Ulla Schmidt wirft CSU "Schaufensterpolitik" vor

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25.02.2009
Ulla Schmidt wirft CSU "Schaufensterpolitik" vor
Ministerin verteidigt Gesundheitsreform
Ulla Schmidt im Gespräch mit Birgit Kolkmann
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat die Kritik aus Bayern an der Reform der
Ärztehonorare zurückgewiesen. Ärzte in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern müssten für
die gleiche Arbeit auch das gleiche Honorar bekommen, sagte die SPD-Politikerin.
Birgit Kolkmann: Seit zwei Monaten sind zentrale Bestandteile der Gesundheitsreform in Kraft
und sie läuft offenbar nicht rund. Wir sind jetzt verbunden mit der SPD-Gesundheitsministerin Ulla
Schmidt. Schönen guten Morgen, Frau Schmidt!
Ulla Schmidt: Guten Morgen!
Kolkmann: Da haben wir nun gerade gehört, da werden die Krankenkassen regelrecht dazu
verführt, falsche Diagnosen mit einzusortieren. Wird da getrickst, wo es geht, nur um mehr Geld
abzuziehen?
Schmidt: Wenn ich den Beitrag richtig verstanden habe, ging es darum, dass die Diagnosen, die
von Ärzten gestellt werden, auch richtig codiert werden. Da gibt es offensichtlich in der
Vergangenheit Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten, vielleicht auch, weil es kein
transparentes Honorierungssystem bis jetzt gab. Wir haben ganz klargestellt: Ärzte müssen
Diagnosen richtig codieren und niemand, weder Arzt noch Krankenkasse, darf darauf drängen, dass
es ein falsches Codieren gibt und als die ersten Diskussionen kamen, ist sofort die Aufsicht auch
tätig geworden. Wir gehen davon aus, dass es dieses Problem jetzt nicht gibt.
Kolkmann: Werden Sie da auch noch etwas mehr tun, um dieses in Zukunft zu verhindern? Das
Bundesversicherungsamt möchte ja offenbar grundsätzliche Änderungen an der neuen
Gesundheitsreform, damit solche Fehldiagnosen unterbunden werden. Was kann konkret
geschehen?
Schmidt: Es geht nicht um Fehldiagnosen, ich muss das wirklich so richtig stellen.
Kolkmann: Na ja, wenn die Diagnosen schärfer ausgestellt werden, als sie eigentlich sind, …
Schmidt: Nein, das darf nicht sein.
Kolkmann: … dann ist es eine Fehldiagnose.
Schmidt: Dann ist es eine Fehldiagnose. Die kann es auch geben, weil man vielleicht nicht genug
weiß. Aber wenn jemand eine Diagnose falsch codiert mit der Absicht, dass daraus mehr Geld
fließen soll, der macht sich strafbar. Das ist ganz einfach, das ist Betrug und da werden wir auch
dementsprechend reagieren. Und das Zweite ist: Es geht nicht um den Fonds, sondern es geht
darum, wie das Geld verteilt wird, und da sind alle dafür, dass das Geld verteilt wird, dass dort, wo
mehr ältere Menschen sind, wo mehr Behandlungsbedarf ist, auch mehr Geld hinfließt. Und das
muss korrekt geschehen, und das wird vom Bundesversicherungsamt, das ja die Aufsicht darstellt,
auch genau überwacht und dort ist ein System aufgebaut worden, das nicht missbrauchsanfällig sein
soll und das wird überprüft. Da mache ich mir im Moment auch gar keine Sorgen, weil ich glaube,
dass die Beamten dort sehr aktiv sind und dass die Krankenkassen aber auch die Ärzteschaft wissen
muss: Wenn hier etwas falsch läuft, werden sie mit Konsequenzen rechnen müssen.
Kolkmann: Sie haben eben gesagt, da soll etwas Konkretes geschehen. Was konkret denn?
Schmidt: Es soll überprüft werden, dass es keine Falschcodierungen gibt. Eine richtige Codierung
ist das, was wir auch möchten. Eine Diagnose muss richtig codiert werden, da hat niemand etwas
dagegen. Aber wenn jemand das nutzt über Verträge, wie ja in der Diskussion war, dass man sagt,
man muss hier nur für bestimmte Kassen richtig codieren und für andere nicht, dann wird dies nicht
geduldet, dann verstößt das auch gegen die Regeln, die aufgestellt sind. Und wenn es in
betrügerischer Absicht geschieht, verstößt es gegen geltendes Recht und dann muss man auch mit
der Staatsanwaltschaft rechnen.
Kolkmann: Da gibt es ja auch den Vorschlag von Karl Lauterbach, dem SPD-Gesundheitsexperten,
der gesagt hat, man solle dann die Vergabe der Gelder daran knüpfen, welche Medikamente der Arzt
in einem Krankheitsfall verschreibt, weil man dann auch auf die Erkrankung rückschließen kann.
Schmidt: Ist ja heute schon bei der Frage … Der Risikostrukturausgleich orientiert sich ja an den
Medikamenten und Verschreibungen dort, an Krankenhausaufenthalten, und das wird auf die
bestimmten Diagnosen zurückgeführt. Und deswegen braucht man ja eine Datenbasis, um zu
erkennen: Wo sind denn wirklich die kranken Menschen, wo ist denn der erhöhte
Behandlungsbedarf? Und da sind eben die Fragen: Wie sind die Daten im ambulanten Sektor? In
dem Krankenhaussektor ist das relativ einfach, auch mit dem Fallpauschalensystem, beim
Medikamentenverbrauch ist es auch relativ einfach zu überprüfen, und die Daten im ambulanten
Sektor hängen auch sehr viel davon ab, wie die Diagnosen auch codiert wurden. Da hat man
festgestellt: Die Daten sind offensichtlich nicht so hundertprozentig fest wie sie sein sollten, und
dadurch hat es die Diskussionen jetzt gegeben, aber mehr Transparenz, wie sie jetzt der
morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich schafft oder auch der Gesundheitsfonds schafft, soll
ja dazu führen, dass Dinge, die vielleicht nicht optimal liefen, auch korrigiert werden können und da
können Sie sicher sein: Da sind wir sehr wachsam. Und da ist auch das Bundesversicherungsamt
sehr aktiv, um zu sagen: Leute, es nützt euch auch nichts, wenn ihr etwas falsch macht, weil wir
eben auch nur bestimmte Daten nutzen und auch nur bestimmte Daten darin einfließen. Aber darauf
zu achten, dass eine Diagnose auch anschließend im Abrechnungsverfahren richtig codiert wird, das
ist, glaube ich, auch etwas, was geschehen muss.
Kolkmann: Kommen wir noch zu dem Beispiel der Honorare. Die CSU sagt, dass, wenn alle Ärzte
das Gleiche bekommen, ist das eigentlich nicht gerecht, denn Kosten und Lebensbedingungen,
Lebenshaltungskosten seien nun mal nicht überall gleich, und hätte das gerne alles wieder
zurückgedreht. Hat sie da nicht auch ein bisschen recht?
Schmidt: Ja, gut, aber die Kosten im Bayerischen Wald sind andere als die in München, und die in
Hamburg sind andere als die vielleicht in Schleswig-Holstein in der ländlichen Region. Die
Debatte, ob in Bayern insgesamt die Kosten höher sind als in anderen Regionen, hat der
Bewertungsausschuss geführt und die sind zu dem Schluss gekommen, dass es im Schnitt nicht so
ist. Es ist in München sicherlich teurer zu leben als in Passau, aber nicht in Bayern insgesamt. Das
ist die erste Feststellung. Deshalb hat man das abgelehnt, dass es dort eine besondere Zuweisung
geben soll. Und das Zweite: Ich finde es nicht gerecht, dass Ärzte zum Beispiel in Thüringen, dass
Ärzte in Sachsen-Anhalt dauernd 20 Prozent weniger Honorar vielleicht erhalten als Ärzte in
Bayern, obwohl sie die gleiche Arbeit leisten. Ein Hausarzt leistet überall die gleiche Arbeit. Da
kommt es darauf an, Diagnosen zu stellen, einen Patienten zu begleiten und Therapien zu
entwickeln. Und deshalb ist ja ein Ziel der Honorarreform, dafür zu sorgen, dass erst mal die, die
viel weniger hatten, jetzt entscheidend mehr bekommen, dass alle auf ein gleiches Level gehoben
werden und jeder auch mehr bekommt, denn die meisten haben im letzten Jahr schon mehr erhalten,
und dass dann auf dieser Basis auch weiter entwickelt wird, dass man sagt, eine Behandlung eines
Diabetikers ist in Aachen, in Berlin oder Hamburg oder München und Passau oder auch in der
Uckermark kein unterschiedlicher Aufwand, sondern der Patient braucht immer die volle Kraft und
Anwesenheit auch des Arztes.
Kolkmann: Ist da diese Kritik aus der CSU ein neuaufziehender Koalitionsstreit?
Schmidt: Es ist kein Koalitionsstreit, das sehe ich nicht so. Ich sehe, dass ein bisschen auch
Schaufensterpolitik gemacht wird, denn einen Entschließungsantrag zu stellen, dass die
Honorarreform jetzt wieder rückgängig gemacht wird, bedeutet ja, dass die CSU fordert: zurück zur
Budgetierung, zurück zu Punktwerten und einen Abschied davon nehmen, was wir alle wollen, dass
Ärzte in Euro und Cent wissen, was sie für eine medizinische Leistung erhalten. Wo wir Probleme
haben, ist in der Frage: Wie wird das Geld denn verteilt? Und da sind derzeit Ärzte und
Krankenkassen auch dabei, zu sehen: Wo muss da eventuell zwischen den einzelnen Arztgruppen
noch nachjustiert werden, dass es zu keinen auffälligen Verlusten für einzelne Arztgruppen kommt?
Es gibt da Probleme im Bereich der Verteilung der Gelder zwischen den Arztgruppen und das muss
geregelt werden, und da würde ich mir eigentlich von der CSU etwas mehr auch Redlichkeit
dahingehend erwarten, dass man sagt, lasst uns die Probleme gemeinsam lösen. Es ist ein
bayerisches Problem und es ist Aufgabe des bayerischen Gesundheitsministers, dafür zu sorgen,
dass in der kassenärztlichen Vereinigung Bayern die Gelder und Honorare vernünftig verteilt
werden.
Kolkmann: Vielen Dank, das war Ulla Schmidt von der SPD, die Gesundheitsministerin, zwei
Monate nach dem Start des Gesundheitsfonds. Vielen Dank dafür!
Schmidt: Ja, auf Wiedersehen!
Das Interview mit Ulla Schmidt können Sie bis zum 25. Juli 2009 in unserem Audio-on-DemandAngebot nachhören. MP3-Audio
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