Praxis BZB Oktober 12 49 KZVB Kein Tabu mehr Das Thema Ästhetik wurde in der vertragszahnärztlichen Versorgung lange Zeit tabuisiert, denn es fehlten konkrete Vorgaben. Auf der Gutachtertagung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns diskutierten die Teilnehmer über dieses Thema ausführlich. Sie fanden einen Konsens, wie zweifellos schwierige Fälle konkret zu beurteilen sind. Dr. Armin Walter, KZVB-Referent für das Gutachterwesen, fasst die vertragszahnärztlichen Richtlinien und die von den Gutachtern konsentierten Vorgaben für die Beurteilung von geplanten Neuversorgungen und streitig ästhetisch mangelhaften Versorgungen vor diesem Hintergrund für das BZB zusammen. Geht es um Zahnersatz und Ästhetik, ist in vielen Köpfen die allgemeine Behandlungsrichtlinie A 3 präsent: „Maßnahmen, die lediglich kosmetischen Zwecken dienen, gehören nicht zur vertragszahnärztlichen Versorgung.“ Aber was sind rein kosmetische Zwecke? Ist von einem rein kosmetischen Zweck zu sprechen, wenn sich ein Patient durch die optische Ausführung einer Versorgung persönlich beeinträchtigt fühlt? Wir alle kennen den Patientenfall, der jahrelang mit verschlissenen Frontzahnverblendungen gelebt hat. Aufgrund beruflicher Veränderungen oder aus privaten Gründen empfindet er diese Kronen aber nun als unerträglich und wünscht eine neue Versorgung. Diese Situation ist für jeden Zahnarzt nachvollziehbar. Die Frage lautet: Welche Kriterien können hierzu seitens des Gutachterreferates entwickelt werden? Auch kennen wir alle den Patienten, der sich über sichtbare Wurzelbereiche unterhalb des Kronenrandes bei einer Neuversorgung beschwert oder über die falsche Farbe der Verblendung. In der Regel gelingt es uns, die Wünsche des Patienten zu erfüllen. Reißt aber die Kommunikation ab, muss oft der Gutachter versuchen, die beklagten Mängel zu objektivieren. Hier stellen sich wiederum die Fragen: Wie können wir mit diesen Fällen umgehen? Wo sind die Grenzen vertragszahnärztlich notwendiger Versorgung? Was sind berechtigte Anforderungen? Foto: KZVB Zahnersatz und Ästhetik in der vertragszahnärztlichen Versorgung In den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses heißt es unter anderem: · Ziel der Versorgung mit Zahnersatz ist es, eine ausreichende Funktionstüchtigkeit des Kauorgans wiederherzustellen oder ihre Beeinträchtigung zu verhindern. · Der Zahnarzt soll Art Zahnarzt Dr. Armin Walter ist und Umfang des ZahnKZVB-Referent für das Gutachersatzes nach den anaterwesen. tomischen, physiologischen, pathologischen und hygienischen Gegebenheiten des Kauorgans bestimmen. Im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung bestimmt der Zahnarzt nach entsprechender Aufklärung und unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Art und Umfang der Behandlungsmaßnahmen. Der Zahnarzt hat den Patienten über die nach den Richtlinien ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Formen der Versorgung aufzuklären. · Die Schonung und Erhaltung natürlicher und intakter Zahnhartsubstanz hat Vorrang vor der Versorgung mit Zahnkronen. Zahnkronen sind angezeigt, wenn sich aus dem klinischen und röntgenologischen Befund der erkrankten Zähne einschließlich ihrer Parodontalgewebe ergibt, dass sie nur durch Kronen erhalten werden können. Indikation bei Neuversorgung Welche zahnmedizinischen Maßnahmen bei der Neuversorgung anzuwenden sind, hat der Gemeinsame Bundesausschuss für die Befunde „ww“ oder „pw“ bei der Befundklasse 1 (Erhaltungswürdiger Zahn) wie folgt definiert: · Befund 1.1: Erhaltungswürdiger Zahn mit weitgehender Zerstörung der klinischen Krone oder unzureichende Retentionsmöglichkeit · Befund 1.2: Erhaltungswürdiger Zahn mit großen Substanzdefekten, aber erhaltungswürdiger vestibulärer und/oder oraler Zahnsubstanz 50 BZB Oktober 12 Praxis Fotos: Dr. Armin Walter KZVB Abb. 1: Indikative Neuversorgung eines endodontisch behandelten Zahns mit Verfärbung Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) veröffentlichte in ihren wissenschaftlichen Mitteilungen den Beitrag „Indikation von Kronen und Teilkronen (der geschädigte Zahn)“. Darin heißt es: „Indikation für die Therapie mit Kronen und Teilkronen können der Ersatz von fehlender Zahnhartsubstanz, verfärbte natürliche Kronen (Alternativen … sind abzuwägen), multiple Füllungen, der Aufbau fehlender Stützzonen, die Wiederherstellung der Kieferrelation, Brückenpfeiler und die Verankerung von kombiniertem Zahnersatz sein.“ Der verfärbte Einzelzahn kann eine Indikation für eine Krone darstellen, wenn eine Stabilisierung der Zahnhartsubstanz nach endodontischer Behandlung notwendig ist (Abb. 1). Grundsätzlich kann aber eine Krone nur dann als Regelleistung im vertragszahnärztlichen Bereich befürwortet werden, wenn der Zahn konservierend nicht dauerhaft versorgt werden kann. Eine ästhetische Indikation bei einer Neuversorgung gehört nicht zum vertragszahnärztlichen Spektrum. Die vertraglichen Richtlinien legen fest, dass es ausschließlich auf den Zerstörungsgrad der Zahnhartsubstanz ankommt oder eventuell auf die Retention beim Befund „ur“ (Abb. 2). Beurteilung von Mängeln Die Situation nach prothetischer Versorgung ist anhand der Richtlinien zu prüfen. In der Richtlinie B „Voraussetzungen für Leistungsansprüche der Versicherten im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung“ heißt es: · Versicherte haben Anspruch auf medizinisch notwendige Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist. Abb. 2: Mangelhafte Ästhetik, keine Zerstörung der klinischen Krone · Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Dies gilt auch für gleichartige und andersartige Versorgungen. In den Richtlinien zur Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen heißt es unter D I 20: · Zur Regelversorgung gehören metallische Vollund Teilkronen. Ebenfalls zur Regelversorgung gehören vestibuläre Verblendungen im Oberkiefer bis einschließlich Zahn 5, im Unterkiefer bis einschließlich Zahn 4. Im Bereich der Zähne 1 bis 3 umfasst die vestibuläre Verblendung auch die Schneidekanten. Das bedeutet, dass die Verblendungen im Bereich der Verblendgrenzen, bei den sechs Frontzähnen einschließlich der Schneidekanten, auch im vertragszahnärztlichen Bereich den allgemeinen medizinischen Erkenntnissen entsprechen müssen. Die Gutachter legten bei ihrer Tagung die Anforderungen bezüglich Qualität und Wirksamkeit an Verblendungen nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse wie folgt fest: · Verblendungen sollen die natürlichen Zähne, soweit es möglich ist, ästhetisch imitieren. Dabei gilt: - der vestibuläre Kronenrand soll epi- oder subgingival liegen und nicht sichtbar sein (Abb. 3) - die Farbe soll den umgebenen Zähnen angepasst sein - die Form soll ästhetisch den natürlichen Zähnen entsprechen - die Brückenglieder sollen natürlich auf dem Weichgewebe aufliegen - das umgebene Weichgewebe soll natürlich erhalten bleiben Praxis BZB Oktober 12 51 KZVB Abb. 3: Frontzahnkrone mit sichtbarem Kronenrand Abb. 4: Insuffiziente Brücke/Verblendung Abb. 5: Frontzahnkrone mit sichtbarem Kronenrand, insuffiziente Verblendung Abb. 6: Insuffiziente Brücke/Verblendung - die Lippenform und der Gesichtsausdruck sollen natürlich erhalten bleiben · Bei den Anforderungen an die Gestaltung von Kronen oder Brückengliedern ist immer die Patientenanatomie zu berücksichtigen. · Bei der Lage des Kronenrandes muss besonders die Gingivamorphologie berücksichtigt werden. · Bei einer dünnen Gingiva oder nur wenig Attached Gingiva ist eine optimale Lage des Kronenrandes oft nicht möglich. Auch kann der Kronenrand bereits nach einigen Monaten durch Rezession entblößt werden. In diesen Fällen liegt kein zahnärztlich zu vertretender Mangel vor. Als mangelhaft wurde etwa übereinstimmend beurteilt, wenn die Metallränder bei Doppelkronen im Frontzahnbereich nach der Eingliederung vollständig sichtbar waren. Indikation bei insuffizienten Verblendungen Insuffiziente Verblendungen, die nicht mehr den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erfüllen, können mit den Befunden „kw“ oder „tw“ bezeichnet werden. Hierbei liegt keine absolute Indikation wie bei funktionellen Mängeln zum Beispiel in den Bereichen Kinetik, Okklusion, mangelhafte Reinigungsmöglichkeit oder Phonetik vor, sondern eine relative Indikation (Abb. 4): · Die insuffiziente Verblendung muss für den Patienten eine psychische Belastung darstellen, die nachvollziehbar ist. Dabei kann Ästhetik nicht allgemeingültig definiert werden und variiert individuell und zeitlich (Abb. 5). · Bei objektiv nicht nachvollziehbaren Wünschen des Patienten handelt es sich um rein kosmetische Maßnahmen, die keine vertragszahnärztliche Versorgung indizieren. Der Patient ist somit der ausschlaggebende Faktor bei der Bewertung der Insuffizienz von Verblendungen, die anhand der oben dargestellten Parameter im vertragszahnärztlichen Verblendbereich geprüft werden muss (Abb. 6). Fazit Mit diesen Feststellungen haben die Gutachter in Bayern erneut eine Benchmark für die Qualität der zahnärztlichen Versorgung gesetzt. Für die Planung und Ausführung von Verblendungen im vertragszahnärztlichen Bereich werden diese Stellungnahmen eine große Hilfe im zahnärztlichen Alltag sein. Zahnersatz und Ästhetik wird zukünftig kein Tabuthema mehr sein. Dr. Armin Walter