Design als Botschafter der Markenidentität Mai 2010 | Holger Ellerbrock | Masterplan Unternehmens- und Marketingberatung Ellerbrock Design ist mehr als reine Formsache. Dieses kleine Wortspiel kann auch treffend auf die Interpretationsbreite des Begriffs Design im englischen Sprachgebrauch im Vergleich zur deutschen Sprache angewendet werden. Denn die englische Sprache verwendet den Begriff über die Gestaltung der Form (z. B. eines Produktes) hinaus umfassender im Sinne von etwas entwickeln, entwerfen, konstruieren oder aufbauen. In dieser Interpretationslinie zeigt sich schon eine semantische Nähe zum Begriffsspektrum der Marke, das in seiner breit anerkannten wissenschaftlichen Auslegung ebenfalls gestalterische und konstruktive Inhalte in den Vordergrund stellt, nämlich den Aufbau und die Entwicklung eines unverwechselbaren Vorstellungsbildes in der Psyche des Verbraucher (vgl. H. Meffert, 2002). Die Tatsache, dass beide Erfolgsfaktoren zeitgemäßer Unternehmensstrategien mit dem Konsumenten die gleiche zentrale Bezugsgröße aufweisen und dabei vor allem auf emotionaler Ebene wirken, lässt vermuten, dass zwischen beiden eine enge Beziehung besteht mit – wie noch zu sehen sein wird – wechselseitigen Synergien. Design ist heute vielfach ein vernetzter Prozessbestandteil bei der Entwicklung, Gestaltung und Vermarktung der Unternehmensleistung. Design ästhetisiert das Unternehmen, seine Tradition und Werte, seine Ideen und Leitbilder, seine Mission, die Identität des Unternehmens nimmt Gestalt an. Design profiliert Marken und eröffnet neue Perspektiven und Märkte. Design ist ein Wertschöpfungsfaktor und leistet einen Beitrag zur Unternehmenswertsteigerung. Die zunehmende Bedeutung von Design als Marketingfaktor ist primär auf Veränderungen im Verbraucherverhalten zurückzuführen. Zum einen setzen die Konsumenten die zentralen Profilierungsfaktoren von einst, Qualität und Funktion, heute als selbstverständliche Grundeigenschaften der Produkte voraus. Der entscheidende Kaufimpuls entsteht immer häufiger auf emotionaler Ebene und genau hier setzt ansprechendes Produktdesign und seine Begehrlichkeit primär an. Zum anderen hat das Empowerment der Verbraucher zur Emanzipation und Aufklärung der Konsumenten beigetragen. Moderne Informationstechnologien und Dialogkommunikation haben die traditionelle Distanz zwischen Herstellern und Verbrauchern deutlich verringert und zur Entmystifizierung von Produkten und auch ihrer Gestaltung beigetragen. www.masterplan-consult.de Seite 1 von 5 Das Herstellerangebot sowie unsere gesamte Alltagsumgebung werden nicht mehr als Gott oder Natur gegeben, sondern vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Individualisierung von Gesellschaft, Zielgruppen und folglich auch Bedürfnissen vielmehr als grundsätzlich veränderbar, als anpass- und formbar wahr-genommen. In der Folge ist etwa seit Mitte der 90er Jahre bei den Konsumenten eine generell wachsende Sensibilisierung für Formen entstanden. Weitergehende, spezifische Bedeutungszuschreibungen auf psycholo-gischer Motivebene verstärkten diesen Trend und mündeten in einen Ästhetisierungsdrang, der heute nahezu alle Lebensbereiche umfasst. So dient Design immer häufiger auch als Identitätsmarkierer und Sinnstifter, z. B. wenn vor dem Hintergrund einer abnehmenden Relevanz tradierter Werte neue, zumeist auf Selbstverwirklichung abzielende Orientierungen treten. In diesem Nutzenkontext übernimmt das Produktdesign für seinen Anwender oder Besitzer über das Vehikel spezifischer Kennerschaft eine Ausweisfunktion im Sinne einer Zugehörigkeit zu einer Konsum- bzw. Kennerschaftselite. Des Weiteren verleiht die Sehnsucht nach Rückzug aus unserer überwiegend ratiobestimmten Welt dem Anmutungsgehalt von gutem Design einen neuen, höheren Stellenwert. Die Umgebung mit dem Schönen strahlt wohltuend auf den allzu häufig grauen Alltag und stimuliert unsere Sinne. Diese neue Sinnlichkeit ist die vielleicht wichtigste Grundlage für den Bedeutungszuwachs von Design als primäre Nutzenstiftungsdimension. Der Soziologe Norbert Bolz spricht in diesem Zusammenhang von der „Theatralisierung des Alltags“, dem wachsenden „Inszenierungsdrang einer entzauberten Gesellschaft.“ An dieser Stelle treffen sich die Wirkungskreise von Design und Marke. Denn auch die Marke hat als Marketinginstrument in den heutigen dynamischen, multidimensionalen Zielgruppenräumen, die sich zunehmend nach fragmentierten Sinn- und Handlungskontexten und immer weniger nach weitgehend stabilen sozialen Schichten strukturieren, in den vergangenen Jahren einen enormen Bedeutungs-zuwachs erfahren, der sich vor allem auf ideeller Wertebene manifestiert. Die erweiterte Markenfunktion und die Emotionalisierung von Marken haben den Markenmanagern nach der weitgehenden Angleichung der Produktgrundnutzen eine neue Differenzierungs- www.masterplan-consult.de Seite 2 von 5 ebene eröffnet und das Produktdesign übernimmt dabei eine zentrale Rolle. Denn das Design gibt Marken Gestalt, macht deren Welt erlebbar und ermöglicht im Einzelfall sogar Assoziationen, die über die klassischen Kommunikationsformen nicht oder nicht in der gleichen Intensität entstanden wären. Dies gilt besonders für Gebrauchsgüter, die mit langen Stand- und Verwendungszeiten ihr Markenversprechen nicht nur über eine lange Dauergebrauchstauglichkeit, sondern auch über ihren Anmutungsgehalt im Alltag immer wieder aufs Neue einlösen müssen. Das Produktdesign hat sich neben der klassischen Werbung mithin zu einer der zentralen Ausdrucksformen für über Jahre sorgfältig auf-gebaute Markenidentitäten entwickelt. Die Werte, Anschauungen und Emotionen, für die die Marke stehen will, werden buchstäblich greifbar und damit verständlich. Gutes Design geht dabei über die reine ästhetische Faszination hinaus. Das haptische Erlebnis von edlem Material vermittelt dem Benutzer beispielsweise ebenso wie die sprichwörtlich fassbare Solidität einer hochwertigen Badarmatur oder die Bedienfreundlichkeit eines ergonomisch geformten Türgriffs viel unmittelbarer und immer wieder das Gefühl, die richtige Markenwahl getroffen zu haben als jeder noch so gut gestaltete TV-Spot. Marke und Design ergänzen sich als Marketinginstrumente gegenseitig, d. h. gutes Design profitiert umgekehrt auch von einer gut geführten Marke. Die Kraft des Erschaffens, alles Formgebende lebt zunächst von der Freiheit, der Fantasie und Kreativität, der Inspiration. Doch eine für die Erreichung von Unternehmens- und Marketingzielen strategisch eingesetzte, sich gegenseitig verstärkende Symbiose von Marke und Design benötigt einen gemeinsamen Kontext und Sinn. Eine prägnant formulierte Markenidentität gibt dem Design eine Richtung und minimiert das Risiko der Beliebigkeit von Gestaltungen. Analog zur Weiterentwicklung von sorgfältig gepflegten Markenphilosophien im Spannungsbogen zwischen Kontinuität und Wandel (als die eigentliche Kunst der Markenführung) entsteht mit einer auf die Markenidentität abgestimmten Designphilosophie, im Laufe der Zeit eine gestaltende Kraft, die in sich stimmig, authentisch und zwingend ist und die den eigentlichen Hauptzweck einer Produktmarkierung wirkungsvoll unterstützt: den Aufbau von Einzigartigkeit, Differenzierungsstärke und letztlich Präferenzbildung beim Konsumenten. Liegen die Vorteile eines professionellen Designmanagements als Marketinginstrument und Wertschöpfungsfaktor offensichtlich auf der Hand, so stellt sich die Frage nach dem Status Quo in der betrieblichen Anwendungspraxis. Bei Designmanagement www.masterplan-consult.de Seite 3 von 5 geht es primär nicht um Schönheit, sondern um den Aufbau und die Entwicklung von Strukturen, Ressourcen und Prozessen zum zielgerichteten Einsatz von Design im Kontext eines holistischen Markenführungsansatzes. Wie kann professionelles Design in der Zusammenführung der vorge-nannten Bestandteile als integrierende Qualität für den Markterfolg ausgerichtet werden? So verstanden teilt sich die Gesamtheit der mit diesem Thema befassten Unternehmen nach Maßgabe ihrer jeweiligen Entwicklungsphase, ihrer unternehmerischen Werte und Ziele in drei Gruppen (vgl. U. Kern, 2000 ff). Die erste Gruppe von Unternehmen hat von Design kein ausgereiftes Verständnis. Sie praktizieren es, aber eher opportunistisch, in dem sie Designkompetenz ab und zu einkaufen, ohne jedoch eine tiefere Beziehung zu dem Thema zu entwickeln. Auf diese Weise werden bestenfalls einzelne Zufallstreffer erzielt, deren Wirkung aber schnell verpufft und die somit nicht geeignet sind, um eine nachhaltige Positionierung aufzubauen. Die zweite Gruppe nähert sich der Aufgabe professioneller, mit einem systematischen Ansatz, gegebenenfalls sogar mit eigenen Ressourcen, der auch unmittelbare Wertschöpfungsbeiträge liefert. Tatsächlich aber hat Design in dieser Gruppe von Unternehmen nicht den Stellenwert, den es nach außen vorgibt. Man beugt sich dem offenbaren Primat des Marktes, verachtet Design aber im Grunde als Disziplin und fördert auch keine ernsthafte Entwicklung über den unmittelbaren Vermarktungskontext hinaus. Hier fehlt häufig die Verankerung des Themas in der Unternehmensphilosophie und letztlich das Commitment des Managements. Erst die dritte Gruppe von Unternehmen nimmt sich des Themas professionell und umfassend an. Sie entwickeln und integrieren Design umsichtig und konsequent im Rahmen eines Top-Down-Ansatzes in die Unternehmens- und Markenphilosophie. Sie schaffen die notwendigen Strukturen und Prozesse und fordern und fördern ergebniswirksame Leistungen. Sie kultivieren insbesondere den Kommunikationswert von Design im Einklang mit den Markenwerten zum Wohle des eigenen Unternehmens und als Beitrag zur jeweiligen Branchenentwicklung und legen nicht zuletzt Wert auf Kontinuität bei Personen und inhaltlicher Ausrichtung. Hierfür sind eine gewachsene Unternehmensidentität mit klaren Wertvorstellungen und ein Management, das sich dem Design als Leitidee verpflichtet fühlt, die wesentlichen Voraussetzungen. Erfreu-licherweise sind seit Mitte der 90er Jahre einige äußert www.masterplan-consult.de Seite 4 von 5 erfolgreiche Vorreiter besonders im Bereich international ausgerichteter mittelständischer Unternehmen zu beobachten, die ihren Geschäftserfolg vor allem auf ein professionelles Designmanagement gründen. Beispielhaft seien DORNBRACHT und Duravit im Sanitärmarkt, ERCO für den Bereich Leuchten, FSB bei Türgriffen und VITRA bei Möbeln genannt, die sich in besonderer Weise um dieses Thema verdient gemacht haben. Den genannten Unternehmen ist im Übrigen gemein, dass sie nicht nur ihr Designmanagement unternehmerisch entwickelt und kultiviert haben. Diese Unternehmen haben es – wie im vorliegenden Beitrag angeregt – verstanden, ihr Design- und Markenmanagement zu einem gleich gerichteten, strategisch orientierten Wirkungssystem zusammenzuführen, dessen vielfältige Erfolgsbeiträge letztlich verschmelzen und das auf diese Weise seine Gestaltungskraft im Markt potenziert. Den aufgeführten Unternehmen ist aus markenstrategischer Sicht ferner gemein, dass sie zur Profilierung ihrer jeweiligen Marke Dach-markenstrategien gewählt haben, d. h. die Produktmarke entspricht der Unternehmensmarke („Branded House“, vgl. Aaker/Joachimsthaler, 2000 bzw. Laforet/Saunders, 1999). Bei diesem Strategieansatz kommt in der Wahrnehmung der Marke auf der Ebene der einzelnen Bezugsgruppen des Unternehmens (Stakeholder-Perspektive) zu den individuellen, unmittelbaren Produktqualitäten, wie z.B. Materialqualität, Funktion und Anmutungsgehalt des Produkts eine weitere Profilierungsebene hinzu, nämlich die über Jahre gewachsenen, organi-sationalen Fähigkeiten und Kompetenzen, das kollektive Know-How eingebettet in Prozesse, Strukturen und Systeme (vgl. H. Meffert, 2000) sowie die in der Unternehmenskultur verankerten Werte und Normen. All diese Faktoren stehen hinter gutem Design und werden mit ihm sichtbar. Design ist eben mehr als reine Formsache. www.masterplan-consult.de Seite 5 von 5