1.8 Einrichtungen der Heil

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Norbert Müller
Skriptum Sozialpädagogische Einrichtungen
Arbeitsbereiche des Sozialpädagogen
und ihr sozialpädagogisches Umfeld
1.
Einleitende allgemeine Informationen
1.1
Grundsätzliches
zur
Frage
sozialpädagogischer Einrichtungen
einer
Systematisierung

Grenzziehungen zwischen den verschiedenen Einrichtungen sind oft nicht möglich, weil die Übergänge
fließend sind.

Trennungslinie zwischen Regelinstitutionen und der Heil- u. Sondererziehung sind nicht mehr so deutlich.

o
Regelinstitutionen: schwierige, verhaltensauffällige Kinder
o
Heil- und Sondererziehung: mehrfach behinderte bzw. spezialbedürftige Kinder
o
Sozialpädagoge: überall mit sonderpädagogischen Fragen und Problemen konfrontiert
Alternativen zur herkömmlichen Ersatzerziehung werden gesucht. Diese besitzen die Grundelemente der
Heimerziehung, können aber keinem bestimmten Typ zugeordnet werden (z.B. Kinderbauernhöfe)
Es kommt zu einer zusätzlichen Erschwernis bei der Systematisierung, insbesondere durch die steigende
Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit.
1.2
Begriffliches

Sammelbegriff HEIM umfasst viele unterschiedliche päd. Einrichtungen (Horte, SOS Kinderdorf,
Wohngemeinschaften, Internate, geschützte Werkstätten, Jugendheime, …)

Heime sind außerschulische Einrichtungen, welche die Familie bei der Erziehung unterstützt oder zu
„ersetzen“ versucht. Betreuung und Erziehung durch ausgebildete Berufssozialpädagogen.

familienersetzende institutionelle Erziehung nur dort anwenden, wo keine besseren Alternativen der
Fremdversorgung für den Heranwachsenden gegeben sind (siehe Heimreform 2000)

institutionelle Hilfe ist gegenwärtig nicht nur für unvollständige oder pädagogisch insuffiziente1 Familien
gedacht, sondern auch als Angebot für intakte Familien bzw. für die steigende Anzahl von Alleinerziehern
zu verstehen

Heime in Österreich
o 75 % Internate, Schüler- und Lehrlingsheime
o 25 % milieugeschädigte, entwicklungsgestörte, verhaltensauffällige oder behinderte Kinder und
Jugendliche (K/J)

1
Heime im Ausland
o
Einrichtungen der Jugendwohlfahrt
o
(Re)Sozialisierung Erziehungsbedürftiger
o
Institutionen der Heil- und Sondererziehung
ungenügend, nicht ausreichend
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1.3
Mögliche Differenzierungskriterien – Klassische Einteilungsschemata
1.3.1
Nach dem Heimträger

öffentliche
Bund, Land, Bezirk, Gemeinde, andere Körperschaften öffentlichen Rechtes (z.B.
Arbeiterkammer, …)

private
Einzelpersonen bzw. Körperschaften, z.B. kirchliche Gemeinschaften (Orden, Klöster), politische
Parteien, Vereine (z.B. Rettet das Kind, Jugend am Werk, Lebenshilfe, …), Gewerkschaften, …
Die Frage des Heimerhalters hat wesentliche (pädagogische, organisatorische, dienstrechtliche, finanzielle, …)
Konsequenzen für die Führung und Struktur des Heimes, d.h. wer ein Heim errichtet und erhält, kann – im
Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen – auch bestimmte Richtlinien zur Heimführung erlassen und
besondere (z.B. weltanschauliche, erzieherische) in der Heimführung setzen.
1.3.2
1.3.3
Nach dem Standort der Institution

ländlicher Bereich

Kleinstadt

Großstadt: Zentrum – Peripherie2
Nach der Größe der Institutionen
Großheime
Vorteile:

günstigere finanzielle Situation

differenzierter einsetzbare Mitarbeiter

Variation bei der Zusammenstellung der Gruppen nach päd. Gesichtspunkten

größeres Angebot an Freizeit- und Bildungsmöglichkeiten/Interessensgruppen

Jugendwohlfahrt – vielfältigere Berufsausbildungsmöglichkeiten

Heil- und Sondererziehung – differenzierte Therapiemöglichkeiten
Nachteile:

unpersönlicher Anstaltscharakter – familienunähnlich

Vereinsamung trotz hoher Kontaktdichte

wenig Chance zur Individualbetreuung – geringeres Geborgenheitsgefühl der Schützlinge

größerer Bedarf an organisatorischen, administrativen Maßnahmen zur Sicherung eines
geordneten Zusammenlebens

Gefahr der Scheinanpassung

Negativprägung als Heimkind
Kleinheime
Vergleiche Vorteile und Nachteile der Großheime mit umgekehrten Vorzeichen
2
(Stadt-)Rand, Randgebiet
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1.3.4
1.3.5
1.3.6
1.3.7
1.3.8
1.3.9
Nach der besonderen Art der zu betreuenden Heranwachsenden

Regelinstitutionen

Einrichtungen der Heil- und Sondererziehung

integrative Modelle
Nach der Form der angebotenen Hilfestellung

ambulant (z.B. Frühförderung behinderter Kleinkinder)

stationär
Nach der Aufenthaltsdauer

Tageseinrichtungen

Turnuseinrichtungen

Dauereinrichtungen
Nach der Altersstufe der Schützlinge

Einrichtungen für Neugeborene/Säuglinge/Klein(st)kinder

Einrichtungen für Schulkinder im Pflichtschulalter

Einrichtungen für Jugendliche

Einrichtungen für Erwachsene (z.B. Wohnheim für geistig behinderte Menschen)
Nach der Funktion der Einrichtung im Hinblick auf Familie bzw. Anlass der
Heimunterbringung

familienergänzende Funktion (Besuch einer best. Schule, Behinderung des Kindes,
Berufstätigkeit der Eltern, …)

„familienersetzende“ Funktion (Verlust der Eltern, Gefährdung, Gefahr der Verwahrlosung,
gerichtliche Erziehungshilfe, …)
Nach der inneren Struktur
Hierbei unterscheiden sich die einzelnen Institutionen deutlich voneinander:
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
im Führungs- und Arbeitsstil der leitenden Personen

Menschenbild und Wertordnungen der erzieherischen Personen

fachliche Qualifikation, Zusammensetzung und Arbeitsweise des Mitarbeiterstabes

Größe und Zusammensetzung der Gruppen

Art und Weise der Gruppenführung

Öffnung der Institution nach außen

Art und Weise der Nachbetreuung

Kooperation mit Angehörigen, Experten bzw. Institutionen „draußen“

in der Auswahl und Festlegung von Ordnungsprinzipien und Richtlinien, die das
Zusammenleben der Menschen in der Institution regeln sollen
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1.4
Institutionen, wenn die Schul- bzw. die Berufsausbildung mit
einer Heimunterbringung verbunden ist
1.4.1
Schülerheim/Konvikt/Internat
Schülerheime sind Einrichtungen zur Betreuung von K/J während der Schulzeit rund um die Uhr. Die Schüler
verbringen die Ferien und die Wochenenden zumeist in ihren Familien.
Der Typus „Schülerheim“ ist in Österreich unter verschiedenen Bezeichnungen anzutreffen (Schülerinternat,
Seminar, Konvikt, Kolleg, …)
Merkmale

Aufnahme eines Kindes erfolgt auf freiwilliger Basis

Kooperation der Erziehungsberechtigten mit den SP darf vorausgesetzt werden

Familie bleibt Hauptträger der Erziehung – Familie ist wichtige „Rückzugsmöglichkeit“ für das Kind

Jugendwohlfahrtsgesetz schreibt keine pädagogischen Richtlinien vor, Heimerhalter bzw. -leiter kann sein
Heim nach eigenen Richtlinien, eigenen erzieherischen Vorstellungen führen.
Hauptaufgaben

Integration der Kinder in die Heim- bzw. Gruppengemeinschaft

pädagogische Betreuung und Führung (bei religiös oder politisch orientierten Einrichtungen auch speziell
weltanschauliche Erziehung)

Impulse zur Persönlichkeitsentfaltung, Entwicklung einer eigenen Individualität

Hilfestellung bei (entwicklungsbedingten) persönlichen Problemen, Unterstützung beim Prozess einer
behutsamen Abnabelung von der Familie (hat nichts mit Entfremdung zu tun)

soziales Lernen in einer Gemeinschaft Gleichaltriger (= „peer-group“)

intensive Lernbetreuung und Förderung (Stützmaßnahmen, Förderung)

Anregungen und Angebote für sinnerfüllte Freizeitbewältigung

Erziehung zur Eigenverantwortung und richtigem Umgang mit Freiheiten

Kontakte zwischen Internat und Schule
Aktuelle Trends/Probleme

Internate verlieren ihren Schrecken und werden zu „Zweitwohnungen“ für Schüler

Bedarf an „Vollinternaten“ sinkt  Trend hin zu Tagesheimeinrichtungen; Gründe hierfür sind
o
Verdichtung des Schulnetzes
o
Kostenfrage
o
Schülerfreifahrt
o
Kapazitäten der öffentlichen Verkehrsmittel

Zahl der Internatsschüler sinkt – Betreuung wird persönlicher, Gruppen werden kleiner

Problem der Anstellung von Lehrern zusätzlich (neben den Berufserziehern)
1.4.2
Lehrlingsheime
Aufgaben

qualifizierte Hilfe und Beratung

Kontakte mit den Lehrern der Schule und dem Meister der Lehrstelle

Motivation zur Verbesserung der Allgemeinbildung
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
Motivation zur Annahme von Fortbildungsangeboten

Animation zur sinnvollen Freizeitbeschäftigung

ev. Hilfe bei der Suche einer Lehrstelle, eines Arbeitsplatzes
Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung zum Internatsbesuch.
1.4.3
Berufsschulinternat
Es herrscht internatsmäßiger Berufsschulunterricht, die päd. Betreuung ist ähnlich wie in Lehrlingsheimen,
meist durch Lehrer der Schule.
Zentrale Aufgabe des SP: Jungen Menschen bei der Erreichung des Schulabschlusses zur Seite zu stehen.
1.4.4
Jungarbeiterdorf
dorfähnlich geführte Institution, Vorbild waren die von FATHER FLANAGAN 1917 in den USA gegründeten
„Boy’s Towns“  Jungarbeiterdorf Hochleiten bei Gießhübl/NÖ (1950-1997); aktuell:

„Österreichische Jungarbeiterbewegung“ (ÖJAB – www.oejab.at): parteipolitisch und konfessionell
unabhängige Jugendorganisation, die 1946 gegründet wurde

bietet als gemeinnütziger Verein Wohnplätze für Studierende, SchülerInnen, Lehrlinge, junge
ArbeitnehmerInnen und Senioren an

heute wohnen österreichweit 3.900 junge Menschen und 500 Senioren in den 25 Studentenwohnheimen,
Jugendwohnheimen und Seniorenwohnheimen der ÖJAB
1.4.5
Jugendwohnheim
sind kleine, familiär geführte Schüler- und/oder Lehrlingsheime für junge Menschen (auch über 18 J.)
1.4.6
Gesellenheim
Bewohner leben selbstständig und ohne erzieherische Betreuung
1.4.7
Studentenheim
im Allgemeinen kein Arbeitsfeld für Berufssozialpädagogen
1.4.8
Schulungs- und Fortbildungsheim
für freizeitbezogene Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, Kurse, Seminare (z.B. WIFI)
1.4.9
Schullandheim
Unterkunft für Schüler auf Schullandwochen, Projektwochen, bieten Unterrichtsräume u. Sporteinrichtungen an
1.5
Institutionen, wenn die Heimerziehung vermieden werden soll
1.5.1
Adoption
Wohl die beste (Ersatz-)Lösung für elternlose bzw. für Sozialwaisen. Adoption erfolgt über das zuständige
(Bezirks-)Jugendamt
Wir unterscheiden zwei Formen von Adoption:

Inwkognito-Adoption: Adoptiveltern erfahren niemals, wer die leiblichen Eltern ihres Kindes sind

Offene Adoption: leibliche Mutter (Eltern), Adoptiveltern und Kind kennen einander
Adoptivkinder sind leiblichen Kindern rechtlich völlig gleichgestellt, Adoptionen sind nicht mehr rückgängig zu
machen. Es sind auch mehrwöchige „Schnupperkontakte“ möglich, ein Zurückziehen vor dem endgültigen
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Inkrafttreten des Adoptionsvertrages soll dadurch ermöglicht werden. Dieser Weg wird vor allem bei älteren
Kindern Bedeutung haben.
Ziel muss aber sein: möglichst frühzeitige Integration des Adoptivkindes in die Familie, womöglich sofort nach
der Geburt, womöglich ohne „Zwischenstopp“ in einem Heim, womöglich bis zum Auftreten der „AchtMonats-Angst“ (genaues Unterscheiden können zwischen bekannt und unbekannt).
Voraussetzungen

Pflegegenehmigung des zuständigen Jugendamtes

Freigabe des Kindes zur Adoption durch die leiblichen Eltern

entsprechende Wohnverhältnisse (fester Wohnsitz) und finanzielle Sicherheit

Kinderlosigkeit keine Voraussetzung, Berufstätigkeit kein Hindernis

körperliche und seelische Eignung der Adoptiveltern

gute Pflege und Entwicklungsbedingungen
Probleme:

lange Wartezeiten durch komplizierte Behördenwege

Nachfrage weit größer als das Angebot (Wartezeit je nach Wünschen: 2 – 6 Jahre!)

leibliche Eltern verweigern oft lange ihre Einwilligung zur Adoption (um sich die Möglichkeit offen zu
halten, ihre Kd. doch noch zu sich zu nehmen) – dadurch entstehen oft lange Heimaufenthalte

meist unzureichend psychische Betreuung der leiblichen Mütter – kaum Aufarbeitungshilfen
(Rabenmutterimage, innerfamiliäre Konflikte, …)

kaum Beratung, Betreuung der Adoptiveltern durch das Jugendamt

kaum Chancen für ältere Kinder (Angst vor „Heimschäden“)

Schock bei der Aufklärung des Adoptivkindes über den Tatbestand der Adoption  Gefühl ein Kind
zweiter Wahl zu sein

Notwendigkeit der Aufklärung des Kindes über seine leiblichen Eltern – Pädagogisches Problem: Was geht
im Kind vor, das mit der Tatsache leben muss, weggegeben zu sein (Kind zweiter Wahl)?
1.5.2
Pflegeplatz
Der Pflegeplatz ist nach der Adoption die (meist) zweitbeste (Ersatz-)Lösung für elternlose Kinder bzw. für
Sozialwaisen. Die „Familie auf Zeit“ garantiert im Allgemeinen eher als das Heim das Hineinwachsen in einen
funktionierenden Familienverband. Die Vermittlung erfolgt über das zuständige (Bezirks-)Jugendamt.
Wir unterscheiden dabei zwei Formen:

Dauerpflegekind: Das Kind bleibt voraussichtig bis zur Großjährigkeit in der Pflegefamilie

Pflegekind auf Zeit: Das Kind bleibt nur vorübergehend in der Familie (z.B. bei längerem
Spitalsaufenthalt der leiblichen Mutter)
Pflegeeltern in Österreich kommen oft aus dem Arbeiter- und Angestelltenmilieu, in letzter Zeit aber auch
häufiger aus der Mittel- und Oberschicht.
Wie sieht die Unterstützung der Pflegeeltern aus?

monatliches Pflegegeld (14 Mal jährlich)

zweimal jährlich Bekleidungsgeld

Heilbehelfe werden gesondert bezahlt

unbedingt nötige besondere Aufwendungen werden rückvergütet (regionale Unterschiede)
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Derzeit herrscht ein Mangel an guten Pflegestellen. So erfolgt gelegentlich die Suche nach Pflegeeltern auch per
Zeitungsinserat.
Welche wichtigen Voraussetzungen müssen Pflegeeltern erfüllen?

Pflegekind sollte eher das jüngste Kind in der Familie sein; im Allgemeinen ungünstig: ein Pflegekind zu
einem etwa gleichaltrigen eigenen Kind (= Konkurrenzsituation)

mit längeren Eingewöhnungsschwierigkeiten und Provokation rechnen – Pflegekinder haben oft ein
schweres Schicksal hinter sich  seelische Verwundungen, Verwahrlosung, Entwicklungsstörungen,
Defiziten, neurotische Symptome (Schlafstörungen, Ängste, Einnässen, …), Aggressivität, …

entsprechende Vorbereitung der Pflegeeltern und etwa eigener vorhandener Kinder auf den
„Familienzuwachs“ (vorher prüfen, ob das Pflegekind in die Familie passen wird)
Voraussetzungen
Gleich der Adoption, allerdings bedarf es bei unter der Vormundschaft des Jugendamtes stehenden Kindern
keiner Zustimmung der leiblichen Eltern; nähere Details zur aktuellen Situation in NÖ unter:
http://www.noel.gv.at/service/gs/gs6/Pfegekinder_Pflegeeltern/pk_allgemein.htm (06.03.2004)
Probleme und Fragen

Wie sinnvoll ist der Pflegeplatz, wenn die Gegenwartsfamilie selbst in der Krise ist?

geringe Chancen für verhaltensauffällige Kinder, behinderte Kinder, Jugendliche und Geschwister, die nicht
getrennt werden sollen

oft ungenügende Informationen an Pflegeltern betreffs Vorgeschichte und Herkunftsmilieus des Kindes

oft Hin- und Herschieben des Kindes zwischen Heim, Herkunftsfamilie und Pflegefamilie, relativ hohe
Zahl an Rückstellungen aus Pflegefamilien (1986: jedes 5!! österr. Pflegekind)

Recht der Pflegeeltern, das Pflegeverhältnis jederzeit zu beenden und das Kind dem Jugendamt „wie eine
Ware“ zurückzustellen

Gefahr der (plötzlich) schmerzhaften Auflösung einer jahrelang intensiven Bindung an die Pflegefamilie
durch Rückstellung des Kindes an die Herkunftsfamilie (über Antrag der leiblichen Eltern beim Jugendamt)

in Einzelfällen Aufnahme des Pflegekindes aus finanziellen Gründen
Sonderform der Pflegefamilie: GROSSPFLEGEFAMILIE („Pflegenest“)

Elternpaar nimmt zu den eigenen Kindern (bis zu 10) Pflegekinder ins Haus bzw. in eine Großwohnung

Versuch einer weitgehenden Annäherung an familiäre Erziehungsverhältnisse – mehrere Kd. verschiedenen
Alters und Geschlechts leben zusammen – ein Ehepartner betreut den Haushalt, der andere geht seinem
Beruf nach
Modell der Großpflegefamilie ist aber nicht unumstritten: je größer die Familie, umso geringer
erfahrungsgemäß die pädagogische Effizienz, umso größer die Gefahr der Annäherung an einen (Klein)Heimbetrieb
1.5.3
Kinderdorf
Nach der Adoption und dem Pflegeplatz im Prinzip die drittbeste (Ersatz-)Lösung für elternlose Kinder bzw.
für Sozialwaisen ab dem Säuglingsalter.
Kinderdorfformen in Österreich
SOS Kinderdorf: 1949 von Hermann Gmeiner in Imst/Tirol gegründet, weltweit verbreitet und Anerkennung
gefunden (besonders in der 3. Welt)
Pro Juventute Kinderdorfvereinigung: 1947 gegründet, gehört eigentlich nicht zu den Kinderdörfern, da sie
im Wesentlichen nach dem Prinzip der „Großpflegefamilie“ arbeitet
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Heute erfolgt in den Kinderdörfern vielfach die Betreuung milieugeschädigter Kinder („Gerichtliche
Erziehungshilfe“). Weiters ist ein hoher Prozentsatz an Sonderschülern zu finden (12 %, bundesweit 3 %).
Die Heilpädagogische Station für alle Kinderdörfer Österreichs befindet sich in der Hinterbrühl (NÖ).
Burschen kommen nach der Pflichtschulzeit in eigene SOS-Jugendhäuser/Wohngemeinschaften, Mädchen
können ebenfalls diesen Weg gehen, können aber auch bis zur Selbständigkeit bzw. Großjährigkeit im
Kinderdorf Familienverband bleiben.
Pädagogische Hauptprinzipien

Mutter (ca.) 24 - 42 Jahre alt, 3-jährige ganzheitliche Ausbildung (berufsbegleitend) in Familienpädagogik
(Colleg für Familienpädagogik, Wels), 1 freier Tag/Woche, 5 Wochen Urlaub, Altersversorgung; mittlerweile
auch Vereinbarkeit mit eigenem Kind und/oder Partnerschaft
relative wirtschaftliche Autonomie jeder Kinderdorffamilie

Schule, Einkaufsmöglichkeit außerhalb des Kinderdorfes (Garantie für Außenkontakte)

weltanschaulich-religiöse Ausrichtung der Mitarbeiter

Kritische Einwände am Kinderdorfmodell: „Waisen-Ghettos“ - wenig Integration in die Gesellschaft, heile
Kinderdorfwelt, vaterlose Erziehung, Mutter-/Frauenbild, …
1.6
Wenn Heranwachsenden die eigene
Verwahrlosung(sgefahr)
besteht
Verhaltensschwierigkeiten auftreten
Familie fehlt,
und/oder
1.6.1
Einrichtungen der Jugendwohlfahrtspflege/Jugendheime
wenn
wenn
Begriffliches
Die früher gebrauchten Termini „Fürsorgeheim“, „Erziehungsheim“ bzw. „Erziehungsanstalt“ sind heute im
Allgemeinen durch die Bezeichnung Jugendheim ersetzt.
Jugendheime sind pädagogische Einrichtungen, die vorwiegend der „Fürsorge-“, Nach- bzw. „Umerziehung“
von Kindern und Jugendlichen dienen.
Wir unterscheiden:

Säuglings- und Kleinkinderheime: Die Führung dieser Einrichtungen ist entsprechend
wissenschaftlicher Erkenntnisse aus entwicklungspsychologischen Gründen strikt abzulehnen.
Hospitalismusgefahr!
Hospitalismus: Schäden durch den ständigen Wechsel der Bezugspersonen. Mangel an persönlicher
Zuwendung, seelische und körperliche Schäden und Entwicklungsrückstände bei Kindern in der frühen
Kindheit, welche durch Krankenhausaufenthalt (Hospital) oder Heimaufenthalt längere Zeit von ihrer
Mutter oder anderen Bezugspersonen getrennt waren.

Kinder und Jugendheime inklusive wohngemeinschaftsähnlicher Außenwohngruppen
Hauptträger der Erziehung ist in den meisten Fällen die/der SozialpädagogIn (bei weitgehender Kooperation
mit den Angehörigen des Kindes).
Rechtliches
Die Unterbringung eines Kindes in einem Jugendheim erfolgt

über Antrag der Erziehungsberechtigten (Maßnahme der so genannten „Freiwilligen Erziehungshilfe“);
mit der Bereitschaft der Mitarbeit der Angehörigen kann im Allgemeinen gerechnet werden (Ausnahmen
bestätigen die Regel!)

von Amts wegen über Antrag des Vormundschaftsgerichtes im zuständigen Jugendamt (wenn dies zur
Beseitigung geistiger, seelischer oder sittlicher Verwahrlosung des Minderjährigen notwendig und die
Entfernung des Minderjährigen aus seiner bisherigen Umgebung, insbesondere wegen des verderblichen
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Einflusses der Erziehungsberechtigten oder wegen unzulänglicher oder verfehlter Erziehung erforderlich
ist)

durch Anordnung der Bezirksverwaltungsbehörde – auch gegen den willen der Eltern –, weil die
Erziehungsberechtigten ihre Erziehungsgewalt missbrauchen oder die damit verbundenen Pflichten nicht
erfüllen
Eine solche Herausnahme aus dem Familienverband ist ein massiver Eingriff des Staates in das
Erziehungsrecht der Eltern. Dies bedeutet im Allgemeinen eine ungünstige Ausgangsposition für die
erzieherische Arbeit.
Gesetzlicher Vertreter des Heranwachsenden wird das Jugendamt, Beendigung dieser Maßnahme mit
Erreichung des Zieles, spätestens aber mit Vollendung des 18. Lebensjahres (seit 01.07.2001 – vorher war es da
19. Lebensjahr).
Die Möglichkeit einer vorzeitigen probeweisen Entlassung aus dem Heim ist gesetzlich verankert.
Aufnahmegründe

Erziehungsnotstand in der Familie, überforderte Eltern, gravierende
Erziehungsinsuffienz  oft dann, wenn Eltern selbst ehemalige Heimkinder sind

Nichterfüllen der elterlichen Verpflichtung, unverantwortliche päd. Defizite, Gefährdung des Kindes

Verwahrlosung(sgefahr): körperlich, sozial, kognitiv (= dem Verstand betreffend), schulisch, im
Wertbereich, im Verhalten, …

familiäre Spannungen und Konflikte, zerrüttete Ehen, desolate Familienverhältnisse

Missbrauch der Erziehungsgewalt durch die Erziehungsberechtigten: Misshandlung des Kindes,
Gewaltanwendung

Erziehungsberechtigte sind Alkoholiker, drogenabhängig, in psychiatrischer Behandlung, entmündigt, in
Haft, …

Verhaltensstörungen/-auffälligkeiten: psychotische, neurotische (= seelische Konflikte und Widerstände
sind die Ursache – es können keine organischen Ursachen festgestellt werden) Verhaltensweisen,
„Schwererziehbarkeit“

Neigung zu kriminellen Verhaltensweisen: Herumstreunen (Vagieren), Bandenbildung, Alkoholexzesse,
Drogenhandel, Betrügereien, Eigentumsdelikte, Körperverletzung, Waffenbesitz, sexuelle Auffälligkeiten
(oft verbunden mit einschlägig bedingten Verurteilungen), …

Elternlosigkeit, Obdachlosigkeit, Mittellosigkeit, ohne erzieherische Betreuung, …
Erziehungsfehler,
Hauptaufgaben

weitgehende Behebung des für die Aufnahme ins Heim maßgeblichen Erziehungsnotstandes

vorübergehende Abschirmung von störenden Einflüssen eines negativ wirksamen Familienmilieus

Versuch ein „optimaler Familienersatz“ zu sein – hier werden die Grenzen der Heimerziehung sichtbar

Sicherung der Erziehung des Heranwachsenden, bis die Familie (wieder) in der Lage ist, ihre Funktion zu
erfüllen

Gestaltung eines optimalen Lebens- und Entfaltungsraumes für junge Menschen

Hilfestellung bei der Sozialisation3 bzw. gegebenenfalls bei der Resozialisation

gezielte Vorbereitung auf die spätere Lebensführung (verantwortungsbewusstes und sinnerfülltes Leben)
Besondere Probleme der Heimerziehung
3
Prozess und Ergebnis der Einordnung/Eingliederung des Individuums in die Gesellschaft; Grundbegriff der Soziologie
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Negativimage der Heimerziehung, Stigma „Heimkind“, Wechseldienst der Erzieher (Beziehungsbildung ist
schwierig), Dominanz des Bewahrungs- gegenüber dem Bewährungsprinzips, Verstärkung von
Verhaltensauffälligkeiten aufgrund des Zusammenlebens mit anderen verhaltensauffälligen/-gestörten K/J,
Idealisierung des verlorenen Familienmilieus, Schwierigkeiten in welchen Fällen Heimerziehung der
(problematischen) Familienerziehung vorzuziehen ist und wann nicht, immer mehr verhaltensgestörte
(„schwererziehbare“) Heimkinder, welche weder mit normalen, noch mit heilpädagogischen Methoden wirklich
zu erfassen bzw. zu fördern sind  „Heimeinweisung als letzter Weg“, Chancen zu
Persönlichkeitsveränderungen werden dadurch immer geringer, Widerstand der Angehörigen gegen
Zwangsmaßnahme „Heimeinweisung“, Heimerziehung ist sehr kostenintensiv – allerdings kommen die Kosten
über die Umwegrentabilität zum Teil wieder herein, fehlen einer effizienten Nachbetreuung für die aus dem
heim Austretenden, …
Aktuelle Trends

seit Ende der 60er-Jahre permanente Reformgespräche und Bemühungen in der Heimerziehung (kritische
Überprüfungen der Arbeitsmethoden und Zielsetzungen, Entwicklung neuer Konzepte – z.B. Heimreform
2000, Erproben von Alternativmethoden)

Verbesserung der Aus-, Fort- und Weiterbildung der SozialpädagogInnen

Beschränkung der Heimerziehung auf das absolute Mindestmaß (daheim statt im Heim)

Entwicklung weg vom reinen Wohlfahrtsdenken („Fürsorge“) - helfen und heilen statt versorgen und
strafen

Humanisierung des gesamten Heimlebens – Abbau hierarchischer Strukturen, Verzicht auf weitgehender
Repressionen4, Schaffung einer Atmosphäre des „Sich-wohl-fühlen-Könnens“, der Angstfreiheit und der
Geborgenheit, Bemühen um ein gutes zwischenmenschliches Klima, …

kleinere, überschaubarere familienähnliche Betreuungsformen, koedukativ5 geführte Gruppen, Betreuung
der Gruppe – womöglich mit weiblichen und männlichen Sozialpädagogen, Erleben positiver
Gruppenstrukturen (= Modellernen), Gruppe als wichtiges (soziales, emotionales und lebenspraktisches)
Lern- und Übungsfeld

Öffnung der Institutionen nach außen (Außenwohngruppen)

Intensivierung der interdisziplinären Zusammenarbeit aller einschlägiger Experten wie SP, Lehrer,
Therapeuten, Psychologen, Ärzte, Sozialarbeiter6, …

Ausbau der Kooperation mit den Angehörigen des Kindes, partnerschaftliche Elternarbeit

Entwicklung effizienter Nachbetreuungsmodelle

Verbesserung der Berufsausbildungsmöglichkeiten in Heimen für Jugendliche in der Institution und
außerhalb

mehr Mut zu individuellen Problemlösungen

Heimleitung nur mehr durch speziell qualifizierte, sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte
1.6.2
(Sozialpädagogische) Wohngemeinschaften (WG)
Sozialpädagogischen Wohngemeinschaften (WGs) kann man in Österreich in unterschiedlichen Formen
begegnen.

Außenwohngruppe eines Jugendheimes: ist die Alternative zur Heimunterbringung für
Heranwachsende, v. a. aber auch für Heranwachsende, die einen längeren Heimaufenthalt vor sich haben
Unterdrückung individueller Entfaltung durch gesellschaftliche Strukturen und Autoritätsverhältnisse
gemischtgeschlechtlich
6 Abkürzung: DSA = diplomierteR SozialarbeiterIn
4
5
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und für eine Adoption oder Pflegestelle nicht in Frage kommen; die Außenwohngruppe ist ein günstiges
Lernmodell für sozial adäquates Verhalten

Übergangsheim (einem Jugendheim angeschlossen): für Jugendliche, die nach längerem
Heimaufenthalt vor der Entlassung stehen und hier gezielt auf die künftigen lebenspraktischen
Anforderungen vorbereitet werden sollen (meist für die Dauer eines Jahres)

als eigenständige Institution

als Nachfolgemodell des Therapieheims
Sozialpädagogische WGs verstehen sich als Mischtyp zwischen Heim und Pflegeplatz. Sie sind wohl in
vielem mit den Großpflegefamilien vergleichbar, verstehen sich aber nicht als Ersatzfamilie, sondern als
Erweiterung bzw. Spezialisierung der herkömmlichen Heimerziehung.
Hinsichtlich der Betreuung unterscheiden wir zwei Modelle:

Ehepaarmodell: Mann geht arbeiten, Frau arbeitet als SP, Unterstützung durch Wirtschaftshelferin,
durchschnittlich 5 – 7 Kinder

Erziehermodell: 2 – 4 SPs wechseln einander im Turnusdienst in der „Rund-um-die-Uhr“-Betreuung der
Kinder ab; auch hier Mitarbeit einer Wirtschaftshilfe, durchschnittlich 6 – 8 Kinder
Der Hauptvorteil der Wohngemeinschaften liegt sicher darin, dass Geschwister beisammen bleiben können.
Die Heranwachsenden bleiben meist bis zur völligen gesellschaftlichen und beruflichen Integration in diesen
Einrichtungen. Leider stoßen WGs beim überwiegend großen Teil der österr. Bevölkerung auf Skepsis und
Misstrauen, ja sogar auf Ablehnung, daher (meist in der Anfangsphase) Probleme mit der Nachbarschaft.
Insgesamt liegen nach einem ca. 16 jährigem Beobachtungszeitraum sehr ermutigende pädagogische
Erfahrungen mit Wohngemeinschaften vor. Besonders als „Auffangstation“ für „heimungeeignete“ Kinder
scheinen sie sich besonders geeignet.
Für schwer organisch oder geistig behinderte Menschen bleibt diese Möglichkeit der Unterbringung (vorerst)
verschlossen. Therapeutische Fördermöglichkeiten der Heil- und Sondererziehung sind doch erheblich größer.
1.6.3
Heilpädagogisches Heim
Darunter verstehen wir einen Heimbetrieb mit besonderer Bedachtnahme auf die spezielle Situation und
Problematik verhaltensschwieriger bzw. (mehrfach) behinderter Kinder und Jugendlicher.
1.6.4
Therapieheim
Intensiveinrichtung für besonders schwierige Heranwachsende, deren Führung in den traditionellen
Einrichtungen der Jugendwohlfahrtspflege bzw. der Heil- und Sondererziehung nicht (mehr) möglich ist.
1.6.5
Streetworker/Jugendkontaktbeamter
Sozial benachteiligte und unzulänglich integrierte, arbeitslose, von Verwahrlosung bedrohte oder
drogengefährdete, gewalttätige Jugendliche können von den Angeboten und Hilfen der Jugendsozialarbeit/Sozialpädagogik oft nur dann erreicht werden, wenn die Sozialarbeiter/SP versuchen, den Kontakt zu diesen
Problemgruppen in ihren außerfamiliären Lebensräumen, also auf der Straße, in Lokalen, Treffpunkten, …
herzustellen.
Jede Form der Hilfe setzt voraus, dass der Streetworker das Vertrauen der Jugendlichen gewinnen kann.
Erst auf Grundlage von Akzeptanz und einem Mindestmaß an Kooperation können präventive7
Maßnahmen, Beratung, Angebote zur Freizeitgestaltung oder Integration in bestehende
Einrichtungen versucht werden.
Angesichts der stetig wachsenden Zahl sozial benachteiligter und von Isolation und Kriminalisierung bedrohter
Jugendlicher gewinnt STREETWORK derzeit beständig an Bedeutung.
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vorbeugend (oder auch prophylaktisch)
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Norbert Müller
Skriptum Sozialpädagogische Einrichtungen
Norbert Müller
Skriptum Sozialpädagogische Einrichtungen
Streetworker und Jugendkontaktbeamte sind speziell ausgebildete Sozialarbeiter/Polizeibeamte, die sich unter
(gefährdete) Jugendliche auf der Straße, in Jugendzentren, in einschlägigen Jugendlokalen, in der Drogenszene,
im subkulturellen bzw. kriminogenen8 Milieu (Stadtrandsiedlungen, Parks, Abbruchhäuser, U-Bahn-Stationen,
…) mischen und ihnen (unbürokratisch) Hilfe anzubieten versuchen.
Streetworker deklarieren sich offen, arbeiten also nicht anonym und sind zur vertraulichen Behandlung von
Informationen verpflichtet (keine „Spitzel“ oder „Schlepper“ für andere soziale Einrichtungen).
Sie werden überall dort eingesetzt, wo die „normale“ sozialpädagogische Arbeit nicht mehr ausreicht.
In jüngster Zeit werden auch verstärkt Sozialpädagogen für dieses Arbeitsfeld gesucht, um so die Betreuung zu
optimieren, d.h. Streetwork ist auch ein Arbeitsfeld für SozialpädagogInnen geworden.
Zielgruppen

Jugendliche, die sich in Gruppen organisieren und durch ihr Freizeitverhalten auffallen (Jugendbanden,
Fußballfans, …)

Jugendliche, die durch ihre Lebensumstände stigmatisiert9 sind (Wohnort, mangelnde Infrastruktur,
Arbeitslosigkeit, Vorbestrafter, Sozialhilfeempfänger, …)

Jugendliche, die sich in bestehenden Freizeiteinrichtungen nicht wohl fühlen
Hauptanliegen

Unterstützung der gesellschaftlichen Integration jugendlicher Randschichtenangehöriger (durch Beratung
und Hilfestellung)

Barrieren des Misstrauens und der Feindseligkeit abbauen, Vertrauen gewinnen und festigen (Streetworker
muss in den Augen der Jugendlichen vor allem „dicht“ halten)

Unterstützung in akuten Lebensfragen (Suizidgedanken, aus der „Szene“ ausbrechen wollen, …)

Lösungsmöglichkeiten entdecken lassen, Alternativen aufzeigen, Mut machen, Hoffnung geben, …

Entstehung krimineller Tendenzen verhindern helfen
Jugendkontaktbeamter: Vermittlungstätigkeit bei allen Berührungspunkten zwischen Jugendlichen und
Exekutive, Begleitung zu Gerichtsverhandlungen, Krisenintervention, Info-Tätigkeit an Schulen, Jugendclubs,
unbürokratisches Lösen von Konflikten, womöglich in einem gesetzesfreien Raum, …
Probleme der Streetworker

Angst vor dem „Getestet-“ bzw. Nicht-angenommen-Werden, Angst vor dem Milieu bzw. der „Szene“ und
ihren Gesetzmäßigkeiten

Konfrontation mit ungewohnten, oft sehr im Widerspruch zu den eigenen stehenden Normen und
Verhaltensmustern

Sind die Belastbarkeit, Frustrationstoleranz und das Durchhaltevermögen bei Provokationsversuchen bzw.
bei Misserfolgen groß genug?

Methodenfrage: sich entsprechend artikulieren und verstehbare Signale senden können

schwierige Arbeitsbedingungen – anstrengender Dienst hauptsächlich in den Abend- und Nachtstunden
1.7
Wenn Heranwachsende eine Behinderung aufweisen
Begriffliches
zu strafbaren Handlungen führend, Verbrechen hervorrufend lat.-grch.)
lat. stigma = [Wund]Mal, Zeichen; Aufbau von Vorurteilen gegenüber einem Individuum durch öffentliche Zuschreibung von
negativen Merkmalen
8
9
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Als behindert sind alle Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen zu bezeichnen, die in ihrer körperlichen, geistigen,
psychischen Fähigkeiten, in ihren Sinnesfunktionen, ihrem Sozialverhalten, Lernen oder in ihrer sprachlichen
Kommunikation vorübergehend oder dauernd so wesentlich beeinträchtigt sind, dass ihre Teilhabe am
beruflichen und sozialen Leben nicht ohne spezifische Hilfe oder Hilfsmittel möglich ist.
(Definition aus dem Jahre 1967, geht weit über die im deutschen Sprachraum allgemein übliche
Begriffsbestimmung hinaus.)
Eine exakte Definition des Begriffes „Behinderung“ ist unerlässlich, weil jedem Behinderten bzw. seinen
Angehörigen bestimmte gesetzlich geregelte Unterstützungsmaßnahmen zustehen.
Das sind unter anderem die doppelte Kinderbeihilfe, Freifahrt auf öffentlichen Verkehrsmitteln (auch für
eventuell benötigte Begleitpersonen), geschützter Arbeitsplatz, …
Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen den Begriffen Behinderung und Störung.

Behinderungen sind unbefristete (d.h. nicht oder nur sehr eingeschränkt korrigierbare bzw.
ausgleichbare) Beeinträchtigungen

Störungen sind befristete (d.h. innerhalb eines bestimmten Zeitraumes behebbare) Beeinträchtigungen
Praktisch Bildungsfähige
Praktisch Bildungsfähige sind geistig Behinderte, die für die Erfüllung einfacher, hauptsächlich manueller
Tätigkeiten, insbesondere in „Geschützten Werkstätten“ geschult werden können. In Österreich werden
derartige geschützte Werkstätten vorwiegend von den Organisationen Lebenshilfe, Jugend am Werk bzw. von
kirchlichen Institutionen wie Caritas oder Evangelisches Diakoniewerk geführt.
Weiters unterscheiden wir zwischen Vollintegration und Teilintegration.
VOLLINTEGRATION: ein behindertes Kind wird im Kindergartenalter, sowie während seiner Berufs- und
Schulausbildungszeit ausschließlich gemeinsam mit nicht behinderten Kindern und Jugendlichen erzogen und
unterrichtet
TEILINTEGRATION: das behinderte Kind ist Mitglied einer Regelgruppe bzw. -klasse, wird zeitweise jedoch
zusätzlich bestimmten pädagogischen, didaktischen bzw. therapeutischen Fördermaßnahmen unterzogen.
1.7.1
Heilpädagogischer Hort
Hortbetrieb mit besonderer Bedachtnahme auf die
erziehungsproblematischer oder mehrfach behinderter K/J
1.8
spezielle
Situation
verhaltensauffälliger,
Einrichtungen der Heil- und Sondererziehung
Allgemeines
Einrichtungen der Heil- und Sondererziehung sind Institutionen zur Frühförderung, zur Betreuung, Bildung,
Erziehung und therapeutischer Behandlung sehbehinderter bzw. vollblinder, hörbehinderter bzw. gehörloser
(früher: „taubstummer“), körperbehinderter, sprachbehinderter Kinder und Jugendlicher sowie für „Praktisch
Bildungsfähige“ (auch als geistig Behinderte bezeichnet) und für mehrfach behinderte Menschen.
Beispiele: Institute für Blindenbildung (z.B. BBI – Bundes-Blindenerziehungsinstitut/Wien oder OdilienInstitut/Graz), Gehörloseninstitute (z.B. BIG – Bundes-Institut für Gehörlosenbildung/Wien), Institute für
Körperbehinderte, Sprachheilheime, Institutionen für praktisch Bildungsfähige
Diesen Institutionen sind häufig (Spezial-)Sonderschulen angeschlossen.
Heimsonderschule: Schule in Verbindung mit dem Heim geführt
Heilstättensonderschule: Schule, die in einem Heilstätten- oder Beobachtungsbetrieb integriert ist (z.B.
Heilpädagogische Beobachtungsstation)
Hauptaufgaben
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
Früherfassung der behinderten Kinder und Grundlegung partnerschaftlicher Elternarbeit (Abbau von
„Schwellenängsten“ vor etwaigen Institutionen, Beratung über Möglichkeiten der Frühförderung zu Hause,
über die Vor- und Nachteile einer institutionellen Betreuung des Kindes, …)

optimale pädagogische, therapeutische und sozialmedizinische Betreuung bzw. Versorgung
(Entwicklungsgang des Kindes einfühlsam begleiten, Einsatz spezieller heil- und sonderpädagogischen
Förderprogramme und Therapien, Akzeptieren-Lernen der durch die Behinderung unverschiebbaren
Grenzen, …)

interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den zuständigen Fachärzten, Facheinrichtungen

Schul- bzw. Berufsausbildung

lebenspraktisches Training – Erziehung zur maximalen Selbstständigkeit , Mobilitätstraining, …

Einleitung integrativer Maßnahmen – Verhinderung einer Ghettobildung durch Sicherung ausreichender
Außenkontakte

Öffentlichkeitsarbeit – Konfrontation behinderter mit nicht behinderten Menschen
Mögliche Probleme

Verunsicherung der Heil- und Sonderpädagogen durch Befürworter der Integrationsidee, die in ihren –
grundsätzlich berechtigten – Forderungen jedoch zumeist die spezielle Situation der schwer(st) behinderten
Kinder und Jugendlichen außer Acht lassen

deutliche und stetige Zunahme mehrfach behinderter Kindern in den letzten Jahren

Finden des richtigen Stellenwertes der Therapie im Rahmen der gesamten Persönlichkeitsförderung des
behinderten Kindes

wachsende Schwierigkeiten bei der Unterbringung behinderter junger Menschen am Arbeitsmarkt
Entsprechend dem Gesetz muss ein Betrieb pro 25 MitarbeiterInnen einen geschützten Arbeitsplatz schaffen.
Der Haken an der Sache: Von dieser Pflicht kann sich ein Betrieb quasi „freikaufen“, sprich eine Strafe zahlen
und muss so keinen derartigen Arbeitsplatz schaffen.
1.8.1
Geschützte Werkstätten
Unter dem Begriff Geschützte Werkstätten verstehen wir Tagesheime (Beschäftigungsheime) für Praktisch
Bildungsfähige. Diese Institutionen sind nicht identisch mit den (nach dem Invalidengesetz vorgesehenen)
„Geschützten Arbeitsplätzen“ im öffentlichen Dienst und in der freien Wirtschaft.
Bedauerlicherweise entziehen sich viele Dienstnehmer der Verpflichtung zur Anstellung von Behinderten (pro
25 ArbeitnehmerInnen ein geschützter Arbeitsplatz) durch Zahlung einer geringfügigen monatlichen
Ausgleichstaxe (1989: ÖS 1.560,- [ca. € 113,-]  2002: € 196,22)
Frage: Worin mögen die Gründe liegen, die monatliche Ausgleichszahlung der Anstellung eines Behinderten
vorzuziehen?
Geschützte Werkstätten werden in Österreich – wie zuvor bereits erwähnt – vorwiegend von den
Organisationen Lebenshilfe und Jugend am Werk bzw. von kirchlichen Organisationen wie der Caritas und dem
Evangelischen Diakoniewerk geführt.
1.8.2
Wohnheime (Wohngemeinschaften) für praktisch Bildungsfähige
Sie stellen eine zeitgemäße Alternative zur herkömmlichen Versorgung Schulentlassener geistig Behinderter in
Großinstitutionen bis zum Lebensende dar und sind ihrem Wesen und ihrer Organisationsstruktur nach den
Wohngemeinschaften sehr ähnlich.
Vereinzelt werden sie auch in Verbindung mit „Geschützten Werkstätten“ geführt.
Berufssozialpädagogen betreuen bzw. versorgen eine kleine Gruppe Praktisch Bildungsfähiger und tragen für
sie die gesamte pädagogische Verantwortung.
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Die Klienten erhalten:

ein Zuhause (besonders, wenn der behinderte Mensch keine Angehörigen mehr hat)

behindertengerechte Lebensbedingungen

intensive menschliche Zuwendung und Annahme

eine wohnliche, private Atmosphäre (meist gemütliche Einzelzimmer)

größtmögliche persönliche Autonomie (= Unabhängigkeit), jedoch auch den erforderlichen Schutzrahmen

eine gut geführte Gemeinschaft

soweit möglich und verantwortbar auch Gelegenheit zur sexuellen Betätigung

regelmäßige Beschäftigung (meist von Mo – Fr  Arbeit in einer Geschützten Werkstätte)

ausgewogene Freizeitangebote, gemeinsam Feste feiern und spezielle Urlaubsaktivitäten

(fach-)ärztliche Betreuung

Fortsetzung, Festigung und Differenzierung der bisher geleisteten Erziehungs- und Bildungsarbeit

weitgehende Miteinbeziehung der dafür noch in Frage kommenden Angehörigen
Sonderform: Wohngemeinschaft für behinderte und nicht behinderte Menschen, meist als Privatinitiative
geführt (Linz, Wels, …)
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