Rein in den Korb und in die Höh`, unten Täler und

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Immer auf der richtigen Linie:
Mit Karte und Funk navigiert
Pilot Charles Kunow den Ballon
über die Alpen. Ab 4500 Meter
Höhe hilft auch stern-Mitarbeiter
Mathias Rittgerott (rechts) eine
Sauerstoffmaske beim Atmen
Start auf dem Flughafen Innsbruck. Bis zu
7000 Kubikmeter warme Luft fasst der Ballon
Von MATHIAS RITTGEROTT
und SEBASTIAN LASSE (Fotos)
E
ALPEN
Aufgeblasen
übern Berg
Rein in den Korb und in die Höh’, unten Täler und Gipfel.
Eine BALLONFAHRT von Österreich nach Italien ist Abenteuer
und großer Spaß zugleich – soweit man das bei minus
20 Grad sagen kann
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igentlich wäre jetzt Panik angesagt.
Direkt vor uns geht es Hunderte Meter in die Tiefe. Hinter uns auch. Und
das ist erst der Anfang. Wir steigen höher
und höher, durchbrechen die Wolkendecke. Die Luft wird eisig kalt. Minus 20
Grad. Ein starker Nordwind treibt uns
dem Alpenhauptkamm entgegen. Erst bei
5840 Metern wird unser Aufstieg enden.
„Gewaltig“, schwärmt Bernd Hötzel.
„Einmalig“, flüstert Carmen Hümmer, seine Lebensgefährtin. Beide sind glücklich,
weil ihr Traum in Erfüllung geht, für den
jeder 950 Euro bezahlt hat: eine Alpenüberquerung im Heißluftballon. Und die
wollen jetzt alle Teilnehmer schweigend genießen. Pilot Charles Kunow, ein etwas bäriger Typ mit blauen Augen, schwarzen
Brauen und einer Silbermähne, spricht wie
seine fünf Passagiere kaum ein Wort.
Die sehen unzählige verschneite Alpengipfel. Wattegleich liegen die Wolken in
den Tälern. Ein Panorama von 360 Grad.
Vergessen alle Bedenken, die Kälte, die
kurze Nacht. Wir sind schlicht hingerissen. Kein Vergleich zum Tunnelblick aus
dem Flugzeugbullauge. Kein Motorenlärm, der die Stille durchbricht. Nur wenn
Charles den Arm hebt und am Brenner
Gas gibt, hört man ein Fauchen, als folgte
uns ein wütender Drache. Er rückt die fellgefütterte Ohrenmütze zurecht und sagt:
„Das ist ein tiefes, stilles Erlebnis.“
WIR STEHEN SCHULTER AN SCHULTER
im Korb, dazu elf Stahlflaschen mit Propangas und zwei mit Sauerstoff. Das Gefährt ist aus Weiden geflochten, der Rand
mit Kunststoff überzogen, der Boden aus
Holz. Als die Digitalziffern auf dem Höhenmesser 4668 Meter anzeigen, stülpt ➔
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Vorbereitung zur
Fahrt: Helfer
halten die Hülle
des Ballons
bereit (rechts).
Nach dem
Abheben steht
Pilot Kunow
in ständigem
Kontakt mit den
Fluglotsen im
Tower, um die endgültige Freigabe
zum Steigen zu
bekommen
Für 950 Euro in die Luft
Carmen Hümmer und Bernd Hötzel
aus Bamberg sind glücklich.
„Gewaltig, einmalig“, schwärmen sie,
als der Ballon über Innsbruck schwebt
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unser Fotograf als Erster die Sauerstoffmaske über Mund und Nase – die schwere Kameratasche auf der Schulter und die
dünne Luft machen das Arbeiten ohne offensichtlich mühsam. Auch die Passagiere,
die nichts zu tun haben, spüren die Luftveränderung: Es schleicht sich Kopfweh
an, die Knie werden weich. Doch wenige
tiefe Atemzüge aus der Flasche genügen,
und die Beschwerden sind weg.
4800 Meter: „Keine Angst“, quäkt
Charles unter seiner Maske, „für die Höhenkrankheit ist die Reise zu kurz.“ Dass
schon mal ein Kameramann bei einem
ähnlichen Höhenflug in Ohnmacht gefallen ist, erfahren wir erst nach der Landung. Fast wie im Lift steigen wir weiter.
Noch um mehr als einen Kilometer bis auf
5840 Meter. Zum Vergleich: Der höchste
Berg der Alpen, der Mont Blanc, misst
4807 Meter. Charles würde am liebsten
auf 6300 rauf, doch das verbietet heute die
Luftraumüberwachung in Innsbruck.
Wir fühlen uns wie Extrembergsteiger,
die Achttausender bezwingen. Angst, mit
einem Flugzeug zusammenzustoßen oder
aus dem Korb zu fallen? Habe ich nicht
wirklich. Obwohl es gelogen wäre zu sagen, dass man nicht an so was denkt. Doch
die Ansätze von Muffensausen verflüchtigen sich schnell. Nicht unerheblichen Anteil daran hat Charles’ souveräne Art.
Schließlich ist der 49-Jährige ein Routinier. 22 Alpenüberquerungen sind bereits
in seinem Logbuch verzeichnet, 1300
Fahrten insgesamt. Hauptberuflich leitet
er ein Hotel am Chiemsee, aber neben den
Alpentouren organisiert er auch Landrover- wie Ballonreisen in die Sahara.
DER WIND SCHIEBT UNS mit 63 Stundenkilometern nach Süden. Links muss irgendwo der Großglockner sein, 3797 Meter hoch und Österreichs mächtigste Erhebung, rechts die Wildspitze, fast ebenso
mächtig. Alfred Bernhart, Kfz-Meister aus
Nürnberg, teilt Wurst- und Käsebrote aus,
eine Teetasse macht die Runde. Die Dolomiten liegen jetzt unter uns, die berühmten Drei Zinnen sind deutlich zu sehen.
Die Marmolata. Und das Skifahrer-Paradies Cortina d’Ampezzo entdeckt Charles
beim Blick nach Osten.
Da die Thermik in der kalten Jahreszeit
genauer zu berechnen ist als im Sommer,
wagen es Ballonpiloten nur zwischen November und März, die Alpen zu queren.
Im vergangenen Winter gab es für Charles
nicht einen Tag, der diese Bedingungen erfüllte. In dieser Saison dagegen ist er schon
dreimal aufgestiegen.
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Die Ballonfahrer haben einen guten Tag
erwischt. Die Sicht ist grandios.
Zwischen Wolkenfetzen sind aus dem
Korb die verschneiten Täler zu erkennen
Eisige Kälte
– doch das
Wurstbrot
schmeckt
Für unsere Fahrt hatte die Sekretärin
von „Jonathan Ballooning“ aus Chieming
in Oberbayern die Warteliste abtelefoniert: „Morgen früh um sieben fahren wir
nach Innsbruck. Sind Sie dabei?“
Ein Anruf, auf den Alfred Bernhart
zweieinhalb Jahre gewartet hatte. So lange stand er auf der Liste. „Ein Freund
kümmert sich um die Autowerkstatt,
während ich weg bin“, erzählt er. In Bamberg haben sich Carmen und Bernd, die
schon in Nepal am Everest waren und
den Kilimandscharo erklommen haben,
auf den Weg gemacht. Er ist bereits in
Rente, sie arbeitet derzeit nicht. Seit eineinhalb Jahren träumen sie von der Alpenroute.
START IN INNSBRUCK. Charles hat den
Fluglotsen gemeldet, dass wir mit dem
Ballon nach Italien fahren. Unbürokratisch, und mehr ist nicht nötig. Neben
zwei Linienjets haben wir auf dem Flughafen den Ballon für das Abenteuer vorbereitet, die Gasflaschen hineingehievt und
festgezurrt. Schließlich hebt sich der Ballon um zwanzig vor zehn sanft in den
Himmel. Wenige Minuten später durchstoßen wir die Wolkendecke.
Nach zwei Stunden hoch droben schützen auch drei Paar dicke Stricksocken nicht
mehr gegen die Kälte an den Zehen. Bernd
trippelt von einem Fuß auf den anderen,
was den Korb sanft wackeln lässt, als hüpfte
jemand in einem fahrenden Aufzug. Oberhalb der Füße trotzen meine zwei Jacken
und Wollpullover den eisigen 20 Grad minus, dazu die lange Unterhose, Jeans und
Skihose, Handschuhe und Mütze. Den Wind,
der uns treibt, spüren wir nicht, weil der Ballon das gleiche Tempo hat. Die Sonne wärmt
sogar Hände und Gesicht. Wir ziehen die
Handschuhe aus, setzen die Mützen ab.
Als wir den Alpenhauptkamm überquert haben und auf 3522 Meter Höhe
gesunken sind, muss der Pilot mal. Er
zückt die weiße Urinflasche, wendet uns
den Rücken zu – und kippt nach vollendeter Tat den Inhalt über Bord. „Die da unten werden sich wundern, dass es warm
regnet“, sagt er und fügt grinsend hinzu:
„Keine Sorge, das Zeug friert unterwegs zu
Eis.“ Für Frauen gibt’s drei Möglichkeiten:
Sie legen sich vor dem Start eine große
Pampers an, es wird eine Flasche mit größerer Öffnung mitgenommen oder der
Korbboden muss herhalten, wo das Bächlein dann gefriert.
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GUT ZU WISSEN
Tipps für Überflieger
REISEZEIT
Alpenüberquerungen sind wegen der
gefahrloseren Thermik nur im Winter
(von November bis Ende März) möglich.
Bei der richtigen Wetterlage werden alle
Interessenten informiert, die sich auf
der Warteliste eines Anbieters eingetragen
haben. Sie müssen abrufbereit sein,
denn dann sind es höchstens noch
40 Stunden bis zum Start.
Eine Alpenüberquerung dauert drei bis
sechs Stunden. Zuweilen landen die
Ballone erst kurz vor Venedig oder Verona.
Interessenten sollten sich gesundheitlich
fit fühlen, im Zweifel beim Arzt durchchecken lassen. Wichtig ist für die Fahrt
warme Kleidung, vor allem die Füße
müssen gut verpackt sein. Ohne Weiteres
können in über 5000 Meter Höhe
Temperaturen bis minus 20 Grad
herrschen.
ANBIETER
Einige Ballonunternehmen führen diese
Fahrten durch. Renommiert sind:
Jonathan Ballooning
Max-Kurz-Straße 3 in 83339 Chieming,
Telefon: 08664/92 76 13,
Internet: www.Jonathan-Ballooning.de,
E-Mail: [email protected].
Eine Alpenüberquerung kostet inklusive
einer Übernachtung in Italien und Rücktransport 950 Euro pro Person. Kürzere
Fahrten im Chiemgau von mindestens
einer Stunde und 15 Minuten sind
ab 149 Euro zu haben.
Pioneer Travel-Ballonfahrten
Isinger Straße 13 in 83339 Stöttham,
Telefon: 08664/463,
Internet: www.alpenueberquerung.de,
E-Mail: [email protected]
Alpenüberquerungen kosten 1070 Euro
pro Person. Es sind aber auch zweistündige Alpenfahrten ab 200 Euro und Fahrten im Chiemgau ab 150 Euro im Angebot. Pioneer Travel verlangt ein ärztliches
Attest vom Passagier.
Blue Planet Ballooning
Ritter-Hilprand-Straße 8 in 82024
Taufkirchen, Telefon: 089/614 73 17,
Internet: www.blueplanet-ballooning.de,
E-Mail: [email protected].
Für eine Alpenüberquerung muss man
990 Euro pro Person zahlen, für kürzere
Fahrten ab 155 Euro.
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Charles schaut auf sein GPS-Gerät, ein
Navigationssystem, das per Satellit unsere
Position errechnet. Dann lehnt er sich vor
und spuckt ins Tal. „Mal schauen, was der
Wind dort unten macht“, sagt er. „Alles in
Ordnung. Scheint ruhig zu sein.“ Windrichtung und Windstärke im Blick zu
haben ist bei Ballonfahrten in den Alpen
lebenswichtig. Notlandungen können in
engen Tälern zu Katastrophen führen.
Jetzt sind die Controller in Padua, Italien, für uns zuständig. „Wo werden sie
landen?“, fragt eine Frauenstimme aus
dem Funkgerät. „Irgendwo Richtung Verona“, sagt Charles. Das ist der Fluglotsin
nicht exakt genug, bis ihr Charles erklärt
hat, dass sich ein Ballon nicht lenken
lässt.
Aus Verona wird nichts. Über Norditalien liegen zwei Wolkenschichten. Die
Adria ist nicht zu sehen. „Das gefällt mir
nicht“, sagt Charles. Leichte Unruhe
macht sich breit, der Angsthase meldet
sich. Still natürlich, keiner sagt, was ihn
beschäftigt. Doch jeder weiß: Die Landung mit einem Ballon ist eine kitzlige
Sache. Was, wenn wir in einer Hochspannungsleitung zappeln oder der Korb kippt
und wir rauspurzeln?
Charles bleibt cool. Natürlich weiß er,
was in unseren Köpfen rumspukt. Dann
der erlösende Satz: „Das weite Tal da vorne sieht schön aus!“ Wir gehen runter.
DEUTSCHLAND
Wien
ÖSTERREICH
Innsbruck
ITALIEN
DEUTSCHLAND
Innsbruck
ÖSTERREICH
ITALIEN
Bozen
Flugdauer:
3 Stunden 29 Minuten
Länge: 154,7 Kilometer
Abflug: Innsbruck
Ankunft: Lamont
Höchste Höhe: 5840 Meter
Temperatur: -20 Grad
Geschwindigkeit: 63 km/h
Lamont
50 km
infografik
Es ist 14 Uhr
12, drei Stunden
und 29 Minuten
waren wir unterwegs, haben 154,7
Kilometer zurückgelegt. Aus den
Häusern laufen
Männer, Frauen
und Kinder zusammen. Ein alter
Kurz vor der Landung in Lamont bei Venedig. Charles
Passagiertaufe nach erfolgreichem Trip. Eine Haarsträhne
Venezianer mit
schwarzer Mütze
Kunow manövriert den Ballon zu einem Schneeacker
wird angezündet und mit Schampus gelöscht
und grüner Jacke
kommt mit Gläsern und zwei
Flaschen Selbstgebranntem. Wir radebrechen in ItaHunde haben den Ballon als Erste be- schneite Wiese direkt am Rande eines lienisch. Die Leute sind verdutzt über das,
merkt. Sie bellen um die Wette. Charles Dorfes. Wir halten uns mit den Händen in was vom Himmel in ihr Dorf kam. Wohl,
lässt die riesige Kugel gekonnt dicht über Schlaufen fest, sind in die Knie gegangen weil wir nicht auf einem Flugplatz aufgeWohnhäuser treiben, knapp über Fern- und federn den Hopser ab, mit dem der setzt haben, fragt eine Dorfbewohnerin:
sehantennen und Stromleitungen hinweg. Korb auf dem Boden aufsetzt. Das Dorf „War das eine Notlandung?“ Nun ist
Ein letztes Mal gibt er kurz Gas, um uns heißt Lamont, wie wir hinterher erfahren, Charles verdutzt. „Nein“, antwortet er
über ein paar Tannen zu lupfen, anschlie- und liegt etwa 50 Kilometer nördlich von nach einigen Sekunden Pause: „Der
Wind hat uns hergebracht.“
ßend drückt er das Gefährt auf eine ver- Venedig.
154,7 Kilometer in dreieinhalb Stunden
S
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