien durchgelesen, die aus der Schweiz kommen. Da sind Assessment- und Development-Center ganz normal. Ich bin der Meinung, dass es in Zukunft nicht nur bei dem Interviewprozess bleiben wird, sondern dass solche Management- oder Persönlichkeitstests etabliert werden, um die Interviews vorzubereiten. Sowie dass man sich mehr mit dem Typ Mensch auseinandersetzt und die jeweilige Lernkurve der Kandidaten analysiert. Also die Symbiose aus Rollenspiel, Case Study, Persönlichkeitsanalyse und Interviews wird zunehmen. Die Unternehmen haben kein Geld, sich in der Probezeit schon wieder von dem Kandidaten zu trennen. Also wird auch viel in Mitarbeiterbindung und Talente investiert. Inwieweit man sich seinen Nachwuchs selber „heranziehen“ kann, wie etwa im Sinne von einem Dualen Studium. Die Großunternehmen machen das schon, und ich glaube, das geht auch auf die kleineren und mittleren Unternehmen zukünftig über. Sich als kleineres/mittelständiges Unternehmen an den Konzernstrukturen zu orientieren, um Nachwuchs zu rekrutieren ist die richtige Strategie. ■ Wie schätzen Sie die Entwicklung von Personalauswahlverfahren in der Zukunft ein? HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 36 Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg Tim Jaschke1 Ehem. Personalleiter im Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel, aktuell Mitarbeiter der Versorgungsausgleichskasse Schleswig-Holstein im Personalservice 1) SCHLÜSSELWÖRTER: Auswahlgespräche, Auswahltests, Moderation KURZFASSUNG: Die Auswahl des „richtigen“ Bewerbers gehört mit zu den schwierigsten Aufgaben, denen sich ein Unternehmen stellen muss. Für viele Betriebe sind große Assessment Center (AC) nicht zu bewältigen, da sie sehr aufwendig sind und es u. a. bereits bei der Anzahl der Beobachter zu organisatorischen Problemen kommt. Aus diesem Grunde verbinden wir diverse Bestandteile von ACn mit den veralteten Bewerbungsgesprächen, die leichter zu organisieren und auch kostengünstiger sind. Für jedes Stellenbesetzungsverfahren haben sich individuell zugeschnittene Auswahlverfahren bewährt. Hierzu gibt es verschiedene, aufeinander abstimmbare Aufgabenstellungen, von denen hier einige verdeutlicht werden. Zudem hat sich die Rolle des Personalleiters in Auswahlverfahren in Richtung eines Moderators gewandelt. Gute, individuell zugeschnittene Auswahlverfahren dienen heute als Visitenkarte eines Unternehmens. Während die Bewerbungszahlen aufgrund des demographischen Wandels immer weiter sinken, scheint es nur auf den ersten Blick gegensätzlich, die Auswahlkriterien wesentlich komplexer und herausfordernder zu gestalten, um sich so verstärkt der Suche und Auswahl der „richtigen“ Mitarbeiter zu widmen. Wiederum ist der demographische Wandel und die damit verbundene sinkende Zahl der Fachkräfte einer der Hauptgründe, den perfekten Kandidaten für die für ihn perfekte Stelle zu suchen. Heutige Fehler bei der Personalauswahl werden zukünftig wesentlich aufwändiger und damit kostenintensiver zu beheben sein. Die Zeiten, in denen ausschließlich Interviews in Auswahlverfahren als alleiniges Bewertungskriterium für eine Entscheidung dienten, sollten der Vergangenheit angehören. Immerhin handelt es sich um eine Entscheidung, deren Wert im Laufe der Jahre leicht den siebenstelligen Euro-Bereich erreicht. Entsprechend sind für viele Betriebe umfangreiche AC, die die Eigenschaften von Bewerbern verdeutlichen, zwar notwendig, organisatorisch jedoch eine große Hürde, die es zu bewältigen gilt. Aus diesem Grund haben wir die „einfache“ Organisation von Vorstellungsgesprächen mit den zur Analyse von Eigenschaften zwingend notwendigen Bestandteilen von ACn in einem für unseren Betrieb passenden Rahmen kombiniert. Auslöser hierfür waren Auswahlverfahren, die nicht deutlich die geforderten Eigenschaften erfassten. Somit wurde vor ein paar Jahren dazu übergegangen, jedes Auswahlverfahren ganz individuell auf den zu besetzenden Arbeitsplatz HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 abzustimmen (Schermuly, Schröder, Nachtwei & Gläs, 2012). Dabei stellen wir das Verfahren aus diversen Bausteinen immer neu zusammen, die uns für die Auswahl bestimmter Eigenschaften sinnvoll erscheinen. So unterscheiden sich die zu messenden Eigenschaften und nicht zuletzt die Aufgaben bei einem Auswahlverfahren für eine Person mit Personalverantwortung massiv in Art und auch Quantität von reinen Sachbearbeitungstätigkeiten. Zu Beginn eines jeden Auswahlverfahrens steht jedoch immer ein Gespräch mit der nächsten Führungsebene in Bezug auf Anforderungen und Eigenschaften. Der Ausschreibungstext kann hierzu viele Hinweise auf die gesuchten Eigenschaften und Fähigkeiten geben, ist erfahrungsgemäß aber nie für sich alleine ausreichend als 37 Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg Grundlage, um hieraus ein Auswahlverfahren zu konstruieren. Hinzu kommen Anforderungsprofile, Stellenbewertungen und alle weiteren Informationen, die hilfreich sein können, ein möglichst realistischen Soll-Profil, bzw. Idealbild über die Anforderungen abzuleiten. Anhand dieser Informationen wird dann ein Auswahlverfahren individuell zusammengestellt. Hierbei ist allerdings darauf zu achten, dass die Anzahl der Eigenschaften bzw. Kompetenzen in einem überschaubaren Umfang bleibt, so dass das Auswahlverfahren verlässlich in den drei bis vier Stunden vollzogen werden kann. Zu viele unterschiedliche Kompetenzen verleiten zum Abschweifen, womit die wesentlichen nicht mehr ihrer Rolle angemessen erkannt werden können und damit das individuell zugeschnittene Auswahlverfahren das eigentliche Ziel verliert (Nachtwei, Schermuly, Schölmerich & Uedelhoven, 2012). Das Auswahlgremium besteht grundsätzlich aus der oder den übergeordneten Führungskräften, den Arbeitnehmervertretern und einer/einem Beschäftigten aus dem Personalwesen, durch den die Moderation erfolgt. Eine grundlegende Voraussetzung, die bei allen Auswahlverfahren eine große Rolle spielt, ist die Vorbereitung des Bewerbers. Ob der Bewerber sich bereits im Vorfeld gedanklich mit der zu besetzenden Stelle auseinandergesetzt hat, ist sehr einfach durch vertiefende Fragen zu den erwarteten Aufgaben des Arbeitsplatzes zu erkennen (z. B. „Wie stellen Sie sich den Arbeitsalltag als .... bei uns vor? Worin liegen Ihre Hauptaufgaben?“). Auch die Informationen über das Unternehmen lassen sich sehr einfach in Form einer Vorstellung des Unternehmens durch den Bewerber in Erfahrung bringen (z. B. „Haben Sie sich über unseren Betrieb informiert? Dann stellen Sie uns bitte einmal den Betrieb ... vor!“). Die personenbezogenen bzw. kompetenzbezogenen Fragen können nur dann zielführend sein, wenn Sie sich auf Eigenschaften beziehen, die an der zu besetzenden Stelle maßgeblich zum Erfolg beitragen. Hier kommt wieder eine entsprechende Vorbereitung des Auswahlverfahrens zum Tragen. So kann z. B. die Frage: „Welche Eigenschaften irritieren Sie an anderen Menschen am meisten und wie gehen Sie damit um?“ überaus aufschlussreich sein, wenn die zu besetzende Position den direkten Kundenkontakt erfordert. Im strukturierten Interview geben wir einen Sachverhalt vor. Die Lösung bzw. der Weg zur Lösung, soll durch den Bewerber erfolgen, wobei der wahrscheinlichste Lösungsweg dem Auswahlgremium vorliegt. Durch diese Aufgabe besteht die Möglichkeit, Lösungen der Bewerber für Situationen, z. B. aus Sicht einer Führungskraft, und/oder für Arbeitsabläufe zu erkennen. Hierbei gibt es nur in den seltensten Fällen einen einzigen richtigen Weg. Vielmehr können die Bewerber durch Erklärungen und unterschiedliche Sichtweisen für sie passende Lösungen begründen. Dies stellt jedoch sehr hohe Anforderungen an den Interviewer dar, der im Dialog mit dem HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Bewerber den Lösungsweg begleiten und hinterfragen muss. Bei fachlichen Aufgaben ist es entsprechend sinnvoll, das Interview durch die Führungskraft durchführen zu lassen. Bei Präsentationen lässt sich gut erkennen, ob dem Bewerber das freie Sprechen leicht fällt und ob er eine Beziehung zu den Zuhörern aufbauen kann. Auch bei diesen Aufgaben gibt es so gut wie nie nur einen richtigen Weg. Vielmehr wird die Kreativität und das Verhalten in dieser Rolle gewertet. Rollenspiele gehören zu den aufwändigsten Aufgaben, die jedoch einen tiefen und verlässlichen Einblick in die Verhaltensweisen der Bewerber bieten. Es lassen sich Situationen schaffen, die durch das Verhalten auf die unterschiedlichen Eigenschaften des Bewerbers schließen lassen. Beispielsweise kann es im Rollenspiel mit potentiellen Führungskräften um einen Sachverhalt arbeitsrechtlicher Art gehen, zu dem die Führungskraft zunächst ein Gespräch mit dem betreffenden Mitarbeiter und anschließend ein Gespräch mit dem Vorgesetzten führt. Hierbei kann der Bewerber in verschiedenen Rollen zu einem Sachverhalt und sein entsprechendes situatives Verhalten beobachtet werden. Es hat sich bewährt, das Rollenspiel mit Unterstützung von weiteren Personen durchzuführen. Hierfür übernimmt z. B. ein Beschäftigter des Betriebs die Rolle und wird im Vorwege damit vertraut gemacht. Wenn dann im Auswahlverfahren der im Sachverhalt beschriebene Mitarbeiter den Raum betritt, wirkt die Situati- 38 Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg on für den Bewerber absolut realistisch. Die Anforderungen an den Rollenspieler sind bei dieser Aufgabe sehr hoch, da er sich bei jedem Bewerber vergleichbar verhalten muss. Entsprechend muss für den Rollenspieler im Vorwege eine genaue Rolle definiert und Verhaltensregeln vorgegeben werden, die er dann lebt. Je besser die Rolle im Vorwege beschrieben wurde, desto einfacher ist es für den Rollenspieler, sich in den unterschiedlichsten Situationen vergleichbar zu verhalten. Die Verantwortung für einen reibungslosen Ablauf liegt auch hier beim Moderator, der diesen Vorgang koordiniert. Neben der Überwachung der zeitlichen Beschränkung sollte an dieser Stelle auch erkannt werden, wann sich das Gespräch an einem Punkt befindet, an dem keine neuen Erkenntnisse mehr zu erwarten sind. Ein weiterer möglicher Baustein bei der Personalauswahl ist die Nutzung von wissenschaftlich anerkannten psychologischen Testverfahren für die berufsrelevanten Persönlichkeitsmerkmale (z. B. das Bochumer Inventar (BIP) von Hossiep & Paschen, 2003). Das BIP kann sowohl als reliables als auch valides Testverfahren berufsbezogener Persönlichkeitsmerkmale betrachtet werden. Kritik besteht allerdings inzwischen an der zu hohen Anzahl von Merkmalen und der entsprechend dadurch bedingten erhöhten Redundanz (im Mittel weisen die Merkmale mehr als 15 % gemeinsame Varianz auf, was ein für Persönlichkeitsinventare wenig akzeptabler Wert ist). Auch hier ist die Möglichkeit eines Vergleichs mit den bereits zuvor festgelegten Anforderungen des neuen Mitarbeiters sinnvoll, um Übereinstimmungen wie auch Abweichungen zu hinterfragen. Das BIP ist eine Selbstbeschreibung des Bewerbers, dessen Aussagen dann im Auswahlverfahren jedem Bewerber erläutert und verdeutlicht werden. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollten sich im Verhalten des Bewerbers bei den verschiedenen Aufgaben des Auswahlverfahrens, insbesondere bei dem Rollenspiel, wiederfinden. Für die Durchführung des BIP benötigen wir externe Unterstützung eines Dienstleisters, da der für dieses Testverfahren notwendige Aufwand überaus groß und die Notwendigkeit eines Einsatzes in unserem Betrieb eher gering ist. Auch wenn unser hier beschriebenes gesamtes Auswahlverfahren sehr aufwändig und zum Teil auch kostenintensiv ist, zeigen unsere Erfahrungen, dass diese Art von Auswahlverfahren für einen Betrieb unserer Größe sämtliche Anforderungen und Erwartungen erfüllt. Die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf die Kompetenzen der Bewerber sind so umfassend, dass die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung auf ein Minimum reduziert wird. Die weniger stark ausgeprägten, für die zu besetzende Stelle aber relevanten Kompetenzen des Bewerbers werden erkannt und können je nach Möglichkeit in Form von z. B. Schulungen oder Coachings beeinflusst werden. Dies hilft sowohl dem Betrieb als auch dem Mitarbeiter, da er so besser für seine Aufgabe gerüstet ist. HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Somit rechnet sich der deutlich höhere Aufwand des Auswahlverfahrens langfristig immer, denn eine falsche Personalentscheidung hat finanzielle und psychische Auswirkungen auf Bewerber, Vorgesetzte, Team und schadet langfristig dem Betriebsklima. Das Personalwesen als interner Dienstleister sollte das Auswahlverfahren als Visitenkarte des Betriebes verstehen. Hierzu gehört z. B. die Ausstattung des Raumes, wie auch die Vorbereitung sämtlicher Unterlagen für das Auswahlgremium. Beginnend mit der Begrüßung leitet bzw. moderiert ein/eine MitarbeiterIn des Personalwesens unser Auswahlverfahren und ist damit für den Bewerber der „Vertreter“ des Betriebes. Die Rollen der Beobachter obliegen dem übrigen Auswahlgremium. Dem Moderator/der Moderatorin ist es in der Regel nicht möglich, ein Gespräch von drei bis vier Stunden bei Auswahlverfahren für die oberen Leitungsebenen zu führen, im Dialog mit dem Bewerber zu stehen und sich gleichzeitig diverse Notizen zu machen. Am Ende hat allerdings auch der/die ModeratorIn einen bewertungsrelevanten Eindruck erhalten. Egal wie erfolgreich der Bewerber war, sollte er mit einem positiven Gefühl den Betrieb wieder verlassen. Dies ist, insbesondere bei komplexen Auswahlverfahren, die den Bewerber unter erheblichen Stress setzen, ein hoher Anspruch. Je besser und positiver die Stimmung in der gesamten Situation des Auswahlverfahrens ist, desto authentischer verhält sich der Bewerber. Hierfür darf am Ende 39 Individuell angepasste Auswahlverfahren bringen den Erfolg des Gespräches auch die Frage an den Bewerber gestellt werden: „Wie war dieses Auswahlverfahren für Sie?“. Die Antwort wird Sie überraschen. Danksagung Ich danke dem Abfallwirtschaftsbetrieb Kiel für die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Zudem Frau Antje Sandmann, die mich schon mehrmals bei großen Auswahlverfahren unterstützt hat und von der ich sehr viel gelernt habe. Literatur Nachtwei, J., Schermuly C.C., Schölmerich, F. & Uedelhoven, S. (2012). Assessment Center: Plädoyer für mehr Sorgfalt. Human Resources Manager, 5/12, 72-74. Schermuly, C.C., Schröder, T., Nachtwei, J. & Gläs, K. (2012). Recruiting im Jahr 2020. Harvard Business Manager, 11/12, 8-11 Hossiep, R. & Paschen, M. (2003, unter Mitarbeit von O. Mühlhaus). Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. ►Xing-Profil des Autors ■ HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 40 Interview mit Tim Jaschke Welche Vorteile haben kleinere Unternehmen bei der Personalauswahl? Der Vorteil liegt darin, dass alle Hierarchieebenen maßgeblich an der Auswahl beteiligt sind. Dadurch können sie sich ein einheitliches Bild von einem Bewerber machen, was bei einem Assessment Center, z. B. aufgrund von verschiedenen parallel laufenden Bausteinen, nicht immer der Fall ist. Bei einem kleinen Unternehmen ist der direkte Vorgesetzte direkt bei der Auswahl beteiligt. Das gibt es in größeren Unternehmen oft nicht. Da wird häufig von übergeordneten Ebenen ausgewählt und dem direkten Vorgesetzten ist der Bewerber nicht bekannt. Zeigen sich schon Erfolge mit Ihrem Prozess? Wie sehen diese aus? Die Erfolge sehen so aus, dass wir ganz klar die stark und weniger stark ausgeprägten Eigenschaften feststellen. Diese finden wir dann später im Berufsalltag auch genau so wieder. Wenn ein Mitarbeiter im Auswahlverfahren z. B. eine weniger ausgeprägte Durchsetzungskraft gezeigt hat, war dies auch im späteren Berufsalltag erkennbar. Wir können also mit diesem Auswahlverfahren sehr verlässliche Aussagen über die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber treffen. Welchen Schwierigkeiten stehen Sie mit ihrer individuellen Vorge- hensweise gegenüber? Der Aufwand der Konzipierung eines individuellen Auswahlverfahrens ist sehr hoch. Dies ist aber keine Schwierigkeit. Schwierig ist es manchmal, bei der Minderausprägung eines einzelnen Kriteriums einen Bewerber mit sonst guten bis sehr guten Ergebnissen abzulehnen. Wenn es sich hierbei aber um eine erfolgskritische Eigenschaft handelt, gibt es keine andere Möglichkeit. wichtig. Somit war es für mich kein langer Weg. Selbst bei internen Bewerbern haben wir das Verfahren angewendet und auch von diesen Bewerbern, die nicht den erhofften Zuschlag erhalten haben, erhielten wir tolle Rückmeldungen. ■ Wie lauten die meisten Antworten der Bewerber auf die Frage „Wie war dieses Auswahlverfahren für Sie? Ich bin erstaunt über die ausnahmslos positiven Antworten. Viele sagen, dass sie diesen Umfang nicht erwartet hätten. Sie sehen in der Komplexität des Verfahrens aber die Bedeutung und Mühe, die sich das Unternehmen bei der Personalauswahl gibt. Dieser große Aufwand wird ausnahmslos als Zeichen unserer Mühe gesehen, den besten Bewerber für das Unternehmen zu finden. Das für mich wichtigste Feedback kommt für mich immer von den Bewerbern, die am Ende eine Absage erhalten haben. War es ein langer Prozess diese Art von Mitarbeiterauswahl in Ihrem Unternehmen zu etablieren? Nein, weil ich zum Glück äußerst frei in meinen Verfahren und Ideen war und bin. Das Vertrauen des Unternehmens in das, was man tut, ist HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 41 Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler Andy Donaubauer1 1) Manager Personnel & Organizational Development Xella International GmbH SCHLÜSSELWÖRTER: Personalauswahl, Entscheidungskriterien, Beurteilungsfehler, Ähnlichkeitseffekt, Vignettenanalyse KURZFASSUNG: Der Artikel beschreibt mittels neuer Erkenntnisse aus der Entscheidungs- und Einstellungsforschung, welche Kriterien bei der Personalvorauswahl eine signifikante Rolle spielen und welchen Einfluss die Merkmale des Beurteilenden haben. Vorrangig wird aufgezeigt, wie der Ähnlichkeitseffekt wirkt und inwieweit Personen mit entsprechend gleichen Merkmalen besser bewertet werden. Die Ergebnisse dieser Studie basieren auf einer Befragung von über 200 Mitarbeitern aus dem Personalbereich und knapp 3.000 Beurteilungen von vergleichbaren, fiktiven Lebensläufen. Die Wichtigkeit von Personalauswahlkriterien kann in eine Rangfolge gebracht und – bei intuitiven Entscheidungen verstärkt auftretende – Beurteilungsfehler und -verzerrungen aufgezeigt werden. Professionelle Personalauswahl – ein Dilemma Bei der Personalauswahl gehören intuitive Entscheidungsprozesse entgegen wissenschaftlicher Forderungen weiterhin zum Alltag. Selbst bei der Analyse schriftlicher Bewerbungsunterlagen, die auf Basis eines Anforderungsprofils der zu besetzenden Stelle und objektivierten (Leistungs-)Merkmalen und demnach einer rationalen Entscheidungsfindung unterliegen sollten (Schuler, 2001), ist das der Fall. Begleiten unbewusste und nicht-rationale Prozesse die Auswahl, so sind die Beurteilungen fehlerhaft, von den Organisationen ungewünscht und mit immensen Kosten verbunden (Nerdinger, Blickle & Schaper, 2008). Besonders gefährlich ist dies bei (Fehl-)Urteilen, die auf einer Bewertung einer einzelnen Person basieren, da dann keine Korrektur dieses Einzelurteils vorgenommen werden kann (Nachtwei, von Bernstorff, Uedelhoven & Liebenow, 2013). Dies ist insbesondere bei der Personalvorauswahl oft der Fall. Ein Aspekt dieser Urteilerfehler ist die Auswirkung der verzerrten Bewertung aufgrund von Ähnlichkeit zwischen dem Entscheidungsträger und dem Bewerber. Hierbei liegt der Fokus der Untersuchungen jedoch oft auf einer (direkten) Abfrage der Kriterien oder der Beobachtung von realen Auswahlsituationen, wie beispielsweise einem Assessment-Center (Wick, 2005). Frühere Studien zum Thema Personalvorauswahl vernachlässigten demnach entweder ein realitätsnahes Design durch eine direkte Abfrage der Kriterien, oder die Vergleichbarkeit der Bewerber, durch Beobachtungen in der Realität (Reinhardt, 2006). Deshalb wurde in dieser Studie ein neuer Ansatz verfolgt. Eine empirische Analyse der realitätsnahen, vergleichbaren, schriftlichen Bewerbung, angelehnt HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 an tabellarische Lebensläufe, die indirekt die Kriterien prüft und damit die intuitive Auswahl misst. Damit kann verdeutlicht werden, dass selbst bei der Vorauswahl, die weniger anfällig für Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler ist, Verzerrungen bei Entscheidungen auftreten können. Altes Problem, neue Methode Um diese Vergleichbarkeit mit gleichzeitiger realer Beschreibung der Situation sicherzustellen, kann der Faktorielle Survey genutzt werden. Dieses quasi-experimentelle Design samt einer Abfrage der wesentlichen Kriterien und die Kontrolle weiterer Einflüsse, ermöglicht wichtige Erkenntnisse über die bewussten und unbewussten (intuitiven) Entscheidungskriterien (bezüglich der Bewerber) und Beurteilungsfaktoren (bezüglich der beurteilenden Personaler) bei der Personalvorauswahl. Der Faktoriel- 42 Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler le Survey lässt sich auf die Dissertation von Rossi (1951) zurückführen und beruht auf einer Randbemerkung Lazarsfelds. Rossi (1979) erweiterte die Grundidee, die nach und nach unterschiedliche Anwendungen fand (Rossi & Nock, 1982; Jasso, 2006). Mit dem Faktoriellen Survey, oder auch Vignettenanalyse genannt, können normative Einstellungen oder auch Handlungsintentionen aufgedeckt werden. Mittels dieser in den letzten Dekaden häufig verwendeten und weit verbreiteten Methode, (Auspurg et al., 2009a; Wallander, 2009; Atzmüller & Steiner, 2010) kommen nun auch neue Erkenntnisse zur korrekten Anwendbarkeit hinzu (Auspurg, Hinz & Liebig, 2009b; Sauer et al., 2009). Bei der Vignettenanalyse stehen Objekt-, Situations- oder Personenbeschreibungen, auch Vignetten genannt, im Vordergrund, die aus Dimensionen und Ausprägungen bestehen. Dimensionen sind in diesem Fall die herangezogenen Beurteilungskriterien der Bewerber, wie beispielsweise das Geschlecht, und variieren in ihren Ausprägungen, also den Merkmalen oder Eigenschaften, in diesem Falle dann männlich oder weiblich zu sein. Diese faktoriellen Variationen und verschiedenen Zusammenstellungen sind systematisch angeordnet; die so konstruierten Vignetten, also tabellarischen und realitätsnahen Lebensläufe, werden den befragten Personalern zur Beurteilung vorgelegt. In der vorliegenden Studie handelt es sich dabei um Hochschulabsolventen mit Personalschwerpunkt, die sich bei Recrui- tern auf eine Stelle in deren Team bewerben. Erkenntnisgewinn durch folgende Kriterien Damit eine realitätsnahe Konstruktion, aber auch eine methodische Auswertbarkeit gewährleistet ist, wurden unter Berücksichtigung der Fragestellung und nach Analyse der einzelnen möglichen Bewerbermerkmale folgende Bewerbermerkmale ausgewählt: Geschlecht, Studiengang, Studienabschluss, Hochschulform, Note, Studiendauer, Praktika, Auslandsaufenthalt. Diese haben einen starken Fokus auf das Studium und die akademische Leistung. Um eine auswertbare Datenbasis zu erhalten, mussten mindestens 100 Personaler jeweils 24 Vignetten bewerten. Im ersten Schritt der Studie wurde zunächst die Wichtigkeit der einzelnen Bewerbermerkmale direkt abgefragt, um einen Vergleich zur indirekten Abfrage sicherzustellen. Bei der Skala von 0 bis 10, wobei 0 für unwichtig und 10 für sehr wichtig steht, unterscheiden sich die Bewerbermerkmale stark in ihrer Einflussgröße. Im zweiten Schritt folgte die Vignettenanalyse. Es wurden 24 tabellarische Lebensläufe vorgelegt, die ebenfalls von 0 (wird auf keinen Fall zum Vorstellungsgespräch eingeladen) bis 10 (wird auf jeden Fall zum Vorstellungsgespräch eingeladen) bewertet wurden. Mit der Fallzahl von 217 Befragten und 2.919 Urteilen liegt eine gute Datenbasis vor. Praktikum und gute Noten, aber flott! HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Bei der direkten Abfrage der Wichtigkeit einzelner Kriterien wurde das Geschlecht mit durchschnittlich 0.92 als unwichtigstes bewertet. Als wichtigstes Kriterium gilt die Praxiserfahrung bei einem Wert von 8.47, gefolgt vom Studienfach mit 6.96. Mittels der Analyse der vorgelegten fiktiven Lebensläufe, also der Vignetten und damit der indirekten Abfrage der Kriterien, können nun ergänzend konkrete Vorhersagen getroffen werden, inwieweit die Chance abhängig der Bewerbermerkmale steigt oder sinkt, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Der Abgleich zwischen einzelnen Vignettenurteilen und den Vorhersagewerten des Modells belegt die Güte seiner Vorhersagekraft auf die Einflüsse der Bewerbermerkmale sowie der Gesamtbeurteilung der Lebensläufe. Betrachtet man die Wichtigkeit und Stärke der Effekte im Detail, wird deutlich, dass auch bei der indirekten Abfrage die Praxiserfahrung den größten Einfluss auf die Bewertung hat. Dies aber nicht linear. So steigt, im Vergleich zum Nichtabsolvieren eines Praktikums, die Bewertung bei drei Monaten Praktikum um 2.1 (also um 21 Prozentpunkte) und bei 6 Monaten um 2.6 (siehe Tabelle). Dabei haben alle herangezogenen Bewerberkriterien signifikanten Einfluss auf die Entscheidung. Ein männlicher Bachelorabsolvent in Sozialwissenschaften, mit der Note 3,3 und sechs Semestern über der Regelstudienzeit, ohne Praktika und Auslandserfahrung hätte beispielsweise nur eine Chance von 10 % zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Im Vergleich liegt 43 Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler die Wahrscheinlichkeit einer Masterabsolventin innerhalb der Regelstudienzeit mit der Note 1,3 in Betriebswirtschaftslehre, sechs Monaten Praxiserfahrung und zwei Auslandssemestern bei durchschnittlich 83 %. Entsprechend wirken die bewerteten Kriterien in dem Ausmaß auf die Wahrscheinlichkeit zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, dass die Person hinter dem zweiten beschriebenen Lebenslauf achtmal so große Chancen hat. Im nächsten Schritt werden Einflüsse auf Entscheideralso Personalerebene analysiert und der Ähnlichkeitseffekt nachgewiesen. Dadurch soll hinsichtlich der Personalvorauswahl auf vermeidbare Beurteilungsfehler aufmerksam gemacht werden. Ähnlichkeit ist die Identität der Qualitäten1 Es folgt eine Analyse, inwieweit Personaler Bewerber besser bewerten, wenn diese ihnen ähnlich sind. Die Kriterien Auslandssemester, Praktikum und Regelstudienzeit befinden sich auf signifikantem Niveau. Urteiler erachten jene bei der direkten Abfrage, also der Bitte die Wichtigkeit der Kriterien zu bewerten, als wichtiger, die im positiven Sinne auf sie selbst zutreffen. Am Beispiel des Auslandssemesters steigt die Wichtigkeit von 4.57 um 2.27 auf 6.84, also um etwa 50 %. Bei der indirekten Abfrage, also Vorlage der komplexeren Situation mittels tabellarischen Lebenslaufes, wirkt der Ähnlichkeitseffekt Ähnlichkeit ist die Identität der Qualitäten. – Immanuel Kant (1724 - 1804), deutscher Philosoph 1 Tabelle: Einflüsse der Bewerbereigenschaften auf das Urteil Vignettendimension (Kriterium mit Merkmalen) | Konstante 3,2* 2. Ausprägung 3. Ausprägung Praktika in Monaten (0; 3; 6) +2,1 +2,6 Studiendauer in Semestern (RSZ; +3; +6) -0,7 -1,6 Studiennote (3,3; 2,3; 1,3) +1,1 +1,6 Auslandssemester (0; 1; 2) +0,4 +0,6 Fach (BWL; Psych.; SoWi) -0,3 -0,4 Abschluss (Bachelor; Diplom; Master) +0,2 +0,3 Geschlecht (weiblich; männlich) -0,2 / *) Werte gerundet sogar um 73 %. Betrachtet man die Durchschnittsurteile der Vignettenpersonen, mit versus ohne Auslandssemester im Vergleich der Urteilergruppen, erkennt man einen deutlichen Trend und höhere Steigung der Wichtigkeit bei Personalern mit Auslandssemester. Auf Vignetten- und Befragtenebene sinkt demnach die Wahrscheinlichkeit zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden um etwa 4,9 Prozentpunkte, sobald man kein Auslandssemester absolviert hat. Ein Personaler allerdings mit Auslandssemester bewertet nochmal um weitere 3,6 Prozentpunkte schlechter. Demnach sinkt die Chance insgesamt bereits um 8,5 Prozentpunkte, was im Verhältnis zum Urteiler ohne Auslandssemester eine Reduktion der Wahrscheinlichkeit um 73 % ausmacht. Weitere Effekte zeigen sich beispielsweise bei Absolventen der Studienrichtung Betriebswirtschaftslehre (BWL) und der Regelstudienzeit (RSZ). Konkret zeigen sich die enormen Einflüsse der Merkmale der Personaler wie folgt: Ein Bewerber mit den Eigenschaften kein Praktikum, RSZ, Note 3,3, kein Auslandssemester, HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 BWL und Bachelor wird mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 12,8 % von einem Personaler mit einer Studiendauer über der Regelstudienzeit, einem Auslandssemester und einem Studienfach ungleich BWL zu einem Gespräch eingeladen. Im Gegensatz dazu erhöht sich die Chance um mehr als das doppelte auf 26,2 %, wenn der Personaler seinen Abschluss in BWL innerhalb der RSZ absolviert hat und kein Auslandssemester bestritt. Hier zeigt sich deutlich der Effekt der Ähnlichkeit, selbst bei nur drei von acht möglichen Übereinstimmungen. Kritischer Ausblick Ist man sich nun der Tatsache bewusst, dass die Merkmale des beurteilenden Personalers einen starken Einfluss auf die Bewertung der Bewerber haben, sollte im Auswahlprozess erstens noch bewusster damit umgegangen und zweitens durch einen strukturierten Prozess diese Verzerrungen vermieden werden. Im Sinne einer objektiven und rationalen (Vor-)Auswahl und der komplexen Gesamtsituation im Auswahlprozess, werden weitere 44 Personalauswahl: Entscheidungskriterien und Beurteilungsfehler Studien mittels der Vignettenanalyse empfohlen. Allerdings müsste das Untersuchungsfeld ausgeweitet werden und eine höhere Fallzahl für gezieltere Untersuchungen einzelner Befragtengruppen umgesetzt werden, damit der Fokus noch stärker auf unerwünschte Effekte ausgerichtet werden kann. Was bestätigt wurde ist, dass selbst im standardisierten Vorauswahlprozess zu viel Einfluss der Personaler und ihrer Personenmerkmale vorhanden ist. Zum Nachteil des Unternehmens, das auf eine rational-objektive Auswahl abzielt. Wie sich diese Einflüsse negativ auf das Unternehmen auswirken und verhindert werden können, sollte ebenfalls Bestandteil weiterer Studien werden. Literatur Atzmüller, C. & Steiner, M. P. (2010). Experimental Vignette Studies in Survey Research. Methodology: European Journal of Research Methods for the Behavioral and Social Sciences, 6 (3), 128-138. Auspurg, K., Hinz, T. & Liebig, S. (2009b). Komplexität von Vignetten, Lerneffekte und Plausibilität im Faktoriellen Survey. Methoden - Daten - Analysen, 3 (1), 5-42. Auspurg, K., Hinz, T., Liebig, S. & Sauer, C. (2009a). Auf das Design kommt es an: Experimentelle Befunde zu komplexen Settings in Faktoriellen Surveys. soFid - Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst „Methoden und Instrumente der Sozialwissen- schaften“, 23-39. Jasso, G. (2006). Factorial Survey Methods for Studying Beliefs and Judgments. SociologicalMethods & Research, 34 (3), 334-423. Nachtwei, J., von Bernstorff, C., Uedelhoven, S. & Liebenow, D. (2013). Segen oder Fluch Intuition bei Personalauswahlentscheidungen. Zeitschrift Personalführung, 11/2013, 3441. Nerdinger, W. F., Blickle, G. & Schaper, N. (2008). Arbeits- und Organisationspsychologie: Mit 32 Tabellen; [Bachelor, Master]. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag Heidelberg. Reinhardt, R. (2006). Zur Reliabilität und Validität der Personalvorauswahl: Landau (Pfalz), Univ., Diss.-Koblenz, 2006. Aachen: Shaker. Rossi, H. P. (1951). The Application of Latent Structure Analysis to the Study of Social Stratification: Dissertation. Unveröffentlichte Dissertation, Columbia University, Columbia. Rossi, H. P. (1979). Vignette Analysis: Uncovering the Normative Structure of Complex Judgment. In K. R. Merton, S. J. Coleman & H. P. Rossi (Hrsg.), Qualitative and Quantitative Social Research: Papers in Honor of Paul F. Lazarsfeld (S. 176-186). New York: Free Press. Rossi, H. P. & Nock, L. S. (Hrsg.). (1982). Measuring Social Judgments: The Factorial Survey Approach (1. print. Aufl.). Beverly Hills: Sage Publications. HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Sauer, C., Hinz, T., Liebig, S., Donaubauer, A., Auspurg, K. & Schupp, J. (2009). A Factorial Survey on the Justice of Earnings within the GSOEPPretest 2008 (Nr. 4663). Bonn: IZA. Schuler, H. (2001). Lehrbuch der Personalpsychologie. Göttingen: Hogrefe Verl. Für Psychologie. Wallander, L. (2009). 25 years of factorial survey in sociology: A review. Social Science Research, 38, 505-520. Wick, A. (2005). Urteiler in der Personalauswahl: Einflüsse persönlicher Vorstellungen über Eignung und Personalauswahl auf Informationsnutzung, Beurteilung und Entscheidung: Univ., Diss.-Kaiserlautern, 2005. (1. Aufl.). München: Hampp. ►Xing-Profil des Autors ■ 45 Interview mit Andy Donaubauer Was ist der zentrale Grund dafür, dass Personaler bei der Personalauswahl ihrer Intuition den Vorrang geben? Ich glaube nicht, dass alle Personaler intuitive Entscheidungen bevorzugen. Eher ist vielen oft nicht bewusst, dass sie intuitiv entscheiden. Man kann diese Beurteilungsproblematik von zwei Seiten beleuchten: Einerseits die Personaler, die bewusst ohne Anforderungsprofil, Struktur, etc. den Rekrutierungsprozess durchführen und auf Basis von Bauchgefühl entscheiden und das Bauchgefühl durch ihre Erfahrung präferieren. Andererseits die, die denken, objektiv zu entscheiden, sich dann aber einfach durch Wahrnehmungsfehler bzw. -verzerrungen zu einer intuitiveren Entscheidung verleiten lassen. Die beiden Beispiele können sich natürlich auch überschneiden. Sie schreiben über den Faktoriellen Survey, dass dieser „häufig“ in der letzten Dekade verwendet wurde. Können Sie nähere Zahlen nennen um von der Verbreitung eine grobe Vorstellung zu bekommen? Alleine bei einer Metastudie von Wallander zu „bedeutenden“ Anwendungen des Faktoriellen Surveys innerhalb der Soziologie handelt es sich um einen dreistelligen Bereich. Bei Recherchen innerhalb eines von der DFG geförderten Projektes haben wir hunderte weitere Studien anderer Fachbereiche wie der Medizin oder Pädagogik gefun- den. Insgesamt sprechen wir also sicherlich von Anwendungszahlen im (mindestens) vierstelligen Bereich. Gibt es einen negativen Aspekt an dem Faktoriellen Survey? Es gibt natürlich schwierige oder besonders zu beachtende Aspekte bzw. Nachteile. Wenn man es richtig machen möchte, ist es aufwändiger als eine normale, rein direkte Abfrage oder qualitative Interviews. Insbesondere bei komplexen Befragungen nimmt es sehr viel Zeit allein schon bei der Vorbereitung ein. Das Design, die Konstruktion der Vignetten, dass diese eine valide Zusammensetzung haben, ist sehr aufwändig. Dafür werden mehrere und statistisch anspruchsvolle Software benötigt. Das Design und die Auswertungen sind demnach anspruchsvolle Hürden. Doch der Ertrag ist es meines Erachtens nach Wert und dieses realitätsnahe Forschungsdesign spricht für sich und bringt wissenschaftliche Ergebnisse ganz nah an der Praxis bzw. bestenfalls multimodalen Interviews führt, einen mehrstufigen Prozess konzipiert, der an Kompetenzen und Persönlichkeit orientiert ist. Dabei sollte die Praxis versuchen neueste Erkenntnisse der Wissenschaft in die Auswahl einzubeziehen und die Wissenschaft sollte praxisrelevante und umsetzbare Forschungsergebnisse anstreben. Dann glaube und hoffe ich, dass die meisten Unternehmen sich in die richtige Richtung bewegen. Der Worst-Case wäre, wenn ein Großteil der Unternehmen weiterhin unstrukturierte Auswahlprozesse durchführen und dabei von Personalern nur auf das Bauchgefühl gehört wird. Das Bauchgefühl ist nicht grundsätzlich falsch, aber es sollte nicht der treibende Faktor bei der Entscheidung sein. ■ In welche Richtung wird sich der Vorgang Personalauswahl entwickeln? Da gibt es Worst-Case-Szenarien und wünschenswerte Szenarien. Wünschenswert wäre es, wenn die HR-Arbeit weiter professionalisiert wird und Praxis und Wissenschaft noch mehr verknüpft werden. Also z. B. grundsätzlich einen konsequenten Auswahlprozess mit Anforderungsprofil, (teil-)strukturierten HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 46 Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell Christian Reincke1 1) STI Group, Leiter Personalentwicklung SCHLÜSSELWÖRTER: Personalauswahl, Einstellungsverfahren, Sozialkompetenz, soft skills KURZFASSUNG: Bei Bewerbern wird in nahezu allen Stellenausschreibungen meist eine ausgeprägte Sozialkompetenz vorausgesetzt oder als extrem wichtig herausgestellt. Wie diese aber in der Realität definiert, getestet und am Ende sogar bewertet wird, bleibt meist nebulös. Der vorliegende Artikel beschreibt aus der Praxis heraus die Herausforderung für den Personalbereich, diesem offenbar doch sehr wichtigen Kriterium im Auswahlprozess in der tatsächlichen Umsetzung zu begegnen und auch gerecht zu werden. Abrundend wird das Thema Transparenz kritisch beleuchtet und ein Versuch gewagt, Sozialkompetenz greif- und messbar zu machen. Fachwissen versus Persönlichkeit? Im Austausch mit anderen Personalern und Personalverantwortlichen habe ich in den vergangenen Jahren festgestellt, dass das Gros der bereits in der Probezeit beendeten Arbeitsverhältnisse nicht an fachlichen, sondern an (zwischen-) menschlichen Herausforderungen gescheitert ist. Die heutige Arbeitswelt ist geprägt von kurzen Projektintervallen und hohen Anforderungen an zeitliche und inhaltliche Flexibilität und Beweglichkeit der Arbeitenden. Teams formieren sich schnell, sollen zeitlich befristet auf höchstem Niveau Leistung erbringen und werden dann zeitnah wieder aufgelöst. Da ist es ersichtlich, dass der Mensch als soziales Wesen in der Lage sein muss, sich auch auf unterschiedliche Typen von Arbeitskollegen und Kunden einzustellen. Und zu wollen. Neben den erforderlichen Fachkompetenzen sind von daher die Fähigkeit und Bereitschaft, sich mit Kolle- gen zu organisieren und auszutauschen, unabdingbar. Wer sich heute nicht in sich schnell verändernde Systeme und Gruppen einbringen kann, der wird isoliert und verliert mit großer Wahrscheinlichkeit den Bezug zum Projekt, dem Produkt und somit dem Ergebnis. Das Zutun wird beschnitten und möglicher Input qua mangelnder Gruppenzugehörigkeit limitiert – oder im Extremfall ausgeschlossen. Zugegeben, dieses Szenario ist reichlich überzogen. In einer Eskalation aber keinesfalls undenkbar. Auch Fachabteilungen haben in den zurückliegenden Jahren den Wert der Personalabteilung als wesentlichem Wertstifter und Nutzenbringer im Auswahlprozess verstanden und bedienen sich gerne der Vertreter von Human Resources (HR). War es früher noch kein Einzelfall, dass man einen Bewerber aufgrund des hervorragenden Fachwissens unbedingt und auch gegen den Willen bzw. das Veto des Personalers eingestellt hat, so ist es heute in HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 zahlreichen Unternehmen ungeschriebenes Gesetz, dass Einstellungen nur mit Zustimmung seitens HR getätigt werden. Und dies nicht etwa, weil hier die Hoheit über die Personalplanung und das entsprechende Budget liegt; nein, sondern aufgrund der Einschätzung seitens der Personalabteilung bezüglich einer vermuteten menschlichen Passung in das bestehende Gefüge. Häufig haben sich Hinweise des Personalers auf grenzwertige oder zumindest „kritischere“ Eigenschaften im Nachhinein als berechtigt herausgestellt. Was vormals in den Bereich der Sozialromantik und schlimmstenfalls des persönlichen Menschen- oder Weltbilds des beteiligten Vertreters von HR geschoben und hinter vorgehaltener Hand auch gerne einmal leicht spöttisch belächelt wurde, ist heute im Einstellungsprozess salonfähig. Oder gar Gesetz. Wie aber kommt die Personalabteilung dazu, zu einem solch gewichtigen und im weiteren Pro- 47 Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell zess relevanten Spieler zu werden? Wie wird das, was man als „sozialkompetent“ einfordert letzten Endes geprüft? Man kann sich nun trefflich auf Recherche begeben, um ein buntes Kompendium an Kriterien zusammen zu tragen, welches auf das Konto Sozialkompetenz einzahlt. Nicht wenige Quellen definieren Sozialkompetenz und weisen aus, was in Summe einen entsprechend fähigen Menschen ausmacht. Sicherlich ist dies ein denkbarer Ansatz. Oder zumindest ein erster Schritt. Unstrittig jedoch ist sicherlich, dass man die Passung eines Bewerbers zu Tätigkeit und Umfeld sowie die möglichen Fehlerquellen in der Betrachtung und Bewertung des Menschen beachten muss. Aus diesem Grunde setzt das hier beleuchtete Vorgehensmodell wesentlich pragmatischer an. Die Definitionen und Lesarten all der Zutaten sind nahezu unendlich und beliebig ausgeprägt. Folglich wird klar, dass man sich das Umfeld genauer ansehen muss, in dem der spätere Kollege sich wird bewegen müssen. Wohl wissend, dass erwartete soziale Kompetenz vor allem mit eigenen Werten, Erfahrungen und Vorlieben zu tun hat, muss man diese in den Prozess weben und einfließen lassen. Am Ende sucht man sich als Auswählender immer auch ein wenig selbst. Gemeinsamkeit schafft Nähe und generiert Sympathie. Und erzeugt dadurch ein positives Gefühl, welches sich womöglich in der Zuweisung „Sozialkompetenz“ wieder findet. Mögliche Probleme in einer validen Eignungsbeurteilung sind somit die Bewertenden, die angewandten Maßstäbe bzw. Kriterien, das Setting oder die Urteilsfindung. Aber worauf muss man denn nun achten? In der Praxis bedeutet dies, den auswählenden Vorgesetzten frühzeitig mit ins Boot zu holen und abzuklären, welche Kompetenzen er wirklich sucht. Bei jedem auf die Beobachtung einzelner Individuen gestützten Auswahlprozess existiert natürlich die subjektive Fehlerquelle des persönlichen Bewertungsrasters. Es empfiehlt sich hierbei zusätzlich, auch das durch die erhoffte Neueinstellung wachsende Team zu betrachten. Beispielsweise kann es für das Gefüge zweckmäßig sein, ganz spezielle Eigenschaften hinein zu holen. Welche Rolle, welche Charaktereigenschaft oder welcher Typ Mensch fehlt in dem Team, welches ergänzt werden soll? Sollte die Stelleninhaberin oder der Stelleninhaber eher ruhig oder extrovertiert sein? Wie sieht es mit Eigenschaften wie Mut, rhetorischem Geschick, Konfliktfähigkeit oder Reflexionskompetenz aus? Das Set an abzuprüfenden Eigenschaften wird in einer strukturierten Moderation erfragt und dokumentiert (wohlwissend, dass hier die Gefahr von Wildwuchs im Kompetenzmanagement gegeben ist: vgl. Liebenow, 2012). Mittels dieser Beleuchtung des sozialen Gefüges wird dann auch klar, was in diesem individuellen und einzigartigen Fall Sozialkompetenz bedeutet. Was genau ist beispielswiese mit „kommunikativ“ gemeint? Wie, wann und wem gegenüber muss man womög- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 lich „kritikfähig“ sein? Die zu definierenden Ausprägungsrade sind dann ein weiterer Schritt in Richtung Schärfung des Profils. Ratsam ist, die Vorgesetzten im Vorfeld dieses Prozesses zu informieren, zu beraten und dann in dem anzuwendenden Modell zu schulen. Der Nutzen muss ebenso herausgestellt werden wie das schlussendlich weder esoterische, noch rein bzw. ausschließlich klinisch-akademische Vorgehen. Die relevanten Faktoren, die für unser Unternehmen Sozialkompetenz bedeuten, haben wir aus unseren Leitlinien und den Forderungen bzw. Erfahrungswerten unserer Führungskräfte abgeleitet. Ergänzt wurden sie um die Ergebnisse mehrerer Workshops, in denen Auszubildende und Ausbilder erarbeiteten, unter welchen Umständen aus ihrer Sicht das betriebliche Miteinander ideal verläuft. Wichtig hierbei war, in einem zweiten Schritt beobachtbares Verhalten zu beschreiben, welches sich mit den anzukreuzenden Werten festhalten ließ. Für einen mehr oder weniger abstrakten Begriff wie Motivation wurde hier ein Raster erstellt, welches dem Beobachter ermöglicht, jeden Kandidaten zu „benoten“. Und zwar anhand sichtbarer und leicht verständlicher Verhaltensweisen. Die Frage in der Konzeption war somit, was wir unter Motivation verstehen und woran wir sie festmachen. Der Versuch einer Objektivierung Dennoch ist bis zum jetzigen Stand die mögliche Quelle für allzu subjektive Entscheidungen auf zwei Paar Schultern verteilt. Um auch 48 Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell diesem Problem zu begegnen, muss man den Kreis der Beobachter und somit der Bewertenden erweitern. Man stellt so sicher, dass verschiedene Dinge bzw. Verhaltensweisen bei den Kandidaten aus unterschiedlichen Perspektiven und vor unterschiedlichen Erfahrungshintergründen betrachtet und bewertet werden. Kulturelle Merkmale und Beobachtungen, welche in Bezug auf das Lebensalter, die Einstellungen und die Merkmale einer sich verändernden Gesellschaft aufgenommen werden, erfahren hierdurch eine uneinheitliche Betrachtung. Empfehlenswert ist zudem eine Parität hinsichtlich der Geschlechter. Mit in Summe nunmehr 5 Beobachtern wurden verschiedene Sichtweisen und persönliche Schwerpunkte abgebildet. Denn: Verhaltensweisen der Kandidaten werden unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt. Operativ kommt in Interview und Übungen ein strukturierter Beobachtungsbogen zum Einsatz, der verschiedene Kriterien in definierten Ausprägungsraden erfassbar macht. Betrachtet wurden hier sowohl die Kommunikations-, Argumentations-, Motivations- und Analysefähigkeit, als auch das Miteinbeziehen anderer Teammitglieder oder das Umgehen mit Widerstand oder gar Kritik. Die Bewertungen sind natürlich auch hier subjektiv und demnach anfällig für Verzerrungen. Da jedoch die Beobachter geschult in das Verfahren gehen, sind sie sich eigener Filter bewusst und versuchen zumindest, eigene Beobachtungs- und Beurteilungsfehlerquellen zu minimieren. Nach der Übung finden sich das Beobachterteam (vier Personaler und die beteiligte Führungskraft aus der Fachabteilung) zusammen und diskutiert sowie aggregiert die Beobachtungen. Jede Stimme zählt hierbei gleich und führt dazu, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen. Spannend ist zudem meist die Diskussion über vermutete Ursachen einer Handlung oder Verhaltensweise. Das Bild wird runder und über die Auswertung bzw. Diskussion vervollkommnet sich der Eindruck bei dem Einstellenden. Das im Vorfeld erarbeitete, jedoch dem Bewerterteam nicht vorgestellte Profil des idealen Stelleninhabers wird am Ende den gemachten Beobachtungen gegenüber gestellt. Es entsteht im Ergebnis ein Profil, aus dem sich Abweichungen ergeben können. Diese eignen sich hervorragend, um im Verbund mit dem aus der Übung und den besprochenen Vermutungen Hypothesen für das Einzelinterview mit den interessantesten Kandidaten abzuleiten. In diesem Folgeschritt gilt es nun u. a. zu erfragen, wie der Bewerber sich selbst erlebt hat und warum er in einer spezifischen Situation so reagiert hat, wie es wahrgenommen wurde. Der hier erlebbar gemachte Abgleich eines Selbst- und Fremdbildes ist meist ein sehr valides Instrument, die Authentizität der Bewerber einschätzen zu können. Vertiefen lässt sich dies mittels provokanter oder zirkulierender Fragen. Hier hat man jede Möglichkeit, die Persönlichkeit des Gegenübers genauer zu erforschen. Natürlich muss man sich darüber im Klaren sein, dass der Auswahlprozess HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 dem Bewerber auch ein Bild über die Kultur des Unternehmens gibt. Dieses sollte natürlich authentisch sein und zur gelebten Realität passen. Letzten Endes ist jeder Bewerbungsprozess eine in diesem Sinne bipolare Situation. Die Effekte in der Anwendung Die Ergebnisse aus den letzten vier Jahren zeigen, dass die Qualität der eingestellten Bewerber uneingeschränkt sehr gut war. Die Zahl der während der Probezeit beendeten Arbeitsverhältnisse ist deutlich zurückgegangen. Die Einarbeitung bzw. Aufnahme in die Organisationseinheiten wurde verkürzt. Zudem zeigte sich, dass sich über die beschriebene Methode die im Team fehlenden Kompetenzen und Charaktereigenschaften hervorragend haben finden lassen. Das Bild der eigenen Ressourcen wurde den Führungskräften klarer und die Bedeutung der Wechselwirkung ersichtlich. Die involvierten Führungskräfte zeigten sich – trotz anfänglicher Skepsis - schnell begeistert von dem skizzierten Verfahren. Empfehlungen seitens HR, einen Kandidaten eher nicht zu nehmen und einen anderen zu favorisieren, sind nun greifbar und werden angenommen. Die Auswahlkriterien, welche sich hinter dem Begriff „Sozialkompetenz“ verbergen, werden sichtbar – und am Ende sogar messbar. Im Sinne der Nutzer und entsprechend ihrer Bedürfnisse. Empfehlungen und Tipps Natürlich muss kritisch betrachtet werden, dass sich das dargestellte Modell nicht auf jede Organisa- 49 Sozialkompetenz im Auswahlprozess – ein praxisorientiertes Modell tionsform übertragen lässt. Hierzu bedarf es einer gewissen Reife und Kultur. Zudem erfordert es die Bereitschaft, sich auf das Verfahren einzulassen. Und auf die Erkenntnisse zu verlassen. Zu empfehlen ist eine gründliche Analyse der tatsächlichen Anforderungen und die Schulung aller Beteiligten. Die während der Beobachtung und der Interviews entstehenden Unterlagen werden aufbewahrt und dienen somit auch der Transparenz. Hier zeigt die Erfahrung, dass dies angebracht ist, da man sowohl intern als auch extern mit Fragen rechnen darf. Dass am Ende natürlich subjektive Bewertungen eine Rolle spielen, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Das Übertragen in Zahlenwerte hilft beim Einordnen des Ausprägungsgrades und erleichtert den Vergleich der Kandidaten. Der Start z. B. als Pilot im Einstellungsprozess eines Ausbildungsjahrgangs legt zudem mögliche weitere Fehlerquellen im Prozess oder der inhaltlichen Vorbereitung der Teilnehmer offen und hilft, das Verfahren weiter zu justieren. Sicherlich muss auch bemerkt werden, dass es sich womöglich auch nicht für jede zu besetzende Position anwenden lässt; für den gehobenen Führungskreis sind derlei Verfahren nicht wirklich en vogue. Oder aber der Reifegrad des Prozesses und aller Beteiligten sollte in diesem Falle sehr hoch sein. Wobei auch (oder gerade) hier gelten sollte: Auch Managern schadet Sozialkompetenz ganz sicher nicht. Unabhängig von der Größe oder der Branche ihres Unternehmens. Literatur Bastians, F. & Runde, B. (2002). Instrumente zur Messung sozialer Kompetenzen. Zeitschrift für Psychologie, 201, S. 186196. Jerusalem, M. & Klein-Heßling, J. (2002). Soziale Kompetenz. Zeitschrift für Psychologie, 4, S. 164-174. Jugert, G., Rehder, A. , Notz, P. & Petermann, F. (2007). Soziale Kompetenz für Jugendliche. Büdingen: Beltz Juventa. Kanning, U. (2009). Diagnostik sozialer Kompetenzen. Göttingen: Hogrefe. Drude, C. (2008). Geistes und Sozialwissenschaften. München: Urban & Fischer Verlag. Liebenow, D. (2012). Kompetenzmodell als Grundlage für ein strukturiertes Kompetenzmanagement – eine Orientierungshilfe für Praktiker. HR Consulting Review, 1, Berlin: VQP ■ HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 50 Interview mit Christian Reincke Wie sind Sie auf das Thema Sozialkompetenz in der Auswahl aufmerksam geworden? In fast allen Stellenausschreibungen wird davon ausgegangen, dass man sozialkompetent ist: „Wir wünschen uns Teamorientierung, Kommunikationsstärke...“. Wirklich abgefragt in der Auswahl wird das aber ganz selten. Da ergab sich für mich einfach eine Lücke zwischen der Kommunikation und der tatsächlichen Abfrage. Das habe ich geholt und deren Wertigkeit herausgearbeitet. Ich stelle fest, dass für Bewerber in den letzten Jahren bei der Auswahl die „sozialromantischen“ Aspekte wichtig sind, die noch vor dem Gehalt stehen. Soziale Aspekte sind wichtiger geworden als früher, und von daher auch eine gewisse Sozialkompetenz. bisher in vier Firmen so erlebt. Es gibt Statistiken, dass die meisten Leute wegen des schlechten Miteinanders gehen, also wegen sozialer Aspekte. Von daher muss man sich die Frage stellen, wie man diese sozialen Aspekte als Unternehmen bei der Auswahl mit einbringt. deutet „geschult“ in diesem Fall? Das bedeutet, dass ich die Vertreter der Fachbereiche sehr klar über die angewandten Methoden informiere, worauf sie je nach Fragestellung achten sollen. Ein Fachgruppenleiter muss (oder sollte) zum Beispiel auch darauf achten, was er für eine Rolle in seinem Team noch braucht, sodass die Teamdynamik positiv ist. Das ist vielen Führungskräften nicht präsent. Die schauen nicht so genau auf die sozialen Kompetenzen. Ich stelle in der Vorbereitung dem Leiter beispielsweise Fragen zu dem Team, führe sie in den strukturierten Beobachtungsbögen und in das Verfahren ein, sodass man gezielt beobachten kann, was und wen man sucht. Es heißt in Ihrem Artikel, dass heute in den meisten Unternehmen Einstellungen nur mit Zustimmung des Personalbereichs getätigt würden, früher deren Meinung jedoch oft nicht berücksichtigt worden wäre. Was ist der Grund für diese Entwicklung? Die Leiter der Fachbereiche können im Interview bzw. Dialog meist die Facheignung sehr gut erfragen. Sie haben aber oftmals nicht die Fähigkeit oder aber das Auge, die menschliche Komponente zu erfragen. Da werden einfach ganz andere Fragen über Berechnungen oder Formeln gestellt, aber keine sozialen Dinge wie Wohlfühlen am Arbeitsplatz. Für genau diese Fragen hat man Personaler mit ins Boot In Ihrem Artikel heißt es auch, dass die Mitarbeiter „geschult“ in das Verfahren gehen. Was be- sprechen, was man gesehen hat und woran man Entscheidungen festmacht, war eine Hürde. Außerdem ist jede Beobachtung, die man tätigt, stark von der Tagesform abhängig, von der Tagesform des Beobachters und von dem, der beobachtet wird. So kann es sein, dass Leute runtergestuft werden, wenn man erst später im Nachgang über die Teilnehmer diskutiert. Eine gute Moderation bei der Evaluation ist wichtig und dass die richtigen Fragen gestellt werden, sodass man auch die versteckten Stellen von den Teilnehmern noch mal beobachtet. Und es ist eminent wichtig, dass jede Beobachtung, vollkommen gleichgültig welcher Beobachter sie gemacht hat, Bedeutung hat und hinterfragt bzw. diskutiert wird. ■ Sehen Sie irgendwelche Schwierigkeiten, die das Modell mit sich bringt? Eine Schwierigkeit war zu Beginn die Bereitschaft der Führungskräfte, sich in ein neues Terrain zu begeben. Die Beobachtungen im Nachgang zu diskutieren und be- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 51 Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis – Was bringen sie neben der Identifikation von Potenzialträgern noch? Simone Olbert1 1) Bereichsleiterin Personalentwicklung, Aus- und Weiterbildung & Personalbetreuung, Lidl Stiftung & Co. KG SCHLÜSSELWÖRTER: Potenzialanalyse, multimethodale Verfahren, diagnostische Instrumente KURZFASSUNG: In Unternehmen werden unterschiedlichste diagnostische Instrumente zur Potenzialeinschätzung eingesetzt. Multimethodale Verfahren sind eine zuverlässige und valide Möglichkeit, Potenzialträger zu identifizieren. Daneben hat der Einsatz solcher Verfahren viele weitere – positive wie gegebenenfalls unerwünschte – Effekte, die im Artikel aus Sicht der Organisation, der Führungskräfte, der potenziellen Teilnehmer und der Human Resources Abteilung diskutiert werden. Deutlich wird, dass Verfahren zur Potenzialanalyse auch eine kulturbildende Komponente beinhalten und ihre vielfältigen Auswirkungen vor allem bei der Neueinführung zu bedenken sind. 1. Potenzialeinschätzung in der Praxis Verfahren zur Potenzialeinschätzung sind – in mannigfacher Ausgestaltung – gängige Praxis in Unternehmen. Die Zielsetzungen, mit denen diese Verfahren zum Einsatz kommen, variieren genauso stark wie die Gestaltung der Verfahren. So bilden Potenzialanalyseverfahren die Entscheidungsgrundlage, um beispielsweise geeignete Bewerber1 auszuwählen, Mitarbeiter zu befördern oder Nachwuchskräften Orientierung bezüglich der Ausrichtung ihres künftigen beruflichen Weges und der persönlichen Weiterentwicklung zu bieten. Vom (unterschiedlich stark bzw. völlig unstrukturierten) Interview über Bei der Bezeichnung von Personengruppen wird im Folgenden die männliche Form verwendet, diese steht stets für Männer und Frauen. 1 verschiedenste Testverfahren und Fragebögen bis hin zu AssessmentCenter-Verfahren oder Kombinationen dieser Instrumente findet sich die komplette Bandbreite diagnostischer Verfahren zur Potenzialanalyse. Die Forschungsergebnisse zur Vorhersagekraft der verschiedenen Verfahren mit Blick auf Berufserfolg (vgl. z. B. Becker et al., 2011; Schmidt & Hunter, 1998) sprechen für die Kombination mehrerer Instrumente im Sinne eines multimethodalen Ansatzes, also ein Verfahren, bei dem zum Beispiel ein biographieorientiertes, strukturiertes Interview mit eigenschaftsorientierten Fragebögen und Testverfahren sowie simulationsorientierten Assessment-Center-Übungen kombiniert wird. In der Praxis verlassen sich aber dennoch viele Unternehmen auf die HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 wenig valide Variante unstrukturierter Interviews und scheuen vor allem den Einsatz vorhersagekräftiger Leistungstests (vgl. Hell et al., 2006; Nachtwei & Schermuly, 2009; Schuler et al., 2007). Die Assessment-Center-Methode scheint sich jedoch in Deutschland zunehmend zu etablieren (vgl. Höft & Obermann, 2010). 2. Effekte von Potenzialeinschätzungsverfahren Kommt ein multimethodales Verfahren zum Einsatz, so ergeben sich neben der validen Identfikation von Potenzialträgern viele weitere Effekte, die im Folgenden aus vier verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: Aus der Perspektive der Organisation, der Führungskräfte, der potenziellen Teilnehmer und der Human Resources Abteilung. 52 Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis 2.1. Perspektive der Organisation Nachfolgend werden vier Facetten von Potenzialeinschätzungsverfahren thematisiert, die sich eine Organisation bewusst zu Nutze machen kann: So können im Rahmen eines Potenzialanalyseverfahrens (a) Kompetenzen im Unternehmen verankert werden, die für die Zukunftsfähigkeit besonders wichtig sind, das Verfahren kann (b) als Lernort für das mittlere und obere Management genutzt werden, weiterhin können (c) bei den Beteiligten strategisch und operativ wichtige Themen platziert und (d) den Führungskräften gezielt sich ändernde Anforderungen transparent gemacht bzw. die Fluktuation ab einer bestimmten ManagementEbene gesteigert werden. a) Platzierung strategisch wichtiger Kompetenzen Ausgangspunkt jedes Potenzialeinschätzungsverfahrens ist eine Anforderungsanalyse, in deren Zuge unter anderem die Kompetenzen definiert werden, die durch das Verfahren abgebildet und erfasst werden sollen. Idealerweise gibt es bereits ein unternehmensweites Kompetenzmodell, das zu Grunde gelegt werden kann und in dem die Organisation bereits für sie strategisch wichtige Kompetenzen festgelegt hat. Ist dies nicht der Fall, muss durch die Anforderungsanalyse herausgefiltert werden, welche Kompetenzen für die Zielgruppe des Verfahrens und die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens besonders wichtig sind: Was müssen die künf- tigen Führungskräfte2 oder andere Inhaber von Schlüsselpositionen mitbringen, um den Erfolg der Organisation in der Zukunft sicherzustellen? Das Potenzialanalyseverfahren stellt dann standardisiert für diese Schlüsselpositionen sicher, dass alle Mitarbeiter auf diesen Positionen die künftig wichtigen Kompetenzen besitzen und das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen können. Entwickelt sich ein Unternehmen beispielsweise zum weltweit tätigen Konzern, wird die interkulturelle Kompetenz künftig maßgeblich an Bedeutung gewinnen; wurde diese Facette bisher bei Beurteilungen und Potenzialeinschätzungen nicht beachtet, kann sie nun in den Fokus gerückt und für Schlüsselpositionen zu einem maßgeblichen Bewertungskriterium werden. b) Das Potenzialeinschätzungsverfahren als Lernort Bei standardisierten, multimethodalen Assessment-Center-Verfahren (AC) zur Potenzialeinschätzung fungieren in der Regel mittlere und obere Führungskräfte als Beobachter. Für sie ist ein solches Verfahren aus mehrerlei Hinsicht ein „Lernort“ – für die Organisation bietet das Verfahren also eine sehr gute Gelegenheit, diese Zielgruppe (die meist eher selten in Weiterbildungsmaßnahmen anzutreffen ist) gezielt „on the job“ weiterzubilden. So geht es in der Beobachterschulung im Rahmen eines ACs nicht Potenzialeinschätzungsverfahren kommen besonders häufig bei Nachwuchsführungskräften und Führungskräften zur Anwendung (vgl. Höft & Obermann, 2010). 2 HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 nur um die spezifischen Inhalte des Verfahrens, sondern auch um die – für jede Führungskraft auch im Arbeitsalltag grundlegenden – Themen „Beobachten“, „Beurteilen“, Fehler, die damit einhergehen, und gegebenenfalls auch um das Geben von Feedback. Die Beobachter/ Führungskräfte erhalten im Rahmen des ACs die Möglichkeit, sich in diesen Themen zu üben und neue Anregungen für ihren Führungsalltag zu gewinnen. Darüber hinaus bekommen die Führungskräfte in der Diskussion der einzelnen Beobachtungen und Bewertungen mit den anderen Beobachtern direkte Rückmeldung zu individuellen Tendenzen und Einstellungen, und haben so die Möglichkeit, den eigenen Bewertungsmaßstab zu „benchmarken“. Das Unternehmen erreicht damit unter anderem, dass ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab in der Organisation eingeführt und verankert wird; externe Dienstleister, die ein AC moderieren, oder auch HR-Verantwortliche, die viele Verfahren begleiten, können sicherstellen, dass ein einheitlicher Maßstab über die einzelnen Verfahren hinweg eingehalten wird. c) Platzierung strategisch oder operativ wichtiger Themen Im Rahmen eines ACs setzen sich Teilnehmer wie Beobachter in den verschiedenen Elementen auch inhaltlich mit Themen auseinander. Dies bietet der Organisation bei internen Verfahren die Möglichkeit, Themen zu platzieren, die für sie strategisch oder auch aktuell operativ von Bedeutung sind. So könn- 53 Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis te beispielsweise ein Unternehmen, dessen Fluktuation sehr hoch ist, genau dieses Problem zum Thema machen (beispielsweise im Rahmen einer Präsentation oder Gruppendiskussion), um dafür zu sorgen, dass sich Teilnehmer und Beobachter gedanklich damit auseinandersetzen. Gegebenenfalls können aus den Ideen der Teilnehmer auch Lösungsansätze für die Organisation abgeleitet werden. d) Schaffung von Transparenz bezüglich geänderter Anforderungen bzw. gezielte Steigerung der Fluktuation ab einer bestimmten Management-Ebene Je nach strategischer Ausrichtung und „Lebensphase“ der Organisation (z. B. Wachstums-, Maturitätsphase; vgl. Hanks et al., 1993), kann es für ein Unternehmen sinnvoll sein, auf einer bestimmten Management-Ebene für erhöhte Fluktuation zu sorgen bzw. den bestehenden Führungskräften Transparenz bezüglich der sich ändernden Anforderungen zu gewähren. Denkbar ist dies beispielsweise nach einer starken Wachstumsphase, wenn im Unternehmen in der Konsolidierungs-/ Maturitätsphase andere „Managertypen“ mit anderen Eigenschaften und Stärken gefragt sind: Während bei starkem Unternehmenswachstum im Fokus steht, das Produktions-/ Distributionsvolumen zu erhöhen, die Geschäftskapazitäten zu erweitern und Marktanteile zu gewinnen, geht es in der Konsolidierungs- oder Maturitätsphase im Schwerpunkt um die Gewinnmaximierung und damit um erhöhte Effizienz und Profitabi- lität, um Prozessoptimierung, Standardisierung, Ausgaben- und Kostenkontrolle. Dass für diese sehr unterschiedlichen Geschäftsaufgaben auch unterschiedliche Eigenschaften im Management gefordert sind, liegt auf der Hand. Durch die Einführung eines standardisierten Potenzialanalyseverfahrens können in transparenter Art und Weise zwei Effekte erzielt werden: 1) Führungskräfte, welche die künftig erfolgskritischen Eigenschaften, Stärken und Kompetenzen besitzen, können in Schlüsselpositionen gebracht werden; lung und Förderung von Mitarbeitern Aus Sicht der Führungskraft bedeutet die Einführung eines Potenzialeinschätzungsverfahrens in der Regel die Abgabe von Entscheidungsautonomie – wo bisher die Führungskraft selbst (oder gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten) Besetzungs- und Beförderungsentscheidungen getroffen und über die Weiterentwicklung eines Mitarbeiters entschieden hat, tritt nun ein Verfahren in Kraft, bei dem andere Personen über die Zukunft des eigenen Mitarbeiters (mit-)ent- 2) den bestehenden Führungskräften können die geänderten Anforderungen vor Augen geführt werden, und sie erhalten ein klares Feedback, ob und inwiefern sie auch künftig in der Organisation erfolgreich sein werden bzw. welche persönlichen Entwicklungsschritte nötig sind, um auch bei geänderten Anforderungen erfolgreich zu bleiben. scheiden. Damit verändert sich die Aufgabe der Führungskraft in der Weiterentwicklung und Förderung der eigenen Mitarbeiter. Es geht nicht mehr nur darum, die Mitarbeiter für den eigenen Bereich „auszubilden“, sondern jeden Einzelnen so zu fördern, dass er in einem Verfahren mit bereichsunabhängigen/ un­ ternehmensweiten Anforderungen bestehen kann. Ein weiterer Effekt eines Potenzialanalyseverfahrens ist auch, dass die Führungskräfte als Beobachter Potenzialträger anderer Bereiche kennenlernen und der „Austausch“ von Mitarbeitern über Bereichsgrenzen hinweg unterstützt wird. 2.2. Perspektive der Führungskräfte Durch Potenzialeinschätzungsverfahren verändert sich (a) die Aufgabe der Führungskräfte hinsichtlich der Entwicklung und Förderung von Mitarbeitern: Es wird eine bereichsübergreifende Perspektive eingefordert. Die Führungskräfte werden (b) aber auch vor die Herausforderung gestellt, ein negatives Ergebnis des Verfahrens – gemeinsam mit ihrem Mitarbeiter – zu verarbeiten und wieder zum Positiven zu wenden („Verlierer-Problematik“). a) Bereichsunabhängige Entwick- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 b) Verlierer-Problematik In der Regel werden nicht alle Teilnehmer eines Potenzialeinschätzungsverfahrens als Potenzialträger bestätigt. Diese sogenannte „Verlierer-Problematik“ ist bei einem unternehmensinternen Verfahren nicht zu unterschätzen. Für die Führungskraft geht die Empfehlung eines Mitarbeiters für 54 Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis die Teilnahme an einem Potenzialeinschätzungsverfahren mit einem hohen Risiko einher: Verlässt der Mitarbeiter, der bisher ein Leistungsträger der Abteilung war und dem die Führungskraft Potenzial für weitere Karriereschritte bescheinigt hat, das Verfahren mit einem negativen Ergebnis, so kommt in der Regel ein deutlich demotivierter Mitarbeiter zurück. Die Führungskraft hat nun die Aufgabe, den Misserfolg gemeinsam mit dem Mitarbeiter aufzuarbeiten, ihn zur alten Motivation zurückzuführen und gemeinsam neue Perspektiven zu erarbeiten. Gleichzeitig ist das Scheitern des Mitarbeiters aber auch eine negative Rückmeldung an die Führungskraft selbst (vorausgesetzt, dass die Führungskraft voll und ganz von der Empfehlung des Mitarbeiters überzeugt war): Die Potenzialträger des Bereichs können im unternehmensweiten Vergleich nicht bestehen; das heißt, dass die Führungskraft sich entweder im Vorfeld nicht hinreichend mit den Anforderungen des Verfahrens auseinander gesetzt hat, oder sie einen zu geringen Maßstab in ihrer Beurteilung von Leistung und Potenzial anlegt, oder dass die Führungskraft den Mitarbeitern zu wenig Unterstützung in der Vorbereitung auf das Verfahren bzw. eine neue Rolle/ Aufgabe zukommen lässt. 2.3. Perspektive der potenziellen Teilnehmer Inwiefern Potenzialeinschätzungsverfahren Akzeptanz im Unternehmen finden, hängt von verschiedenen Faktoren ab (a). Ein in jedem Fall positiver Effekt der Verfahren ist eine bewusstere Auseinandersetzung der Teilnehmer mit den Anforderungen der angestrebten Position/ Funktion (b). a) Akzeptanz von Potenzialanalyseverfahren Wie Mitarbeiter bzw. potenzielle Teilnehmer von Potenzialanalyseverfahren die Einführung eines solchen Verfahrens erleben und inwiefern diese Instrumente Akzeptanz finden, hängt – wie in jedem Veränderungsprozess – maßgeblich von der Kommunikation und Transparenz ab. Wichtig ist es, die Führungskräfte von der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu überzeugen und sie damit als positiv verstärkendes Sprachrohr zu nutzen. Genauso muss allerdings die Kommunikation mit den „betroffenen“ Mitarbeitern gezielt gesteuert werden. Sie müssen detailliert über die Gründe für die Einführung, das Verfahren selbst, die gestellten Anforderungen und vor allem auch den Prozess nach dem Verfahren aufgeklärt werden. Was mit den „Gewinnern“ und „Verlierern“ nach der Teilnahme passiert, ist die Visitenkarte des Verfahrens und damit maßgeblich für die Akzeptanz im Unternehmen. Studien haben zwar auch gezeigt, dass die individuelle Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit im Sinne einer selbstwertdienlichen Attribution bei Verfahrensteilnehmern eine hohe Auswirkungen auf die Akzeptanz hat (vgl. Kersting, 2010), jedoch sollte dies für die Verfahrensverantwortlichen nur ein weiterer Grund sein, für hohe HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Transparenz und einen gezielt gesteuerten Prozess im Nachgang zum Verfahren zu sorgen. Teilnehmer, Vorgesetzte und HR sollten in regelmäßigem Austausch über das weitere Vorgehen und die weitere individuelle Entwicklung bleiben. b) Bewusste Auseinandersetzung mit Anforderungen Ein äußerst positiver Effekt von Potenzialeinschätzungsverfahren auf Seiten der potenziellen Teilnehmer ist die deutlich bewusstere und gezieltere Auseinandersetzung mit den Anforderungen, die im Verfahren an die Teilnehmer angelegt werden, aber vor allem auch jenen Anforderungen, die mit der angestrebten Position/ Funktion/ Aufgabe einhergehen. Die Eingangshürde wird erhöht, gezieltes Engagement und Selbstreflexion werden deutlich gefördert und auch Selbstselektionseffekte sind zu beobachten. 2.4. Perspektive Human Resources HR-Abteilungen haben sicher ein maßgebliches Interesse an der Durchführung möglichst objektiver und valider Verfahren zur Personalauswahl und Potenzialeinschätzung, um den Personalbedarf im Unternehmen nachhaltig zu decken. Schaut man auf die Personalentwicklung, bieten Potenzialanalysen der HR-Abteilung zwei Vorteile: a) eine Möglichkeit zur Steigerung der Qualität von Beobachtung und Beurteilung bei Führungskräften und b) einen Überblick über Entwicklungsbedarfe im Unternehmen. 55 Potenzialeinschätzungsverfahren in der Praxis a) Steigerung der Qualität von Beobachtung und Beurteilung Die Qualität von Verfahren zur Potenzialeinschätzung steht und fällt u. a. mit der Qualifikation der Beobachter/ Beurteiler, weshalb auch für die Verantwortlichen im Personalbereich die Möglichkeit, das Potenzialeinschätzungsverfahren als Lernort für das Management zu nutzen von Bedeutung ist. Die unter 2.1. genannte Möglichkeit, mittlere und obere Führungskräfte zu den Themen „Beobachten“, „Beurteilen“ und „Feedback geben“ weiterzubilden, und für einen einheitlichen Bewertungsmaßstab im Unternehmen zu sorgen, hat aus Sicht der HR-Abteilung aber auch über das Verfahren hinaus positive Auswirkungen, wie zum Beispiel eine erhöhte Qualität bei regelmäßigen Leistungsbeurteilungen und Personalauswahlverfahren. b) Identifikation von Entwicklungsbedarfen Für HR-Verantwortliche bieten standardisierte Verfahren aber auch die Chance, Entwicklungsfelder zu identifizieren, die über das Individuum oder einen spezifischen Bereich hinausgehen und für die Organisation als Ganzes symptomatisch sind. So können für bestimmte Zielgruppen spezifische Trainingsbedarfe und -inhalte abgeleitet und entsprechende Curricula implementiert werden. 3. Fazit Potenzialeinschätzungsverfahren haben neben ihrem originären Ziel, geeignete Personen auszuwählen bzw. Potenzialträger zu identifi- zieren, viele weitere positive wie auch möglicherweise unerwünschte Effekte in einer Organisation. Sie sind ein kulturbildendes Instrument, dessen Auswirkungen vor allem bei der Einführung in einem Unternehmen, das bislang ohne standardisierte Verfahren Mitarbeiter ausgewählt oder befördert hat, nicht zu unterschätzen sind. Wie bei allen Veränderungsprozessen gilt auch in einem solchen Fall, dass eine möglichst hohe Transparenz und frühzeitige Kommunikation mit allen Betroffenen und Beteiligten forciert werden sollte. 4. Literatur Becker, N., Höft, S., Holzenkamp, M. & Spinath, F.M. (2001). The Predictive Validity of Assessment Centers in GermanSpeaking Regions. A MetaAnalysis. Journal of Personnel Psychology, 10(2), 61–69. Hanks, S. H., Watson, C. J., Jansen, E. & Chandler, G. N. (1993). Tightening the lifecycle construct: A taxonomic study of growth stage in configurations in high-technology organisations. Entrepreneurship: Theory and Practice, 18, 5-30. Hell, B., Schuler, H., Boramir, I. & Schaar, H. (2006). Verwendung und Einschätzung von Verfahren der internen Personalauswahl und Personalentwicklung im 10 Jahres-Vergleich. Zeitschrift für Personalforschung, (20)1, 58-78. Höft, S. & Obermann, C. (2010). Der Praxiseinsatz von Assessment Centern im deutschsprachigen Raum: Eine zeitliche HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Verlaufsanalyse basierend auf den Anwenderbefragungen des Arbeitskreises Assessment Center e.V. von 2001 und 2008. Wirtschaftspsychologie, 12 (2), 5-16. Kersting, M. (2010). Akzeptanz von Assessment Centern: Was kommt an und worauf kommt es an? Wirtschaftspsychologie, 12, 58-65. Nachtwei, J. & Schermuly, C. C. (2009). Acht Mythen über Eignungstests. Harvard Business Manager, 4/ 09, 6-10. Schmidt, F. L. & Hunter, J. E. (1998). The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology: Practical and Theoretical Implications of 85 Years of Research Findings. Psychological Bulletin, 124 (2), 262-274. Schuler, H., Hell, B., Trapmann, S., Schaar, H. & Boramir, I. (2007). Die Nutzung psycholo-gischer Verfahren der externen Personalauswahl in deutschen Unternehmen. Ein Vergleich über 20 Jahre. Zeitschrift für Personalpsychologie, 6 (2), 60-70. ►Xing-Profil der Autorin ■ 56 Interview mit Simone Olbert Was ist der Vorteil eines multimethodalen Verfahrens bei der Potenzialeinschätzung? Die Forschungsergebnisse zur Vorhersagekraft sprechen klar für einen multimethodalen Ansatz. Validere Auswahlentscheidungen minimieren das Risiko einer Falschaussage und damit schlussendlich auch die Kosten eines Potentialeinschätzungsverfahrens. Warum sind in der Praxis wenig valide Instrumente (z. B. unstrukturiertes Interview) immer noch weit verbreitet? Dass wenig valide Instrumente immer noch eingesetzt werden, liegt meiner Meinung nach häufig entweder an mangelndem Wissen um bessere Alternativen oder zu geringem Vertrauen in andere Methoden und Veränderungswiderstand in der Organisation („Das haben wir schon immer so gemacht und es hat gut funktioniert“) oder aber an einer nicht hinreichend umfassenden Betrachtung der Vorteile von Instrumenten mit höherer Vorhersagekraft (Methoden wie ein unstrukturiertes Interview sind auf den ersten Blick mit weniger Aufwand in der Vorbereitung und Umsetzung verbunden; übersehen wird dabei jedoch häufig, dass der Aufwand, der mit einer Falschentscheidung einhergeht, deutlich höher ist). Was sollte bei der Einführung eines Potenzialeinschätzungsverfahrens beachtet werden, damit die genannten Vorteile auch rea- lisiert werden? Zum einen ist es wichtig, dass die eingesetzten Verfahren eine hohe Qualität aufweisen. Die Unterstützung durch Experten bei der Anforderungsanalyse, Ausgestaltung der Instrumente, Durchführung und Nachbereitung eines Potentialeinschätzungsverfahrens ist ratsam. Zum anderen ist die Kommunikation bzw. ein gutes Change Management bei Einführung einer neuen Methodik essentiell. Betroffen sind nicht nur jene Personengruppen, die als Teilnehmer das Verfahren durchlaufen, sondern ebenso deren Vorgesetzte und/oder Führungskräfte, die bisher am Entscheidungsprozess beteiligt waren. Wenn nicht alle direkt und indirekt Betroffenen in den Veränderungsprozess integriert und Widerstände nicht proaktiv abgebaut werden, kann am Ende auch das Verfahren seine Vorteile nicht entfalten. ter neue Ziele zu erarbeiten. Rechtfertigt der Nutzen dieser Verfahren den hohen Aufwand, der damit verbunden ist? Ja, in jedem Fall. Die Folgekosten einer Fehlentscheidung sind für das Unternehmen deutlich höher als die Kosten für den erhöhten Aufwand in Vorbereitung und Durchführung eines valideren Instruments. ■ Welche „unerwünschten Effekte“ bringen derartige Verfahren mit sich? Der maßgebliche unerwünschte Effekt ist bei einem internen Potenzialeinschätzungsverfahren die sogenannte Verliererproblematik. Wenn ein Mitarbeiter ein Potentialeinschätzungsverfahren nicht mit dem erwünschten Ergebnis durchläuft, führt dies in der Regel zunächst zu Frustration und Demotivation. Für die Führungskraft ist es in der Folge eine Herausforderung, diese Demotivation aufzufangen und gemeinsam mit dem Mitarbei- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 57 Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich! Oliver Flohr1 Allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters und Leiter Personal und Organisation, Gemeinde Lindlar (22.000 Einwohner, NRW) 1) SCHLÜSSELWÖRTER: Personalentwicklung, Betriebliche Gesundheitsförderung, Employee-Assistance-Program KURZFASSUNG: Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource jedes Unternehmens. Die Belegschaft wird aufgrund des gestiegenen Renteneintrittsalters älter, die Fachkräftegewinnung wird aufgrund des demografischen Wandels und des daraus resultierenden Wettbewerbs für Unternehmen schwieriger. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten wandeln sich. Megatrends, Arbeitsbedingungen, Lebensstile, veränderte Anforderungen durch neue Arbeitsbedingungen wirken sich auf die Mitarbeiter direkt aus. Die stetige Verbesserung bzw. der Erhalt der Zufriedenheit, Motivation, Leistung, Identifikation, Gesundheit und Engagement dieser Ressource muss Chefsache sein bzw. werden. Mit Hilfe von Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) lässt sich der ökonomische Erfolg sichern. 1. Die Ressource Mitarbeiter In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt bilden die Mitarbeiter die wichtigste Ressource bzw. das wichtigste Leistungspotenzial eines Unternehmens. Motivierte und leistungsbereite Mitarbeiter sichern einen nachhaltigen Unternehmenserfolg. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) kümmert sich um die wichtigste Ressource. Insbesondere die Unternehmensleitung muss mit gutem Beispiel vorangehen, als Vorbild fungieren und die Führungskräfte im Betrieblichen Gesundheitsmanagement einbinden. Eine gesunde Struktur im Unternehmen muss top-down gelebt werden. Denn die Gesundheit und somit die gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung im Unternehmen sind ein wesentlicher Baustein für den Erfolg des Unternehmens. Dieses gilt nicht nur für die freie trends (z. B. technischer, politischer und kultureller Wandel; Beschleunigung der Prozesse), veränderte Belastungen durch neue Arbeitsbedingungen, veränderte Lebensstile und veränderte Anforderungen durch neue Arbeitsbedingungen, wie Arbeitsmenge, Zeitdruck, Entgrenzung der Arbeit, Kommunikationserfordernisse, nicht halt. Hinzu kommt, dass die Fehlzeiten im öffentlichen Dienst regelmäßig im Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen stehen. 2. Fehlzeiten im öffentlichen Dienst 2010 Der Krankenstand im Jahr 2010 betrug 4,8 % im Bundesdurchschnitt (AOK-Versicherte), durchschnittlich waren die Arbeitnehmer 17,6 Kalendertage krankgeschrieben. Der Krankenstand in der Branche „öffentliche Verwaltung und Sozi- 5,9 % den zweiten Platz und liegt insgesamt über dem Durchschnitt. In NRW liegt der Krankenstand in der öffentlichen Verwaltung bei 6,1 % und ist somit überdurchschnittlich in Relation zum übrigen öffentlichen Dienst. Positiv zu bewerten ist, dass sich der Krankenstand in der öffentlichen Verwaltung von 6,9 % (1994) auf 5,5 % (2010) gesenkt hat. Auch die Tage je Arbeitsunfähigkeit-Fall (AU-Fall) sind im gleichen Zeitraum von 15,9 auf 12,0 gesunken. Zunächst wird vermutet, dass u. a. die Unkündbarkeit der Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung zur überdurchschnittlichen krankheitsbedingten Fehlzeiten führt. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der öffentliche Dienst seiner gesetzlichen Verpflichtung (u. a. § 82 SGB IX) zur Beschäftigung von Schwerbehinderten stärker nachkommt Wirtschaft sondern auch für den öffentlichen Dienst. Denn auch im öffentlichen Dienst machen Mega- alversicherung“ betrug 5,5 % und belegt nach der Branche „Energie / Wasser / Entsorgung / Bergbau“ mit als andere Branchen. Der Anteil erwerbstätiger Schwerbehinderter liegt im öffentlichen Dienst um HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 58 Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich! etwa 50 % höher als in anderen Branchen (6,6 % der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung gegenüber 4,2 %). Die Hans-BöcklerStiftung hat in einer Studie festgestellt, dass die gegenüber anderen Beschäftigungsbereichen höhere Zahl von Arbeitsunfähigkeitsfällen im öffentlichen Dienst etwa zur Hälfte auf den erhöhten Anteil an schwerbehinderten Arbeitnehmern zurückzuführen ist. Des Weiteren muss aber auch berücksichtigt werden, dass ein großer Anteil der AOK-Mitglieder in der öffentlichen Verwaltung im gewerblichen Bereich, wie Straßenbau, Straßenreinigung etc. tätig sind und somit körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen ausführen. Weiterhin weist die AOK-Mitgliederstruktur in der öffentlichen Verwaltung eine im Vergleich zur freien Wirtschaft ungünstige Alterstruktur auf, die zum Teil für die erhöhten Krankenstände mitverantwortlich ist. Diese Rahmenbedingungen werden in der öffentlichen Diskussion nicht genannt. 3. Krankheitsarten in der öffentlichen Verwaltung Zu betrachten ist jedoch nicht nur der Krankenstand an sich, sondern auch die Krankheitsart, um gezielte Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu implementieren. Die Entwicklung der psychischen Erkrankungen, insbesondere der von „Burn-Out“ spielt in der heutigen Arbeitswelt eine immer stärkere Rolle. Psychische Erkrankungen treten überdurchschnittlich im öffentlichen Dienst auf. „Psychische Erkrankungen haben sich zu einer gravierenden finanziellen Belastung für Wirtschaft und Sozialversicherung entwickelt“, stellt BPtK-Präsident Professor Rainer Richter fest. Zwischen 2004 und 2010 haben sich die AU-Tage aufgrund von BurnOut bei den AOK-Versicherten um das Neunfache erhöht. Bei der näheren Betrachtung zeigt sich, dass Frauen deutlich stärker betroffen sind: Sie sind mehr als doppelt so lange krankgeschrieben wie Männer. Auch mit zunehmendem Alter steigt das Risiko einer Krankmeldung infolge eines Burn-Outs. 4. Was bedeutet BGM? Der führende deutsche Wissenschaftler auf dem Gebiet, Prof. Dr. Badura, definiert Betriebliches Gesundheitsmanagement als die Entwicklung betrieblicher Rahmenbedingungen, betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Befähigung zum gesundheitsfördernden Verhalten der Mitarbeiter zum Ziel haben. Das BGM lässt sich in drei Teilbereiche untergliedern: A. Arbeits- und Gesundheitsschutz B. Betriebliche Gesundheitsförderung C. Betriebliches Eingliederungsmanagement 5. Maßnahmen am Beispiel einer Kommunalverwaltung Vielfach wird diskutiert, ob sich der Invest lohnt, wann der Return on Invest (ROI) (Kosten-NutzenVerhältnis) für das „Sozialkapital HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Mensch“ erreicht wird. Hierzu gibt es verschiedene wissenschaftliche Studien. Jedoch spielen nicht nur monetäre Faktoren eine Rolle. Die folgenden Vorteile eines BGM überzeugten die Kommunalpolitik trotz knapper finanzieller Ressourcen in den Prozess zu investieren: Bei den Mitarbeitern kann die Arbeitszufriedenheit, Leistungsfähigkeit, Einsatzbereitschaft und die Identifikation steigen, wogegen die Kosten durch geringere Fehlzeiten, Unfälle und Fluktuation gesenkt werden können. Mithilfe des Budgets konnten die folgenden Maßnahmen durchgeführt werden, wobei der gesamte Prozeß zur Chefsache erklärt wurde. Einzelmaßnahmen wurden systematisch zusammengeführt. Sporadische Einzelmaßnahmen bringen wenig oder nur kurzfristig Erfolg. Eine systematische und somit auch nachhaltige Etablierung im Unternehmen sichert den Erfolg. 5.1. Mitarbeiterumfrage Mit Hilfe eines externen Dienstleisters wurde für die 120 Mitarbeiter eine Mitabeiterumfrage durchgeführt. Die Umfrage wurde gemeinsam durch den Personalrat und die Behördenleitung begleitet. Die Umfrage ist ein wesentliches Instrument für eine systematische Stärken- und Schwächenanalyse des Unternehmens. Mitarbeiter bekommen die Möglichkeit, das Unternehmen aus ihrer Sicht in Bezug auf Betriebsklima, Führungsstil und Verantwortung zu bewerten. Unternehmen erhalten über die Analyse die Möglichkeit, gezielte Maßnahmen der Gesundheitsförderung ge- 59 Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich! meinsam mit Interessenvertretungen, Mitarbeitern und Externen in einer Projektgruppe zu entwickeln. Das Ziel der Befragung bestand darin, ein Stimmungsbild aus der Belegschaft zu erhalten und Optimierungspunkte aus Sicht der Belegschaft zu ermitteln. Insbesondere wurde das Modul „Führung“ abgefragt, so dass eine anonyme Rückmeldung zur Wahrnehmung der Führungsaufgaben und Beziehung erfolgen kann. Die Ergebnisse wurden im Rahmen einer Personalversammlung durch den externen Dienstleister vorgestellt und die festgestellten Verbesserungspotenziale wurden und werden umgesetzt, denn eine Umfrage weckt auch Ansprüche in der Belegschaft. 5.2. Schulung der Führungskräfte Die Führungskräfte haben eine Doppelrolle. Zum einen tragen sie Verantwortung für ihre Mitarbeiter und zum anderen sind sie selbst Belastungen und Beanspruchungen ausgesetzt. Die Führungskräfte haben Verantwortung für die Gesundheit und Leistungen ihrer Mitarbeiter wie auch für sich selbst. Die Führungskräfte wurden in Workshops zu Themen wie Kommunikation, Führungsstile, Konfliktmanagement, Resilienz und Suchtprobleme in der Arbeitswelt geschult. Ergänzt wird dieses durch Einzel- oder Gruppencoaching. 5.3. Employee-Assistance-Program (EAP) Ergänzt wird die betriebliche Gesundheitsförderung durch einen elementaren Baustein, dem soge- nannten EAP-Modell. In schwierigen beruflichen und/oder privaten Situationen (z. B. Stress, Konflikte, emotionale Belastungen, finanzielle Schwierigkeiten, Abhängigkeitsgefährdungen und -erkrankungen, schwere/chronische Erkrankungen) können sich die Mitarbeiter an einen externen Sozialberater wenden. Dieser steht sowohl den Mitarbeitern als auch deren Angehörigen telefonisch oder persönlich kostenlos zur Verfügung und unterliegt dem gesetzlichen Datenschutz. Die Kosten übernimmt hierfür der Arbeitgeber. Der Tätigkeitsbericht zeigt dem Arbeitgeber auf, in welchen Bereichen er noch Optimierungspotenzial hat. 5.4. Betriebliches Eingliedrungsmanagement Im Mai 2004 wurden die Vorschriften zur Prävention in § 84 SGB IX erweitert und das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) als gesetzliche Regelung eingeführt (§ 84 Abs. 2). Sein Ziel ist es, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz des betroffenen Mitarbeiters zu erhalten. Dieses ist durchzuführen, wenn ein Mitarbeiter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Es gilt für alle Beschäftigte - egal, ob behindert oder nicht behindert. Im Rahmen einer Personalversammlung als auch im Führungskreis wurde das BEM vorgestellt (Gesetzliche Grundlage, Verfahren, Möglichkeiten). In der Praxis zeigt sich, dass das BEM angenommen wird. Je nach Bedarf HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 werden z. B. auch Betriebsärzte, Fachärzte, Integrationsfachdienst eingebunden. 5.5. Weitere Maßnahmen Des Weiteren wurde mit einer privaten Krankenversicherung eine Gruppenversicherung abgeschlossen, Bioobst in den Teeküchen angeboten sowie Laufrunden (Vorbereitung für alle Leisstufen auf den Ortskernlauf „Lindlar läuft“) bzw. eine „bewegte Mittagspause“ (Dehn-, Lockerungs- und Entspannungsübungen) angeboten. 6. Ergebnis Bereits nach einem Jahr zeigten sich erste positive Ergebnisse. Der Krankenstand sank um 2,5 %. Aber der Indikator Krankenstand ist nicht der maßgebliche Faktor, obwohl dieser bewiesen hat, dass sich das BGM wirtschaftlich gelohnt hat. Vielmehr sind es die „weichen“, teilweise nicht messbaren Indikatoren. Innerbetriebliche Rückmeldungen haben Verbesserungen des Betriebsklimas, der Arbeitszufriedenheit, der innerbetrieblichen Kommunikation und der Motivation trotz weiter zunehmender Arbeitsverdichtung gezeigt. Die Mitarbeiter merken, dass sich der Arbeitgeber auch für sie interessiert und in die Belegschaft investiert. Das BGM wird als wertschätzend empfunden. Auch das Verständnis auf allen Hierarchieebenen für die Situation, die Probleme, die Belastungen ist gestiegen. In Vorstellungsgesprächen werden die Bewerber aktiv auf die Maßnahmen hingewiesen, so dass sich das Unternehmen als Marke auf dem Markt hervorheben kann 60 Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) lohnt sich! und somit an Attraktivität gewinnt. Festzuhalten ist: Betriebliches Gesundheitsmanagement lohnt sich! 7. Literatur Meyer, M., Stallauke, M. & Weirauch, H. (2011). Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der deutschen Wirtschaft im Jahr 2010. In B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose, K. Macco (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2011, Führung und Gesundheit (S. 223-268). Heidelberg: Springer heitsmanagement verringert die negativen Folgen. Personalmagazin, 6, S. 12-15. ►Xing-Profil des Autors ■ BAD GmbH (2012). Seminar Unternehmer im Gespräch: Betriebliches Gesundheitsmanagement – Sozialromantik oder Produktivitätssteigerung? Erfurt und Jena. Badura, B., Schröder, H. & Vetter, C. (2008). Fehlzeiten-Report 2008, Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Heidelberg: Springer. Badura, B. & Hehlmann, T. (2003): Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden Organisation. Berlin und Heidelberg: Springer. Deutsches Institut für Normung e.V. (2012). DIN SPEC 91020 – Betriebliches Gesundheitsmanagement. Enderle, K. & Schmitt, K. (2011). Unternehmen im Stresstest – Die psychischen Belastungen bei Mitarbeitern steigen. Ein strategisch geführtes Gesund- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 61 Interview mit Oliver Flohr BGM ist ja ein breites Feld. Was Sind Ihrer Meinung nach die Grundpfeiler des Betrieblichen Gesundheitsmanagements? Es ist wichtig, dass der Mitarbeiter als Mensch im Mittelpunkt steht. Dann sollte man systematisch vorgehen und daraus einen richtigen Prozess entwickeln, anstatt nur Einzelmaßnahmen einzuführen. Dabei sollten ein systematischer Aufbau, Arbeitsschutz, Betriebliche Gesundheitsförderung und Betriebliches Eingliederungsmanagement beachtet werden. Außerdem muss die Unternehmensleitung das mittragen. Sie sollte davon überzeugt sein, dass BGM wirklich sinnvoll und nicht nur ein moderner Trend ist. Eine Mitarbeiterumfrage kann helfen, die Fakten „schwarz auf weiß“ zu generieren, um so eine Ist-Aufnahme zu erstellen. Warum ist es gerade heute so wichtig? Ein Grund ist die Arbeitsplatzverdichtung. Man hat weniger Personal als früher, sodass man Krankheitsfälle nicht so leicht kompensieren kann. Auch der Demografische Wandel führt dazu, dass auf dem Arbeitsmarkt immer weniger qualifiziertes Personal zur Verfügung steht, sodass man als Unternehmen im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter steht. Das BGM ist ein wichtiger Faktor, um sich unter all den Unternehmen hervorzuheben. Wie sahen die Workshops für die Führungskräfte genau aus? Wir hatten mit einer externen Beraterin Seminare zu Themen wie Mitarbeiterkommunikation, Resilienz, u. v. m. durchgeführt, um deren Priorität hervorzuheben. Die meisten Probleme sind reine Kommunikationsprobleme. Generell sollten bei Workshops auch die Führungskräfte zur Teamarbeit zusammenkommen, damit sie als Vorbild für die Mitarbeiter fungieren können. Man hat danach deutlich gemerkt, dass ein Umdenken in die richtige Richtung stattgefunden hat. Also in dem Sinne, dass gute Mitarbeiterführung mit regelmäßiger Kommunikation, Transparenz und Wertschätzung sehr wichtig sind. Allgemein muss man bei der Führungskräfteauswahl immer die soziale Kompetenz betrachten, denn fachlich kann man sich in Seminaren fortbilden, aber Führungsprobleme auf sozialer Ebene kosten viel Zeit, Geld und Kraft, was sich langfristig bemerkbar macht. Die soziale Kompetenz sollte schon bei den Auszubildenden gefördert werden. Wie viel Aufwand steckte in dem Prozess, diese Erneuerungen zu etablieren? Der Aufwand ist am Anfang hoch. Man muss viel Überzeugungsarbeit leisten bei den Führungskräften, Interessenvertretungen, Mitarbeitern, in meinem Fall auch in der Politik aufgrund der damit einhergehenden Kosten. Man sollte mit erheblichen Widerständen umgehen können und ständig versuchen, die Leute zu überzeugen. Wir beziehen HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 die Mitarbeiter mit ein, denn der Prozess soll wirklich „gelebt“ und nicht nur in einem Ordner abgeheftet werden. Dafür muss man die Leute mit Transparenz und guter Kommunikation mitnehmen. Jeden kriegt man auch nicht überzeugt. Manche haben Ängste, trauen der Sache nicht und blocken direkt ab. Für eine höhere Durchsetzungskraft sollte das BGM direkt auf der Leitungsebene angesiedelt werden. Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Mitarbeitern im Alltag? Fast ausschließlich nur positive Rückmeldungen. Die zwischenmenschliche Ebene hat sich deutlich verbessert. Die Mitarbeiter freuen sich regelrecht darüber, dass man solche Angebote macht. Vor allem die, die schwerkrank sind, sind froh, dass sie Unterstützung vom Arbeitgeber bekommen. Die Mitarbeiter vertrauen einem. Ich konnte den Krankenstand innerhalb von drei Jahren auf 50 % reduzieren und eine Prämie von 10.000 Euro einholen. Das ist schon super und motiviert alle. ■ 62 Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring Sabine Nitsche1 & Ljerka Heinecke-Cuvaj1 1) Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) SCHLÜSSELWÖRTER: Mentoring, Matching, kompetenzbasierte Personalentwicklung KURZFASSUNG: Das Matching der Mentoren und Mentess hat eine zentrale Rolle im Mentoringprozess und ist ausschlaggebend für den Mentoringerfolg. In der bisherigen Matching-Praxis wird jedoch überwiegend nach Sympathie-Kriterien vorgegangen und ein systematischer Matchingansatz, in dem die Tandems nach ihren Stärken und Entwicklungsbedarfen gematcht werden, fehlt bisher ganz. In diesem Artikel wird von daher eine innovative Form des Matchings vorgestellt, welche die individuellen Kompetenzprofile der Beteiligten erhebt und miteinander abgleicht. Die Tandems werden somit systematisch nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip anhand der Stärken (Angebote) und Entwicklungspotenziale (Bedarf) zusammengebracht. Das kompetenzbasierte Passungsverhältnis der Paare gewährleistet, dass die geforderten Kompetenzen der Mentoren auch auf die aktuellen Bedürfnisse der Mentees passen. Mentoring gewinnt als feedbackbasiertes Instrument der strategischen Personalentwicklung zunehmend an Bedeutung. Die Attraktivität des Mentoring liegt, anders als bei den edukations- und erfahrungsbasierten Bildungsmaßnahmen, mehr im Gewinnen von organisationalem Wissen und Erfahrungswissen als in konkreten Lern-Outputs, die unmittelbar Anwendung in der Arbeit finden. Ein positives, weniger auf Defizite und mehr auf persönlichkeitsfördernde Entwicklungsaspekte ausgerichtetes Lernumfeld mit großzügig gesteckten Freiheitsgraden im Vorgehen stößt dabei auf hohe Akzeptanz bei den Beteiligten. Nicht festgelegte inhaltliche Ausgestaltung der Mentoring-Gespräche und weitgehende Offenheit der Ergebnisse scheinen die inneren Kräfte der Mentoren und Mentees zu mobilisieren und inspirieren. Diese attraktiven Freiheitsgra- de können sich aber auch als eine Falle herausstellen. Beliebigkeit im pragmatischen Vorgehen und in der inhaltlichen Ergebnisorientierung sowie eine zu hohe Betonung des organisationalen und des Erfahrungswissens weisen darauf hin, dass es keine konkreten, objektiven Faktoren gibt, die dem Mentoring eine Richtung vorgeben (Ragins, 2000). Von daher kommt immer häufiger die Frage nach erfolgsbegünstigenden Faktoren der Mentoring-Programme auf (BlakeBeard et al., 2008). Die Effektivität des Mentoring wird insbesondere vom Potenzial, Hintergrundwissen und den Kompetenzen der Mentoren und Mentees gesteuert, die aber in der gängigen Praxis nicht explizit erfasst werden (Niemeier, 2009). Genau hier setzt der kompetenzbasierte Ansatz als wichtiges Steuerungselement im MentoringProzess an, wobei vor allem dem HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Matching der Mentoren und Mentees auf Basis ihrer Kompetenzen eine zentrale Rolle zukommt (Deitmer & Ruth, 2007). Matching – Strategische Weichenstellung im Mentoring Das Matching bzw. die Initiierung der Mentoring-Partnerschaften bildet die Basis des gesamten Mentoring-Prozesses. Ein gutes Passungsverhältnis zwischen Mentor und Mentee ist ein Indiz für erfolgreiches Mentoring und nach dem einstigen Zusammenkommen der Paare bedarf es eines hohen organisationalen und persönlichen Aufwandes, diese Entscheidung wieder zu berichtigen (Blake-Beard et al., 2008). Die wichtigste Aufgabe bei der Entwicklung von MentoringProgrammen besteht demzufolge darin, das Risiko eines verfehlten Matchings zu minimieren und die Passung der Paare zu optimieren. 63 Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring In der wissenschaftlichen Literatur und in Praxisberichten wird die strategische Bedeutung des Matchings jedoch kaum berücksichtigt. Es gibt nur wenige Hinweise auf eine systematische Vorgehensweise mittels messbarer und objektiver Entscheidungskriterien (Finkelstein & Poteet, 2010), die einem formulierten Entwicklungsbedarf Rechnung trägt (Blake-Beard et al., 2008). Es ist bemerkenswert, dass gerade solche Seitenaspekte wie gegenseitige Sympathie, Wünsche und vorsichtig formulierte erste Erwartungen als ausschlaggebende Kriterien für die Zusammenführung betrachtet werden, während wiederum Kenngrößen wie Qualifikationen, spezifisches Wissens und besondere Kompetenzen beliebig behandelt werden (Blake-Beard et al., 2008). Ein Verfahren, das die Entscheidungsfindung beim Matching diesbezüglich erleichtert, sollte daher die individuellen Stärken- und Schwächen-Profile von Mentoren und Mentees berücksichtigen, um das genaue Angebot-NachfrageVerhältnis festzustellen (Ragins, 1997). Mentoring könnte hier an die Praxis der Personaldiagnostik ansetzen und auf kompetenzbasierte Verfahren zurückgreifen, die sich bei der Erhebung von Stärkenund Schwächen-Profilen bewährt haben. Damit wird auf eine objektive und effiziente Art und Weise gewährleistet, dass diejenigen Kompetenzen von Mentoren und Mentees ausgemacht werden, die für ein erfolgreiches Passungsverhältnis benötigt werden (Deitmer & Ruth, 2007). Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring Das kompetenzbasierte Vorgehen im Mentoring läuft in mehreren ineinandergreifen Phasen ab, die einer Prozesslogik folgen und von entsprechenden Interventionen begleitet werden: Die programmverantwortlichen Akteure legen als Basis ein Portfolio von ausgewählten Kompetenzen fest. Dadurch werden die organisationalen und individuellen Ziele gleich zu Anfang miteinander zweckdienlich verknüpft. In einem nächsten Schritt werden die Kompetenzen der Mentoren und Mentees gemessen und miteinander abgeglichen. Die Bewertungsbasis bilden hierbei die gleichen Kompetenzen sowohl für Mentoren als auch für Mentees. Individuelle Stärken und Schwächen werden so anhand der Kompetenzunterschiede auf beiden Seiten sichtbar gemacht, um dann im Matching und im nachfolgenden Mentoring konkret aufgegriffen zu werden (Deitmer & Ruth, 2007). Gegenüber herkömmlichen Verfahren hat dies den Vorteil, dass die passenden Angebote der Mentoren mit den Bedarfserfordernissen der Mentees gematcht werden. So wird der „Gap“ zwischen der Expertise und dem Erfahrungswissen der Mentoren dem Entwicklungsbedarf der Mentees in einem fest definierten Kompetenzkontext gegenübergestellt (Steinmann & Schreyögg, 2005). Qualifikationsdefizite, blinde Flecken und Wissenslücken seitens der Mentees werden durch den Erfahrungsvorsprung der Mentoren kompensiert (Finkelstein & Poteet, 2010). Auf HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 diese Weise erhält das Mentoring eine konkrete inhaltliche Perspektive und Entwicklungszielstellung. Je nach Ausprägung der Kompetenzprofile werden die Tandems entweder nach einem komplementären oder einem supplementären Prinzip gematcht. Komplementäres Matching – Ergänzung des Kompetenzportfolios Zeigt das Kompetenzprofil des Mentees eine besondere Schwerpunktsetzung in spezifischen Kompetenzen sowie einen starken Entwicklungsbedarf in den übrigen Kompetenzen, dann eignet sich ein Matching nach dem komplementären Prinzip. Dabei wird im Matching dem Mentee nach dem SchlüsselSchloss-Prinzip genau der Mentor zugeteilt, der in den schwach ausgeprägten Kompetenzen des Mentees seine spezifischen Stärken hat. Abhängig vom Entwicklungsbedarf des Mentees kann z. B. bei einem vertikalen Positionswechsel das komplementäre Matching bewirken, dass die noch fehlenden Kompetenzen, die der Aufstieg erfordert, den Fokus im Mentoring bilden. Bei einem horizontalen Positionswechsel hingegen, z. B. im Zuge des Projektmanagements, bringt eine Komplementär-Strategie gewünschte „Enlargement“-Effekte hervor. Somit wird das Kompetenzportfolio des Mentees um die noch fehlenden Kompetenzen ergänzt, der Handlungsradius geschlossen und das Kompetenzprofil abgerundet. 64 Kompetenzbasiertes Matching im Mentoring Supplementäres Matching – Aufbau des Kompetenzportfolios Zeigt hingegen das Kompetenzportfolio des Mentees einen grundlegenden Entwicklungsbedarf, bei dem die Kompetenzen in ihrer Gesamtheit noch nicht stark genug ausgeprägt sind, eignet sich ein Matching nach dem supplementären Prinzip. In diesem Fall besteht ein übergreifender Entwicklungsbedarf und dem Mentee wird ein Mentor zugeteilt, der zwar ein ähnliches Kompetenzprofil zeigt, jedoch mit einer viel höheren Ausprägung. Der Fokus beim supplementären Matching liegt auf der Entwicklung eines insgesamt höheren Performanz-Niveaus und kann sogar bei einer bereits gut angelegten Kompetenzbasis eine zunehmende Professionalisierung durch den gezielten Aufbau der Expertise im Mentoring initiieren. Damit wird gewährleistet, dass sich das Kompetenzprofil des Mentees insgesamt auf ein höheres Niveau entwickelt und der Handlungsradius auf diese Weise erweitert wird. Vorteile des kompetenzbasierten Matchings auch im Mentoring Mit dem kompetenzbasierten Matching werden die Tandems optimal unter Berücksichtigung des spezifischen Angebots-Bedarfsverhältnisses gematcht und erhalten so einen bestmöglichen Einstieg ins Mentoring. Das Kompetenzportfolio bildet dabei sowohl einen gemeinsamen Bezugspunkt als auch eine übergreifende Handlungsrichtlinie mit zielgerichteten Hilfestellungen auf allen Interventionsebenen. Anhand des Komplementär-Prinzips wird eine in die Breite ausgerichtete Entwicklungsstrategie mit dem Ziel der Erweiterung („Enlargement“) des Kompetenzportfolios des Mentees verfolgt. Das Supplementär-Prinzip hingegen hat eine in die Tiefe ausgerichtete Entwicklungsstrategie („Enrichment“) mit dem Ziel des Aufbaus des gesamten Kompetenzportfolios im Mentoring. Bei beiden Matchingprinzipien wird der Handlungsradius geschlossen und die Ausprägung der Kompetenzen abgerundet. So bietet das kompetenzbasierte Matching einen Mehrwert im Mentoring, der die bereits beschriebenen Entwicklungsfunktionen um eine Ziel- und Strukturkomponente sinnvoll erweitert. Zudem gewinnt das Mentoring durch die objektiv messbare Erfassung der Kompetenzentwicklung und die darauf aufbauende Evaluation der Mentoringeffekte an Kontur und Transparenz. Literatur Blake-Beard, Stacy D.; O´Neill, Regina M. & McGowan, Eileen M. (2008): Blind Dates? The Importance of Matching in Succsessful Formal Mentoring Relationships. In: Ragins, Belle R.; Kram Kathy E. (Hg.): Mentoring at Work. Theory, Research and Practice. Los Angeles: Sage Publications. Deitmer, Ludger; Ruth, Klaus (2007): „Cornerstones of Mentoring Processes“ – How to implement, conduct and evaluate mentoring projects. Bremen: Institut Technik und Bildung (ITB), Universität Bremen, 2007 ITB-Forschungsberichte HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 28/2007. Finkelstein, Lisa M.; Poteet, Mark L. (2010): Best Practices in Workplace Formal Mentoring Programs. In: Allen, Tammy D.; Eby, Lillian T.: The Blackwell Handbook of Mentoring. A Multiple Perspectives Approach. Malden, Oxford, West Sussex: Blackwell Publishing. Niemeier, Moritz (2009): Mentoring als Instrument der Personalentwicklung: Die Mentorausbildung im Blickpunkt. Hamburg: Igel Verlag. Ragins, Belle R. (1997): Diversified Mentoring Relationships in Organizations: A Power Perspective. In: The Academy of Management Review Vol. 22 (2), S. 482–521. Ragins, Belle R. (2000): Marginal Mentoring. The Effects of Type of Mentor, Quality of Relationship, and Program Design on Work and Career Attitudes. Academy of Management Journal Vol. 43, S. 1177-1194. Scheelen, Frank M.; Bingby, David G. (2011): Kompetenzbasierte Unternehmensführung. Erfolgreiche Personalentwicklung mit Kompetenzdiagnostiktools. München: Haufe Verlag. Steinmann, Horst; Schreyögg, Georg (2005): Management. Grundlagen der Unternehmensführung. Konzepte Funktionen - Fallstudien. 6. Auflage. Wiesbaden: Gabler Verlag. ■ 65 Interview mit Sabine Nitsche Wie entstand Ihr Interesse für Mentoring? Ich habe mich schon immer mit dem Thema Personalentwicklung beschäftigt und finde vor allem die feedbackbasierten Ansätze besonders interessant. Durch mein Forschungsprojekt für das Institut für angewandte Forschung in Berlin habe ich mich dann intensiv mit dem Thema Mentoring auseinandersetzen können. Im Rahmen des Projektes zu dem Thema CrossCultural-Mentoring haben wir UnternehmerInnen aus dem Raum Berlin mit und ohne Migrationshintergrund zusammen gebracht. Was genau verstehen Sie unter Mentoring? Mentoring ist ein Instrument der Personalentwicklung, welches idealerweise einen Mentor und einen Mentee so zusammenbringt, dass sich der Mentee hinsichtlich bestimmter Fragen und Problemstellungen entwickeln kann und dabei durch den Mentor unterstützt wird. Der Mentor kann / soll sich dabei aber auch entwickeln und die eigenen Kompetenzen erweitern z. B. dadurch, dass er anderen Hilfestellungen und Unterstützung gibt. Mentoring hat für beide Seiten einen positiven Effekt. Was ist der zentrale Nutzen davon? Der zentrale Nutzen beim Mentoring ist, dass an konkreten Fragestellungen des Mentees gearbeitet werden kann und somit seine Kom- petenzen gezielt weiterentwickelt werden können. Dabei geht es darum, das Wissen und die Expertise von dem Mentor an den Mentee weiterzugeben und direkt am Bedarf des Mentees zu arbeiten. Welche Position hat Mentoring derzeit in der Personalentwicklung? Mentoring gibt es schon seit vielen Jahren aber es hat noch nicht so eine große Verbreitung gefunden wie die „normalen“ Weiterbildungsmethoden. Es werden v.a. Mentoringpaare wie „Jung/Alt“ oder „mit Migrationshintergrund / ohne Migrationshintergrund“ gebildet. Gerade in Zeiten des demografischen Wandels ist es wichtig, dass die älteren Mitarbeiter ihr Wissen an die jüngeren Mitarbeiter weitergeben, bevor sie das Unternehmen verlassen. tematischen Ansatz sondern z. B. nur einfache Fragebögen, die von beiden Seiten ausgefüllt werden. Es braucht aber einen systematischen Ansatz v.a. auch für den Entwicklungsbedarf. Dieses Zusammenbringen der Paare ist ausschlaggebend für den Erfolg eines Mentorings, denn wenn sich die beiden Seiten nicht gut ergänzen können, kann das Ziel auch nicht erreicht werden ■ Welche Schwierigkeiten können sich bei der Organisation eines wirksamen Mentoring-Programms ergeben? Es ist sehr aufwändig, ein Mentoring-Programm zu organisieren. Das Matching der Tandems (Mentorenpaare) ist sehr zeitintensiv und zeitaufwändig. Der große administrative Aufwand im Vorfeld ist im Vergleich zu „normalen“ Weiterbildungsangeboten groß, was ein Nachteil ist. Oft werden die Tandempaare willkürlich zusammengebracht, obwohl ein auf Kompetenzen basiertes Matching notwendig für eine erfolgreiche Durchführung ist. Häufig gibt es dafür keinen sys- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 66 Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen Wolfram Kaiser1 1) Bereichsleiter Personal / Prokurist, Hamburger Volksbank SCHLÜSSELWÖRTER: Fachkräftemangel, internes Newplacement, Arbeitgebermarketing KURZFASSUNG: Im Laufe eines Berufslebens ändern sich die Anforderungen an Mitarbeiter. Wer gestern beste Leistung einbringen konnte, kann mit heutigen oder künftigen Tätigkeiten überfordert sein. Das Personalmanagement ist daher gefordert, intelligente und praktikable Lösungen anzubieten, um Mitarbeiter – sofern notwendig – mit ihren Fähigkeiten neu im Unternehmen zu platzieren und so von deren Kenntnissen und Erfahrungen zu profitieren – statt sich von langjährigen, loyalen und meist gut ausgebildeten Mitarbeitern zu lösen. Der Artikel zeigt auf, wie die Hamburger Volksbank mit dieser Herausforderung umgeht, den sich abzeichnenden Fachkräftemangel damit vorbeugend abwehrt, als Zusatzerfolg die Arbeitgeberattraktivität erhöht und den Wertekanon des unternehmerischen Handelns mit Leben füllt. Veränderung als Chance Zwischen den ersten Schritten im Arbeitsleben und dem Eintritt in den Ruhestand liegen nicht selten zwischen 40 und 45 Jahre. Das bedingt, dass sich in Verbindung mit einer relativ langen durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von 10,8 Jahren in Deutschland (Rhein, 2010) die Anforderungen im Berufsleben ständig ändern. Während jüngere sich per se mit Änderungen leichter tun, es ferner eine Reihe von Mitarbeitern gibt, die Wandel als Chance erleben und mit einem permanenten Change-Prozess umgehen können, gibt es eine Gruppe von Mitarbeiter, denen es nicht möglich ist, sich auf neue Herausforderungen einzustellen. Es obliegt der Verantwortung von Führungskräften zur Erreichung der gesteckten Unternehmensziele, die ihnen anvertrauten Mitarbeiter zu fordern und zu fördern. „Für die seit geraumer Zeit auf uns zukommenden Herausforderungen ergibt jedoch das lebenslange Lernen ein vortrefflich geeignetes Instrument, denn es allein mag angesicht einer insgesamt risikoreichen Zukunft die erforderliche Anpassungsfähigkeit und Flexibilität an unerwartete Veränderungen der Umstände sicherzustellen“ (Brödel, 2013). Vorgesetzte haben mithin darauf zu achten, dass sich ihre Mitarbeiter heute und in Zukunft flexibel auf Veränderung einstellen und die ihnen übertragenen Aufgaben anforderungsgerecht erfüllen können. Das Personalmanagement ist gleichzeitig aufgerufen, frühzeitig dafür zu sorgen, dass Instrumente bereitstehen, um sowohl die betrieblichen als auch die individuellen, persönlichen Möglichkeiten in Einklang zu bringen. „Es soll ih- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 nen [den Mitarbeitern] ermöglicht werden, ihre Fähigkeiten und Neigungen durch Lern-, Ausbildungs-, Entwicklungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zur Erreichung der Individual-, Team-, und Unternehmensziele ständig zu verbessern. Darüber hinaus wird die generelle Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter und daraus auch die des Unternehmens aufrecht erhalten und gesichert.“ (Jürgens, 2010). In der täglichen Praxis gelebt wird meist jedoch ein Aussitzen bis zur Schmerzgrenze. Gefolgt von einem daran anschließenden Wunsch an den Personalbereich nach Trennung und / oder Zwangsversetzung (‚wohin auch immer und per sofort‘). Mit überspitzter Feder beschrieben, stellt sich dies wie folgt dar: Die Mitarbeiter erfahren das beschriebene Vorgehen und die darauf folgende Veränderung zumeist als eine mas- 67 Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen sive persönliche und im beruflichen Kontext betrachtet fachliche Beeinträchtigung. Diese geht oftmals mit einem weiteren Leistungsabfall aufgrund von psychischem Druck einher. Im Endstadium: existenzieller Tätigkeitsverlust und damit finanzielle Einschnitte für die Betroffenen. Führungskräfte erleben derartige Situationen meist als unangenehm, können aber aufgrund nicht vorhandener oder nicht gelebter Kompetenz sowie wegen scheinbar mangelnder Alternativen nicht angemessen reagieren. Das Arbeitsumfeld nimmt die Art des Umgangs mit den betroffenen Mitarbeitern und den Führungsstil auf und reflektiert diesen mit dem Fokus darauf, wie es ihnen selbst gehen könnte. Die Außenwirkung ist stets desaströs, offenbart sich in solchen Fällen doch, wie laienhaft Unternehmen mit Veränderungen umgehen und welche interne Kultur – abseits von Hochglanzleitbildern – vorherrscht. Betriebswirtschaftlich gesehen ist eine derartige Praxis ebenfalls ein Verhängnis. Wertvolle Zeit vergeht ungenutzt, eine an anderer Stelle eventuell sinnvoll einzusetzende Ressource ist verloren und gleichzeitig laufen Personalkosten konstant weiter. Gleich welche Handlung oder Nichthandlung – systemisch gesehen, bedeutet dies, dass Beteiligte und Nichtbeteiligte, sowohl innerhalb eines Betriebes als auch außerhalb die gelebte Führungskultur sorgsam beachten und beurteilen. Gleichzeitig ist zur Sicherung des unternehmerischen Erfolges das Halten geeigneter Fachkräften gerade im Zeichen der demografi- schen Veränderung jedoch oberstes Gebot für das Personalmanagement. In ihrer gemeinsamen Studie „The Future of HR in Europe – Key Challenges Through 2015” kommen die Boston Consulting Group und die European Association for Personnel Management in der Länderanalyse für Deutschland zu dem eindeutigen Ergebnis: „Of the five most critical HR topics facing Europe in the Future, German executives are primarily concerned with two: managing demographics und managing talent.” (Caye, Strack, Leicht, Villis 2007). Mitarbeiter, auf die sich ändernde Arbeitswelt vorzubereiten, zu begleiten und dabei den unternehmerischen Wertekanon im Auge halten – dies liegt der strategischen Überlegung und damit der Entwicklung und Anwendung eines internen Newplacement zugrunde. Einführungsschritte für das interne Newplacement Mit der unternehmerischen Neuausrichtung aufgrund einer Fusion im Jahr 2007 und der aus der Gesamtstrategie abgeleiteten Personalstrategie, befasste sich die Hamburger Volksbank u. a. mit den Themen Veränderung der Arbeitswelt, Demografie, Verlängerung der beruflichen Lebenszeit, Generationenmix sowie künftige Anforderungen an Mitarbeiter. Auf Grundlage dieser Gedanken wurde u. a. das Programm eines internen Newplacement unter dem Arbeitstitel „PersonalPool“ entwickelt. Ziel war und ist es, frühzeitig Mitarbeiter zu identifizieren, deren Leistung im aktuellen Tätigkeitsbereich im unteren HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Drittel liegt und deren persönliche Entwicklungspotentiale für die aktuellen und künftigen Aufgaben bereits ausgeschöpft wurden, um sie für neue Aufgaben im Unternehmen zu gewinnen. Die Vorgehensweise umfasste aufeinander aufbauende Teilsegmente. Im ersten Schritt wurde ein auf der bereits seit längerem etablierten Mitarbeiterbeurteilung aufgesetztes Mitarbeiter-Portfolio installiert. Getreu dem Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ sehen Führungskräfte nun die von ihnen beurteilte Einzel- und Teamaufstellung ihrer Mitarbeiter, abgetragen auf den Achsen Leistung und Potential. Der Personalbereich begleitet dabei die Führungskräfte bei der Auswertung des Portfolios und der Findung von Personalentwicklungsmaßnahmen auf Teamund Einzelmitarbeiterebene. Hier setzt nun die Möglichkeit an, Mitarbeiter zu identifizieren, deren Leistungsentwicklung und damit auch die chronologische Betrachtung ihrer Beurteilung nicht so verläuft, wie die Anforderungen ihrer Position es verlangen. In enger Zusammenarbeit von Führungskraft, Betriebsrat und Personalbereich bietet das interne Newplacement die Möglichkeit, diese Mitarbeiter gezielt anzusprechen und sie in die Organisationseinheit PersonalPool einzugliedern. So gelingt es, sie an neue, bislang nicht übernommene bzw. unbekannte Aufgaben und Tätigkeiten heranzuführen und das Interesse an einem Wechsel in eine neue, andere Position zu wecken. Die Option der Eigenbewerbung von Mitarbeitern 68 Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen ist bewusst eingeräumt und gewünscht. Mitarbeitern, die sich der Herausforderung des internen Newplacement stellen, sind alle Optionen – vom Verbleib auf der aktuellen Position, über eine (sofern vorhandene) anderweitige interne Stellenveränderung, die Teilnahme am Programm Newplacement, bis hin zur Möglichkeit der einvernehmlichen Trennung – zu erläutern. Auch und gerade die offene Kommunikation über letztgenanntes zeugt von Transparenz und Klarheit. Dies ist notwendig, denn das Unternehmen will signalisieren, dass einerseits Veränderungen notwendig sind, andererseits die von allen Parteien getragene Möglichkeit besteht, neue Herausforderungen innerhalb des Betriebes anzunehmen. Mit Hilfe des Newplacement-Programmes erhalten alle Teilbereiche des Unternehmens die Möglichkeit, potentielle interne Bewerber über einen längeren Zeitraum kennen zu lernen. Die Begleitung geeigneter Projekte, Mitarbeit im Tagesgeschäft und auch das Prüfen, ob der Mitarbeiter in das bestehende Team integriert werden kann, zählen zu den Vorteilen. Nicht zuletzt die interne Verrechnung der Mitarbeiter über eine gesonderte Kostenstelle zählt zu den Vorteilen des Programms. Nur dadurch, dass alle Beteiligte gemeinsam das Ziel verfolgen, langjährige Fachkräfte durch internes Newplacement im Unternehmen zu halten, ist es möglich, ausreichende Aufgaben, Projekte und zeitliche Ressourcen zu finden. Dies führt wiederum dazu, dass im- mer wieder neue Mitarbeiter für das Programm gewonnen werden können. Für die Mitarbeiter bedeutet die Teilnahme, dass sie alle von ihnen präferierte Bereiche und Tätigkeitsgebiete durch Hospitationen, deren Dauer individuell variieren, intensiv kennen lernen können. Die Einsatzplanung erfolgt unter Zuhilfenahme der Selbsteinschätzung der Mitarbeiter. Sie selbst teilen das Aufbauorganigramm in die Ampelfarben Rot (nicht gewünscht), Gelb (weitere Informationen benötigt) oder Grün (Einsatzwunsch) ein. Es versteht sich, dass bei höherer Bereitschaft viele Bereiche kennen zu lernen und zu übernehmen, die Chancen auf eine neue berufliche Tätigkeit steigen. Im Umkehrschluss hat das Unternehmen die Möglichkeit bei nur geringer Veränderungsbereitschaft einer eventuellen Trennung mehr Gewicht zu verleihen. Um die Chancen auf eine neue Position zu erhöhen, ist vereinbart, dass die Teilnehmer des Newplacement bei internen Stellenausschreibungen unter den Voraussetzungen der vergleichbaren Qualifikation first-choice besitzen. Von besonderer Bedeutung für die Mitarbeiter ist es, dass während der gesamten Dauer der Programmteilnahme die bisherige Vergütung in voller Höhe weiter erhalten bleibt Die betriebswirtschaftliche Sicht: Zahlen und Fakten Das interne Newplacement, gestartet als Projekt und seit der Einführung ein erfolgreiches HR-Programm, bot bislang rund 8 % der Betriebszugehörigen der Hambur- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 ger Volksbank die Möglichkeit, ihre bisherige Position einzutauschen gegen eine berufliche Herausforderung mit dem Ziel, eine neue fachliche Heimat zu finden. Für den weitaus größten Teil – mehr als 85 % – hat sich dies gelohnt. Diese Zahlen verdeutlichen es: 39 Teilnehmer mit einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von 16 Jahren und einem mittleren Alter von 44 Jahren nahmen seit 2007 am Programm teil. Die durchschnittliche Verweildauer betrug 16 Monate. Insgesamt konnten 34 Mitarbeiter anschließend eine neue berufliche Tätigkeit im Unternehmen aufnehmen. Nur fünf Mitarbeiter stellten während des Newplacement fest, dass ein weiterer Verbleib im Haus nicht zielführend erfolgen kann. Die dann einvernehmlich beschlossene Trennung wurde durch ein Outplacement begleitet. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lässt sich das interne Newplacement wie nachstehend darstellen: Während auf der Sollseite die laufenden Personalkosten zu tragen sind, erwirtschaften die Mitarbeiter diese durch ihre aktive Teilnahme am Geschäftsleben zumindest zu einem Teil wieder. Im Falle einer Trennung wären Abfindungssumme, ggf. arbeitsrechtliche Beratung, Kosten für ein externes Outplacement sowie der Aufwand für notwendige externe Rekrutierungen durch den Arbeitgeber zu tragen. Interessanterweise sind aus ehemaligen Leistungsschwachen zwischenzeitlich auch Top-Performer geworden. Es lässt sich nur so erklären, dass diese Mitarbeiter ihre fachliche Heimat gefunden haben und damit zur 69 Internes Newplacement – Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen Fachkraft im ­wahrsten Sinne des Wortes werden konnten. Und so sind es diese zwei Aspekte, die das Programm attraktiv machen: Zum einen rekrutiert das Unternehmen Fachkräfte aus den eigenen Reihen, um die vorhandene Nachfrage zu decken. Zum anderen gibt es langjährigen Mitarbeitern die Chance, sich beruflich nochmals neu zu finden. Es spricht dafür: Die Mitarbeiter sind bereits im Unternehmen tätig. Ihr Einsatz kann daher kurzfristig erfolgen. Die Einarbeitung ist meist schon während einer vorangegangenen Hospitation erfolgt, die Teams erfahren sofortige Unterstützung. Mitarbeiter, die am Newplacement-Programm teilgenommen haben, sind überaus loyal. Sie erlebten die Wertekultur im Unternehmen und sind ein Teil derer. Daher, der dritte wichtige Punkt: Dieses HR-Programm steigert in hohem Maße die Arbeitgeberattraktivität – nach innen und außen. Erfolg der überzeugt, werteorientiert und nachhaltig In den überwiegenden Fällen hat die Hamburger Volksbank gute bis sehr gute Erfahrungen mit dem internen Newplacement gemacht. Nur wenige Themen sind es, die negativ zu Buche schlagen: Seit Beginn und auch heute wird der Arbeitstitel „PersonalPool“ missverstanden mit einem Auffang- und Verwahrbecken. Tatsächlich werden der Eintritt und die ersten Wochen im Programm von den Teilnehmern als „Sprung ins kalte Wasser“ empfunden. Auch scheuen einige Mitarbeiter den vermeintlichen Reputationsverlust, wenn sie ihre bis- herige Position aufgeben. Und nicht zu vergessen, bedarf es immer der Überzeugungskraft gegenüber der Geschäftsführung, um die erforderliche finanzielle Investition jährlich neu zu begründen. Im Ergebnis lässt sich zusammenfassen: Das interne Newplacement ist als HRProgramm eine Win-Win Option für Mitarbeiter und Unternehmen, welche den sich durch den demographischen Wandel abzeichnenden Fachkräftemangel vorbeugend abwehrt, als Zusatzerfolg die interne und externe Arbeitgeberattraktivität signifikant erhöht und vor allem den Wertekanon des unternehmerischen Handelns widerspiegelt. Rhein, T. (2010). Beschäftigungsdynamik im internationalen Vergleich: Ist Europa auf dem Weg zum “Turbo-Arbeitsmarkt“? IAB-Kurzbericht, 19/2010, S. 6. ►Xing-Profil des Autors ■ Literatur: Brödel, R. (2013). Lebenslanges Lernen im demografischen Wandel. In Schwuchow, K.-H. & Gutmann, J. (Hrsg.), Personalentwicklung – Themen, Trends, Best Practices 2014 (S. 363-372). Freiburg: Haufe. Boston Consulting Group (Hrsg.) (2007). The Future of HR in Europe, Key Challenges Through 2015. Zugriff am 13.2.2014. Verfügbar unter: https://www. bcgperspectives.com/content/ articles/people_management_ human_resources_future_of_ hr_in_europe/ Jürgens, I. (2010). Kompetenzen und Motivationen: Warum Sie so wichtig sind. In Scholz, C. & Stein, V. (Hrsg.), Dynamisches Human-Capital- und Kompetenz-Controlling im innovativen Mittelstand (S. 87-121). München und Mering: Rainer Hampp Verlag. HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 70 Interview mit Wolfram Kaiser Wie könnten „geeignete Maßnahmen“ konkret aussehen, um Mitarbeiter im Change-Prozess zu „fordern und zu fördern“ und ggf. auch „aufzufangen“? Aus meiner Sicht stellt sich die frühzeitige und durchgängige Einbeziehung der Mitarbeiter als das entscheidende Kriterium dar. Es ist wichtig, die betroffenen Personen einzubinden und sie ernst zu nehmen. Ihnen nicht nur das Gefühl geben, sondern dieses auch tat- gewählt? Sowohl als auch. Mitarbeiter können sich selbst melden. Aber auch der Betriebsrat, Personalbereich oder die jeweilige Führungskräfte schlagen Mitarbeiter vor. Es ist ganz unterschiedlich, da auch die Entscheidungsgründe vielfältig sind. Veränderungen in der fachlichen Anforderung bis hin zu familiären Gründen können dazu führen, dass es zu einer Änderung kommt. Wir bieten unseren Mitarbeitern an, sächlich im gesamten Prozess tun. Dafür ist natürlich Kommunikation wichtig, auf die Themen der Mitarbeiter einzugehen und deren Ideen, aber auch Ängste zuzulassen. im Unternehmen zu bleiben und sich zielgerichtet neu zu platzieren. Wie wurde das Projekt Internes Newplacement entwickelt? Im Jahr 2007 hatten wir eine Fusion zwischen zwei gleichberechtigten Partnern. Dabei waren natürlich auch eine Vielzahl von Mitarbeitern von Änderungen betroffen. Wir haben diesen Prozess intensiv vorausgedacht und die klare Bekenntnis zur Arbeitsplatzsicherheit gegeben. Allerdings auch offen kommuniziert, dass es neue Aufgaben und Herausforderungen geben kann / wird. Wie viele gute Personalprogramme unterlag das interne Newplacement einem Entwicklungsprozess, der in den letzten Jahren mit den Gegebenheiten gewachsen ist. Melden sich die Mitarbeiter auf freiwilliger Basis zur Teilnahme an dem Programm oder werden diese vom Personalbereich aus- sich der Invest für alle Beteiligte lohnt. ■ Schätzen Sie, dass auch weitere Firmen ein derartiges Programm in Zukunft nutzen werden und sich dieses Vorgehen weiter ausbreiten wird? Ich glaube, dass es eher ein wirtschaftlicher Zwang ist, da die Bewerberzahl kontinuierlich abnimmt und Unternehmen gut beraten sind, loyale Mitarbeiter in ihrem Unternehmen zu halten. Ich glaube, es ist ein Zukunftsmodell. Ich wünsche es den Mitarbeitern, aber auch den Unternehmen. Wann immer, wenn ich das Modell vorgestellt habe, habe ich positive Resonanzen erhalten. Die meisten schreckt aber der finanzielle und organisatorische Aufwand ab, da ein Erfolg zu Beginn nicht eindeutig kalkulierbar ist. Alleine die jährlichen Personalkosten betragen pro Mitarbeiter in unserem Haus ca. 50.000 Euro im Durchschnitt. Dazu ist nicht jedes Unternehmen bereit. Meine Erfahrung zeigt aber, dass HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 71 Kultur der kollektiven Kreativität Gitta Blatt1 1) Head of People, Wooga GmbH KURZFASSUNG: Die These ist, dass eine Kultur der Gemeinschaft den wirtschaftlichen Erfolg auf internationaler Basis forciert. Bei dem hier vorgestellten „Best Practice“ Beispiel aus einer IT Trend Branche geht es um die Entwicklung komplexer virtueller Produkte bei einem Entwickler mobiler Spiele. Wooga versucht, durch eine Kultur der Gemeinschaft und gegenseitigen Unterstützung Komplexität zu verringern, sowie gleichzeitig Kreativität und Innovationen zu fördern. Es geht um die Regeln einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe, um eine Arbeitskultur, in der Beiträge aller gewünscht sind und in der kluge Köpfe nicht wichtiger als gute Ideen sind. Unternehmenskultur als Auswahlkriterium der Kandidaten Um in der schnelllebigen und hart von morgen ist mobiler und sucht die beste Karriere in Zukunft nicht vorrangig nach dem Faktor Bezah- bieten kann. Sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber geht es zunehmend um den „Fit“ von Ar- umkämpften Branche der mobilen Spiele zur internationalen Spitze zählen zu können, benötigt man die besten Talente aus aller Welt. Unter hohem Tempo müssen systematisch neue Ideen erarbeitet werden und sich global als „Hit“ durchsetzen. Wie heute häufig in der Tech Branche handelt es sich um einen Arbeitnehmermarkt. In dieser sich schnell verändernden und noch jungen Branche gibt es nicht sonderlich viele gestandene Experten. Die raren Talente sind überwiegend jung, über alle Kontinente verteilt und haben die Auswahl zwischen diversen attraktiven internationalen Arbeitgebern. Mit einigen international erfolgreichen deutschen Game Start-Ups gehört der Standort Berlin neben London immerhin zu den begehrtesten in Europa. Trotzdem ist es eine große Herausforderung die Besten für das eigene Unternehmen zu begeistern. Denn: Der Anspruch an einen innovativen Arbeitgeber hat sich über die letzten Jahre stark gewandelt. Die Arbeitnehmerwelt lung aus. Studien der Intelligence Group zufolge ziehen 88 % der sogenannten Millennials, also derjenigen in ihren Zwanzigern und frühen Dreißigern, die den Großteil der Wooga Mitarbeiter ausmachen, ein kollaboratives Arbeitsumfeld einem wettbewerbsorientiertem vor. Die Mehrheit der Befragten wären gerne ihr oder sein eigener Chef. Haben sie jedoch einen Vorgesetzten, wünschen sie sich, dass dieser als Mentor oder Coach fungiert (Klaffke & Parment, 2011). Ebenfalls 88 % ist eine Work-Life-Integration wichtig, was das Ineinanderfließen des Lebens- und des Arbeitsbereichs beschreibt und seine wachsende Bedeutung verdeutlicht. Das Manager-/Mitarbeiterverhältnis wird weniger elitär, dafür agiler und für den Mitarbeiter selbstbestimmter. Die Entscheidung für oder gegen ein Unternehmen erfolgt zumeist anhand der angestrebten persönlichen Entwicklung und des Beitrags, den das Unternehmen dazu in Form eines inspirierenden Umfelds und in Form von Hochleistungsteams beitnehmerpersönlichkeit und Unternehmenskultur (Wiggenhorn & Nachtwei, 2014). Beispiel: Jeder Wooga Bewerber beantwortet zwei Fragen, nämlich wie er auf Wooga aufmerksam geworden ist und warum er sich bei Wooga beworben hat. Diejenigen, die dann ein Vertragsangebot angenommen haben, beantworten anschließend eine dritte Frage, nämlich warum sie sich für Wooga entschieden hat. Aus den Antworten haben wir uns eine Analyse an eigenen Stärken und Verbesserungspotentialen in Bezug auf die Wünsche zukünftiger Mitarbeiter erstellt. Zurzeit stammen 55 % des Wooga Teams nicht aus Deutschland, insgesamt sind Mitarbeiter aus über 40 Nationen in Berlin beschäftigt. Nur 10 % der Mitarbeiter stammen aus Berlin. Die Unterstützung und Vernetzung für neue Mitarbeiter beginnt direkt nach Vertragsunterzeichnung, noch vor der Ankunft in Berlin. Das „Relocation Paket“ folgt dabei den Wünschen HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 72 Kultur der kollektiven Kreativität der Mitarbeiter: Wooga stellt eine möblierte Wohnung für die ersten sechs Wochen in Berlin und bietet intensive individuelle Betreuung bei der Wohnungssuche. Es gibt Unterstützung beim Durchdringen eines deutschen Mietvertrags und beim Umzug in das erste eigene Zuhause. Ein Onboarding Team kümmert sich um Formalitäten, Übersetzungen und begleitet die Mitarbeiter zu Ämtern. Wooga unterstützt auch bei der persönlichen Eingewöhnung in das neue Umfeld: Die neuen Mitarbeiter können mit einer Spezialistin für „Personal Employee Assistance“ über kulturelle Unterschiede oder persönliche Veränderungssorgen sprechen und sich Rat für die nächsten Schritte holen. Oft wird für die Gesamtheit dieser Dienstleistungen der nicht ganz treffende Titel „Feelgood Management“ verwendet. Dieser suggeriert vor allem Spaß durch Partys, Bier und Prosecco im Büro und kostenlose Lunches. Uns geht es jedoch um nachhaltig vorbereiteten Erfolg durch Mitarbeiterbindung. Familienfreundlichkeit, Teilzeit-Modelle, einen Nanny-Service, Sprachkurse und Unterstützung der Lebenspartner. Denn dies sind zunehmend wichtige Entscheidungskriterien in der Arbeitgeberwahl (Lohmann, 2012). Kultur als Erfolgsfaktor für internationale Teams Die Kultur der Vielfalt unterstützt den Erfolg der Teams. Diversität sorgt für Reibungen, Spannungen und das Lernen aus Gegensätzen, die zu Überraschungen und damit zu Neuem führen können. So genutzt, ist Kreativität nicht ein momentaner Hype, sondern ein Werkzeug, eine Herangehensweise für die geplante Entwicklung von neuen Trends. Konträre Lebenserfahrungen fließen in die Produktentwicklung ein, sie stellen Routine regelmäßig in Frage und lassen Unkonventionelles zu. Die internationalen Teams brauchen viel Spielraum zum Ausprobieren und viel Feedback für eine erfolgreiche Ausrichtung. „Wenn Menschen aufeinander hören und dann miteinander handeln, sind sie gemeinsam erfolgreich“ Christian Gansch, Dirigent und Produzent. Dezember 2013. In der Wissensgesellschaft von morgen geht es nicht mehr nur um den Austausch von Informationen und Wissen, sondern vor allem um eine vernetzte Intelligenz, durch im Internet ständig vernetztes und sich multiplizierendes Wissen. In den Nischen der globalen Wissensorganisationen vollzieht sich bereits diese Anpassung in ein innovatives Netzwerk. (Gallup, 2013). „Die Digitalisierung führt zu einer zunehmenden Vernetzung der Menschen und der Dinge. Diese Vernetzung wirkt Hierarchien entgegen und führt zu Veränderungen in Prozessen und der Organisation von Unternehmen.“ Don Tapscott, Prof. für Management an der Joseph L. Rotman School of Management, Toronto, Kanada (FAZ, 2014). Beispiel: Das Einstellen von Spielen wird nicht im Management, sondern aus den Teams heraus entschieden. Das Stoppen eines Projektes wird nicht als Misserfolg angesehen, sondern als notwen- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 diger Schritt auf dem Weg zum bestmöglichen Spiel. In “Brownbag Meetings” teilen die Teams offen, positive wie negative Erfahrungen und Ergebnisse, um an diesen auch andere Teams teilhaben zu lassen. An jedes Spiel, erfolgreiche wie eingestellte, erinnert ein Rahmen an der „Wall of Fame”. Im wöchentlichen Rahmen finden innerhalb der Disziplinen sogenannte „Five Minutes of Fame“ Meetings statt, in denen sich im fünf Minuten Takt über aktuelle Fragen ausgetauscht wird. Auf täglicher Basis finden morgens und abends Produkt-Meetings statt, zu denen alle Mitarbeiter in ein eigens gebautes Wooga Auditorium eingeladen sind. Die Woche beginnt mit einem Monday Morning Meeting, das vom CEO Jens Begemann moderiert wird. Es gibt somit offenen Zugang zu nahezu allen Kennzahlen durch das Management, ausgewertet und für kommende Schritte interpretiert, werden diese jedoch eigenverantwortlich durch die Teams (Delloitte, 2013). Kultur als Anker in fluidem Umfeld Neben der optimalen Zusammenarbeit und dem schnellen Austausch geht es um Respekt auf persönlicher Ebene. Onboarding- und Integrationsthemen stehen im Fokus. Persönliche Wertschätzung und das Wissen um die Stärken und Schwächen, aber auch Hobbys und Passionen der anderen Teammitglieder schaffen Vertrauen und bieten eine Orientierungshilfe. Der Trend in Organisationen der Unterhaltungsindustrie entwickelt sich 73 Kultur der kollektiven Kreativität weg von permanenten Teams, hin zu agilen und sich selbstverwaltenden, für begrenzte Zeit zusammenarbeitenden Projektteams. Ein außergewöhnliches Beispiel für ein Unternehmen mit nicht nur flachen, sondern einem Verzicht auf Hierarchien ist die US-amerikanische Spiele- und Softwarefirma Valve. Sie bezeichnen sich selbst als „Flatland“, haben kein Management und keine Berichtsstrukturen; vielmehr ist das Unternehmen das der Mitarbeiter. Diesen obliegt es eigenverantwortlich das Unternehmen hin zu Chancen und weg von Risiken zu steuern (Valve Corporation, 2012). In solchen fluiden Organisationen sind Teams oft nur ein Quartal gemeinsam an einem Projekt tätig. Durch den kurzen Zyklus von Prototype Erfindungen, die noch vor einem weltweiten Launch wieder gestoppt werden können, entstehen bei Mitarbeitern automatisch auch Leerräume zwischen den Projekten, die eigenverantwortlich gefüllt und mit Zielen versehen werden müssen. Beispiel: Wooga nennt diesen Zeitraum „Labtime“ und jeder widmet sich selbst gewählten Aufgaben. Ein ähnliches Vorgehen ist von Google bekannt, wo Mitarbeiter 20 % ihrer Wochenzeit selbstgestaltet verbringen, allerdings wie bei Wooga auch, nach dem definierten Zeitraum Ergebnisse teilen müssen. Solche Phasen fallen leichter, wenn sich die Mitarbeiter umeinander kümmern. Das erfordert ständige Kommunikation und intensiven Austausch. Jeder hat die Freiheit mit allen zu reden. Es ist ein 250-Mann starkes Netzwerk mit möglichst wenig Hierarchie, allerdings nicht komplett anarchisch. Eigene Ideen können gefahrlos eingebracht werden. Auch das Management sitzt im Großraumbüro, es gibt keine verschlossenen Türen (Delloitte, 2013). Das Büro in einem hellen Loft ist so gestaltet, dass Zusammenarbeit unterstützt wird. Im Mittelpunkt steht die stark frequentierte große Küche mit langen Holzbänken und gläsernen Konferenzräumen. Auch wird darauf geachtet, dass auf Sitzsäcken oder in Couchecken auch jenseits des eigenen Arbeitsplatzes produktiv gearbeitet werden kann. Limitierende Faktoren von „Common Sense“ Organisationen, die im Gründungsmoment Werte festlegen, aus denen bereits früh eine erfolgsunterstützende Kultur entsteht, haben einen Vorteil. Ein Wandel einer hierarchischen Organisation in eine mitbestimmte, flache Organisation gelingt nur langsam und unter großem Kraftaufwand. Veränderungen von gelernten und gelebten Verhaltensweisen sind oft nur gegen starke Widerstände durchsetzbar. Einfacher gelingt die Schaffung einer agilen Unternehmenskultur sicher auch in einem gründergeführten Unternehmen, in dem durch das Gründungsmanagement täglich vorgelebte gemeinsame Werte sichtbar werden. Patty McCord, CEO Reed Hastings, sagte in einem Interview gegenüber dem Harvard Business Review, dass eben auch die Branche entscheidend für das Herangehen an innovative Organisationsstrukturen ist. HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 „Many of the ideas in it seem like common sense, but they go against traditional HR practices. Why aren’t companies more innovative when it comes to talent management? As a society, we’ve had hundreds of years to work on managing industrial firms, so a lot of accepted HR practices are centered in that experience. We’re just beginning to learn how to run creative firms, which is quite different. Industrial firms thrive on reducing variation (manufacturing errors); creative firms thrive on increasing variation (innovation).“ Sowohl die junge Branche der Trend- und Entertainment-Industrie als auch das frühe Stadium der Organisationsentwicklung, in dem Wooga sich befindet, begünstigen einen „Common Sense” Ansatz. Die Mechanismen sind weder in größere Aktiengesellschaften mit mehreren tausend Angestellten, noch in reifere Organisationen mit nicht hierfür ausgewählten Mitarbeitern übertragbar. Entsprechend ist die Gestaltung dieses Change Prozesses eine der großen Herausforderungen, der sich der Bereich des Personalmanagements aktuell stellen muss (Weilbacher, 2014). Literatur Delloitte (Hrsg.). The Millenial Survey 2013. Zugriff am 09.05.2014. Verfügbar unter: (http://www2.deloitte.com/global/en/pages/about-deloitte/ articles/2014-millennial-survey-positive-impact.html). Gallup (Hrsg.). Gallup Engagement Index 2013. Zugriff am 09.05.2014. Verfügbar unter: (http://www.gallup.com/strate- 74 Kultur der kollektiven Kreativität gicconsulting/168164/pm-gallup-engagement-index-2013. aspx). Klaffke, M. & Parment, A. (2011). Personalmanagement von Millennials. Wiesbaden: Gabler. Lohmann, D. (2012). Und mittags geh ich heim: Die völlig andere Art, ein Unternehmen zum Erfolg zu führen. Wien: Linde. Tapscott, D. (2014).Im Gespräch: Don Tapscott, Professor für Management an der Universität von Toronto Aus hierarchischen Unternehmen werden Netzwerke. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3, 18. Valve Corporation (Hrsg.). Valve Handbook For New Employees 2012. Zugriff am 09.05.2014. Verfügbar unter: (http://www. valvesoftware.com/company/ Valve_Handbook_LowRes. pdf). Weilbacher, C. (2014). Schrittweise zur Innovation. Human Resources Manager, 4-5, 60. Wiggenhorn, M. & Nachtwei, J. (2014). Bindung durch Entwicklung. Human Resources Manager, 4-5, 74-77. ►Xing-Profil der Autorin ■ HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 75 Interview mit Gitta Blatt Warum wird erfolgreiches Wissensmanagement „ethisch gewonnen“ und nicht organisatorisch? Es geht darum, dass schon bei der Auswahl der Mitarbeiter und damit in der Einstellung der Neuen gemeinsame Einstellungen zu Werten und Umgangsformen abgeglichen werden. Wir haben ja sehr unterschiedliche Kulturen an Bord und trotzdem sehen wir bei allen Mitarbeitern, die wir einstellen, eine Neu- Berufserfahrungen, Studiengänge und Lebenssituationen eingehen. Auch darauf, ob es ein Mitarbeiter ist, der mit Partner bzw. Familie umgezogen ist. All das hat dermaßen viele unterschiedliche Einflussfaktoren, je nachdem aus welchen der 23 Länder unsere Mitarbeiter kommen. Da macht eine Standardisierung gar keinen Sinn und jeder muss individuell eingeführt werden. Deshalb helfen auch keine detaillierten ausgearbeiteten Checklist- friedenheit, bei Wooga zu arbeiten, sehr hoch ist. Um mehr Informationen für Verbesserungen zu bekommen, stellen wir noch die Fragen „Wo ist Verbesserungspotenzial?“ ,„Was sind Highlights bei Wooga?“. Zu den Highlights gehören u. a. Feedback und die Unternehmenskultur. Verbesserungspotenzial wird noch bzgl. innovativeren Karrierewegen gesehen. Also eben keine Kaminkarriere, sondern dass viele Facetten einer Weiterentwicklung gier auf fremde Kulturen. Das ist ein besonderes Merkmal, das wir jenseits der Fachkriterien für nützlich sehen sowie auch dass man voneinander lernt und sich gegenseitig wertschätzt. Ich denke, dass jenseits der Fachexpertise die Person ein gewisses Werteverständnis mitbringen sollte. Diese ethische Komponente wird nicht durch die Organisation, sondern durch die Person mitgebracht, weshalb Wissensmanagement „ethisch gewonnen“ wird. en, sondern es geht wirklich um das persönliche Engagement eines Onboardingteams, das die Fachexpertise und Erfahrung hat z. B. auch bzgl. Einreisemechanismen. Sie sind dann die entsprechenden Ansprechpartner bei der Aufnahme der Arbeitstätigkeit aber auch anderen Themen wie z. B. Wohnungssuche. Jeder Mitarbeiter hat ganz eigene Schwerpunkte, die für ihn eine Schwierigkeit im neuen Land darstellen. und einer fluiden Organisationsstrukturen gegeben sind, die wir bei Wooga zulassen. Das Gesamtfeedback ist, dass alle zufrieden sind. Das bekommen wir auch im Alltag zu hören: Wir hören viel zu und es herrschen wenig standardisierte Prozesse, dafür aber ein hoher Grad an Individualität. ■ Kann es nicht kritisch sein, mit jedem neuen Mitarbeiter dieselbe Onboardingstruktur zu verfolgen? Ja, ich glaube, dass kann kritisch sein. Eine ausgesprochen intensive Onboardingkultur, wie wir sie für wichtig halten, kann gar nicht standardisiert werden. Die einzelnen Situationen sind so individuell, dass standardisierte Maßnahmen nicht helfen können. Man muss den Menschen sehr viel zuhören und auf die Länder, die vorherigen Welche Rückmeldungen bekommen Sie von ihren Mitarbeitern bzgl. des Wohlfühlens am Arbeitsplatz? Wir haben in der letzten Woche gerade eine Mitarbeiterumfrage abgeschlossen und fragen ein Mal im Quartal alle Mitarbeiter, ob sie Wooga als Arbeitgeber empfehlen würden. Das ist eine Rankingfrage, d. h. es können Punkte von 0-10 vergeben werden. Wir haben mit einer 8,5 abgeschlossen, womit wir sehr zufrieden sind. Das zeigt, dass die Empfehlungsbereitschaft und Zu- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 76 Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit – Erfahrungsbericht aus einem mittelständischen Unternehmen Gabriele L.E. Peter1 1) Personalleiterin im Mittelstand und in Aktiengesellschaften SCHLÜSSELWÖRTER: interkulturelle Kompetenz, Anforderungen Personalentwicklung, internationale Personalarbeit, Mittelstand KURZFASSUNG: Die zunehmende Globalisierung erfordert eine häufigere Entsendung von Fachkräften in ferne Länder mit völlig anderen Kulturen (PwC, 2000). Das Selbstverständnis z. B. deutscher Ingenieur-Experten macht es diesen oft schwer, sich auf fremde Kulturen einzustellen. Wie aber kann man Mitarbeiter davon überzeugen, dass das Einstellen auf fremde Kulturen zwar eine unumgängliche Herausforderung, jedoch auch einen persönlichen Gewinn darstellt? Wie vermittelt man an „hard facts“ gewöhnte Experten, dass ihr künftiger Erfolg im Ausland wesentlich auch von ihren „soft skills“ bestimmt wird? Kann dieses Dilemma durch die moderne Personalentwicklung gelöst werden, kann defizitorientierte Personalentwicklung eine Lösung bieten oder sollten andere, kreative Wege beschritten werden? Die Autorin zeigt aufgrund ihrer eigenen langjährigen Erfahrungen im internationalen HR-Bereich, welcher Maßnahmen-Mix aus dem Dilemma helfen kann und wirbt für eine umfassendere Betrachtung der meist rein quantitativen Bewertung der gegebenen Entsendepolitik vieler Unternehmen. 1. Vorfreude & Kulturschock: Gerade in Deutschland, mit seiner Exportorientierung, stehen Firmen zunehmend vor der Situation, ihre Fach- und Führungskräfte ins Ausland entsenden zu müssen (PwC, 2000). Dies stellt bereits innerbetrieblich oft größere Herausforderungen dar. Zum einen, weil internationale Kunden – vor allem im arabischen sowie asiatischen Raum – nur wirklich erfahrene und somit ältere, idealerweise „ergraute“ Fachkräfte akzeptieren und zum anderen, weil gerade diese oft aus familiären Gründen nicht zur uneingeschränkten Mobilität bereit sind. Hat ein Unternehmen nun einen geeigneten Kandidaten identifiziert, so lernt dieser schnell seinen Wert für den Arbeitgeber in den richtigen Fokus zu setzen, so dass sich die Firmen oft mit unrealistischen Anspruchshaltungen seitens ihrer Mitarbeiter konfrontiert sehen. Sind dann diese Diskussionspunkte zwischen Arbeitgeber und zu entsendendem Mitarbeiter geklärt, reist die Fachkraft ins ferne Land, überzeugt davon, dort mit offenen Armen empfangen zu werden – immerhin lässt sich der Arbeitgeber seine Entsendung eine Menge kosten. Umso irritierender ist die häufige Erfahrung der deutschen Experten, wenn Sie vor Ort vom ausländi- HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 schen Kunden bei z. B. Präsentationen bewusst in die „Enge getrieben“ werden. Sie sehen sich dann provozierenden Fragen gegenüber, die an ihrem Selbstverständnis als Experte zehren. Ist dann der entsendete Experte „beleidigt“ und „schmollt“, hat er den Praxistest aus Sicht des Kunden nicht bestanden. Sollte der Experte des Weiteren nicht ausreichend Interesse an gemeinsamen Ritualen (wie Teetrinken etc.) mit den Auftraggebern haben oder zu introvertiert sein, kommt es im Anschluss seitens des Kunden häufig zu „Beschwerden“ beim Arbeitgeber im Heimatland. Dieser ruft gern umgehend die Personalabteilung an und be- 77 Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit auftragt sie, für den entsendeten Experten ein Seminar zur Persönlichkeitsstärkung bzw. zu interkulturellen Kompetenzen zu buchen. 2. Übliche Reisevorbereitungen Experten werden überwiegend ausschließlich aufgrund ihres fachlichen Know-hows ausgesucht und entsendet. Viele Unternehmen entsenden ohne große Vorlaufzeiten (Wimmer, 2002), so dass für das Personalmanagement maximal eine Vorbereitung des Kandidaten im Hinblick auf die künftigen kulturellen Unterschiede möglich ist. Da Unternehmen oft Mühe haben, die richtigen Mitarbeiter zu einer Entsendung zu bewegen, kommt man ihnen in vielen Punkten entgegen. Im schlimmsten Fall veranlasst dies die Mitarbeiter, ihren eigenen Beitrag zu überschätzen („Die sind auf mich angewiesen.“). Viele der beschriebenen Experten sind ausschließlich Fachleute und weit weniger Führungskräfte, die sich ganz ihrer Materie widmen wollen. Daher fällt es ihnen oft schwer, sich u. a. an fremde Kommunikationsmuster zu gewöhnen. Jedoch gerade im arabischen und asiatischen Raum wird erst einmal der Mensch als solcher „gemustert“ und will kennengelernt werden – z. B. beim Tee & Gebäck oder einem Abendessen. Hinzu kommt, dass gerade im arabischen Raum, Auftraggeber wiederum andere Expats (meist aus muslimischen Bruderländern) damit beauftragen, dem von deutschen Unternehmen entsandten Mitarbeiter auf die „Fin- ger zu schauen“. Daher kommt es am Anfang einer Zusammenarbeit oft zu Fragen, die eigentlich bereits beantwortet worden sind und den Entsandten auf eine Geduldsprobe stellen. Hier muss sich der zu Hause hofierte Fachmann nochmals beweisen, indem er souverän sein Know-how beweist und dem Auftraggeber zeigt, dass er sein Geld wert ist. 3. „Impfempfehlungen“ Da in den Unternehmen für Expats ein vielfaches von dem aufgewendet werden muss, was ein inländischer Mitarbeiter kostet (Siemann, 2010), ist die Bereitschaft vieler CEOs, proaktiv weitere Aufwendungen für Vorbereitung und Betreuung zu finanzieren während einer Entsendung oft nicht stark ausgeprägt. Dennoch sollten bei der Personalauswahl (zur Einstellung oder mindestens zur Entsendung) neben der fachlichen Qualifikation auch unbedingt die Kompetenzen geprüft werden, die ein Bestehen im interkulturellen Kontext ermöglichen. Dies ist u. a. mittels entsprechender Assessment Center möglich. Des Weiteren ist die Prüfung der Fremdsprachenkenntnisse dringend angezeigt. Hier hat sich die hartnäckige Auffassung gehalten, dass diese den Fachkenntnissen untergeordnet werden können. Aber wie soll ein Fachmann sein Know-how zeigen, wenn er es nicht auch in einer Fremdsprache kann? In Unternehmen, die in vielen verschiedenen Ländern agieren und deren Mitarbeiter zeitnah von einem ins andere Ausland wechseln müssen, machen vorbereitende HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Seminare zu den kulturellen Unterschieden von Land A im Vergleich zu Land B nur bedingt Sinn. Hier bietet es sich an, die Wahrnehmungen und deren Interpretationen der betreffenden Mitarbeiter gezielt zu entwickeln. Ebenso deren Selbstreflexionsfähigkeit. Dies ermöglicht es einem später im Ausland tätigen Experten, mit ihm bisher unbekannte Verhaltensweisen Einheimischer mit der erforderlichen Achtsamkeit umzugehen und eben nicht nur sein in Deutschland erprobtes Interpretationsmuster anzuwenden. Hier sollte demnach vom Personalmanagement weitreichender gedacht werden. Alle vom Personalmanagement eingeleiteten Maßnahmen sollten geeignet sein, die Handlungskompetenzen des zu Entsendenden zu erhöhen. Hier bieten sich maßgeschneiderte Unternehmensspiele an, welche eine gefahrlose Simulation verschiedenster Situationen ermöglichen. Oder im Rahmen einer „kollegialen Beratung“ wird dem Mitarbeiter die Gelegenheit gegeben, sich zu seinen Auslandserfahrungen auszutauschen und einen wesentlichen Beitrag zum Wissensmanagement zu leisten (Maletzky, 2010). Ungeachtet der unter Umständen weiter anfallenden Kosten, sollte den Expatriates ein Zeitraum gewährt werden, in dem sie eben nicht aus Unternehmenssicht produktiv arbeiten, sondern sich vor Ort vorstellen und mit den handelnden Akteuren und Gegebenheiten bekannt machen. Also bspw. die erste Zeit nur zum Tee trinken verabredet sind. Diese Investition zahlt sich in einer vertrauensvolleren Zu- 78 Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit sammenarbeit aus, das Risiko des Scheiterns sinkt. Nur sollte es aus dem Heimatland sorgsam vorbereitet werden. Je nach Status (z. B. für einen CEO einer Niederlassung oder ausländischen Tochter) kann dem Expatriate auch ein externer Berater für die ersten Wochen zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren sollten bei Entsendungen die Mitarbeiter nicht als „Insel“ betrachtet werden, sondern im selben Maß auch deren soziales Umfeld. Denn, ob eine Entsendung erfolgreich wird, hängt eben nicht nur von der richtigen fachlichen und interkulturellen Kompetenz ab, sondern in besonderem Maße auch vom Wohlbefinden des Mitarbeiters im Ausland. Dazu bietet es sich an, für die Unterbringung der Kinder in deutschen bzw. internationalen Schulen Sorge zu tragen (Siemann, 2010). Jedoch auch ausreisende und normalerweise berufstätige Frauen sollten vom Personalmanagement bei deren beruflicher Neuorientierung unterstützt werden. Vergessen werden dürfen darüber hinaus nicht die älteren Angehörigen der Mitarbeiter – hier verlangt der in Deutschland zu beobachtende demographische Wandel ebenfalls Lösungen, damit ein „Expat“ guten Gewissens im Ausland tätig sein kann (Maletzky, 2010). Um die Kosten für die Unternehmen nicht weiter ansteigen zu lassen, sollten flexiblere Gehaltskomponenten entwickelt und mit den einzelnen Fachleuten verhandelt werden. Auch flexiblere Entsendemodelle (z. B. kürzere Einsatzzeiten, Tan- dems) sollten geprüft werden; so finden sich im Allgemeinen leichter Mitarbeiter, wenn sie nur für einige Monate ins Ausland gehen sollen. Nicht zuletzt die Herausforderung der Reintegration ist dann weitaus leichter zu meistern. 4. Last but not least Kaum etwas im Personalmanagement ist so komplex wie das Thema der Auslandsentsendungen (Siemann, 2010). Mitarbeiter sollten daher bereits bei ihrer Einstellung auch auf deren Eignung für Auslandseinsätze hin sorgfältig ausgesucht werden. Hierfür bieten sich verschiedene diagnostische Instrumente an. Die Auslandseinsätze müssen zwingend gut vorbereitet sein, was über die einfache Vermittlung von Kenntnissen über landestypische Gepflogenheiten hinausgehen sollte. All dies mit dem Ziel, dass man „…mit dem Eigenen und dem Fremden spielerisch umgehen und sein Repertoire der jeweiligen Situation anpassen“ kann (Maletzky, 2011). Hier sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, so können z. B. Round Tables mit ehemals Entsandten helfen, die Scheu vor einem Auslandsengagement zu mindern. Eine gute Vorbereitung der Einsätze erfordert jedoch auch eine zeitnahe und umfassende Einbindung des Personalmanagements. Und auch während des Auslandseinsatzes sollten die Expatriates eng betreut werden, um Misserfolgen und vorzeitiger Beendigung vorzubeugen (Wimmer, 2002). Hierbei sind neben dem Personalmanagement auch Vorgesetzte, HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Kollegen und die Familien der Entsandten mit einzubeziehen (Maletzky, 2010). Die Betreuung der Expats beinhaltet demnach auch die Einbindung von deren Familien – unabhängig davon, ob sie mit ausreisen oder im Heimatland bleiben. Um die spätere Reintegration zu erleichtern, bieten sich regelmäßige Heimatbesuche oder die Teilnahme an Besprechungen in der Zentrale bzw. an üblichen Unternehmensfeiern wie Weihnachtsfeiern an. Zusammenfassend lässt sich somit sagen: Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Reintegration sind Perspektiven, Vereinbarungen hinsichtlich der künftigen Tätigkeitsfelder im Ursprungsland sowie ein Wissensmanagement, dass die Auslandserfahrungen des Mitarbeiters wertschätzt und für das Unternehmen und andere zu entsendende Mitarbeiter nutzbar macht. Darüber hinaus ist die intensive Begleitung des Mitarbeiters und seiner Familie wichtig, um die Folgen des Reintegrationsschocks zu mildern und ein schnelles wieder Einleben zu ermöglichen. Literatur Maletzky, M. (2010). Herausforderung Auslandsentsendung. Human Resources Manager, 05, S. 68-71 Maletzky, M. (2011). Weniger Anpassung ist manchmal mehr: Zugriff am 12.12.2011 http:// www.sueddeutsche.de/karriere/arbeiten-im-ausland-weniger-anpassung-ist-manchmalmehr-1.1017510 79 Herausforderungen in der internationalen HR Arbeit PwC (Hrsg.) (2000). Auslandsentsendungen von Mitarbeitern gewinnen für Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Verfügbar unter: http://www.presseportal.de/pm/8664/115118/ auslandsentsendungen-vonmitarbeitern-gewinnen-fuerunternehmen-immer-mehr-anbedeutung Siemann, C. (2010). Die üppigen Zeiten sind vorbei. Personalwirtschaft, 05, S. 4-8 Wimmer, M. (2002). Arbeit im Ausland Härtetest für die Karriere. Zugriff am 23.08.2002. Verfügbar unter http://www.ingenieur. de/Arbeit-Beruf/Arbeitsmarkt/ Arbeit-im-Ausland-Haertetestfuer-Karriere ►Xing-Profil der Autorin ■ HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 80 Interview mit Gabriele L.E. Peter Haben Sie selbst Erfahrungen im Ausland gemacht, die den Artikel stützen? Obwohl ich als Mitarbeiterin nie entsendet wurde, konnte ich bereits in meiner Studienzeit erste eigene interkulturell geprägte Situationen als Praktikantin in Costa Rica erleben. Dort erlebte ich einen Kulturschock und überlegte mir, wie ich mit dieser Situation fern der Heimat umgehen konnte. Meine „Analyse“ ergab, dass ich zum einen die Situation Mitarbeiters zu machen, standen wir auch den Ehepartnern der betroffenen Mitarbeiter für Fragen zu kulturellen Unterschieden bzw. zur Situation im Entsendeland gern zur Verfügung. nicht ändern und zum anderen die Situation nicht vorzeitig verlassen konnte. Somit blieb nur noch meine innere Haltung zur gegebenen Situation zu verändern. Als ich dies erkannte, habe ich mich sehr schnell in die fremde Umgebung integrieren und das Fremde vorbehaltlos kennen- und schätzen lernen können. Diese Erfahrung war für mich prägend. Maß an Sozialkompetenz mitbringen, open minded, also neugierig und selbstreflektierend sowie kommunikationsstark sein. Wie kann das entsendende Unternehmen das Wohlbefinden und den Arbeitserfolg des entsandten Mitarbeiters im Ausland steigern? Wichtig ist, dass der Mitarbeiter und ggf. seine Familie vor der Entsendung auf das Ausland vorbereitet wird und man kontinuierlich auch während seiner Entsendung den Kontakt zu ihm hält. Wir haben betroffenen Mitarbeitern und ihren Familien „look and see trips“ ermöglicht, so dass sie selbst einschätzen konnten, was auf sie zukommen wird. Da wir gelernt haben, die Rechnung nie ohne die Familie des Nach welchen Kriterien, neben fachlichem Wissen, sollte der Mitarbeiter für eine Versetzung ins Ausland ausgewählt werden? Aus meiner Sicht muss ein zu entsendender Mitarbeiter ein hohes Wie schätzen Sie die Zukunft des Personalbereichs im Bezug auf weitere Entwicklungen der Globalisierung ein? Da für mich der Mensch der wichtigste Produktionsfaktor in jedem Unternehmen ist, unabhängig von der Branche, bin ich davon überzeugt, dass die Rolle des modernen Personalmanagements entsprechend der steigenden Globalisierung bedeutender werden wird. ■ HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 81 Index Index A Absorptionskompetenz 7 Ähnlichkeitseffekt 42, 44 Akzeptanz 28, 36, 55 Anforderungen 6, 10, 12, 38 Anforderungsanalyse 53 Anforderungsprofil 32, 42 Anforderungsverdichtung 17 Arbeitgeberattraktivität 26, 27, 28, 29, 70 Arbeitgebermarketing 67 Arbeitsprobe 34 Arbeitszufriedenheit 27, 59, 60 Assessment Center 36, 37, 41, 52, 78 Aufgabenkomplexität 11 Auswahlgespräche 37 Auswahlprozess 32, 46, 47, 49 Auswahlverfahren 37, 38, 41 B Bauchgefühl 32, 46 beobachtbares Verhalten 48 Beobachterschulung 53 Beobachtungsbogen 49, 51 Betriebliche Gesundheitsförderung 58, 59 Betriebliches Eingliederungsmanagement 59, 60 Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) 58 Beurteilungsfehler 42, 44 Beurteilungskriterien 43 Bewerbermerkmale 43 Bewerterteam 49 Bewertungsraster 48 Branchentrends 7 Burn-Out 59 Business Netzwerke 22 C Chancen 17 HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Change Agent 23 Change Management 20, 57 Change Prozess 67, 71, 74 D Demotivation 55, 57 Development Center 36 Diagnostische Instrumente 52 E EDV-Tools 13 Eignungsbeurteilung 48 Eignungsdiagnostik 33 Einarbeitungsprogramm 29 Einstellungsverfahren 47 Employee-Assistance-Program 58, 60 Employer Branding 22, 26, 31 Enterprise 2.0 21, 23 Entscheidungsautonomie 54 Entwicklungsbedarf 8, 55, 63, 66 Entwicklungspotentiale 68 Entwicklungsprozess 71 Erfahrungswissen 63 Erfolgswahrscheinlichkeit 55 F Fachkompetenz 47, 51 Fachkräfte 27, 32, 37 Fachkräftemangel 67 Faktorieller Survey 42, 46 Feedback 28, 53, 54, 56, 73 Fehlentscheidungen 32 Fehlerquellen 48 Fehlzeiten 59 Fluide Organisation 74 Fluktuation 54 Fluktuationskosten 27 Fördermöglichkeiten 28 Führung 11, 23 Führungskompetenzen 14 Führungskonzepte 11 82 Führungskräfte 11, 13, 16, 17, 27, 28, 32, 36, 38, 48, 53, 60, 68 Führungskräftetrainings 29 Führungsstil 68 Führungsverhalten 26, 28 Fünf-Faktoren-Modell 34 G Generation Y 27, 28 Gesamtbeurteilung 43 Gestaltungsfreiheit 18 Gesundheitsmanagement 58 Gesundheitsmaßnahmen 26 Gesundheitsschutz 59 H Hierarchieebenen 41 Hierarchien 13 HR 2.0 21 kompetenzbasiertes Matching 65 kompetenzbasierte Verfahren 64 Kompetenzen 6, 32, 33, 36, 39, 49, 53, 64, 77 Kompetenzentwicklung 65 Kompetenzkriterien 11, 32 Kompetenzmodell 53 Kompetenzprofil 63, 64 Kompetenzunterschiede 64 Komplexität 11, 16, 23 Konfliktfähigkeit 33 Konsolidierungsphase 54 Kooperationsbarrieren 17 Krankenstand 59 krankheitsbedingten Fehlzeiten 58 Kultur 25, 28, 49, 56, 68, 70, 72, 73, 74 Kulturentwicklung 25 Kulturmanager 23 Kulturwandel 23 Kundenanforderungen 12 L I Indikatoren 33 Informationsflut 17 Informationsmangel 17 Innovative Organisationsstruktur 74 Instrumente 15, 52 Integrationsprozesse 16 Intelligenztest 34 Interkulturelle Kompetenz 77, 78 Internationale Personalarbeit 77 Internes Newplacement 67, 68, 69 Interview 38, 52, 57 Interviewleitfaden 32 Interviewprozess 36 IT-Systeme 13 K Know-how-Träger 22 Know-how-Verlust 27 Kommunikation 13, 16, 19, 23, 26, 28, 29, 55, 58, 60, 71, 74 Kommunikationskonzept 17 Kommunikationskultur 21, 24 Kommunikationsprozess 14, 23 Kommunikationsverhalten 30 kompetenzbasierte Personalentwicklung 63 HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Leadership 2.0 21 Leistungsbeurteilungen 56 Leistungsstruktur 12 Leitungsebenen 11 Leitungspyramide 11 M Management 13, 17 Managementsysteme 13 Matching 63 Maturitätsphase 54 Mentoring 29, 63 Mentoringerfolg 63 Mentoring-Programm 63 Methodenwissen 33 Mitarbeiter 10, 13, 16, 17, 26, 27, 38, 69 Mitarbeiterbedürfnisse 26 Mitarbeiterbeteiligung 16 Mitarbeiterbeurteilung 68 Mitarbeiterbindung 29 Mitarbeiterführung 30, 58 Mitarbeiter-Portfolio 68 Moderator 39 Motivation 18 multimethodale Assessment Center 53 multimethodale Verfahren 52 83 N Nachwuchsförderung 29 Netzwerk 74 Newplacement 67, 68, 69 Nutzenpotenziale 22 O Operationalisierung 7 Opportunitätskosten 27 Organisation 11, 13, 42 organisationale Veränderungskompetenz 7 Organisationsentwicklung 33 Organisationsformen 11 Organisationsgestaltung 11, 13, 15 Organisationsziele 32 P Performance Development System 33 Personalauswahl 37, 42, 47, 78 Personalauswahlkriterien 42 Personalauswahlprozess 32 Personalbeschaffung 21, 32 Personalbeschaffungsanalyse 34 Personalbeschaffungsmethoden 11, 32 Personalbindung 28 Personalentwicklung 21, 22, 58, 63, 66, 77 Personalkapazität 18 Personalmarketing 21, 23, 26, 31 Personalplanung 21 Personalstrategie 21, 68 Personalvorauswahl 42, 44 Persönlichkeitsfragebogen 32, 34 Persönlichkeitsmerkmale 39 Persönlichkeitsstärkung 78 Persönlichkeitstest 11, 32, 34 Potenzialanalyse 33, 34, 52, 55 Potenzialanalyseverfahren 54 Potenzialeinschätzung 52 PPO-Führungskompetenzen 13 PPO-Rahmenbedingungen 13 PPO-Weiterentwicklung 13 Prozessorganisation 11 Prozessunterstützung 13 Qualifikationsniveau 13 Qualität 49, 56 R Rahmenbedingungen 13, 18 Recruiting 22, 33 Referenz-Check 33 Referenzprofil 32 Reflexionskompetenz 7 Regeln 13 Reintegration 79 Ressourcen 6, 10, 36, 58, 68 Risikobewertung 17 Risikomanagement 13 Rollenspiele 38 Routine 7 S Schlüssel-Schloss-Prinzip 64 Schnittstellenprobleme 17 Selbsteinschätzung 34 Selbstreflexion 7 Selbstreflexionsfähigkeit 78 Social Media 21, 22, 25 Soft skills 47, 77 Soziale Netzwerke 22 Soziale Systeme 14 Sozialkompetenz 47, 48, 81 Stellenbesetzungsverfahren 37 Strategie 6, 12, 17 Strategiekonzept 26 Strategieworkshop 27 strategische Personalentwicklung 63 strategische Veränderungskompetenz 7 strukturierter Beobachtungsbogen 49, 51 Supplementäres Matching 65 T Teamarbeit 17 Trainingsbedarf 56 Transparenz 10, 15, 28, 55, 65 U Q Qualifikation 28, 64 HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 Umgestaltung 13 Unternehmen 16 84 Unternehmenskultur 13, 16, 17 Unternehmensumwelt 14 Unternehmensziele 11, 12, 14 Urteilerfehler 42 V Veränderung 6, 11, 16, 18 Veränderungsfähigkeit 8 Veränderungskompetenz 6, 8 Veränderungsprozess 7, 11, 15, 16, 55 Veränderungswiderstand 57 Vergleichsstichprobe 33 Verhalten 17 Verliererproblematik 54, 57 vernetzte Intelligenz 73 Vernetzung 72 Vignettenanalyse 42, 45 Vision 12 Vorauswahlprozess 45 Vorgehensmodell 12 Vorhersage 43 Vorhersagekraft 52 Vorstellungsgespräch 43 W Wahrnehmungsfehler 42, 46 War for Talents 22 Wechselbereitschaft 27 Wertesystem 17, 36 Wertewandel 31 Wettbewerbsfähigkeit 16 Wissensmanagement 78 Wissensorganisation 73 Wissenstransfer 29 Work-Life-Balance 26 Work-Life-Integration 72 Z Zielerreichung 23 HR Consulting Review, Band 4 / 2014, ISSN 2196-0232 85