Broschüre Wohnen im Alter - Experimenteller Wohnungsbau

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Wohnen im Alter
Visionen, Realitäten, Erfahrungen
Dokumentation der Tagung
vom 21. Februar 2006
Wohnen im Alter
Visionen, Realitäten, Erfahrungen
im Rahmen der Initiative
„Zukunft des Wohnungsbaus“
Dokumentation der Tagung vom 21. Februar 2006
an der Technischen Universität München
Wohnen im Alter
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Inhalt
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Staatssekretär Georg Schmid
Wohnen im Alter – Leitbilder
unserer Wohnungspolitik
MD Josef Poxleitner
Umdenken fürs Alter
11
Prof. Peter Ebner
Alltagstauglichkeit –
was tut die Wissenschaft?
13
Prof. Dr. Hartmut Häußermann
Altern in der Stadt
21
Toshi Kawai
Nicht nur lächeln, handeln.
41
Sybille Ebe
Vorausschauend planen.
Vom Quartier zum Detail
47
Reinhard Zingler
Wer rastet, der rostet.
55
Prof. Arno Lederer
„Als wären Alte nicht normal...“
65
Dr. Oliver Herwig
Ergebnisse der Tagung
79
Presseecho
82
Publikationen zum Thema
90
Impressum
91
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Wohnen im Alter
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Georg Schmid
Über das überaus starke Echo zu unserer Tagung „Wohnen im Alter - Visionen,
Realitäten, Erfahrungen“ habe ich mich sehr gefreut. Dass dieses Thema auf so
großes Interesse bei den verschiedensten Fachrichtungen stößt, demonstriert die
Bereitschaft, sich dieser wichtigen Aufgabe zu stellen.
Die demografischen Veränderungen werden auch beim Wohnen immer deutlicher
spürbar. Wir müssen rechtzeitig die Weichen stellen und zukunftsfähige Modelle
für ein Wohnen im Alter entwickeln, um dauerhafte soziale Stabilität, aber auch
langfristige wirtschaftliche Tragfähigkeit im Wohnungsbau zu sichern.
Ein Leitbild unserer Wohnungspolitik ist es, älteren Mitbürgern zu ermöglichen, so
lang und so selbstständig wie möglich in der eigenen Wohnung zu leben. Das ist
übrigens der Wunsch der meisten Menschen, wenn sie nach ihren Vorstellungen
vom Wohnen im Alter gefragt werden.
Wir müssen deshalb Rahmenbedingungen schaffen, die es den Menschen ermöglichen, in der vertrauten Umgebung zu verbleiben und damit eine Heimunterbringung zu vermeiden oder so kurz wie möglich zu halten.
Dabei streben wir ein Konzept mit zwei tragenden Säulen an.
Die erste Säule ist eine auf die demografischen Anforderungen abgestimmte Wohnungsbauförderung, die zweite Säule sind entsprechende Pflege- und Betreuungskonzepte. Das ist aber nicht alles.
Wenn wir im baulichen Bereich nur an die Wohnung denken, haben wir zu kurz
gedacht. Hier spannt sich der Bogen vom Städtebau über das Quartier bis hin
zu Details der Wohnungsgestaltung. Sehr gut hat mir der Begriff „Heimat für das
Altern“ von Herrn Prof. Häußermann gefallen, der sich sicherlich nicht nur auf das
Wohnen in der Stadt anwenden lässt. Dabei spielt die generationenübergreifende
Nutzbarkeit des so genannten öffentlichen Raumes, also der Straßen, Plätze und
des Wohnumfelds, für alle Menschen, besonders aber für Senioren und Menschen
mit körperlichen Einschränkungen eine wichtige Rolle. Sie sollte zur Baukultur
jeder Kommune und jeder Stadterneuerung gehören. Unsere Städtebauförde-
Wohnen im Alter Leitbilder unserer
Wohnungspolitik
Georg Schmid
Staatssekretär
im Bayerischen
Staatsministerium
des Inneren
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Wohnen im Alter
rungsprogramme „Soziale Stadt“ und „Stadtumbau West“ leisten dabei gute Beiträge.
Wichtig erscheint mir auch, ab und zu einen Blick über den Tellerrand zu wagen.
Das schärft oft den Blick für die eigene Situation. Besonders interessant sind natürlich die gebauten Beispiele, die eine gelungene Einfügung in ein bestehendes
Quartier zeigen. Dass es hervorragende Beispiele auch in Bayern gibt, zeigt die
Wohnanlage in Hilpoltstein. Dabei wirken wir mit der Sozialen Wohnraumförderung durchaus tatkräftig mit.
Schon jetzt achten wir darauf, dass die im Rahmen unseres Bayerischen Wohnungsbauprogramms geförderten Miet- und Genossenschaftswohnungen überwiegend barrierefrei ausgeführt werden, damit die Grundvoraussetzungen für eine
generationenübergreifende Nutzung erfüllt werden. Auf diese Weise wird von vorne herein baulich Vorsorge für das „Älterwerden“ getroffen. Ihre Bedeutung haben
aber auch besondere Wohnformen, wie etwa das Betreute Wohnen und selbst
organisierte gemeinschaftliche Wohnprojekte. Vielen ist gar nicht bewusst, dass
sich auch diese Wohnformen bereits mit den vorhandenen Förderinstrumenten
verwirklichen lassen, wenn im Übrigen der Rahmen der Sozialen Wohnraumförderung eingehalten wird.
Die Tagung war gleichzeitig offizieller Start für unser neues Modellvorhaben „Wohnen in allen Lebensphasen“. Nach einer öffentlichen Ausschreibung mit anschließendem Auswahlverfahren wirken zwölf Wohnungsunternehmen aus ganz Bayern
an diesem Projekt mit. Ich bin mir sicher, dass im Rahmen dieses Modellvorhabens
qualitätvoller Wohnungsbau mit vorbildlichen Wohnkonzepten entstehen wird.
Dieses Modellprojekt ist nicht ohne Grundlagen entstanden, sondern baut auf der
fundierten Basis des in den 90ern begonnenen Modellvorhabens des „Barrierefreien und Integrierten Wohnens“ auf. Die Ergebnisse der Nachuntersuchung vom
Lehrstuhl Professor Peter Ebner liefern wichtige Grundlagen für künftige Planungen.
Allerdings werden Ergebnisse und Erfahrungen aus den Modellvorhaben heute
8
Wohnen im Alter Leitbilder unserer
Wohnungspolitik
zwar immer mehr von den am Bau Beteiligten anerkannt und aufgegriffen. Doch
scheint der Markt vielerorts auch zum Rückgriff auf scheinbar „Bewährtes“ zu
zwingen. Die Möglichkeiten eines zukunftsorientierten nachhaltigen Wohnungsbaus werden dadurch immer noch zu wenig genutzt. Dazu ist intensive Öffentlichkeitsarbeit nötig.
Wichtig ist natürlich nicht nur die „Hardware“, also die altengerechte Wohnung und
das entsprechende Umfeld, sondern auch die richtige „Software“. Um die Rahmenbedingungen der zweiten Säule für die Zukunft noch besser formulieren zu
können, fördert das Sozialministerium eine Reihe von Modellprojekten, wie etwa
die Etablierung eines Netzes von Wohnberatungsangeboten sowie das interdisziplinäre Projekt „Wohnen im Alter – Konzepte für die Zukunft“, das Anfang diesen
Jahres startete. Neben der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen und Qualitätsstandards steht die Beratung der an Bau und Betreuung Beteiligten sowie
eine Erstellung eines Überblicks über das Gesamtangebot neuer Wohnformen im
Alter.
Damit das alles greift, braucht es natürlich auch hier Akteure in der Wohnungswirtschaft, die mitwirken. Zum Beispiel das von der Joseph-Stiftung in Bamberg
durchgeführte Projekt SOPHIA wurde ebenso wie das Projekt SIMBA „Betreutes
Wohnen zu Hause“ in Bayern vom Sozialministerium als Modellprojekt gefördert.
Die Erfahrungen daraus müssen wir unseren weiteren Überlegungen zugrunde
legen, um zu möglichst effektiven Lösungen zu gelangen.
Wer sich aus Angst vor Neuem nur auf Gängiges, tausendmal Erprobtes zurückzieht, der verpasst die Entwicklung. Das heißt, wir müssen uns über den Tag hinaus Gedanken machen und laufend Vorstellungen für die Zukunft entwickeln.
Die bayerische Staatsregierung, davon bin ich überzeugt, ist mit ihrem wohnungspolitischen Konzept dabei auf dem richtigen Weg. Vieles haben wir bereits angestoßen. Und ich hoffe, dass es uns gelingt, zusammen mit allen am Bau Beteiligten eine noch breitere Basis für einen zukunftsfähigen Wohnungsbau zu schaffen.
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Wohnen im Alter
Denn Wohnen im Alter ist längst schon kein Thema mehr für Spezialisten, sondern
ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, das einen großen Teil der Bevölkerung
schon heute unmittelbar betrifft.
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Josef Poxleitner
Fast 60% der Deutschen möchten im Alter selbständig in einer eigenen Wohnung
leben - das hat eine Umfrage des Verbands der Bayerischen Wohnungsunternehmen ergeben. Allerdings haben nur wenige der Befragten eine realistische Vorstellung, wie sich dieser Wunsch unsetzten lässt - und zwar nicht nur als rüstiger
Rentner, sondern eben auch noch bei zunehmender Gebrechlichkeit und nachlassender geistiger Leistungsfähigkeit. Das sind keine schönen Perspektiven. Aber
wenn wir Lösungen entwickeln wollen, dürfen wir hier nicht die Augen verschließen, sondern müssen uns den Realitäten stellen.
Mit der Tagung „Wohnen im Alter - Visionen, Realitäten, Erfahrungen“ wollten wir
hierzu einen weiterführenden Beitrag leisten und Lösungswege aufzeigen - vielleicht als reale Visionen für zukunftsfähigeren Wohnungsbau, die nicht nur als Utopien sondern als konkrete Erfahrungen aus bereits gebauten Beispielen gewonnen werden können.
Für uns als Baubehörde, aber auch für Architekten, Ingenieure und Bauherren,
steht letztlich die technische Umsetzung in konkrete Architektur im Vordergrund.
Dabei ist uns bewusst, dass im Sinne der These „ambulant vor stationär“ Organisationsformen und Netzwerke unterschiedlicher Betreuungs- und Serviceangebote eine wesentliche unterstützende Rolle spielen müssen.
Deshalb muss Wohnen im Alter im Rahmen einer Gemeinschaftsleistung aller stehen - und so sind auch alle Beteiligte aufgefordert, sich in ihrem Bereich für gemeinsame Lösungswege zu engagieren.
Neben der fachlichen Vertiefung des Themas war es deshalb auch Ziel der Veranstaltung, den Dialog zwischen den unterschiedlichen Protagonisten der Thematik
zu intensivieren. Für die Oberste Baubehörde ist die Tagung „Wohnen im Alter“
keine isolierte Veranstaltung. Im Rahmen des Experimentellen Wohnungsbaus beschäftigen wir uns schon seit über 15 Jahren mit Barrierefreiheit im Wohnungsbau
als Voraussetzung für langfristige Nutzbarkeit von Wohngebäuden. Das Modellvorhaben „Barrierefreies und Integriertes Wohnen“ mit beispielhaften Projekten
Umdenken fürs Alter
MD Josef Poxleitner
Leiter der
Obersten Baubehörde
im Bayerischen
Staatsministerium
des Inneren
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Wohnen im Alter
in ganz Bayern, die Arbeitsblätter zur DIN 18025 und der Landeswettbewerb 2003
„Barrierefreier Wohnungsbau mit hoher Qualität“ sind wichtige Meilensteine hierzu.
Zwei gerade fertig gestellte Forschungsberichte geben darüber hinaus wichtige
Hinweise für die Planung: In den Untersuchungen von Lehrstuhl Prof. Ebner bzw.
von Herrn Prof. Hebensperger-Hüther und Frau Franger-Huhle an der Fachhochschule Coburg werden ausgewählte Modellprojekte hinsichtlich ihrer barrierefreien
Nutzbarkeit und Anpassungsfähigkeit differenziert betrachtet. Die Berichte können
bei der Obersten Baubehörde kostenfrei bezogen werden.
Diese Auswertungen dienen uns als wertvolle Grundlage für ein gerade begonnenes neues Modellvorhaben, mit dem wir uns gezielt Wohnformen widmen möchten, die ebenso altengerecht wie familientauglich sind.
Unter dem Titel „Wohnen in allen Lebensphasen“ möchten wir unterschiedlichste Wohn- und Organisationsformen vom Generationenwohnen mit organisierter
Nachbarschaftshilfe bis zur ambulant betreuten AltenWG in der Praxis erproben.
Ziel ist die Entwicklung von anpassungsfähigen Wohnformen, die attraktive Betätigungs- und Kommunikationsmöglichkeiten für das Alter bieten und gleichzeitig
auch für eine eventuelle Phase der Betreuung geeignet sind.
Im Herbst letzten Jahres wurden 12 Standorte aus ganz Bayern für das Modellvorhaben ausgewählt. Zurzeit werden die Programme vor Ort konkretisiert und
Auswahlverfahren zur Optimierung der Planungen vorbereitet.
Die Tagung „Wohnen im Alter - Visionen, Realitäten, Erfahrungen“ war für uns also
nicht nur Beitrag zur allgemeinen Diskussion um altengerechte Wohnformen, sondern auch Auftakt zu unserem Modellvorhaben „Wohnen in allen Lebensphasen“.
In diesem Sinne hoffe ich, dass die Tagung und diese Dokumentation auch Ihnen
ganz konkrete Anregungen für Ihre Arbeit, Ihre Projekte, aber auch für Ihre persönliche Wohnform geben können.
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Peter Ebner
Damit Menschen aus eigener Kraft ein angemessenes Wohnen sichern können,
fördert die öffentliche Hand das Schaffen von Wohnraum.
In Bayern hat die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Inneren in den 90er Jahren im Rahmen des Experimentellen Wohnungsbaus ein
Modellvorhaben zum ‚Integrierten und Barrierefreien Wohnen‘ initiiert. Ziel dieses
Modellvorhabens ist es, Menschen mit Behinderungen in ein gemeinsames Wohnund Lebensumfeld zu integrieren. Die gebaute Umwelt soll dabei so gestaltet sein,
dass sie für alle Menschen, also auch für solche mit Behinderungen, möglichst
selbstständig und unabhängig nutzbar ist.
Barrierefrei:
Die Grundlage für das staatliche Modellprojekt wurde durch die Planungsnorm
DIN 18025 ‚Barrierefreie Wohnungen‘ geschaffen. In der Novellierung der Norm
wurde im Jahr 1992 der Begriff „behindertengerecht“ durch „barrierefrei“ ersetzt.
Barrierefreies Bauen kommt neben behinderten Menschen wie Rollstuhlfahrern,
Gehbehinderten oder Blinden auch Eltern mit Kleinkindern und alten Menschen
zu Gute. Eine barrierefreie Wohnung schafft die Voraussetzung, unabhängig von
dem jeweiligen Lebensumstand möglichst lange selbständig im gewohnten Umfeld
leben zu können.
Integriert:
In den Arbeitsblättern ‚Bauen und Wohnen für Behinderte‘ Nr.5 der Obersten Baubehörde wird das Konzept des ‚Integrierten Wohnens‘ folgendermaßen beschrieben: „Die Idee des Integrierten Wohnens ist es, das Zusammenleben unterschiedlicher, sich gegenseitig stützender Bewohnergruppen in größeren Wohnanlagen
zu fördern. Die schon lange bekannten Wünsche nach einem Wohnumfeld, das
gleichermaßen Selbstständigkeit ohne Isolation und zwanglose Gemeinschaft
mit Sicherheit und Geborgenheit erlaubt, teilen Alte und Behinderte mit anderen
Bewohnergruppen, wie beispielsweise mit Alleinerziehenden oder Kinderreichen.
Diese Vorstellungen orientieren sich an der Kleinstadt, der Vorortgemeinde oder
Alltagstauglichkeit
– was tut die
Wissenschaft?
Forschungsbericht
Barrierefreies und
Integriertes Wohnen
Peter Ebner
Professor für
Wohnungsbau- und
Wohnungswirtschaft,
TU München
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Wohnen im Alter
dem erweiterten Wohnquartier, an ihrer Vielfalt an unterschiedlichen Bewohnergruppen und Schichten.“ Die innerhalb des Modellvorhabens realisierten Projekte
verfolgen bezüglich der ‚Barrierefreiheit und Integration’ unterschiedliche Umsetzungsstrategien, die im Rahmen dieser Evaluierungsstudie vergleichend untersucht und bewertet werden sollen. Dies geschieht in umfassender Weise unter
bautechnischen, wirtschaftlichen sowie sozialen Gesichtspunkten. Zentrale Fragestellung ist hierbei, inwieweit die Bauten für die Bedürfnisse der Bewohner geeignet sind: Wie werden die Anlagen von den Bewohnern tatsächlich angenommen?
Wie konnten die ursprünglich formulierten sozialen Zielsetzungen in die Praxis
umgesetzt werden und wie haben sich diese bewährt?
Hierbei ist nicht die ursprünglich formulierte Idee das Entscheidende, sondern das
tatsächlich Umgesetzte, die Alltagstauglichkeit der Projekte, das Reagieren aller
Beteiligten auf auftretende Veränderung sowie das alltägliche Leben miteinander.
Neben der Zufriedenheit der Bewohner werden auch die Erfahrungen der Architekten, der Wohnbaugesellschaften und weiteren an der Planung Beteiligten untersucht, die mit der Konzeption sowie mit dem Betrieb und Unterhalt der Gebäude
befasst waren bzw. sind. Mit der Untersuchung sollen sowohl Planungsgrundlagen
für künftige Gebäude als auch praktische Kenntnisse für die Weiterentwicklung der
Richtlinien und Normen zum Barrierefreien Bauen gewonnen werden. Nachdem
es den Pauschaltypus des gebrechlichen bzw. behinderten Menschen nicht gibt,
bestehen für die barrierefreien Wohngebäude, die für differenzierte Nutzergruppen
konzipiert werden, eine Vielzahl von Planungsanforderungen. Insbesondere im
Städtebau und bei Wohnungsbauten mit dem Anspruch an ‚Integriertes Wohnen’
wird der Spagat zwischen erhöhten Anforderungen von Einzelnen und einer weit
gehend stigmafreien barrierefreien Gestaltung für die Allgemeinheit deutlich. Um
möglichst breit gefächerte Erkenntnisse über die Bewohnerakzeptanz sowie die
Alltagstauglichkeit barrierefreier Wohnungsbauten zu erhalten, wurden realisierte Gebäude unterschiedlichster Größenordnung, städtebaulicher Ausprägung,
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Alltagstauglichkeit
– was tut die
Wissenschaft?
Forschungsbericht
Barrierefreies und
Integriertes Wohnen
Wohnform sowie Bewohnerstrukturen ausgewählt. Im Einzelnen wurden hierzu
sechs Wohnbauprojekte aus dem oben genannten Modellvorhaben sowie drei
Preisträger des im Jahr 2003 vergebenen Bayerischen Wohnungsbaupreises ‚Barrierefreier Wohnungsbau mit hoher Qualität’ untersucht, bei deren Auswahl Prof.
Peter Ebner als Jurymitglied beteiligt war. Die Anlagen waren zum Zeitpunkt der
Befragung seit vier bis maximal 16 Jahren bezogen.
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
Neben der Ausbildung von barrierefreiem Wohnraum konnten in den untersuchten
Projekten viele Maßnahmen umgesetzt werden, welche die Versorgungs-, Betreuungs- und sozialen Interaktionsmöglichkeiten innerhalb der Wohnanlagen und im
erweiterten Wohnumfeld verbessert haben.
Gerade mit Blick auf die wachsende Zahl alter Menschen in unserer Gesellschaft
zeigen die untersuchten Projekte auf, wie bauliche und soziale Faktoren dazu beitragen können, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit so lange wie möglich zu
erhalten.1
Die Ausbildung von barrierefreiem Wohnraum sollte als Komfort für alle verstanden
werden. Ein bedeutender Schritt zur Schaffung von mehr barrierefreiem Wohnraum wurde durch die Novellierung der Bayerischen Bauordnung im Jahr 2003
erreicht. Dennoch bleiben die Anforderungen der Bauordnung hinter jenen der
DIN 18025 Teil 2 zurück. Die Ausbildung von barrierefreiem Wohnraum sollte als
Komfort für alle verstanden werden und bei jeder Neuplanung sollte daher die DIN
18025 als Standard zugrunde gelegt werden. In jedem Fall sollte aber eine spätere
Anpassung von Wohnung und Erschließung an die Anforderungen körperlich eingeschränkter Personen mit geringem Aufwand möglich sein.
1 Nach Umfragen (Quelle: empirica
1995) unter 45- bis 65-jährigen lehnen
mehr als 80 % den Umzug in ein Altenheim kategorisch ablehnen, nur 15 %
können sich diesen Umzug im Notfall
vorstellen und nur 4 % akzeptieren das
Heim als eine angemessene Wohnform.
Das durchschnittliche Eintrittsalter in ein
Altenheim liegt derzeit bei 86 Jahren.
Außerdem ist die Heimunterbringung
infolge der leeren Kassen der Kommunen in Zukunft kaum mehr finanzierbar.
Angesichts dieser Entwicklungen werden barrierefreier Wohnraum und integrative Wohnkonzepte immer wichtiger.
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Wohnen im Alter
Baulich- räumliche Aspekte
Gerade, weil Integrationswohnanlagen keine Spezialeinrichtungen für Behinderte oder alte Menschen sind, sondern den Anforderungen aller Bewohner gerecht
werden sollen, hat die Mischung verschiedener Wohnformen und unterschiedlich
großer Wohnungen eine besondere Bedeutung, da sie sich, wie die Untersuchung
zeigt, positiv auf die Wohnqualität auswirkt. Darüber hinaus haben die untersuchten Projekte zu erheblichen Fortschritten in der Erprobung innovativer Maßnahmen bei der Umsetzung der 1992 in Kraft getretenen DIN 18025 für barrierefreien
Wohnraum geführt.
Der Grad der Barrierefreiheit und die Zuschnitte der Wohnungen wurden von den
Bewohnern im allgemeinen sehr positiv bewertet, da sich die Schwellenlosigkeit
und notwendige Bewegungsflächen innerhalb der Wohnungen fast überall umsetzen ließen. Kritisiert wurden von den Bewohnern immer wieder die Alltagstauglichkeit beweglicher Elemente. Schiebetürelemente sowohl in der Fassade, als auch
innerhalb der Wohnung (Raumteiler) sind grundsätzlich denkbar, waren häufig
zu groß und schwergängig ausgebildet und konnten von den körperlich eingeschränkten Bewohnern nicht bedient werden. Schwierigkeiten traten auch in der
Bedienbarkeit und Erreichbarkeit von Fenstern auf. Rollstuhlfahrer waren teilweise
in ihren Wohnungen nicht in der Lage, ihre Fenster selbstständig zu erreichen. Hier
fehlen in der DIN 18025 genauere Angaben zu Fensterausbildung und Griffhöhen
und Anforderungen an Schiebeelemente. Auch auf fehlenden bzw. mangelhaften
Sonnenschutz haben gerade behinderte Personen besonders sensibel reagiert.
Zumindest in der DIN 18025 Teil 1 sollten genaue Anforderungen zum Sonnenschutz aufgenommen werden.
Auf der Ebene der Wohnanlage lassen sich die im Vergleich zur Wohnung komplexeren Funktionszusammenhänge weniger leicht durch DIN-Normen abdecken.
Kritische Bemerkungen der Bewohner zu der Alltagstauglichkeit verschiedener
Bereiche sind daher als Aufforderung an die Planer zu verstehen, sich innerhalb
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Alltagstauglichkeit
– was tut die
Wissenschaft?
Forschungsbericht
Barrierefreies und
Integriertes Wohnen
der offen formulierten Anforderungen der DIN 18025 genauer mit den Bedürfnissen der Bewohner zu befassen. So ist an Tiefgaragen beispielsweise positiv, dass
sie über Aufzüge direkt vom Wohnhaus erreicht werden können. Gleichzeitig stellen sie für Behinderte häufig Angsträume dar und müssen mit besonderer Sorgfalt
geplant werden (z.B. mit Tageslicht). Auch hier spielt die Bedienbarkeit der Türen
eine große Rolle. Die Anforderung der DIN 18025 Teil 1, dass Türen und Tore
krafttätig und manuell zu bedienen sein müssen wird in den untersuchten Anlagen teilweise nicht erfüllt. Schwer zu bedienende Eingangs- und Kellertüren sind
Angstfaktoren. Diesbezügliche Anforderungen der DIN 18025 Teil 1 sollten auch
in den Teil 2 aufgenommen und Planungen mit mehr Nachdruck auf Gebrauchsfähigkeit geprüft werden.
Rollstuhlabstellplätze sind nur dann gut nutzbar, wenn sie nicht mit Fahrrad- und
Kinderwagenabstellflächen kombiniert werden. In den untersuchten Anlagen haben sich offene und gemischte Lösungen nicht als praktikabel erwiesen. Die DIN
18025 sollte in diesem Sinne umformuliert werden. Besonders positiv haben sich
die Bewohner zu Lösungen geäußert, bei denen Rollstuhlabstellbereiche auf Laubengängen den Wohnungen direkt zugeordnet wurden.
Insbesondere die informellen Kommunikationsräume wie die Erschließungsbereiche und Wohnnebennutzungen sollten dahingehend konzipiert werden, dass sie
für alle Bewohner zu nutzen sind, Aufenthaltsqualitäten aufweisen und ein kommunikatives Zusatzangebot bieten. Gerade den wohnungsnahen Freiräumen kommt
dabei, wie sich in dieser Untersuchung zeigte, eine besondere Bedeutung zu. Diese Flächen eignen sich besonders, um den integrativen Ansatz der Wohnanlagen
zu stärken und die Bewohner zur Gestaltung ihres Wohnumfelds zu animieren. Die
Untersuchung zeigt, dass gerade für körperlich eingeschränkte Menschen eine
gute Einbindung der Wohnanlage in das umgebende Quartier von großer Bedeutung für einen selbstständig geführten Alltag und für den Aufbau sozialer Netze
ist.
17
Wohnen im Alter
Soziale Aspekte
Für hilfebedürftige Bewohner müssen kommerzielle und soziale Versorgungseinrichtungen geschaffen werden. Hierbei bieten sich kombinierte Hilfestrukturen aus
professionellen, halbprofessionellen und selbst organisierten Diensten an. Dabei
müssen nicht alle sozialen Angebote innerhalb der Wohnanlage vorgesehen werden; vielmehr ist auf eine enge Vernetzung der Wohnanlage mit dem umgebenden
Quartier zu achten. Übergreifende Ansätze sind auf die Wohnungen und Gebäude
sowie auf das Wohnumfeld und Wohnquartier zu beziehen. Wichtig ist jedoch,
dass der Träger eine vermittelnde Rolle übernimmt und den Bewohnern mit ‚soften’ Hilfeangeboten wie Wohnraumberatung, Einkaufshilfen oder ‚Sozialem Hausmeister’ zur Seite steht.
Trotz der in den Fallbeispielen ausführlich dargestellten unterschiedlichen Projektkomponenten hinsichtlich Größenordnung, städtebaulicher Lage, QuartiersEinbindung, Grad der Barrierefreiheit, sozialer Infrastruktur oder Angebot an Gemeinschaftsflächen zeichnen sich alle untersuchten Projekte durch sehr komplexe
Projektkonstellationen aus. Bei den meisten Projekten wurde in der Konzeption
sehr viel Wert auf eine ausgewogene Konstellation der baulichen und sozialen Aspekte gelegt. Der Realisierung der Wohnanlagen ging in den meisten Fällen eine
auf Kooperation ausgerichtete interdisziplinäre Planung aus Wohnungswirtschaft,
Stadt-, Gebäude- und Sozialplanung - teilweise mit Bewohnerbeteiligung - und
einer Vielzahl der am Projekt Beteiligten Personen voraus. Bei verschiedenen Projekten war jedoch zu beobachten, dass die zunächst angestrebte Koordination der
verschiedenen Interessen in der Betriebsphase oftmals stark nachließ, nicht ohne
negative Auswirkung auf die Projekte. Durch die frühzeitige, schon während der
Planung beginnende intensive Betreuung und Beratung interessierter Bewohner
und das Stimulieren von Partizipationsprozessen können funktionsfähige nachbarschaftliche Netzwerke schon bei Einzug in die Wohnanlage geschaffen werden.
Eine auf die sozialen Belange ausgeweitete Betreuung der Bewohner während
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Alltagstauglichkeit
– was tut die
Wissenschaft?
Forschungsbericht
Barrierefreies und
Integriertes Wohnen
der Nutzungsphase ist dabei von außerordentlicher Wichtigkeit. Bei größeren Anlagen bietet sich die Schaffung von Sonderwohnformen wie betreute Wohngruppen für Behinderte und Alte an, die auch stärker eingeschränkten Personen ein
sicheres Leben in einem ‚normalen’ Umfeld ermöglichen können. Die Einstreuung
kleiner barrierefreier Anlagen in den Bestand mit Verbesserungen des Wohnumfeldes kann den Verbleib im Quartier auch bei Behinderung und im Alter sichern.
Wirtschaftliche Aspekte
Von besonderer Wichtigkeit für Integrationswohnanlagen ist eine große Bandbreite verschiedener sozialer Gruppen, um einer Gettoisierung entgegenzuwirken. Die
Mischung von gefördertem und frei finanziertem Mietwohnungsbau innerhalb einer Wohnanlage stellt dabei ein gutes und ausbaufähiges Konzept dar. Untersuchungen des Instituts für Bauforschung und der Obersten Baubehörde haben gezeigt, dass barrierefreier Wohnraum nach DIN 18025 Teil 2 zu annähernd gleichen
Kosten wie herkömmlicher Wohnungsbau realisierbar ist.2 Aus wirtschaftlicher
Sicht ist eine barrierefreie Planung nach DIN 18025 mit Blick auf eine langfristige
Vermarktbarkeit der Wohnungen dringend zu empfehlen, zumal in der Regel nur
wenige Wohnungen nach der DIN 18025 Teil 1 gebraucht werden. Kommunikationsfördernde Elemente wie z.B. Gemeinschaftsräume schlagen auf der einen
Seite kostenmäßig zu Buche, sind aber auf der anderen Seite häufig von zentraler
Bedeutung für das Gelingen integrativer Ansätze. Die Untersuchung zeigt, dass
sich die Einbettung einer Wohnanlage in das umgebende Wohnquartier positiv auf
Gemeinschaftseinrichtungen auswirken kann, wenn diese nicht nur den Bewohnern zur Verfügung stehen. Des Weiteren wurde deutlich, dass gerade auch durch
kleinere Maßnahmen, wie zum Beispiel Sitznischen auf Laubengängen wenn sie
mit Bedacht geplant werden, informelle Orte der Begegnung geschaffen werden,
die zum gemeinschaftlichen Leben einer Wohnanlage genauso viel beitragen können wie aufwändige Gemeinschaftsräume.
2 siehe auch :
Primärerhebung zum Wohnungsmarkt in
der Landeshauptstadt München, durchgeführt vom Lehrstuhl für Wohnungsbau
und Wohnungswirtschaft, Univ. Prof.
Peter Ebner, TU München. In: Wohnungsmarkt Bayern 2005, Bayerische
Landesbodenkreditanstalt.
19
Wohnen im Alter
Schlusssatz
In den Fallstudien wurde deutlich, dass das Gelingen der Projekte, d.h. die Ausbildung einer positiven Wohn- und Lebensatmosphäre, niemals von räumlichen Faktoren alleine abhängig ist, sondern insbesondere die soziokulturellen Qualitäten
eine große Rolle spielen. Hervorzuheben ist, dass in allen untersuchten Projekten
‚Wohnen‘ als ein umfassender Begriff verstanden wurde, der die bauliche Ausprägung der Wohnung bzw. Wohnanlage und die Infrastruktur des Wohnumfeldes
genauso umfasst, wie die sozialen Handlungsmöglichkeiten und Lebensbedingungen der Bewohner.
Die Untersuchung zeigt, dass die DIN 18025 die Grundlagen bietet, auf denen
es möglich ist, innovative und tragfähige Lösungen im barrierefreien Wohnungsbau zu entwickeln. Gefordert ist dafür aber auch ein besonderes Engagement der
Architekten und Wohnungsgesellschaften, in Planung und Betrieb auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohner einzugehen. Einige der untersuchten Projekte
sind in den letzten Jahren mit Architektur- und Städtebaupreisen ausgezeichnet
worden und vielfach sowohl in der regionalen Presse als auch in überregionalen
Fachmagazinen publiziert worden. Durch diese Öffentlichwirksamkeit weisen die
Wohnanlagen neben ihrer Modellfunktion in der Erprobung innovativer Wohnkonzepte auch Vorbild- und Übertragungscharakter auf, was dem Ziel dienen kann,
dass solche Modellvorhaben, die viel zu der Verbesserung der Lebenssituation
ihrer Bewohner beigetragen haben, in Zukunft zum Normalfall werden können.
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Hartmut Häußermann
Altern in der Stadt
Das Altern und das Alter sind ein hochrangiges soziologisches Forschungsthema
geworden, und zwar aus folgenden Gründen:
a) Es gibt zunehmend mehr Menschen, die wir in der Statistik als „alt“ klassifizieren;
b) der Anteil der „Alten“ an der Bevölkerung wird weiter zunehmen; manche sprechen von einer „ergrauenden“ Gesellschaft, von einer „Vergreisung“ oder von einer
„Überalterung“;
c) die Kategorie „alt“ weckt in der Regel keine guten oder positiven Assoziationen:
- Am stärksten diskutiert wird in der Öffentlichkeit das „Pflegeproblem“, um dessen
„Lösung“ Regierungsparteien, Unternehmerverbände und Gewerkschaften in der
vergangenen Zeit gestritten haben: Wer soll die zunehmende Zahl von „Pflegefällen“ versorgen, und wer soll das bezahlen?
- Aber auch das Problem des „Rentnerbergs“ bedrückt die Sozialpolitiker: Der
Generationenvertrag wird in Frage gestellt, wenn die gerade erwerbstätige Generation eine immer größere Zahl von Renten und Pensionen durch Abzüge vom
Lohneinkommen finanzieren soll; und schließlich bereiten sich Stadtverwaltungen
und Wohnungsbaugesellschaften auf eine „ergraute“ Klientel vor: Wie müssen
Wohnungen ausgestattet oder umgebaut werden, wie muss die Infrastruktur der
Städte verändert werden, wenn zunehmend mehr „alte Menschen“ die Städte bevölkern?
Die an sich erfreuliche Tatsache, dass immer mehr Menschen immer länger leben,
bereitet also keineswegs nur Freude. Ich will im folgenden versuchen, das, was als
„Problem“ verstanden wird, genauer zu beschreiben und danach fragen, was das
für die Städte und für die „Alten“ bedeutet.
Hartmut Häußermann
Professor
für Stadt- und
Regionalsoziologie,
Humboldt-Universität
zu Berlin
21
Wohnen im Alter
Alter wird vorwiegend
als defizitär gesehen
Keine Altersgruppe ist
in sich heterogener als
die Alten
1 Baltes/Baltes 1992, 15, 24
22
Was heißt „Altern“ in unserer Gesellschaft?
Die Ansicht, dass Alter mit nachlassender Leistungsfähigkeit, abnehmender Kom
petenz oder Gebrechlichkeit identisch sei, ist die vorherrschende soziale Definition von „alt“. Dies ist die Sicht der Sozialversicherung oder der Biologie, in deren
Augen Altern gleichzusetzen ist mit Verlust von Kraft und Fähigkeit und mit zunehmendem Kostenrisiko. Alter wird also vorwiegend als defizitär gesehen.
Alter ist für uns ein chronologischer Begriff: Wer über 65 Jahre alt ist, wird als alt
klassifiziert. Mit dem wirklichen Gefühl bzw. mit dem wirklichen gesundheitlichen
Zustand der „alten“ Menschen hat dies aber wenig zu tun. Denn es gibt keinen
einzigen biologischen, psychischen oder sozialen Indikator, „der so hoch mit dem
chronologischen Alter korreliert, dass er als prototypische Markierungsvariable des
Alter(n)s gelten könnte„.1 Die chronologische Kategorie „alt“ bezeichnet also keine
homogene Gruppe.
Im Gegenteil: In der Altersforschung wird heute gerade die große Differenzierung
zwischen den Menschen, die als alt bezeichnet werden, betont. Da es kein genetisches Programm für das Altern gibt, werden die Effekte der Unterschiede in den
Anlage- und Umweltbedingungen mit dem Alter immer stärker. Fast könnte man
sagen: Keine Altersgruppe ist in sich heterogener als die Gruppe der Alten.
Diese Einsicht kontrastiert sehr stark mit der öffentlichen Diskussion über die „Vergreisung“ unserer Gesellschaft, denn in dieser Diskussion werden mit dem Phänomen des steigenden Durchschnittsalters ziemlich stereotype Sichtweisen verbunden, die in ihrer Schlichtheit und Vorurteilsstruktur sogar mit fremdenfeindlichen
oder rassistischen Ideologien verglichen werden können. „Alte“ werden etikettiert
und diskriminiert, weil die auffälligsten mit dem Alter verbundenen Defizite zu einem Stereotyp von „Alt-Sein“ verdichtet werden.
Alter ist eine soziale Kategorie, d.h. jede Gesellschaft definiert „alt“ in einer bestimmten Weise. In manchen vorindustriellen Gesellschaften war und ist das
Merkmal „alt“ an bestimmte Fähigkeiten (z.B. Geschlechtsreife) und Erfahrungen
Altern in der Stadt
(z.B. Familienstatus) gebunden insbesondere natürlich in solchen Gesellschaften,
die über keinen chronologischen Zeitbegriff verfügen und daher das kalendarische
Alter der Menschen gar nicht kennen.
Institutionalisierung
Wir können mit dem Begriff „alt“ deshalb so scheinbar eindeutig umgehen, weil in
unserer Gesellschaft das Alter institutionalisiert ist.2 Alte Menschen sind solche,
die Rente oder Pension beziehen, also aus dem Erwerbsleben ausgeschieden
sind. Die staatliche Rentenversicherung war bei ihrer Einführung im Jahre 1889
noch eine fast reine Invalidenversicherung. Lediglich aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung zahlte man ab dem 70. Lebensjahr an alle Empfangsberechtigten eine Rente, da man mit Recht annahm, dass ein Arbeiter in diesem Alter in
seiner Arbeitsleistung stark beeinträchtigt ist - was angesichts der sehr niedrigen
durchschnittlichen Lebenserwartung hoch wahrscheinlich war. Ein Ruhestand, also
eine Lebensphase, die nicht identisch mit Invalidität ist, bildete sich für die Masse
der Bevölkerung erst nach dem Ersten Weltkrieg heraus. Bis dahin ging man wie
selbstverständlich auch von der lebenslangen Erwerbsarbeit der Alten aus.
War die Rente zunächst fast ausschließlich eine Versicherung für den Invaliditätsfall, so kehrte sich ihre Bedeutung mit der Senkung des Anspruchsalters allmählich
um: Von einer Versicherung für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wurde sie zu einem
Instrument der Arbeitsverhinderung: Die Altersgrenze führte zu einem definitiven
Ausschluss von der Erwerbstätigkeit. In Deutschland sank die Erwerbstätigkeit der
über 65-Jährigen in den späten 20er Jahren fast schlagartig auf unter 30%, sie
wurden aus der Wirtschaft heraus gedrängt. Dies erforderte eine deutliche Anhebung der Renten, die jedoch erst zwischen 1957 und 1972 endgültig erfolgte.3 Seither ist Alter auch nicht mehr identisch mit Armut, wie es zuvor nahezu die Regel
war 4 - heute ist Altersarmut eher die Ausnahme, auch, weil Arme früher sterben.
2 Kohli 1085, 1992
3 Borscheid 1992, 59
4 Bals/Kochs 1991, Hauser/Wagner
1992
23
Wohnen im Alter
Alterung der Gesellschaft
Tatsache ist, dass es im Sinne des institutionalisierten Altersbegriffs immer mehr
Alte gibt und geben wird. Dadurch wird auch die Gesellschaft „älter“. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in der westlichen Welt vor allem im 20. Jahrhundert massiv angestiegen: von etwa 47 um 1900 auf 75 Jahre am Ende dieses
Jahrhunderts (Männer 70,5; Frauen 78,5).5 Ursache dafür ist die Reduktion der
Säuglingssterblichkeit und die medizinische Beherrschung von akuten Krankheiten (besonders Infektionen). Es werden also mehr Menschen alt, weil weniger in
jüngeren Jahren sterben. Die Lebenserwartung derjenigen, die über 45 Jahre alt
geworden sind, ist zwar nicht mehr so stark, aber immerhin auch noch angestiegen. Der Hauptgrund für den Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung ist
jedoch die Tatsache, dass Akuterkrankungen von der Medizin heute gut beherrscht
werden, wodurch die Lebenszeit in welchem Zustand auch immer - verlängert wird.
Dadurch liegt das Sterbealter durchschnittlich immer höher: Die Mortalität wird im
höheren Lebensalter komprimiert.
Sind gewonnene Lebensjahre auch „gute“
Jahre?
Lebensverlängerung = gute Jahre?
Sind nun mehr Lebensjahre auch „gute“ Jahre? Werden dem Leben einfach
Jahre hinzugefügt oder den Jahren auch Leben? Darüber streiten sich die Gelehrten. Während die einen sagen, für immer mehr Menschen eröffneten sich
Von gewonnenen zehn ganz neue Perspektiven jenseits der Erwerbsarbeit in einer Altersphase, in der
zusätzlichen Lebensjah- sie noch mobil und aktiv sein können, schließen andere von den gegenwärtiren werden sieben mit
gen Tendenzen darauf, dass von gewonnenen zehn zusätzlichen Lebensjahren
Krankheiten
sieben mit Krankheiten verbracht werden.6 Anstelle von akuten Krankheiten,
verbracht die früher zum früheren Tod führten, haben sich nämlich immer mehr die chronischen Krankheiten ausgebreitet, die das selbständige Handeln im Alter sehr
einschränken. Kritische Gerontologen stellen daher die Frage, ob sich der gan5 Gerok/Brandstätter 1992, 361
6 Krämer 1992
ze Aufwand, der zur Verlängerung des Lebens betrieben wird, überhaupt lohne.
24
Altern in der Stadt
Kultur des Alterns
Eines der Hauptprobleme dabei ist nicht einmal die physische Konstitution der
Einzelnen, sondern die gesellschaftliche Umwelt für das Altern. Denn es gibt eine
strukturelle Diskrepanz zwischen der Altersstruktur unserer Gesellschaft und den
möglichen sozialen Rollen, die die Gesellschaft zur Verfügung stellt. Die Probleme alter Menschen liegen demnach weniger in ihren subjektiven Fähigkeiten bzw.
Defiziten als vielmehr in den sozialen Rollen, die sie mit zunehmendem Alter wahrnehmen oder eben nicht wahrnehmen können. Alter heute kann als „Rolle der
Rollenlosigkeit.7 beschrieben werden. Dies gilt für den Arbeitsmarkt und für das
Familienleben.
Es gibt also immer mehr Menschen, die wir nach unseren institutionalisierten Kriterien als alt bezeichnen. Dies ist geschichtlich ein sehr junges Phänomen, und
deshalb wird es gesellschaftlich auch noch weitgehend ignoriert. In unserer Gesellschaft werden im Gegenteil Jugendlichkeit, Aktivität, individuelle Selbständigkeit, rasche Anpassungsfähigkeit immer stärker betont. Man könnte sagen: Während die quantitative Bedeutung älterer Menschen zunimmt, bleibt die Kultur der
Gesellschaft jugendlich.
Das Problem besteht also darin, auf gelungene Weise zu altern in einer Gesellschaft, „die sich verzweifelt auf jugendlich schminkt„8 - was kein besonders neues
Phänomen ist: In der mitteleuropäischen Geschichte hatten es die Alten noch nie
leicht. Wo die Existenz durch harte körperliche Arbeit oder gar durch Raubzüge gesichert werden musste, rückten Menschen mit nachlassender Körperkraft zwangsläufig ins Abseits. Noch in der frühen Neuzeit erschienen die Alten als Bürde und
Jammergestalten, erst im 18. Jahrhundert wurden die Alten im Zusammenhang
mit der Propagierung familiärer Idyllen auf einen Thron der Verehrung gesetzt, der
allerdings keineswegs der gesellschaftlichen Realität entsprach. 2/3
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es keine Altersgrenze für die Erwerbsarbeit, alte Menschen waren daher, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten, eher
„Rolle der
Rollenlosigkeit“
Die Gesellschaft
„schminkt
sich verzweifelt auf
jugendlich“
7 Rileg/Rileg 1992, 442f.
8 Block, zit. Kruse 1992, 334
2 Kohli, 1985, 1992
3 Borscheid, 1992, 59
25
Wohnen im Alter
„Früher war alles
besser“
Es gibt vorindustrielle
Stammesgesellschaften, in denen der
Senizid zur Kultur
gehört
9 Elwert 1992
2 Kohli, 1985, 1992
26
nutzlos und belastend als verehrungswürdig.
Die Alten, die Einfluss und Autorität und gesellschaftliche Achtung behalten wollten, mussten sich schon immer auf Besitz stützen. Dies war und ist in der Landwirtschaft wie im Besitzbürgertum selbstverständlich und war und ist keineswegs
konfliktfrei.
Viele vorindustrielle Gesellschaften waren und sind altersstrukturiert, d. h., dass
die Gruppe der Alten besonders wichtige Funktionen zugewiesen bekam (z.B. Entscheidungen über das soziale Zusammenleben, die kulturelle Überlieferung, die
Sinnstiftung). Besondere soziale Fähigkeiten wurden also mit dem biologischen
Alter in Zusammenhang gebracht, und dies führte zu großem Einfluss. Aber es
gibt auch andere vorindustrielle Stammesgesellschaften, in denen der Senizid zur
Kultur gehört, in denen also alte Menschen, die invalide oder hinfällig geworden
sind, in rituellen Prozeduren umgebracht werden.9
Wir können also den Blick nicht in eine „gute, alte Zeit“ oder in eine „gute“ andere
Kultur werfen, um etwas Kopierbares zu finden. Jede Kultur produziert ihre eigenen sozialen Rollen, das Problem, das sich mit der „Rolle der Rollenlosigkeit“ stellt,
ist nur innerhalb unserer Kultur zu lösen.
Theorien über das Alter
Das Problem einer Kultur des Alterns in der Arbeitsgesellschaft ist: Alter ist gleichbedeutend mit dem Verlust von Erwerbsrollen, und die Erwerbsrolle ist der zentrale
Kern von individueller und gesellschaftlicher Identität. Die neu entstehende Altersrolle muss in einem neuen Selbstkonzept stabilisiert werden - eine Leistung, die
nicht allein von Individuen erbracht werden kann.
Die sozialwissenschaftlichen Theorien zum Altern2 bilden diesen Zustand lediglich
ab: Nach der funktionalistischen Theorie stellt das Disengagement eine Vorbereitung auf den Tod dar, hat insofern eine zwar traurige, aber doch funktionale
Bestimmung. Nach der Modernisierungstheorie ist der Status der Älteren um so
Altern in der Stadt
niedriger, je weiter die gesellschaftliche Modernisierung fortgeschritten ist: Die
Übermittlung der Kultur wird durch Medien und das Bildungssystem besorgt; diese
traditionelle Rolle geht also mit der Modernisierung verloren. Ob moderne Gesellschaften mit dem von ihnen selbst geschaffenen Zustand der Rollenlosigkeit für
alte Menschen fertig werden, ist dabei offen. In der Zwischenzeit ist es eben ein
individuelles Problem der Alten.
Die politische Ökonomie des Alterns meint, durch die Konstruktion des Alters durch
den Staat sei das Alter überwiegend als Zustand der Abhängigkeit zu betrachten.
Dass das Alter einen Zustand größerer Abhängigkeit bedeute, ist allerdings nur
hinsichtlich der finanziellen Situation, aber nicht hinsichtlich der sozialen besonders plausibel.
Denn sowohl quantitativ (d.h. Länge) wie qualitativ (d.h. hinsichtlich der Optionen)
hat sich die Lebensphase, die wir als Alter bezeichnen, sehr stark gewandelt. Die
Kultur unserer Gesellschaft und auch die ihr zugehörigen Theorien hinken insofern
der Realität hinterher.
Strukturwandel des Alterns
Wir haben eingangs gesehen, dass „alt“ und „gebrechlich“ nicht (mehr) identisch
sind. Dies war früher viel eher der Fall. Vor dem Aufbau der Sozialversicherung,
des Gesundheitssystems und des Wohlfahrtsstaates war Alter sehr oft gleichbedeutend mit Armut und Krankheit. Mit der Institutionalisierung des Lebenslaufs
wird das Alter zu einer Lebensform. Die Sterblichkeit konzentriert sich - wie gezeigt
- auf das höhere Lebensalter. „Noch im 19. Jahrhundert war das Sterberisiko für
alle Altersgruppen relativ hoch. Heute ist die Streubreite des Sterbealters relativ
gering; ... der weitaus größte Teil der Bevölkerung erreicht heute das Rentenalter,
und jene, die es erreichen, gehen in der Regel auch in den Ruhestand. In den
Jahren 1881 bis 1890 erreichten in Deutschland erst 19,7% der Männer das damalige Rentenalter von 70 Jahren; 1983 dagegen erreichten 73,1% das für die
27
Wohnen im Alter
Arbeiter seit 1916 gültigen Rentenalter von 65 Jahren. Gleichzeitig sank die Erwerbstätigkeit im Alter von 65 und mehr Jahren im Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik von 58% im Jahre 1895 auf 2,1% im Jahr 1985 ab„.10 Heute erreichen
allerdings nur 25% der lohnabhängig Beschäftigten als Erwerbstätige die gesetzliche Altersgrenze, d.h. der „Ruhestand“ setzt in der Regel viel früher ein. Durch
Erwerbsunfähigkeit, Invalidität und Frühverrentung wurde die Phase im Leben, in
der die Menschen erwerbstätig sind, immer weiter verkürzt, die Altersgrenze faktisch immer weiter nach vorne gezogen.
Neue Strukturen
Das Alter macht einen Strukturwandel durch, der unter fünf Aspekten beschrieben
werden kann: Verjüngung, Entberuflichung, Feminisierung, Singularisierung und
Hochaltrigkeit.2 Ruhestand und Alter sind nicht mehr deckungsgleich. Daher wird
immer häufiger zwischen „jungen“ und „alten“ Alten unterschieden. Die Verlängerung des Ruhestandes und zunehmend bessere Ressourcen, mit denen er begonnen wird (Gesundheit, Einkommen, Bildung) verändert ihn: Er entwickelt sich
immer mehr von einer bloßen Restzeit, die es irgendwie zu durchleben gilt, zu
einer eigenständigen Lebensphase, die sich nach neuen Kategorien ordnet und
nach neuen Handlungsprojekten ruft. 2
10 Dinkel 1992, 59
2 Kohli 1985, 1992
28
Was sind die Bedingungen für ein„ gelungenes“ Alter?
Zwischen beiden besteht ein Zusammenhang, der bei den Versuchen, die jeweiligen Bedingungen zu verbessern, leicht übersehen wird. Gehen wir zunächst auf
die subjektive Bedingung einer körperlichen und geistigen Robustheit ein. Umstritten ist, wie erwähnt, ob die medizinisch gesicherte Lebensverlängerung über
haupt gesund erlebt werden kann, denn Mortalität und Morbidität werden nicht gleichermaßen komprimiert. Wir haben gesehen, dass sich die so genannte „Alterung
der Gesellschaft“ aus einer „Kompression der Mortalität im höheren Lebensalter“
Altern in der Stadt
ergibt - man stirbt durchschnittlich später. Dieser Kompression der Mortalität entspricht aber keine „Kompression der Morbidität“, d.h. man bleibt leider nicht gesund
bis zum unvermeidlichen Tod. Lebensverlängerung bedeutet eben in vielen Fällen
kein gesundes Altern. Gegenwärtig trifft es lediglich für höhere Sozialschichten zu,
dass die Morbidität auf eine kurze Phase im hohen Alter komprimiert werden kann.
Untere soziale Schichten zeigen dagegen eher das Muster einer zunehmenden
Altersmorbidität, „das Resultat einer lebenslangen Situation sozialer Ungleichheit,
die im Alter ihren letzten Höhepunkt erlebt“.1 Verlängerung des Lebens bedeutet
also oft genug lediglich Verlängerung von Krankheit und Unfähigkeit. „Wir überleben, bleiben aber nicht gesund“.6 Mit steigenden Gesundheitsausgaben, werden
wir zwar immer älter, aber im Durchschnitt möglicherweise sogar immer kränker.
Was aber ist „erfolgreiches Altern“? Die Gerontologen sehen es dann als gegeben, „wenn im Durchschnitt, bei gleichzeitiger Minimalisierung von körperlicher,
mentaler und sozialer Gebrechlichkeit bzw. deren psychischer Bewältigung, immer
länger gelebt wird. Mehrjahre und mehr Lebensqualität sind die übergreifenden
Suchkriterien“ 1. Wir können dies ohne weiteres als „möglichst lange dauernde
Selbständigkeit„ operationalisieren.11
Subjektive Bedingungen für ein gelungenes Altern
Ein wesentlicher Teil der Grundlagen für gutes Altern, so sagen uns Mediziner, Epidemiologen, Psychiater und Psychologen, wird in jüngeren Lebensperioden gelegt. Ob die späteren Jahre gesund und selbständig erlebt werden können, hängt
sowohl von den Umweltbedingungen als auch von der Lebensführung im jüngeren
und mittleren Alter ab. Faktoren der Umweltqualität kann der oder die Einzelne
wenig beeinflussen: in den Städten vor allem Lärm und Abgase, die mit der Wohnlage und der Funktion von Stadtquartieren stark variieren. Und es ist natürlich vor
allem eine Frage des Geldes, ob man eine ruhig gelegene, wenig von Immissionen
belastete Wohnung hat oder nicht. Für viele ist dies ja schon in mittleren Lebens-
Heute ist Altersarmut
eher die Ausnahme,
auch, weil Arme früher
sterben
1 Baltes/Baltes 1992, 15
6 Krämer 1992
11 Hummel 1991
29
Wohnen im Alter
Jung und dynamisch,
ein Bild von der
„richtigen
Lebensführung“,
das einzig und allein
dazu dient, uns aufs
Alter vorzubereiten
Pflicht zur Fitness?
30
jahren der Grund, die Städte zu verlassen und sich in einer weniger dicht besiedelten Landschaft niederzulassen. Tragischerweise verschlechtern diese Stadtflüchtlinge für diejenigen, die in der Stadt geblieben sind oder bleiben mussten, die Umweltqualität noch mehr, wenn sie mit ihren Autos täglich zur Arbeit oder zur Nutzung
der städtischen Einrichtungen zurückkommen. Kampagnen von Krankenkassen,
Ärzteverbänden oder Sozialversicherungsträgern zugunsten einer besseren städtischen Umwelt sind mir noch nicht bekannt geworden. Besonders engagiert zeigen sich dagegen Mediziner und Gesundheitspolitiker in letzter Zeit auf dem Feld
der subjektiven Voraussetzungen, also in der Prävention. Die Logik ist einfach:
wenn es stimmt, dass die Grundlagen für ein gesundes Altern in jüngeren Jahren
gelegt werden, dann muss die Lebensführung in jungen und mittleren Lebensjahren beeinflusst werden. Wir sind also Adressaten einer Kampagne, die gemeinsam
von Bundesgesundheitsamt, Sozialversicherung und Krankenkassen organisiert
wird, mit der wir auf ein gesünderes Alter vorbereitet werden. Wir werden älter,
verursachen aber immer höhere Kosten und unlösbarere Organisationsprobleme,
wenn wir uns nicht darum bemühen, gesund und selbständig zu bleiben. Also wird
uns empfohlen: nicht mehr zu rauchen, gemäßigt mit Alkohol umzugehen, und vor
allem: aktiv zu sein, Sport zu treiben, uns zu bewegen, uns bewusst zu ernähren,
also jung und dynamisch zu bleiben. Innerhalb relativ kurzer Zeit ist es dadurch gelungen, ein Bild von der „richtigen Lebensführung“ modisch zu machen, das einzig
und allein dazu dient, uns aufs Alter vorzubereiten. Es gibt bereits Überlegungen,
durch differenzierte Krankenkassenbeiträge je nach Lebensstil die unterschiedlich
hohen Kosten, die wir im Alter verursachen, schon in jüngeren Jahren einzufordern. Durch direkte und indirekte Propaganda werden wir dazu verpflichtet, das
Traumziel aller Krankenkassen- Buchhalter anzustreben: gesund zu sterben.
Es wäre ja auch schön, wenn das gelänge. Doch muss die Frage auch erlaubt
sein, ob man sich zugunsten eines gesunden Alters die jüngeren Jahre durch den
Aufbau eines Schuldbewusstseins beim Essen, Trinken und Faulenzen „verder-
Altern in der Stadt
ben“ lassen muss. Aber gerade diese Frage zeigt, wie tiefgreifend kulturelle Fragen,
Fragen des „richtigen“ Lebens berührt werden, wenn man über das Alter diskutiert.
Die gegenwärtigen Kampagnen, die vor allem beim Machbaren auf der subjektiven
Seite ansetzen, haben voraussichtlich allerdings ein paradoxes Ergebnis: Um auf
ein gesundes Sterben vorzubereiten, müssen die Jahre davor immer stärker „verjugendlicht“ werden. Wir sollen jung und leistungsfähig bleiben bis zum Tod. Bei
den Präventionsempfehlungen stehen Aktivität, Askese und individuelle Dynamik
im Vordergrund, die sich so schön glatt in die Werteskala einer Arbeitsgesellschaft
einordnen lassen. Indem die Bilder vom aktiven und dynamischen Menschen zur
kulturellen Norm eines gelungenen Lebens stilisiert werden, wird das andere Problem, nämlich dass es keine Kultur des Alterns gibt, immer schwerer lösbar. Durch
die Betonung jugendlicher Attribute wird im Gegenteil das soziale Problem des
Alters immer weiter an den Rand gedrängt. Strategien, die die subjektiven Voraussetzungen für das Alter verbessern wollen, erschweren also gleichzeitig die
Lösung des Problems, die strukturelle Diskrepanz zwischen der Kultur unserer
Gesellschaft und ihrer faktischen Altersgliederung zu überwinden.
Soziale und physische Umweltbedingungen für ein gelungenes Altern
In der Wohn- und Stadtforschung sowie im neu sich entwickelnden Zweig einer
Alterssoziologie gibt es schon eine ganze Reihe von Erkenntnissen, die Probleme
des Alterns betreffen. Es handelt sich um eine Vielzahl von nützlichen Erkenntnissen zu technischen und organisatorischen Verbesserungen, die wenigstens teilweise ohne großen Aufwand verwirklicht werden könnten - und zunehmend werden.
Man kann diese Bedingungen eines weniger problembeladenen Alterns wie folgt
zusammenfassen:
- Kontinuität der Wohnung und der Wohnumgebung - Stabilität der Familiennetze
Hilfen zur Selbständigkeit durch ein angepasstes Dienstleistungssystem
31
Wohnen im Alter
12 Laurinkari 1988
13 Herlyn 1990
32
- altersgerechte materielle Ausstattung von Wohnung und Wohnumgebung sowie
öffentlichem Raum.
Gegenwärtig legen die Städte und die Verkehrsbetriebe großen Wert auf die alten
gerechte Einrichtung der öffentlichen Verkehrswege. Das ist sicher richtig und hilfreich. Dahinter steht auch das Interesse an den sogenannten „reichen Alten“, die
zu einer immer wichtigeren Konsumentengruppe werden.12 Sie sollen in die Innenstädte und in die Einkaufszentren kommen können. Und dort sollen sie nicht den
reibungslosen Ablauf des Konsumgeschäfts stören. Steigende Umsätze können
im Handel und in anderen Dienstleistungsbetrieben nur erreicht werden, wenn mit
immer weniger Personal immer mehr Kunden abgefertigt werden - also Ausdünnung des Personals und immer mehr Selbstbedienung unter immer mehr Technik- Einsatz, eine Tendenz, die alten Menschen den Umgang wohl kaum leichter
macht. Die älteren, weniger beweglichen und weniger wendigen Menschen müssen in die Konsummaschinen eingepasst werden. Diesem Ziel vor allem dienen
die technischen Verbesserungen von „knieenden“ Bussen, abgesenkten Bordsteinen, längere Grünzeiten an den Ampeln und auch Fußgängerzonen. Dass dies
weiter perfektioniert wird, kann erwartet werden.
Die Bedingungen für ein gelungenes Altern in der Stadt13 jenseits dieser eher technischen Ebene sind widersprüchlicher und komplizierter:
- Sie bestehen einerseits aus Elementen, die nur in langer Wohndauer und bei
stabilen, verwandtschaftszentrierten Lebensstilen entstehen. Das sind Muster der
Lebensführung (der Biographie), die wir heute vor allem noch auf dem Lande, aber
auch in manchen Gebieten in den großstädtischen Agglomerationen finden;
- sie bestehen andererseits aus Elementen eines differenzierten Dienstleistungsangebots, das sich auf die Anforderungen und Bedürfnisse von alten Menschen
einstellen kann. Eine solche Differenzierung und Spezialisierung von Dienstleistungen setzt eine bestimmte Mindestgröße von spezialisierter Nachfrage voraus,
sind also ein raumzeitliches Organisationsproblem. Dieser Mindestumfang der
Altern in der Stadt
spezialisierten Nachfrage kann auf verschiedene Weise organisiert werden: entweder durch räumliche Separierung und Konzentration von Nachfragegruppen (hier
also: Alte), oder durch Mobilisierung der Dienstleistungsangebote, oder durch die
Mobilisierung der Nachfrage, in diesem Fall also der alten Menschen. Wir können
alle drei Lösungen in der Realität beobachten, wobei sich die Diskussion in der
Stadtpolitik auf die beiden letzten Alternativen konzentriert.
a) Es gibt eine „Altenwanderung“ aus den Städten in suburbane Gebiete oder in Ferienregionen wie Küstenrand (Inseln), Mittelgebirge und Alpenvorland. Dort bilden
sich relativ starke Konzentrationen von Alten heraus, die auf ein differenziertes altenspezifisches Dienstleistungsangebot zurückgreifen können. Diese Wanderung
wird vornehmlich von „jungen“ Alten mit relativ hohem Bildungsstand und guter Altersversorgung getragen. Diese Alten haben sich schon in früheren Lebensphasen
auf eine Lockerung der Familienbeziehungen eingestellt und streben einen familienunabhängigen Ruhestand an. Dieses Altern findet also auf dem Land statt, hat
aber durchaus urbane Formen: Der Haushalt verlässt sich in seiner Organisation
sehr stark auf professionelle Dienste. Die räumliche Segregation und Konzentration hat den Vorteil, dass Normen und Verhaltensweisen eine stärkere Beachtung
finden, die auf die Bedürfnisse von alten Menschen differenziert eingehen, und in
denen die Statusunterschiede aus der Erwerbszeit eine geringere Rolle spielen.
Derartige „Senior Cities“ sind in extremer Form den USA (in den südlichen Bundesstaaten wie Arizona usw.) anzutreffen, aber auch in England und Frankreich
gibt es eine solche altersspezifische Wanderung in die südlichen Gebiete. Keine
Lösung ist dies für solche Alten, die einen familienzentrierten Lebensstil gepflegt
haben und fortsetzen wollen, und die nicht über ein so hohes Einkommen verfügen, das ihnen Mobilität und die freie Wahl des Wohnstandorts ermöglicht.
Sie sind in den Städten gefangen und haben das Problem, in der Stadt ein „gelungenes“ Alter organisieren zu müssen.
b) Ob ihnen dies gelingt, hängt - neben der eigenen körperlichen und geistigen
Stadt als
Dienstleistungsmaschine
33
Wohnen im Alter
14 vgl. Dieck 1992
15 Schmitz-Scherzer 1992
34
Fitness - sehr stark von ihrem sozialräumlichen Umfeld ab. Stadtsoziologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die vielen Einpersonen-Haushalte - in den Großstädten weit über 50% - gar nicht so allein leben, wie es die Statistik suggeriert. Vor
allem in den Unterschichtgebieten gibt es rege informelle Beziehungen zwischen
den verwandten Haushalten, und ältere Frauen übernehmen Betreuungsfunktionen für die Haushalte ihrer Kinder, wenn diese in räumlicher Nähe wohnen. Das
scheint überhaupt eine sehr verbreitete und erwünschte räumliche Konstellation
zu sein, die sich keineswegs auf Alte beschränkt: „Intimität auf Distanz“. In der
DDR gab es eine wirksame Verflechtung von Nachbarschaft, Verwandtschaft und
professionellen Hilfen in den Hauspflegediensten, die allerdings der Wende zum
Opfer gefallen sind.14 Diese „Intimität auf Distanz“ kann so lange gut funktionieren, wie die Älteren ihren Haushalt und ihre Besorgungen selbständig erledigen
können. Die Probleme beginnen aber, wenn die Selbständigkeit beeinträchtigt ist.
Dabei müssen wir zwischen verschiedenen Graden der Unselbständigkeit unterscheiden: Ist die Person bzw. der Haushalt nur hinsichtlich bestimmter Funktionen
defizitär, oder ist eine kontinuierliche Betreuung bzw. Pflege notwendig?
Das quantitativ umfangreichste Problem stellen die vielfältigen speziellen Dienste
dar, die partielle Funktionsstörungen ausgleichen bzw. beheben können:
medizinische Dienste, Rehabilitations- und Fitness- Übungen, Essensversorgung
usw. Das heißt: die Personen sind überwiegend noch selbständig und aktiv, jedoch
auf Hilfeleistungen angewiesen, ohne die sie ihre Selbständigkeit ganz verlieren
würden.
Hierfür stehen heute üblicherweise zwei Formen der Unterstützung zur Verfügung: Entweder kommen die Dienste ins Haus wie z.B. „Essen auf Rädern“ oder
die Personen müssen zu den Diensten z. B. Sozialstationen, Altentreff kommen.
Wo beides nicht möglich ist, bleibt nur entweder der Umzug zu den Kindern oder
in ein Altenwohnheim. Letzteres kann den „sozialen Tod“ bedeuten - insbesondere
Pflegeheime sind faktisch „Sterbeheime“.15 In den Städten gibt es keine generelle
Altern in der Stadt
Segregation nach dem Alter; kleinräumlich sind allerdings Gebiete zu beobachten, die einen hohen Anteil von Alten aufweisen.16 Diese Gebiete sind sehr unterschiedlich strukturiert und lokalisiert, und die Schwerpunkte verlagern sich mit der
Zeit: Während in den 60er und 70er Jahren die Altbaugebiete am Innenstadtrand
üblicherweise einen hohen Altenanteil hatten, wird dies zukünftig eher in den suburbanen Eigenheimgebieten der Fall sein.
Gerade in den innerstädtischen Altbaugebieten hat es ausgeprägte soziale Vernetzungen gegeben, die „Intimität auf Distanz“ und informelle Hilfsdienste ermöglicht
haben. Sozial dichte und infrastrukturell vielfältig ausgestattete Altbaugebiete stellen eine günstige Umwelt für die Altenhaushalte dar, solange diese sich weitgehend
selbständig versorgen können. Dass in den Altbaugebieten der Altenanteil abgenommen hat, liegt daran, dass durch einen natürlichen Austauschprozess jüngere
Haushalte nachgezogen sind, aber auch daran, dass durch Modernisierung und
Gentrifizierung alte Menschen mit geringen Einkommen verdrängt worden sind.
Experimente mit Altenwohngemeinschaften zeigen, dass der allgemein zu beobachtende Wandel in den Wohnformen17 langfristig möglicherweise dazu führen
könnte, die Not, die entsteht, wenn die kleinen Kernfamilien nicht mehr leistungsfähig sind, unter bestimmten Voraussetzungen zu lindern.18 In den suburbanen
Eigenheim-Gebieten ist dies voraussichtlich nicht mehr in vergleichbarer Weise
der Fall. Die Bewohner sind in jüngeren Lebensjahren im Rahmen der Familiengründung hinausgezogen; die Altersstruktur ist relativ homogen, d.h. aber auch,
dass gegenseitige Hilfsdienste zwischen den Generationen weniger möglich sind.
Wenn alte Menschen auf Hilfsdienste angewiesen sind, müssen sie entsprechende Einrichtungen aufsuchen oder diese Dienste müssen ihnen ins Haus gebracht
werden. Die Mobilität der Menschen nimmt aber mit steigendem Lebensalter ab,
insbesondere auch deshalb, weil sie weitgehend nur mit dem PKW möglich ist. Die
suburbanen Einfamilienhausgebiete sind strukturell auf einkommensstarke, mobile und autarke Haushalte zugeschnitten. Für immobile und auf Dienstleistungen
16 Schütz 1985; Vascovics,
1990
17 Häußermann/Siebel 1991
18 Bengston/Schütze 1992,
508f.
35
Wohnen im Alter
angewiesene Personen können sie zu einer Falle werden.
Dort muss dann ein Netz aus Hilfeleistungen neu aufgebaut werden. Wer in jungen Jahren die Vorteile des gering verdichteten Wohnens im Eigenheim suchte,
muss also später dafür sorgen, dass ihm die urbanen Dienstleistungen hinterhergetragen werden. Die Struktur der Funktionsmischung und auch die Funktion der
verwandtschaftlichen Netze muss nachträglich rekonstruiert werden.
c) Die größten Probleme treten auf, wenn alte Menschen pflegebedürftig werden,
also jeder Selbständigkeit beraubt sind.19 Dies ist überwiegend ein Problem der
„Hochbetagten„20: Bis zum Alter von 70 sind lediglich 1,5% der Alten pflegebedürftig, aber schon bei der Altersgruppe 70 bis 80 sind es über 10%, von den über
80jährigen etwa ein Drittel.
Das sogenannte Pflege- Zwischen 80 und 90% aller Pflegebedürftigen werden in Privatwohnungen verpotential schmilzt
sorgt.18 Die meisten leben mit unmittelbaren Verwandten zusammen. Selbst von
den über 90jährigen leben nur etwa ein Fünftel im Heim. Der Kreis der Pflegenden
Die Pflege wird
besteht zu 70 bis 80% aus Frauen, von denen die Hälfte selbst bereits über 64
schwieriger
Jahre alt ist. Die Pflegedauer beträgt im Durchschnitt 10 Jahre, beständig verlängert durch die Fortschritte der Schulmedizin. Die häufigste Einzelursache von
Pflegebedürftigkeit ist die Altersdemenz,21 also die geistige Verwirrung. Nun könnte man ja sagen: Wenn die überwältigende Mehrheit der Pflegebedürftigen in Familien versorgt werden, wo ist denn das Problem? Die Familien sind (auch in den
Städten!) offensichtlich besser als ihr Ruf. Aber einerseits werfen Ausmaß und Art
der Pflegebedürftigkeit in der Tat einige Probleme auf, und andererseits kann der
heutige Zustand nicht als beruhigend angesehen werden, wenn man in die Zukunft
blickt. Die Familienstrukturen wandeln sich stark:
Größere Zahlen von dauerhaft Alleinlebenden, größere Zahlen von gescheiterten
19 Thiede 1986
Versuchen des Zusammenlebens, größere Zahlen von Alleinerziehenden, zuneh20 Voges 1991
18 Bengston/Schütze 1992;
mende Erwerbstätigkeit auch der verheirateten Frauen - alle diese EntwicklunSchuleri-Hartje u.a., 1990
21 Häfner 1992
gen lassen das sogenannte „Pflegepotential“ wegschmelzen. Und die Pflege wird
36
Altern in der Stadt
schwieriger. Der Umgang mit geistig verwirrten22 und körperlich hinfälligen Personen, selbst (oder: gerade) wenn es der eigene Vater oder die eigene Mutter sind,
bedarf eines Erfahrungswissens, das heute immer weniger Menschen in den stark
differenzierten Lebens- und Wohnformen erwerben, und er bedarf immer mehr
professioneller Kenntnisse, über die die meisten Laien-Pfleger nicht verfügen.
Das heißt: Während einerseits die „selbstverständliche“ soziale Infrastruktur für
die Pflege von alten Menschen, der Familienverband, quantitativ und qualitativ
immerbrüchiger wird, nimmt der Pflegebedarf zu. Vorläufig ist dies überwiegend
ein städtisches Problem. Auf dem Land gibt es noch stärkere verwandtschaftliche
Verflechtungen und Verpflichtungsstrukturen, was einerseits mit der Effizienz der
darin eingebetteten informellen Ökonomie zusammenhängt, andererseits mit der
noch stärkeren Geltung von Normen für die traditionelle Frauenrolle,23 obwohl sich
die Situationen auf dem Lande und in der Stadt nicht mehr grundlegend unterscheiden.24
Familienergänzende ambulante soziale Dienste werden dort nur insoweit in Anspruch genommen, als „deren Nutzung mit familialen Werthaltungen und Rollendefinitionen zu vereinbaren ist“.24 Vor allem auf dem Lande („Allzuständigkeit der
Familie“) bringen Frauen die Suche nach Hilfe mit persönlichem und familialem
Versagen in Verbindung. Bei jüngeren Frauen in der Stadt nimmt hingegen die kulturelle Bedeutung dieses Musters ab - insbesondere mit der Zunahme von weiblicher Erwerbstätigkeit.
Die vielfältigen Familien- und Haushaltsformen, die sich herausbilden, lassen zwar
die Familiensolidarität nicht ganz verschwinden, aber sie machen die Organisation
der Pflege offensichtlich doch schwieriger. Das bedeutet, dass gesellschaftliche
Unterstützungssysteme aufgebaut werden müssen, die dazu beitragen, dass die
Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Familien nicht an ihren Leistungsmöglichkeiten scheitert und erodiert.
Die traditionellen Werte und Normen der Familienautonomie, der Verpflichtung
22 Bruder 1988
23 Geißler 1982
24 Homolovä/Korte 1993
37
Wohnen im Alter
25 Heinze u.a. 1992
38
zwischen den Generationen und der Pflegeverpflichtung von Frauen werden brüchig und verlieren insgesamt an Bedeutung. Pflege- und Hilfsarrangements zwischen Generationen und Verwandtschaftsbeziehungen müssen daher zunehmend fallspezifisch ausgehandelt werden.25 Schiedsstellen für den innerfamiliaren
Entscheidungsprozeß helfen, Konfliktlagen zu entschärfen. Beratungsdienste und
Gesprächsrunden für pflegende Angehörige dienen der Aufarbeitung der enormen
psychischen Belastung. Diese Probleme können nicht den Familien bzw. den Individuen überlassen bleiben, die „Refamiliarisierung“ ist keine Lösung, weil diese
Problemlagen Ergebnis eines gesellschaftlichen Wandels sind, der die traditionellen Familienfunktionen und sozialen Rollen in den Familien verändert hat. Sie sind
also selbst Ergebnis des Urbanisierungsprozesses, der Lebensformen ermöglicht
und hervorgebracht hat, die von den Zwängen und Leistungs- (über- bzw. an-) forderungen einer familiären Organisation gerade entlastet zu sein versprachen.
Eine herausragende kulturelle Bedeutung „der Stadt“ liegt darin, dass das städtische Leben mehr Freiheit verspricht im Vergleich zum ländlichen: Freiheit von
Verpflichtungen der alltäglichen Existenzsicherung, Freiheit von Naturzwängen,
Freiheit von einem durch die Natur diktierten Zeitregime- und auch die Freiheit von
der Verantwortung, für die Kranken und Alten zu sorgen. Dafür wurde die Stadt als
eine Dienstleistungsmaschine aufgebaut. Angesichts der aufgezeigten Probleme
können oder dürfen die Probleme, die mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung verbunden sind, allerdings auch nicht allein durch Abschieben in eine solche Dienstleistungsmaschine (= Heim) gelöst werden. Der Begriff „Heim“ und die
Realität des Lebens im Altenheim drücken in fast tragischer Form die doppelte
und widersprüchliche Anforderung aus: umfassende Dienstleistung und Heimat
zugleich.
Die zukünftige Aufgabe besteht darin, eine neue Balance zwischen Entlastung und
Verpflichtung zu finden - und dies ist eine gesellschaftliche, eine typisch städtische Aufgabe. Ein konservatives (und voraussichtlich vergebliches) Setzen auf die
Altern in der Stadt
Familie würde das Problem lediglich auf die Frauen abschieben und deren moralischen und normativen Vorrat ausbeuten - und ihn damit auch zerstören. Die Frauen waren schon bisher diejenigen, die von der Urbanisierung der Gesell schaft
weniger profitiert haben als die Männer, d.h. die von der Emanzipation aus traditionellen Rollen weniger profitierten. Der berechtigte Anspruch, eine größere Gleichheit der Geschlechter möglich zu machen, macht daher die Pflege- Problematik zu
einer gesellschaftlichen Aufgabe. Die Städte werden die Laboratorien dafür sein
müssen.17
Zusammenfassung
1. Durch die Steigerung der Produktivität ist die Gesamtmenge an erwerbsförmiger
Arbeit, die zur Sicherung der materiellen Grundlagen unserer Gesellschaft notwendig sind, erheblich geschrumpft. Dies hat zur Institutionalisierung der Lebensform „Alter“ geführt und einen großen Teil der Bevölkerung von der Erwerbsarbeit
ausgeschlossen. Gleichzeitig steigt der Anteil der alten Menschen, die sich im so
geschaffenen Ruhestand befinden. Für diese neue Bevölkerungsgruppe gibt es
noch keine adäquate soziale Rolle bzw. „Kultur“.
2. In der Konstruktion der Stadt, und in den Wünschen und Sehnsüchten ihrer Bewohner sind immer zwei grundsätzlich verschiedene Leitvorstellungen vorhanden:
einerseits die „Stadt als Maschine“, die individuelle Unabhängigkeit und selbständige Lebensführung ermöglicht, also von Arbeit entlastet; andererseits die „Stadt
als Heimat“, in der Stabilität, soziale Nähe und Fürsorge gesucht wird. Dieser Widerspruch ist unauflöslich, und auch das Altern in der Stadt ist von diesen Widersprüchen geprägt.
3. Die strukturelle Diskrepanz zwischen einer „auf jugendlich geschminkten Gesellschaft“ und der Alterung der Gesellschaft ist in den Städten besonders ausgeprägt. Städte bieten einerseits besonders günstige Bedingungen für die „jungen
Alten“, weil sie eine vielfältige Dienstleistungsinfrastruktur haben. Die eine Seite
Paradigmenwechsel:
Vom Wohnen für Alte
zum Wohnen für alle
17 vgl. Häußermann/Siebel
1995
39
Wohnen im Alter
der Stadt, die „Stadt als Maschine“, ist der ideale Wohnort für Menschen, die auf
professionelle Dienste angewiesen, aber selbst noch mobil sind. Die beständige
Durchsetzung der Funktionstrennung und die altersspezifischen Wanderungen an
den Stadtrand haben aber zu einer Erosion der eng verflochtenen sozialräumlichen Systeme geführt, die für alte Menschen besonders günstig waren. Zunehmende Mobilitätszwänge erschweren daher das „Altern in der Stadt“.
4. Wenn die Selbständigkeit der Lebensführung nicht mehr möglich ist, wird die
andere Seite der Stadt, die „Stadt als Heimat“ besonders wichtig. Lebensstile und
Haushaltsformen in den Städten entwickeln sich aber so, dass diese „Heimat für
das Altern“ immer weniger selbstverständlich vorhanden ist. Selbst dort, wo - wie
gegenwärtig noch in den meisten Fällen - ein familiäres Unterstützungssystem
vorhanden ist, bedarf dies zunehmend der Unterstützung durch professionelle und
semiprofessionelle Organisationen. Eine multifunktionale, vielfältige, „urbane“ Umwelt muss also rekonstruiert werden. Nicht nur die Pflegebedürftigen, auch die
Pflegepersonen brauchen Pflege und Unterstützung.
5. Eine ganz andere Perspektive könnte sich ergeben, wenn man sich die demographische Entwicklung betrachtet: Steigendes Durchschnittsalter in einer Gesellschaft kommt auch dadurch zustande, dass die Zahl der Kinder relativ und absolut
abnimmt. Dadurch entsteht ein neues politisches Kräfteverhältnis (möglicherweise
werden erste Anzeichen in der „Altenbewegung“ oder in der Partei der „grauen
Panther“ sichtbar), und auch eine neue Situation auf dem Arbeitsmarkt: es könnte
sein, dass die Älteren wieder „gebraucht“ werden. Erst dann wahrscheinlich wird
sich eine neue Kultur des Alterns in unserer Gesellschaft und in unseren Städten
herausbilden.
40
Nicht nur lächeln,
handeln.
Toshi Kawai
Bis vor kurzem fand die Betreuung alter Menschen innerhalb des traditionellen Familienverbandes statt. Diese Strukturen befinden sich jedoch in Auflösung, die Versorgung älterer Familienangehöriger wird immer mehr zum Problem. Als Reaktion
darauf gründete die japanische Regierung ein neues Pflegeversicherungssystem.
Die meisten Pflegeeinrichtungen, die kurz nach Einführung der Versicherung vor
fünf Jahren entstanden, waren am Bau von Krankenhäusern orientiert. Das gewährleistete zwar Effizienz und Wirtschaftlichkeit, bot aber nicht die Art häuslicher
Atmosphäre, die die alten Menschen von zu Hause gewohnt waren.
Im Tagespflegezentrum Kamigyo (Entwurf 2000) versuchte ich das „Wohnen wie
zu Hause“ zu realisieren. Dieser Ansatz ist inzwischen im Bereich sozialer Einrichtungen sehr populär.
Toshi Kawai
Architekt, Kyoto
Altersstruktur im Wandel, Japan
1930
1960
1980
2000
2020
2040
41
Wohnen im Alter
Der Wunsch vieler älterer Menschen, in der eigenen Wohnung versorgt zu werden,
kann nicht allein durch die Bauwirtschaft erfüllt werden, sondern erfordert eine
Zusammenarbeit von allen Beteiligten. Am Projekt „Longhouse in Henza Island“,
einem sehr komplexen Gebäude mit Pflegeeinrichtung und Wohnungen (Fertigstellung 2006) möchte ich darstellen, welchen Beitrag Architekten zur Qualität des
Umfelds nicht nur für ältere Menschen sondern für alle Personengruppen leisten
können.
Altersstrukturen
im Vergleich
Jahr
Japan 2000
Deutschland 2000
42
Haushaltsgrößen
Nicht nur lächeln,
handeln.
Tagesstätte in Kamigyo
Erdgeschoss
43
Wohnen im Alter
1.Obergeschoss
2.Obergeschoss
44
Nicht nur lächeln,
handeln.
„Longhouse in Henza Island“
45
Wohnen im Alter
Erdgeschoss
1.Obergeschoss
46
Sybille Ebe
Vorausschauend planen
Vom Quartier
zum Detail
„Spielend alt werden“
Die Wirklichkeit sieht oft anders aus:
Es besteht die Gefahr der Vereinsamung (Todesanzeigen - Suchanzeigen). Weil
die Menschen älter werden, Frauen länger leben als Männer und weniger Kinder geboren werden, nehmen Singlehaushalte zu. Noch werden viele alte Menschen zu Hause von den Ehepartnern/ Kindern/ Enkeln versorgt (in Bayern 14%
im Vergleich zum Bundesdurchschnitt mit 8,7%). Die Aufnahme und Pflege der
alten Menschen in der Familie wird aber wegen fehlender Kinder und der vielen
Einpersonenhaushalte zur Ausnahme werden. Darüber hinaus wird auch der Staat
immer weniger Geld haben, für alte Menschen zu sorgen. Nicht bei allen hilfs- und
pflegebedürftigen Menschen ist die Pflege zu Hause möglich oder auch nicht die
beste Lösung – sowohl für den Pflegebedürftigen selbst als auch für den Pflegenden. Deswegen müssen neue Formen gegenseitiger Hilfe und neue Formen
der Geselligkeit zur Verhinderung von Alterseinsamkeit entwickelt werden – kurz:
„Künstliche Familien“.
In Hilpoltstein konnten wir eine Wohnanlage errichten, die viele Vorstellungen über
das Wohnen im Ater verbindet.
Sybille Ebe
Architektin, München
47
Wohnen im Alter
Städtebauliche Ebene
So, wie in jugendlichen, kinderreichen Gesellschaften Kindergärten und Horte zur
Standardausstattung von Wohnvierteln gehören Altenclubs, Pflegeeinrichtungen
und Sterbehospize in die Stadtteile. Hier können Veranstaltungen mit geselligem,
kulturellem oder religiösem Hintergrund stattfinden.
Altenwohnungen und Alteneinrichtungen sollten in bekannter Umgebung und in
der Nähe zu Verwandten und Freunden liegen. Läden, Frisör, Cafe und Ärzte und
öffentliche Verkehrsmittel sollten leicht erreichbar sein.
Ebene der Wohnanlage
Alte Menschen sollten – um der Vereinsamung zu entgehen und gegenseitige Hilfe
zu ermöglichen, in „Wohngemeinschaften“ leben. Da aber alte Menschen im
Laufe des Lebens besonderen Eigenarten entwickeln und auf den gewonnenen
Lebensstandard nicht verzichten wollen, sind bestimmte Voraussetzungen an die
Wohngemeinschaft geknüpft, denn nur mit der Möglichkeit des Rückzugs ist Gemeinschaftsleben möglich.
Zur Erleichterung der Haushaltsführung und der persönlichen Pflege benötigen wir
darüber hinaus „Wohnen mit Service“. Dieses Angebot ermöglicht ein längeres
Verbleiben in der eigenen Wohnung, weil viele Dienste in Anspruch genommen
werden können (Einkauf, Wäsche, Reinigung der Wohnung, Fahrdienste...). Mit
etwas organisatorischer Phantasie (etwa durch erweiterte Hausmeisterdienste)
könnten auch bestehende Wohnanlagen durch solche Serviceeinrichtungen ergänzt werden, wodurch die Bewohner in den Wohnungen verbleiben könnten.
Neue Wohnanlagen sollten:
Überschaubarkeit und leichte Orientierungsmöglichkeit ermöglichen
Sicherheit, Schutz, Alleinsein und Intimität bieten
Kontakt und Kommunikation fördern
die Nutzung gemeinschaftlicher Einrichtungen nach Bedarf ermöglichen.
48
Vorausschauend planen
Vom Quartier
zum Detail
Dabei richtet sich die Ausstattung der Gemeinschaftsbereiche nach dem „Geldbeutel“ (Clubraum, Esszimmer mit Küche, Bibliothek, Musikzimmer, Gästezimmer,
Hobbyräume, Schwimmbad, Sauna, Pflegebad, Therapie-, Gymnastikraum...)
Beispiel Hilpoltstein:
Wir bekamen nach einem Gutachten, das wir gewinnen konnten, die Gelegenheit,
in Hilpoltstein eine Anlage zu planen, die viele dieser Vorgaben erfüllt. Das St.
Gundekarwerk Eichstätt beauftragte uns mit der Planung von 36 abgeschlossenen
barrierefreien Seniorenwohnungen von 43,6 qm – 84,6 qm mit insgesamt 2.291
qm Wohnfläche. (24 x 2 – Zimmerwohnungen, 12 x 3 – Zimmerwohnungen, davon
4 rollstuhlgerecht nach DIN 18025 Teil 1.)
Und die Caritas aus Roth beauftragte uns mit der Planung eines Servicezentrums
und einer Altenbegegnungsstätte für die Stadt Hilpoltstein.
Das Grundstück liegt in unmittelbarer Nähe zur Altstadt, also zentral zu allen Einrichtungen. Auf dem Grundstück stand ein altes Hilpoltsteiner Sandsteinhaus, das
Hierholzerhaus, leer.
49
Wohnen im Alter
Grundriss Gesamtanlage Erdgeschoss
Die Wohnanlage:
Vorgabe für das Plangutachten war eine Anlage in unmittelbarer Altstadtnähe mit
barrierefreier aber kostengünstiger Erschließung. Wegen der Forderung nach Abgrenzung der Eigentums-wohnungen von den Mietwohnungen wurden die Baukörper um Höfe gruppiert, die überschaubare Nachbarschaften bilden.
Die 36 Wohnungen sind über offene Laubengänge erschlossen. Wegen der Altstadtnähe wurde ein großes Augenmerk auf die maßstabsgerechte Baukörpergestaltung mit Berücksichtigung der vorhandenen Gestaltungselemente ( Dächer,
Farbe...) gelegt.
Die Frage der Parkierung wurde lange mit Bauherr und Behörden diskutiert. Die
Anzahl der Stellplätze in einer Tiefgarage wurde auf 80 % der vorhandenen Wohnungen festgelegt.
50
Vorausschauend planen
Vom Quartier
zum Detail
Momentan leben in der Wohnanlage 40 Bewohner, die eine Kaltmiete von 5,80
€/ qm WF zahlen. 13 Männer (Durchschnittsalter bei Bezug 70 Jahre), 27 Frauen
(Durchschnittsalter bei Bezug 76 Jahre). Der jüngste Bewohner ist 56 Jahre alt,
der älteste 88 Jahre.
Alle Bewohner haben also abgeschlossene altengerechte Wohnungen, die aber
durch folgende Einrichtungen ergänzt werden und damit zur Wohngemeinschaft
mit Service- Wohnen werden.
51
Wohnen im Alter
Sozialstation und Seniorenbegegnungsstätte ( Bauherr: Caritas)
Betreuungsvertrag mit pauschal 20 € / WE / Monat für folgende Grundleistungen:
- tagsüber besetzte Rezeption (Nachteil: nachts kein Ansprechpartner)
- Regelmäßige Kontaktaufnahme auf Wunsch
- Bereitstellung eines Hausnotrufsystems
darüber hinaus bietet die Sozialstation Wahlleistungen gegen Extrakosten nach
Gebührenordnung (Rahmenvertrag Krankenkasse / Pflegekasse)
- vorübergehende Pflege, (bei langfristiger Pflegebedürftigkeit muss in eine Pflegeheim gewechselt werden)
- Essenslieferung in die Wohnung
- Nutzung des Pflegebades
Fahrdienste
- Wohnungsservice bei Abwesenheit
- Hilfe bei Umgang mit Behörden
- Wäschedienste
- Telefon zu Leitstelle des Notdienstes
- Wohnungspflege
( 30.- € / WE / Monat)
- Einkaufsdienste
52
Vorausschauend planen
Vom Quartier
zum Detail
Grundrisse Sozialstation
Die Sozialstation hat insgesamt 627 qm. Neben den Büroräumen, einem Hilfsmittellager für medizinisches Gerät (Pflegebetten, Rollstühle...) und dem Pflegebad
stellt die Sozialstation einen Andachtsraum zur Verfügung für spirituelle, seelsorgerische Angebote, Qigong, Feldenkrais, Seniorengymnastik, Internetraum für Senioren (Tatsächlich findet hier momentan ein Bewerbungstraining für Hauptschüler/ Absolventen im Internet bzw. am PC statt.)
53
Wohnen im Alter
Seniorenbegegnungsstätte
Die Räumlichkeiten der Seniorenbegegnungsstätte werden der Stadt gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellt. Die Seniorenbegegnungsstätte wird
vom städtischen Seniorenbeirat betreut, der auch
alle Veranstaltungen koordiniert. Die Räumlichkeiten stehen allen Senioren Hilpoltsteins zur Verfügung, d.h. auch alte Menschen von Außen nehmen
an Veranstaltungen teil. Die Begegnungsstätte hat
eine Fläche von insgesamt 362 qm.
-
-
54
Foyer als Treffpunkt im Eingangsbereich
mit Kaffeeautomat
Saal für Feiern (Weihnachtsfeiern,
Geburtstage), Sitzungen, Konferenzen,
Spiele, Vorträge, Betreuung von Demenzkranken, Trainingsveranstaltungen (Ge
dächtnistraining) und verschiedene Kurse.
Gruppenraum für Spiele, Musik, Fernsehen
Gespräche...
Speiseraum / Küche für gemeinsames Kochen, Backen, gemeinsamer Mittagstisch /
Frühstück
Therapieraum / Werkstatt zum Basteln,
Töpfern, Werken
Reinhard Zingler
In seinem Buch „Untergang des Abendlandes“ hatte Oswald Spengler vielleicht
doch eine apokalyptische Vorahnung, als er sich über „die Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen“ Gedanken machte. „Die große Wendung tritt ein, sobald es
im alltäglichen Denken einer hochkultivierten Bevölkerung für das Vorhandensein
von Kindern Gründe gibt. Die Natur kennt keine Gründe“. Weiter prognostizierte er:
„Statt der Kinder haben sie seelische Konflikte, die Ehe ist eine kunstgewerbliche
Aufgabe ... und sie gehören alle sich selbst und sind alle unfruchtbar.“
Nun, wir müssen Spengler nicht immer wörtlich nehmen, aber auch ein Theodor
Adorno hat die bange Frage gestellt: „Wird Spengler Recht behalten?“ (...)
Als Vertreter der Wohnungswirtschaft und zugleich als Vorstand eines Unternehmens, das sich bemüht, nicht zu rosten. (…) werde ich versuchen, die Gründe für
die möglichen Chancen der Wohnungswirtschaft, aber auch der Bewohner darzulegen. Dazu ist es zunächst nötig, sich ein paar Grundlagen vor Augen zu führen.
Wie steht es eigentlich um das Thema Pflege und wie sehen deren Perspektiven
aus?
Es ist interessant, dieses Thema einmal nicht aus der eigenen Sicht, sondern
durch die Brille eines anderen zu betrachten - in diesem Falle durch die Brille eines
Finanzierers von Pflege- und Betreuungsimmobilien für das „Wohnen im Alter“. So
schreibt die DB Research in ihrer Ausgabe der aktuellen Themen mit dem Schwerpunkt „Demographie Spezial“ (…) folgendes:
(…) „Allerdings sind bei der Investition in Pflegeimmobilien die spezifischen Risiken einer Sozial- Immobilie zu beachten. Es handelt sich um Betreiberimmobilien, es gibt Standortrisiken und einen hohen Instandhaltungsbedarf. Daher ist die
Streuung im Rahmen eines Immobilien-Portfolios notwendig, um von den grundsätzlichen Vorteilen der wachsenden Nachfrage zu profitieren“.1
Von den 2,1 Mio. Menschen, die Ende 2003 in Deutschland pflegebedürftig im
Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes waren, wurden fast 1,5 Mio. Menschen zu
Hause versorgt und davon fast 1 Mio. Menschen von Angehörigen.
Wer rastet, der rostet.
Reinhard Zingler
Architekt,
Vorstand JosephStiftung, Bamberg
1 In: DB Research (Deutsche Bank),
Ausgabe 334.
55
Wohnen im Alter
Das heißt: Rund die Hälfte aller Pflegefälle werden durch Verwandte betreut. Hierbei hat die Pflegestufe 1 mit der geringsten Pflegeintensität die größte Bedeutung. Mit Hilfe ambulanter Dienste können weitere 450.000 Personen zu Hause
versorgt werden. Auch hier liegt das Schwergewicht bei den „leichteren“ Fällen
der Pflegestufen 1 und 2. Während der Anteil der Pflegestufe 3 bei der Betreuung
durch Angehörige bei gut 8 % aller Pflegefälle durch Angehörige liegt, erreicht
der Anteilswert bei der Betreuung durch ambulante Pflegedienste gerade knapp
13 % aller Pflegefälle. Bei der Betreuung in Pflegeheimen haben die schwereren
Pflegefälle zwar ein größeres Gewicht, jedoch auch in Pflegeheimen dominieren
die Betreuungsfälle der Stufen 1 und 2. Nur 21 % der Pflegefälle in Heimen fallen
in die Stufe 3.
In den letzten Jahren verzeichnete die Form der intensivsten Betreuung – jene
in Heimen – das stärkste Nachfragewachstum. Während die Betreuung durch
Angehörige seit 1999 um 4 % zurückging und ambulante Pflegedienste um 8 %
zulegten, nahm die Zahl der betreuten Pflegefälle in Heimen um fast 12 % zu.
Es werden zunehmend „leichte“ Fälle in Pflegeheimen untergebracht. Dies ist ein
Pflegebedürftigkeit (Quelle: Stat.Bundesamt)
56
Wer rastet, der rostet.
Hinweis darauf, dass es immer weniger Pflegebedürftige mit Kindern gibt und be- Deckungslücke in der
dingt durch Mobilitätsanforderungen mehrere Generationen nicht mehr an einem Pflegeversicherung
(Quelle: Bundesministerium für
Ort wohnen.Diese beiden Trends werden sich in Zukunft wohl verstärken. Die Mo- Gesundheit und Soziale Sicherung)
bilitätsanforderungen werden steigen und es werden zunehmend kinderlose Senioren zu Pflegefällen, da seit 30 Jahren der Anteil der kinderlosen Frauen stetig
wächst. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, nämlich die verschieden hohen Leistungspauschalen für stationäre und ambulante Pflege.
Wie sieht es mit der Pflegeversicherung aus?
Die soziale Pflegeversicherung hat bereits 2003 ein Defizit von 690 Mio. EUR
verzeichnet. Das heißt, die Beitragssätze reichten nicht, um die Auszahlungen
auszugleichen. (…) Feststeht, dass die Rücklagen nur noch reichen, um für zwei
Monate Pflegeleistungen ohne zusätzliche Einnahmen auszuzahlen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage hat in seinem
Jahresgutachten 2004/2005 geschätzt, dass sich der Beitragssatz ohne struktu- Pflegebedarf
(Quelle: Stat. Bundesamt;
relle Änderung in der Finanzierung der Pflegeversicherung bis 2050 verdreifachen DB Research)
könnte. Ein Umsteigen vom derzeitigen Umlageverfahren zu einer stärker Kapital gedeckten Finanzierung der Pflegeversicherung ist wohl unausweichlich. Eine
Folge könnte dann sein, dass die Nachfrage nach Pflegeleistungen bei höherer
Selbstbeteiligung sinkt. Ein weiterer Vorschlag des Sachverständigenrates könnte
zu gravierenden Strukturbrüchen in der Pflegelandschaft führen: So bemängelt
der Sachverständigenrat die unterschiedlichen Leistungspauschalen für Pflege im
Heim und ambulante Pflege. Dieser Unterschied führt systematisch zu einer Stärkung der Heimlösung. (…) „Da die häusliche ambulante Pflege kostengünstiger ist,
liegt es nahe, dass der Gesetzgeber die Leistungspauschalen in Kürze angleicht.
Das könnte den Trend von der häuslichen hin zur stationären Pflege dämpfen. Dieses Risiko sollte ebenfalls in Form höherer Renditeziele im Vorfeld berücksichtigt
werden“.1
1 In: DB Research (Deutsche Bank),
Ausgabe 334.
Wie wird es denn weitergehen?
57
Wohnen im Alter
Bei der Annahme einer gleichen Struktur der Pflege wie heute steigt nach einer
Berechnung des statistischen Bundesamtes die Zahl der Pflegebedürftigen in
Deutschland aufgrund der Alterung der Gesellschaft bis 2020 um rund 800.000
Personen. Die Zahl der Pflegefälle, die zu Hause gepflegt werden können, nimmt
bis 2020 um 500.000 Personen zu und die Zahl der stationär gepflegten Personen
um gut 300.000. Bei einer unterstellten Durchschnittsgröße von 100 versorgten
Bedürftigen je Heim entspricht dies einem Zusatzbedarf von 3.000 Heimen bis
2020. Dieser Bedarfsanstieg bedeutet, dass bis 2020 jährlich fast 18.000 zusätzliche Betten in Pflegeheimen bereitgestellt werden müssten, also 180 Heime á 100
Betten! Darüber hinaus ist der Ersatzbedarf in Pflegeheimen sehr hoch, die Kreditanstalt für Wiederaufbau schätzt diesen Bedarf auf jährlich ca. 4 % der vorhanden
Betten. Bezogen auf die Situation Ende 2003 heißt dies: Weitere 26.000 Betten
müssten jährlich saniert werden.
Die genannten Prognosen werden von den Prognosen des DIW bestätigt. Die
Werte der Prognose von Häcker und Raffelhüschen liegen darüber. Diese Annahmen berücksichtigen noch nicht die Entwicklung der Demenzerkrankungen, die
mit Zunahme der Hochaltrigkeit drastisch zunehmen werden. (…) Aber vielleicht
gibt es gerade auf diesem Gebiet weitere entscheidende medizinische Fortschritte
- geforscht wird ja intensiv.
(…) Die Annahmen setzen jedenfalls voraus, dass wir uns die jetzt vorhandene
Pflegestruktur weiterhin leisten können. Und genau dies wird – denken Sie an
das Thema Pflegeversicherung – so nicht sein. Wir werden uns diese Entwicklung
nicht leisten können – und das ist wohl auch besser so.
Im Übrigen können die zurzeit insbesondere in kleineren Kommunen als Bauträgermodelle konzipierten Projekte der 60- Betten- Pflegeheime mit 30 Wohnungen
wohl keine Lösung darstellen. Die Bürgermeister bekommen ihr Pflegeheim, ohne
sich finanziell beteiligen zu müssen, sie dürfen dafür das Projekt auf der zweiten
Seite des Verkaufsprospektes mit ihrem Konterfei begrüßen. Sie sind funktional
58
Wer rastet, der rostet.
und gestalterisch abgemagert, um leichter - weil billiger – verkaufbar zu sein, und
sie blenden die Zeit nach der Abschreibung aus, nämlich die Zeit der hohen Instandhaltungs- und Sanierungsaufwendungen.
Selbst als Pflegefall können sich alte Leute eine stationäre Unterbringung nicht
mehr vorstellen: 80 % der pflegebedürftigen Alten wollen nicht ins Heim. Sie wollen
zu Hause bleiben.
(…) Die Ergebnisse der VdW-Umfrage zeigen sehr deutlich: Die Deutschen lehnen
letztlich jede Form des institutionalisierten Wohnens ab.
Umfrage des VdW Bayern (Verband bayerischer Wohnungsunternehmen):
Welche Wohnform streben Sie im Ruhestand an?
59
Wohnen im Alter
2 In: Die ZEIT, Ausgabe 17, 17.Nov.
2005.
60
Insbesondere das Potential von Haus- oder Wohngemeinschaften wird überschätzt. Nur 3,7 % der Deutschen wollen so zusammenleben, 1,9 % davon in einer
gemeinsamen Wohnung und 1,8 % in einem Mietshaus gemeinsam.
„In einem erstaunlichen Missverhältnis zum öffentlichen Interesse steht die Zahl
tatsächlich realisierter Wohngemeinschaften. Die Zahl der Alten, die bundesweit in
Projekten gemeinschaftlichen Wohnens leben – dazu gehören Wohn-, Haus-, und
Hofgemeinschaften – ist mit 8.000 geradezu vernachlässigbar gering!“ 2
Interessant sind in diesem Zusammenhang wohl eher die inzwischen ja teilweise
uralten Genossenschaftsmodelle. Es gibt Genossenschaften, die sind (…) so rostig wie ihre Vorstände unbeweglich. Aber es gibt äußerst aktive Genossenschaften, alt und doch sehr jung, zum Beispiel in München (z.B. die Genossenschaft
München-West) oder in Erlangen die Genossenschaft für das Verkehrspersonal
der Stadt Erlangen. Gerade diese zeigt, dass auch sehr kleine Genossenschaften
in der Lage sind, das Thema Wohnen im Alter aktiv anzugehen.
Was aber letztlich bleibt, ist die ganz normale Wohnung und der Wunsch auch und
gerade der meisten alt gewordenen Menschen nach Normalität. Das Wohnen in
einer Umgebung, in der man sich sicher und wohl fühlt, ist ein zentrales Bedürfnis. Mit zunehmendem Alter gewinnt dieses Bedürfnis noch mehr an Bedeutung,
weil ältere Menschen den weit überwiegenden Teil des Tages (etwa 80 %) in ihrer
Wohnung verbringen, die Wohnung also zu wichtigsten Lebensmittelpunkt wird.
Deshalb hängt die Lebensqualität im Alter stärker als in anderen Lebensphasen
von deren Wohnbedingungen ab.
„Eine hohe Wohnzufriedenheit führt zu psychischem Wohlbefinden, der zentralen
Komponente von Lebensqualität. Es liegt daher auf der Hand , dass einer der wirkungsvollsten Ansätze, um Lebensqualität im Alter zu erhalten bzw. zu verbessern,
die Optimierung der Wohnbedingungen ist.“ (A. Flade)
Allerdings nehmen die Alltagskompetenzen mit zunehmendem Alter ab und wer
dann nicht durch Familienangehörige oder Nachbarn regelmäßige Hilfe erhält,
Wer rastet, der rostet.
wird durch alltägliche Anforderungen, wie Einkaufen, Wäsche waschen, Wohnung
putzen, usw. bald überfordert. Zudem ist die Sicherheit in der Wohnung im Hinblick
auf die Unfall- und Verletzungsgefahr oftmals unzureichend. Angesichts schwindender physischer Kraft, Geschicklichkeit und einem entsprechend reduzierten
Körperbewusstsein entwickeln sich selbst kleinere Hürden zu Gefahrenquellen.
Alltagskompetenzen können erhalten oder erhöht werden, wenn die älteren Menschen durch günstige Wohnbedingungen derart gefordert werden, dass sie ihre
noch vorhandenen (evtl. eingeschränkten) Fähigkeiten voll nutzen können. Ein
sehr wichtiger Aspekt diesbezüglich ist die Sicherheit: Sicherheit in der Wohnung
bezieht sich zum einen auf die Beseitigung von Unfallgefahren. Sicherheit bezieht
sich aber auch darauf, im Falle eines Sturzes oder einer akuten Krankheit unverzüglich behandelt und versorgt werden zu können.
Die Anforderungen, die daraus erwachsen, vermeinen wir alle - Architekten als
auch die Wohnungsunternehmen – zu kennen – oder doch nicht.
(…) Die folgenden Zitate aus dem Abschlussbericht zum Modellprogramm „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ kennzeichnen aus meiner Sicht relativ zutreffend die
Situation. Hier ging es u. a. darum, welche Erfahrungen die Wohnberatungsstellen in den Bundesländern gemacht haben. Fangen wir mit den Architekten an, da
heißt es u. a. „Die zuständige Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle ist der Meinung, dass nur eine langfristige kontinuierliche Erinnerung der Architekten an das
Thema zu einer weiteren Sensibilisierung dieses Berufsstandes beitragen kann.
Dabei sei darauf zu achten, dass in regelmäßigem Abstand von ca. 4 bis 6 Monaten mit wechselnden Methoden das Thema zur Sprache gebracht würde (Ausstellung, Fortbildungsveranstaltung, Presseartikel, persönliches Beratungsangebot).
Wichtig sei, dass in diesen Zusammenhängen immer wieder auf die Beratungsstelle aufmerksam gemacht würde, damit sich das Beratungsangebot fest in den
Köpfen der Architekten verankert und sie im Bedarfsfall wissen, woher sie Informationen beziehen können“.3 Am erfolgreichsten war immer das Beratungsgespräch
61
Wohnen im Alter
3 In: Abschlussbericht zum Modellprogramm des BMFSSJ, Selbstbestimmt
Wohnen im Alter.
62
am konkreten Projekt. (…) Ich komme aber auch zu den Wohnungsunternehmen.
Da heißt es: „Die Bereitschaft der Wohnungsunternehmen, beim Neubau die Gebäude barrierefrei zugänglich zu machen und auf Schwellen innerhalb der Wohnung zu verzichten, war von Anfang an groß und in dieser Hinsicht wurde die angebotene Beratung gerne in Anspruch genommen. Schwieriger gestaltete sich die
Umsetzung der kleinen, kostenneutralen Maßnahmen des barrierefreien Bauens,
die sich auf Höhen von Bedienelementen, Handläufe, Farb- und Materialwahl u.ä.
beziehen. Hier musste noch viel Bewusstseinsarbeit geleistet werden. Zum Teil
lag die Nichtberücksichtigung der entsprechenden Empfehlungen auch an Kommunikationsmängeln zwischen Planern und Handwerkern. So hatten die Planer
z.B. bestimmte Höhen von Bedienelementen vorgesehen, die Handwerker führten
ihre Arbeiten aber nach herkömmlichen Standard aus. Eine weitere Ursache für
fehlende Berücksichtigung einzelner Details des barrierefreien Bauens lag in einer
immer noch vorhandenen Skepsis gegenüber den ökonomischen Konsequenzen
dieser Bauweise. So wurden teilweise Vermarktungsprobleme befürchtet, wenn
die Wohnungsausstattung – wie z.B. bei der bodengleichen Dusche – deutlich
sichtbar vom Normalen abweicht“.3 So ist die Praxis.
Aus meiner Erfahrung in der Breitenwirkung noch wichtiger als Barrierefreiheit ist
das Thema Barrierearmut, ein Begriff, den Edinger und Lärch geprägt haben. Er
meint den Abbau von Barrieren im Kleinen und kostengünstig. Zum Beispiel dort,
wo keine umfassende Modernisierung ansteht oder wo sie nicht finanzierbar ist.
Wohnungsanpassung ist durchaus für eine Reihe von Wohnungsunternehmen ein
selbstverständliches Thema – aber eben noch für zu wenige.
Vielleicht liegt das auch daran, weil sich alte Menschen mit ihren persönlichen
Schwächen in der Regel nicht melden, sondern diese sehr lange ertragen.
Wohnungsanpassung ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil gerade
in den 50er- und 60er-Jahren ein Großteil unseres Wohnungsbestandes gebaut
wurde (allein von 1950 bis 1960 wurden 1,9 Mio. Geschosswohnungen gebaut).
Wer rastet, der rostet.
Diese Wohnungen können nur zu einem geringen Teil barrierefrei umgestaltet werden. Gerade in Gegenden mit deutlichen Bevölkerungsverlusten wird es darüber
hinaus nötig sein, sehr sorgfältige Portfoliobetrachtungen vorzunehmen und dann
zielgerichtet zu modernisieren oder aber abzubrechen und dann barrierefrei neu
zu bauen.
Entscheidend wichtig ist der Transfer von Wissen. Die Bereitschaft der Akteure ist
sicher da, aber in der Praxis mangelt es häufig an Detailkenntnissen oder aber es
ist Gedankenlosigkeit im Spiel.
Wir können feststellen, dass unsere Wohnungen Chancen bieten – aber dies auch
nur dann, wenn es für die Menschen, die in ihnen leben wollen, ausreichende und
richtige Betreuungsangebote gibt.
Häusliche Pflege und viel wichtiger, das „Davor“ und das „Daneben“ müssen kundenorientierter werden, dem Bedarf angepasster.
Es geht zum überwiegenden Teil eben nicht um professionelle Pflege. In diesem
Zusammenhang müssen ehrenamtliche Aktivitäten oder nennen Sie es nachbarschaftliche Unterstützung in den Blick genommen werden. Ohne das Zusammenwirken von professioneller und ehrenamtlicher bzw. nachbarschaftlicher Hilfe werden die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte nicht zu bewältigen sein.
Das BAT-Institut in Hamburg hat dazu Umfrageergebnisse veröffentlicht. Und im
Datenreport 2004 geht das statistische Bundesamt u. a. der Frage nach, welche
Vorstellungen die Deutschen über eine lebenswerte Gesellschaft haben. Das Ergebnis lässt sich so zusammenfassen: „Am höchsten wird von den Bürgern in
Deutschland eine Gesellschaft bewertet, in der man Verantwortung füreinander
trägt. Die soziale Komponente des Lebens wird höher eingestuft als die materielle. Die Deutschen möchten in einer Zukunftsgesellschaft leben, in der Verantwortung genauso wichtig wie Wohlstand ist. Und je jünger die Befragten sind, desto
mehr wünschen sie sich für die Zukunft eine solche Verantwortungsgesellschaft“.
Ich bin davon überzeugt, dass darüber hinaus der urbane Pessimismus ausge63
Wohnen im Alter
dient hat. Die Menschen wollen in der Stadt wohnen, zwar allein aber mit der Sicherheit, Nachbarn zu haben. Man würde selbst helfen, wenn man wüsste, dass
die anderen helfen. Dies aber muss organisiert und koordiniert werden. Viele Mitgliedsunternehmen des VdW bieten bereits gezieltes Sozialmanagement und
wohnbegleitende Dienstleistungen an. Aber natürlich gibt es hier noch erhebliche
Entwicklungspotentiale.
Die Politik sollte bedenken, dass nur das Zusammenwirken von Wohnungswirtschaft und Betreuung durch professionelle und ehrenamtliche Kräfte eine zukunftsfähige, weil finanzierbare und menschenwürdige Lösung für unsere Gesellschaft
darstellt. Die Finanzierung der sehr differenzierten Leistungen in der Betreuung
sicher zu stellen, aber auch die erforderlichen Investitionen für mehr Barrierefreiheit im Bestand und durch Neubau im sozialen Wohnungsbau zu unterstützen, ist
wohl vornehmste Aufgabe der Politik. Aufgabe der Politik sollte es auch sein, die
Unternehmen künftig stärker bei der Koordinierung und Schaffung von Netzwerken zu unterstützen.
Sie sollte auch bedenken, dass es nicht die Fonds und Reits sind, die sich dieses
Themas annehmen werden – es sei denn, die Rendite wäre hoch genug.
Die Altersforscher Scherbov und Sanderson vom Wiener Institut für Demographie
definieren Alter ganz neu. Sie setzen Alter nicht mit dem gelebten Leben gleich,
sondern mit der Zukunfts-Lebenserwartung.
Ihre Formel: Wir sind so jung, wie wir noch Lebensjahre vor uns spüren.
(…) Wenn Sie auch noch viele Jahre vor sich spüren – so wie ich – (…) dann lassen Sie uns die Probleme anpacken und die Jahre, die wir noch vor uns spüren
nutzen, um unsere und die Alterssituation unserer Gesellschaft besser zu gestalten – im Sinne einer besseren Zukunft des Wohnens!
Dabei sollten wir allerdings die Familien nicht vergessen, sie stellen nämlich bislang und in die Zukunft hinein immer noch das wichtigste Solidaritätspotential der
Gesellschaft für Pflege und Betreuungsleistungen dar.
64
Arno Lederer
Wir haben es bei diesem Thema offensichtlich mit einem Mangel zu tun, denn
sonst müsste man darüber nicht eine Tagung abhalten. Ich glaube aber, dass es
sich nur um einen vermeintlichen Mangel handelt, den es eigentlich gar nicht gibt.
Wir sprechen, wenn wir uns der Frage des Wohnens im Alter annähern, über ein
ganz anderes Problem: Über den Mangel an Kindern. Wir haben nur deshalb zu
viele Alte, weil wir zu wenige Kinder haben. Und weil wir zu wenig junge Menschen
in unserer Gesellschaft haben, resultiert daraus in zweiter Linie erst das Problem
des Alters.
Wollten wir also die Frage einer Wurzelbehandlung unterziehen, so müssten wir
darüber nachdenken, was der Grund für die Kinderarmut ist. Eine heikle Geschichte, die sich im Übrigen ja auch an der Wohnsituation festmachen lassen müsste.
Das Problem ist nicht neu und dennoch ist es ein diffiziles Thema. Denn die Frage
grundsätzlich anzugehen, würde einen tiefen Einschnitt in die finanziellen, arbeitsrechtlichen und damit auch städtebaulich- architektonischen Zustände unserer
Gesellschaft bedeuten. Sie verlangte eine grundlegend andere Lebensplanung,
die als gesellschaftlicher Wunsch von allen getragen werden müsste. Das ist bei
der derzeitigen Konstellation, den kurzfristigen Abhängigkeiten der Politik von der
Zustimmung durch die Wähler, nicht erreichbar. Ich bezweifle auch, dass die Generation der derzeitigen Protagonisten überhaupt, aufgrund mangelnder eigener
Erfahrung, in der Lage ist, eine Sensibilität oder Zuneigung zu so etwas wie Familie zu entwickeln. Deshalb wird die Zahl derer, die Erfahrung beim Windelwechsel
alter Menschen sammeln, jene, die diese Arbeit schon bei Babys lernen, eklatant
übertreffen.
In Schweden hat man dieses Problem schon länger erkannt und es gibt einige
Hotels, die kostenlose Angebote für junge Paare machen, wenn bei der Übernachtung ein Kind gezeugt wird. Das lässt schon Rückschlüsse auf den Alltag zu
und vielleicht gibt es dort schon Tagungen, in denen es um das Wohnen geht, das
speziell die Fortpflanzung oder die Aufzucht der Kinder erleichtert. So könnte man
„Als wären Alte
nicht normal ...“
Arno Lederer
Leiter des Instituts für
öffentliche Bauten
und Entwerfen,
Universität Stuttgart
65
Wohnen im Alter
für alle Lebenssituationen besondere Akzente setzen und daraus Programme entwickeln, die das Wohnen für diese oder jene Gruppe verbessern sollten. Übrigens
hat man jahrelang über das Wohnen von Randgruppen diskutiert, weil man sagte,
die herkömmliche Art des Wohnens entspreche nicht den sozialen Gegebenheiten der Jetztzeit. Vor zwanzig Jahren kümmerte man sich um Alleinstehende, mit
und ohne Kinder, weil man sagte, konservative Familienstrukturen seien am Aussterben und deshalb sei die klassische Familienwohnung ein Auslaufmodell. Nun
stellen wir fest, dass in Großstadtgebieten wirklich große familiengerechte Wohnungen kaum noch zu bekommen sind und die Familie - ich spreche nicht von der
Steuer - sondern von der Familie, die tatsächlich mehrere Kinder hat - die absolute
Außenseitersituation darstellt.
In Stuttgart, sagte mir ein Makler, seien Wohnungen mit vier und mehr Zimmern
absolute Mangelware, da eine Vielzahl der hervorragend geschnittenen Wohnungen der Gründerzeit, also jene, die sich sehr gut für Familien eigneten, seit den
siebziger Jahren konsequent in kleinere Wohnungen umgebaut wurden. Familien
seien, bis auf wenige Ausnahmen nicht zahlungskräftig, und der Rest an großen
Wohnungen gehe sehr rasch an einkommensstarke kinderlose Paare oder Singles
jüngeren und mittleren Alters, die einen entsprechenden Posten bei Daimler oder
Bosch bekleiden. Diese rüsteten sodann die Wohnungen für ihre persönlichen Bedürfnisse um, mit Marmor und Parkettböden, Saunen und trendigen Erlebnisbädern.
Das hat zur Folge, dass sich junge Familien immer weiter aus dem Stadtgebiet
entfernen, lange Wege in Kauf nehmen müssen, oder sich mit knapp zugeschnittenen Wohnungen begnügen, die in den überlassenen Kasernenarealen in Neuoder Altbauten angeboten werden.
Hier entsteht sozusagen das erste Leck, das dazu führt, dass das Wohnen in Spezialthemen aufgedröselt wird und Segregation zur Folge hat. Denn nach dem, was
wir gerade festgestellt haben, fehlen nicht nur Kinder in der Stadt, sondern, auch
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die Alten, die unmittelbar dazu gehören. Unabhängig der spezifischen Fragen,
jene der Erschließung oder ungenügend großer Sanitärräume, hat die Wohnungswirtschaft einen Zustand erwirtschaftet, der für die Stadt - verstanden als lebender Organismus - tödlich ist. Obwohl damit lediglich dem sozialen Wunsch nach
Selbständigkeit jedes Einzelnen Rechnung getragen wird. Der Grund für diesen
Missstand liegt natürlich an ganz anderer Stelle.
In der Schule lernen wir, dass die Bismarcksche Sozialgesetzgebung (1881 – 1889)
als ein absoluter sozialer Fortschritt gesehen werden kann. Man erinnere sich,
dass deren Wirkung durch die parallel laufenden Unterdrückungsmaßnahmen, wie
dem Sozialistengesetz, selbst wieder unterdrückt war. Das ist sicher auch noch
heute so und alle werden die Abschaffung der Abhängigkeit der Generationen von
und untereinander als unglaublichen Vorteil erkennen. Was damals angestoßen
wurde, hat in der Konsequenz zu einer Vielzahl von Absicherungen auf vielen anderen Gebieten geführt, etwa zu dem, was wir als soziales Netz bezeichnen, das
uns im sozialen Absturz auffängt - allen Gleichstellungsbemühungen, den Behinderten- und Sicherheitsvorschriften, dem Gesundheitswesen u.s.w. Die Regelung,
die uns unabhängig machte, schuf aus dem sozialen Zwangsverband von Nachbarschaft und Großfamilie einen, der zu einer eher emotionalen Verbindung - ohne
pekuniäre Verpflichtung dem andern gegenüber - geschrumpft ist. Im Städtebau
beginnt damit eine Ausdifferenzierung, die es so nie gegeben hat.
Mit dem Ziel, durch Gesetz und Vorschrift die Umwelt neben den sozialen und
wirtschaftlichen Dingen alten- und behindertengerecht zu gestalten, wird der Forderung nach Unabhängigkeit zweifelsohne Rechnung getragen. In einer Gesellschaft, in der den Betroffenen durch die Segnungen der technischen Einrichtungen
nicht mehr geholfen werden muss, sinkt umgekehrt die Hilfsbereitschaft. Da ist es
nicht anders wie bei allen anderen Bauvorschriften:
wegen der Vorschrift für Geländer etwa, deren Höhe und eventuelle Öffnungen
minutiös im Laufe der Jahre verfeinert wurden, verlässt sich jeder auf die Vorschrift
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Wohnen im Alter
1 Vgl. Mann, Thomas: Buddenbrooks:
Verfall einer Familie; Berlin: S. Fischer
Verlag 1901
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und stürzt prompt ab, wenn diese Vorschrift nicht eingehalten ist. Insofern kann
man sagen, dass die Gesetze der selbstverständlichen Hilfsbereitschaft für manche Bereiche abträglich sind.
Der Trennungsschmerz, den Thomas Mann angesichts des Verkaufes des Buddenbrookschen Hauses in der Mengstraße beschreibt, und der zu einer seitenlangen Abhandlung im Roman1 führt, ist nichts anderes als die Beschreibung der
Auflösung des Familienverbundes, der mit der Auflösung der Immobilie einhergeht. „Das Haus, Mutters Haus, unser Elternhaus! In dem wir so glücklich gewesen
sind! Wir sollen es verkaufen ....!“, jammert Tony Buddenbrook. Vom Erwerb bis
zum Verkauf des Gebäudes ist das Haus der Ort, an dem geboren und gestorben
wird. Lange Abhandlung über die Greisen der ersten und zweiten Generation, über
deren Ableben: nirgendwo wird das ansonsten ausführlich beschriebene Gebäude
mit einem Mangel erwähnt, der die Frage der Altersgerechtigkeit behandelt. In der
Lübecker Mengstraße gab es keinen Lift, keine Unterfahrbarkeit von Wasch- oder
Spültisch keine ausreichenden Radien vor und hinter den Zimmertüren. Heute
noch ein stattliches Haus, aber durchaus keines, das heute überragenden Reichtum symbolisiert. Ein Haus in der Reihe mit direktem Kontakt zur Straße, es könnten eine oder mehrere Wohnungen darin sein. Ein Haus, das mit seinen Nachbarn
lebt, das nicht alleine stehen kann und das die Umgebung zum Leben benötigt.
Natürlich ist das Beispiel etwas schichtenspezifisch, was man gerne vorwerfen
kann. Bei den weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten dürfte der Zusammenhalt unterschiedlicher Generationen jedoch nicht geringer gewesen sein, da
die Zunahme materiellen Mangels mit einer Zunahme der Abhängigkeit einhergeht.
Unabhängig der materiellen Frage aber ist das Zusammenleben der Generationen
grundsätzlich als hohes Gut gewertet worden, das neunzehnte Jahrhundert führt
uns dies in der Historien- und Akademiemalerei bis zum Steinerweichen vor. Der
zu den Genremalern gehörende Ferdinand Georg Waldmüller zeigt den weit über
die Familie hinausgehenden Generationenverbund, der zwischen Alt und Jung
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nicht normal ...“
eine enge Klammer sieht. Da Waldmüller, was man seinen Bildern nicht anzusehen
vermag, ein Mensch war, der ein ganz ausgeprägtes soziales und künstlerisches
Rechtsgefühl hatte, sind seine Bilder Projektionen eines anzustrebenden Ideals,
ähnlich, wie wir das bei Adalbert Stifter sehen. Ich kann mir durchaus denken, dass
die dort geschilderten Bilder, die über die Jahre hinweg von der Fortschrittsgesellschaft lächerlich gemacht wurden, in ihrer Ernsthaftigkeit der Aussage einer Überprüfung unterzogen werden müssen. Auf jeden Fall können wir konstatieren, dass
die Familie Buddenbrook, würde sie heute leben, an ganz unterschiedlichen Orten
und jeder für sich ihre Leben selbstständig gestaltete und dort, wo sie körperliche
oder geistige Hilfe benötigte, diese als privat oder über die Kasse bezahlte Dienstleistung beanspruchte. Der alte Konsul und seine Frau würden in einer schicken
Seniorenresidenz ihr Dasein fristen und nach dem Ableben des Konsuls wäre die
alte Dame ins Augustinum gezogen. Ebenso würde Waldmüllers Großvater heute
nicht am Schulausgang stehen und den Zöglingen zuschauen, mit ihnen reden
und Geschichten erzählen, sondern im Hof des städtischen Altenheims auf die
Straße schauen. Allenfalls würde er über den Lärm Beschwerde führen, den die
Kinder einer eventuell benachbarten Schule verursachen. Aber allen stünde, ob
da oder dort, eine behindertengerechte Einrichtung, ein Lift, Fernsehen, Video und
Internet zur Verfügung. Schon mit der Differenzierung von solchen Wohnungen,
die angeblich altersgerecht sind und den so genannten normalen Wohnungen wird
eine Selektion vorgenommen, die kaum gewünscht werden kann. Man folgt damit dem bis heute weit verbreiteten Defizitmodell des Alters, das natürlich, würde
diese Theorie stimmen, zu einer Aussonderung führt. Die häufig als „Normalfall“
postulierte Abnahme von Interessen und Aktivitäten, auch die Verminderung von
Mitteilsamkeit und Kontaktfähigkeit rührt tatsächlich, dessen ist man sich sicher,
ganz offensichtlich von bestimmten Lebensumständen her.2 Damit ist im Wesentlichen das soziale und örtliche Aussondern gemeint. Man neigt deshalb eher zum
so genannten Kompetenzmodell, das davon ausgeht, dass die geistige Leistungs-
2 vgl. hierzu: Brockhaus Enzyklopädie,
Mannheim: Brockhaus Verlag 2005,
S.442
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Wohnen im Alter
fähigkeit, insbesondere die Informationsverarbeitung bei ausreichendem Training
nicht nur unverändert bleibt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen, sogar
gesteigert werden kann.
In einer Gesellschaft, die vom Primat der Technik und Ökonomie geprägt ist, spielt
die Frage der geistigen Ressource und emotionaler Kompetenz eine nachrangige
Rolle. Das Lernen der Generationen von- und untereinander hat erheblich an Wert
verloren, zugunsten einer Informations- und Wissensvermittlung, die unabhängig
vom Raum geschehen kann. Die Häufung sozialer und emotioneller Defizite, von
denen immer wieder gesprochen wird, kann durch das sozial-kulturelle Netz nicht
aufgefangen werden. Interessant ist ja, dass für sehr viele Menschen der Sprung
über die nächste Generation, also der Kontakt zwischen Großeltern und Kinder, einen ganz wesentlichen Teil von Erfahrung und Bildung ausmacht. Die gewünschte
intensive Auseinandersetzung beruht natürlich auf einer örtlichen Nähe, die weder
durch lange Wege noch durch zeitlich festgesetzte Grenzen eingeschränkt sein
darf.
Der Städtebau der letzten hundert Jahre ist ein Spiegelbild der Entwicklung, die
sich auf der sozialen Ebene abgespielt hat. Der Ruf nach der europäischen Stadt,
womit im Regelfall die des neunzehnten Jahrhunderts gemeint ist, ist nicht nur ein
räumlich-architektonischer, sondern sicher auch die Sehnsucht nach jener sozialen Einheit, die längst verloren ging. Übrigens einer Einheit, deren Überwindung
man als Fortschritt bezeichnete. Hobrechts Begeisterung für die Durchmischung
fand man heimtückisch menschenverachtend, weil sie, negativ betrachtet, Zilles
Milieu entsprach.
Heute lesen sich die Worte wieder anders: „Wer wird auch sein Auge der Tatsache
verschließen, dass ärmere Klassen vieler Wohltaten verlustig geht, die ein Durcheinander gewährt. Nicht „Abschließung“ sondern Durchdringung scheint mir aus
sittlichen und darum aus staatlichen Rücksichten das Gebotene zu sein. In der
Mietskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwohnungen in die Freischule über
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„Als wären Alte
nicht normal ...“
denselben Hausflur wie diejenigen des Rats oder Kaufmanns auf dem Weg nach
dem Gymnasium. Schusters Wilhelm aus der Mansarde und die alte bettlägerige Frau Schulze im Hinterhause, deren Tochter durch Nähen und Putzarbeiten
den notdürftigen Lebensunterhalt besorgt, werden im ersten Stockwerk bekannte
Persönlichkeiten ..... Alles das, was sich als Resultat der gemütlichen Beziehung
zwischen gleich gearteten und wenn auch noch so verschieden situierten Bewohnern herausstellt, eine Hilfe, welche ihren veredelnden Einfluss auf den Geber
ausübt...“3
Tauschten wir die Verniedlichung von Klassenunterschieden und stellten wir uns
die Durchmischungstheorie als eine Generationendurchmischungstheorie vor, ist
das Modell allerdings nicht uninteressant. Es wäre in der Konsequenz nicht durchsetzbar, weil es an ökonomischen Zwängen scheiterte. Es setzte voraus, dass
programmatisches Wollen und Durchsetzung in einer Hand wären und der ökonomische Gedanke an die zweite Stelle gesetzt würde. Dies wird jeder wirtschaftlich
denkende Immobilienfachmann als eine unrealistische Idee abtun.
Wenn Sie die Frage des Alterns so definieren, dass damit der Lebensabschnitt
nach Beendigung der Lebensarbeitszeit gemeint ist, gerät diese Geschichte in
ein anders Licht. Zukunftsmodelle gehen davon aus, dass bei gleich bleibender
Bevölkerungsentwicklung und einem weiter zuwachsenden Mangel an lohnabhängigen Arbeitsplätzen 80% der Bevölkerung einer nicht erwerbsorientierten Arbeit
nachgehen werden und lediglich 20% über einen bezahlten Arbeitsplatz verfügen.
Umgekehrt, lässt man die Frage der Lohnabhängigkeit beiseite, wächst eine Zahl
von Arbeitsmöglichkeiten, die nicht bezahlt werden können, aber die dennoch im
sozialen Bereich eine wertvolle Ressource sein können. Was heute noch unter
dem Titel Ehrenamt oder Nachbarschaftshilfe als nette und freiwillige Nebentätigkeit geführt wird, könnte morgen angesichts der prognostizierten Zahlen eine
Hauptbeschäftigung sein. Die Idee der Pflegeversicherung, gerade mal 20 Jahre
alt, ist ein erster Schritt dazu. Bedarfe in dieser Richtung gibt es an sehr vielen
3 zitiert in: Kirschenmann, Jörg C. /
Muschalek, Christian: Quartiere zum
Wohnen: Bauliche und sozial-räumliche
Entwicklung des Wohnens; Wohnquartiere aus dem 3. Viertel des 20.
Jahrhunderts als Stadtumbau, Stadterweiterung, Stadtneubau mit Analyse der
Wohnbaustrukturen; Stuttgart: Deutsche
Verlagsanstalt 1977
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Stellen, im pädagogischen Bereich ebenso wie im kulturellen und eben im sozialen. Entscheidend dafür sind aber die Durchmischung und das Angebot unterschiedlicher Raumangebote unter hoher Dichte. Bei konsequenter Umsetzung
dieses Themas in eine räumliche Struktur, bedeutet das langfristig, ein Einsparungspotenzial bei jenen Einrichtungen, die ihre Rendite aus mono-strukturellen
Gegebenheiten beziehen. Denn erst die räumliche Nähe, der enge Kontakt ermöglicht Synergieeffekte, wie sie Hobrecht unter der Durchmischung der Klassen
beschreibt.
Natürlich erspart das nicht den Ausbau von Pflegeheimen, das ist ja klar. Aber das
betrifft nicht die Frage des Wohnens im Alter, sondern die erheblicher Behinderungen. Behinderungen nehmen zwar im Alter zu, aber sie sind nicht ausschließlich
eine Frage des Alters, was stillschweigend angenommen wird. Was aber in der Architektur geschieht, ist die Spezialisierung von Themen – und genau dies zieht im
Falle von Behinderungen Segregation nach sich. Man sagt dann schnell, der oder
jener habe keine Ahnung, weil er sich noch nie mit dem Thema beschäftigt habe.
Das betrifft auch und hier in besonderem Maße das Alter. Ich selbst zum Beispiel
habe, was meine praktische Tätigkeit betrifft, wenig Ahnung. Ein paar Preisgerichte, ein wenig Bauerfahrung.
(Das aber könnte ja auch umgekehrt eine Chance sein: das Betrachten der Sache
aus einem anderen und vielleicht auch distanzierteren Blick. Ich finde auf jeden Fall
die Argumente, die bei Preisgerichten aus dem Munde der Spezialisten kamen, zu
sehr auf einen Aspekt konzentriert, nämlich den des wirtschaftlichenn Betriebes,
der Grundriss und Funktion bestimmt, und schließlich den der Erstellungskosten.
Das betrifft aber nicht nur die Bauaufgabe, die wir hier im Auge haben. Einer meiner ersten Aufträge hatte eine Quartiersbebauung zum Inhalt, zu der die Hauptstelle einer Volksbank gehörte. Die Bänker versuchten mir, in Ermangelung meiner
Spezialkenntnisse, sehr viel über Nutzerverhalten und Kundennähe beizubringen.
Irgendwann fand ich heraus, dass ich, der ich lediglich als Kunde Banken kenne,
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eigentlich viel besser urteilen könne, was gut, was schlecht am Bankbetrieb sei.
So geht es mir auch mit der Frage des Alterns, die in meinem Alter ganz selbstverständlich irgendwann als Teil der Lebensplanung am Horizont auftaucht. Meine
Mutter, die zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt hat, ihr Haus gegen einen
Platz im Altersheim zu tauschen, hat sich in den letzten Jahren mit zunehmender
Intensität von dieser Vorstellung konsequent entfernt. Sie ist 86 Jahre alt und kann
sich schlecht bewegen. Wegen zunehmender Mühe beim Treppensteigen hat sie
sich einen Lift in die Wohnung bauen lassen, wodurch sich der Zustand ihres Bewegungsapparates schlagartig verschlechtert hat. Zuvor hatte sie meinen Vater
drei Jahre lang im Alleingang in den Tod begleitet. Meine Schwester, knapp über
sechzig, hatte Mitte vierzig einen Schlaganfall und sitzt seitdem im Rollstuhl. Ich
frage mich, wer von beiden die Ältere ist. Aus dieser Erfahrung heraus glaube ich
aus einer ganz anderen Sicht argumentieren zu können und sehe Defizite in einem
ganz anderen Bereich, eben jenem, über den wir diskutiert haben. Ich glaube, so
gesehen haben sehr viel mehr Menschen eine Ahnung von Dingen, die andere als
ihren Kompetenzbereich betrachten. Architektur und Wohnen ist aber nicht eine
Sache des Spezialisten, weil sich im Wohnen die Gesamtheit unserer Lebenserfahrung unserer Nöte und Wünsche niederzuschlagen hat.)
Ich sehe also die Sache zunächst nicht mit den Augen des Architekten, Architektur ist erst sekundär von der Sache betroffen. Zunächst geht es um die Frage,
wie man sich unter den genannten Bedingungen ein Miteinander der Generationen vorstellt. Eine Frage, die natürlich nicht dadurch beantwortet wird, dass man
alte Strukturen, wie das klassische Familienbild des neunzehnten Jahrhunderts
wieder herstellt. Es gäbe allerdings andere familienähnliche Verbünde, die nicht
unmittelbar durch verwandtschaftliche Beziehungen bestehen, wie Nachbar- und
Wohngemeinschaften. Es geht hier um die Möglichkeit, größere, familienähnliche
Verbindungen mit kleinen Einheiten für Alleinstehende, eben auch alte Menschen
in direkten Kontakt zu bringen. Übersetzt auf das Wohnungsangebot hieße das,
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Wohnen im Alter
sehr große Wohnungen, also solche, die jenseits von 120 bis 140 Quadratmetern
beginnen mit kleineren Einheiten bis 60 Quadratmetern intensiv im Quartier zu
mischen und das nicht etwa in Rand- sondern in Zentrumslagen. Das allerdings
ist durch die private Hand nicht zu erreichen, weil diese Angebote weder über den
freien Markt zu erhalten sind und schon gar nicht von den Abnehmern, vor allem
denjenigen, die große Wohnungen benötigen, zu bezahlen sind. Wenn es aber
der Staat mit Familienplanung ernst nähme, dann gehörte es zu seiner Aufgabe,
die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, sozusagen als eine Investition in die Zukunft. Der unsägliche Privatisierungswahn der öffentlichen Hand
steht dem entgegen. Der Rückzug der öffentlichen Hand aus vielen Bereichen der
Grundversorgung - wozu auch der soziale Wohnungsbau gehörte - förderte den
Zustand, den wir heute als gesellschaftlich nachteilig betrachten. Schöne Wohnungen gibt es gewiss, aber zu klein und unbezahlbar für Familien, zu groß für alte
Menschen und deren Portemonnaie. Es genügt nicht, den Bau von Altenheim- und
Kindergartenplätzen durch irgendwelche Förderprogramme anzuschieben, wenn
gleichzeitig die Struktur des Wohnungsangebotes geändert wird. Wenn der Staat
ein ausgeglichenes Verhältnis der Generationen will, übrigens vor allem der Ökonomie wegen, dann muss er selbst aktiv dafür Vorsorge treffen. Und er muss mit
beispielgebenden Modellen zeigen, wie dies möglich sein kann.
Die Ausgangslage dafür ist ungünstig: in einem Land, in dem der konsequente
Abbau von Fachleuten, von Städtebauern und Architekten, bei Bund Land und Gemeinden verheerend rasch voranschreitet, fehlt der geistig-fachliche Humus, um
eine wirkliche Veränderung der gegebenen Situation zu herbeizuführen. Schuld
hat aber auch die Architektur: Prada, Allianz, oder Daimler haben ein Virtuosentum und einen Starkult hervorgebracht. Wo Ornament und elegante Solitäre, neudeutsche Findlinge die Szene beherrschen, ist für gesellschaftliche Fragen kein
Platz mehr. „Alt werden ist ein Geschenk des Himmels“, sagte Henning Scherf in
der FAZ am vergangenen Sonntag. „Ich bin doch ein Glückspilz, kann mit meinen
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67 Jahren noch Radrennen fahren, Marathon laufen, Hochseesegeln. Meine Vorfahren hätten das nicht gekonnt, die waren schon in dem Alter meist tot. Und da
wir alle älter werden, müssen wir in der Gesellschaft die Rollen ändern, müssen
die Älteren einbeziehen, dürfen sie nicht auf den Musikdampfer abschieben. Das
sind doch ungeheure Schätze von Lebens- und Berufserfahrung, die wir nur richtig
nützen müssen.“4
4 Scherf, Henning: Bei Adenauer müsste
ich mich entschuldigen; in: FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.02.2006
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Wohnen im Alter
Projektdokumentation: Kath. Gemeindezentrum St. Antonius,
Stuttgart-Zuffenhausen
Die denkmalgeschützte, um die Jahrhundertwende erbaute St. Antoniuskirche
macht schon aus der Ferne auf sich aufmerksam und wirkt mit ihrem Glockenturm und dem gerundeten Chor bis in die nahe Straßenkreuzung hinein. Diese
Eigenheit, die keineswegs typisch für eine Straßenkreuzung jener Epoche ist, wird
bis heute spürbar. Besonders auch die räumliche Nähe der Kirche zu ihren umliegenden Nachbargebäuden, die allesamt auf rechtwinkligen Grundrissen errichtet
wurden, charakterisiert diese Situation.
76
Projekt:
Gemeindezentrum
St. Antonius
Das neue Gemeindezentrum schreibt die Geschichte des Ortes weiter: Seine Ziegelsteine antworten den Ziegelfassaden der Kirche, seine Farben heben sich nur
leicht von seiner Umgebung ab, seine Plastizität bezieht sich auf die räumliche
Komposition der Kirche. Der abgerundete Chor findet sein formales Pendant im
abgerundeten Treppenturm des Gemeindezentrums. Der so entstandene Raum
zwischen Kirche und Gemeindezentrum erfährt eine neue Bedeutung als gefasster Außenraum. Kirche und Gemeindezentrum kommen zusammen, sie treten in
einen räumlichen Dialog. Der neugeschaffene Platz gehört nun zu beiden Gebäuden, er ist öffentlicher Mittelpunkt und verdeutlicht das Zusammenspiel von Kirche
und Gemeindezentrum.
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Wohnen im Alter
Raumprogramm
EG:
Kirchengemeindesaal, Begegnungsraum, Hospizbüro,
Eine-Welt-Laden, Sozialstation
1./ 2. OG: 12 Wohnungen, davon 2 behindertengerecht und 10 barrierefrei
(WF 42 bis 51 m2)
3. OG:
Hausmeisterwohnung, Appartement für Gäste oder Pflegepersonal
Bauherr:
Katholische Kirchengemeinde St. Antonius,
Stuttgart-Zuffenhausen
Architekten:
professor arno lederer
jórunn ragnarsdóttir
marc oei
kornbergstrasse 36
d - 70176 stuttgart
fon +49-(0)711-22 55 06-0
fax +49-(0)711-22 55 06-22
www.lederer-ragnarsdottir-oei.de
Ringofenziegel, frostbeständig,
Schalendicke = 11,5 cm, Ausführung im Läuferverband.
Spanisches Format 290/115/52 mm „Sortierung Kalk“
Fugenausbildung: Lagerfuge, normale Ausführung, ca.
15 mm / Stoßfuge, stumpf gestoßen, ohne Vermörtelung
Baukosten: ca. 2,7 Mio Euro
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Oliver Herwig
Ergebnisse der Tagung
Wo werden wir in Zukunft leben – vor allem: wie? Wohnen im Alter als Herausforderung zu begreifen und nicht als Schreckensbild für Architekten, Planer und
Bauverantwortliche, gab Ministerialdirigent Josef Poxleitner der Tagung im fast
vollbesetzten Audimax der TU München mit auf den Weg. In seiner Einführung forderte der Leiter der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des
Innern, die reife Gesellschaft als Chance wahrzunehmen: Barrierefreiheit beginnt
in den Köpfen.
Professor Peter Ebner von der Technischen Universität München nutzte seinen
Vortrag, um den Forschungsbericht „Barrierefreies und integriertes Wohnen“ vorzustellen. Die Feldstudie im Auftrag der Obersten Baubehörde beschäftigte sich
mit den Wünschen und Vorstellungen von Senioren in neun Projekten barrierefreien Bauens in Bayern. Es ging um Wege, Expertenwissen und Bewohnerzufriedenheit zu verbinden. Das einzelne, vorbildlich gestaltete Haus nütze nichts,
wenn nicht ein altenkompatibles Wohnumfeld hinzukomme, forderte Ebner: eine
dichte Infrastruktur im Nahbereich, die es den Bewohnern ermögliche, ihren Alltag
selbstbestimmt zu gestalten. Im Zentrum stehe Barrierefreiheit. Sie sei längst kein
„Minderheitenthema“ mehr, sondern eine „existenzielle Frage für das Funktionieren unserer Gesellschaft“, schloss Ebner.
Der Berliner Soziologe Professor Hartmut Häußermann analysierte anschließend
den grundlegenden Wandel unserer urbanen Gesellschaft. „Älter und bunter“, beschrieb der Forscher an der Humboldt-Universität die Zukunft deutscher Städte,
wie sie im Ruhrgebiet schon heute zu erleben sei. Senioren bildeten eine divergente Gruppe, mit spezifischen Vorlieben und Bedürfnissen. Zugleich wurde deutlich, dass Alter ein gesellschaftlich geschaffenes Phänomen ist – und weniger ein
biologisches. Niemand wache plötzlich auf und sei alt. Altern vollziehe sich als
Prozess, der vor allem einer Konstante gehorche: dem stark individuell geprägten
Dr. Oliver Herwig
freier Journalist,
München
Bild: Michael Jaeger, Düsseldorf
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Wohnen im Alter
Abfall der Leistungsfähigkeit. Dagegen definiere die Gesellschaft Alter als Ruhestand, als Verlust des Arbeitsplatzes mit der Rente – ein Potenzial, Alter und Arbeit
in Zukunft viel differenzierter zu betrachten.
Die Zukunft denken – vorausschauend planen
Zwei Praktiker berichteten aus dem Alltag: Toshi Kawai, Architekt aus Kyoto, und
die Münchner Architektin Sybille Ebe stellten Projekte altersgerechten Bauens vor.
Auch wenn viele Details aus dem fernen Osten mit europäischen Normen nicht in
Einklang zu bringen sind, wurde deutlich, das altersgerechtes Wohnen mehr Freiräume bei der Planung und Kreativität der Architekten verlangt. „Vorausschauend
planen“, forderte Ebe, konsequent vom Quartier zum Einzelstück. Ebe postulierte
ein neues Miteinander. Begegnungszentren sollten helfen, Kontakte zwischen den
Generationen zu knüpfen. Im Idealfall könnten „künstliche Familien“ entstehen, die
ältere Menschen aufnähmen und neu in die Gesellschaft integrierten. Architektur
müsse Begegnungsmöglichkeiten bieten.
Wie hingegen sehen Bauträger den Wandel unserer Gesellschaft, und wie sind sie
darauf vorbereitet? Reinhard Zingler, Vorstand der Bamberger Joseph-Stiftung,
öffnete den Blick für die Schwierigkeiten und Realitäten der Bauwelt, die Senioren
noch zu wenig als Chance der Wirtschaft begreife. Zingler mahnte an, dass der
„größte Teil unseres Wohnungsbestandes nicht altengerecht“ sei. Die Aufgaben
der Wohnungswirtschaft wüchsen. Sie müsse in die Zukunft investieren durch Beratung zur Wohnungsanpassung, barrierefreie Modernisierung und so verschiedene Wohnformen im Quartier und differenzierte Betreuungsangebote anbieten.
Ziel aller Investitionen in den Bestand bleibe der Mensch, der durch den Umbau
seiner Wohnung in der gewohnten Nachbarschaft bleiben könne. Zinglers Fazit:
barrierefreie Wohnungen müssen nicht notwendigerweise mit höheren Investitions- und Unterhaltskosten verbunden sein.
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Ergebnisse der Tagung
Wohnen für Alte heißt Wohnen für alle
Reißt Mauern ein, forderte Professor Arno Lederer, Leiter des Instituts für Öffentliche Bauten und Entwerfen an der Technischen Universität Stuttgart in seinem Festvortrag. Den Fehlentwicklungen im Städtebau der letzten Jahrzehnte,
der zunehmenden Aussonderung alter Menschen und der „Monostruktur beim
Wohnungsangebot“ müssen Architekten, Planer und Politiker entgegenwirken. Es
gehe darum, Menschen zu ermöglichen, sich auch in Zukunft selbstständig durch
die gewohnte Umwelt Stadt bewegen zu können – eine Aufgabe für die gesamte
Gesellschaft, sich von der Stigmatisierung der Alten zu verabschieden, wie sie
etwa bei der teils schwierigen Vermietung barrierefreier Wohnungen an jüngere
Menschen aufträte.
Wie werden wir in Zukunft leben, und was bedeutet das für Architekten, wenn
sie mit Wünschen und Bedürfnissen der älteren Generation konfrontiert werden?
In der abschließenden Podiumsdiskussion mit Staatssekretär Georg Schmid
öffnete sich nochmals das ganze Feld altersgerechten Wohnens, das ein neues
Miteinander der Gesellschaft fordert. Konkrete bauliche Lösungen allein werden
den Umbau der Gesellschaft nicht ersetzen. Wohnen für Alte heißt in Zukunft:
Wohnen für alle.
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Wohnen im Alter
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Presseecho
In: Süddeutsche Zeitung,
Nr. 58, 10. März 2006, S.S.V
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Wohnen im Alter
In: Süddeutsche Zeitung,
Nr. 58, 10. März 2006, S.S.V
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Presseecho
In: Bayerische Staatszeitung,
Nr. 9, 3. März 2006, S.14
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Presseecho
In: Bayerische Staatszeitung,
Nr. 9, 3. März 2006, S.14
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Presseecho
In: Bayerische Staatszeitung,
Nr. 9, 3. März 2006, S.14
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Publikationen der Obersten Baubehörde
Barrierefreies und integriertes Wohnen
Forschungsbericht zur Nachuntersuchung ausgewählter Projekte aus
Modellvorhaben und Landeswettbewerb
Wohnen in allen Lebensphasen
Aspekte der Anpassungsfähigkeit am Beispiel von Modellvorhaben des
experimentellen Wohnungsbaus in Bayern
Barrierefreier Wohnungsbau mit hoher Qualität
Bayerischer Wohnungsbaupreis; Dokumentation Landeswettbewerb 2003
Modernisierung von Miet- und Genossenschaftswohnungen
Arbeitsblätter zum Wohnungsbau
Sozialarbeit vom Wohnungsunternehmen
Arbeitsblätter zum Wohnungsbau
Heime für alte Menschen
Arbeitsblätter zum Wohnungsbau
Wohnen ohne Barrieren
Arbeitsblätter „Bauen und Wohnen für Behinderte“
Öffentlich zugängige Gebäude und Arbeitsstätten
Arbeitsblätter „Bauen und Wohnen für Behinderte“
Barrierefreie Wohnungen
Arbeitsblätter „Bauen und Wohnen für Behinderte“
Internetadresse: www.experimenteller-wohnungsbau.bayern.de
Bestellung Broschüren kostenfrei unter: www.innenministerium.bayern.de/service/publikationen
oder bei: Vögel-Versand Tel.: 09466/ 94000; Fax: 09466/ 1276
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Fotos:
Autoren
S. 1, 12, 14 - 20, 60 - 62
Baumeister
Impressum
Herausgeber:
Oberste Baubehörde im Bayerischen
Staatsministerium des Inneren
Inhaltliche Bearbeitung
und Konzeption:
Dipl.-Ing. Gunter Maurer
Dipl.-Ing. Doris Schmid-Hammer
Dipl.-Ing. Maxi Bötsch
Dipl.-Ing. Albert Dischinger
Gestaltung:
Katrin Broszat
Daniela Hambauer
Mai 2006
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