Marburg, 28.07.2016 Sicherheit durch Teilhabe – Sozialpsychologische Implikationen zur Prävention von Terror und Amok Die Gewalttaten von Würzburg, München, Reutlingen und Ansbach und die Terrortaten in Frankreich erschrecken Deutschland und Europa. Die Politik muss handeln. Sie tut dies gegenwärtig vornehmlich mit Forderungen nach gesteigerter Kontrolle. Dies ist richtig, solange solche Maßnahmen im rechtstaatlichen Rahmen bleiben und solange sie Ausgrenzung vermeiden. Kontrolle und Repression werden aber nicht ausreichen. Attacken mit Messer und Axt wie die im Nahverkehrszug bei Würzburg werden sich mit gesteigerter Präsenz von Sicherheitspersonal und verschärften Waffengesetzen nicht verhindern lassen. Die jüngste Vergangenheit zeigt darüber hinaus, dass auch Versuche der vorzeitigen Entdeckung potentieller Täter nicht immer greifen: Der Täter von Ansbach war im Vorfeld seiner Taten unauffällig und zeigte psychische Symptome, die in der Regel nicht mit gesteigerter Gewaltbereitschaft einhergehen. Die gegenwärtige Diskussion um die aktuelle Gefahrenlage durch Terror und Amok bedarf dringend einer wesentlichen Ergänzung: Maßnahmen der primären Prävention. Die Sozialwissenschaften verfügen über Wissen über die Ursachen von Terror- und Amokgewalt: Die oft jungen Täter – überwiegend Männer – befinden sich in Lebenskrisen, sie fühlen sich benachteiligt, sie empfinden massive Ungerechtigkeiten. Und, ihnen fehlen Freunde und Bezugspersonen außerhalb des Internet. Solche Konstellationen können zu Selbsttötungen führen. Wenn sich dann aber scheinbare Alternativen auftuen, wie mit einer mörderischen Ideologie durch den sogenannten Islamischen Staat, mit Vorbildern von Gewaltexzessen durch Videospiele oder mit reißerischen Berichten von Amok- und Terrortaten durch das Internet und die Medien, kann subjektive Verzweiflung in Gewalt gegen andere umschlagen. Evidenzbasierte Politik heißt Politikgestaltung unter Hinzuziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Eine Implikation der Befundlage ist, Benachteiligungen, Diskriminierung und Ungerechtigkeiten zu reduzieren. Das bedeutet unter anderem, Integration zügig und für alle transparent voranzutreiben. Es bedeutet auch, unsichere Aufenthaltsstatus zu vermeiden. Menschen, die sich von Abschiebung bedroht sehen, haben nur wenig Veranlassung, sich normkonform zu verhalten. Zumindest vorübergehendes Aufenthaltsrecht zur eigenen Weiterqualifikation wäre, auch bei zweifelhaftem Asylstatus, eine Maßnahme zur Erhöhung der inneren Sicherheit. Eine weitere Implikation aus der wissenschaftlichen Analyse ist, dass den Rechtfertigungsangeboten für Gewalt etwas entgegengesetzt werden muss: Dies betrifft - erneut und immer noch – den ungeschützten Konsum von Gewaltspielen in den Griff zu bekommen. Dazu gehört auch die Selbstkontrolle der Medien: Wenn selbst die Öffentlich-Rechtlichen Fernsehanstalten am Abend der Gewalttaten in München in Endlosschleife Bilder hilfloser Menschen auf der Flucht und desorientierter Polizisten präsentieren, veranlasst das potentielle Nachahmungstäter, in Machtphantasien darüber zu schwelgen, wie leicht sie das öffentliche Leben in Panik versetzen könnten. Berichterstattung ist in einer offenen demokratischen Gesellschaft erforderlich, sie muss aber in der Form angemessen bleiben. Und, die scheinreligiösen Rechtfertigungsangebote für brutale Mordattacken von Islamisten müssen ausgehebelt werden. An dieser Stelle sind die muslimischen Glaubensgemeinschaften besonders gefragt, nicht weil sie irgend eine Form der Mitschuld trifft, sondern weil sie vielleicht noch zuerst auf potentielle Täter Einfluss nehmen können. Wirkliche und in der gegenwärtigen Situation langfristig wirksame Prävention von Amok und Terror darf nicht alleine auf Gegengewalt setzen. Sie erfordert eine Bündelung von Maßnahmen, die an den Ursachen ansetzen. Amok und Terrorismus werden damit nicht vollständig aus der Welt geschaffen werden. Angebote zur gesellschaftlichen Teilnahme und glaubwürdige Vorbilder für nicht-gewalttätige Konfliktlösungsstrategien werden aber den Kreis derjenigen, die potentiell als Täter in Frage kommen, reduzieren und damit zur Befriedung beitragen. Prof. Dr. Ulrich Wagner, Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Psychologie und Zentrum für Konfliktforschung. [email protected], 06421 282 3664 PD Johannes M. Becker, Philipps-Universität Marburg, Zentrum für Konfliktforschung Simon Greipl, Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Psychologie Lisa Gutenbrunner, Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Psychologie Patrick Kotzur, Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Psychologie Dr. Jost Stellmacher, Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Psychologie