Planung, Bau und Unterhalt l Nachhaltiges Bauen Öffentliche Bauherren sind gefordert Seit knapp 20 Jahren legt der Bundesrat seine Schwerpunkte für die nachhaltige Entwicklung der Schweiz in einer vierjährlich nachgeführten Strategie vor. Dort nimmt das nachhaltige Bauen eine wichtige Stellung ein. Nun sind auch Gemeinden und Städte gefordert, ihren Beitrag zum nachhaltigen Bauen zu leisten. Von Barbara Sintzel Das Schulhaus Ballwil wurde nach dem Standard Minergie-Eco gebaut. Dieser zeichnet gesunde und ökologisch einwandfreie Gebäude aus. Bilder: Lucas Peters Fotografie S eit 1997 legt der Bundesrat seine politischen Schwerpunkte für die nachhaltige Entwicklung der Schweiz in der «Strategie Nachhaltige Entwicklung» fest. Sie wird seit 2008 regelmässig im Rahmen des vierjährigen Legislaturzyklus aktualisiert. Die neuste Ausgabe gilt für die Jahre 2016 bis 2019 und dokumentiert die mittelbis langfristigen politischen Schwer- 86 l kommunalmagazin.ch punkte des Bundesrats für die nachhaltige Entwicklung. Die Strategie basiert auf der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die am UNO-Sondergipfel vom September 2015 verabschiedet wurde. Die Schweiz hat sich verpflichtet, diese Agenda umzusetzen und die bundesrätliche Strategie zeigt letztlich, welchen Beitrag sie dabei leistet. Hierzu listet sie in neun Handlungsfeldern konkrete Massnahmen auf. Kantone und Gemeinden spielen in der Schweiz mit ihrem im internationalen Vergleich sehr dezentralen politischen System eine überaus wichtige Rolle. Das schlägt sich auch in der Nachhaltigkeitsstrategie deutlich nieder. Dort werden die Entscheidungsträger von Kantonen und Gemeinden dazu auf- Nr. 5 Oktober/November 2016 Nachhaltiges Bauen l Planung, Bau und Unterhalt gerufen, in ihrem Wirkungskreis eigene Initiativen auf der Grundlage der bundesrätlichen Leitlinien zu ergreifen. Auf strategischer Ebene können dies etwa kantonale oder kommunale Nachhaltigkeitsstrategien oder Legislaturprogramme sein, mit denen sich die nachhaltige Entwicklung stärker in der Politik verankern lässt. Im Vollzug können hier beispielsweise geeignete Beurteilungsinstrumente helfen. Dabei sollte die nachhaltige Entwicklung grundsätzlich nicht als Zusatzaufgabe verstanden werden, sondern als Teil der ordentlichen Planungs- und Steuerungsprozesse. Bau als wichtiges Thema Ein grosses Potenzial für Nachhaltigkeit steckt im öffentlichen Bau. Dorthin fliesst rund ein Drittel der gesamten Bauinvestitionen in der Schweiz. Dementsprechend prominent sind Bauthemen in der Nachhaltigkeitsstrategie vertreten. Einen Schwerpunkt hinsichtlich des öffentlichen Bauens bildet dort das Handlungsfeld «Siedlungsentwicklung, Mobilität und Infrastruktur» (siehe Box). Hier wiederum sind die nachhaltige Weiterentwicklung von Siedlungen und Mobilität ein wichtiger Teil. Vieles davon ist für die kantonale Richtplanung und die Bau- und Nutzungsordnungen der Gemeinden relevant. Im selben Handlungsfeld findet man aber auch konkrete Vorgaben, die sich auf die eigentlichen Bauaktivitäten der öffentlichen Hand beziehen. Dazu gehört etwa, dass der Bund fordert, seine Bauten müssten «nach anerkannten Standards der Nachhaltigkeit geplant, erstellt, betrieben und weiterentwickelt» werden. Die Strategie enthält noch weitere Handlungsfelder, die den öffentlichen Bau direkt oder indirekt betreffen. Unter «Energie und Klima» sind Massnahmen zu finden, mit denen die Energieeffizienz von Gebäuden verbessert, der Einsatz von erneuerbaren Energien gesteigert und der Ausstoss an Treibhausgasen reduziert werden sollen. Darüber hinaus gibt es Zielvorgaben zum Umgang mit Auswirkungen und Risiken des Klimawandels und der Naturgefahren. Im Handlungsfeld «Natürliche Ressourcen» geht es darum, die Belastbarkeits- und Nutzungsgrenzen der natürli- Nr. 5 Oktober/November 2016 Vorgaben für den öffentlichen Bau Ein Schwerpunkt bezüglich der Nachhaltigkeit im öffentlichen Bau bildet das Handlungsfeld «Siedlungsentwicklung, Mobilität und Infrastruktur» der bundesrätlichen Nachhaltigkeitsstrategie. Hier ein Auszug: ■■ Die Raumentwicklung ist polyzentrisch und zeichnet sich durch ein starkes Städtenetz aus. Die regionalen Stärken sind genutzt (Ziel 2.1). ■■ Die Zersiedlung ist eingedämmt, und das Siedlungswachstum findet nur innerhalb von vorgesehenen Entwicklungsgebieten und Korridoren statt. Kulturland und Naturräume sind weitgehend vor einer weiteren Überbauung geschützt (Ziel 2.2). ■■ Neuer Wohnraum entsteht über eine qualitativ hochwertige bauliche Innenentwicklung. Es bestehen ausreichend auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ausgerichtete Freiräume (Ziel 2.3). ■■ Bei der Siedlungsentwicklung ist das baukulturelle Erbe weitmöglichst erhalten, bei Sanierungen und Neubauten herrscht eine qualitativ hochstehende Baukultur (Ziel 2.5). ■■ Siedlungen und Infrastrukturen sind angemessen vor Naturgefahren geschützt (Ziel 2.9). Zu den Bauaktivitäten von Städten und Gemeinden: ■■ Hoch- und Tiefbauten werden nach anerkannten Standards der Nachhaltigkeit geplant, erstellt, betrieben und weiterentwickelt. Sie stellen eine über den gesamten Lebenszyklus optimierte Lösung dar (Ziel 2.4). ■■ Für die Bedürfnisse von Sport und Bewegung stehen die erforderlichen Infrastrukturen sowie Bewegungsräume inner- und ausserhalb des Siedlungsgebiets zur Verfügung (Ziel 2.6). Zur Mobilität: ■■ Die Absicherung der Mobilitätsbedürfnisse erfolgt effizient, wirtschaftlich und ökologisch durch ein intermodal vernetztes und optimal ausgelastetes Verkehrssystem (Ziel 2.7). ■■ Die Verkehrsinfrastruktur beschränkt sich auf die zu erfüllende Funktion, sorgt für eine angemessene Erschliessung und garantiert die qualitative und quantitative Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems (Ziel 2.8). chen Ressourcen zu respektieren. Das betrifft ganz direkt die Biodiversität, Landschaft, Boden, Luft, Wasser, Wald sowie erneuerbare und nicht erneuerbare Rohstoffe für die energetische oder stoffliche Nutzung. Generelles Ziel ist es, die von der Schweiz im In- und Ausland verursachte Umweltbelastung auf ein naturverträgliches Mass zu senken. Im Handlungsfeld «Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern» sollen unter anderem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass behinderte Menschen in allen Lebensbereichen sozial, wirtschaftlich und politisch integriert sind. Zudem soll der Anteil an preisgünstigem Wohnraum besonders in stark nachgefragten Gebieten erhalten oder ausgebaut werden. Solche Wohnungen sollen für benachteiligte Gruppen gut zugänglich sein. Ziel des Handlungsfelds «Gesundheit» ist es schliesslich, die Zur Autorin Barbara Sintzel ist seit 2007 Geschäftsführerin des Vereins Eco-Bau und Dozentin für nachhaltiges Bauen. Sie wirkt als Fachspezialistin für nachhaltiges Bauen in Architekturjurys und bei Bauprojekten mit. kommunalmagazin.ch l 87 Planung, Bau und Unterhalt l Nachhaltiges Bauen Schulhaus Ballwil: Helle Räume, eine gute Durchlüftung und eine sorgfältige Materialisierung sorgen für eine Aufenthaltsqualität. Belastung der Menschen durch schädliche Einflüsse auf ein unbedenkliches Niveau zu bringen. Dies gilt es auch im Bauen zu berücksichtigen. Was heisst nachhaltig bauen? Nun ist Nachhaltigkeit im öffentlichen Bau kein komplett neues Thema. Bereits in den 1990er-Jahren haben sich die öffentlichen Bauherren dem ökologischen Bauen angenommen. Von ihnen wurde damals die Koordinationsgruppe ökologisches Bauen (KÖB) gegründet. Aus ihr ging 2004 der Verein Eco-Bau hervor, der seither Werkzeuge und Empfehlungen für das nachhaltige Bauen geschaffen hat. Sie sind in Form des Zusatzes «Eco» in den Standard MinergieEco eingeflossen. Neu sind sie auch Bestandteil des Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS). Was aber bedeutet nachhaltig Bauen aus Sicht von Gemeinden und Städten konkret? Standards wie Minergie-Eco und der SNBS geben hierzu umfassende Antworten. Die Grundlagendokumente und Werkzeuge dazu sind entsprechend umfangreich und teilweise sehr technisch – sie richten sich an ausgewiesene Fachleute auf diesem Gebiet. Wenn sich das nachhaltige Bauen aber auf kommunaler Ebene durchsetzen soll, dann muss es in seinen Grundzügen für alle einfach 88 l kommunalmagazin.ch zu verstehen sein, die sich damit befassen. Vor allem sollte auch verstanden werden, dass nachhaltige Gebäude den Bauherren handfeste Vorteile bringen. Im Folgenden wurde versucht, die wesentlichen Aspekte in fünf Grundsätzen zusammenzufassen: ■■ Flächeneffizienz, Bedarf hinterfragen, Erneuerungsstrategien Es liegt auf der Hand, dass die Reduktion des Flächenverbrauchs von Gebäuden grundsätzlich nachhaltig ist. Wird das früh in der Planung beherzigt, lassen sich erhebliche Einsparungen erzielen. Dann können betriebliche Aspekte wie etwa Belegungsvarianten, Nutzungsüberlagerungen oder Optimierungen bei den betrieblichen Abläufen in Projektvarianten miteinbezogen werden. Eine grosse Herausforderung liegt aber in der Erneuerung der bestehenden Gebäude, des sogenannten Bestandes, hin zu mehr Nachhaltigkeit. ■■ Ökologisches Gebäudekonzept Je günstiger das Verhältnis von Oberfläche zu Geschossfläche – je kompakter also ein Gebäude ist – umso einfacher können ökologische Ziele erreicht werden. Es wird weniger graue Energie aufgewendet, gleichzeitig kann auch die Betriebsenergie reduziert und der Aufwand für den Gebäudeunterhalt optimiert werden. Unter grauer Energie ver- steht man im Wesentlichen die Energie, die zum Herstellen von Baumaterialien und -produkten aufgewendet wird. Sie lässt sich zum Beispiel reduzieren, wenn durch Verkleinern von Untergeschossen respektive Nebenflächen Beton gespart werden kann. Zu einem ökologischen Gebäudekonzept gehört auch, dass Nutzungs- und Bauelemente unterschiedlicher Lebensdauer und Zweckbestimmung so geplant und realisiert werden, dass sie nach Ablauf ihrer Lebenserwartung ohne grössere Eingriffe ersetzt werden können. Man spricht hier von Systemtrennung. Sie verringert den Wartungs- und Sanierungsaufwand über den gesamten Gebäudelebenszyklus. ■■ Materialökologie Aufbauend auf dem Gebäudekonzept müssen die richtigen Materialien gewählt werden. Sie sollen weder die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen noch die Umwelt schädigen. Dies gilt es von der Herstellung, der Verarbeitung und Nutzung bis zum Rückbau zu gewährleisten. Ein wichtiger Massstab für die ökologische Qualität von Materialien ist wiederum die graue Energie. Hinzu kommt der Gehalt an ökologisch und toxikologisch relevanten Bestandteilen, die während der Nutzung zu Gesundheits- und Umweltproblemen führen können. Zudem sollen die Materialien nach ihrer Nutzung rezykliert oder unschädlich entsorgt werden können. ■■ Gesundes Innenraumklima Mehr als 80 Prozent unserer Zeit verbringen wir in Innenräumen. Entsprechend wichtig ist ein gesundes Innenraumklima. Das wird durch die Minimierung der Schadstoffemissionen aus Baumaterialien und durch eine zweckmässige Lüftung erreicht. Zum guten Innenraumklima gehört auch die optimale Versorgung mit Tageslicht. Nicht zu viel und nicht zu wenig soll es sein, dann wirkt es stimulierend auf den Menschen, verbessert sein Wohlbefinden und notabene auch seine Leistungsfähigkeit. Ein angemessener Schallschutz gehört ebenso dazu. Er reduziert die Auswirkungen des Lärms von aussen, zwischen und innerhalb von Nutzungseinheiten. Ausserdem ist es wichtig, begegnungsfreundliche Aufenthaltsräume zu schaffen und Nr. 5 Oktober/November 2016 Nachhaltiges Bauen l Planung, Bau und Unterhalt die Vorgaben des hindernisfreien Bauens zu berücksichtigen. ■■ Hochwertige Umgebungsgestaltung Die Gestaltung der Umgebung ist eine wichtige Voraussetzung für die Lebensqualität der Nutzenden und birgt bedeutendes Potenzial für die Erhaltung einer vielfältigen Flora und Fauna. Flankierend zur Verdichtung kann mit einer hochwertigen Umgebungsplanung ein ökologischer Ausgleich geschaffen werden. Nr. 5 Oktober/November 2016 Ökologische Gesundes Materialisierung Innenraumklima Standards für nachhaltige Bauten SIA 112/1 SNBS SMEO Grafiken: zvg Gebäude Wer als Bauherr diese Grundsätze im Auge behält, hat schon gute Karten, nachhaltig zu Bauen. Wenn es ans Planen und Umsetzen geht, steht den Fachleuten mittlerweile ein ganzes Set von weitgehend kompatiblen Konzepten, Hilfsmitteln und Werkzeugen zur Verfügung. Sie sind teilweise exakt auf die Bedürfnisse der öffentlichen Bauherren zugeschnitten und in der Bauwirtschaft gut etabliert. Für ganz kleine Bauaufgaben oder für die Ausschreibung von einzelnen Bauleistungen können Planungsinstrumente von Eco-Bau wie etwa die EcoBKP-Merkblätter «Ökologisch Bauen» eingesetzt werden. Sie liefern praktische Vorgaben für die unterschiedlichen Gewerke mit ökologisch günstigen und gesundheitlich unbedenklichen Materialien. Die Eco-Produkteliste erleichtert die Suche nach einem geeigneten ökologischen Bauprodukt. Für kleine bis grosse Bauvorhaben eignet sich der Standard Minergie-Eco. Er ist vor allem auf energieeffizientes, gesundes und ökologisches Bauen ausgerichtet und zeichnet gute Gebäude mit einem Label aus. Er kann für Neubauten wie auch Sanierungen für fast alle Nutzungskategorien insbesondere auch für Verwaltungsbauten, Schulen, Kindergärten und Altersheime angewendet werden. Die Empfehlung SIA 112/1, Smeo und SNBS sind Instrumente, die alle Aspekte des nachhaltigen Bauens abdecken. Insbesondere werden auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekte umfassender abgebildet als bei Minergie-Eco. Der SNBS im Besonderen ist direkt aus der bundesrätlichen Nachhaltigkeitsstrategie hervorgegangen und Gebäudekonzept Material Wie umsetzen? Nachhaltiges Standard für energieeffiziente, gesunde und ökologische Bauten Minergie-Eco Ökologische Materialisierung Eco-BKP Merkblätter Eco-devis Eco-Produkte einfacher umfassender Die Kernthemen von Eco-Bau respektive Minergie-Eco decken bereits einen grossen Teil der Anforderungen an nachhaltige Gebäude ab (oben). Heute steht den öffentlichen Bauherren ein Set von Planungswerkzeugen zur Verfügung – von einfach bis zu sehr umfassend. Ende August dieses Jahres in Version 2.0 erschienen. Seither steht für den SNBS auch ein Zertifizierungsverfahren zur Verfügung, mit dem sich Bauherren ihre Leistungen hinsichtlich Nachhaltigkeit bescheinigen lassen können. Zurzeit lässt er sich bei Sanierungen und Neubauten für die Nutzungskategorien Verwaltung- und Wohnnutzung verwenden. Wegen der umfassenden Betrachtungsweise ist der SNBS aufwendiger in der Umsetzung. Deshalb eignet er sich eher für mittlere bis grosse Bauvorhaben. Und schliesslich: Wer wirklich nachhaltig bauen will, braucht die richtigen Fachleute. Viele Planer und Unterneh- men konnten in den letzten Jahren bereits Erfahrungen mit den Anforderungen von Minergie-Eco sammeln. Es lohnt sich bei der Auswahl auf deren einschlägige Qualifikationen zu achten. ■ Weitere Informationen: www.eco-bau.ch, www.snbs.ch, www.are.admin.ch/nachhaltige-entwicklung Serie: «Nachhaltiges Bauen» Dieser Artikel gehört zu einer dreiteiligen Serie. Im zweiten und dritten Teil der Serie geht es unter anderem um die Gründe, weshalb die öffentliche Hand nachhaltig bauen muss. Beide Teile erscheinen in der nächsten Ausgabe. kommunalmagazin.ch l 89