CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Zusammenfassung Immer häufiger werden patientenorientierte Behandlungsstrategien thematisiert. Doch was bedeutet „patientenorientiert“ und welche Maßnahmen führen zur Patientenzufriedenheit? Der Autor des Beitrags ist auf die funktionell-ästhetische Zahnmedizin spezialisiert und erachtet die Kommunikation, insbesondere während der Planungsphase, als wesentlichen Erfolgsbaustein. In dem Beitrag werden Pfeiler der Behandlungsplanung aufgezeigt und anhand eines Patientenfalls wird ein teamorientiertes Konzept aus Sicht des Zahnarztes dargestellt. Indizes Ästhetik, minimalinvasiv, Vollkeramik, Digital Smile Design (DSD), Veneer, Non-Prep Veneers, Planung, Patientenkommunikation, Teamarbeit Ästhetisch-funktionelle Behandlungsplanung aus Sicht des Zahnarztes Das Digital Smile Design (DSD) Jan Kurtz-Hoffmann Ästhetik – patientenorientiert – minimalinvasiv: Diese drei Begriffe sind mehr als Worthülsen, denn es geht um Gesundheit, um Menschen und um Verantwortung. Vom Behandlungsteam werden, neben fachlichem und handwerklichem Wissen, die sogenannten Soft Skills (soziale Kompetenzen) erwartet. Diese Eigenschaften sind zunächst unabhängig vom medizinischen und fachlichen Wissen, bilden aber eine entscheidende Größe für den Behandlungserfolg. Unter anderem sollten Zahnärzte einen angemessenen Anteil ihrer Arbeitszeit der Kommunikation mit dem Patienten widmen. Idealerweise wird der Zahnarzt vom Patienten nicht nur als Mediziner wahrgenommen, sondern als Partner auf dem Weg zu Wohlbefinden und Gesundheit. Die gute Arzt-Patientenbindung wird zur Erfolgsgrundlage und kann zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor der Praxis und mithin auch des Labors werden. Einleitung Die enge Bindung zwischen Zahnarzt und Patient sowie zu anderen Behandlungspartnern ist für den therapeutischen Erfolg essenziell. Der Beitrag soll für eine wertschätzende Kommunikation sensibilisieren. Jede Behandlungsplanung setzt sich zusammen aus: Zuhören, Planen, Klinische Relevanz 288 Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 1 Mit Topmodel Papis Loveday bei der Behandlungsplanung. Zeigen, Umsetzen! Immer wieder ist die zielgerichtete Kommunikation gefragt (Abb. 1). Zunächst werden in diesem Beitrag Grundlagen zu einer sich veränderten Zahnmedizin dargestellt und Rückschlüsse für den Alltag daraus gezogen. Danach stehen die Behandlungsplanung, die Visualisierung der Soll-Situation und die teamorientierte Arbeitsweise im Fokus. Funktionell-ästhetische Die zahnärztlich-restaurative Therapie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer Rekonstruktion eher reinen Funktionserhaltung hin zur funktionell-ästhetischen Rekonstruktion entwickelt. Damit haben sich auch die Anforderungen an die Behandlung verändert. Zunehmend ist der kausale Zusammenhang von Gesundheit mit Wohlbefinden und der Zufriedenheit mit dem eigenen Körper in den Fokus gerückt. Aus der sozialpsychologischen Persönlichkeitsforschung ist bekannt, dass die Attraktivität eines Menschen als zentrale Persönlichkeitseigenschaft aufgefasst wird. Grundsätzlich sind zahnärztliche ästhetische Korrekturen mit einem möglichst geringen Substanzverlust zu realisieren; Gesunderhaltung hat den höchsten Stellenwert. Die ästhetische Zahnheilkunde beruht auf ethischen, medizinisch indizierten Grundlagen und ist das Resultat einer hochwertigen interdisziplinären Zusammenarbeit. Ästhetik: Subjektive und Die Herausforderung bei der Planung einer ästhetisch-indizierten Behandlung macht deutobjektive Faktoren lich, dass Ästhetik nicht immer messbar ist, sondern auch vom subjektiven Empfinden und der Interpretation des Betrachters abhängt. Es existieren viele Definitionen von Ästhetik, wobei wohl eine am ehesten zahnärztlichen Restaurationskonzepten zugeordnet werden kann: „Ästhetik ist die Wissenschaft vom Schönen, die Lehre von der Gesetzmäßigkeit und der Harmonie in Natur und Kunst. Die Lehre von der Ästhetik untersucht mit empirischen Methoden die Strukturen des angenehmen sinnlich wahrnehmbaren Gegenstandes.“5 Aus Sicht des Autors ist die Wahrnehmung dentaler Ästhetik unter anderem abhängig vom Zeitgeschehen, der ethnologischen und kulturellen Herkunft, der Mentalität, dem sozialen Stand. Das alles sind subjektive Faktoren, die patientenindividuell beurteilt werden müssen. Des Weiteren basiert Ästhetik auf ausgewogenen Proportionen und Symmetrien, die objektiv messbar sind. Demnach sind für ein gelungenes Ergebnis objektive Parameter mit dem subjektiven Empfinden zu vereinen. Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 289 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Die objektiven Kriterien können mit einer guten Planung klar definiert werden. Um zugleich die subjektiven Empfindungen des Patienten zu befriedigen, wird die Visualisierung des Behandlungsziels zum wichtigen Baustein. Überlegungen für eine „richtige“ Kommunikation sind hierbei in das Praxiskonzept einzubinden. Die wertschätzende Gesprächskultur im Arbeitsalltag beinhaltet Empathie, Achtsamkeit und Wertschätzung – sowohl gegenüber dem Patienten als auch den Beteiligten des Behandlungsteams. Die Visualisierung der Ausgangssituation, der funktionellen und ästhetischen Defizite sowie des anzustrebenden Behandlungsziels ist dabei ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Werden die Informationen dem Patienten verständlich vermittelt, wird die Qualität der Behandlung gesteigert und es kann ein sehr gutes Resultat erwartet werden.4,10 Gedanken zur Kommunikation der Behandlungsplanung Nachdem der Zahnarzt eine Beratung anhand medizinischer Indizien vorgenommen hat, wird die Entscheidung gemeinsam mit dem Patienten getroffen. Die gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) beschreibt ein partizipatives Entscheiden, das in einer sich ändernden Gesellschaft an Relevanz gewinnt. Der Patient möchte selbstbestimmt handeln. Diese Art der Interaktion hat das Ziel einer aktiven Beteiligung von Patient und Arzt. Basis dieser gleichberechtigten Entscheidungsfindung ist das Aufzeigen von verschiedenen Behandlungsalternativen mit all ihren Vor- und Nachteilen. Hierfür muss der Zahnarzt zunächst die Bedürfnisse, Erwartungen und auch Ängste des Patienten herausfinden. Basierend darauf können die notwendigen Informationen patienten-verständlich übermittelt werden, sodass darauf basierend zusammen eine Entscheidung getroffen werden kann. Patienten abholen, mitnehmen, einbinden – das ist eine Grundlage für den Behandlungserfolg, denn der Patient trägt die Entscheidung mit. Bei einer partnerschaftlichen Kommunikation agiert der Zahnarzt mit dem Patienten auf einer kooperativen Ebene. Die Relevanz der ästhetischen Parameter ist in der Literatur hinlänglich erörtert. Grundlagen sind die Analyse und Diagnostik der dentofazialen Situation anhand objektiver Faktoren (Zentrik, Vertikaldimension, okklusale Morphologie, Okklusionsebene). Aufbauend darauf werden eine Planung des Soll-Zustands erarbeitet sowie Behandlungsalternativen definiert. Ein Bewertungsparameter ist z. B. die Symmetrie. Festzustellen ist, dass „Symmetrie“ per definitionem eine harmonische Anordnung mehrerer Elemente zueinander ist, die bei einer gedachten Mittelachse ein jeweils spiegelgleiches Bild ergeben.14 Allerdings wird in der dentalen Ästhetik eine „dynamische“ Symmetrie angestrebt, da sich zwei ähnliche – nicht identische (Gesichts-)Hälften – gegenstehen. Geringe Abweichungen von der perfekten Symmetrie resultieren in einer hohen Natürlichkeit des Ergebnisses.1,2,6,7,9 Die Bewertung der dentalen Ästhetik stützt sich auf vier Pfeiler: Gesichtsmittellinie, horizontale Referenzebene, Zahnstellung und -form sowie Zahnfarbe. Um diese Informationen vom Patienten auf das Modell und letztlich auf den Zahnersatz zu transferieren, ist das Digital Smile Desgin (DSD) ein hervorragendes Werkzeug.3 Partnerschaftliches Kommunikationsmodell13 Um bei der Beurteilung einer Patientensituation ästhetische Disharmonien zu erkennen, ist ein systematisches Konzept gefragt. So lassen sich z. B. aus den fazialen patientenindividuellen Strukturen wichtige Informationen ablesen.11,12 Hierfür bewährt hat sich das DSD-Konzept nach Christian Coachman und Livio Yoshinaga. Dieses einfach anzuwen- Digital Smile Design als Kommunikationsgrundlage 290 Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 2 Stufen des Therapieablaufs: Ausgangssituation, Planung DSD, virtuelles Wax-up, Mock-up im Mund, Ergebnis. dende „Werkzeug“ dient einer konsequenten Analyse der Ausgangssituation, der gezielten Therapieplanung sowie der Kommunikation. Das multifunktional konzeptionelle Tool stärkt die Vorstellungskraft (insbesondere aufseiten des Patienten), verbessert die Kommunikation und die Ergebniszuverlässigkeit.3 Das Verständnis seitens der Patienten für ästhetische Dysbalancen wird gefördert (Abb. 2). Zudem ist das DSD ein wichtiges Kommunikationstool in der Zusammenarbeit mit Kollegen (z. B. Kieferorthopäden, Chirurgen) und mit Zahntechnikern. Die Gedanken des Zahnarztes können nahezu verlustfrei an das Labor übermittelt werden. Die Erstellung des DSD erfolgt anhand von extraoralen und intraoralen Fotos, die in eine Präsentationssoftware geladen werden. Die fazialen und dentalen Merkmale werden analysiert und anhand der grafischen Auswertung der Ist-Situation werden die therapeutischen Konsequenzen geplant. Durch das Einzeichnen von Referenzlinien erfolgt eine diagnostische Visualisierung, bei welcher etwaige Einschränkungen und Risiken ersichtlich werden. So werden beispielsweise Diskrepanzen dargestellt, die dem Behandlungsteam ohne eine DSD-Analyse eventuell erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt aufgefallen wären. Als weiterer Vorteil ist die teamorientierte Kommunikation zu nennen. Behandlungspartner können auch über eine weitere Distanz gemeinsam Therapiepläne erstellen und verlustfrei Informationen austauschen. Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 291 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 3 Porträtbild der Ausgangssituation. Abb. 4 Nahaufnahme der Ausgangssituation nach endodontischer Behandlung und provisorischem Aufbau. Grundlage für das DSD-Konzept sind digitale Patientenbilder. Als Goldstandard werden hochauflösende DSLR-Fotos (digital single-lens reflex) erachtet. Für konstant gute fotografische Ergebnisse ist ein definierter Workflow empfehlenswert. Grundsätzlich erfordern hochwertige Fotografien einen relativ hohen Aufwand (Ring-, Zangen- oder Lateralblitz, Bouncer), der sich jedoch im Ergebnis auszahlt. Der Autor hat sich dafür in seiner Praxis ein Fotostudio mit professionellem Equipment eingerichtet. Kann der Arbeitseinsatz im Praxisablauf nicht erbracht werden, bieten Hilfsmittel wie Smile Lite und Smile Capture (Vertrieb: Goldquadrat, Hannover) eine adäquate Alternative. Kernstück des Systems ist Smile Lite, eine kleine Tageslichtlampe mit verschiedenen Filtern, die auf dem mobilen Endgerät montiert wird. Smile Capture ist die dazugehörende App, die eine einfache Integration von digitalem Bildermaterial in den alltäglichen Behandlungsablauf genehmigt. Entwickelt wurde das Konzept von Smile Line (Wheat Ridge , CO-USA) in Kooperation mit der zahnmedizinisch-wissenschaftlichen Studygroup „Style Italiano“. Dentalfotografie als Teil des Behandlungskonzepts Anhand eines Patientenfalls wird das Vorgehen bei einer funktionell-ästhetischen Therapie aufgezeigt und einzelne Elemente aus dem DSD-Konzept werden aufgegriffen. Der Patient konsultierte die Praxis mit einem Frontzahntrauma. Bei einem Fahrradunfall waren die Zähne 11, 12 und 21 horizontal frakturiert. Eine eingehende Diagnostik bestätigte die gute Prognose für den Erhalt der Frontzähne. 12 und 11 mussten endodontisch behandelt werden und wurden danach zusammen mit Zahn 21 provisorisch aufgebaut. Nach einem angemessenen Zeitraum wurde mit der definitiven Versorgung der Zähne begonnen (Abb. 3 und 4). Kasuistik Ausgangssituation Zusätzlich zur Versorgung der geschädigten Zähne wünschte der Patient eine Korrektur der Zahnstellung im Frontzahngebiet. Z. B. sollte die starke Neigung der Eckzähne nach innen egalisiert werden. Außerdem waren die Frontzähne nach oral inkliniert und wenig körperhaft. Behandlungsziel war eine funktionell-ästhetische Restauration des oberen Frontzahn- Patientenwunsch 292 Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 gebiets, die mit einem möglichst geringen Verlust an gesunder Zahnsubstanz realisierbar ist. Entsprechend dem dargestellten Behandlungskonzept erfolgten zunächst die systematische Analyse der Ausgangssituation und die Planung der anzustrebenden Situation. In der Regel werden dem Patienten vom Zahnarzt mehrere restaurative Therapieoptionen angeboten. Zusätzlich zum „ästhetischen Optimum“ werden Alternativen aufgezeigt, die im Ergebnis etwas vom höchsten Level abweichen. Auch in diesem Fall sollte der Patient eine Vorschau auf das zu erwartende Ergebnis erhalten und basierend darauf die Entscheidung für die Art der Versorgung treffen. Planung der prothetischen Die Situation wurde abgeformt und fotografisch dokumentiert. Der Fotostatus umfasste Restauration neben den Porträtbildern Aufnahmen in der Ruhelage, Bilder beim Lächeln mit entspanntem Gesicht sowie bei einem breiten Lachen (i-Laut), Bilder mit halb geöffnetem Mund und intraorale Aufnahmen. Zudem wurde ein Video aufgezeichnet, welches den Patienten während der dynamischen Mundbewegungen (Sprechen, Lachen) zeigt. Die Videoaufzeichnung bietet einen enorm hohen Input, da teilweise auch aus den Standbildern des Films Bilder gewonnen werden können. Für die Erarbeitung der Soll-Situation können, wie bereits erwähnt, vier Pfeiler genannt werden: 1. Die horizontale Referenzebene 2. Die faziale Mittellinie 3. Die Anatomie des Lächelns respektive die Zahnstellung und -form 4. Die Zahnfarbe Diese Parameter sollten aufeinander sowie auf das Patientengesicht abgestimmt werden. Um die Informationen vom Gesicht auf das Modell übertragen und in die Restauration übernehmen zu können, ist das DSD-Konzept ein probater Weg. Die Machbarkeit kann gezielt beurteilt werden. Der Zahntechniker erhält konkrete Informationen und kann basierend darauf das Wax-up und später die Restaurationen erarbeiten. Um den Oberkiefer schädelbezüglich im Artikulator zu reproduzieren, kann das HeadLine-Vermessungssystem (nach W. Schöttl und U. Plaster) verwendet werden. Die natürliche Kopfhaltung des Patienten wird damit in den Artikulator übernommen, die Okklusionsebene sowie Asymmetrien anhand der NaturalHead-Position werden patientenindividuell abgegriffen und an das Labor übertragen. Anfertigung des Die Patientenbilder wurden in die Präsentationssoftware (Keynote, Apple) importiert und Digital Smile Design auf dem Porträtbild wurden beim breiten Lachen die Bipupillarlinie und die Mundwinkel(Abb. 5 bis 11) ebene mit parallelen Linien skizziert. Somit waren zwei wichtige Bezugsgrößen zur Etablierung der Horizontalen validiert. Jetzt wurde die faziale Mittellinie definiert. Hierbei dienten die bekannten Parameter (Glabella, Nasenwurzel, Kinn) als Referenz. Die Lachlinie und der Verlauf der Unterlippe wurden markiert. In diesem Fall hat der Patient eine hohe Lachlinie. Der Verlauf der Inzisalkanten der oberen Frontzähne sollte sich am Verlauf der Unterlippe orientieren. Nachdem auf einer Kieferhälfte die optimale Position der Schneidekante definiert worden war, erfolgte das Spiegeln der Situation. Das Breitenverhältnis der Frontzähne zueinander lehnt sich am Goldenen Schnitt an.8 Es ist darauf hinzuweiQuintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 293 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 5 Digital Smile Design: Evaluation der horizontalen und vertikalen Ebenen. Abb. 6 Übereinanderlagern des Intraoralbilds auf das Porträtbild und Übertragen der Bezugsebenen. 7 8 9 10 Abb. 7 Intraoralbild mit Bezugsebenen und angestrebter Zahnlänge. Abb. 8 Vergleich des Längen-Breiten-Verhältnisses. Das Rechteck visualisiert das ideale Verhältnis (80 %). Abb. 9 Einzeichnen der Zahnumrisse in angestrebter Proportion. Abb. 10 Überlagerung des virtuellen Wax-ups über die Ist-Situation. 11 294 Abb. 11 Vermessung der Soll-Situation mit dem digitalen Lineal. Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 12 Wax-up als Basis für die Herstellung des Mock-ups. Abb. 13 Silikonschlüssel für die Übertragung des Mock-ups in den Mund. sen, dass je nach Patientensituation leichte Varianzen auftreten können. Die Anzeichnungen vom Porträtbild wurden auf die Intraoralfotos übertragen und dies als Planungsgrundlage verwendet. Für die Evaluation des Längen-Breiten-Verhältnisses der Zähne gilt als Idealwert das Verhältnis 100 : 80. Demnach sollte die Zahnbreite 75 bis 85 % der Zahnlänge betragen.6 Auch dies ist ein Richtwert, der Varianzen zulässt. In diesem Fall wurde eine Zahnform festgelegt, die sich an den natürlichen Zähnen des Patienten orientiert. Die Eckzähne wurden in der Ausrichtung idealisiert und erhielten mehr Volumen im inzisalen Bereich. Damit wirkten sie körperhafter und kräftiger. Auch die seitlichen Schneidezähne wurden vestibulär additiv aufgebaut und mit der Inzisalkante an der Lachlinie ausgerichtet. Vorhersagbarkeit Jetzt wurde ein großer Vorteil des DSD-Konzepts ersichtlich. Durch die diagnostische Visualisierung der anzustrebenden Zahnstellung 13 bis 23 wurde die Diskrepanz von den Eckzähnen zu den ersten Prämoralen sichtbar. Für ein optimales Ergebnis mussten die Zähne 14 und 24 in die Restauration einbezogen werden. Ohne eine realistische Voransicht wäre dies eventuell erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgefallen. Das hätte zu einer Verzögerung des Behandlungsablaufs geführt und unter Umständen das Vertrauensverhältnis zum Patienten gestört. Die ersten Prämolaren wurden in die Planung aufgenommen. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme sollte dem Patienten mittels Keynote-Darstellung und Mock-up verständlich visualisiert werden. Mock-up Es folgte die Vermessung der Soll-Situation mit einem digitalen Lineal und die Übermittlung der Daten mitsamt der Keynote-Präsentation an den Zahntechniker. Die Situation wurde gemeinsam besprochen und das Ziel festgelegt. Mit einem Messschieber übertrug der Zahntechniker die Messwerte auf das Modell und fertigte ein Wax-up an (Abb. 12). Basierend darauf konnte in der Praxis mithilfe eines Silikonschlüssels das Mock-up im Patientenmund realisiert werden (Abb. 13). Tipp: Wird der Silikonschlüssel im Gingivabereich Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 295 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 14 Das in den Mund übertragene Mock-up aus Komposit visualisiert das anzustrebende Ergebnis. Abb. 15 Porträtbild des Patienten mit Mock-up. Abb. 16 Bewertung des anzustrebenden Ziels in der sogenannten 12-Uhr-Position. bogenförmig ausgeschnitten, lassen sich Komposit-Überschüsse einfach entfernen. Die Situation mit Mock-up wurde fotografisch festgehalten und dem Patienten wurde das angestrebte Ergebnis auf Fotos präsentiert (Abb. 14 und 16). Die Ist- und Soll-Situation wurden einander gegenübergestellt; dies wurde dem Patienten als Foto-Präsentation überreicht. Es bietet sich an, mit einer Vorlage zu arbeiten, in welche die Bilder importiert und die Präsentation als PDF exportiert werden kann. Mit einer solch realistischen Visualisierung kann der Patient in Ruhe für sich entscheiden, ob er der Behandlung zustimmt. In diesem Fall konnte auch die Notwendigkeit verdeutlicht werden, die ersten Prämolaren in die Restauration einzubinden. Ästhetik, Haptik und Funktion waren bewertet. Nach der Zustimmung des Patienten begann die eigentliche Behandlung. Am Tag der Präparation wurde das Mock-up in den Mund eingebracht. Um die gesunde Zahnsubstanz zu schonen, erfolgte die Präparation der Zähne durch das Komposit. Die durchgeschliffenen Bereiche wurden mit einem wasserfesten Stift angezeichnet und das Mock-up wurde entfernt (Abb. 17 und 18). Alle Bereiche, die nun noch angezeichnet waren, wurden schonend präpariert. So kann – insbesondere im labialen Bereich – die minimal benötigte Schichtstärke generiert werden. 296 Die eigentliche Behandlung Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 17 Substanzerhaltende Präparation auf Basis des Mock-ups. Abb. 18 Nach Abnahme des Mock-ups: gezielte minimale Entfernung der Zahnsubstanz. Abb. 19 Kontrolle der Präparation mittels Silikonschlüssel. Die Zähne 24 und 14 sollten noninvasiv versorgt werden. Kombiniertes Vorgehen Da in diesem Fall die Zähne 11 bis 21 aufgrund der Zahnfrakturen einen großen Subsbei der Präparation tanzdefekt aufwiesen, fiel die Entscheidung auf ein kombiniertes Vorgehen. Die wurzelbehandelten Zähne wurden für die Versorgung mit Kronen im Sinne eines 360-Grad-Veneers präpariert und an Zahn 21 wurde eine Teilkronenpräparation vorgenommen. Auch die Zähne 23 und 13 mussten gering beschliffen werden. Oft kann in solchen Situationen noninvasiv gearbeitet werden, allerdings waren die Eckzähne in diesem Fall im marginalen Bereich sehr körperhaft und die inzisalen Anteile nach innen geneigt. Um dies auszugleichen, musste der zervikale Bereich minimal reduziert werden. Auf den Zähnen 14 und 24 konnte problemlos mit Non-Prep Veneers gearbeitet werden. Da im additiven Vorgehen agiert werden konnte, bedurfte es nur eines geringen Abtrags gesunder Zahnsubstanz (Abb. 19). Es erfolgte eine schmelzbegrenzte Präparation, um eine optimale Haftkraft der Restaurationen zu gewähren. Im Sinne einer keramikgerechten Präparation wurden Kanten und/oder spitze Ecken vermieden. Durch die Nachbearbeitung der präparierten Zähne mit Soflex-Scheiben (3M ESPE, Neuss) kann eine ideale Basis geschaffen werden. Nach dem Einlegen von Retraktionsfäden erfolgten die Abformung der Situation, die HeadLine-Vermessung und die Bestimmung der Zahn- und Stumpffarbe (Abb. 20 bis 23). Der Patient wurde mit Chairside-Provisorien aus der Praxis entlassen. Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 297 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 20 Minimalinvasiv präparierte Zähne 13 bis 23. Situation mit eingelegten Retraktionsfäden vor der Abformung. Abb. 21 Übertragung der natürlichen Kopfhaltung mit dem HeadLine-System für die Herstellung der definitiven Restaurationen. Abb. 22 Bestimmung der Stumpffarbe in ND1 (Farbschlüssel: IPS Natural Die Material, Ivoclar Vivadent, Ellwangen). Abb. 23 Bestimmung der Zahnfarbe im Unterkiefer (Farbschlüssel: 3D-Master, VITA Zahnfabrik, Bad Säckingen). Im Labor wurden die vollkeramischen Restaurationen (Noritake EX 3, Kuraray Noritake, Hattersheim am Main) hergestellt (Abb. 24). Auf Grundlage der gemeinsam erarbeiteten Soll-Situation konnten die einzelnen keramischen Teile zielgerichtet gefertigt werden. Nach der Fertigstellung offenbarte sich, welche ausgezeichneten Ergebnisse mit der manuellen Schichttechnik möglich sind. Auch wenn Zahnform und -stellung in der Software definiert worden sind, bedarf es des zahntechnischen Geschicks und der Erfahrung, dies auf die Restaurationen zu übertragen. Die Abbildung 25 zeigt die fertigen Kronen und Veneers, die in ihrer Form exakt der Planung entsprachen. Unter anderem die feinen Oberflächentexturen und das diffizile Farbspiel sind nach Ansicht des Autors nur von einem versierten Zahntechniker realisierbar. Keramische Restaurationen Zum Eingliederungsmin in der Praxis kam der Patient mit großer Vorfreude und einem gute Gefühl. Auch das Behandlungsteam war sich eines optimalen Ergebnisses sicher, denn die wichtigsten Parameter waren über das Mock-up definiert worden. „Böse“ Überraschungen Eingliederung und Ergebnis 298 Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 24 Herstellung der keramischen Versorgungen von Zahn 24 auf Zahn 14 (Noritake EX 3, Kuraray Noritake). Abb. 25 Die fertigen Veneers auf dem Modell (zahntechnische Umsetzung: ZTM Andreas Piorreck, Leipzig). Abb. 26 und 27 Vorbereitungen zum Eingliedern der keramischen Restaurationen: Reinigung der Stümpfe und Konditionierung der Zahnoberfläche. sind in der Regel ausgeschlossen. Nach dem Entfernen der Provisorien und dem Säubern der Stümpfe erfolgte das Eingliedern der Restaurationen entsprechend des gewohnten Klebeprotokolls (Abb. 26 und 27). Das Ergebnis entsprach in allen Punkten den Vorstellungen des Patienten sowie des Behandlungsteams. Veneers, Kronen und Non-Prep Veneers: Es ist gelungen, allen Restaurationen die gleichen lichtoptischen Eigenschaften zu verleihen (Abb. 28 und 29). Die harmonische Wirkung der Restaurationen zueinander macht die Qualität eines guten Zahntechnikers aus. Einige Abschlussfotos wurden mit einem Bouncer (opaker Aufsatz für den Blitz) aufgenommen. Damit wird das Licht weicher und das interne lebendige Farbspiel sowie die natürliche Oberflächenmorphologie werden erkennbar. Die Abschlussbilder zeigen die 1:1-Umsetzung der auf virtuellem Weg geplanten Restaurationen (Abb. 30). Der Patient erhielt genau das Ergebnis, welches ihm vorhergesagt worden war (Abb. 31). Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 299 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 28 Die eingegliederten Restaurationen in der Nahaufnahme. Abb. 29 Ansicht in der 12-Uhr-Position. Abb. 30 Die Mundsituation: Nahaufnahme mit eingegliederten Veneers. Abb. 31 Abschließende Porträtaufnahme: harmonische Integration der Veneers in die fazialen Gegebenheiten. Die Restaurationen fügen sich auch im marginalen Bereich gut ein und werden von der Gingiva „angenommen“ (Abb. 32). Teilweise sind bei Non-Prep Veneers kritische Stimmen zu hören, dass eine optimale Randgestaltung nicht zu realisieren sei. Nach Ansicht des Autors liegt der Erfolg in der Qualität der Klebetechnik sowie der Randgestaltung der Veneers. Diese Faktoren sind verantwortlich für das perfekte Eingliedern und die Akzeptanz von Non-Prep Veneers. Mit einem guten Zusammenspiel, basierend auf den fundierten Grundlagen der Adhäsivtechnik, können die filigranen Restaurationen absolut entzündungsfrei inkliniert werden. Der Übergang zwischen Zahn und Restauration ist unsichtbar! Der sensible marginale Bereich Um die Ansprüche „ästhetisch, patientenorientiert, minimalinvasiv“ erfüllen zu können, bedarf es in erster Linie einer partnerschaftlichen Kommunikation zum Patienten. Ihm sollte im Vorfeld ein exaktes Ziel visualisiert werden, um die Motivation für die Behandlung zu unterstützen. „Planung ist nicht alles, aber ohne Planung ist alles nichts!“ Nach Ansicht des Autors treten mehr Fehler in der Planungsphase auf und nicht während der Umsetzung Fazit 300 Quintessenz Zahntech 2016;42(3):288–302 CASE REPORT ÄSTHETIK-KONZEPTE 2016 Abb. 32 Hervorragende Adaption auch im marginalen Bereich. der Therapie. Das DSD-Konzept kann als Basis und als unterstützendes Werkzeug bei der Planung dienen. Hinzu gesellt sich das konzeptionelle Arbeiten zwischen Zahnarzt und Zahntechniker. Ab dem Zeitpunkt der Planung folgt die Therapie einem kontrollierten und vorhersagbaren Prozess. „Überraschungen“ werden umgangen und das Ziel ohne Umweg erreicht. Diese klare und konsequente Behandlungsstrategie steigert die Qualität der Behandlung um ein Vielfaches. Danksagung Literatur Der Autor dankt ZTM Andreas Piorreck (Leipzig), mit dem solche hervorragenden Ergebnisse realisiert werden können. Auch hier sind die gute Kommunikation und das wertschätzende Miteinander zu betonen. Beide Seiten des Behandlungsteams tragen ihren Teil zum Erfolg der Behandlung bei! Wenn der Zahntechniker das Verständnis für das Tun des Zahnarztes hat und der Zahnarzt das Handeln des Zahntechnikers versteht, wird der Erfolg das eigene Tun bestätigen. 1. Chiche GJ Pinault A. Ästhetische Gestaltung festsitzenden Frontzahnersatzes. Berlin: Quintessenz, 1994. 2. Chiche GJ, Aoshima H. Anatomie des Lächelns. Ein Leitfaden für Zahnärzte, Zahntechniker und Patienten. Berlin: Quintessenz, 2005. 3. Coachman C, Calamita M. Digital Smile Design. Quintessenz Zahntech 2014;40:822-833. 4. Dawson PE. Functional Occlusion: From TMJ to Smile Design. ST. Louis: Mosby, 2007. 5. Dörflinger B. Die Realität des Schönen in Kants Theorie rein ästhetischer Urteilskraft. 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