Pierre Fauchard

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Aus dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
der Universität zu Köln
Direktor: Universitätsprofessor Dr. med. Dr. phil. K. Bergdolt
Pierre Fauchard
Sein Werk „Französischer Zahn-Arzt oder Tractat von den Zähnen“ und dessen
Bedeutung für die moderne Zahnmedizin
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der zahnärztlichen Doktorwürde
der Hohen Medizinischen Fakultät
der Universität zu Köln
vorgelegt von
Judit Weinbeck geb. Csorba Bathori
aus Neumarkt/Rumänien
Promoviert am 23. März 2011
Dekan:
Universitätsprofessor Dr. med. J. Klosterkötter
1. Berichterstatter:
Universitätsprofessor Dr. med. Dr. phil. K. Bergdolt
2. Berichterstatter:
Universitätsprofessor Dr. med. dent. M. Noack
Erklärung:
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift ohne unzulässige Hilfe
Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe;
die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche
kenntlich gemacht.
Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des
Manuskripts habe ich keine Unterstützungsleistungen erhalten.
Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden Arbeit nicht
beteiligt. Insbesondere habe ich nicht die Hilfe eines Promotionsberaters in Anspruch
genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte
Leistungen für Arbeiten erhalten, die in Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten
Dissertation stehen.
Die Dissertationsschrift wurde von mir bisher weder im Inland noch im Ausland in
gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.
Köln, 10.10.2010
Judit Weinbeck
Danke Matti für deine großzügige Liebe und Unterstützung.
Inhaltsverzeichnis
1.
2.
3.
Einleitung..................................................................................................................1
1.1
Problemstellung und Zielsetzung...................................................................1
1.2
Aufbau der Arbeit ..........................................................................................2
Die Person Pierre Fauchard....................................................................................3
2.1
Kurzer Lebenslauf von Pierre Fauchard ........................................................3
2.2
Zahnmedizin in Frankreich zu der Zeit von Pierre Fauchard ........................5
Erkenntnisse Pierre Fauchards in verschiedenen Fachbereichen.....................11
3.1
Zahnmedizinische Aspekte ..........................................................................11
3.1.1
Prophylaxe .....................................................................................12
3.1.2
Konservierende Zahnheilkunde .....................................................17
3.1.2.1 Kariologie und Füllungstherapie.....................................17
3.1.2.2 Endodontie ......................................................................24
3.2
4.
3.1.3
Parodontologie ...............................................................................24
3.1.4
Zahnärztliche Chirurgie .................................................................27
3.1.4.1
Extraktion........................................................................27
3.1.4.2
Implantologie ..................................................................32
3.1.5
Prothetik .........................................................................................35
3.1.6
Kieferorthopädie ............................................................................45
3.1.7
Kinderzahnheilkunde .....................................................................47
Fachübergreifende Aspekte..........................................................................49
3.2.1
Schmerzursache und Therapie .......................................................49
3.2.2
Zusammenhang systemischer und lokaler Erkrankungen..............49
3.2.3
Ergonomie......................................................................................50
Analyse ....................................................................................................................51
4.1
4.2
Dem heutigem Standard nicht entsprechende Erkenntnisse ........................51
4.1.1
Prophylaxe .....................................................................................52
4.1.2
Kariologie.......................................................................................52
4.1.3
Implantologie .................................................................................55
4.1.4
Kinderzahnheilkunde .....................................................................55
Den heutigen Standard beeinflussende Erkenntnisse...................................56
4.2.1
Prophylaxe .....................................................................................56
4.2.2
Kariologie und Füllungstherapie....................................................58
4.2.3
Endodontie .....................................................................................61
4.2.4
Parodontologie ...............................................................................61
1
4.3
4.2.5
Zahnärztliche Chirurgie .................................................................62
4.2.6
Implantologie .................................................................................63
4.2.7
Prothetik .........................................................................................64
4.2.8
Kieferorthopädie ............................................................................68
4.2.9
Kinderzahnheilkunde .....................................................................69
4.2.10
Schmerzursache und Therapie .......................................................69
Dem heutigen Standard entsprechende Erkenntnisse ..................................70
4.3.1
Prophylaxe .....................................................................................71
4.3.2
Füllungstherapie.............................................................................71
4.3.3
Kariologie.......................................................................................71
4.3.4
Extraktion.......................................................................................72
4.3.5
Prothetik .........................................................................................73
4.3.6
Kinderzahnheilkunde .....................................................................74
4.3.7
Zusammenhang systemischer und lokaler Erkrankungen..............74
4.3.8
Ergonomie......................................................................................75
5.
Diskussion ...............................................................................................................76
6.
Zusammenfassung..................................................................................................80
7.
Literaturverzeichnis...............................................................................................85
8.
Lebenslauf...............................................................................................................91
2
1.
Einleitung
1.1
Problemstellung und Zielsetzung
Es könnte heute keine moderne Zahnmedizin bzw. Medizin geben, wenn nicht
bedeutende Persönlichkeiten vor unserer Zeit Großes geleistet hätten. Eine dieser
Persönlichkeiten ist Pierre Fauchard, der als „Vater der Zahnheilkunde“ gilt. „Er führte
die handwerkliche Tätigkeit eines „Zahnbrechers“ zu einem akademischen Beruf hin“1
und sorgte so dafür, dass die Zahnheilkunde in die ärztliche Praxis aufgenommen
wurde. Anfang des 18. Jahrhunderts beginnt „ausgehend von Frankreich die
wissenschaftliche und standesgemäße Verselbstständigung der Zahnheilkunde.“2
Fauchards im Jahr 1728 erschienenes Buch mit dem Titel „Le chirurgien dentiste“ stellt
die erste wissenschaftliche Bearbeitung des Fachs Zahnheilkunde überhaupt dar. Es ist
somit das weltweit erste zahnmedizinische Lehrbuch, welches veröffentlicht wurde.3
Sein Werk wird zum Standardlehrbuch für die nachfolgenden Generationen, die sich
mit der Zahnheilkunde beschäftigten, denn „Fauchards Ansichten waren seiner Zeit
voraus“.4 In seinem Werk referiert er nicht nur über die orale Anatomie und Funktion,
sondern schafft auch einen Leitfaden für die praktische Anwendung operativer und
restaurativer Techniken.
In seinem Vorwort schreibt Fauchard: „Die Erfahrung, welche mir eine unabläßige
praxis von fast dreißig Jahren zu wege gebracht, hat mich unvermerckt zu neuer
Erkentniß geführet, und mich dahin gebracht, daß ich dasjenige ergänzt habe, was mir
in meinem ersten Gedanken mangelhaft geschienen hat. Ich übergebe der Welt die
Frucht von meiner Mühe und von meinem Wachen; und hoffe, daß dieselbe denjenigen,
welche die Profeßion eines Zahn-Arztes treiben wollen, einigen Nutzen schaffen, und
denen Personen, welche einige Sorgfalt hegen ihren Mund in gutem Stande zu erhalten,
noch mehreren Vortheil bringen werde.“5 Es wird deutlich, dass sein Werk nicht nur als
Lehrbuch für diejenigen gedacht ist, die Zähne behandeln wollen, sondern auch für
Laien, die sich für ihre Zahngesundheit interessieren.
1
Tanzer (1983), S. 714
2
Reitemeier, Schwenzer, Ehrenfeld (2006), S.2
3
vgl. Rheinisches Zahnärzteblatt (Jg. 45) Heft 9/September (2002),· Seite 501
4
Tanzer (1983), S. 715
5
Fauchard, Band 1 (1733), S. 11
1
Das Ziel dieser Dissertation besteht darin, das Gesamtwerk des französischen
Zahnarztes und Autors, hinsichtlich seines zahnmedizinischen Wissens zu untersuchen.
Die Literaturwissenschaft hat sich zwar ausführlich mit seinem wegweisenden Werk
beschäftigt, keine dieser Arbeiten untersucht aber dieses Werk auf die Frage hin,
inwieweit Fauchards damalige Ansichten auch heute noch ihre Gültigkeit behalten, oder
eben nicht behalten haben. Mit diesen Arbeiten kann und soll hier freilich nicht
konkurriert sondern vielmehr gezeigt werden, was für ein außergewöhnlicher
Wissenschaftler, Mediziner, Forscher, Entwickler, Autor und Lehrmeister Fauchard
war.
1.2
Aufbau der Arbeit
In dieser Arbeit wird nach einer kurzen Darstellung des Lebenslaufs Pierre Fauchards
die Zahnmedizin in Frankreich zu seiner Zeit beschrieben.
Es folgt eine detaillierte Zusammenfassung von Fauchards Erkenntnissen in den
verschiedenen Teilbereichen der Zahnmedizin. Dabei wird eine Unterteilung in
zahnmedizinische Aspekte wie Prophylaxe, konservierende Zahnheilkunde (Kariologie
und Füllungstherapie sowie Endodontie), Parodontologie, zahnärztliche Chirurgie
(Extraktion und Implantologie), Prothetik, Kieferorthopädie, Kinderzahnheilkunde,
sowie in fachübergreifende Aspekte wie Schmerzursache und Therapie, Zusammenhang
systemischer und lokaler Erkrankungen sowie Ergonomie vorgenommen.
Anschließend werden Fauchards einzelne Erkenntnisse in der Analyse daraufhin
untersucht, inwieweit sie dem heutigen Standard nicht entsprechen, ihn beeinflusst
haben oder diesem noch entsprechen.
Die Arbeit endet mit der Diskussion und schließlich mit der Zusammenfassung.
2
2.
Die Person Pierre Fauchard
2.1
Kurzer Lebenslauf von Pierre Fauchard
Pierre Fauchard wurde 1678 in der Bretagne geboren. Über seine Kindheit ist nichts
bekannt und über seine Jugend nur das, was er selbst in dem Vorwort seines Werkes
schreibt: „Ich bin ein Lehrjünger von dem Herrn Alexandre Potelere, Chirurgus major
ben den Schiffen des Königes, gewesen, welcher in den Krankheiten des Mundes sehr
erfahren war. Demselben habe ich die ersten Anfangs-Gründe der Erkentniß, welche ich
in der Chirurgie, die ich treibe, erlangt habe, zu danken.“6 Es wird deutlich, dass
Fauchard einem Chirurgen seine praktische Ausbildung zu verdanken hat und er keine
wissenschaftliche Ausbildung erfuhr, so dass er keinerlei Diplom vorweisen konnte.
„Hinweise auf eine chir. Approbation finden sich nicht. In einem Register der Pariser
Zahnbehandler von 1761 wird Fauchard nicht als Maistre en chirurgie, sondern
lediglich als einer der insgesamt 30 Experts geführt.“7
Abbildung 1: Ein Portrait Pierre Fauchards8
Wie Pierre Fauchard sich selbst weiterbildete, beschrieb er so: „Ich habe die Dinge
zusammen gelesen, welche in den Scibenten den besten Grund zu haben mir
vorgekommen sind. Ich bin darüber öfters mit mir bekannten Medicis und Chirurgis, so
in dem größten Ansehen gestanden, zu rathe gegangen, und habe nichts versäumet, wo
6
Fauchard, Band 1 (1733), S. 10
7
Gerabek (2005), S.392
8
http://de.academic.ru/pictures/dewiki/49/180px-Portait_de_Pierre_Fauchard_par_J__Le__Bel.jpg
3
ich von dem Rathe und von den Einsichten derselben einen Nutzen schöpffen können.“9
Sein umfassendes Wissen über seinen Beruf als Zahnwundarzt beruht nicht nur auf
seinen Erfahrungen als Praktizierender, sondern Fauchard las auch die Werke
verschiedener Autoren und filterte das heraus, was für ihn gut begründet schien. Über
dieses diskutierte er mit Ärzten und nutzte deren Ratschläge für sich.
Fauchard praktizierte zuerst in Nantes und ab 1719 in Paris, wo er bis zu seinem Tode
am 22. März 1761 sesshaft geblieben ist. „1729 heiratete er in zweiter Ehe die Tochter
eines prominenten Schauspielerpaares.“10 Aus dieser Ehe entstammte sein Sohn.
„Fauchard war ein sehr geschickter Mann, besaß gute Kenntnisse über die zu
verarbeitenden
Materialien
und konnte
mit
überdurchschnittlichen manuellen
Fähigkeiten funktionierende Prothesen und anderen Zahnersatz fertigen. Er brachte es
so zu Ansehen und Vermögen und konnte 1734 Schloss und Domäne de Grand Mesnil
erwerben“11, “und stieg so zum Guts- und Gerichtsherrn auf. Studienaufenthalte im Inund Ausland – u.a. in Göttingen (1736) – mehrten seinen Ruhm.“12 „Fauchard lässt sich
seine Behandlungserfolge von Patienten werbeträchtig bestätigen und macht damit
Reklame für sich, er wird sehr reich.“13
1728 erschien sein zweibändiges Lehrbuch „Le chirurgien dentiste“ in dem zum ersten
Mal die Zahnheilkunde wissenschaftlich vollständig bearbeitet wurde.
1733 erschien die Übersetzung in deutscher Sprache.
9
Fauchard, Band 1 (1733), S. 10-11
10
Hoffmann-Axthelm (1984), S 1143
11
Heckert (2006), S 24
12
Gerabek (2005), S.392
13
Will (2008) Fortbildung Pfaff Berlin, S.4
4
Abbildung 2: Titelseite der deutschen Ausgabe des Werks von Pierre Fauchard14
1746 wurde eine verbesserte und erweiterte 2. Auflage veröffentlicht.
Die im Jahr 1786 (also 25 Jahre nach dem Tode des Autors) erschienene 3. Auflage
wurde „freilich nicht mehr von Fauchard allein, sondern hauptsächlich von seinen
Schülern bearbeitet.“15
„Eine englische Übersetzung folgte erst 1946 aus medizinhistorischem Motiv.“16
2.2
Zahnmedizin in Frankreich zu der Zeit von Pierre Fauchard
Um 1700 gab es in Frankreich einen deutlichen Unterschied zwischen der Bezeichnung
Vollarzt und Chirurg.
Zum einen existierte „der Vollarzt, der das regelrechte medizinische Studium an der
Universität hinter sich gebracht und seine Examina abgelegt und darauf graduiert
14
http://www.maxilofacial.info/images/fauchard2.jpg
15
vgl. Kollin (1921), S 4
16
Hoffmann-Axthelm (1984), S 1147
5
worden war.“17 Bei Zahnleiden fungierte dieser allerdings nur als Hausarzt der nur
„Umschläge, Spülungen usw. anwandte, sich im übrigen aber aller chirurgischen
Eingriffe enthielt.“18
Zum anderen gab es die Chirurgen, den „an Ausbildung und Berufstellung tiefer
stehenden Heilstand“19, welchem die Vollärzte die eigentliche Zahnbehandlung und
Schmerzlinderung überließen. Zur damaligen Zeit wurde zwischen einem echten
Chirurgenstand (mit ausgebildeten Chirurgen) und einem niederen Chirurgenstand
(Zahnreißer/Barbiere) unterschieden. Die Ausbildung der echten Chirurgen ähnelte der
der Vollärzte, da sie „einen ausgezeichneten Unterricht auf wissenschaftlicher
Grundlage erhielten und meist das Institut de St. Come besuchten und nach dort
bestandener Prüfung in die Praxis gingen.“20 Die niederen Chirurgen wurden nur „rein
„zünftig“ bzw. handwerksmäßig oder empirisch ausgebildet.“21 „Nach seinem ganzen
Ausbildungsgange kann man also Fauchard den niederen Chirurgen beigesellen – nicht
seiner Leistungen nach!“22 Fauchard war eine Trennung zwischen Medizin und
Zahnheilkunde, und die Ernennung dieser zu einem eigenen Fach wichtig, wobei ihm
bewusst war, dass dieses Sondergebiet nicht ganz ohne die Allgemeinmedizin und die
Chirurgie auskommen kann. Fauchards Bemühungen haben mit dazu geführt, dass die
chirurgische Ausbildung der Chirurgiens-dentistes am College Desarçon und die
staatliche Prüfung durch Professoren der Chirurgie erfolgte. Erst 1768 bestimmte ein
neues Reglement, dass die zukünftigen Chirurgiens-dentistes eine Lehrzeit von 2 bis 3
Jahren bei einem Expert Dentisten oder Chirurgen zu absolvieren hatten. Auch wurden
die Prüfungsbestimmungen verschärft und unberechtigte Titelführung unter Strafe
gestellt.23
Fauchard verabscheute die herumziehenden Zahnreißer und Marktschreier und warnte
stets
vor
diesen
Scharlatanen
und
Kurpfuschern,
da
diese
„offenbar
der
Leichtgläubigkeit des gemeinen Mannes mißbrauchen.”24 Er stellte auch fest, dass viele
17
vgl. Lejeune (1931), S. 7
18
vgl. Lejeune (1931), S. 13
19
vgl. Lejeune (1931), S. 7
20
vgl. Lejeune (1931), S. 12
21
vgl. Lejeune (1931), S.12
22
vgl. Lejeune (1931), S.18
23
vgl Rötzscher
24
Fauchard, Band 1 (1733), S. 144
6
Leute versuchen, die Zähne zu heilen, obwohl diese Tätigkeit nicht ihrem Beruf
entspreche und sie somit auch nicht über die Fertigkeiten verfügen, die diese Tätigkeit
erfordert. Er hatte den Eindruck, „es werde gar mehr Zahnärzte geben, als Leute, die
Zahnwehe haben.“25 Es war für ihn „auch ein Anliegen, Quacksalber und Scharlatane
[...] von der seriösen Zahnmedizin fern zu halten. Er selbst distanzierte sich schon durch
seinen Titel eindeutig von dieser unseriösen Gruppierung.“26 Fauchard war der Erste,
der die Berufsbezeichnung „Chirurgien Dentiste“ (bedeutet soviel wie „Zahnchirurg“
oder „Zahnwundarzt“) erfunden und für sich in Anspruch genommen hat. Fauchards
Meinung nach kann „der Titel, Chirurgiens Dentistes, Zahn-Chirurgi oder Zahnärzte“
den Behandlern „nicht abgesprochen werden“, welche die Zähne „nicht nur erhalten, so
viel als die Regeln der Kunst immer gestatten; sondern auch weil sie ihren Verstand mit
Nachahmung der Natur dazu gebrauchen, dass sie Mängel verbessern, welche der Mund
bekömmt, wenn das sonst vollkommene Werk eben der Natur mangelhafft wird.“27
Fauchard ist davon überzeugt, dass, wenn sein Berufstand nur von gut ausgebildeten
und vernünftigen Menschen, nicht aber von Betrügern ausgeübt worden wäre, „so
würde diese Profession jederzeit in eben so grosser Hochachtung geblieben seyn, als
viele andere Theile aus der Chirurgie, die zur Gesundheit des Menschen weder
erprießlicher noch von grösserer Wichtigkeit sind.“28
Fauchard kritisierte nicht nur die zu seiner Zeit tätigen Zahnreißer sondern auch seine
Vorgänger, die ihr erlangtes Wissen nicht an die Nachwelt weitergegeben hatten „Um
diesen Mangel der Unterweisung zu ersetzen wäre zu wünschen, daß ein geschickter
Zahn-Arzt [...] uns seine Weise zu operieren, und seine Erkentniß [...] mitgetheilet
hätte.“29 Er sah sich dabei berufen, die Versäumnisse seiner Vorgänger durch die
Niederschrift seiner Erkenntnisse und deren Veröffentlichung wettzumachen und
äußerte bereits im Vorwort seines Werks diese Zielsetzung, in dem er sagte: „das
unterstehe ich mich jetzt zu unternehmen.“30 Obwohl dies „zu seinem eigenen
finanziellen Nachteil“31 war, machte er im Gegensatz zu seinen Kollegen aus seinen
25
Fauchard, Band 1 (1733), S. 173
26
Will (2002), S. 12
27
Fauchard, Band 2 (1733), S. 188
28
Fauchard, Band 2 (1733), S. 189
29
Fauchard, Band 1 (1733), S.8-9
30
Fauchard, Band 1 (1733), S.9
31
Heckert (2006), S. 25
7
Erkenntnissen kein Berufsgeheimnis, sondern lieferte „eine möglichst exakte
Beschreibung mit zahlreichen Fallstudien.“32 Bis dahin war es üblich, dass das Wissen
vom Meister auf den Jünger mündlich und handwerklich weitergegeben wurde.
In seinem Vorwort beklagt Fauchard, dass die Chirurgie sich bislang nicht ausreichend
dem Gebiet der Mundhöhle gewidmet habe. „Dieses Theil der Chirurgie, welches die
Krankheiten des Mundes angehet, bis hierher am meisten verabsämet worden ist.“33
Im Schlussteil seines Werkes beschäftigt sich Fauchard mit der Analyse des
chirurgischen Traktats seines Zeitgenossen Jac Crefc. Er sieht sich verpflichtet die
Irrtümer in diesem Traktat zu „wiederlegen, und die schlimmen Folgen, so daraus
entstehen können,“34 zu zeigen.
Als Erstes kritisiert Fauchard, dass sein Zeitgenosse den Zahnstein mit dem Rost z.B.
am Eisen oder Stahl vergleicht. Rost sei, im Gegensatz zu Zahnstein, nicht von der
Oberfläche zu entfernen, ohne dass von der Substanz des Metalls etwas verloren gehen
würde. Da der Zahnstein nicht in die Oberfläche des Zahnschmelzes eindringt, sei es
möglich, diesen zu entfernen, ohne dass die Zahnoberfläche dadurch Schaden nehmen
würde. Dieses sei allerdings nicht so leicht, wie der Autor behaupte. Fauchard gibt auch
zu bedenken, dass die Instrumente (wie unterschiedliche Zahnraspel oder Picken), die
zur Zahnsteinentfernung vorgeschlagen werden, weder bequem noch zulänglich seien,
da der Gebrauch dieser Instrumente unweigerlich zu Zahnfleischschäden und zu großen
Schmerzen bei dem Patienten führen würde.35
Als Nächstes widerspricht Fauchard der Behauptung, dass „mit den Instrumenten,
welche die Zähne zu putzen gebrauchet werden, den Schmelz von derselben sollten
weggeraspelt haben. Denn es hat kein Instrument eine so scharfe Schneide, welche nicht
von der Härte des Schmelzes an den Zähnen, wenn es daran kömmt, abgestossen und
stumpf werden sollte, als dessen Härte fast eben so groß ist als eines Diamantes
seine.“36 Die Feile sei das einzige Instrument, das ihm einfallen würde, welches in der
Lage sei, Zahnschmelz zu zerstören. Nicht die Instrumente, die zum Zähneputzen
32
Neddermeyer, Uwe (2001), S. 328
33
Fauchard, Band 1 (1733), S.5
34
Fauchard, Band 2 (1733), S. 295
35
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 296.297
36
Fauchard, Band 2 (1733), S. 299
8
gebraucht werden, seien schädlich für den Zahnschmelz, sondern das vom Autor
empfohlene gepulverte Porzellan sowie der Bimsstein, „denn selbige sind von
beissender und fressender Eigenschafft, und reiben dadurch das Schmelzwerd der Zähne
auf.“37
Fauchard plädiert – im Gegensatz zum Autor, der behauptet, dass das Feilen
unweigerlich zum Verlust der gefeilten Zähne führen würde – für den fachgerechten
Gebrauch der Feile, denn „das bisgen Schütteln, so die Zähne von der Feile erleiden,
hindert nicht, dass sie nicht ihre ehemalige Festigkeit wieder bekommen sollten.“38
Fauchard diskutiert die verschiedenen Arten von Karies und deren Fortschreiten und
widerspricht damit dem Autor, der behauptet, dass Karies immer schnell fortschreiten
würde. Zur Kariesentfernung sieht Fauchard das vom Autor vorgeschlagene Instrument,
die Schlangenzunge, als ungeeignet an. Er empfiehlt hierzu lieber den Gebrauch eines
Zahnraspels.39
Auch was die Feder in der Zahnzange anbetrifft, widerspricht Fauchard dem Autor, der
versichert, dass „dadurch dieses Instrument mehr Bequemlichkeit erhalten“40 würde.
Fauchard behauptet, im Gegensatz zum Autor, dass diese als „unnütz, unbequem, und
nachteilig verworfen werden müsse“.41
Zum Schluss stellt Fauchard dar, was ihn dazu bewegt hat, all diese Sachverhalte richtig
zu stellen, nämlich, dass sie sonst „dem gemeinen besten Nachteil bringen könnten.“
Weiterhin schreibt er: „eben diese Liebe zum gemeinen Besten mich durch dieses ganze
Werk getrieben, und bey einer gar langwierigen Arbeit mir Kräffte verliehen hat. Es ist
auch diese Arbeit mir um desto mühsamer und verdrießlicher gefallen, da ich nichts als
trockene und dürre Materien abzuhandeln gehabt habe, die an sich selber nicht
angenehm sind, obgleich sie zur Gesundheit und zum Vergnügen das ihrige
beitragen.“42
37
Fauchard, Band 2 (1733), S. 300
38
Fauchard, Band 2 (1733), S. 302
39
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 304-305
40
Fauchard, Band 2 (1733), S. 307
41
Fauchard, Band 2 (1733), S. 307
42
Fauchard, Band 2 (1733), S. 309
9
Als Anhang an Fauchards Werk sind noch einige „Urteile und Gutachten einiger der
vortrefflichsten Medicorum und Chirurgorum von dem Zahnarzte des Herrn
Fauchard“43 zu lesen. Daraus wird deutlich, wie hoch geschätzt Fauchard schon von
seinen Zeitgenossen wurde, da diese seine Arbeit in den höchsten Tönen loben und
seine Bedeutung als Vorreiter auf dem Gebiet der Zahnmedizin anerkennen.
Jacob Benign Winslow, ein Doctor Regens, behauptet, Fauchard dazu ermutigt zu
haben, seine Erkenntnisse, seine Erfahrungen und seine Geschicklichkeit auf dem
Gebiet der Zahnmedizin an die Nachwelt weiterzugeben. Er findet sein Werk zwar
vortrefflich, gibt aber zu bedenken, dass die darin beschriebenen Arzneien nur von
Kennern benutzt werden sollten, um keinen Schaden anzurichten.44
Herr Hecquet und Herr Fino, beide Doctor Regens, sparen beide nicht mit Lob für
Fauchards Erfindungsreichtum und seinen Fleiß. Fino bezeichnet Fauchard als Vorreiter
auf dem Gebiet der Zahnmedizin. Er schreibt, dass Fauchard „eine vollkommene
Einsicht in diese so mannigfaltigen Krankheiten erhalte“ habe, „wozu noch zur Zeit
kein Zahnarzt gelanget war.“45 Dieser Meinung schließt sich Herr Helvetlus, ebenfalls
ein Doctor Regens an, denn er „weiß nicht, dass noch zur Zeit jemand anders diese
Materie so abgehandelt hat, dass er die Sache so genau und umständlich vorgetragen,
als der Herr Fauchard.“46 Herr Silva ist von Fauchards Werk so überzeugt, dass er
betont: „Die Welt ist ihm Dank schuldig für dieses Geschenke.“47 Herr de Juffieu, der
nach eigenen Angaben bei einigen Operationen, welche Fauchard vorgenommen hatte,
persönlich anwesend war, fühlt sich verpflichtet, der Welt zu versichern, dass „niemand
eine nützlichere Arbeit gethan, noch in diese Materie jemals so weit gekommen ist.“48
Neben den aufgeführten Doctor Regens lassen sich auch einige Chirorgorum nicht
nehmen ihre Annerkennung gegenüber Fauchard kundzutun. Sie tun dies, indem sie
schreiben: „Wir sind der Meinung, daß wir dem Autori für die saure Mühe und den
Fleiß, so ihn dieses Werk gekostet hat, unsere Beystimmung schuldig sind; und daß er
nicht genug zu preisen ist, weil er die Ehre seiner Profession dadurch so sehr
43
Fauchard, Band 2 (1733), S. 381
44
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 381-382
45
Fauchard, Band 2 (1733), S. 383
46
Fauchard, Band 2 (1733), S. 384
47
Fauchard, Band 2 (1733), S. 385
48
Fauchard, Band 2 (1733), S. 385
10
befördert.“49 Herr de Vaux geht so weit, dieses Werk über alles zu heben, „was man
noch zur Zeit von dieser Materie geschrieben hat, als welche bishero so wol in
vollständigen anatomischen oder chirurgischen curfibus als in einigen ganz kurzen
Wercklein nur obenhin und seicht abgehandelt worden ist.“50
3.
Erkenntnisse Pierre Fauchards in verschiedenen Fachbereichen
3.1
Zahnmedizinische Aspekte
Der vollständige Titel des Werkes von Pierre Fauchard lautet: „Französischer ZahnArzt, oder Tractat von den Zähnen: Worinnen die Mittel, selbige sauber und gesund zu
erhalten, sie schöner zu machen, die verlohrne wieder zu ersetzen, und die ungesunden,
wie auch die Krankheiten des Zahnfleisches, und die Zufälle, welche anderen nahe bey
den Zähnen liegenden Theilen zustossen können, zu heilen, gelehret werden.“ Fauchard
macht somit schon in der Überschrift deutlich, wie komplex sein Buch ist, und dass er
alle Fachbereiche der Zahnmedizin in diesem anspricht. Sein Beruf ist also ärztlich, da
Fauchard versucht, die Zähne zu heilen und zu erhalten. Dies stand im Gegensatz zu der
zu Zeiten Fauchards gängigen Praxis, Zahnschmerzen vor allem durch Extraktion zu
beheben.
Im zehnten Kapitel demonstriert Fauchard nochmals, wie umfassend sein Werk ist,
indem er die unterschiedlichsten Behandlungsmöglichkeiten, die an den Zähnen
vorgenommen werden können, aufzählt: „man putze sie, man sondert sie von einander
ab, machet sie kürzer, nimmt den Beinfresser von ihnen weg, cauterisiret oder brennet
sie, plombiret oder füllet sie an mit Bley, setzet sie wieder gerads, setzet sie in gehörige
Ordnung, machet sie fest, nimmt sie schlechterdings aus ihren Kinnladen heraus, setzet
sie wiederum in ihre alte Kinnlade ein, oder nimmt sie aus um sie in einen andern Mund
einzusetzen, und endlich so setzet man durch die Kunst gemachte Zähne für solche, die
da fehlen, in die Stelle.“51 Er fordert von dem Behandler nicht nur geschickte Hände
und ein vollkommenes, fachliches Wissen, sondern auch die Fähigkeit, die richtige
Entscheidung zu treffen, was die Behandlungsmethode betrifft.52 Er ermutigt seine
49
Fauchard, Band 2 (1733), S. 386-387
50
Fauchard, Band 2 (1733), S. 388
51
Fauchard, Band 1 (1733), S. 159-160
52
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 160
11
Kollegen bei Schwierigkeiten nicht aufzugeben, sondern „neue Weisen zu operieren zu
erfinden, aus welchen die Welt grossen Vortheil ziehen kan.“53
3.1.1
Prophylaxe
Die zahnmedizinische Prophylaxe (gr.: „die Vorbeugung“) befasst sich mit
Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die Zähne und den Zahnhalteapparat gesund zu
erhalten und diese vor der Entstehung von Krankheiten zu schützen. Fauchard sah es als
Fehler an, „daß man so wenig bekümmert ist zu lernen, wie man die Zähne erhalten
solle.“54 Er widmete seine Arbeit auch der Aufklärung der um „ihre Gesundheit
bekümmerte Leute.“55
Fauchard diskutiert im fünften Kapitel seines Werks verschiedene Ursachen für die
Erkrankung
der
Zähne
und
des
Zahnfleisches,
deren
Folgen
und
Unterscheidungsmöglichkeiten. Als erstes unterteilt er die Ursache für Zahnkrankheiten
in innerliche Ursachen durch „fehlern des Fließwassers“56 (wohl die Lymphflüssigkeit
gemeint)
z.B.
durch
Verdauungsbeschwerden,
Ernährung,
Schwangerschaft,
Schlafgewohnheiten,
Gelbsucht
u.a.
Lebensart,
hervorgerufen
und
äußerliche Ursachen wie z.B. Zahnbeläge, Kälte/Wärme, Schnupfen, Gewalteinwirkung
auf die Zähne, Medikamente, Tabakrauch oder Zuckergenuss. Als größten Feind der
Zähne identifiziert Fauchard in diesem Zusammenhang den „mercurius, welcher
insgeheim Quecksilber gennenet wird.“57 Er schildert weiterhin: „Die Wirkungen des
Quecksilbers sind, dass das Zahnfleisch augenscheinlich aufschwellet, dass er selbiges
benaget, und vernichtet. Ebenso wircket er an den Häuten, welche die Wurzeln der
Zähne bekleiden.“58
Fauchard nimmt an, dass dadurch, dass während einer Schwangerschaft sowie in der
Menopause die Monatsblutung ausbleibt „das Geblute voll überflüssiger Materien, von
53
Fauchard, Band 1 (1733), S. 321
54
Fauchard, Band 1 (1733), S. 56
55
Fauchard, Band 1 (1733), S. 56
56
Fauchard, Band 1 (1733), S. 83
57
Fauchard, Band 1 (1733), S. 88
58
Fauchard, Band 1 (1733), S. 89
12
welchen es sich vorher durch solchen Weg reinigte“ im Körper verweilt und, dass
„dieser Überfluss auf die Zähne oder auf das Zahnfleisch fällt.“59
Schon in der Vorrede seines Werkes verweist Fauchard darauf, dass obwohl die Zähne
das glatteste und härteste Gebilde im menschlichen Körper sind, sie oft Krankheiten
ausgesetzt werden, die mit starken Schmerzen verbunden sind und an denen sie
zugrunde gehen.60 Weiterhin verdeutlicht er die Notwendigkeit einer sorgfältigen
Zahnpflege, um die Zähne lange gesund zu erhalten. Er stellt auch fest, dass „solche
Personene, welche alle ihre Zähne bis in ein hohes Alter gesund erhalten, sind in sehr
geringer Anzahl. Etliche darunter haben diesen Vorteil einem guten Temperament
(wohl Beschaffenheit gemeint) zu haben; andere einer Behutsamkeit und besonderen
Sorgfalt.“61
Im zweiten Kapitel seines Buches macht Fauchard seinen Lesern deutlich, welche
wichtige Rolle die Zahngesundheit für die Gesundheit im Allgemeinen, für die
Sprachentwicklung sowie für das Aussehen des Einzelnen spielt. Zähne sind nicht nur
wichtig für die „Erhaltung der Gesundheit“62, sondern auch „unumgänglich nötig zur
Annehmlichkeit der Stimme, zur Aussprechung der Worte, zur Deutlichkeit in der
Ausrede und zur Zierde des Angesichtes.“63
Fauchard widmet das dritte Kapitel der Beschreibung „von dem Verhalten und der
Lebensart, die man beachten muß, wenn man die Zähne in gutem Stande erhalten
will.“64 Er stellt die nachteilige Wirkung von Zucker in den Nahrungsmittel sowie von
harten Speisen dar.
Zu Beginn listet Fauchard verschiedene Nahrungsmittel wie z.B. Hülsenfrüchte,
Schweinefleisch oder Milch auf, welche die Zähne nachteilig beeinflussen sollen, da sie
„einen schlimmen chylum oder Nahrungssafft erzeugen.“65 Er beobachtet, dass Zucker
in den Speisen dafür mitverantwortlich ist, dass die Zähne geschädigt werden können.
59
Fauchard, Band 1 (1733), S.87
60
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 3
61
Fauchard, Band 1 (1733), S. 3-4
62
Fauchard, Band 1 (1733), S. 57
63
Fauchard, Band 1 (1733), S. 57
64
Fauchard, Band 1 (1733), S. 59
65
Fauchard, Band 1 (1733), S. 60
13
Den Grund sieht Fauchard darin, dass der Zucker, welchen er auch als „Gifft“
bezeichnet, „sich zwischen das Zahnfleisch hineinsetzet, und sich an die Zähne anleget:
welches denn über kurz oder lang Verrückungen daran erreget.“66 Er rät nach
Zuckerkonsum den Mund mit warmem Wasser auszuspülen, um das Zahnfleisch und
die Zähne vom Zucker zu befreien. Er befürwortet nicht den vollkommenen Verzicht
auf Zucker sondern sagt, „man muß dem Gebrauche derselben nur gehörige Schranken
setzen, und keine Gewohnheit daraus machen, als welche jederzeit schädlich ist.“67
Im
weiteren
Verlauf
schildert
Fauchard,
dass
durch
harte
Speisen
oder
Gewalteinwirkungen die Zähne geschädigt werden können „nützt man die Zähne ab,
macht sie wackelend,. zerspaltet sie, geräth man in Gefahr sie zu verlieren, und verlieret
sie bisweilen in der That.“68
Für die Zahnzwischenraumpflege empfiehlt Fauchard Zahnstocher und glaubt, dass
„Zahnstocher von dünnen Federn [...] allen andern vorzuziehen“69 sind, da solche aus
härteren Materialien wie z.B. Gold, Silber, Eisen usw. zu hart sind und die Zähne
schädigen könnten.
Fauchard thematisiert, dass auch im Tabakkonsum eine Beeinträchtigung der
Zahngesundheit besteht, wie z.B. die Schwarzfärbung der Zähne und deren Zerstörung
durch die Spitze der Pfeife. Darüber hinaus glaubte Fauchard auch, dass die
Temperaturunterschiede zwischen dem warmen Rauch und der kühleren Atemluft eine
„Stockung von einer oder anderen Feuchtigkeit in den Zähnen selbsten, in dem
Zahnfleische, oder in etlichen benachbarten Theilen veranlassen.“70 Er mutmaßt, dass
Tabakrauch zu Karies und damit zu Schmerzen führen kann. Auf der anderen Seite hat
er auch beobachtet, dass bei richtiger Mundpflege „Tabackrauch was zur Erhaltung der
Zähne beytragen kann.“71
Die Gefahr beim gleichzeitigem Genuss von zu kalten oder warmen Speisen besteht
Fauchards Meinung nach darin, dass sie „die Säffte und den Nahrungssaft in den
66
Fauchard, Band 1 (1733), S. 61
67
Fauchard, Band 1 (1733), S. 61
68
Fauchard, Band 1 (1733), S. 62
69
Fauchard, Band 1 (1733), S. 63
70
Fauchard, Band 1 (1733), S. 63
71
Fauchard, Band 1 (1733), S. 64
14
Zähnen selbst stockend und unbeweglich machen können“ 72 so, dass „das Gewebe der
Zähne zerreissen“73 könne durch das ständige Wechselspiel zwischen der dadurch
hervorgerufenen Ausdehnung und Kontraktion.
Mit dem Thema Erosion setzt sich Fauchard ebenfalls in seinem Werk auseinander.
Seine Definition lautet: „Diese Krankheit nenne ich eine Zerfressung der Oberfläche am
Schmelzwerde.“74 Er beobachtet, dass es durch die Erosion zu vielen kleinen Löchern in
der Schmelzoberfläche kommt. Die Uhrsache hierfür sieht er darin, „dass das
Schmelzwerd von einer nagenden Materie abgenützet wird“75. Fauchard nennt jedoch
keine Beispiele für diese Materie und auch keine Möglichkeiten um Erosion zu
vermeiden. Als Heilung schlägt er vor, „dass man die Oberfläche des Zahns glatt und
eben machet.“76
Schon zu Fauchards Zeiten entsprachen strahlend weiße Zähne dem Schönheitsideal.
Deswegen widmet er das vierte Kapitel der Beschreibung von „Zahnbalsamen, Pulvern
und Säfften, die dazu dienlich oder schädlich sind“77 die Zähne weiß zu machen oder
diese so zu erhalten. Er warnt vor scharfen Säuren wie Sauerampfersaft, Zitronensaft,
Vitriolspiritus, die zur Bleichung der Zähne dienen, da er mit einem Vergrößerungsglas
beobachtet hat, dass die Zahnoberfläche, durch die häufige Anwendung dieser Säfte,
porös werden und wie ein Sieb aussehen kann. Fauchard trug durch seine Warnung zur
Aufklärung bei und widerlegte erneut durch genaue Beobachtung und kritische
Auseinandersetzung mit vorhergehend allgemein üblichen Methoden die gängige
Praxis. Gleichzeitig sparte er nicht mit Kritik an seinen Kollegen, die Patienten
getäuscht und sie „zu ihrem Verderben aufgeopfert haben.“78 Als Ursache für die
Verfärbung der Zähne nennt er die Beschaffenheit der „verschiedenen Säffte, die an sie
kommen“79 und deren Aufnahme in den Poren des Zahnschmelzes.
72
Fauchard, Band 1 (1733), S. 64
73
Fauchard, Band 1 (1733), S. 64
74
Fauchard, Band 1 (1733), S. 116
75
Fauchard, Band 1 (1733), S. 116
76
Fauchard, Band 1 (1733), S. 116
77
Fauchard, Band 1 (1733), S. 66
78
Fauchard, Band 1 (1733), S. 69
79
Fauchard, Band 1 (1733), S. 116
15
Die Reinigung der Zähne empfiehlt Fauchard zweimal in der Woche mit einem
Schwamm vorzunehmen, der zuvor in einem, nach seiner Rezeptur hergestellten
„Zahnbalsam“, getränkt worden ist80. Er erachtet es als besser keine Zahnbürste zu
verwenden, was vermutlich darin begründet ist, dass diese zur damaligen Zeit „aus
Rosshaaren angefertigt wurden, einem Material, das viel zu rau war.“81
Fauchard identifiziert den Zahnstein als Hauptursache für die Entstehung von Karies.
„Dieser Weinstein ist bisweilen der Vorläufer von dem Beinfresser, der ganz und gar
von einer äusserlichen Ursache herrrühret. Es ist leicht ihn wieder weg zu bringen oder
ihn vorzubeugen.“82 Er bekräftigt, dass diese Krankheit allein auf die „Nachlässigkeit
und Unreinlichkeit“83 der betreffenden Personen zurückzuführen ist. Aber nicht nur
Zahnstein sondern auch Mundgeruch seien durch eine bessere Mundhygiene
vermeidbar. Deswegen propagiert er, „daß man sich die Zähne putzen lasse, wenn
solches nöthig ist“ und „dass mann selbige so halte und warte, wie gelehret worden
ist.“84
Fauchard kehrt in seinem Werk immer wieder zum Thema Zahnstein, dessen Folgen
und Behandlung zurück. So auch in den ersten Kapiteln des zweiten Teils, wo er
ausführlich die fünf Instrumente beschreibt (z.B. die Eselsschnauze oder den
Papageienschnabel), die er zur Zahnsteinentfernung gebraucht. Er sah sich gezwungen
manche von ihnen “zu verbessern und ihnen eine andere Form zu geben.“85 Dabei wird
deutlich, welchen wichtigen Teil Fauchard bei der Weiterentwicklung von
zahnmedizinischen Instrumenten eingenommen hat.
80
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 72
81
Jacoby (1920), S.6
82
Fauchard, Band 1 (1733), S. 117
83
Fauchard, Band 1 (1733), S. 117
84
Fauchard, Band 1 (1733), S. 158
85
Fauchard, Band 2 (1733), S. 9
16
Abbildung 3: Zahnmedizinische Instrumente erfunden von Pierre Fauchard86
3.1.2
Konservierende Zahnheilkunde
3.1.2.1 Kariologie und Füllungstherapie
Karies stellt nach Meinung von Fauchard die erste und verderblichste Erkrankung der
Zähne dar, die diese ein Leben lang bedrohen. „Derselbe macht uns das meiste zu
schaffen, theils ihn zu vertreiben, theils die Unordnungen, welche er angerichtet hat,
wieder zu recht zu bringen.“87 Fauchard schildert im fünften Kapitel drei
unterschiedliche Arten von Karies: leicht, tief sowie trocken (welche „nicht einmal
weggenommen werden muß“88. Er warnt sogar, dass „wenn man in diesem Falle eine
Operation [hier Füllungstherapie gemeint] dabey vornehmen wolte, so könte dadurch
der Fortgang derselben vermehret werden.”89 Er unterteilt die Ursachen für Karies in
innerliche und äußerliche.
Karies, die durch innerliche Ursachen entstanden ist, sei oft nicht anders zu „entdecken
als durch Mutmaßungen, die man aus der Hefftigkeit und Dauer der klopfenden
Schmerzen der Geschwülste, der Auslaufung, oder der Abscesse“90 ableitet, da diese
sich am Zahnhals oder an der Zahnwurzel befinden und oft durch das Zahnfleisch
verdeckt werden. Dementsprechend sind ihre Folgen schlimmer als bei Karies, die
durch äußerliche Ursachen bedingt ist.
86
http://de.academic.ru/pictures/dewiki/49/180px-Instruments_crees_par_Pierre_Fauchard.jpg
87
Fauchard, Band 1 (1733), S. 105
88
Fauchard, Band 1 (1733), S. 108
89
Fauchard, Band 1 (1733), S. 135
90
Fauchard, Band 1 (1733), S. 107
17
Karies ist einfacher zu erkennen und leichter zu behandeln, wenn sie sich durch
äußerliche Ursachen entwickelt hat, denn „dann hat man in den: Medikamenten, Feilen,
Zahnmeißeln, Kauter, „Plombieren“ Hilfsmittel zur Hand, um ihr Einhalt zu tun.“91
Zum Plombieren – also Füllen – empfiehlt er Blei.
Abbildung 4: Elfenbeinschnitzerei "Der Zahnwurm als Quälgeist der Hölle" aus
Südfrankreich, 17. Jahrhundert. Sie ist in einem 10,5 cm hohen Molaren untergebracht,
der in zwei Hälften zerlegt werden kann.“92
Die bis dahin gültige Lehrmeinung, dass Karies durch Zahnwürmer verursacht wird,
will Fauchard „weder leugnen noch zugeben“93 betont aber, niemals solche Würmer
entdeckt zu haben, obwohl er mit “Vergrösserungsgläsern eine grosse Anzahl
Versuche”94 sowohl an frisch gezogenen kariösen Zähnen als auch an den Materialien,
welche die Zähne umgeben haben, durchgeführt hatte. Er betont, dass Würmer „nur
deswegen zugegen sind, weil die Speisen oder ein übel beschaffener Speichel Eierlein
von einem oder anderem Ungeziefer in den Beinfresser der Zähne hineingebracht
haben, indem dieselben mit diesen Speisen vermischet gewesen sind.“95 So kommt er zu
der Erkenntniss, dass die Würmer zumindest nicht als „die einzige Ursache”96 für
Karies in Frage kommen.
91
Jacoby (1920), S.14
92
Morawetz, (2001), Seite 64
93
Fauchard, Band 1 (1733), S. 120
94
Fauchard, Band 1 (1733), S. 140
95
Fauchard, Band 1 (1733), S. 120
96
Fauchard, Band 1 (1733), S. 141
18
Fauchard spricht im siebten Kapitel über seine Beobachtung, dass „Backenzähne eher
cariös als die Schneidezähne und die Hundszähne”97 werden und, dass obere
Schneidezähne häufiger betroffen sind als die unteren. Er stellt auch fest, dass
korrespondierende Zähne ähnlich häufig und an den ähnlichen Stellen auf derselben
Weise von Karies befallen werden und begründet dies damit, dass sie dieselbe Struktur
haben.
Die Behandlung der Zähne, an denen die Karies die Pulpa noch nicht oder nur wenig
angegriffen hat, beschreibt Fauchard wie folgt: nach Reinigung soll der Behandler
“Zimtöl und Nelkenöl, einzeln oder gemischt, in die Kavität tun, oder sie mit dem
cautere actuel ausbrennen und dann mit Blei füllen. Alle schärferen Medikamente, wie
die
von
Dionis
angegebenen
Schwefel-
und
Vitriolöle
verwirft
er
als
98
schmerzverursachend und die Zahnsubstanz angreifend.”
Bei oberflächlicher Karies empfiehlt Fauchard die Karies zu exkavieren und den
entstandenen Hohlraum mit Blei zu füllen.
Bei Karies, die Schmerzen verursacht, sollte nach der Kariesexkavation vier bis fünf
Tage lang täglich eine frische in Zimtöl oder Nelkenöl getränkte Baumwolle in die
Kavität eingebracht werden. Diese Vorsichtsmaßnahme soll verhindern, dass sowohl die
Schmerzen als auch die Karies wieder auftreten. Sollten die Schmerzen trotz dieser
Maßnahmen nicht nachlassen, sollte der Behandler zum Brenneisen greifen und einige
Zeit danach den Zahn mit Blei füllen, sofern die Kavitätenbeschaffenheit es zulässt99, da
ansonsten „der verdorbene und mit den Speisen vermischte Speichel machet, dass der
Zahn noch cariöser wird.“100
Wiederholt greift Fauchard im siebten Kapitel von Band 2 seines Werks das Thema
Kauterisieren bzw. Brennen der Zähne auf. Zu diesen Zweck benutzt er „die Enden von
einem Messingdraht, der so lang wie eine Stricknadel, und an seinen Enden viel oder
wenig umgebogen, viel oder wenig spitz, und viel oder wenig stumpf ist.“101 Er
97
Fauchard, Band 1 (1733), S. 136
98
Jacoby (1920), S. 14
99
Vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 149-150
100
Fauchard, Band 2 (1733), S. 81
101
Fauchard, Band 2 (1733), S. 76-77
19
propagiert, dass diese Instrumente „bequemer sind als alle diejenigen Instrumente,
welche bisher zu dieser Operation ausgedacht worden sind.“102
Um zu verhindern, dass die Zunge oder die Wange beim Brennen verletzt wird schlägt
Fauchard die Benutzung einer Platte aus Blech oder Silber vor, „wenn die Backenzähne
der einen oder anderen Seite des Mundes cauterisiert werden sollen.“103
Wenn die Karies schon bis zur Pulpa vorgedrungen ist und einen Abszess verursacht
hat, empfiehlt Fauchard die Karies zu exkavieren und die Pulpenkammer mit einer
Sonde zu öffnen, damit der Eiter herausfließen kann und so der Schmerz aufhört. Sein
weiteres Vorgehen beschreibt er so: nach zwei bis drei Monaten „fülle ich Bley in ihre
cariöse Zähne, um zu verhüten, daß sie nicht noch mehr beschädiget werden.”104
Fauchard diskutiert im neunten Kapitel verschiedene Möglichkeiten, die seiner
Meinung nach zur Zahnsteinbildung führen:
1.
Speisereste in den Zahnzwischenräumen
2.
eine durch die ausgeatmete Luft auf die Zähne aufgelagerte zweite Schicht
3.
Speichel, „wenn derselbe durch die Wirkung einer verdorbenen Lymphe oder
Fließwassers auch angestecket wird, und mit salzigen wie auch mit vielen erdigen
Theilgen angefüllet, die er denn an den Körper der Zähne setzet.“105
Als Folge vom Zahnstein zählt Fauchard neben der Zahnfleischresorption auch die
Lockerung der betroffenen Zähne auf. Er beobachtet Zahnstein auch an der Zahnwurzel
und nimmt an, dass die unteren Zähne deswegen häufiger mit Zahnstein bedeckt sind
als die Oberen weil, „die Materie allezeit durch ihre eigene Schwere dahin fällt, und die
Zunge selbige nicht eben so abfegen kann.“106
Fauchard befasst sich im siebzehnten Kapitel mit den durch Karies („Beinfresser“)
verursachten Schäden an den Zähnen und den Zähnen benachbarten Strukturen. Karies
an den Unterkieferzähnen soll laut Fauchard dazu geführt haben, dass der Unterkiefer
102
Fauchard, Band 2 (1733), S. 77
103
Fauchard, Band 2 (1733), S. 81
104
Fauchard, Band 1 (1733), S. 150-151
105
Fauchard, Band 1 (1733), S. 156
106
Fauchard, Band 1 (1733), S. 157
20
“entweder allganz oder zum theil verloren gegangen ist“ und „dass solches etlichen
Leuten das Leben gekostet hat.“107 Durch Karies an den Oberkieferzähnen könnte nach
Fauchard am Gaumen ein Loch hervorgerufen werden, was dazu führt, dass eine
Verbindung zwischen der Kiefer- und der Nasenhöhle entsteht. Da der vollkommene
Verschluss dieses Lochs Fauchard zu Folge „nur höchstunvollkommen erreichet“
worden ist, entwickelte er „fünf verschiedene Verstopfungs-Instrumente“.108
Fauchard empfiehlt das Feilen der Zähne, wenn diese zu lang (z.B. weil ihr Antagonist
fehlt) oder zu groß sind, kariös sind (um die Karies zu entfernen), bei Engstand oder
Aproximalkaries (um die Zähne voneinander zu trennen) sowie wenn die Zähne gekippt
stehen (um sie wieder gerader erscheinen zu lassen).109 Besonders wichtig sei es „die
Spitzen der ungleichen spitzigen und scharfen Stücke von den Ueberbleibseln des
zerbrochenen oder cariösen Zahns stumpf und eben“110 zu machen, da es sonst an den
anliegenden Weichteilen zu Verletzungen und als Folge daraus zu Geschwürsbildungen
kommen kann. Auch „wenn die Zähne stachelichste Erhebungen haben, wenn sie voll
Furchen und voll kleiner Löcher und kleiner Flecken auf ihrem Schmelze sind [...]
lassen sich alle solche Mängel heben, wenn man die Zähne mit der Feile glatt und eben
machet.“111 Er verweist darauf, dass nur die dunkel verfärbten Flecken fortzufeilen
seien, nicht aber die weißen, da diese Schmelzfehler seien und oft bis zur Pulpa reichen.
Fauchard fordert gleichzeitig, dass ein Behandler „diese Operation nicht anders als mit
reifer Ueberlegung, Unterscheidung der Umstände, und mit Vorsichtigkeit vornehmen“
soll, da sonst „schlimme Folgerungen daraus entstehen“112 könnten.
Wiederholt greift Fauchard seine Kollegen an, die z.B. beim Gebrauch der Kneifzange
um die Zähne zu kürzen „gar nicht behutsam zu wercke gehen“113 und so
Zersplitterungen am Zahnschmelz verursachen. Er propagiert den Einsatz der
Kneifzange an den Molaren zu meiden (da die Ausläufer der Pulpa unter ihren Höckern
nur mit einer dünnen Schmelzschicht bedeckt sind und diese beim Feilen leicht
107
Fauchard, Band 1 (1733), S. 257
108
Fauchard, Band 1 (1733), S. 259
109
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 27 und 34
110
Fauchard, Band 2 (1733), S. 38
111
Fauchard, Band 2 (1733), S. 34
112
Fauchard, Band 2 (1733), S. 29
113
Fauchard, Band 2 (1733), S. 35
21
freigelegt werden können) und die Zersplitterung durch vorheriges Anfeilen zu
verhindern.
Fauchard zufolge sollten „wenn lose und wackelnde Zähne länger sind als die
anderen“114, diese aus der Artikulation gefeilt werden, da sie sonst noch mehr von ihrer
Stabilität verlieren würden. Vor dem Feilen wäre es aber ratsam diese Zähne mit einem
gewachsten Faden an die festeren Nachbarzähne zu binden und sie während des Feilens
zusätzlich mit den Fingern zu stabilisieren. Wenn aber der Abstand bis zum festen
Nachbarzahn zu groß sei, nehme „man einen kleinen Keil von Holze oder Bley [...] und
mit selbigem diesen Raum voll stopfen“115 zu können, um mehr Stabilität zu erreichen.
Im Werk Fauchards finden sich zahlreiche Vorschläge, wie der Behandler „der Natur so
viel möglich nachahmen“116 sollte, z.B. indem er an den bearbeiteten Zähnen „die
Ecken an ihren Enden abfeile, daß sie ein wenig rund werden [...] und bekommen also
eine dermassen natürliche Figur, dass es schwerlich zu erkennen ist, dass sie gefeilet“117
worden sind.
Wiederholt greift Fauchard im fünften Kapitel des zweites Bandes das Thema
Kariesbehandlung auf. Zur Kariesentfernung benutzt er Instrumente wie Pfiemen oder
Zahnraspeln, und anschließend legt er ein Stückchen Baumwolle in die gereinigte
Kavität, um „damit die Feuchtigkeiten [...] und [...] die losgemachte und abgeraspelte
Materien“118 zu entfernen. Anschließend erfolgt die Füllung der Kavität mit Blei,
vorrausgesetzt diese ist nicht zu flach, da die Füllung dann nicht genügend Retention
hätte. „In solchem Falle muß man selbige raspeln oder feilen, und, wofern sie gar zu
empfindlich sind, sie brennen oder cauterisiren.“119
Als Füllungsmaterial zieht Fauchard das Zinn und das Blei dem Gold vor, da diese sich
“besser an die Ungleichheiten, welche in den cariösen Soligkeiten der Zähne sitzen, sich
anhängen“120 und so ein weiteres Umsichgreifen der Karies verhindern. Da Blei die
114
Fauchard, Band 2 (1733), S. 47
115
Fauchard, Band 2 (1733), S. 48
116
Fauchard, Band 2 (1733), S. 49
117
Fauchard, Band 2 (1733), S. 49
118
Fauchard, Band 2 (1733), S. 62
119
Fauchard, Band 2 (1733), S. 63
120
Fauchard, Band 2 (1733), S. 66
22
Zähne schwarz verfärbt ist sein bevorzugtes Füllungsmaterial Zinn. Es ist immer wieder
Fauchards Anliegen die Patienten vor Betrügern zu warnen. So sollten sich Patienten
nicht von Behandlern täuschen lassen, die vorgeben ihnen die Zähne mit Gold zu füllen,
dabei aber „Blätter von Zinn oder von Bley, die so gelb wie Gold gefärbet worden“121
sind, verwenden. Um den Betrug perfekt zu machen, würden sie auf die
Füllungsoberfläche „ein Blatt von Golde auftragen“122 und sich die ganze Füllung als
Goldfüllung bezahlen lassen.
Fauchard benutzt drei Schichtstärken von zu Blättern geschlagenen Blei- bzw.
Zinnplättchen. „Die erste sorte muß so dick wie ein Blatt Papier seyn, die andere ein
wenig dünner, und endlich die dritte noch dünner als die anderen.“123 Je dicker die
Plättchen umso länger würde die Füllung halten. So will er Zähne gesehen haben, „die
zwanzig ja dreißig Jahre voll Bley geblieben sind und auf keinerley Weise Schaden
genommen haben.“124
Den Ablauf beim Legen einer Füllung beschreibt Fauchard im sechsten Kapitel des
zweiten Bands seines Werks wie folgt: Der Behandler hält das Bleiplättchen mit seinen
Fingern in die Kavität hinein und stopft dieses mit einem geeigneten Instrument so fest
wie möglich in die Kavität. Wenn der Zahn zu schmerzempfindlich ist, sollte der
Behandler nur so fest stopfen, dass das Plättchen an Ort und Stelle bleibt und erst in
zwei bis drei Tagen nochmals kondensieren, wenn der Zahn sich allmählich an den
Druck gewöhnt hat. Wenn die Kavität vollständig gefüllt ist, sollten mit einem spitzen
Stampfeisen viele kleine Löcher in das Blei gestochen und diese anschließend wieder
mit einem stumpfen Stampfeisen kondensiert werden, um so das Blei auch in die
kleinsten Ecken der Kavität zu verteilen. Die Füllungsoberfläche wird mit dem
Stampfeisen geglättet, wobei darauf geachtet wird, dass keine Unebenheiten entstehen
und, dass die Füllungsausdehnung der Kavitätengröße entspricht, diese also nicht
überragt.125
Falls trotz Füllung die Zahnschmerzen nicht aufhören, sei der Behandler nach Fauchard
„bisweilen gezwungen das Bley wieder herauszunehmen. [...] So gebrauchet man dazu
121
Fauchard, Band 2 (1733), S. 67
122
Fauchard, Band 2 (1733), S. 67
123
Fauchard, Band 2 (1733), S. 68
124
Fauchard, Band 2 (1733), S. 69
125
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 69-70
23
die kleinen Zahnraspeln.126 Sollte diese Maßnahme auch nicht zur Schmerzlinderung
führen „so ist kein anderer Weg zu erwehlen, als dass man den Zahn ausziehet.“127
3.1.2.2 Endodontie
Zu
Fauchards
Zeit
waren
die
Möglichkeiten
für
die
Durchführung
einer
zufriedenstellenden Wurzelkanalbehandlung nur sehr begrenzt gegeben. Dennoch
scheute sich Fauchard nicht davor, sich auch mit diesem Thema zu befassen und als
Pionier auf diesem Gebiet der Zahnmedizin zu arbeiten.
Fauchard erkennt, dass, wenn ein Wurzelrest, den er z.B. mit einem Stift versorgen
möchte, noch „Gefühl hätte, die Adern und Nerven möchten zu sehen seyn oder nicht:
so könnte man vorher das Brenneisen in den Canal der Wurzel stecken, und damit diese
Gefässe aufreiben“128, so dass dieser vollkommen empfindungslos wird und keine
Unannehmlichkeiten mehr bereiten kann. Zum Kauterisieren benutzt er drei
unterschiedlich gestaltete Brenneisen: das erste ist an seinen Enden krumm und spitz,
das zweite ist gerade und sehr spitz und das dritte ist wiederum an seinen Enden krumm
aber stumpf. Eine Art silberne Platte, die wie ein Löffel gestaltet wird, soll dazu dienen,
die empfindlichen Weichteile in der Mundhöhle vor einer Verletzung mit dem
Brenneisen zu schützen.129 Anschließend soll in den Kanal für einige Tage etwas
Baumwolle eingelegt werden, die zuvor in Zimt- oder Nelkenessenz getränkt worden
ist.130
3.1.3
Parodontologie
Fauchard begreift, dass ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Zähne sowie
des Zahnfleisches besteht und dass sie sich gegenseitig beeinflussen: „Die
Verwandschafft des Zahnfleisches mit den Zähnen machet, dass die Krankheiten der
126
Fauchard, Band 2 (1733), S. 75
127
Fauchard, Band 2 (1733), S. 75
128
Fauchard, Band 2 (1733), S. 203-204
129
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 321
130
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 204
24
einen sich leicht auf das andere mit erstrecken.“131 So kommt es beispielsweise durch
vermehrte Zahnsteinbildung dazu, „dass das Zahnfleisch verzehret wird“132, also zu
Zahnfleischresorption und zu Zahnlockerung. Im sechzehnten Kapitel stellt er den
Zahnstein als Hauptursache für die Entstehung von Zahnfleischerkrankungen dar, da
durch diese „eine Zusammendrückung der Adern und Hinderniß in dem Laufe der
Säffte entstehet“133 und es zu Zahnfleischschwellung, -blutung und Schmerzen führt.
Durch die Schonung der schmerzenden Seite beim Kauen nehmen die Schmerzen sogar
zu, da das Zahnfleisch durch die Speisen nicht zusammengedrückt und auf diesem Weg
nicht ausgelehrt wird.134
Als weitere Ursache für die Entstehung von Zahnfleischentzündungen benennt
Fauchard neben dem Zahnstein „Splitter oder eine Wurzel, welche man vergessen hat
wegzunehmen“135 sowie kariöse Zähne. Um also Entzündungen erfolgreich zu
behandeln, sei es unerlässlich diese zu entfernen.136
Als Folge der Nichtbehandlung von Auswachsungen schildert Fauchard die
Verwandlung dieser in Geschwülste oder sogar in Krebs. Um dies zu verhindern, sei es
wichtig den Zahnstein zu entfernen, überflüssiges Zahnfleisch mit einer Schere zu
entfernen und die betroffene Region mit einer Tinktur zu behandeln.137 Nach einer
Operation sollte der Behandler den Mund des Patienten mit warmem Wein ausspülen,
auf die Wunde ein „Carpiebäuschlein, das in eine Mixtur von Wein und Honig
getuncket worden“138 ist, legen und die Blutung mit Hilfe von Kompressen stoppen.
Fauchard zählt einige unterschiedliche Zahnfleischerkrankungen wie z.B. Geschwülste,
Geschwüre oder Fisteln auf und weist darauf hin, wie wichtig die richtige Behandlung
dieser Krankheiten ist, da „eine jede von ihnen [...] zu anderen Krankheiten von
verschiedenen Arten ausschlagen“139 kann. Im fünfzehnten Kapitel erweitert er seine
Aufzählung um „die Schmerzen, welche von den Zähnen erreget werden, wenn selbige
131
Fauchard, Band 1 (1733), S. 13
132
Fauchard, Band 1 (1733), S. 154
133
Fauchard, Band 1 (1733), S. 203
134
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 204
135
Fauchard, Band 1 (1733), S. 218
136
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S.236
137
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 206-207
138
Fauchard, Band 1 (1733), S. 213
25
herauskommen“140 und um den Abszess. Abszesse sollen durch eine Inzision behandelt
werden, damit der Eiter abfließen kann, und anschließend die Wunde einige Zeit offen
lassen.
Die Geschwüre am Zahnfleisch werden nach Fauchard „von dem Schlamme des
Mundes, von dem verdorbenen Speichel, oder von einem Stosse oder Schlage, davon
das Zahnfleisch zusammen getrieben oder gequetschet worden, verursacht“141. Darüber
hinaus können Geschwüre am Zahnfleisch entstehen, „wenn die Adern, welche die
Säffte, davon es angefeuchtet wird, dahinbringen, zugedrücket werden, oder eine
Verstopfung an den Drüsen entstehet.“142 Wenn als Folgeerscheinungen z. B Fieber,
heftige Schmerzen, Schlaflosigkeit oder sogar Bewusstlosigkeit auftreten sollten, scheut
Fauchard sich nicht davor, sich „bey Medicis und Chirurgis, die in dieser Art
Krankheiten die grösseste Erfahrung erlanget haben,“143 beraten zu lassen. Falls keine
Folgeerscheinungen auftreten, rät er zur Behandlung der Geschwüre eine Mixtur auf die
betroffene Stelle aufzutragen, die nach einer von ihm beschriebenen Rezeptur
hergestellt worden ist.144
Als Fistel definiert Fauchard die „Folgen von einem Geschwüre, oder von einer
Auswachsung, von einer Geschwulst, oder von einem Abscesse, den man nicht
geachtet“145 oder nicht richtig behandelt hat. Falls die Ursache für die Entstehung der
Fistel ein kariöser Zahn ist, sei es notwendig diesen zu entfernen. Sofern Karies nicht
die Ursache für die Entstehung darstellt, reiche es die Öffnung der Fistel zu erweitern
und diese mit einem Infernalstein auszustreichen.146
Die Aufgabe des Zahnfleisches besteht nach Fauchard darin, „daß es die Zähne fester
und standhaffter in den Kinnbacken machet“147. Außerdem trägt das Zahnfleisch, wenn
es gesund ist, seiner Ansicht nach zu einer Verschönerung des Gesichtsausdrucks bei,
da es einen Kontrast zu den Zähnen bildet.
139
Fauchard, Band 1 (1733), S. 122
140
Fauchard, Band 1 (1733), S. 197
141
Fauchard, Band 1 (1733), S.238-239
142
Fauchard, Band 1 (1733), S.237
143
Fauchard, Band 1 (1733), S.239
144
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S.240
145
Fauchard, Band 1 (1733), S.242
146
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 243
26
3.1.4
Zahnärztliche Chirurgie
3.1.4.1 Extraktion
Da die konservierende Zahnheilkunde zu Fauchards Zeiten noch in den Kinderschuhen
steckte, sind viel mehr Zähne der Zange zum Opfer gefallen als heute. (Anmerkung: Zu
einem der wichtigsten diagnostischen Hilfsmittel, vor allem auch im Bereich der
konservierenden Zahnheilkunde, zählt zu unserer Zeit das Röntgen, das allerdings
Fauchard noch nicht zur Verfügung stand, da die Entdeckung der „X-Strahlen“ erst
Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 gelang.) Damit ist zu erklären, warum sich
Fauchard in seinem Werk intensiv mit dem Thema Extraktion auseinandersetzt und es
ein großes Anliegen von ihm war, Verbesserungen an den Instrumenten, die auf diesem
Gebiet der Zahnheilkunde nötig sind, zu erzielen.
Fauchards größtes Anliegen ist es, so viele Zähne wie möglich zu erhalten und das
macht er deutlich, indem er schreibt: „Ich gehe immer ungern daran, dass ich Zähne
ausziehe, nicht zwar wegen der Hefftigkeit der Operation, als welche niemals so groß ist
wie die Schmerzen an denselben; noch wegen der schlimmen Folgen, so daraus
entstehen können: sondern deswegen stehe ich an, suche Ausflucht, und schiebe sie
auszuziehen, weil ich so grosse Stücke auf sie halte, und ihr Gebrauch von solcher
Wichtigkeit ist.“148
Fauchard benennt im zwölften Kapitel vier Gründe, die dazu führen, dass Zähne
entfernt werden müssen:
1. heftige Schmerzen, die anders nicht zu behandeln sind
2. Verhinderung des Übergreifens der Karies auf die Nachbarzähne
3. wenn ein Zahn übel riecht, verursacht durch Karies oder durch den Schlamm, aus
dem
später
Zahnstein
erzeugt
wird,
welcher
dadurch
entsteht,
dass
schmerzempfindliche Zähne auf einer Seite nicht mehr zum Kauen gebraucht werden
4. wenn durch den Zahnstein verursachte Krankheiten nicht anders behandelbar sind.149
Fauchard zählt im zweiundzwanzigsten Kapitel als weitere Gründe für die Extraktion
der Zähne z.B. frakturierte Zähne auf, wenn durch die Fraktur „viel von der Substanz
147
Fauchard, Band 1 (1733), S. 196
148
Fauchard, Band 2 (1733), S. 187-188
27
verloren“150 gegangen ist – selbst dann, wenn der Zahn nicht kariös ist. Zur Extraktion
rät er auch bei einem retinierten Weisheitszahn, der im höheren Erwachsenenalter
versucht durchzubrechen aber “in einer Kinnlade stecket und eingeschlossen ist, deren
Soligkeit weder groß genug ist, noch Wände hat, die biegsam genug wären, dass sie
dem Zahne verstatten könten, indem er wächst, sich weiter auszubreiten.“151
Nach der Extraktion sei es sehr wichtig, „dass man die Theile brav zusammendrücket
und so nahe, als man kann, an einander bringet,“152 um Komplikationen wie Blutung,
Schmerzen sowie Abszessbildung möglichst zu vermeiden. Bei starker und anhaltender
Blutung soll der Behandler auf die Extraktionswunde eine „ovalrunde bleyerne
Platte“153 legen und diese mit dem Gegenkiefer fixieren. Bei leichterer Blutung würde
kauterisieren helfen.
Fauchard widerspricht der bis dahin gültigen Meinung, dass die Zahnextraktion bei
schwangeren Frauen „die Milch verderben, dieselbe davon sich verlieren, und andere
schlimme Zufälle dadurch erreget werden können.“154 Er rät gleichzeitig dazu die
Operation zu verschieben, wenn die schwangere Patientin durch gutes Zureden nicht zu
beruhigen ist und wenn die Angst ihr nicht genommen werden kann, da es „nicht nöthig
ist obgebachte Unfälle zu besorgen.“155
Fauchard betont, dass der Behandler die Angst der Patienten nicht nur durch gutes
Zureden zu mindern in der Lage ist, sondern auch dadurch, dass er “die Instrumente, mit
welchen” er „in seinem Munde operieren will, vor seinen Augen verbirget.“156
Fauchard widmet das zehnte Kapitel des zweiten Bandes seines Werkes der
„Beschreibung und [dem] Gebrauch der Instrumenten, die zu der Operation dienen, da
man die Zähne ausziehet.“157 Er zählt fünf Instrumente auf, die er für die
149
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 176
150
Fauchard, Band 1 (1733), S. 265
151
Fauchard, Band 1 (1733), S. 273
152
Fauchard, Band 1 (1733), S. 264
153
Fauchard, Band 1 (1733), S. 281
154
Fauchard, Band 1 (1733), S. 179
155
Fauchard, Band 1 (1733), S. 181
156
Fauchard, Band 1 (1733), S. 181
157
Fauchard, Band 2 (1733), S. 121
28
Zahnextraktion benutzt: das Löseeisen, das Stoßeisen, die Zange, den Hebel und den
Pelican.
Das Löseeisen (am besten zweischneidig) diente dazu, das Zahnfleisch von dem Zahn
bzw. von seiner Wurzel zu lösen, damit diese nicht verletzt oder gequetscht wurde und
so zu einer Wundheilungsstörung führen konnte. Dieses Instrument eignete sich nach
Fauchard auch sehr gut, um Abszesse oder Geschwülste zu eröffnen.158 In der Gestalt
ähnelte das Löseeisen einem gebogenen Skalpell.
„Das Stoßeisen dienet die Zähne, die Wurzeln derselben, oder ihre Stümpfe
wegzunehmen, so dass man damit von aussen nach innen stösset.“159 Um Zähne oder
Stümpfe von innen nach außen herauszuziehen, sei der gekrümmte Haken am besten
geeignet.160
Fauchard zählt für unterschiedliche Zahngruppen verschieden gestaltete Zangen auf
z.B.: für die Schneide- und Eckzähne die gerade Zange, für Wurzelreste Zangen, die
wie ein Kranichschnabel oder Rabenschnabel gestaltet sind, sowie die Papagaienzange
für die Extraktion der Molaren und Prämolaren. Es sei wichtig, dass die dem Zahn
anliegende Fläche der Zange geriffelt ist, damit diese nicht vom Zahn abrutschen
kann.161
Der Hebel sei ein Instrument, das eher dazu zu gebrauchen sei, Zähne zu zerbrechen, als
diese zu extrahieren. Fauchard erwähnt, dass er den Hebel nur benutzen würde, um
„wackelnde oder nicht eben fest sitzende Zähne damit auszuziehen.“162
Fauchard benutzte den Pelican, um „die Zähne oder Stümpfe nach aussen zu heraus zu
ziehen.“163 Der Pelican scheint zu Fauchards am häufigsten benutzten und damit am
besten zu beurteilenden Instrumenten zu gehören, denn im elften und zwölften Kapitel
des zweiten Bandes seines Werkes beschäftigt er sich ausführlich mit der Beschreibung
eines von ihm neu entwickelten Pelicans und gleichzeitig mit der Aufzählung der
158
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 121-123
159
Fauchard, Band 2 (1733), S. 123
160
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 325
161
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 135-137
162
Fauchard, Band 2 (1733), S. 141
163
Fauchard, Band 2 (1733), S. 142
29
Mängel der Pelicane, die bis dahin im Gebrauch waren. Z.B. bringt er Fugen an den
Pelican an, die dazu führen, dass dessen Arme mehr Festigkeit erhalten. Bis dahin war
es üblich, Leinwand um den Arm des Pelicans zu binden, damit dieser fester an den
Zahnkörper anliegt, was seine Aufgabe nicht immer sicher erfüllte, so dass ein sicheres
Operieren nicht möglich war.164 Er krümmt auch die bis dahin geraden Arme des
Pelicans, was die Extraktion der Zähne erleichterte, da diese „dadurch horizontal und
fast vertical, zugleich aber auch von innen nach aussen zu herausgezogen“ wurden
„ohne dass man zugleich Gefahr läuft die Zähne, so an der Seite sitzen, mit
anzugreifen“165 und gleichzeitig konnte auch die Lippe des Patienten besser geschont
werden. Er entwickelt zwei unterschiedlich gekrümmte Pelicane: der eine ist für den
ersten und vierten, der andere für den zweiten und dritten Quadranten166 und rät dazu,
als Operateur beide Varianten zu besitzen.
Abbildung 5: Gepolsterter Pelican nach Pierre Fauchard167
Fauchard zufolge basiert eine erfolgreiche Behandlung in erster Linie auf der
Geschicklichkeit des Operateurs „denn wo dieses nicht ist, so mag ein Pelican noch so
vollkommen seyn, so ist er doch das gefährlichste von allen Instrumenten, die zum
Zahn-Ausziehen gebrauchet werden.“168 Fauchard ist davon überzeugt, dass er durch
seine Verbesserungen an dem Pelican, diesem Instrument die Vollkommenheit
verliehen hat, die nötig war, um auch die Zähne und Wurzel entfernen zu können, was
mit der alten Version nicht möglich war, immer vorausgesetzt, dass der Behandler was
von seinen Handwerk versteht.169
164
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 155
165
Fauchard, Band 2 (1733), S. 159
166
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 160
167
http://image.absoluteastronomy.com/images/topicimages/p/pi/pierre_fauchard.gif
168
Fauchard, Band 2 (1733), S. 163
169
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 163
30
Fauchard
zählt
eine
Reihe
von
Komplikationen
und
deren
jeweiligen
Behandlungsmöglichkeiten auf, die bei einer Zahnextraktion auftreten können. Es sei
z.B. eine Luxation des Unterkiefers zu vermeiden, indem der Operateur es unterlässt
den Mund des Patienten zu weit zu öffnen. Sollte es durch die Extraktion zu einer
Kieferfraktur, ohne Absplitterung von einzelnen Fragmenten kommen so sei es
ausreichend das Zahnfleisch mit dem Daumen und Zeigefinger zusammenzudrücken.
Sobald es zu Absplitterungen kommt sei es unerlässlich, diese zu entfernen, wenn diese
ganz lose sind, da sie nicht wieder anwachsen könnten und sie nur eine mögliche
Ursache für Komplikationen darstellen. Sollten sie noch irgendwo fest hängen, sollte
eine Reposition versucht werden. Anschließend sollte eine Kompression durch
Fingerdruck erfolgen.170
Fauchard schildert, dass auch eine ungünstige Wurzelanatomie oder auch eine
Verknöcherung der Wurzel, trotz geeigneter Instrumente und einem geschickten
Operateur zu Misserfolgen bei der Zahnextraktion führen können.171
Fauchard wird nicht müde, seine Leser zum wiederholten Male vor Betrügern zu
warnen. Er beschreibt ausführlich deren gängige Praxis, Patienten eine Zahnextraktion
vorzutäuschen. “Der kunstreiche Operatör, welcher in seiner Hand einen schon
herausgenommenen Zahn hat, um welchen eine sehr feine Haut, so voll Blut von
Hühnern oder einem anderen Thiere, gebunden ist, stecket seine Hand dem verstelleten
Patienten in den Mund, und lässet den verborgen gehaltenen Zahn darinnen zurück.
Hernach so darf er nur den Zahn mit einem Pulver, einem Strohhalme, oder mit der
Spitze seines Degens anrühre oder so thun, als wenn er ihn anrührete“172, so dass auf
diesem Wege eine schmerzfreie Extraktion vorgetäuscht wird. Wenn aber ein Patient
einen bestimmten Zahn entfernt haben möchte, würde der Betrüger eine Ausrede
erfinden, um die Extraktion nicht vornehmen zu müssen.
Es ist auch Fauchards Anliegen, den Patienten die Angst vor der Extraktion der
Eckzähne zu nehmen, da sie seiner Beobachtung nach zu nicht mehr Komplikationen
170
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 164-167
171
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 168
172
Fauchard, Band 2 (1733), S. 174
31
führen würden, als die Extraktion jedes anderen beliebigen Zahnes obwohl
„glaubwürdige Practici und Scribenten [...] eben das angemercket“173 hätten.
3.1.4.2 Implantologie
Warum sich ein frisch extrahierter Zahn wieder in seine ursprüngliche Alveole
reimplantieren lässt, erklärt Fauchard mit der Beschaffenheit des Zahnfleisches und der
Alveole sowie mit dem Einfluss der Nahrung. „Ein Zahn, der in seine vorige Kinnlade
wieder eingesetzt wird, wird darinnen wieder fest durch die Elastizität und Biegsamkeit
der Kinnlade selbst und des Zahnfleisches, oder besser zu sagen durch das Anstossen
und Zusammendrücken, das von dem Einflusse des Nahrungsafftes veranlasset wird.“174
Fauchard benennt im neunundzwanzigsten Kapitel eine Reihe von Fällen, in denen er
Zähne, die er kurz vorher extrahierte um diese z.B. von Karies zu befreien, wieder
erfolgreich reimplantierte. Der Erfolg dieser Maßnahme sei nur „mit dem Bedinge dass
dieser Zahn ausgezogen werden könnte ohne zu zerbrechen, ohne etliche Stücke von der
Kinnlade zu zerscheitern, und ohne viel an dem Zahnfleische zu zerreissen“175 zu
erreichen. Für die nötige Stabilisation sorgt er, indem er den reimplantierten Zahn für
mehrere Tage an seine Nachbarzähne „mit einem gemeinschafftlichen Drathe“176
befestigte. „Hingegen wo viele Zähne aus ihren Kinnladen heraus getreten sind so
machet man sie mit [...] Platten fest, und siehet dafür zu, dass sie das Zahnfleisch nicht
berühren.“177
Fauchard behauptet, einen reimplantierten Zahn, den er einer Patientin zuvor
fälschlicherweise vollständig extrahiert hatte, nach einem Jahr begutachtet und
festgestellt zu haben, dass „dieser Zahn eben so fest und eben so empfindlich, als wenn
er niemals ausgezogen gewesen wäre“,178 war.
173
Fauchard, Band 2 (1733), S. 176
174
Fauchard, Band 1 (1733), S. 38
175
Fauchard, Band 1 (1733), S. 348
176
Fauchard, Band 1 (1733), S. 349
177
Fauchard, Band 2 (1733), S. 108
178
Fauchard, Band 1 (1733), S. 353-354
32
Fauchard stellt fest, „dass es möglich sey die Zähne an ihre Stelle glücklich wieder
einzusetzen, ja auch sie aus einem Munde in den andern zu versetzen“. Es gäbe aber
keine Erfolgsgarantie, „denn man findet dergleichen Zähne, die nicht lange währen.“179
Wenn aus einem in den anderen Mund Zähne versetzt werden sollen, „muß jederzeit ein
vollkommen gesunder Zahn vorgezogen werden.“180 Da er diese Art von Operation
schon sehr oft mit Erfolg durchgeführt hat, wundert sich Fauchard, „dass es noch
heutiges Tages Scribenten und practicos gibt, welche selbige für unmöglich
ausgeben.“181
Fauchard zählt einige Rahmenbedingungen auf, die gegeben sein müssen, damit eine
erfolgreiche Reimplantation möglich ist: „die Person, bey welcher diese Operation
geschicht, sich bei guter Gesundheit befinden müsse; dass die Kinnlade und das
Zahnfleisch, in welche man einen Zahn wieder einsetzen will, keine gar zu grosse
Zerreissung erlitten haben müssen; und dass der Zahn und die Kinnlade, welche ihn
fassen soll, eine Proportion (Verhältniß) unter einander haben müssen.“182 Aus Gründen
der Ästhetik wären die häufigsten Zähne, die für eine Reimplantation in Frage kommen,
die Schneide- und Eckzähne, sowie die Prämolaren.
Wenn ein Zahn aus dem einen in den anderen Mund versetzt werden soll, sei es nach
Fauchard wichtig, zuerst den zu versetzenden Zahn zu extrahieren. Zum einen, weil
dieser bei der Extraktion zerbrechen könnte oder aus einem anderen Grund für nicht
mehr geeignet gefunden werden könnte, so dass ein anderer Zahn für die Versetzung
gefunden werden muss. Zum anderen könne es nach der Extraktion in der Alveole zur
Blutgerinnung kommen, was dazu führen würde, dass der neu eingesetzte Zahn nicht
mehr so leicht einwachsen könnte.183 Der versetzte Zahn soll für „zwölf bis vierzehn
Tage über fest mit einem Faden“184 fixiert werden. Fauchard beschreibt, dass er nur
selten Menschenzähne dafür nimmt, denn "die mehresten Menschen haben ein Grauen
für Zähne, die aus einem Leichname gewonnen wurden".
179
Fauchard, Band 1 (1733), S. 363
180
Fauchard, Band 2 (1733), S. 177
181
Fauchard, Band 2 (1733), S. 179
182
Fauchard, Band 2 (1733), S. 180
183
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 181
184
Fauchard, Band 2 (1733), S. 182
33
Fauchard weist auf die selten vorkommende Möglichkeit einer nicht stillbaren Blutung
nach einer Extraktion hin, wenn z.B. der ausgezogene Zahn sehr groß ist, dieser weit
abstehende Wurzeln aufweist oder wenn die Wurzel verknöchert ist. Es sei schon
vorgekommen, dass Patienten nach einer Zahnextraktion so viel Blut verloren haben,
dass sie gestorben sind. Um mögliche Blutungen stillen zu können, sei es wichtig, die
Mittel zu kennen um dies auch zu erreichen. Er schlägt die Anwendung von
zusammenziehenden oder ätzenden Arzneien, sowie das Brenneisen vor. Vor allem sei
es aber wichtig, dass eine ausreichend lange und feste Kompression der Wunde, die
dem Blutdruck entgegenwirkt, erfolgt, ohne die eine vollkommene Blutstillung nicht
möglich sei.185
Fauchard wird nicht müde, immer wieder auf das betrügerische Vorgehen manch seiner
Kollegen hinzuweisen. So auch im Kapitel neun des zweiten Bandes, wo er das
„Ansehen der Ehre unserer Proffesion“ dadurch zu schützen versucht, dass er „die
Richtigkeit solcher Betriegereyen und der Irrtümer, welche daraus entstehen,186 darlegt.
Er warnt davor zu glauben, dass allein mit Hilfe von Tropfen oder Zahnbalsamen „die
Zähne davon wieder fest werden“ denn meistens „ohne Beyhilfe der Hände damit nicht
zu stande kommen kan.“187
„Wenn die Zähne dermassen wackeln, dass sie bald selbsten ausfallen oder leicht
herausgenommen werden können; die Soligkeit ihrer Kinnladen aber hat von seiner
Tiefe nichts verloren“, so sei es nach Fauchard möglich, diese Zähne zu extrahieren,
„über dem Zahnfleische“188 ein durchgehendes Loch zu bohren durch das ein Golddraht
gezogen wird, um anschließend den Zahn in seine Alveole zu reimplantieren. Es sei
ratsam „rings um den Zahn herum einen Streifen, [...] darein der Golddraht geleget
werden kann“189 anzulegen, wobei sich dieser bei den Unterkieferzähnen über und bei
den Oberkieferzähnen unter dem Durchbohrungsloch befinden sollte.
„Wenn aber die Soligkeit der Kinnlade etwas von ihrer Tiefe verloren hat, und der Zahn
länger ist als er seyn soll: so muß man den Zahn an seiner Wurzel kürzer machen,
185
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 185-186
186
Fauchard, Band 2 (1733), S. 110
187
Fauchard, Band 2 (1733), S. 110
188
Fauchard, Band 2 (1733), S. 115
189
Fauchard, Band 2 (1733), S. 115
34
indem man ihn abfeilet oder absäget“190, wobei aber unvermeidlich das Pulpencavum
eröffnet wird, was vor der Reimplantation mit Blei zu füllen sei.
Wiederholt greift Fauchard seine Vorgänger an, die anstatt sich selber über neue
Behandlungsmethoden Gedanken zu machen, lieber denen folgen, die schon berühmte
Zahnärzte vor ihnen niederschrieben, ohne die Richtigkeit dieser Methoden in Frage zu
stellen. So sei es dazu gekommen, dass vielen Patienten ihre gelockerten Zähne
unnötigerweise gezogen wurden, obwohl sie nach Fauchards Verfahren hätten für lange
Zeit erhalten werden können.191 Fauchard versteht sich als Erfinder dieser Verfahren,
denn er schreibt: „weil, so viel ich weiß, noch niemand vor mir die Manier die
natürlichen Zähne, so wie ich anweise, wieder fest zu machen, noch dieselben wieder
einzusetzen, wenn sie ausgezogen sind, in Uebung gebracht hat.“192
3.1.5
Prothetik
Fauchard spricht sich dafür aus, gebrochene Zähne oder Zahnteile wenn möglich zu
belassen, denn „diese Trümmer helfen bisweilen zur Ersetzung der Mängel, welche der
Bruch hinterlässet, und durch die Kunst so geschicklich ersetzet werden, dass man
leicht damit betrogen werden, und ihre Verrichtungen mit den natürlichen selbst
verwechseln kann.“193 Es wird deutlich, dass ihm nicht nur die reibungslose Funktion
eines Zahnersatzes am Herzen liegt, sondern die Ästhetik auch eine wichtige Rolle
spielt.
Fauchard befasst sich im dreizehnten Kapitel des zweiten Bandes seines Werkes mit
„den Zähnen, die durch die Kunst gebildet werden, dass sie für andere, so fehlen, in die
Stelle gesetzt werden sollen.“194 Er verweist darauf hin, dass die Ersatzzähne in Länge,
Dicke und Breite dem natürlichen Zahn, den sie ersetzen, entsprechen sollten.
Gleichzeitig sei es wichtig, dass die Ersatzzähne auf dem Kieferkamm aufliegen.195
190
Fauchard, Band 2 (1733), S. 117
191
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 120
192
Fauchard, Band 2 (1733), S. 120-121
193
Fauchard, Band 1 (1733), S. 111
194
Fauchard, Band 2 (1733), S. 189
195
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 190
35
Als Material für die Ersatzzähne zählt Fauchard Menschenzähne, Walross-, Ochsen-,
Pferde- sowie Mauleselzähne, aber auch Beinknochen vom Ochsen und das Innerste
vom Elfenbein auf. Er zieht Menschen- und Walrosszähne allen anderen vor, da sie
einen härteren Zahnschmelz aufweisen und dadurch widerstandsfähiger gegen äußere
Einflüsse sind, so dass sie folglich länger erhalten bleiben und sie auch ihre Farbe
länger erhalten.196
Sollte ein Menschenzahn als Ersatzzahn gebraucht werden, so sollte dieser in Form und
Farbe zu den Nachbarzähnen passen. Vor dem Einsetzen sei es erforderlich, den
überflüssigen Wurzelanteil zu entfernen, und das Pulpencavum mit Blei zu füllen.
Sollten die Menschen- oder Tierzähne im Verhältnis zu dem gegebenen Platzangebot zu
groß sein, so sei es erforderlich, diese mit Hilfe von Feilen oder einer Schleifmühle auf
die gewünschte Größe und Form zu bringen.197
Falls die Lücke, in die der Ersatzzahn hineingesetzt werden soll, zu groß sei (z. B. durch
Zahnwanderung oder durch Kariesbefall der Nachbarzähne verursacht), so sei es nach
Fauchard erforderlich, dass der Fuß des künstlichen Zahnes diesen Zwischenraum
ausfüllt. Der Zahn sollte zur Kaufläche hin aber schmaler werden, um so mehr
Ähnlichkeit mit dem natürlichen Zahn zu haben und die Symmetrie nicht zu stören.198
Um einen Ersatzzahn im Zahnbogen zu befestigen, durchbohrt Fauchard diesen an
seiner Basis, sticht einen Golddraht oder Seidenfaden hindurch, mit Hilfe dessen er den
Zahn an den beiden natürlichen Nachbarzähnen befestigt. Sollen mehrere Zähne ersetzt
werden, so wird durch diese, nachdem die Zähne angepasst und sie an ihrer Basis mit
Löchern versehen wurden, ein mittelstarker Gold- oder Silberdraht gesteckt. Dieser
wird an den Enden vernietet und anschließend werden die Zähne an den Nachbarzähnen
befestigt.199
Sobald mehrere Zähne (fünf bis sechs) nebeneinander ersetzt werden sollen, so rät
Fauchard diese untereinander mit Hilfe einer Gold- oder Silberspange von lingual bzw.
palatinal zu befestigen. Die Spange wird hierzu in eine vorgefertigte Kerbe am
Zahnfleischrand eingelassen und mit Hilfe von Goldstiften, die aus der Spange in die
196
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 190
197
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 191
198
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 192
199
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 192-195
36
künstlichen Zähne ragen und vernietet werden, an diesen stabilisiert. Die Befestigung
des so hergestellten Ersatzes in die Zahnreihe, erfolgt wie oben geschildert. 200
Abbildung 6201: “Zahnersatz, durch Seidenfäden fixiert, und Stiftzähne, beides aus
menschlichen Zähnen. Da es noch keinen Zement gab, wurde der Stift mit quellenden
Fäden umwickelt.“202
Fauchard beschäftigt sich in seinem Werk unter anderem auch mit der Gestaltung des
Stiftzahnes, damals „Zapfenzahn“ genannt, um einzelne Ersatzzähne dauerhaft im
Zahnbogen zu befestigen. Hierzu seien Wurzelreste geeignet, die noch feste Wände
haben und lang genug sind. Somit kommen Prämolaren und Molaren hierfür nicht in
Frage, da sie mehrere Wurzeln haben, die möglicherweise nicht lang genug sind und
eine zu starke Krümmung aufweisen. Oberkieferschneidezähne seien als Stiftzahn
besser geeignet als die unteren Schneidezähne, da deren Wurzelkanal weiter ist und sie
deswegen einfacher zu bearbeiten sind.203
Das Vorgehen bei der Gestaltung eines Stiftzahnes beschreibt Fauchard wie folgt: als
Vorbehandlung soll der Wurzelrest vollständig von Karies befreit werden und seine
Kanäle unter Zuhilfenahme eines Eisenbohrers erweitert werden. Bei dem Gebrauch des
Eisenbohrers warnt Fauchard vor einer Instrumentenfraktur im Kanal und vor einer
Überinstrumentierung über die Wurzelspitze hinaus, denn dies könnte zu Schmerzen
oder sogar zu einer Abszessbildung führen, so dass eine Extraktion des Wurzelrestes
200
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 196-197
201
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/91/Diagramme_de_Pierre_Fauchard_sur_la
_restauration_des_dents.jpg /395px-Diagramme_de_Pierre_Fauchard_sur_la_restauration_des_dents.jpg
202
Hoffmann-Axthelm (1984), S 1145
203
Fauchard, Band 2 (1733), S. 206
37
unausweichlich wird. Der Wurzelkanal soll anschließend mit Blei gefüllt werden. Es
wird nun ein aus Gold oder Silber hergestellter und angerauter Zapfen erhitzt (damit der
Kitt, der nach Fauchards Rezeptur hergestellt und in den Wurzelkanal eingefüllt worden
ist, schmilzt) und in den Wurzelkanal gedrückt. Als Letztes wird der Ersatzzahn mit
einer geraden Zange auf den aus der Wurzel herausragenden Teil des Stiftes gedreht,
und so befestigt.204
Fauchard propagiert, dass wenn ein Wurzelkanal nicht tief genug sei oder der Stift nicht
lang genug gestaltet werden könnte, eine zusätzliche Befestigung des Stiftzahnes, mit
Hilfe eines Golddrahtes an den Nachbarzähnen, nicht ausbleiben sollte.205 Er bekräftigt,
dass „die Zähne und Kunststücke, die mit Zapfen oder Golddrähthern befestiget werden,
sitzen fester als alle andere; sie bleiben bisweilen fünfzehn bis zwanzig, ja noch
mehrere Jahre sitzen, ohne verrücket zu werden. Hingegen gemeine Zwischenfäden und
Seidenfäden [...] sind von kurzer Dauer.“206
Fauchard demonstriert das Vorgehen bei der Herstellung eines Gebisses, wenn nur noch
Zahnwurzeln im Kiefer vorhanden sind, die als Träger für Stiftzähne in Frage kommen.
Für die Markierung der Löcher am Ersatzstück, durch die später die Stiftzähne gesetzt
werden sollen, schlägt Fauchard vor, in die Wurzel zuvor in Tinte getränkte Federn zu
stecken. Anschließend wird das Ersatzstück angepasst und so die Stellen markiert, an
denen die Bohrung für die Stiftzähne erfolgen soll. Nachdem die Bohrung der Löcher
erfolgt ist, könnten die Stifte durch den Ersatz in die Zahnwurzel gesteckt werden,
wodurch der Ersatz seine Stabilität erhält.207
Fauchard widmet das fünfzehnte Kapitel des zweiten Bandes seines Werkes der
Beschreibung der Instrumente, welche er benutzt, um künstliche Zähne herzustellen und
zu befestigen und so verloren gegangene Zähne zu ersetzen. Als hierzu nötige
Hilfsmittel zählt er folgende Instrumente auf: den Zirkel, den Schraubstock, die Säge,
das platte oder halbrunde Reibeisen, vier unterschiedliche Feilen (platt, wie ein Reifen
gekrümmt und rund, halbrund sowie gerade rund), die Picke (mit zwei großen platten
204
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 199-203
205
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 204-205
206
Fauchard, Band 2 (1733), S. 206
207
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 224-226
38
Flächen, oval oder wie eine Harke gestaltet) und den Zwickbohrer samt seinem
Bügel.208
Fauchard erachtet es als wichtig, seinen Patienten auch einen Ersatz für den zahnlosen
Kiefer zu ermöglichen. Besonders wichtig sei der Ersatz der Unterkieferzähne, „denn
wenn die Zähne an dieser Kinnbacke fehlen, so leidet die Aussprache der Worte am
meisten darunter, imgleichen geschicht sodann das Käuen sehr unvollkommen; [...] Die
Backen und Lippen fallen, wenn die Zähne fehlen, ein und verstecken sich gleichsam in
den Mund.“209 Er behauptet, wenn der Ersatz im Unterkiefer richtig gestaltet sei, so
würden die künstlichen Zähne von der Lippe und der Zunge so stabilisiert werden, dass
„es sich nicht verrücket, und das Käuen frey damit verrichtet werden kann, auch fast gar
nicht von dem Käuen unterschieden ist, das mit natürlichen Zähnen geschicht.“210 Vom
Vorteil sei es, wenn im Oberkiefer noch natürliche Zähne vorhanden seien und auch,
wenn der Patient es schon von früher gewöhnt ist, künstliche Zähne zu tragen.211
Eine
größere
Schwierigkeit
stellt
nach
Fauchard,
die
Herstellung
des
Oberkieferzahnersatzes dar. Dies sei vor allem dann problematisch, wenn im
Unterkiefer keine natürlichen oder Ersatzzähne vorhanden sind, „damit das an den
oberen Kinnbacken gelegte Stück davon gehalten und daran fest gemachet werden
könne.“212 Um dieses Problem zu lösen, sah sich Fauchard gezwungen, eine neue
Konstruktion (er nennt dies eine Maschine) zu erfinden. Sie besteht aus einem Gerüst
aus Gold oder Silber für den noch bezahnten Unterkiefer, das an den Zähnen des
Oberkiefers an- und durch Querbalken auflag. An den Enden dieses Gerüsts werden
Federn aus Stahl befestigt, die in die Fugen des Oberkieferstückes eingreifen, so dass
dieser gegen den Oberkiefer gedrückt und so stabilisiert wird.213 Fauchard ist davon
überzeugt, seine „Maschine“ sei „tüchtig und geschickt das Käuen zu verrichten, den
Mund zu zieren, und die Stimme vernehmlich zu machen.“214 Der Ersatz sei leicht, auch
vom Patienten selbst, in den Mund einzuführen, indem vor dem Einsetzen der obere und
der untere Teil durch Fingerdruck aneinander angenähert werden und so gehalten der
208
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 209-214
209
Fauchard, Band 2 (1733), S. 228
210
Fauchard, Band 2 (1733), S. 229
211
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 229
212
Fauchard, Band 2 (1733), S. 229
213
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 230-234
214
Fauchard, Band 2 (1733), S. 236
39
Ersatz eingesetzt wird. Das Herausnehmen sei auch einfach aber nur nötig, wenn die
Feder erneuerungsbedürftig sei, was aber nur dann der Fall sei, wenn die Feder nicht gut
verarbeitet worden wäre.215
Fauchard ist von seiner Konstruktion sehr überzeugt und das macht er deutlich, indem
er schreibt: “Gegenwärtige Maschine aber hat nicht nur die guten Eigenschafften der
anderen an sich, welche vormals erfunden worden sind, dabey sie doch der
Unbequemlichkeiten derselben nicht theilhafftig ist; sondern sie hat noch viele andere
Vortheile an sich, welche sie über jene erheben, und sie hundertmal bequemer machen
als jene.“216 Er geht sogar soweit zu behaupten, dass seine Patienten sogar „des
Verlustes ihrer natürlichen Zähne vergessen, wenn sie sich erst zu solchem Kunststücke
gewöhnet haben.“217
Fauchard beschreibt die bis dahin gängige Methode, um Oberkieferzähne zu ersetzen.
Hierzu wurden an den oberen Kunstzähnen Federn „von Fischbeine“218 („aus WalfischBarten gewonnenes hornartiges Material“219) befestigt und diese dann mit Hilfe eines
Fadens an den unteren natürlichen Zähnen befestigt. Dieses Vorgehen hatte nach
Fauchards Ansicht – im Gegensatz zu seiner Erfindung – nur wenig Nutzen.220
Sobald beide Kiefer zahnlos sind, ist nach Fauchard ein Ersatz erforderlich, der aus
zwei Ersatzstücken besteht, die jeweils mit künstlichen Zähnen besetzt sind und die an
ihren Enden durch Federn miteinander verbunden sind, die durch gewachste
Seidenfäden befestigt werden. Bei der Gestaltung der Basis der Ersatzstücke soll auf die
sorgfältige Gestaltung geachtet werden, wobei die Erhebungen und Vertiefungen des
Zahnfleisches berücksichtigt werden sollen um damit zu mehr Stabilität des Ersatzes
beizutragen.221 Genauso wie bei anderen Prothesen, z.B. Arm-, Bein- oder einer
Augenprothese sei eine gewisse Eingewöhnungszeit nötig, bis die Zahnprothese
beschwerdefrei benutzt werden kann. Fauchard ist davon überzeugt, „dass gedachte
Kunststücke uns mit der Zeit gleichsam natürlich werden, [...] wo sonst nicht dieses
215
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 236-238
216
Fauchard, Band 2 (1733), S. 238
217
Fauchard, Band 2 (1733), S. 239
218
Fauchard, Band 2 (1733), S. 238
219
Bertelsmann Volkslexikon
220
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 238-239
221
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 241-242
40
Ungemach von der Ungeschicklichkeit und dem Versehen des Künstlers herrühret, dass
derselbe die oftgemeldeten Stücke nicht recht machet.“222
Abbildung 7: Totaler Zahnersatz, der seinen Halt durch Federbänder fand223
Fauchard bekräftigt, dass seine Konstruktion im Gegensatz zu den vorher
gebräuchlichen, zu keiner Geruchsentwicklung führen würde. Dies sei darauf
zurückzuführen, dass seine Federn weniger Umwindungen aufweisen würden sowie
darauf, dass die von ihm entwickelte Prothese die natürlichen Mundbewegungen
mitmachen würde, so dass sich an ihnen Speisereste, durch deren Gärung es zu einer
Mundgeruchentwicklung kommt, weniger leicht anheften könnten.224
Es ist immer wieder Fauchards Anliegen, die Natur so genau wie möglich
nachzuahmen, so auch bei der Herstellung des künstlichen Zahnschmelzes. Da die für
ihn zur Verfügung stehenden Materialien nicht geeignet sind, um zu einem
zufriedenstellenden
Ergebnis
bezüglich
Farbe
und
Glanz
des
künstlichen
Zahnschmelzes zu gelangen, scheut sich Fauchard nicht davor, Schmelzarbeiter zu Rate
zu ziehen. Fauchard ist davon überzeugt, auch auf diesem Gebiet der Zahnmedizin
Pionier zu sein, denn er habe zwar davon gehört, dass Schmelz zur Herstellung für
Augen- nicht aber für Zahnprothesen bis dahin eingesetzt worden wäre.225
222
Fauchard, Band 2 (1733), S. 246-247
223
http://www.prices4antiques.com/item_images/medium/16/75/24-01.jpg
224
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 248
225
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 249-250
41
Im neunzehnten Kapitel des zweiten Bandes seines Werkes beschäftigt sich Fauchard
mit der Beschreibung der Arbeitsvorgänge seitens des Behandlers sowie des
Schmelzarbeiters. Das Grundgerüst, das später die künstlichen Zähne tragen soll, muss
als Erstes an den Kiefer angepasst werden. Vorgefertigte Fugen dienen dabei als
Befestigungsraum für die künstlichen Zähne. Auf die Außenfläche des Gerüsts werden
Platten aus Gold, Silber oder Blech gelegt, die der Schmelzarbeiter mit Schmelz
überzieht. Für die genaue Farbbestimmung sollte sich der Schmelzarbeiter, falls
vorhanden, an den natürlichen Zähnen orientieren, am besten im Patientenmund. Sobald
der Zahn, dessen Farbe der Schmelzarbeiter nachahmen soll, schon extrahiert worden
ist, sei es erforderlich, diesen für mindesten vierundzwanzig Stunden ins Wasser zu
legen, damit er seine natürliche Farbe wieder zurückgewinnt. Es sei auch möglich
verloren gegangenes Zahnfleisch mit Hilfe vom Schmelz, in seiner natürliche Farbe und
seinem natürlichen Aussehen, zu ersetzen.226
Den Vorteil künstliche Zähne mit Schmelz zu überziehen, sieht Fauchard „nicht bloß
und allein in der Zierde, so daher entstehet; sondern die mit Schmelze überzogene
Zähne oder auch ganze Kunstkiefer werden davon stark, dass sie eine sehr lange Zeit
währen können: massen der Schmelz ein Wesen ist, das dem Wechsel und der
Veränderung sehr wenig unterworfen ist.“227
Da Fauchard in seinem Werk zahlreiche neue Möglichkeiten beschrieben hat verloren
gegangene Zähne zu ersetzen, hofft er, dass „man viele Mißbräuche abstellen werde, die
tag täglich begangen werden [so z.B.] dass man Löcher durch das Zahnfleisch durch
und durch bohret, Stiffte oder Pinnen dadurch stecket, und daran ein beinernes
Kunststück, so aus vielen Zähnen bestehet, aufhänget, um damit die Schneidezähne und
die Hundszähne am oberen Kinnbecken zu ersetzen.“228 Ein so hergestellter Ersatz
würde „nicht nur von der Zunge, sondern auch von der Luft, die in den Mund hinein
und aus demselben herausgehet, sich fortstossen liessen. Solches Stück zerrete denn und
marterte das Zahnfleisch über die massen sehr.“229
Da der bis dahin in Gebrauch befindliche „Gaumenstopfer“ (Obturator = Platte zum
Verschluss von Lücken des Gaumens) „durch seine Schwere und seinen Abschluß
226
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 254
227
Fauchard, Band 2 (1733), S. 251-252
228
Fauchard, Band 2 (1733), S. 255
229
Fauchard, Band 2 (1733), S. 255
42
dermaßen leicht herunter stürzet und verrücket wird, dass er unnütz, beschwerlich, und
ungemächlich wird“230, ist es wieder Fauchard, der diesen nicht nur verbessert, sondern
neu konstruiert. Fauchard erfindet mehrere Obturatoren von sehr komplizierter
Bauweise, die er genauestens beschreibt und abbildet. Die alten Obturatoren bestanden
aus einer kleinen Platte, die so groß wie das Gaumenloch und an ihrer konvexen Seite
mit einem Schwamm bedeckt war, sowie einem Stiel, der in das Gaumenloch gesteckt
wurde.231
Abbildung 8: Durch Fauchard maßgeblich verbesserte Obturatoren.232
Zu Fauchards Erneuerungen zählt, dass er zwei Flügel aus Metall an der oberen
konvexen Seite des Obturators anbringt, durch die er jeweils zwei Löcher an sich
gegenüber liegenden Stellen platziert. Diese Löcher dienen dazu, dass „ein Faden von
einem zum andern dadurch gesteckt werde, welches geschicht um einen Umschlag von
feinem Schwamme zu befestigen.“233 Er bringt auch einen Schlüssel an seine
Konstruktion an, mit dessen Hilfe er in der Lage ist, diese so zu befestigen, dass die
Platte aus Knochen hergestellt „nicht hin und her geschoben werden kann.“ Wie gut die
Konstruktion hält „erkennet man“ letztendlich „aus seinem Gebrauche.“234 Aufgrund
230
Fauchard, Band 2 (1733), S. 258
231
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 257-258
232
http://www.fauchard.org/history/articles/bdj/v199n09_nov05/fauchard-images/fig3w.jpg
233
Fauchard, Band 2 (1733), S. 260-261
234
Fauchard, Band 2 (1733), S. 266
43
dieses Schlüssels und der zusammenfaltbaren Flügel lässt sich die Gaumenplatte auch
auf sehr einfache Weise herausnehmen, um sie auszutauschen oder zu waschen.
Bei größeren Defekten des Gaumendaches und beim Fehlen mehrerer natürlicher Zähne
im Oberkiefer, verbindet Fauchard den Obturator mit einer Prothese, die auf die damals
übliche Weise befestigt wird. Der so hergestellte Ersatz erfüllt nach Fauchard zwei
Aufgaben gleichzeitig: „1. dass sie zugleich so wol die natürlichen Zähne als die Stücke
von den Kinnbackenbeinen, die von einem starcken Beinfresser sich erfoliieret haben,
ersetzt; 2. dass sie dabey auch noch einen Gaumenstopfer abgibt, und die vorhandenen
Löcher oder Lücken verstopfet.“235
Fauchard beschreibt, dass er einem Patienten mit Hilfe seines neu erfundenen Obturator
helfen konnte, der durch den Skorbut einen Großteil seines Gaumendaches, sowie
etliche Zähne verloren hatte und bei dem sogar das Septum nasi an seiner Basis schon
angefressen war. Der Patient litt darunter, dass „die Luft und die Speisen durch dieses
Loch aus dem Munde in die Nase und aus der Nase in den Mund fuhren.“236 Fauchard
versäumt es nicht, seine Helfer lobend zu erwähnen: „so traf ich endlich zu gutem
Glücke so gescheite und geschickte Künstler an, welche den Entwurf, den ich davon
gemachet hatte, nachmachen, und diesen letzten Gaumenstopfer ausarbeiten konten.“237
Fauchard berücksichtigt bei der Gestaltung und Handhabung seiner Konstruktion, dass
das Gaumenloch, das mit einem Obturator versorgt worden ist, mit der Zeit gewisse
Veränderungen bezüglich seiner Tiefe, Breite, Lage usw. durchmachen könnte, so dass
der Obturator auch in der Lage sein muss, diese Veränderungen entsprechend
mitzumachen.238 Er bekräftigt, dass diejenigen, die seinen Obturator benutzen „das Heil
des Patienten, ihre Ehre, und den Ruhm der Kunst davon tragen werden.“ Das er von
seinem Können überzeugt ist, geht aus seinen folgenden Worten hervor, in denen er
behauptet, dasselbe Ergebnis erreichen zu können, wenn nur seine Ratschläge befolgt
werden: „von allen den Methoden, welche ich hier öffentlich mittheile, und von den
Instrumenten und Maschinen, welche ich theils erfunden theils verbessert habe.239
235
Fauchard, Band 2 (1733), S. 272
236
Fauchard, Band 2 (1733), S. 279
237
Fauchard, Band 2 (1733), S. 279-280
238
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 292
239
Fauchard, Band 2 (1733), S. 293
44
3.1.6
Kieferorthopädie
Die Ursache für eine Fehlstellung der bleibenden Zähne kann nach Fauchard darin
liegen, dass „man die Milchzähne nicht zur gehörigen Zeit“240 entfernt hat, so dass sie
genötigt werden eine falsche Position einzunehmen oder, dass diese „hefftige Schläge
oder Stösse und grosse Gewalt“241 erfahren haben.
Fauchard richtet gekippte oder gedrehte Zähne indem er „die Hand, Instrumente,
Bänder, und andere Mittel zu Hilfe nimmt.“242 „Draht und eine Platte von Silber“243
dienten ihm dabei als Hilfsmittel. Mit Hilfe des Instruments „Pelican“ lockert er
verlagerte Zähne, damit diese einfacher zu bewegen sind.244 Um einen verlagerten Zahn
in den Zahnbogen zu positionieren, feilt er bei Platzmangel die Nachbarzähne, um so
„einen freyen Weg und Platz“245 für ihn zu machen.
Fauchard behauptet schon öfters beobachtet zu haben, „dass krumm gebogene oder übel
sitzende Zähne nach und nach die Lippen und Backen durchstochen, und mehr oder
weniger gefährliche Geschwüre angerichtet haben.“246 Deswegen sei es wichtig, Zähne,
die nicht wieder in den Zahnbogen positionierbar sind, zu entfernen.
Bevor Zähne gerichtet werden, sei es nach Fauchard wichtig, dass ihre Antagonisten
gegebenenfalls gefeilt werden, „denn durch solche Vorsichtigkeit wird vermieden, dass
selbige nicht wieder in diejenigen Stellen hineingestossen werden, in welchen sie vorher
gesessen, eher als sie zurecht gesetzet worden sind.“247
Fauchard erkennt, dass es bei Kindern und Jugendlichen leichter als bei Erwachsenen
ist, die Zähne zu bewegen, und begründet dies damit, dass bei ihnen „die Wurzeln der
Zähne nicht groß sind, als auch deswegen weil alle Theile, so um dieselben sitzen,
240
Fauchard, Band 2 (1733), S. 82
241
Fauchard, Band 2 (1733), S. 82
242
Fauchard, Band 1 (1733), S. 114
243
Fauchard, Band 1 (1733), S. 326
244
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 334
245
Fauchard, Band 1 (1733), S. 326
246
Fauchard, Band 2 (1733), S. 84
247
Fauchard, Band 2 (1733), S. 85
45
weich sind.“248 Aus diesen Grund schlägt er vor, dass bei jungen Personen als erstes
versucht werden soll, die Zähne durch mehrmals täglichen Fingerdruck gerade zu
richten. Wenn diese Behandlung ohne Erfolg bleibt, „so soll man einen gewächsten
Zwirns- oder Seidenfaden nehmen, selbige vielmals gedoppelt zusammen legen, die
Mitte desselben in den Zwischenraum legen, welchen die zween benachbarte gerade
und feste Zähne von einander abstehen“249 und so den verlagerten Zahn umschlingen.
Diesen Faden sollte zwei- bis dreimal die Woche erneuert werden.
„Hangen die Zähne gar zu sehr über, und kann der Faden nicht fest daran gemachet
werden“250, schlägt Fauchard als weiteres Hilfsmittel Platten aus Gold oder Silber vor,
durch die ein Faden durch zwei Löcher gezogen wird und mit dessen Hilfe die Platte an
der gewünschten Stelle befestigt wird.
Hat ein überhängender Zahn keinen Platz im Zahnbogen, bleibt nach Fauchard als
einzige Lösung diesen Zahn zu extrahieren und „seine Stelle unter alle diejenigen, so
dessen benöthiget sind“251 zu verteilen.
Den Gebrauch vom Pelican oder der geraden Zangen empfiehlt Fauchard bei älteren
Personen und „nur bey solchen Zähnen [...], die nach innen hinein überhangen.“252 Er
betont, dass mit Hilfe dieser zwei Instrumente „wenn man sonst geschickt damit
umzugehen weiß, in einem Augenblicke das verrichten, was mit den Fäden und der
Platte nicht anders als mit Verschwendung vieler Zeit angehet,“253 in der Lage ist.
Nachdem der Behandler den verlagerten Zahn mit Hilfe des Pelicans durch Schütteln
und Rütteln gelockert hat, soll er hiernach mit der geraden Zange den Zahn greifen und
ihn damit zurechtsetzen.254 Anschließend sollten die behandelten Zähne „mit einem
gewächseten Faden [...] befestiget werden.“255 Das Zahnfleisch sollte mit den Fingern
zusammengedrückt werden und bis zu sechs mal am Tag zwei Wochen lang mit einer
248
Fauchard, Band 2 (1733), S. 85
249
Fauchard, Band 2 (1733), S. 85-86
250
Fauchard, Band 2 (1733), S. 87
251
Fauchard, Band 2 (1733), S. 87
252
Fauchard, Band 2 (1733), S. 96
253
Fauchard, Band 2 (1733), S. 95
254
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 104
255
Fauchard, Band 2 (1733), S. 103
46
Flüssigkeit bestrichen werden, die nach einer von Fauchard beschriebenen Rezeptur
hergestellt worden ist.256
Fauchard versichert, “dass es mir immer diesen Operationen gelungen ist, und habe
dabey weder einen Zahn entzwey gebrochen, noch zu sehr von seiner Kinnlade
losgerissen.“257 Fauchard ist nach eigener Einschätzung auch im Gebrauch von dem
Pelican ein Vorreiter, denn er hat von keinem Zahnarzt vor ihm gehört, der „den Pelican
gebrauchet haben solte die Zähne gerade zu richten.“258
3.1.7
Kinderzahnheilkunde
Fauchard beschäftigt sich auch intensiv mit den Milchzähnen und entdeckt dabei, dass
„diese zwanzig ersten Zähne [...] nicht ohne Wurzeln [sind], wie einige Scribenten
sagen.“259 Wie und warum die Wurzeln der Milchzähne vom Körper resorbiert werden,
ist für ihn eine Frage, “welche bis jetzo noch nicht entschieden ist“260 so dass er sich
damit begnügen muss, nur seine Beobachtungen ohne Erklärung dessen festzuhalten. Er
kritisiert seine Kollegen, die aufgrund einer fehlenden Erklärung für dass Verschwinden
der Wurzel der Milchzähne einfach behaupten, „dass sie gar keine Wurzeln hätten.“261
Fauchard glaubt, dass der Zahndurchbruch bei Kindern „sehr grausam“ sei und, dass es
„vielen Kindern das Leben“262 nehmen würde. Neben den Schmerzen zählt er noch
weitere Begleiterscheinungen auf wie z.B. Fieber, Flüsse aus den Backen, Augen oder
Gesichtern, Husten, Schnupfen, Erbrechen, Durchfälle und Schlaflosigkeit.263 Als
Ursache für diese Symptome nennt er die „Wirkung des Zerrens [...], das den nervichten
Fasern des Knochenhäutleins und des Zahnfleisches wiederfähret.“264
256
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 106
257
Fauchard, Band 2 (1733), S. 105
258
Fauchard, Band 2 (1733), S. 105
259
Fauchard, Band 1 (1733), S. 28
260
Fauchard, Band 1 (1733), S. 54
261
Fauchard, Band 1 (1733), S. 54
262
Fauchard, Band 1 (1733), S. 198
263
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 198
264
Fauchard, Band 1 (1733), S. 198
47
Als vorbeugende Maßnahme schlägt Fauchard vor, den Kindern hin und wieder einen
Wolffszahn zu geben auf dem sie herumkauen können, was dazu führen soll, dass die
Entzündung gelindert und dass „die Zertheilung des Zahnfleisches“265 erleichtert wird.
Weiterhin rät er zur Einreibung des Zahnfleisches mit einer Erbirchwurzel, „die man in
Pappeln- oder Stockrosenwasser oder in Marbonnischen Honig getuncket hat.“266 Für
das beste Mittel hält er „ein Ertract aus Wurzeln von Hundszahnkraut“.267 Auch das
Aderlassen zieht er in Erwägung und wenn das auch nicht helfen soll, sollte mit einem
Schnitt (für die Schneidezähne und Eckzähne länglich und für die Mahlzähne ein
Kreuz) das Zahnfleisch geöffnet und so der Zahndurchbruch erleichtert werden.
Fauchard zeichnet auf, wie wichtig es ist, retinierte Milchzähne rechtzeitig zu entfernen,
„damit sie den zweyten die Stelle räumen, welches sie sonsten nicht thun würden,“268
damit die bleibenden Zähne wegen des sonst herrschenden Platzmangels nicht schief
durchbrechen.
Fauchard schildert im vierundzwanzigsten Kapitel eine Reihe von Fällen, in denen er
beobachtet hat, dass auch im Erwachsenenalter verloren gegangene einzelne Zähne
nachwachsen können und kritisiert seine Vorgänger, „dass diese Herren nicht acht
darauf gehabt haben diese Sache zu untersuchen.“269 Es erscheint ihm wichtig, seine
Beobachtungen der Welt mitzuteilen, obwohl er selber für dieses Phänomen keine
überzeugende Erklärung gefunden hat und rät daher dazu, „so lange zu warten, bis man
die wahre Ursachen davon besser entdecket hat.“270
Fauchard betont im vierten Kapitel des zweiten Teils, dass der Zahnschmelz „bey
Kindern viel dünner ist“ als bei den Erwachsenen und dass deswegen „bey jungen
Leuten die Zähne mit äusserster Vorsichtigkeit gefeilt werden müssen“271, da es sonst
zu Schmerzen kommen kann.
265
Fauchard, Band 1 (1733), S. 198
266
Fauchard, Band 1 (1733), S. 199
267
Fauchard, Band 1 (1733), S. 199
268
Fauchard, Band 1 (1733), S. 335
269
Fauchard, Band 1 (1733), S. 305
270
Fauchard, Band 1 (1733), S. 302
271
Fauchard, Band 2 (1733), S. 28
48
3.2
Fachübergreifende Aspekte
3.2.1
Schmerzursache und Therapie
Fauchard unterteilt die Krankheiten der Zähne und des Mundes in drei Klassen:
1. “in solche aus äußeren Ursachen, die besonders die Krone und unbedeckte Teile des
Zahnes angreifen;“272 wie z.B. Plaque, Zahnstein, Karies oder verschiedene
Frakturen (quer / längs),
2. in solche, welche die verborgenen Teile der Zähne betreffen, „welche in den
Kinnladen stecken oder mit Zahnfleisch umgeben sind,“273 wie z.B. Zahnhalskaries,
Wurzelkaries, Wurzelfraktur, Abszess sowie verschiedene Zahnschmerzen (ziehend,
stechend, klopfend) und
3. in symptomatische oder zufällige Krankheiten, “die von den Zähnen veranlasset
werden,“274 wie z.B. Schwellungen, Knochenfrakturen nach Zahnextraktionen,
Blutungen, Geschwüre (an der Lippe, Zunge, Zahnfleisch, Wange), Fisteln,
Schmerzen (Kopf, Ohr, Augen).
Fauchard unterscheidet nicht nur zum ersten Mal insgesamt 103 Krankheiten, sondern
gab auch Mittel an, um diese zu heilen. Er beschwert sich gleichzeitig, „dass es bisher
versäumt worden ist, die Art dieser Krankheiten und ihre Mannigfaltigkeit zu
beschreiben.“275 Es wurde bis dahin keine differenzierte Diagnostik unter den
verschiedenen Zahnerkrankungen verübt. „Zahnschmerz war eben Zahnschmerz und
unterlag in fast allen Fällen der Behandlung mit der Zange.“276
3.2.2
Zusammenhang systemischer und lokaler Erkrankungen
Fauchard hat sich nicht nur mit den verschiedenen Krankheiten der Zähne und der
Mundhöhle beschäftigt, sondern wies auch darauf hin, dass „die Mängel in der
Conformation oder Bildung der Zähne sind bey gewissen Fällen als Krankheit
anzusehen, welche nicht allein den Mund ungestaltet machen, sondern auch viele
272
Jacoby (1920), S. 13
273
Fauchard, Band 1 (1733), S. 92
274
Fauchard, Band 1 (1733), S. 99
275
Jacoby (1920), S. 13
276
Jacoby (1920), S. 13
49
Beschwerlichkeit bringen, ja gleichfalls schlimme Folgen nach sich ziehen können.“277
Er stellt fest, dass Karies nicht nur die Zähne schädigt sondern sie auch „der Grund seyn
kann von mancherley Krankheiten. Bisweilen ergreifen die Schmerzen, so dieser
Beinfresser erreget, den ganzen Kopf; ein ander mal greifen sie nur ein einziges Theil
davon an.“278 Deswegen gehöre zu einer gründlichen Diagnostik auch die Untersuchung
der Zähne.
Fauchard beobachtet bei Kindern, die an Rachitis erkrankten, dass „die Zähne erst gar
spät herausgekommen sind [und] dass nur gar wenige Zähne wieder wachsen.“279
Fauchard weist darauf hin, dass als Ursache für einen schlechten Atem nicht nur kariöse
Zähne in Frage kommen sondern auch ungepflegte Zähne, im Mundraum befindliche
Geschwüre oder Fisteln, sowie auch eine erkrankter Magen oder eine ungesunde
Lunge.280
Fauchard beschreibt im letzten Kapitel vom ersten Teil seines Tractats seine
Beobachtung, dass in manchen Fällen „die Farbe der Zähne die Grösse einer Krankheit,
oder die Hartnäckigkeit derselben“281 anzeigt. Er stellt einen Zusammenhang zwischen
gut erhaltenen Zähnen und einem längeren und gesünderen Leben her.
3.2.3
Ergonomie
Auch die bequeme Lagerung seiner Patienten lag Fauchard am Herzen. Er empfahl
„einen Lehn- oder Armstuhl [...] der fest zusammenhält und gewiß stehet, sauber und
bequem ist“282 sowie je nach Patienten- bzw. Behandlergröße verstellbar ist. Patienten,
die aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage sind zu sitzen, behandelt er im
Liegen, indem er sie auf einem Sofa, Kanapee oder Bett lagert.
277
Fauchard, Band 1 (1733), S. 118-119
278
Fauchard, Band 1 (1733), S. 384
279
Fauchard, Band 1 (1733), S. 312
280
vgl. Fauchard, Band 1 (1733), S. 122-123
281
Fauchard, Band 1 (1733), S. 463
282
Fauchard, Band 1 (1733), S. 165
50
Die bis dahin gängige Methode, die Patienten auf dem Boden sitzen zu lassen, während
ihnen die Zähne gezogen wurden, verurteilt er aufs Schärfste und sagt, dass diese
Lagerungsposition „ganz und gar zu verwerfen ist.“283 Er thematisiert, dass diese
Position den Patienten nicht nur Angst macht, sondern sie auch bei schwangeren
Patientinnen „höchstschädlich“284 und mühevoll ist.
Fauchard verurteilt, „daß gewisse Scribenten noch heut zu tage lehren, daß solche
Positur die allerbeste sey.“285
4.
Analyse
Das Studieren von Fauchards Werk lässt den Leser oft vergessen, dass dieses vor fast
dreihundert Jahren verfasst worden ist. Es ist erstaunlich, mit welcher Gründlichkeit
Fauchard alle Fachbereiche der Zahnmedizin abhandelt, vor allem wenn bedacht wird,
dass ihm kaum Literatur zu diesen Themen zur Verfügung stand, so dass er gezwungen
war, seine eigenen Erfahrungen, Versuche und Erkenntnisse zu analysieren und diese
niederzuschreiben. Da er Vorreiter auf diesem Gebiet war, konnte er sich an niemand
anderem orientieren oder anlehnen. Obwohl viele seiner Erkenntnisse auch dem
heutigen Standard entsprechen, gibt es wiederum andere , die den heutigen Standard nur
positiv beeinflusst haben oder ihm nicht entsprechen. In Anbetracht der Hilfsmittel,
welche Fauchard im Vergleich zur heutigen Zeit zur Verfügung standen, kann sein
Werk nur mit Hochachtung betrachten werden.
4.1
Dem heutigem Standard nicht entsprechende Erkenntnisse
Obwohl Fauchard meist auch unseren heutigen Verhältnissen entsprechende
Auffassungen vertritt, so findet sich doch auch plötzlich ein Stück Mittelalter in seinem
Werk eingestreut.286
283
Fauchard, Band 1 (1733), S. 170
284
Fauchard, Band 1 (1733), S. 170
285
Fauchard, Band 1 (1733), S. 170
286
vgl. Hoffmann-Axthelm (1984), S 1144-1145
51
4.1.1
Prophylaxe
In Fauchards Werk „sind noch Überbleibsel der traditionellen Heillehre. So wird u. a.
die tägliche Mundspülung mit Urin als ein Mittel gegen Karies genannt.“287 „Seine
Rezeptur zur Erhaltung gesunder Zähne mittels morgendlicher und abendlicher
Spülungen mit frischem Urin sind Rückfälle in die Dreckapotheke des Mittelalters.“288
Die Vorstellung der Kariesprävention mit Hilfe von Urin-Spülungen, ist aus heutiger
Sicht undenkbar, ja sogar erschreckend.
Seit Fauchards Zeit hat sich die Zusammensetzung der Hilfsmittel – insbesondere der
Zahnpasten – mit denen die Zähne gereinigt werden, entschieden verändert. Fauchard
gibt in seinem Wek „mehrere Arten von Zahnbalsamen, Pulvern, Tropfen usw. an deren
vorzüglichste Ingredienzen Korallen, Drachenblut, Bolus, Krebsaugen, Gräthen des
Backfisches, Hirschhorn, Elfenbein, Weinstein, aromatische und adstringirende
Substanzen sind.“289 Keines der heute verwendeten Produkte beinhaltet auch nur einen
der aufgezählten Inhaltsstoffe. Neben zahlreichen weiteren Bestandteilen ist heute das
Fluorid aus prophylaktischer Sicht der wichtigste Inhaltsstoff, welcher in den
Zahnpasten, Geelen, Lacken und Mundspüllösungen enthalten ist. Fluoride reduzieren
nachweislich die mikrobielle Bildung von Säuren aus Zucker und führen zusätzlich zur
Zahnschmelzhärtung.290
4.1.2
Kariologie
Fauchard zählt neben dem Zucker noch verschiedene andere Nahrungsmittel auf, wie
z.B. Hülsenfrüchte, Schweinefleisch oder Milch, welche zur Kariesentstehung beitragen
sollen. Heute ist „die Rolle des Zuckers (Saccharose) als wichtiger kausaler Faktor bei
der Kariesentstehung in Studien vielfach dokumentiert worden“291 im Gegensatz zu den
restlichen, von Fauchard aufgezählten Nahrungsmitteln.
287
Die grosse Chronik-Weltgeschichte (2008), S. 201
288
Will (2002), S. 11
289
Von Lunkaszprie, Band 1 (1831), S. 72
290
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Fluoridierung
291
Hellwig, Klimek, Attin (2003), S. 20
52
Unter Zahnstein werden feste Auflagerungen auf dem Zahn verstanden, die weder durch
Spülen noch durch Zähneputzen entfernt werden können. Also ist der Zahnarzt
derjenige, der in der Lage ist, den Zahnstein mechanisch mit Handinstrumenten (Scaler,
Küretten) oder durch Maschineninstrumente, z. B. mit Ultraschall, zu entfernen.292 Da
es zu Fauchards Zeit noch keine Ultraschallgeräte gab, standen ihm nur den heutigen
Handinstrumenten ähnelnde Instrumente zur Verfügung.
Fauchards Beobachtung, dass Speisereste in den Zahnzwischenräumen und die
Speichelzusammensetzung die Verursacher für Zahnstein sind, kann auch aus heutiger
Sicht bestätigt werden. Seine Annahme, dass die eingeatmete Luft etwas mit der
Zahnsteinbildung zu tun haben soll, ist jedoch nicht zutreffend. Zahnstein entsteht durch
die Einlagerung von Mineralien aus dem Speichel in die Plaque.
Fauchard
stellt
den
Zahnstein
auch
als
den
Hauptverursacher
für
Zahnfleischerkrankungen dar. Zahnstein selbst führt jedoch nicht zu Parodontitis,
welche ursächlich von auf der durch Zahnstein bedingten rauen Oberfläche der Zähne
anhaftende
lebende
Zahnsteinbildung
Plaquebakterien
“als
der
verursacht
Versuch
des
wird.
Im
Organismus
Gegenteil
ist
anzusehen,
die
die
parodontopathogenen Bakterien durch Mineralisation zu inaktivieren“293. Der
Organismus reagiert auf vermehrte Zahnsteinbildung mit der auch von Fauchard
beobachteten Zahnfleischresorption sowie Zahnlockerung. Wo keine Plaque ist, kann
sich auch kein Zahnstein anlagern. Insofern hat Fauchard Recht, wenn er behauptet,
dass die Entstehung von Zahnstein in der „Nachlässigkeit und Unreinlichkeit“ der
betreffenden Personen begründet ist.
Fauchards Behauptung, dass Zahnstein auch die Hauptursache für die Entstehung von
Karies sei, muss jedoch als falsch angesehen werden, da es heute erwiesen ist, dass
„keine kariösen Defekte im Zusammenhang mit Zahnstein entstehen.“294
Die Weigerung Fauchards, die bis zu seiner Zeit gängige Annahme, dass Karies durch
Würmer verursacht wird, zu akzeptieren, ohne jemals einen solchen Wurm gesehen zu
haben, zeigt, dass er ein Forscher ist, der Behauptungen hinterfragt, die für ihn nicht
plausibel erscheinen. Er sah die Karies als Ergebnis einer Säftestörung an. Da er aber
292
vgl. Zahnstein, http://de.wikipedia.org/wiki/Zahnstein
293
Hellwig, Klimek, Attin (2003), S.365
53
auch keine zufriedenstellende Ursache für die Kariesentstehung erkannte, teilt er diese
lediglich in zwei Gruppen ein: in die innerlichen und äußerlichen Ursachen. Er kommt
zu der Erkenntnis, dass die Würmer zumindest nicht als „die einzige Ursache”295 für
Karies in Frage kommen. Heute ist die chemoparasitäre Theorie nach Willoughby D.
Miller (1898) zur Entstehung von Karies allgemein anerkannt. Demnach kommt es auf
Grund mehrerer pathogener Faktoren zur Zerstörung der Zahnhartgewebe in mehreren
Stufen.296
„Bereits in der arabischen Medizin des 9. Jahrhunderts wurde das Kauterisieren des
Zahnnervs mit heißem Öl oder glühenden Nadeln praktiziert, im Europa des Mittelalters
kamen dazu auch heiße Eisenhäkchen zum Einsatz.“297 Fauchard benutzt zur
Nervabtötung und damit zur Stillung der Zahnschmerzen einen Messingdraht und nicht
die bis dahin gängigen Instrumente. Zur Nervenabtötung wird heute nicht mehr auf die
Kauterisation zurückgegriffen, da es hierfür geeignetere Methoden gibt. „Der Kauter,
der heute als Elektrokauter in Form einer feinen, durch elektrischen Strom erhitzten
Drahtschlinge zum Einsatz kommt“298 wird benutzt, um z.B. eine Blutung zu stoppen,
oder eine gutartige Wucherung zu entfernen.
Da heute der Bohrer alle Aufgaben der früher benutzten Feile (wie z.B. Kürzung der
Zähne, Kariesentfernung oder Beseitigung scharfer Kanten) erfüllt, wurde die Feile aus
der Zahnmedizin verbannt. „Dem Gebrauch des Bohrers, wie er heute zur Beseitigung
kariöser Defekte verwendet wird, kam erst im 17. Jahrhundert Cornelis Solingen näher,
als er einem Advokaten die Zähne mit Hilfe eines Bohrers glatt feilte. Es dauerte jedoch
bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, bis man erkannte, dass mit Hilfe des Bohrers eine
erfolgreiche konservierende Behandlung möglich war. Pierre Fauchard, dessen
gesamtes Werk der Zahnheilkunde gewidmet war, kannte trotz seines für technische
Zwecke schon gebrauchten Fliederbohrers keine bohrerähnlichen Instrumente, außer
seinen spitzen Pfriemen zur Beseitigung der Karies. Ihm schien die richtige Position des
Zahnarztes zum Patienten bei der Kariesentfernung wichtiger gewesen zu sein als
funktionstüchtige Instrumente.“299 Er benutzte den Fliederbohrer nicht im Mund,
294
Eifler (2010)
295
Fauchard, Band 1 (1733), S. 141
296
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Zahnkaries
297
Fahrenbach, Rau
298
299
http://de.wikipedia.org/wiki/Kauterisation
Strankmüller (2004), S. 13
54
sondern bei der Bearbeitung zahntechnischer Werkstücke. Fauchard benutzte zur
Kariesentfernung auch Pfriemen und Zahnraspeln, die heute ebenfalls durch den Bohrer
ersetzt werden. Fauchard schildert, dass es zu Misserfolgen bei der Zahnextraktion
kommen würde, wenn die Wurzelanatomie ungünstig ist, oder die Wurzel verknöchert
ist. Mit dem Einsatz des Bohrers können heute auch diese Schwierigkeiten beseitigt
werden.
4.1.3
Implantologie
„Der erste authentische Fallbericht einer homoplastischen Zahntransplantation (von
Mensch zu Mensch) wurde 1728 durch Pierre Fauchard verfasst.“300 „Er stellt erstmals
Regeln für das Alter der Spender und Empfänger auf.“301 Da das Übertragungsrisiko
von Krankheiten bei diesem Verfahren sehr hoch ist, wird die homoplastische
Zahntransplantation nicht mehr praktiziert.
Fauchart entwickelte eine eigene Methode um stark gelockerte Zähne, deren Alveole
nicht tief genug ist, erneut zu stabilisieren. Er extrahiert hierfür die entsprechenden
Zähne, kürzt diese, füllt das Pulpencavum mit Blei und reimplantiert sie. Die
Befestigung erfolgt mit Hilfe eines Golddrahts. Da der heutigen Zahnmedizin
unterschiedlichste
Verfahrensmöglichkeiten
für
den
Ersatz
nicht
mehr
erhaltungswürdiger Zähne zur Verfügung stehen (herausnehmbarer Zahnersatz wie z. B.
Teil- sowie Totalprothesen, genauso wie festsitzender Zahnersatz wie z.B. Brücken oder
Implantate) wird das von Fauchard praktizierte Verfahren nicht mehr angewandt.
4.1.4
Kinderzahnheilkunde
„Fauchard und die meisten anderen Schriftsteller im 18ten Jahrhundert betrachten das
dritte Zahnen, welches sie übrigens von dem Zahnen der Greise bestimmt
unterscheiden, als einen erneuten Zahnwechsel ohne eine weitere Erklärung darüber zu
geben, scheinen aber dabei nicht sowohl überzählige primitive bleibende Zähne,
sondern überzählige Milchzähne dabei anzunehmen. Bei diesen Ansichten ist es
300
301
Lang, Pohl, Filippi1 (2003), S 1180
Borsay (2007), S. 20
55
geblieben, bis Meckel in der neusten Zeit die sogenannte dentitio tertia [...] aus
besonderen Zahnkeimen, die aber nicht ursprünglich vorhanden sind, sondern sich
später erst neu erzeugen, hergeleitet hat.“302
4.2
Den heutigen Standard beeinflussende Erkenntnisse
Pierre Fauchard dokumentierte in seinem Werk den Wissensstand der Epoche. Seine
präzisen Beschreibungen und Zeichnungen wurden zur Grundlage für die rasche
Entwicklung neuer Techniken und Materialien, die teilweise auch heute noch
Verwendung finden. Das Werk nimmt vieles voraus, was erst in unserer Zeit
verwirklicht wurde, und das in allen Bereichen der Zahnmedizin. „Fauchard selbst
fördert durch eigene Beiträge und Erfindungen vor allem die Prothetik, die Orthodontie
(Kieferothopädie) und die Instrumentenlehre.“303
4.2.1
Prophylaxe
Das Gesunderhalten der Zähne ist eine der wichtigsten Aufgaben der modernen
Zahnmedizin, so dass die Prophylaxe und Aufklärung der Patienten über
Krankheitsverlauf und -ursache einen sehr großen Teil der Behandlung ausmachen.
Fauchard beobachtet richtig, dass es während der Schwangerschaft sowie in der
Menopause zu einer negativen Beeinflussung des Zahnfleisches kommt. Er vermutet
den Grund hierfür in dem mangelnden Abfluss der Regelblutung. Als Ursache hierfür
wird jedoch „eine hormonbedingte Gewebemodulation angesehen, die zu einer erhöhten
Gefäßpermeabilität führt und eine gesteigerte Reaktion auf bakterielle Reize
bewirkt.“304
Das Thema Mundhygiene spielt für Fauchard eine entscheidende Rolle. Er wird nicht
müde, in seinem Werk immer wieder auf dieses Thema zurückzukommen, um seinen
Lesern zu verdeutlichen, dass sie selber etwas für die Gesunderhaltung ihrer Zähne tun
können und in der Lage sind, die Zähne selber gesund zu erhalten. Fauchards
302
Mehli (1838), S. 96-97
56
Empfehlung, die Zähne „nur“ zweimal die Woche mit einem Schwamm zu reinigen,
erscheint aus heutiger Sicht vollkommen unzureichend, denn die Empfehlung lautet
heute zwei- besser dreimal am Tag die Zähne mit einer Zahnbürste und fluoridierter
Zahnpasta zu reinigen. Als zusätzliche Hilfsmittel stehen Mundspüllösungen,
Zungenschaber sowie für die Zahnzwischenraumpflege Zahnstocher oder besser
Zahnseide sowie Zahnzwischenraumbürstchen zur Verfügung.
„Heutzutage wird seitens der modernen Zahnmedizin das Verwenden von Zahnstochern
eher abgelehnt, Hilfsmitteln wie Zahnseide und Interdentalbürsten wird der Vorzug
gegeben“305, so dass Fauchards Empfehlung von Zahnstochern als überholt gewertet
werden muss. Der Gebrauch vom Zahnstocher kann aber trotzdem heute immer noch
beobachtet werden. „Der heute übliche Zahnstocher ist dünn, ca. 5 cm lang und besteht
üblicherweise aus Holz. Ein Ende oder zwei Enden sind angespitzt, um mit ihnen leicht
in die Zahnzwischenräume zu gelangen.“306 Die Zahnzwischenräume werden dabei
nicht flächendeckend sondern nur punktuell gereinigt. Es besteht zudem die Gefahr,
dass der Zahnstocher bricht, was womöglich zu einer Verletzung des Zahnfleisches
führen kann.
Fauchard beobachtet richtig, dass Tabakkonsum zur Schwarzfärbung der Zähne führt.
Dies kann wohl zu einer der harmlosesten Nebenwirkungen gezählt werden, denn heute
gilt Rauchen als „der wichtigste Risikofaktor für Mundhöhlenkrebs, Veränderungen in
der Mundhöhle und für Parodontitis. Darüber hinaus verzögert Rauchen die
Wundheilung z.B. nach einem chirurgischen Eingriff im Kiefer- und Gesichtsbereich
und beeinträchtigt den Erfolg einer Zahnimplantatbehandlung.“307 Dass das Rauchen zu
schlechtem Atem führt, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Fauchard beobachtet
weiterhin
richtig,
dass
Tabakrauch
die
Kariesentstehung
beeinflusst,
denn
Untersuchungen zeigen, dass „im Speichel von Rauchern eine höhere Konzentration
von zahnfäulniserregenden Bakterien“308 zu finden ist. Das hat zur Folge, dass Raucher
häufiger an Karies erkranken als Nichtraucher.
303
Reitemeier, Schwenzer, Ehrenfeld (2006), S.2
304
Schwenzer, Ehrenfeld, Zahnärztliche Chirurgie (2000), S. 179
305
http://de.wikipedia.org/wiki/Zahnstocher
306
http://de.wikipedia.org/wiki/Zahnstocher
307
http://www.rauchfrei-info.de/index.php?id=320
308
Kuster (2002)
57
4.2.2
Kariologie und Füllungstherapie
Als Grundvoraussetzung für die Entstehung von Karies gilt heute das gleichzeitige
Vorhandensein von Zahnhartsubstanz, Zucker, Zeit und Mikroorganismen (wie z.B.
Streptokokken, Laktobazillen, Aktinomyzeten usw.) die in der Lage sind, Zucker in
organische
Säure
umzuwandeln,
was
anschließend
die
Zahnhartsubstanz
entmineralisiert – vorrausgesetzt, die Einwirkzeit der Säure ist lang genug. Wenn auch
nur einer dieser vier Faktoren fehlt, ist die Entstehung von Karies nicht möglich.
Fauchard erkennt den negativen Einfluss von Zucker auf die Zähne, denn er bezeichnet
diesen als „Gift“ und rät dazu, nach jedem Zuckerkonsum den Mund mit warmem
Wasser auszuspülen. Dass in der Mundhöhle das Vorhandensein von Mikroorganismen
für die Umwandlung von Zucker in Säure notwendig ist, war zu Fauchards Zeit noch
nicht bekannt. Erst 1896 gelang es Willoughby Dyton die Entstehung von Karies als
chemischen Prozess zu erklären.309
Fauchard definiert Erosion an den Zähnen als „Zerfressung der Oberfläche am
Schmelzwerde“310 was der heutigen Definition, dass die Zahnerosion der oberflächliche
Zahnhartsubstanzverlust ist, der durch chemische Einflüsse (Säure) und ohne
Bakterienbeteiligung (wie beim Karies) verursacht wird, entspricht. Als „nagende
Materie“ die zu einer Zerstörung der Zahnhartsubstanz führt, zählen heute nicht nur
säurehaltige
Lebensmittel
und
Getränke
oder
bestimmte
Medikamente
wie
Acetylsalicylsäure (ASS) oder Vitamin-C-Präparate, sondern es werden hierfür auch
innere Faktoren verantwortlich gemacht. Dazu zählen Krankheiten, die mit häufigem
Erbrechen einhergehen, wie Magersucht und Bulimie oder auch chronische MagenDarm-Krankheiten wie die Refluxkrankheit (Sodbrennen). Bei diesen Erkrankungen
wird durch die in die Mundhöhle gelangte Magensäure ein Auswaschen des
Zahnschmelzes verursacht. Auch Alkoholismus oder verminderter Speichelfluss, z.B.
durch die Einnahme bestimmter Medikamente gegen Depressionen, kommen als
Auslöser von Zahnerosionen infrage.311 Säuren bei der Ausübung bestimmter Berufe
(z.B. bei Weinverkostern) können auch zu Erosion führen. Obwohl es eine Reihe von
Möglichkeiten gibt, Erosion an der Zahnhartsubstanz zu vermeiden bzw. einzudämmen,
versäumt es Fauchard auch nur eine dieser Möglichkeiten zu erwähnen. Zu diesen
zählen eine Reduktion der Menge und Einwirkdauer von säurehaltigen Lebensmitteln
309
vgl. Kluckhuhn.(2003), S. 34
310
Fauchard, Band 1 (1733), S. 116
58
(wie z.B. Zitrusfrüchte, Sauermilchprodukte) und Getränken (wie z.B. Fruchtsäfte,
kohlensäurehaltige und alkoholische Getränken). Da diese die Schmelzgitterstruktur
lockern, sollte nach ihrem Genuss mindesten eine halbe Stunde vergehen, bevor die
Zahnbürste zum Einsatz kommt, da diese sonst zum Abtragen der angegriffenen
Zahnoberfläche führen würde. Die Möglichkeit, durch kalziumhaltige Lebensmittel wie
Milch oder Käse die zahnschädigende Wirkung von stark säurehaltigen Lebensmitteln
zu neutralisieren, wird von Fauchard auch nicht erwähnt. Dass Fluorid nicht nur die
Deckschicht der Zähne stabilisiert, sondern auch zum Verschluss offen liegender
Dentinkanälchen führt, war zu Fauchards Zeit noch nicht bekannt. Erst seit 1950 kann
die Zahnmedizin Methoden der Kariesvorbeugung vorlegen, die als durchschlagender
Erfolg zu werten sind. 1954 wurde in der Schweiz mit der Verabreichung von
Fluoridtabletten an Schultagen begonnen, darauf folgten 1959 die ersten Programme zu
Zahnbürstenübungen. Die Trinkwasserfluoridierung setzte 1962 in Basel ein.312 Wegen
seines positiven Einflusses auf die Zähne wird heute auf den Zusatz von Fluorid in
Speisesalz, Zahnpasten, Mundspüllösungen sowie in diversen Gelen und Lacken sehr
großer Wert gelegt. Durch diese Maßnahmen ist es möglich ein Fortschreiten der
Erosion einzudämmen. Nur in besonders schweren Fällen ist eine Versorgung der
Zähne mit Kronen oder Teilkronen nötig. Fauchards Therapievorschlag, die
Zahnoberfläche zu glätten, muss also als falsch angesehen werde, da dies zu einem
erhöhten
Schmelzverlust
führt,
was
die
Nebenwirkungen
wie
Temperaturempfindlichkeit und Verfärbungen noch verstärkt. Um auch die inneren
Faktoren, die zur Erosion führen, ausschalten zu können, ist es unbedingt notwendig
Magen-Darm-Erkrankungen oder Bulimie entsprechend zu behandeln.
Daran, dass weiße Zähne dem Schönheitsideal entsprechen, hat sich in den letzten
dreihundert Jahren nichts geändert. Heute gelten schöne Zähne sogar als Statussymbol.
Auch daran, dass das „Bleachen“, das Bleichen der Zähne, bei unsachgemäßer
Anwendung die Zahnhartsubstanz angreift und diese zum Teil schädigt, hat sich nicht
viel geändert. Bleichen bezeichnet die Entfärbung von verschiedenartigen Materialien,
die durch Oxidation oder Reduktion erfolgen kann. Die Mittel, die heute zum Bleichen
der Zähne benutzt werden z.B. 30% Wasserstoffperoxid, Natriumperborat, Oxalsäure,
unterscheiden sich von denen die zu Fauchards Zeiten angewendet wurden z.B.
Sauerampfersaft, Zitronensaft, Vitriolsirup, sie können aber auch zur Hypersensibilität
311
vgl Springer Medizin (2007)
312
vgl. Kuster (2005)
59
der Zähne und Zahnhälse, Pulpitis, Schleimhautrötung oder -brennen sowie zu durch die
Austrocknung der Zähne bedingter erhöhter Frakturgefahr führen. „Heute ist man in der
Lage, Zähne wirkungsvoll, praktikabel und substanzschonend aufzuhellen. Die meisten
Studien zeigen: Vorausgesetzt, es werden pH-neutrale Präparate eingesetzt und diese
werden sachgemäß angewendet, sind bei Zahnaufhellung keine Zahnschäden zu
befürchten, und Nebenwirkungen halten sich in Grenzen.“313 Die Zahnaufhellungsmittel
sollten einen neutralen pH-Wert haben, damit die von Fauchard richtig beobachteten
Veränderungen an der Zahnoberfläche nicht auftreten.
Über die Ätiologie der Karies kann Fauchard nur spekulieren, er erkennt aber zumindest
die Zahnkaries als einen vorschreitenden Prozess an, der mit der Beseitigung der
kariösen Läsion (mit Feilen und Exkavatoren) und dem Füllen des Zahnes, zum
Stillstand gebracht werden kann.314
Fauchards Methoden zur Kariesbehandlung ähneln dem heutigen Vorgehen, wobei sich
was die Auswahl des Füllungsmaterieals betrifft einiges getan hat. Fauchard stand für
die Füllung der Kavitäten entweder Blei, Zinn, Silber oder Gold zur Verfügung. Heute
kann sich der Zahnarzt und natürlich auch der Patient, zwischen unterschiedlichen
Metalllegierungen (Edelmetalllegierungen und Amalgam) und nicht-metallischen
Werkstoffen
wie
Keramik
und
Kunststoff
sowie
Glasionomerzementen,
Hybridglasionomerzementen und Kompomere entscheiden.315 Fauchard war es also
lediglich möglich, durch die zu seiner Verfügung stehenden Füllungsmaterialien, eine
makromechanische Retention zu erreichen. Die Füllungsmaterialien gingen keinen
chemisch mechanischen Verbund mit der Zahnhartsubstanz ein.
Den Ablauf beim Legen der Füllung beschreibt Fauchard sehr genau. Der Vorgang
ähnelt dem heutigen Vorgehen, solange Amalgam oder Zement als Füllungsmaterial
verwendet wird. Diese werden, genau wie die von Fauchard verwendeten
Metallplättchen, nachdem die Kavität ringsum gesäubert wurde, in die Kavität gestopft
und mit speziellen Instrumenten verdichtet. Nach der Aushärtung wird die
Füllungsoberfläche noch geglättet. Bei Gold- oder Keramikfüllungen ist der Zahnarzt
heute auf die Mitarbeit eines Zahntechnikers angewiesen. Bei Kompositfüllungen ist der
313
http://de.wikipedia.org/wiki/Zahnaufhellung
314
vgl. Reitemeier, Schwenzer, Ehrenfeld (2006), S. 3
315
vgl. Deutschen Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde (2010)
60
Arbeitsablauf etwas anders, da hier für das Aushärten des Komposits Blaulicht
erforderlich ist.
4.2.3
Endodontie
Von einzelnen Ereignissen abgesehen, beginnt die Geschichte der Endodontie im 18.
Jahrhundert mit dem Buch “Le Chirurgien Dentiste” von Pierre Fauchard.316
Eine Wurzelkanalbehandlung, wie sie heute bekannt ist, war zu Fauchards Zeiten so
noch nicht möglich. „Das Verdienst, das erste Aufbereitungsinstrument entwickelt zu
haben, wird Edward Maynard zugeschrieben, der 1838 eine feine Uhrfeder zu einer
Reibahle umfeilte. Durch das anbringen kleiner, koronalwärts gerichteter Einkerbungen
an
der
Reibahle
schuf
Aufbereitungsinstrumente,
er
eine
Röntgendiagnostik,
Art
Extirpationsnadel.“317
Desinfektion
und
Ohne
entsprechende
Füllungsmaterialien für die einzelnen Wurzelkanäle, sowie einen dichten Verschluss der
Zahnkavität ist der Erfolg einer Wurzelkanalbehandlung, wie von Fauchard
beschrieben, aus heutiger Sicht fragwürdig. Trotz seiner begrenzten Möglichkeiten
scheut sich Fauchard nicht davor, alles zu versuchen, um einen zerstörten oder
schmerzhaften Zahn zu retten und nicht wie seine Kollegen, direkt zur Zange zu greifen.
Nach dem Kauterisieren mit einem Brenneisen legt er für einige Tage etwas in Zimtoder Nelkenessenz getränkte Baumwolle in den Kanal. Diesen füllt er anschließend mit
Blei.
4.2.4
Parodontologie
Fauchard begnügte sich damit alle Zahnfleischerkrankungen unter dem Namen
Zahnfleischskorbut (Scharbock) zusammenzufassen. Heute werden, je nach Ätiologie,
die Zahnfleischerkrankungen Gingivitis oder Parodontitis unterschieden.318 Es ist
jedoch wichtig, zu erwähnen, dass mit dem Verständnis für Parodontalerkrankungen
316
vgl. Baumann S.2
317
Heidemann (2001), S. 81
318
Gängler (2005), S. 250
61
Fauchard seiner Zeit weit voraus war. Noch in der heutigen Zeit heißen
Parodontopathien in Frankreich „maladie de Fauchard.“319
Als Ursache für Zahnfleischentzündungen nennt Fauchard neben Zahnstein noch
Wurzelreste,
die
nicht
entfernt
worden
sind,
und
kariöse
Zähne.
Um
Zahnfleischentzündungen zu vermeiden, sei es erforderlich, Zahnstein und Wurzelreste
zu entfernen, sowie kariöse Zähne zu versorgen. Heute sind noch eine Vielzahl weiterer
Faktoren bekannt, die eine Zahnfleischentzündung negativ beeinflussen können. Diese
werden in einem primären und einem sekundären Ursachenkomplex zusammengefasst.
Zu den primären Ursachen zählen die schon oben erwähnten parodontalpathogenen
Keime. Der sekundäre Ursachenkomplex umfasst Faktoren, welche die primären
Ursachen beeinflussen können. Dies sind: Zahnanatomie, Zahnstellung, Mundatmung,
Weichgewebe, Restaurationen, okklusale Kräfte, Ernährung, Speichel, Rauchen,
Diabetes, Osteoporose sowie genetische Faktoren.320
4.2.5
Zahnärztliche Chirurgie
Fauchards Schilderung der Abszessbehandlung entspricht im Großen und Ganzen dem
heutigen Standard nur, dass zu der von ihm beschriebenen Inzision das Offenlassen der
Wunde mit dem Einbringen einer Drainage für 3-5 Tage erleichtert wird.321 Eine
Drainage
verhindert
eine
Verklebung
der
Wundränder,
welche
zu
einer
Abflussbehinderung führen würde. Als Hilfsmittel für die Drainage kommen
Gazestreifen, Gummilaschen sowie ein Gummi- oder Silikonrohr in Frage. Heute ist
auch noch eine zusätzliche Antibiotikumbehandlug möglich. Dies ist aber nur bei einer
allgemein sehr bedrohlichen oder lokal schwerwiegenden örtlichen Entzündung
angezeigt.322
Eine Fistel tritt in der Zahnheilkunde „meist als Folge eines entzündlichen Prozesses an
einer "vereiterten" Wurzelspitze (Granulom), Einlagerung von Fremdkörpern oder
tiefer, entzündeter Zahnfleischtaschen auf. Nach Beseitigung der Ursache (z.B.
Wurzelspitzenresektion, Entfernung des Zahnes) verschwinden Fisteln meist von allein;
319
vgl. Heckert (2006), S 28
320
vgl. Hellwig, Klimek, Attin (2003), S.351, 365
321
vgl. Schwenzer, Ehrenfeld, Allgemeine Chirurgie (2000), S. 123
322
vgl. Schwenzer, Ehrenfeld, Allgemeine Chirurgie (2000), S. 132-133
62
ansonsten chirurgisches Ausschneiden (Exzision); gelegentlich ist auch eine Verödung
des Fistelganges (Mund-Antrum-Verbindung, "oroantrale Fistel") möglich – allerdings
sind derartige Maßnahmen ohne Beseitigung der Ursache wenig erfolgversprechend.”323
Fauchards Behauptung, eine Fistel sei die Folge einer Nichtbehandlung von einem
Abszesses ist richtig, denn „eine Zahnfleischfistel ist ein Zeichen eines chronischen
Geschehens, meistens haben die Patienten einige Abszesse durchlebt, irgendwann
organisiert sich das Entzündungsgeschehen und es bildet sich eine Zahnfleischfistel.“324
Fauchards Beschreibung, es wäre ausreichend die Öffnung der Fistel zu erweitern und
diese auszustreichen, damit sie abheile solange der Verursacher kein kariöser Zahn ist,
ist aber nicht ganz richtig. Um eine Fistel erfolgreich behandeln und eliminieren zu
können, ist es unerlässlich, die richtige Ursache für ihre Entstehung zu diagnostizieren.
4.2.6
Implantologie
„In der aktuellen Zahnheilkunde ist die Indikation für Reimplantationen auf die Zähne
beschränkt, die durch ein Trauma oder eine irrtümliche bzw. unbeabsichtigte Extraktion
aus ihrem Zahnfach luxiert wurden.“325 Fauchard beschreibt, dass er Zähne extrahiert,
um diese von Karies zu befreien, und diese anschließend wieder reimplantiert. Wegen
einer Kariesbehandlung werden heute keine Zähne mehr gezogen wohl aber, um einem
Patienten eine Wurzelspitzenresektion zu ersparen. Dies ist indiziert, wenn Seitenzähne
akut entzündet sind. Nach der Extraktion erfolgt die transalveoläre Entfernung von
periapikalem Entzündungsgewebe bzw. die Zystektomie. Das an der Zahnwurzel
befindliche Entzündungsgewebe wird extraoral, also unter Sicht entfernt. Anschließend
wird die Zahnwurzel mit dem Diamanten reseziert, so dass die einzelnen Wurzelkanäle
sichtbar werden. Nach der Aufbereitung der Kanäle mit dem Gates-Bohrer erfolgt das
retrograde Abfüllen mit Guttapoint und Sealer. Dieser Vorgang erfolgt, während der
Zahn durch die Extraktionszange gehalten wird. Nun kann der Zahn reimplantiert
werden. Die Erfolgschancen, nach diesem Verfahren den Zahn zu behalten, sind besser
als bei einer Wurzelspitzenresektion.326
323
de Cassan, (2010)
324
Dental News Team (2010)
325
Horch (2005), S. 234
326
vgl. Bertelsen (2008)
63
Heute ist bekannt, dass die Ursache, warum eine Reimplantation erfolgreich verlaufen
kann, darin begründet ist, dass der Zahn in seinem Zahnfach durch sehr feine
Sharpey’sche Fasern aufgehangen ist und diese wieder zusammenwachsen können.
Diese „Fäden“ waren Fauchard jedoch auch schon bekannt. Er zitiert zu diesem Thema
einen Zeitgenossen namens de la Hire, der kleine Fäden am Zahn beobachtete, „welche
auf dem inwendigen Theile des Zahns mit ihren Wurzeln befestiget sind.“327 Fauchard
machte für den Erfolg einer Reimplantation, neben der Beschaffenheit der Alveole den
Zustand des Zahnfleisches, sowie die Zusammensetzung der Nahrung verantwortlich.
Zur Stabilisation des reimplantierten Zahnes empfiehlt Fauchard einen Goldfaden. Dies
wird heute mit Hilfe einer Aufbissschiene erreicht.
4.2.7
Prothetik
„Man kann rationell die Geschichte des Zahnersatzes in zwei Perioden teilen: Vor
Fauchard und nach ihm. Was vor dem 18. Jahrhunderte an Zahnersatz geleistet wurde,
kann den Anspruch interessanter Kuriositäten machen, aber von einer Prothese in dem
Sinne, daß auch nur die wichtigsten Funktionen der verloren gegangenen Teile ersetzt
wurden, kann […] kaum gesprochen werden.“328
„Fauchards Verdienst auf zahntechnischem Gebiet kann darin gesehen werden, dass er
die zahnärztliche Prothetik aus dem Bereich des Handwerks in die Zahnmedizin
überführt hat. Seine prothetischen Zeichnungen und Stiche waren richtungsweisend und
anregend.“329 „Besondere Aufmerksamkeit lässt er der Zahnersatzkunde zukommen. Er
beschreibt individuelle Brücken, Teil- und Vollprothesen und verwendet als Material
für künstliche Zähne Flusspferdzähne und Elfenbein. Er entwickelte Prothesen, die
durch Stahlstreifen oder Spiralfedern gehalten wurden. Die Stahlfedern (ressorts
d´acier) –bis dahin waren nur die gebrechlichen Fischbeinfedern bekannt – wurden von
Fauchard als eigene Erfindung angemeldet. An Prothesen ließ er rosa Emaille
aufbrennen, um sie natürlicher aussehen zu lassen und das Zahnfleisch anzudeuten.“330
Nicht alle Autoren sind der Überzeugung, dass die Totalprothese mit den Stahlfedern
wirklich Fauchards Erfindung sei. Dass er seine Konstruktion zum Patent anmeldete
327
Fauchard, Band 1 (1733), S. 105
328
Heller (1907), S. 2
329
Will (2002), S. 12
64
wundert, „denn diese „Federgelenkkonstruktion“ war schon mindestens seit dem 16.
Jahrhundert gebräuchlich, wie Grabfunde ergaben.“331 Dennoch der zahnärztlichen
„Prothetik verhalf er mit neuartigen Konstruktionsprinzipien zu einem wesentlichen
Aufschwung: Er führte einen totalen oberen Zahnersatz ein, der sich mittels Federn am
Unterkiefer abstützte und somit nicht allein – wie bis dahin üblich – ästhetischen
sondern auch funkt. Anforderungen genügte.“332
Fauchards Werk enthält genaue Anleitungen und Illustrationen für die Herstellung von
Zahnersatz. Die erste wirklich brauchbare Methode, eine Prothese an einem zahnlosen
Kiefer anzubringen, wurde von ihm entwickelt.333 „Die ersten Kunststoffprothesen
wurden im Jahre 1847 vom amerikanischen Zahnarzt Thomas W. Evans aus
vulkanisiertem Naturkautschuk gefertigt“334, so dass Fauchard dieses bis heute
verwendete Material, noch nicht zur Verfügung stand. Um einen gewissen Halt der
schweren Metallprothesen zu erreichen, verwendete Fauchard Federn an den von ihm
hergestellten Prothesen. Da es ihm nicht möglich war, mit seiner Konstruktion am
Gaumen einen Unterdruck und somit eine Saugwirkung zu erzielen, behalf er sich,
indem er die Ober- und Unterkieferprothese miteinander verband. Dies führte zu mehr
Stabilität seiner „Maschine“. Dies ist heute nicht mehr notwendig, da die leichten
Materialien (Kunststoffbasis und -zähne) sowie wenn nötig Haftcreme für ausreichende
Stabilität der Prothesen sorgen.
Fauchard ist so von seiner Erfindung überzeugt, dass er sogar behauptet, die Patienten
würden sich so an seine Prothese gewöhnen, dass sie vergessen, dass es nicht mehr ihre
eigenen Zähne sind, die sie benutzen.335 Dieses Wunschdenken der Zahnärzte wird
leider auch heute noch in den seltensten Fällen (eigentlich gar nicht) erfüllt. Fauchards
Behauptung ist umso fragwürdiger, je mehr bedacht wird, was für primitive Mittel ihm
für die Prothesenherstellung zur Verfügung standen. Erst 1756 beschrieb Philipp Pfaff
erstmalig in seinem Buch „Abhandlung von den Zähnen des menschlichen Körpers und
deren Krankheiten“ die Abdrucknahme vom Kiefer (mit Wachs), die Bissnahme (zur
Berücksichtigung der Okklusionsstellung) und die Gipsmodellherstellung. „Damit kann
330
Heckert (2006), S 28
331
Will (2002), S. 11
332
Gerabek, (2005), S. 392
333
vgl. Papadomanolaki (2007), S. 5
334
Tai, Strauch (2010)
335
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 239
65
erstmals ein den Kieferverhältnissen entsprechender abnehmbarer Zahnersatz hergestellt
werden.“336
Fauchard dokumentierte erstmals die Möglichkeit der Verankerung von Zahnersatz
unter Nutzung der Zahnwurzel, in dem er die Wurzeln, nach der Extirpation der Pulpa,
mit Blei füllt und anschließend künstliche Zähne daran verankert. Als Erster beschrieb
er in seinem Werk die Herstellung von Stiftzähnen, wobei er sich hierbei von den
damals gängigen Methoden abhob. Die damals üblichen Werkstoffe für Zahnersatz
waren vor allem menschliche Zähne von Verstorbenen, sowie Tierknochen oder
Elfenbein. Diese wurden anschließend mit Golddrahtligaturen im Mund der Patienten
fixiert. Eine Neuerung stellte Fauchard mit der Herstellung von Stiftzähnen vor. Mit
Retentionen versehene Metallstifte aus Gold und Silber wurden dabei mit Hilfe einer
Kittmasse an gekürzten menschlichen Zähnen befestigt, welche dann mit Naturstoffen
wie Hanf oder Flachs im Wurzelkanal der Patienten verankert wurden.337 Bis dahin war
es üblich, Stifte aus Holz zu verwenden. Diese nahmen mit der Zeit Speichel auf,
wodurch sie sich ausdehnten und so zu einer Sprengung der Zahnwurzel führen
konnten. Fauchard bekräftigt, dass die mit einem Wurzelstift versorgten Zähne bis zu 20
Jahre im Mund ihre Funktion erfüllen können. Da zu Fauchards Zeit noch keine dichte
Wurzelfüllung möglich war, die aber für eine erfolgreiche Stiftversorgung unabdingbar
ist, kann dies bezweifelt werden.
„Heute werden stabile Stiftsysteme verwendet, die mit unterschiedlichen Materialien im
Wurzelkanal des endodontisch behandelten Zahnes befestigt werden, wodurch ein
schneller Verlust des Stumpfaufbaus und damit der künstlichen Krone verhindert
werden soll. Nach dem Retentionsprinzip werden zwei Gruppen von Stiftsystemen
unterschieden:
1. Schrauben mit aktiver Retention
2. Stifte mit passiver Retention
Die Stiftsysteme, die nach dem passiven Retentionsprinzip im Wurzelkanal mit Hilfe
von verschiedenen Zementen befestigt werden, unterscheiden sich untereinander in
ihrer Form, Dicke, Beschaffenheit der Oberfläche und dem Material.“338
336
337
Reitemeier, Schwenzer, Ehrenfeld (2006), S. 3
vgl. Zesewitz (2007), S.6
66
Fauchards Bestreben die Natur möglichst nachzuahmen und so natürlich aussehenden
Zahnersatz zu schaffen, hat bis heute Bestand. Denn das natürliche Aussehen hat eine
hohe Priorität. Zahnfarbener Zahnersatz, sei er mit Hilfe von Kunststoff oder Keramik
hergestellt, ist für uns selbstverständlich. Wenn der Zahnarzt und der Zahntechniker
gute Arbeit leisten, ist der Zahnersatz von den natürlichen Zähnen heute kaum noch zu
unterscheiden. „Die dentalkeramische Entwicklung geht erstmalig auf Fauchard zurück,
der bereits 1728 versuchte, metallische Gegenstände durch Emaillieren zu
verschönern.“339 Er ist es, der erstmals Gold und Silberzähne emailliert. In seinem
Werk beschreibt er die hierfür notwendigen Arbeitsschritte, sowohl für den Behandler
als auch für den Schmelzarbeiter (heute für den Zahntechniker) ganz genau.
Fauchard beschreibt „mehrere Obturatoren, deren Mechanismus sehr sinnreich ist, und
an Werth alle Vorigen weit überwiegt.“340 Da die Schwammobturatoren sich durch
Schwellung noch erweiterten und so auch die Perforation erweiterten, ersetzte Fauchard
diese mit Obturatoren aus Gold oder Silber, um Gaumenperforationen zu verschließen.
Da die beschriebenen Uhrmacherkonstruktionen zu schwer und kompliziert waren,
vermochten sie sich nicht durchzusetzen.341 „Die Effizienz der Herstellung der
Obturatoren verbesserte sich anschließend bis Ende des 19. Jahrhunderts stark, wobei
nach der Erfindung der Vulkanisation des Kautschuks durch Goodyear (1855) endlich
ein plastisch verformbares und härteres Material zur Verfügung stand. Der Ersatz aus
vulkanisiertem Kautschuk gewann dadurch mehr und mehr eine dominierende Rolle in
der Prothetik und Defektprothetik. Gleichzeitig unternommene Versuche, Porzellan zu
verwenden, kamen gegen den Kautschuk nicht an und blieben Einzelleistungen
[Proskauer
1962].
Erst
die
Einführung
des
polymerisierbaren
Methacrylsäuremethylesters 1941 brachte den Durchbruch in der Defektprothetik
[Gabbert 1941] zu den heute noch verwendeten Materialien wie zunächst
Polyvinylchloride (PVC) und später Polymethylmetacrylate (PMMA) und Silikone.“342
338
Widera (2004), S. 1
339
Geist (2009), S. 12
340
Renard (1882), S. 278
341
vgl. Meißner (2004), S. 6
342
Lind (2009), S. 5
67
4.2.8
Kieferorthopädie
Pierre Fauchard gilt heute als Vater der Kieferorthopädie. Zwar wurden schon vor ihm
Zahnfehlstellungen durch das Bewegen einzelner Zähne korrigiert, jedoch war Fauchard
der Erste, der seine Beobachtungen schriftlich und graphisch dargestellt festhielt.343 In
seinem Werk schreibt er „über irregulär stehende Zähne mit Hinweisen auf die
Ätiologie der Fehlentwicklung.“344 Vor seiner Zeit war es nicht üblich, eine
Zahnextraktion allein aus kieferorthopädischen Gründen vorzunehmen. „Erst 1728
beschrieb Fauchard die Entfernung bleibender Zähne als Regulierungsmaßnahme.“345
„Mit dem Geraderichten der Zähne scheint der Verffasser sich viel beschäftigt zu haben,
und er gibt darin sehr gute Lehren.“346 Bei größeren Fehlstellungen benutzte Fauchard
unter Anderem einen Pelikan (eigentlich ein Instrument zum Extrahieren), um größere
kurzzeitige Kräfte ausüben zu können. Diese Behandlungsmethode wird heute
„Redressment force“ genannt und das von Fauchard beschriebene, approximale Feilen
der Zähne zur Platzgewinnung, „interapproximales Polishing“. Anschließend fixierte
Fauchard die so behandelten Zähne an ihren Nachbarn. Neben dieser schnellen Methode
beschreibt er auch die langsame Methode, bei der mit Zahnligaturen aus Fäden,
befestigt an Platten und Edelmetallbändern Zähne bewegt wurden. Seine Zahnspange
war ein gebogener Metallstreifen, der an den Zähnen mit Draht fixiert wurde. Dabei
bediente er sich Fäden und dünner Plättchen oder Streifen aus Gold bzw. Silber, um
Kräfte auf die Zähne zu übertragen. Fauchard verwendete auch geschnitztes Elfenbein
als kieferorthopädisches Gerät (z.B. für den Labialbogen). Er versäumt es, zu erwähnen,
dass Zahnstellungsänderungen in vielen Fällen dazu führen können, dass die Okklusion
nicht mehr stimmt, selbst wenn nur ein einzelner Zahn bewegt wurde.
Seit dieser Zeit haben sich die Behandlungsmethoden wesentlich verändert. In der
modernen kieferorthopädischen Praxis haben die Multibandapparaturen neben den
funktionskieferorthopädischen Geräten ihren festen Platz erworben. Dennoch werden
die von Fauchard schon angewandten Behandlungsmethoden auch heute noch
angewandt, wobei sie „spannendere“ Bezeichnungen erhalten haben.
343
344
345
346
vgl. Ring (1997)
Diedrich, Band 1 (2000), S. 3
Kahl-Nieke (2010), S. 295
Linderer (1851), S. 394
68
„Fauchard wird von fast allen Autoren als erster Schöpfer einer Apparatur erwähnt,
welche die Aufgabe hatte, die Zahnstellungen zu verändern. Die Zähne wurden durch
Ligaturen an einen Außenbogen herangezogen und somit in eine regelrechte Zahnreihe
eingeordnet. Der Hauptzweck dieser Konstruktion war die Erweiterung des Zahnbogens
und sie wurde aus diesem Grund als Expansionsbogen bezeichnet.“347
Fauchards Behandlungsmethoden setzten sich im Allgemeinen durch und behielten
nahezu ein Jahrhundert ihre Gültigkeit, denn die Zeitgenossen und Nachfolger
Fauchards begnügten sich lediglich damit, seine Methoden mit nur geringen
Modifikationen und Erweiterungen anzuwenden. 348
4.2.9
Kinderzahnheilkunde
Da das Zahnen vielen Kindern Probleme bereitet, hat die heutige Industrie eine Vielzahl
von Beißringen aus unterschiedlichsten Materialien auf den Markt gebracht, um diese
Beschwerden etwas zu lindern. Die Kinder auf Wolfzähnen, wie von Fauchard
empfohlen, beißen zu lassen, erscheint jedoch aus heutiger Sicht undenkbar, obwohl
dies seinen Zweck wahrscheinlich auch erfüllte.
4.2.10 Schmerzursache und Therapie
„Bezeichnend ist, daß Fauchard zwar das Stichwort „Zahnschmerz“ im Register
aufführt, aber diesen nicht, wie bis dahin meist üblich, in einem eigenen Kapitel
abhandelt. Der Schmerz verliert damit seine Wesenheit, ist nicht mehr Entität, der die
unterschiedlichsten Bedeutungen (Folge der Sünde, Schwäche der menschlichen Natur)
zugemessen werden kann. Er ist nur noch ein Symptom, das krankhafte Veränderung im
Körper
anzeigt
und
durch
eine
angemessene,
verschwindet.“349
347
Schmeil, Hirschfelder (2004), S. 11
348
vgl. Möller (2002), S. 7
349
Jütte (1997), S.52
69
spezifische
Therapie
wieder
Da es zur Einführung schmerzausschaltender Verfahren wie Äther-Narkose, Lachgas
oder der Lokalanästhesie erst Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts kam,350 war eine
Zahnbehandlung zu Fauchards Zeit mit großen Schmerzen verbunden. Fauchard
versuchte, durch die richtige Diagnose, seinen Patienten von den Schmerzen zu
befreien. Aus diesem Grund definierte er 103 Krankheiten in der Mundhöhle und gab
Mittel an, um diese zu behandeln und begnügte sich nicht damit, wie seine
Zeitgenossen, schmerzende Zähne einfach zu ziehen.
4.3
Dem heutigen Standard entsprechende Erkenntnisse
Fauchard gilt nicht zufällig bis heute als der Urvater der Zahnmedizin, denn „viele
seiner neuen Ideen und Methoden wurden weiterentwickelt und haben über nun schon
fast dreihundert Jahre ihre Aktualität behalten.“351
Ihm ist es hauptsächlich zu
verdanken, dass es den heute bekannten Berufsstand des Zahnmediziners überhaupt
gibt, da „er die Lösung der Zahnheilkunde von der Chirurgie vorantrieb und damit
wesentlich zur Entstehung des eigenständigen Berufes „Zahnarzt“ beitrug.“352
Es ist heute selbstverständlich, dass alle Neuentdeckungen in allen Bereichen der
Wissenschaft publiziert werden. Keiner behält sein Wissen für sich, wie es zu
Fauchards Zeiten zur üblichen Praxis gehörte. Die Veröffentlichung des eigenen
Wissens durch Fauchard führte dazu, dass er durch seine Schriften schon zu Lebzeiten
hohen Bekanntheitsgrad und Anerkennung erlangte. Dies strebt ein Großteil der
Wissenschaftler auch heute an.
Fauchard scheut sich nicht, zuzugeben, auch mal Hilfe in Anspruch genommen zu
haben. So bspw. von Chirurgen, wenn er bei einer schwierigen Extraktion nicht weiter
wusste, oder von Schmelzarbeitern, die ihm halfen den Zahnschmelz auf das Zahngerüst
aus Metall aufzubrennen. Fauchard versäumt es auch nicht, seine Helfer bei der
Erstellung der Obturatoren lobend zu erwähnen: „so traf ich endlich zu gutem Glücke so
gescheite und geschickte Künstler an, welche den Entwurf, den ich davon gemachet
hatte, nachmachen, und diesen letzten Gaumenstopfer ausarbeiten konten.“353 Heute
350
Jöhren, Sartory (2002), S. 12
351
Neddermeyer, Uwe (2001), S. 328
352
Neddermeyer, Uwe (2001), S. 328
353
Fauchard, Band 2 (1733), S. 279-280
70
arbeitet jeder Zahnarzt mit Zahntechnikern und Kieferchirurgen zusammen. Ohne diese
Zusammenarbeit wäre die Arbeit in den heutigen Zahnarztpraxen undenkbar.
4.3.1
Prophylaxe
Die moderne Zahnmedizin hat als Hauptaufgabe die Erhaltung der primären oralen
Gesundheit. Die Notwendigkeit der richtigen Mundhygiene ist unumgänglich, um
Zähne und Zahnfleisch bis ins hohe Alter ästhetisch schön und gesund zu erhalten.
Deswegen appelliert Fauchard auch immer wieder in seinem Werk an seine Leser, mehr
Wert auf die eigene Mundhygiene zu legen, genauso wie die heutigen Zahnärzte nicht
müde werden, ihren Patienten die Bedeutung der Mundhygiene wiederholt zu
verdeutlichen. Obwohl die Zahnpflegeindustrie ständig neue Produkte auf den Markt
bringt, welche die Zahnhygiene erleichtern sollen (wie z.B. elektrische Zahnbürsten,
Zahnseide, Mundspüllösungen usw.) ist es bis heute nicht gelungen, eine kariesfreie
Gesellschaft zu schaffen. Dies liegt wohl daran, dass viele Patienten zu bequem sind,
um trotz der Hilfsmittel, die ihnen zur Verfügung stehen, die notwendige Zeit und
Energie in die richtige Zahnpflege zu investieren. Fauchard erkennt, dass der
gleichzeitige Genuss von kalten und heißen Speisen eine Gefahr für die Zähne
darstellen und zu kleinen Rissen am Zahnschmelz führen kann.
4.3.2
Füllungstherapie
Fauchard beobachtet richtig, dass Quecksilber sich negativ auf das Zahnfleisch
auswirkt. Aufgrund seiner Toxizität wird Amalgam immer häufiger durch geeignetere
Füllungsmaterialien wie Gold, Komposit oder Keramik ersetzt, was auch mit einem
ästhetisch schöneren Ergebnis einhergeht.
4.3.3
Kariologie
„Die konservierende Behandlung mit dem Ziel der Zahnerhaltung wird seit dem 18.
Jahrhundert zum festen Bestandteil der zahnärztlichen Therapie.“354
354
Reitemeier, Schwenzer, Ehrenfeld (2006), S. 3
71
Trotz der schädlichen Wirkung von Zucker auf die Zähne verlangt Fauchard nicht den
vollkommenen Verzicht auf diesen, sondern befürwortet einen Genuss in Maßen. Eine
Forderung auf den vollkommenen Verzicht von Zucker wäre nicht nur utopisch sondern
auch nicht notwendig, da sich gezeigt hat, dass sich nicht die Zuckermenge, sondern die
Häufigkeit des Zuckerkonsums schädlich auf die Zähne auswirkt.355 Auch seine
Empfehlung, den Mundraum nach dem Zuckerkonsum mit Wasser auszuspülen, ist sehr
vernünftig, denn dadurch nimmt die Menge des Zuckers etwas ab, die den
Kariesprozess beeinflusst. Natürlich kann diese Maßnahme nicht als Ersatz für eine
vernünftige Mundhygiene mit Zahnbürste und Zahnpasta angesehen werden.
Fauchard erkannte schon damals die Nachteile der Kneifzange richtig (Zersplitterung
des Zahnes, Verletzung der Zahnpulpa) und plädierte dafür, diese nicht mehr zu
benutzen. Heute würde wahrscheinlich kein Zahnarzt auf die Idee kommen, Zähne mit
einer Kneifzange zu kürzen.
Fauchard scheut sich nicht davor, wenn er „mit seinem Latein am Ende ist“, z.B. bei
einer Abszessbehandlung, seine Kollegen, die eine chirurgische Ausbildung genossen
haben und somit erfahrener auf diesem Gebiet sind, zu Rate zu ziehen. Er rät seinen
Kollegen, ihm dies gleich zu tun. Heute ist es selbstverständlich, dass Patienten, falls
erforderlich, zu Fachärzten überwiesen werden, um so die best mögliche Betreuung zu
erhalten.
„Gesundes Zahnfleisch ist und bleibt das beste Fundament für gesunde Zähne ebenso
wie für künstlichen Zahnersatz.“356 Genau diese Ansicht vertrat auch Fauchard und
erwähnte zusätzlich, wie viel auch das Aussehen des Zahnfleisches zum
Gesamtaussehen eines Gesichtes beiträgt.
4.3.4
Extraktion
„Die Zahnentfernung als einfache Extraktion eines nicht erhaltungswürdigen Zahnes,
als operative Entfernung tief kariös zerstörter Zähne, frakturierter Zahnwurzelteile oder
355
vgl. Hellwig, Klimek, Attin (2003), S. 20
356
Andreae-Noris Zahn AG (ANZAG), (2006)
72
als Osteotomie von verlagerten und retinierten Zähnen ist weltweit die häufigste
operative Tätigkeit in den Zahnarztpraxen.“357 Da die konservierende Zahnheilkunde zu
Fauchards Zeit noch eine untergeordnete Rolle spielte, sind viele Zähne der Zange zum
Opfer gefallen. Aus diesem Grund verwendete Fauchard viel Zeit darauf, Instrumente
zu verbessern oder neu zu entwickeln, die seine Arbeit auch auf diesem Gebiet der
Zahnheilkunde verbesserten. Es war aber stets Fauchards Bestreben, möglichst viele
Zähne so lange wie nur möglich zu erhalten.
Das heutige Grundinstrumentarium bei einer Zahnextraktion besteht aus Spiegel,
Pinzette, Hebel, Zange, scharfem Löffel, Knochenzange und stumpfer Sonde zur
Kieferhöhlendiagnostik.358 Es wird deutlich, dass der von Fauchard oft benutzte und
weiterentwickelte Pelican ausgedient hat, obwohl er „an seinem Pelican die
Verbesserung angebracht [hatte], dass die Stützfläche des Hebels nicht ausgezackt,
sondern sogar, um die Verletzung des Zahnfleisches zu verhüten, gepolstert“359 war.
Fauchard benutzte auch schon für unterschiedliche Zahngruppen verschieden gestaltete
Zangen. Nach der Extraktion empfiehlt Fauchard eine anschließende Kompression der
Alveole, um Nachblutungen zu verhindern. Dies entspricht auch der heutigen
Empfehlung.360
4.3.5
Prothetik
Fauchard war auch der Erfinder der falschen Zähne oder Prothesen: Auf die Wurzeln
kaputter Zähne setzte er Stiftzähne und als Zahnersatz modellierte er künstliche,
herausnehmbare Gebisse. Von diesen Erfindungen profitiert die Zahnmedizin noch
heute.
357
Schwenzer, Ehrenfeld, Zahnärztliche Chirurgie (2000), S. 35
358
vgl. Schwenzer, Ehrenfeld, Zahnärztliche Chirurgie (2000), S. 38
359
360
Rust (1831), S.710
vgl. Schwenzer, Ehrenfeld, Zahnärztliche Chirurgie (2000), S. 46
73
4.3.6
Kinderzahnheilkunde
Fauchard „widerlegt die Meinung, dass die Milchzähne keine Wurzel haben“361, und
kritisiert gleichzeitig seine Kollegen, die das Gegenteil behaupten und dies nur aufgrund
einer fehlenden Erklärung für das Verschwinden der Wurzel der Milchzähne. Dass die
Milchzähne eine Wurzel haben, ist heute dank der Röntgenaufnahme leicht, auch ohne
Extraktion, nachzuweisen.
4.3.7
Zusammenhang systemischer und lokaler Erkrankungen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
chronische
Diabetes
Atemwegserkrankungen,
Erkrankungen
des
Zusammenhänge
Haltevon
und
mellitus,
Magen-
und
Stützapparates
Erkrankungen
im
rheumatische
Darmerkrankungen
sollen
Zahn-
Erkrankungen,
hier
und
sowie
beispielhaft
Mundbereich
für
mit
allgemeinmedizinischen Erkrankungen genannt werden.362 Diese Aufzählung ergänzt
die von Fauchard erwähnte Beeinflussung der Sprache und des Gesichtsausdrucks durch
erkrankte Zähne.
Fauchard nennt neben verschiedenen Gründen zur Entfernung eines Zahnes auch
Allgemeinkrankheiten. „Bei ihm ist in Hinblick auf mögliche Ursachen des
Zahnschmerzes kaum noch von „Flüssen“ und „Kongestionen“ die Rede. Wenn ein
Patient sich über Zahnschmerzen beklagt, achtet er nicht mehr in erster Linie auf dessen
„Vollblütigkeit“ oder besondere körperliche Konstitution. Statt dessen gilt seine
Aufmerksamkeit
der
Mundhöhle.
Krankheitswesenheiten“[...]
Das
Feststellen
von
„allgemeinen
macht also einer „Lokalisierung“ der Krankheit
Platz.“363 Fauchard verweist darauf, dass es wichtig sei, Erkrankungen in der
Mündhöhle zu behandeln, bevor diese „zu anderen Krankheiten von verschiedenen
Arten ausschlagen.“364
Es war zwar Fauchard, der erstmals darauf hinwies, dass Erkrankungen der Zähne und
des Zahnfleisches Einfluss auf die verschiedensten anderen Erkrankungen haben
361
Von Lunkaszprie, Band 1 (1831), S. 71
362
vgl. Dohlus (2009)
363
Jütte (1997) S.51
364
Fauchard, Band 1 (1733), S. 122
74
könnten. „Allerdings hatten sich diese Anschauungen allgemein nicht durchsetzen
können. Erst durch die Veröffentlichungen und den Vortrag von Pässler auf dem
Kongress für Innere Medizin 1909 in Wiesbaden wurden diese Zusammenhänge einem
größeren Kreis von Ärzten nahe gebracht. Pässler prägte damals den Begriff der
Herdinfektion“365
4.3.8
Ergonomie
„Die Ergonomie ist die Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit menschlicher Arbeit.“366
„Zahnärzte klagen häufiger als andere Berufsgruppen über Rückenprobleme.“367 „Nicht
selten sind eine fehlerhafte Lagerung des Patienten oder ein falsch eingespieltes
Behandlungsritual zwischen Behandler und Assistenz sowie unphysiologisch gestaltete
Möbel Mitverursacher für diese Probleme.“368 Heute wird auf die Lagerung der
Patienten, sowie auf die Position des Behandlers sehr hoher Wert gelegt. Eine liegende
oder sitzende Behandlungsposition (je nach Quadranten) ist nicht nur für den Patienten
bequemer und entspannender, sondern führt zu einer günstigeren Behandlungsposition
auch für den Zahnarzt. Es wurde festgestellt, dass die Gesundheit des Zahnarztes
weitgehend von seiner Arbeitshaltung abhängig ist.
Vor Fauchards Zeit war es üblich, dass der Zahnreißer hinter dem Patienten stand
während dieser auf dem Boden saß. „Das Sitzen des Patienten auf der Erde beim
Zahnausziehen erklärt er für höchst unschicklich und ganz verwerflich; er lässt seine
Kranken dabei sich des Lehnstuhles, des Sopha`s oder des Bettes bedienen.“369 Es ist
also Fauchard zu verdanken, dass die Patienten heute auf einem bequemen Stuhl und
nicht auf dem Boden Platz nehmen dürfen und dass der Zahnarzt und der Patient sich
während der Behandlung gegenübersitzen.370
365
Thielemann (1967), S.228
366
http://de.wikipedia.org/wiki/Ergonomie
367
Neddermeyer, Wolf (2002), Seite 36
368
Neddermeyer, Wolf.(2002), Seite 36
369
370
Von Lunkaszprie, Band 1 (1831), S.67
Jöhren, Sartory (2002), S. 11-12
75
5.
Diskussion
Aus den vorrausgegangenen Seiten wird deutlich, über welches Wissen Fauchard
bereits vor fast 300 Jahren verfügte. Obwohl sich seit seiner Zeit einiges im Bereich der
Zahnmedizin getan hat, und einige wissenschaftliche Beweise erbracht worden sind,
welche seine Theorien widerlegen, nimmt sein Werk doch vieles vorweg, was erst in
der jüngeren Vergangenheit verwirklicht oder bewiesen wurde. Mit einigen seiner
Annahmen hat er sogar über die Jahre hinweg bis in die heutige Zeit Recht behalten.
Die Aussage, dass die Zahnmedizin seit Pierre Fauchard eine selbständige Entwicklung
genommen hat371 und er in nahezu allen Publikationen über die Zahnmedizin als der
Urvater der Zahnheilkunde bezeichnet wird, ist nach dem eingehendem Studium seines
Werkes und den Auswirkungen desselben auf den Berufsstand des Zahnarztes, mehr als
nachvollziehbar.
„Kein anderer Arzt hat die Zahnmedizin so entwickelt und erforscht wie Fauchard
(1678-1761). [...] Er stiess praktisch alle bestehenden Theorien und Praktiken um, dazu
erzürnte er die Zunft der Zahnzieher, die ihre Praktiken als geheime Heillehre
verkauften. Fauchard prägte den Begriff Zahnarzt als Beruf.“372 „Fauchards Verdienst
ist die Trennung der Zahnheilkunde von dem großen Gebiet der Chirurgie. Durch ihn
entstand ein eigenständiger Beruf mit fest umrissenen Aufgaben und Leistungen. Der
Begriff „Chirurgien dentiste“ (so heißen noch heute die Zahnärzte in Frankreich) wurde
von ihm geprägt. Die Bedeutung seiner Schriften lässt sich nicht hoch genug bewerten.
Damit wurde das Zeitalter einer selbstständigen zahnärztlichen Wissenschaft
begonnen.“373
Joseph Linderer teilt die Zahnmedizin 1848, also fast 100 Jahre nach Fauchards Tod, in
zwei Teile: „Von Ryff bis Fauchard (1545-1728)“ und „Von Fauchard bis jetzt (17281847).“374 Er schreibt: „Es bildeten sich allmählich mehr oder weniger gute Zahnärzte
aus, doch hat man keine näheren Nachrichten drüber, so dass man durch das plötzliche
Erscheinen eines für damalige Zeiten vorzüglichen Werkes, das von Peter Fauchard,
371
vgl. Buchheim (1961), S. 1354 -1356
372
Benz, Teil 1, S. 32
373
Heckert (2006), S 29
374
Linderer (1848), S. 425, 419
76
überrascht wird.“375 Fauchard hob mit seinem „über 800 Seiten starken Lehrbuch die
Zahnheilkunde auf ein bis dahin unerreichtes theoretisches Niveau“.376
Abbildung 9: französische Original-Ausgabe des Werks von Pierre Fauchard377
Fauchard scheint die Bedeutung seines Werkes zu erkennen, denn mit stolzer Sicherheit
ließ er unter ein in seinem Werk abgebildetes Portrait vier lateinische Verszeilen setzen,
deren Übersetzung aus der deutschen Ausgabe des Jahres 1733 lautet:
„Indem Herr FAUCHARD sucht der Zähne Heil und Zier
Mit weiser Hand und Kiel in Sicherheit zu setzen,
So kann der tolle Zahn des Neids ihn nicht verletzen
Es weiß sein edler Muht auch hier wol Mittel für.“
In seinem Buch behandelt Fauchard alle Themen der Zahnheilkunde, angefangen von
der Anatomie der Zähne über die Prophylaxe, die konservierende Zahnheilkunde, die
Parodontologie, die zahnärztliche Chirurgie, die Prothetik und die Kieferorthopädie bis
hin zur Kinderzahnheilkunde. „In zwei Bänden und insgesamt 64 Kapiteln bot Fauchard
375
Linderer (1848), S.424
376
Lindner, (2005)
377
http://www.aphp.fr/site/diaporamas/collection_art_dentaire/images/15.jpg
77
das gesamte Spektrum der Zahnheilkunde, auf dem Wissensstand seiner Zeit dar.“378 Im
ersten
Band
beschreibt
er
über
500
Krankheiten
der
Zähne
und
ihre
Behandlungsmethoden. Im zweiten, reich illustrierten Band beschreibt er die operativen
Eingriffe, Prothesen und die zahnmedizinischen Geräte. Fauchard fasste also nicht nur
das gesamte zahnmedizinische Wissen der westlichen Welt zu seiner Zeit zusammen,
sondern systematisierte dieses auch.
Besonders anzuerkennen ist, dass Fauchard seine Methoden und Instrumente nicht
geheim hielt, wie es sonst unter den Zahnheilkundlern der Zeit üblich war. Er erstellte
genaueste Zeichnungen der Instrumente und beschrieb seine Operationstechniken und
Behandlungsmethoden sehr akribisch. Unter Berücksichtigung der primitiven
Verhältnisse in denen die Zahnärzte jener Zeit wirken mussten, ist nachvollziehbar wie
wichtig Beschreibungen von Körperposition des Patienten und Haltung des
behandelnden Zahnarztes waren. Es gab noch keine Anästhesie, weshalb die
Behandlung mit möglichst geringer Dauer erfolgen musste.
„Fauchards Ruf als Zahnchirurg war für die Konkurrenz so zwingend, dass sich nun
etliche Kollegen veranlasst sahen, ebenfalls ihre Methoden zu publizieren. Damit ging
die alte Geheimniskrämerei um spezielle Behandlungsmethoden langsam zu Ende und
die Zahnmedizin begann innerhalb der Chirurgie ein stärkeres Eigenleben zu
entwickeln.“379 Dadurch erreichte Pierre Fauchard, dass auch andere ihre eigenen
Methoden veröffentlichten und es zu einem stärkeren Wissensaustausch kommen
konnte. Er plädierte dafür, dass geheime Methoden in allen Einzelheiten offengelegt
werden sollten, damit die Ergebnisse geprüft und von anderen nutzbar gemacht werden
konnten. „Sein intern. Erfolg und die rasche Verbreitung seiner Schriften lösten insbes.
bei seinen Pariser Kollegen (Etienne Bourdet, Robert Bunon, Claude Geraudly, Luise
Lecluse, Claude Mouton) eine rege Publikationstätigkeit aus und trugen so mittelbar zu
einer weiteren Aufwärtsentw. der zeitgenöss. Odontol. bei.“380
Selbst vor Abrechnungsbetrug hat Fauchard bereits gewarnt, da einige Scharlatane
Zinnfolien mit Safran goldgelb einfärbten und den Patienten den Preis für Zahngold
abverlangten, bevor sie das Weite suchten. Leider ist Abrechnungsbetrug sogar heute
noch in manchen Zahnarztpraxen ein Thema, obwohl sich viele Patienten zu unserer
378
Gerabek (2005), S.392
379
Morawetz, (2001), Seite 64
78
Zeit, dank Internet und Informationsbroschüren, schon vor der Zahnarztbehandlung
umfangreich informieren können.
Auch mehr als 300 Jahre nach seinem Tod gerät Fauchard nicht in Vergessenheit. 1961
erinnerte eine Briefmarke aus Frankreich an seinen 200sten Todestag. 1971 wurde in
den USA eine Silbermedaille mit Fauchard als Motiv geprägt. 381
Abbildung 10: französische Briefmarke aus dem Jahr 1961382 sowie US-amerikanische
Silbermedaille aus dem Jahr 1971383
In den USA gibt es sogar eine nach ihm benannte Akademie. In Paris gibt es ein
zahnärztliches Museum, das nach Pierre Fauchard benannt ist: Musée Pierre Fauchard Musée d'Art Dentaire. „Im Jahr 1734 wurde das Anwesen von Pierre Fauchard gekauft.
Im Jahre 1788 ist die erste Gemeindeversammlung in Position gehalten. Im Jahr 1954
installiert die Abteilung ein Hospiz. Das Schloss ist heute ein Nebengebäude des
Krankenhauses Orsay.“384
380
Gerabek (2005), S. 392
381
Heckert (2006), S 25
382
http://www.lemarchedutimbre.com/image_timbre/61/612352.jpg
383
http://timbreetdent.free.fr/Jeton/fauchard-recto-th.jpg
384
https://www.france-voyage.com/de/
79
6.
Zusammenfassung
Ziel dieser Dissertation ist es, in Pierre Fauchards Werk „Französischer Zahn-Arzt, oder
Tractat von den Zähnen“ die Einzelnen zahnmedizinischen Fachgebiete zu eruieren und
seine Erkenntnisse im einzelnen daraufhin zu untersuchen, inwieweit diese heute als
überholt gelten, den heutigen Standard beeinflussten oder diesem sogar heute immer
noch entsprechen.
Fauchards Erkenntnisse wurden in dieser Arbeit in zwei Gruppen eingeteilt. Zunächst
erfolgt die Beschreibung der zahnmedizinischen Aspekte, wobei diese in den sieben
Hauptfachrichtungen der Zahnmedizin – Prophylaxe, konservierende Zahnheilkunde,
Parodontologie,
zahnärztliche
Chirurgie,
Prothetik,
Kieferorthopädie
und
Kinderzahnheilkunde – zusammengefasst werden. Die Fachrichtung konservierende
Zahnheilkunde wird weiter in die Nebenfächer Kariologie und Füllungstherapie sowie
Endodontie und die ahnärztliche Chirurgie in die Nebenfächer Extraktion und
Implantologie unterteilt. Als Nächstes erfolgt die Beschreibung der fachübergreifenden
Aspekte, welche sich unterteilen in Schmerzursache und Therapie, Zusammenhang
systemischer und lokaler Erkrankungen sowie Ergonomie.
Fauchard ermutigte nicht nur seine Kollegen „neue Weisen zu operieren zu erfinden,
aus welchen die Welt grossen Vortheil ziehen kan“385, sondern ging mit einem guten
Beispiel voran und sorgte selbst durch zahlreiche eigene Erfindungen dafür, dass sogar
die heutige Zahnmedizin, fast 300 Jahre nach seinem Tod, teilweise noch von diesen
profitiert.
Es ist ein großes Anliegen des Autors, seinen Lesern die besondere Bedeutung der
richtigen Zahnprophylaxe zu verdeutlichen, denn ohne „einer Behutsamkeit und
besonderen Sorgfalt“386 sei es nicht möglich, seine Zähne bis zum hohen Alter gesund
zu erhalten. Er kritisiert die „Nachlässigkeit und Unreinlichkeit“387 seiner Patienten, die
dazu führen würde, dass sie neben Karies auch Mundgeruch hätten. Er verweist auf die
Gefahren von Zucker- und Tabakkonsum für die Zähne sowie die Gefahren des
gleichzeitigen Genusses von heißen und kalten Speisen.
385
Fauchard, Band 1 (1733), S. 321
386
Fauchard, Band 1 (1733), S. 4
80
Fauchard beschreibt die Erosion, die er als eine „Zerfressung der Oberfläche am
Schmelzwerde“388 ansieht. Er warnt vor den Nebenwirkungen beim Bleichen der Zähne
und gibt Anweisungen und zeigt Instrumente auf, mit welchen Zahnstein am besten zu
entfernen sei. Er sah sich gezwungen hierfür manche der Instrumente “zu verbessern
und ihnen eine andere Form zu geben.“389
Obwohl Fauchard in der heutigen Literatur vielfach als der Erste gilt, der die bis dahin
gültige Wurmtheorie widerlegt hat, ist in seinem Werk lediglich zu lesen, dass er diese
„weder leugnen noch zugeben“390 will. Die Kariesursachen unterteilt er lediglich in
innerliche und äußerliche Ursachen und schildert die Kariesbehandlung auch mittels
Kauterisieren. Er zieht Zinn allen anderen Füllungsmaterialien vor und schildert die
einzelnen Behandlungsschritte beim Legen einer Füllung genauestens. Auch das Thema
Feilen der Zähne behandelt er ausführlich.
Fauchard praktiziert eine primitive Art der Wurzelkanalbehandlung. Er tötet lediglich
den Zahnnerv mit einem Brenneisen und rät anschließend für einige Tage etwas
Baumwolle in den Kanal einzulegen, welche zuvor in Zimt- oder Nelkenessenz getränkt
worden ist.391
Dass noch in der heutigen Zeit Parodontopathien in Frankreich „maladie de Fauchard“
heißen, ist dadurch zu erklären, dass der Autor die Zahnfleischerkrankungen deren
Ursache und Therapie genauestens beschreibt.
Fauchard widmet einen großen Teil seines Werkes dem Thema Extraktion. Dies ist
verständlich, da die konservierende Zahnheilkunde zu Fauchards Zeiten noch in den
Kinderschuhen steckte und aus diesem Grund viele Zähne der Zange zum Opfer
gefallen sind, so dass dieses Gebiet der Zahnheilkunde den Haupttätigkeitsschwerpunkt
der damaligen Zahnärzte ausmachte. Fauchard betont, dass er sehr ungern Zähne ziehen
würde, nicht nur weil dies seinen Patienten große Schmerzen bereitet (Möglichkeiten
zur Anästhesie existierten zu Fauchards Zeit noch nicht), sondern auch weil er die
387
Fauchard, Band 1 (1733), S. 117
388
Fauchard, Band 1 (1733), S. 116
389
Fauchard, Band 2 (1733), S. 9
390
Fauchard, Band 1 (1733), S. 120
391
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 204
81
Zähne respektiere.392 Fauchard zählt die Indikationen auf, die eine Extraktion
unumgänglich machen und beschreibt dass richtige Vorgehen bei der Extraktion sowie
bei der Nachbehandlung, wenn unterschiedlichste Komplikationen auftreten, genauso
wie die dazu erforderlichen Instrumente.
Fauchard beschäftigt sich in seinem Werk auch umfassend mit dem Thema
Implantation. Er beschreibt die Möglichkeit der Transplantation und der Reimplantation
der Zähne sowohl im gleichen Patientenmund, als auch bei unterschiedlichen Patienten.
Er gibt Anweisungen, wie die entsprechenden Zähne befestigt werden sollen. Fauchard
gibt an, eine neue Behandlungsmethode entwickelt zu haben, um gelockerte Zähne zu
stabilisieren, damit die Patienten diese länger behalten können.
Das Thema Prothetik nimmt einen bedeutenden Teil in Fauchards Werk ein. Einige
Neu- bzw. Weiterentwicklungen auch auf diesem Gebiet der Zahnheilkunde nennt er
sein Eigen. Er dokumentiert auch mit Hilfe von Zeichnungen nicht nur das Vorgehen
bei der Gestaltung eines Stiftzahnes, sondern auch bei der Herstellung, der nach ihm
neu entwickelten Totalprothese und von ihm weiterentwickelter Obturatoren.
Zum
Thema
Kieferorthopädie
beschreibt
Fauchard
zwei
unterschiedliche
Möglichkeiten, um verlagerte Zähne zu bewegen: eine langsame mittels Golddrähten
und Platten und eine schnelle mit Hilfe des Pelican. Er verweist dabei darauf, dass es
bei Jugendlichen einfacher sei, die Zähne zu bewegen.
Als letzter zahnmedizinischer Aspekt wird die Abhandlung der Kinderzahnheilkunde
basierend auf Fauchards Werk in dieser Arbeit erörtert. Nachdem Fauchard feststellt,
dass die Milchzähne sehr wohl, entgegen der Behauptung seiner Kollegen, Wurzeln
haben, erörtert er die Nebenwirkungen, die der Zahndurchbruch bei Kindern nach sich
zieht. Er rät dazu, retinierte Milchzähne zu extrahieren, damit diese nicht zu einer
Durchbruchshinderung für die bleibenden Zähne werden.
Beim Thema Schmerzursache und Therapie, als erstem fachübergreifenden Aspekt, ist
es Fauchards Anliegen, die Schmerzursache zu ergründen um so, bei einer guten
Therapie, seinen Patienten die Chance zu geben, ihre Zähne möglichst lange zu
392
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 187-188
82
erhalten. Aus diesem Grund definiert er 103 Krankheiten, die den zahnmedizinischen
Fachbereich betreffen und gibt Mittel an, um diese zu behandeln.
Fauchard stellt fest, dass Karies nicht nur die Zähne schädigt, sondern sie auch „der
Grund seyn kann von mancherley Krankheiten“,393 es also auch zu systemischen
Erkrankungen führen kann. Es sei somit seiner Meinung nach wichtig bei der
Schmerzdiagnostik, z. B. bei Kopfschmerzen, auch die Zähne zu untersuchen.
Es ist ein wichtiges Anliegen Fauchards, die Patientenbehandlung vom Boden (wie bis
dahin üblichen) auf den Stuhl zu verlagern. Die Patienten auf dem Boden sitzend zu
behandeln, ist nach Fauchards Meinung „ganz und gar zu verwerfen.“394
Fauchard trug in seinem Werk durch immer wiederkehrende Warnung vor
Quacksalbern und Kurpfuschern zur Aufklärung bei und widerlegte durch genaue
Beobachtung und kritische Auseinandersetzung mit vorhergehend allgemein üblichen
Methoden die gängige Praxis. Er hoffte hierdurch zu erreichen, dass „man viele
Mißbräuche abstellen werde, die tag täglich begangen werden.“395
Fauchard entwickelte manche Instrumente nicht nur weiter (wie z. B. Instrumente zur
Zahnsteinentfernung oder den Pelican) sondern erfand auch verschiedene neue
Instrumente. Er ist von seinen Weiterentwicklungen so überzeugt, dass er behauptet
z. B. dem Pelican die Vollkommenheit verliehen zu haben, die nötig war.396 Er machte
sich auch über neue Behandlungsmethoden Gedanken so z. B. über die Reimplantation
oder die Wiederbefestigung gelockerter Zähne. Fauchard erfindet eine neue Art, um
eine Oberkieferprothese im Mund zu stabilisieren. Auch hiervon ist er so überzeugt,
dass er behauptet, dass die Patienten „des Verlustes ihrer natürlichen Zähne vergessen,
wenn sie sich erst zu solchem Kunststücke gewöhnet haben.“397 Auch die
Weiterentwicklung der bis zu seiner Zeit üblichen Obturatoren ist Fauchard zu
verdanken.
393
Fauchard, Band 1 (1733), S. 384
394
Fauchard, Band 1 (1733), S. 170
395
Fauchard, Band 2 (1733), S. 255
396
vgl. Fauchard, Band 2 (1733), S. 163
397
Fauchard, Band 2 (1733), S. 239
83
Zusammenfassend lässt sich, nach eingehender Betrachtung von Fauchards Werk
konstatieren, dass er ein außergewöhnlich begabter Mann im Hinblick auf seinen Beruf
als Zahnarzt war. Es ist zu vermuten, dass Fauchard seinen Beruf sehr liebte und sein
Interesse an diesem nicht verloren hat, denn ohne eine solche Leidenschaft erscheint es
kaum möglich, ein so großartiges Werk zu verfassen.
Bei Betrachtung der Analysen dieser Arbeit wird deutlich, dass Fauchards Erkenntnisse,
die dem heutigen Standard nicht entsprechen, den kleinsten Teil ausmachen. Dies ist
erstaunlich, da Fauchard der Erste war, der sich so umfassend mit dem Thema
Zahnheilkunde befasste, so dass er allein aus seinem eigenen Wissen und seinen
persönlichen
Erkenntnissen
schöpfen
konnte.
Auch
die
diagnostischen
und
mechanischen Geräte, die heute die Arbeit des Zahnarztes wesentlich vereinfachen,
standen ihm nicht zur Verfügung.
Der bedeutende Einfluss Fauchards auf die heutige Zahnmedizin, wird durch den
Umfang des zweiten Teils der Analyse deutlich, in welchem seine Erkenntnisse auf
diesem Hintergrund im Einzelnen betrachtet werden. Einige seiner Erkenntnisse haben
bereits seit fast 300 Jahren ihre Gültigkeit behalten, und entsprechen immer noch dem
heutigen Standard. Dies ist allein Fauchards Forschungsdrang, Intelligenz und Ausdauer
zuzuschreiben. Die Zahnmedizin profitiert bis heute davon, dass sich ein einzelner
Mann vor fast 300 Jahren eigene Gedanken über seinen Beruf machte und nicht mit der
Masse schwamm. Glücklicherweise hat Fauchard sich die Mühe gemacht, seine
gewonnenen Erkenntnisse in einem Buch zusammenzufassen, in welchem er seine
Behandlungsmethoden genauestens beschreibt und seine neu entwickelten oder
verbesserten Geräte mit Hilfe von Zeichnungen verdeutlicht.
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abgerufen am19.09.2010)
89
(85)
http://www.fauchard.org/history/articles/bdj/v199n09_nov05/fauchardimages/fig3w.jpg (zuletzt abgerufen am19.09.2010)
(86)
http://image.absoluteastronomy.com/images/topicimages/p/pi/pierre_fauchard.gi
f (zuletzt abgerufen am19.09.2010)
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8.
Lebenslauf
Mein Lebenslauf wird aus Gründen des Datenschutzes in der elektronischen Fassung
meiner Arbeit nicht veröffentlicht.
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