Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine tiefe

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Übersicht
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Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine
tiefe Hirnstimulation bei Morbus Parkinson?
When is the Optimal Time Point for Deep Brain Stimulation
in Parkinson’s Disease
Autoren
J. Volkmann1, A. Ceballos−Baumann2
Institute
1
Schlüsselwörter
" Parkinson
l
" tiefe Hirnstimulation
l
" Tremor
l
Key words
" Parkinson’s disease
l
" deep brain stimulation
l
" tremor
l
Bibliografie
DOI 10.1055/s−0028−1090180
Akt Neurol 2009; 36,
Supplement 1: S7±S11
Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart ´ New York ´
ISSN 1437−2754
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Jens Volkmann
Neurologische Klinik, Univer−
sitätklinikum Schleswig−
Holstein, Campus Kiel
Arnold−Heller−Str. 3, Haus 41
24105 Kiel
[email protected]−
kiel.de
Neurologische Klinik des Universitätsklinikums Schleswig−Holstein, Campus Kiel
Neurologisches Krankenhaus München
Zusammenfassung
Abstract
!
!
Die tiefe Hirnstimulation des Nucleus subthala−
micus wurde vor 15 Jahren in die Behandlung
der fortgeschrittenen Parkinson−Krankheit ein−
geführt. Seither ist ihre klinische Wirksamkeit in
zahlreichen Studien belegt worden und sie hat
einen festen Platz im Therapiealgorithmus des
Morbus Parkinson erobert. Die aktuellen Leitlini−
en der Deutschen Gesellschaft für Neurologie se−
hen eine Indikation für eine tiefe Hirnstimulation
bei schwerem Tremor, hypokinetischen Wirk−
fluktuationen oder Dyskinesien, wenn die Opti−
mierungsmöglichkeiten der oralen Medikation
erschöpft sind. Obgleich diese Definition für den
Patienten und den behandelnden Neurologen
einen sehr breiten Ermessensspielraum lässt,
welcher Schweregrad der Symptome eine Opera−
tionsindikation bedingt, und wieweit die medi−
kamentösen Optimierungsversuche getrieben
werden müssen, wird die Operation heute allge−
mein als ¹Ultima−Ratio“−Behandlung angesehen.
Entsprechend ist das mittlere Alter der Patienten
bei einer tiefen Hirnstimulation in den meisten
Zentren zwischen 55 und 65 Jahre und die Krank−
heitsdauer um die 15 Jahre. In diesem Artikel
werden wir verschiedene Faktoren diskutieren,
die einen Einfluss auf das Ergebnis einer subtha−
lamischen Neurostimulation haben. Das Alter
des Patienten und das Krankheitsstadium spielen
dabei neben einer eingehenden Prüfung der psy−
chosozialen Motivation für einen operativen Ein−
griff die entscheidende Rolle.
Deep brain stimulation (DBS) of the subthalamic
nucleus has gained a firm place in the treatment
algorithm of Parkinson’s disease (PD) after
having been introduced into the treatment of ad−
vanced PD 15 years ago. The clinical efficacy has
been proven in numerous studies. The current
treatment guidelines of the German Association
of Neurology suggest an indication for DBS in
cases of severe tremor, hypokinetic fluctuations
or dyskinesia, if oral medication can no longer
be optimised. Nevertheless, surgery is still re−
garded a ¹last resort treatment“, although this
definition leaves a broad scope of discretion for
the patient and the treating neurologist about
the severity of symptoms that justify surgery,
and the medication adjustments that should
have been tried. Currently, the average age of pa−
tients undergoing DBS is between 55 and 65
years and the disease duration is around 15 years
in most centres. In this article we will discuss se−
veral factors that have an impact on the outcome
after deep brain stimulation. The age of the pa−
tient, the stage of the disease and the psychosoci−
al motivation for surgery play a paramount role.
Wirksamkeit der tiefen Hirnstimula−
tion des Nucleus subthalamicus
die Ergebnisse der Nucleus−subthalamicus−Sti−
mulation in insgesamt 37 Kohorten mit einer Ge−
samtzahl von 921 Patienten berichten [1]. In al−
len Studien fand sich eine signifikante und kli−
nisch bedeutsame Reduktion der Off−Phasen−
Symptome und eine Verbesserung der Alltagsak−
tivitäten, die sich in einer mittleren Reduktion
!
In einem kürzlich erschienenen systematischen
Review der Movement Disorder Society konnten
insgesamt 34 Zeitschriftenartikel im Zeitraum
von 1993±2004 identifiziert werden, die über
Volkmann J, Ceballos−Baumann A. Wann ist der ¼ Akt Neurol 2009; 36, Supplement 1: S7±S11
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Übersicht
der Werte der Unified Parkinson’s Disease Rating Scale Teil II
(ADL) oder Teil III (motorische Symptome) von 50 bzw. 52 % zeig−
te. Die Medikation konnte postoperativ signifikant reduziert
werden, durchschnittlich um ca. 60 %. Dyskinesien und motori−
sche Fluktuationen wurden nahezu vollständig beseitigt. In 2 of−
fenen Langzeitstudien konnte gezeigt werden, dass diese Ergeb−
nisse bis zu 5 Jahre nach der Operation erhalten bleiben [2, 3].
Allerdings schreitet die Parkinson−Krankheit fort, wie sich an
einer langsamen Zunahme der levodoparesistenten Symptome
zeigte: Insbesondere die posturale Instabilität, Gangstörungen
und kognitive Störungen fielen hierunter.
Das Kompetenznetzwerk hat in einer groß angelegten randomi−
sierten Studie untersucht, ob die motorischen Symptombesse−
rungen durch die Operation die möglichen Risiken überwiegen
und zu der beabsichtigten Verbesserung der Lebensqualität der
chronisch Kranken führen. In der Tat konnte nachgewiesen wer−
den, dass die Lebensqualität der operierten Parkinson−Patienten
nach 6 Monaten um rund 25 % (gemessen mithilfe der PDQ−
39−Skala) besser war, als die von konservativ behandelten Pa−
tienten [8]. In dieser Studie zeigte sich auch, dass im konservativ
behandelten Arm Nebenwirkungen wie etwa Stürze, Psychosen
oder andere wohlbekannte Folgen der fortgeschrittenen Parkin−
son−Krankheit, häufiger waren als üblicherweise angenommen.
Risiken
!
Auswahlkriterien
Die STN−Stimulation stellt ein elektives neurochirurgisches Ver−
fahren zur Behandlung einer nicht lebensbedrohlichen oder das
Leben verkürzenden Erkrankung wie dem Morbus Parkinson
dar. Daher müssen die Nebenwirkungen dieser Therapie in be−
sonderer Weise gewürdigt werden: Die Mortalität ist insgesamt
als niedrig anzusehen und scheint deutlich unter 0,5 % zu liegen
[1, 4]. Die Häufigkeit intrakranieller Blutungen liegt in einem Be−
reich zwischen 2 und 3,5 %, wobei der Anteil der Hämorrhagien,
die zu permanenten neurologischen Defiziten führt, wesentlich
geringer zu sein scheint. Die Rate von Infektionen des implan−
tierten Systems liegt je nach Studie bzw. Metaanalyse zwischen
0,4 und 1,6 %. In seltenen Fällen sind diese Infektionen so ausge−
prägt, dass eine systemische antibiotische Therapie bzw. eine lo−
kale Revisionsoperation nicht mehr ausreichend sind und das
gesamte implantierte System einschließlich der Stimulations−
elektroden wieder entfernt werden muss.
Stimulationsinduzierte Nebenwirkungen, welche meist durch
eine Diffusion des elektrischen Feldes in benachbarte anatomi−
sche Strukturen zustande kommt, finden sich in der Anpas−
sungsphase häufiger. Diese Nebenwirkungen umfassen Sprech−
störungen, Parästhesien oder Doppelbilder, die jedoch durch An−
passung der Stimulationsparameter vollständig beherrscht wer−
den können, wenn die Elektroden korrekt positioniert sind. Bei
nahezu allen Patienten kann man innerhalb der ersten 6 Monate
unter der STN−Stimulation eine Gewichtszunahme von ca. 10 kg
beobachten. Die Ursache dieses Phänomens ist noch nicht voll−
ständig geklärt, einige Studien haben jedoch eine signifikante
Abnahme des Kalorienverbrauches durch die STN−Stimulation
nachgewiesen [5].
Im Review der Movement Disorder Society [1] wurde besonders
auf neuropsychiatrische Veränderungen hingewiesen, die eines
der häufigsten Probleme im postoperativen Verlauf darstellten:
Hierzu gehören depressive Episoden, Antriebsstörungen ohne
Affektstörung (Apathie), manische Episoden und vereinzelt
auch Suizidalität. Die Ursachen dieser meist transienten Störun−
gen in den ersten Monaten nach der Operation sind derzeit Ge−
genstand intensiver Forschung. Während die Aphathie und De−
pression eher auf eine dopaminerge Unterstimulation aufgrund
der deutlichen Medikamentenreduktion hinweisen, ist die Ma−
nie möglicherweise durch eine direkte Stimulationswirkung auf
die limbischen Anteile des Nucleus subthalamicus zurückzufüh−
ren [6]. Eine psychiatrische Vorgeschichte prädisponiert für das
postoperative Auftreten psychischer Auffälligkeiten [7]. Anpas−
sungsstörungen aufgrund der massiven Veränderungen der mo−
torischen Fertigkeiten aber auch aufgrund von Enttäuschungen
bei überzogenen Erwartungen spielen möglicherweise ebenfalls
eine Rolle.
!
Nur Patienten mit einem idiopathischen Parkinson−Syndrom
profitieren von einer tiefen Hirnstimulation. Bei Patienten mit
einem atypischen Parkinson−Syndrom wie etwa einer Multisys−
tematrophie ist der Benefit dieses invasiven Verfahrens äußerst
begrenzt und nur vorübergehender Natur [9]. Ein wichtiges Kri−
terium für das Vorliegen eines idiopathischen Parkinsonsyn−
droms ist ein erhaltenes Ansprechen auf Levodopa, welches im
Rahmen eines formalisierten Testes nachgewiesen werden soll−
te. Grundsätzlich sagt der bestmögliche On−Zustand nach Gabe
einer überschwelligen Levodopa−Dosis (Levodopa−Test), den
motorischen Zustand voraus, der bestenfalls durch die Neurosti−
mulation des Nucleus subthalamicus erzielt werden kann. Als
untere Grenze für ein erhaltendes Ansprechen auf Levodopa gilt
eine Verbesserung des motorischen Teils (Teil III) des Unified
Parkinson’s Disease Rating Scale (UPDRS) um 30 %. Es mag im
Einzelfall die Entscheidung für eine tiefe Hirnstimulation nega−
tiv beeinflussen, wenn aufgrund des Levodopa−Tests die Erfolg−
aussichten einer tiefen Hirnstimulation für besonders behin−
dernde Symptome wie Gang− oder Sprechstörungen als gering
eingestuft werden müssen.
Zwei wichtige Situationen müssen bei der Beurteilung der Levo−
dopa−Antwort im Rahmen der präoperativen Evaluierung geson−
dert beachtet werden: 1. Der hochamplitudige Ruhetremor
spricht oftmals nur in geringem Grad auf Levodopa an, selbst
wenn hohe Einzeldosen gegeben werden. Dennoch führt die tie−
fe Hirnstimulation zu einer nahezu vollständigen Tremorsup−
pression [10], selbst wenn der präoperative Dopatest kein An−
sprechen gezeigt hat. 2. Nach Applikation einer überschwelligen
Levodopadosis kann es zum Auftreten von Dyskinesien kom−
men, welche eine gravierende Beeinträchtigung der Qualität
des On−Zustandes nach sich führen. Da unter einer tiefen Hirn−
stimulation mit einer deutlichen Reduktion sämtlicher Dyskine−
sieformen zu rechnen ist, sollten selbst schwere Dyskinesien die
Beurteilung eines ON− Zustandes nicht negativ beeinflussen.
Entscheidend bei der Beurteilung ist ausschließlich die Reduk−
tion der typischen Off−Phasen−Symptome unter Levodopa.
Allgemeine Kontraindikationen umfassen eine schwere Hirn−
atrophie im MRT, eine hämodynamisch relevante, operativ oder
interventionell nicht behandelbare zerebrale Makroangiopathie
sowie schwere internistische Allgemeinerkrankungen. Neuro−
psychologische oder psychiatrische Ausschlusskriterien für eine
tiefe Hirnstimulation sind eine Demenz (z. B. weniger als 130
Punkte im Mattis−Demenz−Score oder weniger als 26 Punkte im
Mini−Mental−Score), eine schwere frontale Funktionsstörung
mit ausgeprägter Antriebsstörung, akute Psychosen, schwere
therapierefraktäre Depression oder andere psychiatrische Stö−
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rungen, welche die Mitarbeit bei der Operation und die postope−
rative Anpassung beeinträchtigen können.
Rolle des Alters
!
Bereits in einer ersten Untersuchung der prädiktiven Faktoren
des Operationserfolges anhand des Patientenkollektives aus
Grenoble wurde das Alter der Patienten neben der Levodopa−
Antwort als entscheidender Faktor identifiziert [11]. Ein jünge−
res Alter war ein unabhängiger Prädiktor für ein gutes postope−
ratives Ergebnis. Gleichwohl können auch ältere Patienten von
einer tiefen Hirnstimulation des Nucleus subthalamicus profi−
tieren, wenn sie die übrigen Auswahlkriterien für den Eingriff er−
füllen. Allerdings zeigte eine Studie von Russman und Kollegen
[12], dass insbesondere die axialen Symptome der Parkinson−
Krankheit wie die Gang− und Haltungsstörung bei Patienten jen−
seits des 70. Lebensjahres postoperativ nicht mehr das Niveau
des präoperativen On−Zustandes erreichen. Mit anderen Worten
haben diese Patienten ein besonderes Risiko nach der Operation
zu stürzen und Einschränkungen der Mobilität zu behalten. In 2
unabhängigen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden,
dass aufgrund dieses Umstandes die Verbesserung der Lebens−
qualität bei älteren Patienten im Vergleich zu jüngeren Operier−
ten geringer ist oder gar fehlt [13,14]. Darüber hinaus gibt es
Hinweise, dass bei Patienten, die zum Zeitpunkt der Operation
70 Jahre und älter sind, das Risiko kognitiver Veränderungen im
Sinne eines klinisch relevanten frontalen dysexekutiven Syn−
droms steigt [15].
Rolle der Krankheitsdauer
In den meisten bisher veröffentlichten Studien wurden die Par−
kinson−Patienten erst in einem späten Stadium der Erkrankung
mit einer STN−Stimulation behandelt. Das durchschnittliche Al−
ter der Patienten lag bei ca. 60 Jahren, die Erkrankungsdauer
zum Zeitpunkt der Operation bei ca. 14 Jahren [1,16]. Der Grund
für die relativ späte Behandlung der Patienten durch eine tiefe
Hirnstimulation besteht in dem noch vorherrschenden Konsens,
dass die tiefe Hirnstimulation erst dann eingesetzt werden soll,
wenn den Patienten durch eine weitere Optimierung der medi−
kamentösen Therapie nicht mehr geholfen werden kann.
Dies bedeutet, dass die Stimulationstherapie erst zu einem Zeit−
punkt begonnen wird, an dem viele Patienten aufgrund der
krankheitsimmanenten Komplikationen bereits ins berufliche
und soziale Abseits gerutscht sind. In einer kürzlich veröffent−
lichten britischen Studie [17] wurde gezeigt, dass die durch−
schnittliche Dauer zwischen der Diagnosestellung und der Been−
digung der Berufstätigkeit aufgrund von Berentung oder Ar−
beitsplatzverlust bei Parkinson−Patienten 4,9 Jahre beträgt. Pa−
tienten unter 45 Jahren arbeiten nach Diagnosestellung noch
etwa 6±7 Jahre, ältere Patienten jenseits des 55. Lebensjahres
nur noch 1,7 Jahre. Es ist anzunehmen, dass die Ergebnisse dieser
britischen Studie auch auf andere europäische Länder übertra−
gen werden können. Parallel zum beruflichen Rückzug entwi−
ckeln viele Patienten soziale Anpassungsstörungen etwa in
Form einer Verarmung an sozialen Beziehungen mit der Folge
zunehmender Isolation, Verlust der Selbstständigkeit und
Schwierigkeiten bei sozialen Interaktionen [18].
Neben den psychosozialen Folgen der Parkinson−Krankheit,
steigt mit zunehmender Krankheitsdauer auch das Risiko von le−
vodoparesistenten Symptomen. Insbesondere die Entwicklung
einer Demenz würde eine Kontraindikation für eine tiefe Hirn−
stimulation darstellen oder den Therapieerfolg einer bereits
durchgeführten Operation bei nachträglicher Entwicklung limi−
tieren. Ist das Auftreten dieser Endstadien der Parkinson−Krank−
heit an die Erkrankungsdauer geknüpft und gibt es daher ein
¹günstiges Zeitfenster“ für die Operation? Das neuropathologi−
sche Modell von Braak geht von einer linearen Ausbreitung der
Lewy−Körperchen−Pathologie aus, die letztlich den Kortex befällt
und dabei eine Demenz verursacht [19]. Eine kürzlich veröffent−
lichte, sehr interessante Studie der London Brainbank wider−
spricht dieser Vorstellung [20]. In einer retrospektiven Analyse
der Krankheitsgeschichte verstorbener Parkinson−Patienten
wurde festgestellt, dass zwar das Auftreten von motorischen
Fluktuationen und Dyskinesien mit der Erkrankungsdauer kor−
relierte, dass aber Meilensteine wie das Auftreten einer Demenz,
häufiger Stürze und die Pflegeheimeinweisung etwa um das 70.
Lebensjahr und damit ca. 5 Jahre vor dem Tod der Patienten auf−
traten. Mit anderen Worten, stellt das Altern möglicherweise ei−
nen unabhängigen Faktor der Krankheitsentwicklung dar, der
die Entstehung der Demenz und anderer nichtdopaminerger
Symptome begünstigt. Dieses Konzept würde bedeuten, dass
jüngere Patienten mit der Parkinson−Krankheit ein besonders
langes Zeitfenster aufweisen, in dem sie von motorischen Wirk−
fluktuationen motorisch eingeschränkt und psychosozial behin−
dert sind und besonders günstige Voraussetzungen für die
Durchführung einer tiefen Hirnstimulation hätten.
Alternativen zur tiefen Hirnstimulation?
Nach den derzeitigen Richtlinien sollten die konservativen Be−
handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein, bevor eine tiefe
Hirnstimulation in Betracht gezogen wird. Bei schwerem Tremor
versteht man in aller Regel hierunter, dass eine ausreichend
hoch dosierte Behandlung mit mindestens einem Dopaminago−
nisten und Levodopa und ggf. die Gabe eines Anticholinergi−
kums und / oder von Clozapin erfolgt sein sollte. Bei Wirkfluk−
tuationen sollte eine Kombinationsbehandlung von Dopamin−
agonisten mit Levodopa in ausreichender Dosierung und Frak−
tionierung sowie die zusätzliche Gabe eines COMT−Hemmers
keine ausreichende Linderung gebracht haben. Die zusätzliche
Gabe von Amantadin bei Dyskinesien, die Kombination von Do−
paminagonisten und die Hochdosisdopaminagonistentherapie
sind Behandlungsoptionen bei ausgewählten Patienten, die
aber nach Expertenkonsens nicht für die Indikationsstellung
zur Operation gefordert werden.
Grundsätzlich können auch Pumpentherapien eine Alternative
zur tiefen Hirnstimulation darstellen. Bei diesen Verfahren wird
eine kontinuierliche dopaminerge Stimulation dadurch erreicht,
dass mithilfe einer Medikamentenpumpe entweder der Dopa−
minagonist Apomorphin subkutan oder ein Levodopa / Carbido−
pa Gel (Duodopa) intestinal verabreicht wird. Zu beiden Ver−
fahren liegen eine Reihe offener Studien vor, welche die grund−
sätzliche Wirksamkeit mit Zunahme der On−Zeiten und Reduk−
tion von Dyskinesien belegen [21]. Kontrollierte oder gar ver−
blindete Studien fehlen oder werden erst durchgeführt, sodass
das Evidenzniveau aktuell niedriger ist als bei der tiefen Hirnsti−
mulation. Während Apomorphin neben den klassischen Neben−
wirkungen der Dopaminagonisten (Psychoserisiko, Impulskon−
trollstörungen, Nausea) vor allem lokale Probleme an der Injek−
tionsstelle mit Knötchenbildungen und Hautnekrosen verursa−
chen kann, liegen die Schwierigkeiten der intestinalen Levo−
dopa−Infusion vor allem in technischen Problemen mit der jeju−
nalen Ernährungssonde und dem pflegerischen Aufwand. Das
Psychoserisiko ist eher gering, weil Levodopa bei diesem Verfah−
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Übersicht
Übersicht
ren als Monotherapie gegeben wird und ein deutlich niedrigeres
Psychosrisiko hat als die in diesen Krankheitsstadien sonst übli−
che Polypharmazie. Für die intestinale Levodopainfusion legen
erste Daten nahe, dass bei ausgewählten Patienten mit hypoki−
netischen Fluktuationen Lebensqualitätsverbesserungen erzielt
werden können, die der tiefen Hirnstimulation vergleichbar
sind. Bei schweren Dyskinesien und bei therapierefraktärem
Tremor hingegen ist dieses Verfahren weniger geeignet.
Da vergleichende Untersuchungen zum Stellenwert der tiefen
Hirnstimulation und den Pumpentherapien fehlen, klären wir
geeignete Patienten in der Regel über alle 3 Therapiealternativen
auf und versuchen dem Patientenwunsch Rechnung zu tragen.
Hierbei zeigt sich allerdings, dass gerade bei jungen Patienten
mit einem aktiven Lebensstil Vorbehalte gegenüber den Pum−
penverfahren aufgrund der kosmetischen Aspekte und des pfle−
gerischen Aufwands bestehen. Bei anderen Patienten überwiegt
die Angst vor möglichen Komplikationen einer tiefen Hirnstimu−
lation, sodass sie eher einem Pumpenverfahren zuneigen oder
die Einschränkungen aufgrund der Fluktuationen weiterhin to−
lerieren wollen. Diese sehr persönlichen Gründe für oder gegen
ein Behandlungsverfahren werden auch in Zukunft eine ausführ−
liche Beratung durch einen erfahrenen Neurologen und eine in−
dividualisierte Therapie erfordern und schlecht in klinischen
Studien abgebildet werden können.
Tiefe Hirnstimulation zu spät?
Tatsächlich ergibt sich in ersten Studien der Verdacht, dass viele
Parkinson−Patienten trotz exzellenter motorischer Verbesserung
durch die Stimulation nicht mehr ausreichend rehabilitiert und
in ein normales Leben eingegliedert werden können. In einer
französischen Studie an 29 Patienten nach STN−Stimulation
[22] zeigte sich, dass die Patienten trotz Verbesserung der Moto−
rik weiterhin eine ausgeprägte soziale Anpassungsstörung hat−
ten. Der Verlust des Berufes, der sozialen Netzwerke, der Aufga−
ben innerhalb der Gesellschaft, die sich über Jahre entwickelt
hatten, waren nicht durch eine Besserung der Motorik in kurzer
Zeit reversibel. In der Social Adjustment Scale (SAS) wurde bei
34 % aller Patienten keine Veränderung und bei 38 % eine Ver−
schlechterung sozialer Funktionen nachgewiesen. 48 % der
Patienten beklagten beim Rückblick auf ihr bisheriges Leben
eine allgemeine Hilflosigkeit, die sich auch unter der STN−Stimu−
lation nicht verbessert habe. In einigen Fällen kann dies zu dem
Phänomen führen, dass der Arzt mit dem OP−Ergebnis in Anbe−
tracht der objektiven Verbesserung der Motorik zufrieden ist,
der Patient aber aufgrund der weiterhin ausgeprägten sozialen
Behinderung unter Umständen jedoch nicht (¹The doctor is hap−
py, the patient less so“) [23]. Jedoch war nicht nur unter den Pa−
tienten die Unzufriedenheit relativ groß, auch 58 % der Angehö−
rigen in der französischen Studie zeigten sich von dem postope−
rativen Ergebnis enttäuscht. Bei 33 % aller Ehepartner kam es
postoperativ zu Depressionen, 12 % der bereits gefährdeten
Ehen wurden nach der Operation geschieden.
Es ergibt sich daher die Frage, ob der Einsatz der symptomatisch
hocheffektiven STN−Stimulation bei jüngeren Patienten das Auf−
treten schwerwiegender motorischer Komplikationen verhin−
dern kann und dadurch der signifikante psychosoziale Abstieg
abgewendet oder verlangsamt wird.
Dieser Frage geht derzeit die multizentrische deutsch−französi−
sche EARLYSTIM−Studie nach, welche in randomisierter Weise
den Effekt der STN−Stimulation mit einer ausschließlich medika−
mentösen Therapie über einen Zeitraum von 2 Jahren vergleicht.
Ein besonderes Augenmerk dieser Studie liegt neben der Verbes−
serung von Lebensqualität und motorischer Symptome auf der
sozialen Verbesserung von Parkinson−Patienten. Wenn sich in
dieser Studie zeigt, dass die Behinderung (d. h. die motorischen
Funktionsstörungen aber auch die Einschränkungen der sozialen
Partizipation) bereits am Ende der sogenannten ¹Levodopa−Ho−
neymoon“−Periode beim Auftreten erster Wirkfluktuationen
besser durch eine tiefe Hirnstimulation als durch weitere Anpas−
sungen der Medikation gelindert werden kann, dann würde sich
eine neue Indikation für die tiefe Hirnstimulation eröffnen. Da es
sich bei der tiefen Hirnstimulation des Nucleus subthalamicus
um eine rein symptomatische Therapie handelt, die nach allen
bisherigen Erkenntnissen nicht krankheitsmodifizierend oder
gar neuroprotektiv wirkt, wären aber mindestens leichte Wirk−
fluktuationen oder ein nicht ausreichend behandelbarer Tremor
weiterhin als Behandlungsindikation gefordert. Eine Operation
von Patienten, die zuvor keine oder eine nicht ausreichende do−
paminerge Substitutionstherapie erhalten haben, ist aktuell un−
denkbar.
Zusammenfassung
!
Der Zeitpunkt für eine tiefe Hirnstimulation wird heute häufig
zu spät im Krankheitsverlauf gewählt. Bei älteren Patienten (jen−
seits des 70. Lebensjahres) steigt das Risiko und sinkt der zu er−
wartende Nutzen der Operation. In den weit fortgeschrittenen
Krankheitsphasen limitieren außerdem doparesistente motori−
sche Symptome wie die Dysarthrie oder die Gang− und Gleichge−
wichtsstörungen und nichtmotorische Probleme wie die De−
menz, den Therapieerfolg. Das günstigste Nutzen / Risiko−Ver−
hältnis ist bei jüngeren Patienten zu erreichen. Die Operations−
indikation sollte bei diesen Patienten nicht allein am Schwere−
grad der Wirkfluktuationen und Dyskinesien oder des Tremors
festgemacht werden, sondern die Behinderung im Alltag und
die Einschränkung der sozialen Funktionen berücksichtigen, die
durch die Therapie verbessert werden sollen.
Interessenkonflikte
A. Ceballos−Baumann hat Honorare für die Planung, Ausführung
oder Teilnahme an Klinischen Studien, Teilnahme an Advisory
Boards oder Vorträge erhalten von: Allergan, Bayer Vital / Sche−
ring, Bristol−Myers−Squibb, Boehringer Ingelheim, Cephalon, De−
sitin, Elan, GlaxoSmithKline, Ipsen, Hoffmann−La Roche, Lilly,
Lundbeck, Merz, Medtronic, Novartis, Pfizer, Orion, Sanofi−Aven−
tis, Teva, UCB−Schwarz−Pharma, Valeant.
J. Volkmann ist Berater der Firma Medtronic und hat Vorträge
für die Firma Solvay gehalten.
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