FACHBERICHTE Trinkwasserversorgung Die Aussagekraft von Klima­ projektionen für zukünftige ­Herausforderungen der Trinkwasser­ versorgung in Deutschland Steffen Bender und Daniela Jacob Trinkwasserversorgung, Klimaprojektionen, Klimafolgen, Wasserversorgung Die Folgen des Klimawandels werden den Wasserkreislauf in vielfältiger Weise beeinflussen. Dadurch ergeben sich auch für die Wasserversorger in Deutschland neue Herausforderungen, die jedoch je nach Standort unterschiedlich ausfallen werden. Da alle Aussagen über die Folgen des Klimawandels auf Klimaprojektionen beruhen, müssen die Planungen für Anpassungsmaßnahmen unter Zuhilfenahme von Ergebnisbandbreiten erfolgen. Darauf aufbauend lassen sich standortbezogene Strategien entwickeln, um in angemessener Weise, neben den anderen bestehenden Herausforde­ rungen, auf die klimatischen Veränderungen reagieren zu können. What do Climate Projections tell us about Future Challenges of German Water Supplies? Climate impacts will affect the water cycle in many ways. This leads to new challenges for German water suppliers, whereas the impacts will vary depending on the site-specific conditions. Since all statements on future climate impacts are based on climate projections, the total bandwidth of results must be incorporated in the planning of adaptation options. Based on this knowledge, site-specific strategies can be developed, in order to respond appropriately to future climate impacts, in addition to other existing challenges. 1. Einleitung Ungeachtet aller Maßnahmen zum Klimaschutz werden immer noch große Mengen an Treibhausgasen emittiert. Im Jahr 2013 wurde mit dem Ausstoß von weltweit 35,3 Mrd. t CO2 die bisherige Höchstmarke erreicht [1]. Der ansteigende Trend konnte 2014 zum ersten Mal gestoppt werden. Insgesamt lagen die Emissionen im Jahr 2014 bei 901,9 Mio. t CO2-Äquivalenten – und damit 4 % unter dem Niveau des Vorjahres [2]. Trotz dieser erfreulichen Entwick­ lung sind die Emissionen aber immer noch so hoch, dass dies unausweichlich zu klimatischen Veränderungen führen wird. Im Vergleich zu vielen Regionen der Welt werden die Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland jedoch eher moderat ausfallen. Regionale Klimaprojektionen zeigen, dass die Temperaturen in der Periode 2071–2100 (im Ver­ gleich zu 1971–2000) in Kontinentaleuropa um 2,1 bis 4,1 °C 362 steigen werden, während die jährliche Niederschlagssumme nahezu unverändert bleibt [3]. Es ist auch davon auszugehen, dass sich die bereits beobachtete innerjährliche Umvertei­ lung der Niederschläge von den Sommer- zu den Winter­ monaten weiter fortsetzen wird. Höhere Temperaturen und ein veränderter Jahresgang der Grundwasserneubildung beeinflussen direkt das Wasserdargebot für die Trink­ wassergewinnung. Auch wenn in den meisten Regionen Deutschlands bisher keine Hinweise ersichtlich sind, die auf einen dringenden Handlungsbedarf hindeuten [4], so sollte man sich dennoch vorausschauend mit den Folgen des Klimawandels und möglichen Anpassungsstrategien und -maßnahmen auseinandersetzen. Im Fokus stehen hier ins­ besondere Fragen über die Länge von Zeiträumen, in denen die Wasserressourcen nicht g ­ enutzt werden können, sowie die ereignisabhängige ­Verschlechterung der Wasserqualität. gwf-Wasser | Abwasser 4/2016 Trinkwasserversorgung FACHBERICHTE Tabelle 1: Beobachtete Änderungen im Klimasystem [8] Komponenten Beobachtungen Atmosphäre Anstieg bodennaher globaler Mitteltemperatur um 0,85 °C (1880–2012 ) Meeresspiegel Anstieg des globalen mittleren Meeresspiegels um etwa 19 cm (1901–2010); Verdopplung des Anstiegs in den letzten 20 Jahren auf 3,2 mm pro Jahr. Eis und Schnee Globaler Rückgang der Gletscher und polaren Eismassen (nur wenige Ausnahmen); Schneebedeckung in der Nordhemisphäre im Frühjahr hat weiter abgenommen. Niederschlag Anstieg in feuchten Regionen der Tropen und mittleren Breiten der Nordhalbkugel; Abnahme in trockenen Regionen und Subtropen (1950–2008). Wetterextreme Abnahme kalter Nächte und kalter Tage; Anstieg warmer Tage und warmer Nächte (seit 1950); Häufigeres Auftreten von Hitze­ wellen in Europa, Asien, Australien; Häufiger auftretende und intensivere Starkregenereignisse in Nordamerika und Europa. Als eine besondere Herausforderung erweist sich hierbei, dass exakte Aussagen über Zeit, Ort und Ausmaß zukünfti­ ger Entwicklungen nicht möglich sind, da die Ergebnisse der Klimaprojektionen und die daraus abgeleiteten Veränderun­ gen des Wasserkreislaufs eine hohe Variabilität aufweisen [5]. Für wasserwirtschaftliche Fragestellungen sind darüber hinaus noch Einflüsse wie der demographische Wandel und die regionale Bevölkerungsentwicklung sowie mögliche Nutzungskonflikte zu berücksichtigen. Aus diesem Grund gilt es, bei der Zukunftsplanung klimaresiliente, nachhaltige, ganzheitliche und integrative Lösungsansätze zu verfolgen. Bei der Nutzung von Klimaprojektionen müssen außerdem deren Aussagekraft sowie die darauf basierenden Ergeb­ nisse von Wirk- beziehungsweise Impaktmodellen kritisch hinterfragt werden [6]. 2. Beobachtungen und Klimaprojektionen 2.1 Beobachtete Änderungen im Klimasystem Globale Beobachtungen des Klimasystems gehen auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Bei der Temperatur zeigen sich die deutlichsten Veränderungen in den jüngeren Auf­ zeichnungen. So haben sich die globalen Landgebiete seit 1970 im Mittel um 0,26 °C erwärmt, die mittlere Temperatur über den Ozeanen stieg um 0,13 °C [7]. Als direkte Folge der globalen Erwärmung werden das anhaltende Zurückgehen des Meereises, Schrumpfen der Gletscher und das Auftauen von Permafrostböden gesehen. Eine weitere Folge ist der Anstieg des Meeresspiegels (vgl. Tabelle 1). In Deutschland hat sich die durchschnittliche Temperatur seit 1881 um 1,3 °C erhöht [9]. Saisonal gibt es hier jedoch Unterschiede. So ist der Temperaturanstieg im Frühling und Herbst höher als im Sommer und Winter. Für den Niederschlag wird deutsch­ landweit, im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts, eine innerjährliche Verschiebung der Niederschlagsmengen beobachtet. Die mittleren Niederschlagshöhen im Winter haben deutlich zugenommen, wohingegen sie im Sommer rückläufig sind (Tabelle 2). Allerdings müssen hier bei der Interpretation die starken regionalen und lokalen Unter­ schiede berücksichtigt werden. gwf-Wasser | Abwasser 4/2016 2.2 Von der Wettervorhersage zur Klimaprojektion Bei der Wettervorhersage wird der physikalische Zustand der Erdatmosphäre für die nächsten Stunden und Tage berechnet. Sie basiert auf den gemessenen Ausgangs­ bedingungen der Atmosphäre und physikalischen Ge­ setzen, die zukünftige Zustände mit vergangenen ver­ knüpft [11]. Wegen der chaotischen Natur des Wetters genügen allerdings schon geringe Änderungen bei den Eingangswerten der Modelle, um vollständig andere ­Ergebnisse zu erhalten. Zur Abschätzung der Prognose­ sicherheit verwendet man deshalb neben den Beo­ bachtungsdaten auch leicht veränderte Datensätze. Die Ergebnisse der verschiedenen Berechnungsläufe werden in sogenannten Ensembles verglichen, wobei ähnliche ­Werte für einen Prognosezeitraum ein Indiz für eine relativ ­sichere Vorhersage sind. Während bei stabilen Wetterlagen das Wetter auch über 10 Tage gut prognostizierbar ist, gibt es auch Fälle, bei denen bereits nach 2–3 Tagen keine zufrieden­stellenden Vorhersagen mehr möglich sind. Mit globalen Klimamodellen erstellte Klimasimulationen werden stark von den Anfangsbedingungen aller Kompo­ nenten des Klimasystems (Atmosphäre, Hydrosphäre, Kryo­ s­phäre, Landoberfläche und Biosphäre) bestimmt. Je weiter der simulierte Zeitraum in die Zukunft reicht, desto mehr werden die Ergebnisse durch die externen Faktoren wie Änderungen der Sonneneinstrahlung oder der Treibhausgas­ Tabelle 2: Übersicht der linearen Klimatrends in Deutschland [10] Klimaelement, Zeitintervall Frühling Sommer Herbst Winter Temperatur Niederschlag Jahr 1901–2000 + 0,8 °C + 1,0 °C + 1,1 °C + 0,8 °C + 1,0 °C 1951–2000 + 1,4 °C + 0,9 °C + 0,2 °C + 1,6 °C + 1,0 °C 1961–1990 + 0,8 °C + 0,4 °C 1971–2000 + 1,7 °C + 0,9 °C 1901–2000 + 13 % – 3 % + 9 % + 19 % + 9 % 1951–2000 + 4 % – 16 % + 18 % + 19 % + 6 % 1961–1990 – 9 % – 8 % + 10 % + 20 % + 3 % 1971–2000 + 13 % + 4 % + 14 % + 34 % + 15 % ± 0 °C + 1,7 °C + 0,7 °C + 0,7 °C + 0,7 °C + 1,0 °C 363 FACHBERICHTE Trinkwasserversorgung Bild 1: Gefahren bei der Trendanalyse am Beispiel einer Temperaturkurve und den Trends aus drei unterschiedlichen Teildatensätzen (eigene Darstellung) konzentrationen in der Atmosphäre beeinflusst [11]. Klima­ projektionen sind keine Vorhersagen oder Prognosen ein­ zelner zukünftiger Ereignisse, sondern eine in sich schlüssige zukünftige Entwicklung unter gegebenen Randbedingun­ gen des Klimasystems [12]. Um mögliche Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf das Klimasystem zu unter­ suchen, werden verschiedene Annahmen zur Entwicklung der Bevölkerung, der menschlichen Kultur, der Technologie und der Wirtschaft gemacht. Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlichte im IPCC-Sonderbericht zu Emissionsszenarien (SRES) 40 Emissionsszenarien zur ­Beschreibung menschlicher Einflüsse, die in vier Familien (A1, A2, B1 und B2) gruppiert wurden [13]. Für den 5. Sachstands­ bericht des IPCC hat die Wissenschaftsgemeinde in Selbst­ organisation die sogenannten „Representative Concentra­tion Pathways“ (RCP) entwickelt und einen Satz von vier neuen Szenarien definiert (RCP2.6, RCP4.5, RCP6 und RCP8.5). Die Bezeichnung „repräsentativ“ weist darauf hin, dass die Sätze stellvertretend für einen größeren Szenarien-Satz stehen. Charakteristisch ist hierbei der sogenannte „anthropogene Strahlungsantrieb“, der am Ende der Zeitskala gilt. Dies schließt auch die sozio-ökonomische Entwicklung ein (Be­ völkerungswachstum, Energieverbrauch, Bruttosozialprodukt u. a. m.), die dorthin führt. Gleichermaßen können auf diesem Wege auch denkbare Vermeidungs- und Anpassungsmaß­ nahmen sowie die aktive Klimapolitik berücksichtigt werden. Aus den Emissionsszenarien werden die Konzentra­ tionen der Treibhausgase und Aerosole in der ­Atmosphäre für das 21. Jahrhundert abgeleitet. Diese Konzentrationen werden globalen Klimamodellen vorgeschrieben und ­damit die Auswirkungen der veränderten atmosphärischen Zusammensetzung auf das globale Klimasystem simuliert. Um die regionalen Ausprägungen der Klimaänderungen 364 genauer untersuchen zu können, werden die Simulationen der globalen Modelle mit regionalen Klimamodellen räumlich verfeinert. 2.3 Der Ensemble-Ansatz Die Nutzung der Ergebnisse darf nicht dadurch vereinfacht werden, dass nur eine einzelne Projektion verwendet wird, um bspw. einen Temperaturtrend zu ermitteln. Dies ent­ spräche in etwa der Auswahl einer zeitlich begrenzten Periode bei der Trendanalyse von Zeitreihen. Je nach Aus­ wahl des Teildatensatzes kann beispielsweise sowohl ein steigender, stagnierender oder fallender Trend extrapoliert werden (Bild 1), wobei die Auswahl letztlich aber keine Aussage über die Qualität bzw. Repräsentativität des ­Ergebnisses erlaubt. In der Klima- und Klimafolgen­ forschung ist es deshalb „Stand der Wissenschaft“, ein En­ semble mit allen für die Fragestellung verfügbaren und plausiblen Klimasimulationen zu verwenden. Folglich ist es nicht möglich, einen konkreten Wert einer Klima­variablen (z. B. die globale Mitteltemperatur) für einen zukünf­tigen Zeitpunkt anzugeben. Stattdessen wird die Bandbreite möglicher Entwicklungen aufgezeigt zu denen auch ­Eintrittswahrscheinlichkeiten abgeleitet werden können. Gemäß IPCC ist der Bereich einer Änderung als „likely“ (wahrscheinlich) einzustufen, wenn 66 % aller projizierten Änderungen in diesem Bereich liegen. Umfasst der Bereich 90 % der Änderungen, so wird von „very likely“ (sehr wahr­ scheinlich) gesprochen [14] (vgl. Bild 2). Im Rahmen der EURO-CORDEX Initiative [3] wurde der Ensemble-Ansatz auch dazu benutzt, um die Robustheit und Signifikanz von regionalen Klimaprojektionen für Europa zu ermitteln. Für Deutschland zeigen die Ergebnisse für 2071– 2100 (im Vergleich zur Periode 1971–2000) eine signifikante gwf-Wasser | Abwasser 4/2016 Trinkwasserversorgung und robuste Erhöhung der jährlichen Niederschlagssumme (RCP8.5) bzw. für weite Teile Deutschlands (mit Ausnahme von Norddeutschland) signifikante und robuste Verände­ rungen zwischen – 5 % und + 25 % (RCP4.5). Demgegenüber ist bei allen Szenarien ein robuster und signifikanter Tempe­ raturanstieg in Deutschland erkennbar (+ 1,6 ° bis + 3,2 °C für RCP4.5 und + 3,7 ° bis + 5,2 °C für RCP8.5). Diese Klimainfor­ mationen dienen als Eingangsgrößen für nachfolgende Wirkmodelle. Die Anwendung einer solchen Modellkette ist bspw. im Projekt GLOWA-Elbe [15] dokumentiert. Hier wurden die regionalen Folgen des Klimawandels im Flusseinzugs­ gebiet der Elbe untersucht, um daraus Handlungsstrategien für ein nachhaltiges Wassermanagement abzuleiten. Noch einen Schritt weiter ging das Projekt KLIWAS [16], das mit einem Multi-Modellkettensatz den Ensemblegedanken in die Wirkmodellierung übertragen hat, um die Bandbreite möglicher Auswirkungen des Klimawandels für Abfluss- und Wasserhaushaltskomponenten abzuschätzen. FACHBERICHTE 3. Was lässt sich für Wasserversorger aus den Klimaprojektionen ableiten? 3.1 Generelle Folgen des Klimawandels Klimaprojektionen zeigen für Deutschland beim Vergleich der Perioden 1961–1990 mit 2071–2100 eine Zunahme der Häufig­ keit von Starkniederschlägen [17]. Somit steigt das Risiko für Überflutungen in den Einzugsgebieten sowie für die Ge­ winnungsanlagen (z. B. von Rohrkellern, Brunnenschächten und Pumpstationen). Eine weitere Folge ist die Begünstigung von Hangrutschungen, was ebenfalls Schäden an der Infrastruktur verursachen kann. Eine Remobilisierung von Trüb- und Schad­ stoffen kann zu Qualitätseinbußen bei oberflächennahem Grundwasser bzw. Oberflächengewässern führen [18]. Im Ge­ gensatz zu den Auswirkungen eines Flusshochwassers auf die Nutzung von Oberflächenwasser oder veränderter Schwan­ kungsbreiten der Grundwasserstände beim Einsatz von Brun­ nen können Überflutungen durch Starkregenereignisse alle Arten von Trinkwassergewinnungsanlagen treffen (Bild 3). Bild 2: Bandbreiten von Klimaprojektionen [14] Bild 3: Überblick der Vulnerabilität ­einzelner Trinkwasser­ gewinnungsmethoden in Bezug auf ­ausgewählte Folgen des Klimawandels ­(eigene Darstellung) gwf-Wasser | Abwasser 4/2016 365 FACHBERICHTE Trinkwasserversorgung Ungeachtet der Folgen des Klimawandels müssen die Aus­ wirkungen von Starkregen immer als eine besondere Heraus­ forderung gesehen werden, da Ort und Zeitpunkt eines ­Ereignisses kaum vorherzusagen sind. Da es zudem keine nennenswerte Vorwarnzeit gibt, sind mobile Schutzmaß­ nahmen keine empfehlenswerte Option für den Objektschutz. Dies gilt auch für Wasserwerke, die sich abseits von Fließ­ gewässern befinden, da auch dort Überflutungen möglich sind. Die bereits beobachtete innerjährliche Verschiebung der Niederschlagsmengen wird sich auch zukünftig weiter fortsetzen. Projektionen zeigen, dass sich die sommerlichen Niederschläge regional um bis zu 30 % verringern können [17]. Dies kann gravierende Auswirkungen auf den ­regionalen und lokalen Wasserhaushalt haben, sodass auf ­lokaler Ebene saisonale bzw. episodische Engpässe bei der ­Wasserverfügbarkeit nicht auszuschließen sind [19]. Wegen der Erhöhung der Lufttemperatur [3] werden sich sowohl das flache Grundwasser, als auch Oberflächenge­ wässer erwärmen. Dies hätte sowohl eine direkte als auch eine indirekte Minderung des Sauerstoffgehalts aufgrund einer stärkeren biologischen Aktivität zur Folge. Die höheren Tem­ peraturen begünstigen zudem die chemische Verwitterung der Böden, wodurch sich der Sedimenteintrag insbesondere in Verbindung mit Starkregenereignissen erhöhen wird. Die Kombination von geringen Niederschlagsmengen und hohen Temperaturen wird in den Sommermonaten zu einem Rückgang der Abflussmengen führen, was ­wiederum das Aufkonzentrieren der Wasserinhaltsstoffe ­bewirken wird. 3.2 Nutzung von Grundwasser Ein Großteil des Trinkwassers in Deutschland (rund 70 %) geht auf Grund- und Quellwasser zurück. Lediglich in Berlin, Nord­ rhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen wird der Hauptteil aus Oberflächenwasser (Wasser aus Seen und Talsperren, angereichertes Grundwasser und Uferfiltrat) gewonnen. Auch wenn die Projektionen z. B. für Nordrhein-West­ falen und Niedersachsen auf eine generelle Erhöhung der Grundwasserneubildungsraten bis 2050 hindeuten [20], so ist davon auszugehen, dass die verringerten Neubildungs­ raten im Sommer und die höheren Raten im Winter zu einer Zunahme der natürlichen Schwankungsbreite der Grundwasserstände führen wird [21]. Dies kann in Extrem­ fällen vom Grundhochwasser bis zum Trockenfallen von Brunnen oder Quellen reichen. Sichere quantitative Aus­ sagen dazu sind jedoch nicht möglich [22]. Für Kluft- und Karstgrundwasserleiter bedeutet dies, dass vornehmlich im Sommer ein deutliches Absinken des Grundwasser­ spiegels möglich ist, was eine starke Minderung des Grund­ wasserdargebots zur Folge hat [18]. Im Fall von gering mächtigen, gut durchlässigen bzw. fehlenden Deck­ schichten besteht darüber hinaus eine hohe Vulnerabilität ­gegenüber der Infiltration von Verunreinigungen, be­ sonders nach Starkregenereignissen. 366 Oberflächennahes Grundwasser reagiert generell ­hochsensibel auf Klimaveränderungen. Eng begrenzte Grundwasserleiter mit einem kleinen Speichervolumen werden während und nach längeren Trockenperioden eine zum Teil deutliche Verringerung des Wasserdargebo­ tes auf­weisen [4]. Dies wird sich bei Quellen in einem schnellen Rückgang der Schüttungsmenge bis hin zum Versiegen bemerkbar machen. 3.3 Nutzung von Oberflächenwasser Zu den wichtigsten Folgen des Klimawandels im ­Wasserkreislauf gehören die Veränderungen des Abfluss­ verhaltens von Flüssen [23, 24], auch wenn das Erstellen von Projektionen hinsichtlich detaillierter Angaben zu den Veränderungen von Abflussmengen und Wasser­ ständen im Flussgebietsmaßstab aktuell noch nicht möglich ist. Wasserbauliche Maßnahmen, wie etwa die Reaktivierung von Überflutungsflächen, tragen im ­Vergleich aber immer noch zu deutlich größeren Ver­ änderungen als der Klimawandel bei. Für die Wasserversorgung sind extreme Hoch- und Niedrigwasser sowie die Erhöhung der Schwankungs­ breite von größter Bedeutung, da dadurch die Anforde­ rungen an die Wasseraufbereitung erhöht werden [18]. Bei Anlagen zur Trinkwassergewinnung per Uferfiltration führen Hochwässer zu Verschlechterung der Rohwasser­ qualität. Zunächst sorgt die kürzere Verweilzeit im Unter­ grund zu einer geringeren Filterleistung, was sich in höheren Schadstoffkonzentrationen niederschlägt. ­ ­Darüber hinaus kann das Hochwasser eine Kontamination des nach Aufbereitung und Infiltration angereicherten Grundwassers durch Oberflächenwasser bewirken. Steigt das Flusshochwasser weiter an, so können die Über­ flutungen auch zu Schäden an der Wassergewinnungs­ anlage führen. Während einer Trockenperiode sorgt die ver­ minderte Wasserführung der Vorfluter für einen Rückgang der Förderkapazität bis hin zur Einstellung des Betriebs [4]. Darüber hinaus steigen aufgrund der niedrigeren ­Verdünnungsleistung des Oberflächengewässers die ­Spurenkonzentrationen im Rohwasser an, was in stei­gende Anforderungen bei der Wasseraufbereitung resultiert. Die höheren Wassertemperaturen im Sommer erhöhen ­zudem das Verkeimungsrisiko des Rohwassers [18]. Ähnliche Herausforderungen zeigen sich bei der Wasser­ entnahme aus Seen und Talsperren. Hochwasserzuflüsse oder Starkregen können zu einem erhöhten Eintrag von Schad- und Trübstoffen führen. Die abnehmenden Wasser­ mengen während Trockenperioden vermindern auch hier die Verdünnungsleistung. Im Trockenjahr 2003 bspw. büßten die Stauseen in Deutschland aufgrund der Wasserknapp­ heit zwischen 35 % und 75 % ihrer Gesamtkapazität ein [25] und das, obwohl die Wasserspeicher zu Beginn des Jahres aufgrund der hohen Niederschläge im Winter gut gefüllt waren. Der projizierte Temperaturanstieg wird n ­ eben der gwf-Wasser | Abwasser 4/2016 Trinkwasserversorgung Förderung des Algenwachstums und der Keimbildung auch die Schichtung und Zirkulation innerhalb des Ge­ wässers beeinflussen. In den Bodenregionen wird der ­Sauerstoffmangel dazu führen, dass das Tiefenwasser nicht mehr als Rohwasser benutzt werden kann [18]. 3.4 Wasserbedarf In weiten Teilen Deutschlands wird für die nächsten 15 bis 20 Jahre ein Rückgang des durchschnittlichen Wasser­ bedarfs erwartet [26]. Gründe dafür sind der prognosti­zierte Bevölkerungsrückgang und eine effizientere Wasser­ nutzung (bspw. durch vermehrte Regenwassernutzung oder den Einsatz verbrauchsarmer Haushaltsgeräte). Aller­ dings ist davon auszugehen, dass die projizierte Zunahme von Trockenperioden und heißen Tagen mit einer Tempe­ ratur über 30 °C eine Erhöhung der Trinkwassernachfrage in den Sommermonaten nach sich zieht. Konkurrierende Wassernutzungen bei gleichzeitig reduziertem Wasser­ dargebot können dazu führen, dass die Deckung der Be­ darfsspitzen in manchen Regionen zu einer großen Heraus­ forderung werden kann [18]. Schon heute lässt die Sommer­ hitze Wasserverbräuche vor allem in den Spitzenzeiten (morgens und abends durch vermehrtes Duschen und Rasensprengen) so rapide ansteigen, dass lokal Versor­ gungsengpässe auftreten (z. B. im Jahr 2015: Landkreis Vechta, Landkreis Potsdam-Mittelmark, Ortenaukreis). Die größten, bereits heutigen Herausforderungen ­werden auch zukünftig darin bestehen, immer ausreichend Entnahmemengen, Aufbereitungskapazität und Reserve­ kapazität bereitstellen zu können [27]. Während für Wasser­ versorger mit großen Verbundnetzen Bedarfsspitzen oder der vorübergehende Ausfall einzelner Anlagen gut zu kompensieren ist, sind besonders die Wasserversorger als verletzlich einzustufen, deren Versorgungsnetze zu klein sind. Dies gilt auch, wenn deren Trinkwasserversorgung aus Mangel an alternativen Rohwasserressourcen nur ein Standbein aufweist, sodass Ausfälle nicht zu kompensieren sind, bspw. bei ausschließlicher Nutzung von Quellen und oberflächennahem Grundwasser in Mittelgebirgsregionen. In Bezug auf die Aufrechterhaltung der Wasserqualität ­besteht immerhin die Möglichkeit, entsprechend leistungs­ fähige Aufbereitungstechnologien in Erwägung zu ziehen, um mangels alternativer Möglichkeiten belastete Roh­ wassermengen aufbereiten und nutzen zu können [18]. 3.5 Wasser unter der Stadt Höhere Luft- und Bodentemperaturen beeinflussen ­sowohl die Temperatur des Grundwassers, als auch die des Trinkwassers im Verteilungsnetz. Die Auswertung von Messdaten verdeutlicht, dass sich das Grundwasser an einigen Beobachtungsstellen, in den vergangenen 40 Jahren, bis in eine Tiefe von rund 60 m signifikant erwärmt hat, wobei das Muster der Erwärmung der regionalen Er­ wärmung folgt [28]. Kleinräumige Betrachtungen z­ eigen, gwf-Wasser | Abwasser 4/2016 FACHBERICHTE dass in Städten weitere ortsbezogene Hot Spots berück­ sichtigt werden müssen [29]. Schon heute erreicht das Grundwasser in den Sommermonaten unter Industrie­ gebieten Temperaturen von über 30 °C [18]. Gleichermaßen zeigt sich in Leitungsnetzen unterhalb von S­ tädten eine heterogene Temperaturverteilung, wobei erwartungs­ gemäß die größten Temperaturen (bis zu 27 °C) unterhalb stark versiegelter Flächen auftreten [30]. Da regionale Klimaprojektionen einen signifikanten und ­robusten Tem­ peraturanstieg zeigen, ist davon auszu­gehen, dass die Bodentemperaturen ebenfalls steigen werden. Dies wird neben der Erwärmung des Wassers auch die Keimbildung in den Leitungen begünstigen, da die idealen Bedingun­ gen dafür zwischen 25 °C und 45 °C liegen. Generell lässt sich sagen, dass dort, wo bereits heute eine Tendenz zur ­Wiederverkeimung besteht, diese sich durch eine ­Temperaturerhöhung weiter verstärken wird [19]. 4. Zusammenfassung Deutschlandweit ist die Wasserverfügbarkeit und die ­Deckung des Wasserbedarfs heute und auch zukünftig als unkritisch zu betrachten. Trotzdem werden die Folgen des Klimawandels, neben dem demographischen Wandel und dem rückläufigen Wasserverbrauch, den einen oder anderen Wasserversorger vor neue Herausforderungen stellen. Dies gilt nicht nur für die direkten Folgen, sondern auch für indirekte Folgen, wie beispielsweise Kaskaden­ effekte durch den klimawandelbedingten Ausfall der Stromversorgung oder anderer benötigter Infrastrukturen. Allerdings eignen sich die regionalen Klimaprojektionen nicht, um genaue Vorhersagen bezüglich Ort, Zeitpunkt und Ausmaß eines Ereignisses zu treffen. Hier kann nur mit Ergebnisbandbreiten gearbeitet werden. Ungeachtet dessen sind regionale und lokale Störungen mehr als wahrscheinlich. Lokale Wasserversorger im ländlichen Raum, in Mittelgebirgsregionen und mit dezentralen ­Wasserversorgungsstrukturen weisen die größten Vul­ nerabilitäten auf. Aber auch größere Wasserversorger ­können – insbesondere durch Überflutungen nach Stark­ regenereignissen – betroffen werden. Strategien und Maßnahmen zur Anpassung an die Fol­ gen des Klimawandels im Bereich Trinkwasserversorgung können nur individuell entwickelt werden. Sie müssen sich an den regionalen Unterschieden in Bezug auf Standortund Umweltrahmenbedingungen, Einflussgrößen und Vulnerabilitäten orientieren. Es wird dringend darauf hin­ gewiesen, dass bei der Nutzung von Klimaprojektionen im Rahmen der Planung von Anpassungsmaßnahmen und des Risikomanagements ein möglichst großes Ensemble von Modellsimulationen verwendet werden muss. Eine Verwendung nur weniger oder einzelner Projektionen für Entscheidungsgrundlagen ist nicht repräsentativ und die daraus ableitbaren Trends können irreführend sein. 367 FACHBERICHTE Trinkwasserversorgung Literatur [1] Global Carbon Project: Carbon budgets and trends 2015, [www.globalcarbonproject.org/carbonbudget] published on 7 ­December 2015. [21] Messer, J. u. a.: Entwicklung eines instationären Prognosewerk­ zeuges zur Berechnung der Klimawandelbedingten Veränderun­ gen der Grundwasserneubildung. dynaklim-Publikation 14, 2011. [2] https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/ klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/treibhausgas-­ emissionen/emissionsquellen (Stand 19.02.2016). [22] WVGW: [Hrsg. 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