THEMA Stolzes oder lästiges Erbe? Sachsen gibt im Ländervergleich das meiste Geld für Kultur aus – die Theater müssen dennoch gegen den Rotstift kämpfen von Michael Bartsch Der Stolz, mit dem in Festreden oder Landtagsdebatten von der „reichen sächsischen Theaterlandschaft“ die Rede ist, klingt nie ganz überzeugend. Seit 26 Jahren schwingt stets auch ein „leider“ mit, denn das reiche Erbe bedeutet auch eine Last. Die Zeiten, als ein kulturbewusstes Bürgertum beispielsweise im heute nur 24 000 Einwohner zählenden mittelsächsischen Döbeln 1872 auf einen prächtigen Theaterneubau drängte, sind nicht nur in Sachsen vorbei. Die DDR wiederum leistete sich mit rund 70 Bühnen und 200 Spielstätten relativ zur Einwohnerzahl das dichteste Theaternetz der Welt. Überproportional konzentrierten sich diese Häuser wiederum im Süden, also in den heutigen mitteldeutschen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Den Wegfall der hohen staatlichen Subventionen sollte 1990 eine bis 1994 laufende Übergangsfinanzierung des Bundes ausgleichen. 3,3 Milliarden Mark flossen damals in jene Kultursubstanz Ost, die laut Einigungsvertrag keinen Schaden nehmen sollte. Genau das war aber zu befürchten, als anschließend Länder und Kommunen die Finanzierung übernehmen sollten. Sachsen reagierte damals am konsequentesten mit einer Erfindung, die bis heute für das Schicksal der staatlich geförderten Bühnen von entscheidender Bedeutung ist: mit dem Kulturraumgesetz. Erfindung Kulturraum Zunächst wurde der „importierte“ Kulturmanager Matthias Theodor Vogt noch misstrauisch beobachtet, als er mit einer Kommission durchs Land zog und die Kultureinrichtungen evaluierte. Sein daraus resultierendes Kulturraumgesetz, das der Landtag Ende 1993 beschloss, aber gilt als Pionierleistung. Sachsen wurde in drei urbane und heute fünf ländliche Kulturräume aufgeteilt. Sie verwalten je eine Kasse, in die der Freistaat Sachsen und die tragenden Landkreise solidarisch einzahlen. Bei großen Einrichtungen sind außerdem die Gemeinden involviert. Die Kulturräume bestimmen selbst, was sie fördern, und das sind bei weitem nicht nur die großen und teuren Theater und Orchester. Doch die Gefahr des „Kulturkannibalismus“, der Konkurrenz um die innerhalb eines Raumes zu vergebenden Gelder, gehörte von Anfang an zu den Begleiterscheinungen des Gesetzes und bereitet den Theatern bis heute Probleme. Gefährdung und Aufbruch lagen in den ersten Jahren nach der Wende für alle Kunstsparten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR dicht beieinander. Freie Theater, Off-Bühnen und kommerzielle Häuser traten aus ihrem Nischendasein oder konnten sich überhaupt erst gründen. In Dresden existierte schon seit 1985 das legendäre Statt-Theater Fassungslos. Das Projekttheater in der Neustadt kam hinzu und lebt trotz mancher Finanzierungs- und Managementprobleme bis heute. 1999 erstand das Societaetstheater wieder, das schon 1776 als Bürgertheater gegründet worden war. Das Haus der ehemaligen SED-Parteischule bot gleich mehreren kleinen Bühnen ein Domizil. Ins benachbarte World Trade Center zog die kommerzielle Comödie Dresden ein. In Leipzig entstand 1997 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Theater der Jungen Welt das LOFFT als Spielstätte freier Gruppen. Mit der nicht nur auf das Theater beschränkten Schaubühne Lindenfels und weiteren Gruppen ist Leipzig ein Zentrum der freien Szene. In Chemnitz ist die Vereinseigene Bühne VEB aktiv. Die drei direkt vom Land Sachsen getragenen Staatstheater überstanden die neunziger Jahre nicht nur gut, sie konnten sich auch über dynamisierte Zuschüsse freuen. Die Semperoper und das Staatsschauspiel in Dresden sind nun einmal die Premiumbühnen Sachsens. Hier gibt es keine Haustarife, es sei denn die „positive Diskriminierung“ der Sächsischen Staatskapelle, hier wird investiert. Die formal unter einem Dach zusammengefassten Häuser erhalten rund 65 Millionen Euro Landeszuschuss im Jahr. Das Staatsschauspiel konnte unter den drei Intendanten Dieter Görne, Holk Freytag und Wilfried Schulz künstlerisch und hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Relevanz den hohen Anspruch an sich selbst halten. Der Touristenmagnet Semperoper, nicht eben ein Ort besonderer Experimentierfreude, geriet durch den frühen Tod von Intendantin Ulrike Hessler 2012 in personelle Turbulenzen. Anders als in der Bundesrepublik üblich wurden auch die Landesbühnen Sachsen mit Sitz in Radebeul bei Dresden zunächst ausschließlich vom Land finanziert. Was anfangs noch eine vom kulturellen Sachsenstolz getragene Entscheidung war, wurde vom Finanzministerium zunehmend infrage gestellt. Nach einer von der CDU-FDP-Koalition im Landtag getroffenen Entscheidung wurden die Landesbühnen 2012 in eine GmbH umgewandelt, deren alleiniger Gesellschafter vorerst noch der Freistaat Sachsen ist. Die Ausgliederung des Orchesters und der erhöhte Druck, mehr in den Kulturräumen zu spielen, haben den Stress an der zweitgrößten Reisebühne Deutschlands erhöht. Davon wissen die Theater in den Kulturräumen seit zweieinhalb Jahrzehnten ein Lied zu singen. Ausgerechnet das erwähnte traditionsreiche Haus in Döbeln sollte schon 1992 als erstes in Sachsen geschlossen werden. Das Engagement der Stadt als neuer Gesellschafter und die Vereinigung mit dem 30 Kilometer entfernten Freiberg zur Mittelsächsischen Theater und Philharmonie gGmbH retteten ein Jahr später zumindest den Standort. Dauerfinanzierungskrise „Fusionitis“ als vermeintlicher Ausweg aus der permanenten Finanzierungskrise ist keine spezifisch sächsische Erscheinung. Auch Zwickau und Plauen schlossen im Jahr 2000 eher zähneknirschend eine Zweckehe. 1963 schon einmal fusioniert und dann wieder getrennt, wurden auch die beiden Bühnen in Görlitz und Zittau an der Neiße 2011 zum Gerhart-Hauptmann-Theater zusammengeführt. Den oft diskutierten weiteren Zusammenschluss mit dem Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen geht niemand ernsthaft an. „Im Freistaat Sachsen ist es in vorbildlicher Weise gelungen, das flächendeckende Netz an Theatern und Orchestern nicht nur nahezu vollständig zu erhalten, sondern fest in der Gesellschaft zu verankern und die Qualität des künstlerischen Angebots zu verbessern.“ Mit diesem euphemistischen Satz beginnt das 2007 erstellte Gutachten einer Arbeitsgruppe unter Leitung des ehemaligen Abteilungsleiters Kunst im Kultusministerium Reiner Zimmermann. Andererseits konstatierte es schon damals, dass die Rationalisierungsreserven ausgeschöpft seien und ein Überleben dieses Bühnenangebots nur durch Strukturreformen erreichbar sei. Konkret bedeutet das die Reduktion auf ein Theater und ein Orchester pro Kulturraum. Was sowohl in der Lausitz als auch bei den Mittelsachsen in Freiberg/Döbeln und am Eduard-von-Winterstein-Theater im erzgebirgischen Annaberg als ein Unding gilt. „Das Kulturraumgesetz löst eben auch nicht die Probleme der generellen Unterfinanzierung des Kulturbereichs“, sagte bei einer Anhörung zum Kulturraumgesetz im Januar dieses Jahres Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Die Personal- und Sachkosten wachsen schneller als der bislang nur 2004 und 2014 dynamisierte Landeszuschuss an die Kulturräume, an den wiederum die kommunalen Beiträge gekoppelt sind. Personalabbau, Spartenschließungen und Haustarife sind die Folgen. Mit Ausnahme des Mittelsächsischen Theaters verzichten alle Kulturraumtheater und die Landesbühnen auf sechs bis 21 Prozent der ihnen tariflich zustehenden Gagen. Die Orchester liegen zum Teil noch wesentlich darunter. „Wir werden uns in Zukunft nicht alle Theater leisten können“, meint auch Kunstministerin Eva-Maria Stange (SPD), eigentlich eine anerkannte Kulturpolitikerin. Wie die viel beschworenen Strukturveränderungen aussehen sollen, sei eine regional zu verhandelnde Sache. Wo Sparten geschlossen werden müssen, könne ja die Landesbühne aushelfen, meint die Ministerin. Unter diesen Umständen nötigt es großen Respekt ab, wie auch die kleineren Bühnen nicht nur nach Besucherquoten schielen, sondern sich in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen versuchen. Das Programm des Sächsischen Theatertreffens spiegelt etwas davon wider. „Der obdachlose Mond“ aus Zittau und „Ein Winter unterm Tisch“ von den Landesbühnen befassen sich mit der Asylproblematik. Um Drogen geht es in „Crystal“ aus dem Leipziger Theater der Jungen Welt. Nicht in Bautzen dabei sind beispielsweise der Chemnitzer „Clash of Civilizations“ oder Lutz Hübners „Geisterfahrer“ aus Freiberg. Dort passt auch eine hervorragende Neuinszenierung von Taboris „Mein Kampf“ sehr genau zum Zeit-Ungeist. Und das kleine Annaberg veranstaltet im Mai eine „Lange Nacht des Gegenwartstheaters“. Gemessen an den Prognosen hinsichtlich ihrer finanziellen Basis erweisen sich die sächsischen Theater als erstaunlich zählebig. Die Abbau- und Erosionsprozesse gehen allerdings weiter. Zumindest auf die geistige Frische haben sich die Hungerkuren noch nicht ausgewirkt. // Quelle: http://www.theaterderzeit.de/2016/05/33893/komplett/ Abgerufen am: 19.08.2017